Meine Armeezeit in der DDR: Zwischen Freunden und Deppen
By Olaf Lorenz
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Olaf Lorenz
Olaf Lorenz wurde 1966 in Jena geboren. Seinen Grundwehrdienst leistete er Ende der achtziger Jahre in der DDR in Ahrensfelde bei Berlin. Er ist Diplom-Bauingenieur, lebt in Berlin und hat zwei Töchter, Nele (11) und Jette (9). Im selben Verlag ist vom Autor bereits ein Abenteuerbuch unter dem Titel „Auf dem Weg zum Chimborazo“ erschienen.
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Book preview
Meine Armeezeit in der DDR - Olaf Lorenz
Für meinen Vater,
der immer so herzhaft über meine Erlebnisse bei der Armee lachen konnte.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort vor dem Vorwort
Vorwort
I. Teil: Die Grundausbildung
Der Anfang vom Ende
Der Tag der Einberufung
Die ersten Eindrücke
Frühsport
Missverständnisse
Nachdenken
Dienstausweis
Erster Abgang
Stubendurchgang
Nähkunst
Appell
Spindkontrolle
Liegestütze
Oma’s Kuchen
Hase und Igel
Abzählen
Fasching
Wie Otten dafür sorgte, dass ich ihn nie mehr vergessen kann
Spanischer Brieffreund
In-sich-gerade-schräg-zum-Ziel
Der Handgranatenzielwurf
Der Gehäusedeckel
Besuche
Spazieren nach Vorschrift
Kopfwäsche
Die Vereidigung
Bergung eines Verletzten unter Vollschutz
Das Fieberthermometer
Nachtalarm − oder wie Wodan das Leben von zwei Genossen rettete
Abschlussmarsch mit Feldlager
Der Fußballgott
II. Teil: Die Zeit nach der Grundausbildung
Der Beginn neuer Schikanen
Der erste Urlaub
Das neue Kommando
Dienste als GUvD und UvD
Versautes – oder das Armee-Dekameron
Der Offizier vom Dienst
Die Mülltüte
Die Kammer des Grauens
Der Kopfschuss
Weitere Abgänge
Schneller als das Licht
Der Befehl der Jahreszeiten
Nicht wenig dumm
Die Hongkong Grippe
Die Badekappe
Die Waage
Wischerfolge und Rekorde
Go – Das älteste Brettspiel der Welt
Paul und Paulchen in Aktion
Die Radiusfraktur
Verhaftungen
Genosse Wams
PS-Einsätze
Liebe
Zimmertausch
Fahrerwechsel
Der A und U Spezialist
Der Friedenslauf
Die Taschenlampe
Inkognito in Prag
Wachablösung – oder wie der Bock zum Gärtner gemacht wurde
Wolfgang Amadè
Weitere wichtige Abläufe im Krankenhaus
Pickeltrinken
Der Fuchsbau
Der Anschnitt
Der letzte Ausgang
Das Ende vom Ende
Die Legende von Ahrensfelde
Nachwort
Danksagung
Vorwort vor dem Vorwort
Die Namen der in diesem ungewöhnlichen Werk erwähnten Vorgesetzten beziehungsweise der Berufssoldaten habe ich bewusst weggelassen. Diese Personen werden deshalb nur durch Angabe ihres Dienstgrades benannt und der entspricht zum Teil auch nicht immer der Wahrheit, um eventuelle Identifizierungen zu erschweren. Sollte sich doch jemand angesprochen fühlen und ist der Meinung, sich wiederzuerkennen, dann kann er getrost davon ausgehen, dass er nicht gemeint ist.
Die Namen meiner Leidensgenossen sind alle, bis auf die Namen der Kameraden, die in der heutigen BRD keine Karriere machen wollten und / oder ihre Zustimmung zur Verwendung ihres Namens gegeben haben, verstümmelt worden. Das heißt nicht, dass nur ein oder zwei Buchstaben ausgetauscht worden sind. Diese Namen, inklusive der Spitznamen, mit Ausnahme meines eigenen natürlich, sind alle erlogen und meiner Phantasie entsprungen.
Alle Erlebnisse, Orte und Zahlen entsprechen jedoch der Wahrheit oder zumindest dem, was mein Gedächtnis mir als solches vorgegaukelt hat.
Man kann die folgenden Seiten durchaus als Zeitdokument betrachten, dass einer komödiantischen Novelle entspricht.
Vorwort
Wenn es in der Weltliteratur die Rubrik „Bücher, die die Welt nicht braucht geben würde, dann wären dieses Buch und mein erstes Werk „Auf dem Weg zum Chimborazo
ganz sicher in allen Bibliotheken zu finden. Da es diese Rubrik aber leider nicht gibt, werden meine Werke weiterhin nur bei Verwandten, Bekannten und Freunden (oder wem immer ich ein Buch aufdrängen konnte) in den Regalen verstauben oder als Hilfsmittel gegen wackelnde Tische dienen. Wahrscheinlich ist es aber das Schicksal eines Genies, dass seine Werke erst posthum die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Dann werden diese Bücher neben dem von Anfang an hohen ideellen Wert auch endlich einen hohen materiellen Wert haben. Und damit meine ich nicht die mageren 15,90 € für den Ersterwerb.
Schon lange geisterte in meinen Gedanken die Idee, meine Erlebnisse während der dreijährigen Dienstzeit literarisch zu verwerten. Es bedurfte einiger verbaler Motivationsschläge eines Leidensgenossen von damals, um endlich damit zu beginnen. Auch der Film „NVA" von Leander Haussmann hat dazu beigetragen, dass nun endlich meine zum Glück noch wachen Erinnerungen per Tastatur in den PC kopiert wurden.
Wenn ich behaupte, dass ich drei Jahre in einer Spezialeinheit der Deutschen Demokratischen Republik gedient und an der unsichtbaren Front gekämpft habe, werden Nichteingeweihte wahrscheinlich vor Schaudern erstarren. Alle Eingeweihten hingegen werden ganz sicher Tränen lachend zusammenbrechen, denn die besagte Einheit war der Zentrale Medizinische Dienst, kurz ZMD, der zu den rückwärtigen Diensten zählte. Und die unsichtbare Front bestand aus Schmutz und Bakterien, die wir mit Hilfe von Schrubber, Wischlappen und Wofasept im Krankenhaus in Buch, nördlich von Berlin, bekämpften. Um unsere Spuren zu verwischen, nutzten wir noch die sogenannten Bohnerkeulen. Also war unser Dienst vollkommen unspektakulär, was auch zur Folge hatte, dass wir nie ein Bond-Girl an unserer Seite hatten. Schade.
Wie bereits erwähnt, hat mich auch der Film „NVA" motiviert zu schreiben. Der Grund hierfür war die nahezu neunzigprozentige Übereinstimmung der Erlebnisse der Hauptfigur des Films mit dem, was ich in dieser Zeit erlebt habe. Nun, warum dann auch noch aufschreiben, könnte man fragen. Aber neunzig Prozent sind halt nicht einhundert Prozent und das eine ist Leander Haussmanns Film und das andere ist mein Buch mit meinen Erlebnissen.
Zu Beginn meiner Dienstzeit war ich gerade zarte achtzehn Jahre alt und wog kaum wahrzunehmende dreiundsechzig Kilogramm. Am Ende meiner Armeezeit sollte ich es auf stattliche achtzig Kilogramm gebracht haben. Körpergewicht versteht sich und ohne Orden und Auszeichnungen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich hatte meine Lehre als Heizungsinstallateur vorzeitig beendet, nachdem ich mich erfolgreich geweigert hatte, das Abitur zu machen. Dies sollte sich später aber auch nicht als Nachteil herausstellen.
In der Wendezeit, in der so einiges drunter und drüber ging, fragte auch keiner nach meinem Abitur, als ich das Studium zum Diplom-Ingenieur für Bauwesen aufnahm, das ich dann 1992 auch erfolgreich abschließen sollte.
Aber bis zu dieser Zeit sollte meine Aufgabe darin bestehen, die nächsten 1.096 Tage die imperialistischen Feinde meines noch real existierenden Vaterlandes abzuwehren. Ausgerechnet ich.
Dass in dieser Zeit so einiges geschehen ist, muss ich hier nicht besonders hervorheben. Eigentlich steht ja ein Großteil in meiner Stasi-Akte. Aber da diese nicht Jedem zugänglich ist, werde ich meine mental noch vorhandenen Erlebnisse mit den Vermerken in meiner Akte kreuzen und hier wiedergeben.
Berlin, Dezember 2013
O. Lorenz
I. Teil
Die Grundausbildung
Der Anfang vom Ende
Berlin, 01. Oktober 1985. Es ist ein grauer Tag. Kein Sonnenstrahl dringt durch die dichten, tief hängenden Wolken. Es regnet und der Wind weht kräftig. Ich habe zwar noch kein Auge aufgemacht, aber ich bin sicher, dass so ein Scheißwetter ist. Heute ist nämlich der Tag meiner Einberufung und da kann es nicht schön draußen sein.
Eigentlich war ich ausgemustert. Zumindest glaubte ich das bis zu jener unheilvollen Nacht. Trotz meiner körperlichen Gebrechen, die die Ausmusterung voll und ganz rechtfertigten, ließ mich nichts davon abhalten, mit meinen Kumpels deren Abschied vom normalen Leben zu feiern.
In jener bereits erwähnten Schicksalsnacht, nach einem dieser vielen Abschiede von meinen Kumpels, mitten in meiner „Sturm und Drang Zeit", kam ich nach Hause und entdeckte einen Zettel. Ich hatte diesen aufgrund des einen Biers zuviel nicht gleich entziffern können. Erst dachte ich, dass sei eine Rechnung, die meine Mutter noch begleichen musste. Aber dann war es etwas, was ich begleichen musste. Ich hielt den Einberufungsbefehl in meinen Händen. Schlagartig war ich wieder nüchtern.
Nachdem ich so langsam realisiert hatte, was ich da in den Händen hielt, habe ich zunächst gekündigt. Anschließend zog ich durch die Kneipen Berlins, was ungefähr zwei Wochen in Anspruch nahm. Und immer wieder quälte mich dabei nur diese eine Frage: Warum drei Jahre?
In der Gegend, in der ich Fußball spielend und mit dem einen und anderen Blödsinn, den mein Kopf ausheckte, aufgewachsen bin, war es irgendwie normal, sich für drei Jahre zu verpflichten. Das dachte ich zumindest. Aber das absolut unschlagbare Argument war ein anderes.
Wollte man als männlicher Teil dieser Gesellschaft irgendwann einmal studieren, dann war es sehr sinnvoll, sich für diese Zeit von drei Jahren zu verpflichten, weil man dann sofort zur Armee konnte und nicht eventuell fünfundzwanzig oder gar sechsundzwanzig Jahre alt werden musste, bevor man eingezogen wird. Denn erst danach konnte man studieren und ich wollte kein alter Student werden. Ich wusste zwar nicht, was ich studieren sollte, aber dass ich nicht mein ganzes Leben lang arbeiten wollte, war mir schon frühzeitig klar.
Also ab zur Armee und zwar sofort, zumal ich ja immer noch dachte, dass ich ausgemustert bin. Somit war es ein leichtes, „Ja" zu diesen drei Jahren zu sagen.
Zwei Tage nach meiner Immatrikulation im Jahre 1988 habe ich dann die volle Wahrheit erfahren. Neben mir war nur noch ein Kommilitone so blöd, sich für die doppelte Distanz der Wehrpflicht zu entscheiden. Alle anderen waren nur anderthalb Jahre bei der Armee und studierten nun trotzdem mit mir zusammen. Welch eine Ungerechtigkeit. Aber alles im Leben hat einen Sinn und der bestand darin, dass ich elf Freunde (es ist keine Fußballmannschaft gemeint) für das Leben finden sollte.
Der Tag der Einberufung
Heute war dann also Tag eins von insgesamt 1.096, in Worten eintausendsechsundneunzig, Tagen. Und es beruhigte mich keinesfalls, dass am Ende des heutigen Tages nur noch eintausendfünfundneunzig Tage abzuleisten waren.
Noch beunruhigender waren jedoch die Worte, die uns Rallis Oma vom Balkon nachrief: „Die armen Kinder. Die sind ja noch so jung!" Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Da ich keine Antwort fand, bekam ich Angst und mir wurde schlecht. Dagegen gab es nur ein sicher helfendes Mittel – nämlich Bier.
Wir nahmen die letzte Kneipe in Berlin Schöneweide und versuchten uns zu kurieren. Doch irgendwie sollte uns diese Henkersmahlzeit diesmal nicht schmecken. Auch ein Schnaps half nichts. Mit dem flauen Gefühl im Magen, dass heute ein schöner Lebensabschnitt endet und ein grausiger beginnt, passierte ich das Kasernentor in Berlin Adlershof.
Hier wurde ich dann von meinen Schulkumpels Trulli und Ralli getrennt, das hatten wir uns so nicht gedacht.
Ich landete mit einem Verpflegungspaket auf einem Lkw, bei dem man sofort die Plane herunter ließ, und wurde deportiert. Ich weiß, ich ziehe nicht in den Krieg, wie Generationen vor mir. Ich weiß, wenn es nicht komplett schief geht, werde ich auch lebend wieder zurückkommen. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, mein altes Leben wird in keiner Weise mit dem vergleichbar sein, was jetzt auf mich zuzukommen droht.
Verbotener Weise lugte ich immer mal wieder durch einen Schlitz in der Plane, um zu sehen, wohin man uns brachte. Eine schier endlose Fahrt, obwohl sie nicht einmal eine Stunde gedauert haben kann.
Irgendwann waren wir raus aus Berlin und viele quälende Minuten später standen ich und die anderen Leidensgenossen vor dem Grab unserer Jugend – Ahrensfelde. Wie komme ich hier jemals wieder weg, war mein einziger Gedanke.
Mit dem Schrei „Genosse Lorenz" wurde ich zwar aus meiner Lethargie gerissen, aber ich reagierte nicht darauf. Schließlich war ich ja nicht in der Partei. Da das Brüllen aber immer lauter wurde und ich es nicht mehr ignorieren konnte, wies ich höflich aber bestimmt darauf hin, dass ich nicht in der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschland) bin. Das half jedoch nichts, denn mir wurde ins Gesicht gebrüllt, dass hier alle Genossen wären.
Um nicht in die Partei eintreten zu müssen, hatte ich einige sogenannte Kadergespräche als Lehrling erfolgreich abwehren können. Schließlich sah ich es bei meiner Mutter, was eine Mitgliedschaft bedeutete.
Jeden Montag kam sie erst sehr spät von der Parteiversammlung nach Hause und musste jeden Monat einen gehörigen Batzen an Parteibeitrag bezahlen. Ich hatte zwar keine politischen Motive, um nicht in die Partei einzutreten, aber Freizeit weg und Geld weg, das war zuviel für mich. Nein danke, Genossen! Und nun wurde ich hier trotzdem mit „Genosse" angeredet. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, wie an so viele andere Unsinnigkeiten auch.
Die ersten Eindrücke
Es ist immer noch Tag eins. Als Genosse Lorenz wurde ich in irgendein Sechsmannzimmer gebrüllt. Dort sollte ich mein Bett beziehen. So etwas habe ich ja noch nie gemacht, das geht ja gleich gut los.
Als ich irgendwann dann endlich damit fertig war, dachte ich, dass ich mir eine Pause verdient habe. Doch bevor ich mich hinlegen konnte, brüllte man mich aus diesem Zimmer heraus in ein anderes. Ich wäre der falsche Lorenz, hieß es. Es gibt wohl noch einen Genossen Lorenz, der heute eingezogen worden ist, dachte ich. In meinem neuen Zimmer musste ich nun erneut mein Bett beziehen. Und da alle guten Dinge drei sind, war ich wieder nicht der richtige Lorenz. Es gibt also drei. Dafür kann ich doch nichts, brüllte ich zurück. Von nun an hatte ich für die nächsten sieben Wochen einen neuen Freund gefunden. Ich zog in Zimmer drei um.
Welch ein Schreck schoss mir durch die Glieder, als ich die Tür aufmachte. Einer dieser gefürchteten EKs saß mit Füßen auf dem Tisch und einem dicken Buch in der Hand im Zimmer. Diese EKs (Entlassungskandidaten) sind die dienstältesten Genossen und somit die, die als nächstes entlassen werden. Sie haben das Sagen. Sie bestimmen über das Wohl und Wehe der anderen Genossen. Wer in den Spind eingeschlossen wird oder wer über den Flur als Schildkröte geschossen wird und viele andere Spielchen. Soviel hatte ich im Vorfeld bereits recherchiert. Mir bleibt aber auch nichts erspart. Ich will wieder nach Hause.