radar love: Erzählungen und Gedichte
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Vittai Danhoff
wurde als tanzender Stern im Chaos geboren. Es war zur Zeit des Vollmondes. Als man ihm sagte, Ordnung sei das halbe Leben, begann er, nach der anderen Hälfte zu suchen. Eine Fruchtfliege behauptet steif und fest, er hätte nur in einer Seifenblase existieren können. Aber was wissen Fruchtfliegen denn schon vom Leben? Sie kennen nur die Geschichten, die der Wind erzählt.
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Book preview
radar love - Vittai Danhoff
Inhaltsverzeichnis
Flügelrauschen
radar love
Schneeschmelze
Zeitdiebe
Zuckerschnute mit Frikassee
Valentinsnacht
Dich zu beschreiben
Erwachen
Penthesilea
Buridans Tochter
Undine
Feenwunsch
Osterspaziergang
November
cryonic garden
Ophelia
Bildnachweis:
Flügelrauschen
Verstummt sind all die Worte nun, da Ohren sie nicht hören können. Herz fließt über noch und noch. Mit geschlossenen Augen sitzen, um nicht zu sehen, wo flackernder Kerzenschein Chimären an Wände wirft. Im Raum liegt Musik, schwerer noch, das Herz zu stillen: Tangerine Dream. Lebendig sind die Bilder noch in diesen Wänden, Lachen klingt noch wahr aus einer schattenlosen Zeit. Hände weich und warm, der schöne Mund noch schön, schön die Worte. Schön wie die Augen und das endlos warme Weich der Haut.
Das alte Spulentonbandgerät brummt leise, nur das Rascheln und leichte Schleifen des sich drehenden Bandes mischt sich unter das Dröhnen der Musik. Der Geruch von Räucherstäbchen und altem Paraffin füllt den Raum.
Auf einer kleinen Kiste, die als Tisch dient, steht das Stövchen mit starkem schwarzem Tee. Das Hochbett wie ein Dach, über der Sitzecke aus alten Matratzen, gebaut aus alten Kanthölzern und Dielenbrettern. Die Bretter auf den schmalen Schultern durch S- und Straßenbahn balancierend durch halb Berlin getragen und die Treppen ganz nach oben in die eigenen vier Wände geschafft.
Oben war genug Platz, genug für vier. Lag man oben, fiel der Blick hinunter auf die Straße, die Straßenbahnhaltestelle und die eiligen Menschen, die da warten auf einen andren Ort und der da wartet auf sie. Die keine Zeit zu haben schienen, Zeit für ein Hallo, die nicht hinaufkamen, fremd blieben und manchmal schön. Der nahe Kirchturm teilte die Zeit mit seinen Glocken in immer halbe Stunden. Hier floß sie nicht, kam in Portionen, unbarmherzig laut, daß man das Fenster schließen mußte, oder die Lippen, bis die Wächter der Zeit verstummen und wieder vergessen wurden.
Es gab keine Leiter hinauf ins Bett, man mußte zuerst auf einen Stuhl, dann aufs Klavier, um nach oben zu kommen. Dieses eine Zimmer nur, in dem man steht, wenn man die Tür öffnet und durch einen Vorhang in die kleine Küche gelangt, in der das Geschirr leise klirrt, wenn die Straßenbahn fährt. Eine alte Zinkbadewanne dient zum Wäschewaschen und Baden. Wasser aus einem großen Kochtopf, das auf dem Gasherd warm gemacht wird.
Als sie zu viert das alte Klavier in den obersten Stock wuchteten, hatten die Hausbewohner vorsorglich die Polizei gerufen: es habe eine Anzeige wegen Ruhestörung durch lautes Klavierspiel gegeben. Sie gingen wieder, als sie sahen, daß das Klavier noch nicht einmal in der Wohnung war. Die Türen neugieriger Hausbewohner schlossen sich, als die Polizei wieder abzog.
Es ist die mittlere Wohnung von dreien auf der obersten Etage. Die Toilette eine halbe Treppe tiefer. Die Tür die einzige im Haus, die auch außen eine Klinke hat. Meist nicht verschlossen, so daß man einfach eintreten kann, willkommen war man immer. An der Tür eine schmale Rolle Papier für Mitteilungen. Daneben an einer Schnur ein Bleistift. Fast immer hinterlassen Leute ein paar Krakel, manches unleserlich und kaum zu erkennen, von wem. Andere malten etwas oder schrieben kleine Gedichte.
Oft war Besuch da, zum einen kamen die Leute, weil sie unter sich sein wollten und noch keine eigene Wohnung hatten, andere wollten reden oder einfach nur hören, wenn er Klavier spielte. Manche blieb, schlief ein in einer Umarmung, einem Streicheln. Die Hände so behutsam, Küsse zaghaft nur, mit großen Augen voller Träume. Strahlende Blicke, die die Dunkelheit erhellten mit ihren Fragen, ihrer Sehnsucht, ihrer Wärme.
Es war seine erste eigene Wohnung. Mit 17 war er eingezogen, hatte sein altes Leben hinter sich gelassen, das Heim, in dem er aufgewachsen war, die Eltern, die ihn nicht liebten und ihm einst den Namen gaben, den er haßte. Er wollte ein neues Leben, einen neuen Namen, einen neuen Anfang. Jetzt war er Teufel! Jemand hatte ihn zum Spaß so genannt, nun nannten ihn alle so.
Abends ging er zur Jungen Gemeinde in die Kirche, spielte Tischtennis oder hörte Musik. Meist saßen sie bis früh und diskutierten bei billigem Rotwein oder schwarzem Tee und Schmalzstullen über Gott und die Welt. Auf einem dieser Diskussionsabende lernte er Charly kennen. Sie hatte von ihm gehört und sprach ihn an.
Sie saßen noch lange an diesem Abend. Er war fasziniert von ihr, hatte er doch noch nie vorher ein Mädchen getroffen, mit der man so über alles reden konnte. Gleichzeitig hatte sie so ungeheuer viele Probleme, sie schien den ganzen Schmerz der Welt auf ihren schmalen Schultern zu tragen. Schweigend hörte er zu, was hatte er ihr auch zu sagen, sein Leben hatte doch eben erst angefangen.
Er fühlte sich wohl, in diesem neuen Leben! Er war aus seinem alten herausgetreten und hatte es hinter sich gelassen, wie ein Schmetterling, der nicht mehr Raupe war. Auch Charly war für ihn ein neues Leben, ein Neuanfang! Eine Welt voller Lachen, voller Schönheit, voller Farben und Musik. Ihre Sorgen und Nöte wirkten so klein gegen das, was er in seinem Herzen trug.
Ich mag ihre viel zu großen Augen, ihr lautes Lachen. Die Art, wie sie Zigaretten dreht. Wenn sie spricht, spricht alles an ihr, ihre Hände, ihre Haare. Ihre Haare sind überhaupt das wundervollste an ihr: eine Pracht schwarzer, unbändiger Locken, die ihr bis über die Schultern fallen. Selbst der Regen schien ihnen nichts anhaben zu können. Meist hatte sie ihre Haare mit einem Gummi hinten zusammen gebunden,