Академический Документы
Профессиональный Документы
Культура Документы
23 Vitamine
Georg Löffler, Regina Brigelius-Flohé
Literatur – 712
680 Kapitel 23 · Vitamine
Bei den großen Seefahrten zu Beginn der Neuzeit wurde beobachtet, dass Menschen unter lang dauernder, einseitiger Ernäh-
rung spezifische Krankheitsbilder entwickeln. Aber erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Entstehung dieser Krankheiten
tierexperimentell durch das Verfüttern so genannter Mangeldiäten untersucht, was letztendlich zur Disziplin der modernen
Ernährungswissenschaft führte. Versuchstiere starben trotz ausreichender Energiezufuhr, wenn sie mit einer nur aus hoch ge-
reinigten Kohlenhydraten, Fetten, Proteinen und Elektrolyten bestehenden Diät ernährt wurden. Die Erkenntnis, dass das Feh-
23 len einer bestimmten Komponente in der Nahrung krank machen kann, war insofern eine Revolution, als man hierfür bis zu
diesem Zeitpunkt nur giftige oder verdorbene Nahrungsbestandteile verantwortlich machte. Die für das Überleben fehlenden
Bestandteile wurden Vitamine genannt, weil man annahm, dass es sich ausschließlich um stickstoffhaltige Verbindungen hand-
le. Später zeigte sich allerdings, dass viele Vitamine keinen Stickstoff enthalten, dass Vitamine untereinander keinerlei chemi-
sche Verwandtschaft aufweisen und ihr Wirkungsspektrum alle Aspekte der Biochemie höherer Zellen umfasst.
23.1 Allgemeine Grundlagen male Versorgung ist jedoch in den meisten Fällen nicht ge-
und Pathobiochemie nau bekannt. Man begnügt sich daher mit Empfehlungen
für die wünschenswerte Höhe der Zufuhr, bei denen
23.1.1 Definition und Einteilung 4 die individuellen Schwankungen
4 der veränderte Bedarf bei erhöhtem/erniedrigtem Ka-
! Vitamine sind organische, in Mikromengen benötigte lorienverbrauch
essentielle Nahrungsbestandteile. 4 Wachstum
4 Schwangerschaft und Stillzeit
Vitamine sind Verbindungen, die in geringen Konzentra-
tionen für die Aufrechterhaltung fast aller physiologischen sowie ein angemessener Sicherheitszuschlag berücksichtigt
Funktionen benötigt werden. Pflanzen und Mikroorganis- sind (. Tabelle 23.2).
men können diese Verbindungen selbst produzieren, höher Wegen der üblich gewordenen Einnahme großer Men-
organisierte Lebensformen haben im Zuge der Evolution gen an Vitaminen mit Nahrungsergänzungsmitteln, wur-
diese Fähigkeit eingebüßt. Ihnen fehlen die für die Biosyn- den im Jahr 2000 für einige Vitamine eine obere tolerierba-
these von Vitaminen benötigten Enzyme, sodass für sie re Zufuhr (tolerable upper intake level,) eingeführt, welche
Vitamine zu essentiellen Nahrungsbestandteilen gewor- die Menge eines Vitamins angibt, die täglich aufgenommen
den sind [vgl. essentielle Aminosäuren (7 Kap. 13.4), essen- werden kann, ohne dass es zu unerwünschten Nebenwir-
tielle Fettsäuren (7 Kap. 12.4.1)]. kungen kommt (. Tabelle 23.2).
Dem mengenmäßig geringen täglichen Bedarf an Vit-
aminen entspricht ihre katalytische bzw. regulatorische
Funktion. Vitamine 23.1.3 Pathobiochemie
4 wirken als Coenzyme oder
4 Hormone ! Hypo- und Hypervitaminosen führen zu unterschiedli-
4 sind Wasserstoff- Donoren bzw. Akzeptoren chen Krankheitsbildern.
4 sind an Redoxprozessen beteiligt
4 sind an der Modifizierung und damit der Regulation Die mangelhafte Versorgung mit einem Vitamin führt in
der Aktivität von Proteinen beteiligt der leichten Form zur Hypovitaminose, in der schweren,
4 sind Liganden für Transkriptionsfaktoren voll ausgebildeten zur Avitaminose. Ein Vitaminmangel
kann bedingt sein durch
Nach ihren chemischen Eigenschaften werden die Vitamine 4 eine unzureichende Zufuhr
in wasser- bzw. fettlösliche Vitamine eingeteilt (. Tabel- 4 gestörte intestinale Resorption oder
le 23.1). Diese Einteilung hat aber keinerlei Bezug zur bio- 4 genetische Defekte
chemischen Funktion.
Da viele Vitamine, besonders diejenigen aus der Gruppe
der wasserlöslichen, Coenzyme der Enzyme von Haupt-
23.1.2 Täglicher Bedarf an Vitaminen stoffwechselwegen sind, ist die Symptomatik von Hypovi-
taminosen häufig unspezifisch, da meist der gesamte Inter-
! Der tatsächliche Vitaminbedarf hängt von individuellen
mediärstoffwechsel gestört ist. Betroffen sind vor allem
Gegebenheiten ab.
Gewebe mit hoher Stoffwechselleistung (z. B. Myocard,
Exakte Zahlen für den täglichen Minimalbedarf wurden an Gastrointestinaltrakt) oder hoher Zellteilungsrate (Blut bil-
Versuchspersonen für einige Vitamine ermittelt. Die opti- dende Gewebe des Knochenmarks, epitheliale Gewebe).
23.1 · Allgemeine Grundlagen und Pathobiochemie
681 23
In Kürze
Vitamine sind essentielle Nahrungsbestandteile, die dem bzw. Avitaminosen) führen zu oft schweren Krankheits-
Organismus täglich in Mikromengen zugeführt werden bildern mit meist unspezifischer Symptomatik. Hyper vita-
müssen und ohne die der normale Ablauf der Stoffwech- minosen sind lediglich für fettlösliche Vitamine beschrie-
selprozesse nicht möglich ist. Ihrer chemischen Natur ben worden und werden in aller Regel nicht durch Fehler-
nach kann man sie in fett- bzw. wasserlösliche Vitamine nährung, sondern durch zu hohe Supplementierung aus-
einteilen. Vitaminmangelzustände (Hypovitaminosen gelöst.
23.2 Fettlösliche Vitamine Aktivität wie Retinol besitzen. Die Bezeichnung Retinoide
schließt alle natürlichen Formen von Vitamin A und zu-
23.2.1 Vitamin A sätzlich synthetische Analoga ein. Vitamin A besteht aus
4 Isopreneinheiten (20 C Atomen), von denen die Atome
! Retinolderivate sind für den Sehvorgang, und für die Re- 1–6 zu einem Iononring geschlossen sind. Es hat 5 Doppel-
gulation von Zellwachstum und -differenzierung wichtig. bindungen und eine polare Gruppe am azyklischen Ende,
die ein Alkohol (Retinol), ein Aldehyd (Retinal) oder eine
Chemische Struktur. Die Bezeichnung Vitamin A umfasst Säure (Retinsäure) sein kann (. Abb. 23.3). Als Pro-Vita-
alle Verbindungen, die qualitativ die gleiche biologische min A werden Carotinoide bezeichnet, die 8 Isoprenein-
heiten aufweisen und von denen β-Carotin die ergiebigste An der Plasmamembran werden Retinylester wieder
Vitamin A-Vorstufe ist. gespalten und freigesetztes Retinol an CRBP-I (. Tab. 23.4)
gebunden. In dieser Form wird Retinol zu den metabolisie-
Vorkommen. Tierische Quellen – wie Leber, Milch, Eier renden Enzymen transportiert (. Abb. 23.3) oder zur Spei-
oder Fisch – enthalten Retinoide, die als langkettige Fett- cherung mit Palmitat verestert. Die Speicherung in der
säureester von Retinol, bevorzugt als Retinylpalmitat, vor- Leber erfolgt in den sog. Stern- oder Ito-Zellen (7 Kap. 33.5).
liegen. Pflanzliche Quellen sind vor allem gelbe Gemüse Die in diesen Zellen gespeicherte Vitamin A-Menge ist be-
23 und Früchte (z. B. Karotten und gelbe Pfirsiche) sowie die trächtlich und sichert den Bedarf für mehrere Monate. Zur
Blätter der grünen Gemüse (Spinat, Fenchel, Grünkohl), Verteilung in periphere Zellen wird Retinol an das Retinol-
die Carotinoide, also Provitamin A enthalten. bindende Protein (RBP) gebunden und ins Blut abgegeben.
Da RBP nur 21,2 kDa groß ist und deshalb über die Niere
Resorption und Verteilung. Retinylester werden im ausgeschieden würde, wird der RBP-Retinol Komplex im
Darmlumen durch Pankreaslipasen oder Esterasen, an Blut an Transthyretin assoziiert. Leber- und periphere Ziel-
der Mukosamembran durch eine Retinylesterase (REH) zellen haben einen Rezeptor, der RBP erkennt und RBP-
gespalten. Für die intestinale Resorption ist eine Mizellen- gebundenes Retinol aufnimmt.
bildung nötig, für die Gallensäuren einen unerlässlichen
Cofaktor darstellen. Die Resorption erfolgt analog der Metabolismus. In den Zellen wird Retinol in die benötigte
Fettresorption (7 Kap. 32.2.2). Für den intrazellulären Trans- funktionelle Form umgewandelt, wobei die Oxidation von
port wird Vitamin A an Rezeptoren gebunden, die in . Ta- Retinal zu Retinsäure irreversibel ist (. Abb. 23.3). Retinal-
belle 23.4 zusammengefasst sind. Retinol- und Retinoat- dehyd und Retinsäure werden isomerisiert, Retinol und
Bindeproteine gehören zu einer Gruppe von Lipid-Trans- Retinsäure hydroxyliert oder zum Zweck der Ausscheidung
portproteinen, die als Lipocaline bezeichnet werden. glucuronidiert.
In den Mukosazellen des Intestinaltrakts (Enterozyten)
wird Retinol wieder verestert. Die beteiligten Enzyme sind Funktion. Die verschiedenen Formen von Vitamin A haben
die Lecithin: Retinol Acyltransferase (LRAT) oder die Acyl- spezifische biologische Funktionen:
CoA: Retinol Acyltransferase (ARAT). Die LRAT verestert 4 verestertes Retinol dient als Speicherform von Vita-
nur an CRBP-II (. Tab. 23.4) gebundenes Retinol, während min A
die ARAT auch freies Retinol akzeptiert. Dies stellt sicher, 4 Retinal ist für den Rhodopsinzyklus im Auge essentiell
dass auch bei hohen Konzentrationen, wenn die zellulären 4 Retinsäure steuert über die Regulation von Genaktivi-
Bindeproteine gesättigt sind, kein freies Retinol vorliegt. täten Wachstum und Entwicklung von Zellen
E-Carotin wird zu Retinal gespalten, eine Reaktion, die
von der 15,15c-Dioxygenase katalysiert wird. (. Abb. 23.3). Molekulare Vorgänge bei der Photorezeption. Vitamin A ist
Das entstehende Retinal wird zu Retinol reduziert und ver- in Form des 11-cis- bzw. all-trans-Retinals Bestandteil des
estert. Retinylester werden in Chylomikronen eingebaut Sehpigments Rhodopsin in den Stäbchen der Retina. Rho-
und in die Lymphe sezerniert. Daneben besteht die Mög- dopsin (Molekulargewicht ca. 27 kD) besteht aus dem Trans-
lichkeit des Transports von freiem Retinol über die V. por- membranprotein Opsin und Retinal, das covalent an die
tae zur Leber. H-Aminogruppe eines Lysylrests des Opsins gebunden ist.
23.2.2 Vitamin D
! Vitamin D ist an der Regulation der Calciumhomöosta- . Abb. 23.9. Biosynthese von 1,25-Dihydroxycholecalciferol aus
se und der Expression von Genen beteiligt. 7-Dehydrocholesterin. (Einzelheiten 7 Text)
Chemische Struktur. Die D-Vitamine oder Calciferole ge- Stoffwechsel. 7-Dehydrocholesterin (Provitamin D3) kann
hören zur Gruppe der Steroide (7 Kap. 2.2.1, 2.2.5). Die bei- im Organismus (Leber) aus Squalen (7 Kap. 18.3.1) synthe-
den wichtigsten Calciferole sind: tisiert werden. Calciferole sind deshalb keine Vitamine im
4 Vitamin D2 (Ergocalciferol) und eigentlichen Sinn und könnten auch den Hormonen zuge-
4 Vitamin D3 (Cholecalciferol) rechnet werden (7 u.). Durch Bestrahlung mit ultravio-
lettem Licht wird das in der Haut abgelagerte Provitamin in
Sie entstehen aus ihren Provitaminen Ergosterol bzw. 7- das Vitamin D3, das Cholecalciferol, umgewandelt. Tat-
Dehydrocholesterin durch eine Spaltung des Rings B des sächlich ist ein Vitamin D-Mangel bei Naturvölkern, die
Steranskeletts, die durch die UV-Strahlung des Sonnen- mit minimaler Bekleidung im Wesentlichen im Freien le-
lichts katalysiert wird (. Abb. 23.9). Ergocalciferol (nicht ben, unbekannt. Erst die durch die Zivilisation und Indus-
gezeigt) unterscheidet sich vom Cholecalciferol lediglich trialisierung geänderte Lebensweise hat die durch die Son-
durch den Besitz einer Doppelbindung zwischen C22 und nenbestrahlung begrenzte Kapazität des Organismus zur
C23 sowie einer zusätzlichen Methylgruppe an C24 in der Vitamin D-Biosynthese gezeigt. Das Auftreten des Vitamin
Seitenkette. D-Mangelsyndroms Rachitis bei Kindern, der erhöhte
Vitaminbedarf in der Wachstumsphase, der Schwanger-
Vorkommen. In hoher Konzentration kommen Calciferole schaft und der Lactationsperiode macht eine adäquate
in Meeresfischen vor (Lebertran). Daneben finden sich be- Substitution mit Vitamin D notwendig.
trächtliche, allerdings mit der Jahreszeit schwankende, Auch Cholecalciferol stellt noch nicht die biologisch
Mengen auch in Milchprodukten und Eiern. aktive Form der D-Vitamine dar, sondern wird – nach dem
23.2 · Fettlösliche Vitamine
689 23
Transport in die Leber – zu 25-Hydroxycholecalciferol hy- rung und die intrazelluläre Freisetzung von 25-Hydro-
droxyliert (. Abb. 23.9). 25(OH)D3 verlässt die Leber und xycholecalciferol auslöst
gelangt über das Blut zu den Nieren, wo es durch ein mito- 4 Die 1D-Hydroxylase wird auf der Ebene der Genexpres-
chondriales Enzym erneut – diesmal in Position 1 – hydro- sion reguliert. cAMP ist der wichtigste Induktor, wäh-
xyliert wird. Es entsteht 1,25-Dihydroxycholecalciferol rend Phosphat, Calcium und 1,25(OH)2D3 die Tran-
(1,25(OH)2D3, Calcitriol), die biologisch aktive Form von skription des 1D-Hydroxylasegens hemmen
Vitamin D. In der Niere wird auch 24,25-Dihydroxychole- 4 Parathormon (PTH) 7 Kap. 28.6.3) wird bei niedrigem
calciferol gebildet, das als Ausscheidungsform gilt, aber Serum Ca2+-Spiegel von der Nebenschilddrüse ausge-
auch eigene Wirkungen zu haben scheint. schüttet. Es wird über den PTH-Rezeptor von den re-
Wegen der Bedeutung der Calciferole für die Regula- nalen Tubulusepithelzellen aufgenommen und ist der
tion der extrazellulären Calciumkonzentration (7 Kap. wichtigste Aktivator der Adenylatcyclase und deswe-
28.6.3) wird die Biosynthese von 1,25-Dihydroxychole- gen für erhöhte cAMP-Spiegel verantwortlich. Frei-
calciferol sehr genau reguliert. Dies betrifft weniger die setzung von Parathormon führt also zu einer verstärk-
hepatische Bildung von 25-Hydroxycholecalciferol, wel- ten Bildung von 1,25(OH)2D3. Ähnlich wie in den
che lediglich einer einfachen Produkthemmung unter- Nebenschilddrüsen ist auch in den proximalen Tubulu-
liegt, sondern vielmehr die Biosynthese der für die 1,25- sepithelien ein Calcium-Sensorprotein nachgewiesen
Dihydroxycholecalciferol-Bildung notwendigen 1α-Hy- worden. Es gehört zur Familie der heptahelicalen Re-
droxylase in den proximalen Tubulusepithelien der Niere zeptoren (7 Kap. 25.3.3). Seine Aktivierung durch hohe
(. Abb. 23.10): Serum Ca2+-Konzentrationen führt über entsprechen-
4 Für den Transport von Calciferolen im Blut wird ein de G-Proteine zu einer Hemmung der Adenylatcyclase
spezifisches Protein, das Vitamin D-Bindungspro- sowie zu einer Zunahme der freien intrazellulären Cal-
tein (DBP) benötigt. Calciferol, besonders 25-Hydro- ciumkonzentration der Tubulusepithelzellen und löst
xycholecalciferol, wird als Komplex mit diesem Pro- somit eine Hemmung der 1D-Hydroxylaseaktivität aus.
tein glomerulär filtriert. Um einen Verlust an 25-Hy- Dies bedeutet eine verminderte Bildung von biologisch
droxycholecalciferol im Urin zu verhindern, verfügen aktivem Vitamin D
die proximalen Tubulusepithelzellen über den Mega- 4 Steigen die Serum-Ca2+-Spiegel, wird die Ausschüttung
linrezeptor aus der Familie der Lipoproteinrezeptoren von PTH vermindert, die Wirkung auf die Niere bleibt
(7 Kap. 18.5). Er bindet den Komplex aus DBP und aus, die Produktion von 1,25-Dihydroxycholecalciferol
25-Hydroxycholecalciferol, was dessen Internalisie- wird gebremst
690 Kapitel 23 · Vitamine
. Abb. 23.11. Metabolismus von Vitamin E. a Physiologischer Radikal (Rx) zum Tocopheroxylradikal. Wenn dieses nicht wieder durch
Abbauweg. CEHC = Carboxyethylhydroxychroman (Einzelheiten siehe z. B. Ascorbat zum Tocopherol regeneriert wird, wird es abgebaut und
Text). b Reaktionen als Antioxidans. Tocopherol reagiert mit einem ausgeschieden
mangels hervorgerufen wird. Diese Krankheit trat erstmals Osteoporose. Das hierbei freigesetzte Calcium muss über
nach Industrialisierung in England auf und wurde deshalb die Nieren ausgeschieden werden. In Extremfällen erreicht
auch ‚Englische Krankheit‘ genannt. Grund für die Krank- es im Nierentubulus eine so hohe Konzentration, dass es zur
heit waren neben unzureichender Zufuhr auch die unzurei- Ausfällung von Calciumphosphat und damit zur Nephro-
chende Sonneneinstrahlung durch das Arbeiten in geschlos- calcinose kommt.
senen Räumen oder unter Tage sowie die langen Winter.
Vitamin D-Mangel beim Erwachsenen wird als Osteo-
malacie (7 u.) bezeichnet. Sie tritt als Folge von Störungen 23.2.3 Vitamin E
der Vitamin D-Resorption (z. B. bei chronischem Gallen-
gangverschluss) auf. Bei chronischen Leber- und Nierener- ! Vitamin E ist mehr als ein Antioxidans.
krankungen kommt es sehr häufig zum Calciumschwund
des Skelettsystems, der wahrscheinlich durch eine vermin- Chemische Struktur. Vitamin E ist ein Sammelbegriff für 4
derte Umwandlung von Calciferol in 1,25-Dihydroxychole- Tocopherole (D, E, J und G) und 4 Tocotrienole (D, E, J und
calciferol ausgelöst ist (sekundärer Hyperparathyreoidis- G). Sie gehören zu den Prenyllipiden. Alle bestehen aus
mus, 7 Kap. 28.6.4). einem in 6 Stellung hydroxylierten Chromanring, der in
Hypervitaminose: Eine Hypervitaminose des Vitamin Position 2 mit einer aliphatischen Seitenkette (C16) ver-
D durch Fehlernährung ist unbekannt, kann aber bei Über- knüpft ist, die in Tocopherolen gesättigt ist und in Tocotri-
dosierung von Vitamin D-Präparaten vorkommen. Netto- enolen 3 Doppelbindungen aufweist (. Abb. 23.11). Die
effekt ist eine Hypercalcämie. Außerdem kommt es zu einer Anzahl und Stellung der Methylgruppen am Chromanring
692 Kapitel 23 · Vitamine
bestimmt die Zugehörigkeit zu den D-, E-, J-, G-Formen. lichen und tierischen Organismus für D-Tocopherol ent-
Tocopherole haben 3 Chiralitätszentren, Tocotrienole eines, scheidend mitbestimmt.
die natürlicherweise in der RRR-Konfiguration vorliegen. Die Aufnahme von Vitamin E in periphere Zellen er-
Synthetische Tocopherole sind Racemate aus den mög- folgt je nach Zelltyp oder Lipoprotein
lichen Kombinationen von R- und S-Konfiguration. 4 beim Abbau von Chylomikronen oder VLDL durch die
Lipoproteinlipase
Vorkommen. Vitamin E wird nur von Pflanzen und einigen 4 über Lipidtransferproteine
Cyanobakterien synthetisiert. Oliven, Weizenkeime, Son- 4 über Rezeptor-vermittelte Endozytose oder
nenblumenkerne und Kerne der Färberdistel sind reich an 4 über die Aufnahme durch Rezeptoren, die selektiv Lipi-
D-Tocopherol, Mais und Sojapflanzen enthalten J-Toco- de innerhalb der Lipoproteine erkennen, wie z. B. über
pherol. Tocotrienole findet man in Samen der Ölpalme, in den Scavenger-Rezeptor-B1 (7 Kap. 18.6.2)
Reis, Weizen, Gerste und Hafer.
Die Abgabe von α-Tocopherol aus den peripheren Gewe-
Resorption und Verteilung. Die Absorption aller Formen ben verläuft wahrscheinlich ähnlich der von Cholesterin
von Vitamin E erfolgt mit den Fetten in die Enterozyten des und es sind auch hier Transporter der ABC (ATP-binding
Dünndarms (. Abb. 23.12). In der Mukosazelle wird Vita- cassette)-Familie beteiligt.
min E an Chylomikronen assoziiert und so, zusammen mit Der D-Tocopherol Plasmaspiegel ist abhängig vom Li-
anderen fettlöslichen Vitaminen, Triglyzeriden, Choleste- pidgehalt des Plasmas. Als Normalwerte für Erwachsene
rin und Phospholipiden, in die Lymphe sezerniert. Über gelten 12–46 μmol/L bzw. 4–7 μmol/mmol Cholesterin
Chylomikronen-Remnants gelangt es in die Leber. oder 0,8 mg/g Gesamtlipid. Die Plasmakonzentration von
In der Leber wird D-Tocopherol aus allen ankommen- J-Tocopherol ist etwa 1/10 der Konzentration von D-Toco-
den Tocopherolen und Tocotrienolen mit Hilfe des D-Toco- pherol. D-Tocopherol Plasmaspiegel sind sättigbar. Unab-
pherol-Transferproteins (D-TTP) aussortiert, in VLDL hängig von der Dauer oder Höhe einer Supplementation
eingebaut und wieder ins Plasma sezerniert. Die Affinitäten kann der D-Tocopherol-Plasmaspiegel nur etwa 2–3-fach
von D-TTP zu nicht-D-Tocopherolen und zu Tocotrienolen erhöht werden.
ist vergleichsweise niedrig. Sie beträgt für E-Tocopherol 38, Die höchsten Vitamin E Gewebskonzentrationen findet
J-Tocopherol 9, G-Tocopherol 2 und D-Tocotrienol 12% der man in der Leber, im Fettgewebe und in der Nebenniere.
Affinität für D-Tocopherol, was die Präferenz des mensch- Der Umsatz im Plasma ist mit einem t1/2 von 5–7 Tagen
23.2 · Fettlösliche Vitamine
693 23
relativ schnell. Der Umsatz im Fettgewebe ist dagegen lang- oxy/Alkoxy (LOx (ROx))- und Peroxyl-Radikalen (LOOx
sam. Fettgewebe dient jedoch nicht als Speicher; typische (ROOx)) nach folgenden Gleichungen:
Speicher, wie z. B. für Vitamin A, existieren für Tocophero-
le nicht.
Nicht aufgenommenes Tocopherol wird über Faeces,
nicht in peripheres Gewebe eingebaute Tocopherole und
Tocotrienole über die Galle eliminiert. Carboxyethylhydro-
xychromane (CEHCs, 7 u.) werden glucuronidiert oder Die antioxidativen Eigenschaften nehmen in der Reihenfol-
sulfatiert und im Urin ausgeschieden. ge D > E = J > G ab. Eine Regeneration von Tocopherol ist
über das Ascorbat/Ascorbylradikal-System möglich, das
Metabolismus. Die ersten Tocopherolmetabolite wurden in ein negativeres Redoxpotential (280–320 mV) als das Toco-
den 50er Jahren beschrieben. Hierbei handelt es sich um pheroxylradikal/Tocopherol System (480–500 mV) hat.
Tocopheronsäure und Tocopheronolacton, die durch einen Während die Radikalreaktionen von Tocopherolen in vitro
geöffneten Chromanring und eine verkürzte Seitenkette bis ins Detail untersucht und beschrieben sind, gibt es für
gekennzeichnet sind. Der geöffnete Chromanring wurde solche Reaktionen in vivo nur wenig überzeugende Bewei-
als Hinweis dafür genommen, dass Tocopherol als Anti- se. Das Tocopheroxylradikal kann auch als Radikal weiter-
oxidanz gewirkt haben musste, und wurde als Beweis für reagieren und wirkt so pro-oxidativ, in physiologischen
die antioxidative Funktion von Vitamin E in vivo gewertet. Konzentrationen allerdings mit geringer Effizienz.
Der größte Teil der Metabolite sind aber solche mit ver- Die Reaktivität von J-Tocopherol gegenüber Stickstoff-
kürzter Seitenkette aber intaktem Chromanring, sie können Radikalen ist weitaus höher als die von D-Tocopherol, da
also nicht aus oxidativ zerstörtem Tocopherol entstanden die freie Position 5 im Chromanring eine Nitrierung des
sein. Der initiale Schritt der Seitenkettenverkürzung ist Rings erlaubt. Die Bildung von 5-Nitro-J-Tocopherol (J-
eine Z-Hydroxylierung, die Oxidation der Hydroxylgruppe NO2-TOH) ist sowohl durch die Reaktion mit Peroxynitrit
zur Carboxylgruppe, und dann eine E-Oxidation, wie sie (ONOO–) als auch mit NO2x, das aus Peroxynitrit entsteht,
für Fettsäuren mit Methylverzweigungen oder Doppel- möglich.
bindungen üblich ist. Die Endprodukte sind die ent- Inwieweit dies mit den beobachteten anti-inflammato-
sprechend methylierten Carboxyethylhydroxychromane rischen und anti-kanzerogenen Effekten von J-Tocopherol
(CEHC; . Abb. 23.11a), deren Vorstufen die Carboxyme- in Zusammenhang steht, bedarf der Klärung.
thylbutylhydroxychromane (CMBHC). Der Abbauweg ist Nicht-antioxidative Funktionen: Vitamin E wurde als
für alle Formen von Vitamin E gleich. Der Anteil, der ver- Faktor entdeckt, der in der Lage war, in Ratten die Resorp-
stoffwechselt wird, ist jedoch für die einzelnen Vitamere tion von Föten zu verhindern. Diese Eigenschaft wird zur
deutlich verschieden. Während D-Tocopherol nur zu einem Bestimmung der biologischen Effizienz herangezogen. Im
geringen Teil abgebaut wird, wird von den anderen Formen sog. Resorption-Gestations Test ergab sich eine abgestufte
ein Anteil von bis zu 50% beschrieben. Vollständige Bi- Wirksamkeit von D-Tocopherol (100%) > E-Tocopherol
lanzen, die auch längerkettige Vorstufen von CEHC be- (57%) > J-Tocopherol (37%) > D-Tocotrienol (30%) >
rücksichtigen, wurden allerdings bislang nicht beschrieben. E-Tocotrienol (5%) > G-Tocopherol (1,4%). Die antioxida-
Der quantitativ unwesentliche Abbau von D-Tocopherol tive Wirkung individueller Tocopherole und Tocotrienole
wird neben der Spezifität des D-TTP als Erklärung für die in vitro korreliert also nicht mit ihrer biologischen Aktivität.
bevorzugte Nutzung von D-Tocopherol herangezogen. Die Deshalb wird seit einigen Jahren verstärkt nach Funktionen
hohe Metabolismusrate der anderen Formen von Vitamin von Vitamin E gesucht, die seine Essentialität besser erklä-
E dürfte deren Effizienz in vivo begrenzen (7 u.). ren können.
D-Tocopherol hemmt die Blutgerinnung, die Plättchen-
Biochemische Funktionen. Antioxidative Funktion: Alle aggregation, die Expression zellulärer Adhäsionsmoleküle,
Formen von Vitamin E haben antioxidative Eigenschaften, die Freisetzung von Interleukin-1 aus stimulierten Makro-
was im strengen Sinn als die Fähigkeit, mit einem Radikal phagen und die Proliferation von glatten Muskelzellen.
zu reagieren, definiert wird. Die hierfür nötige Gruppe im Auf Enzymebene hemmt D-Tocopherol die Aktivität der
Molekül ist die OH-Gruppe an Position 6 des Chroman- NADPH-Oxidase, der Phospholipase A2 und der 5-Lipoxy-
rings (. Abb. 23.11b). Alle Formen von Vitamin E besitzen genase. Somit hemmt es Entzündungsprozesse, stimuliert
diese Gruppe und somit reagieren alle als Antioxidantien, aber auch die Apoptose und verbessert die Zell-vermittelte
jedoch mit unterschiedlicher Reaktivität und Spezifität. Als Immunität. Viele dieser Effekte lassen sich durch die Hem-
lipophiles Molekül wird Vitamin E in Membranen oder Li- mung der Proteinkinase C (PKC) erklären, die wiederum
poproteine eingebaut und reagiert hauptsächlich mit Lipid- durch Stimulierung der Proteinphosphatase 2A (PP2A) er-
radikalen (LOx). Es wird daher als wichtigstes lipophiles reicht wird. PP2A dephosphoryliert und inaktiviert so PKC.
Antioxidans bezeichnet, das Membranen vor oxidativer Ein hauptsächlich von J-Tocopherol ausgeübter Effekt ist
Zerstörung schützt. Tocopherol (TOH) reagiert mit Lipid- die Hemmung der Cyclooxygenase 2 (. Tabelle 23.6).
694 Kapitel 23 · Vitamine
. Tabelle 23.6. Von Vitamin E beeinflusste biologische Prozesse zeptor gefunden, der wie im Falle von Vitamin D oder A ein
Transkriptionsfaktor wäre.
Hemmung Aktivierung
Proliferation glatter Muskelzellen,
Pathobiochemie. Hypovitaminosen: Einen nahrungsbe-
Fibroblasten, einiger Krebszellen
dingten isolierten Vitamin E-Mangel gibt es beim Men-
Plättchenaggregation
schen praktisch nicht. Eine ausreichende Vitamin E-Zufuhr
Aktivität der PKC Phosphoproteinphos- ist offenbar ohne Supplemente möglich. Vitamin E muss
23 phatasen
aber zusammen mit Fetten aufgenommen werden. Bei ge-
Aktivität der Cyclooxygenase-2 und störter Fettresorption, wie sie z. B. bei Sprue, cystischer Fi-
der 5-Lipoxygenase
brose, chronischer Pankreatitis oder Cholestase auftritt,
kommt es häufig zu Vitamin E Mangel. Schwerer Vitamin
Vitamin E – und hier wiederum hauptsächlich D-Toco- E-Mangel tritt auch bei genetisch bedingten Erkrankungen
pherol – kann die Aktivität von Genen beeinflussen. So auf. Ein Defekt im Gen für das D-Tocopherol-Transferpro-
wird die Expression einer Reihe von Atherosklerose-rele- tein führt zu extrem niedrigen Plasma-Vitamin E-Spiegeln
vanten Genen, wie z. B. des Scavenger Rezeptors CD36, und zur Entwicklung schwerer neurologischer Störungen,
von Adhäsionsmolekülen oder Collagen D1(1), inhibiert. die denen der Friedreich’schen Ataxie ähneln. Symptome
Die Expression Apoptose-stimulierender Gene, wie sind progressive periphere Neuropathien, die in den typi-
CD95L, wird inhibiert, während Apoptose-hemmende schen Ataxien resultieren. Die Krankheit wird deshalb auch
Gene wie Bcl2-L1, induziert werden. Dies entspräche als Ataxia with Vitamin E Deficieny (AVED) oder Familial,
einer anti-inflammatorischen Wirkung. Zellzyklus-sti- Isolated Vitamin E deficieny (FIVE) bezeichnet. Weitere
mulierende Gene, wie z. B. CyclinD1 oder E, werden inhi- Folgen sind Tremor, Muskelschwäche und geistige Retar-
biert. Produkte Zellzyklus-hemmender Gene, wie z. B. dierung, manchmal auch Retinitis pigmentosa. D-TTP
p27 werden induziert, Ereignisse, die eher zu den anti- wurde zuerst in der Leber entdeckt. Es wird aber auch im
kanzerogenen zu zählen wären. Die HMG-CoA-Reduk- Gehirn exprimiert, insbesondere in Bergmann-Glia-Zel-
tase, der LDL-Rezeptor oder D-TTP, Proteine, die den len, die die Purkinje-Zellen des cerebralen Cortex umgeben
Lipid- und Vitamin E-Stoffwechsel bestimmen, werden und diese mit Nährstoffen versorgen. Die Lokalisation von
induziert (. Tabelle 23.7). D-TTP im Gehirn und die Symptome bei seinem Fehlen
Viele dieser nicht-antioxidativen Funktionen können deuten auf eine Rolle von Vitamin E bei der neuro-musku-
die viel diskutierte anti-atherosklerotischen und anti-kan- lären Signalübertragung hin, die aber keinesfalls verstan-
zerogenen Funktionen von Vitamin E stützen, erklären den ist. Durch sehr hohe Dosen von D-Tocopherol (bis 2 g
aber nicht seine Essentialität. Ein gemeinsamer regulatori- pro Tag) können die Plasma D-Tocopherol-Spiegel der
scher Mechanismus, der alle genannten Effekte auf die Gen- AVED Patienten auf ein normales Maß gebracht werden
expression erklären könnte, ist bisher nicht beschrieben. und die Progredienz der pathologischen Symptome weitge-
Insbesondere wurde noch kein spezifischer Vitamin E-Re- hend beherrscht werden. Kürzlich wurde D-TTP auch in
. Tabelle 23.7. Beispiele für Proteine, deren Gene von Vitamin E reguliert werden
Form von Vitamin E Induktion Repression
α-Tocopherol: sog. Scavenger-Rezeptoren:
CD36, SR-B1, SR-AI, SR-AII
Cytoskelettprotein: Proteine der extrarzellulären Matrix:
α-Tropomyosin E-Selectin, L-Selectin, ICAM-1, einige Integrine, Kollagen α1(I),
Glycoprotein IIb
Cytokine und Wachstumsfaktoren: Cytokine und Wachstumsfaktoren:
connective tissue growth factor MCP-1, IL-8, TGF-β, IL-4, IL-1β
Apoptosehemmer: Bcl2-L1 Apoptoseaktivator: CD95 Ligand
andere:
HMG-CoA Reduktase
LDL-Rezeptor
CRABP-II
γ-Glutamyl-Cystein-Synthetase
γ-Tocopherol PPARγ, endotheliale-NO Synthase
α- und γ-Tocopherol Zellzykluskontrolle: p27 Zellzykluskontrolle: Cyclin D1, Cyclin E
Vorkommen. Phyllochinone kommen in allen grünen . Tabelle 23.8. Vitamin K-abhängige Proteine (Auswahl)
Pflanzen (daher der Name) und vielen Ölen in größeren
Protein Funktion
Mengen vor. Menachinone werden von Mikroorganismen
Prothrombin Blutgerinnung
des menschlichen Darms synthetisiert.
Faktor VII Blutgerinnung
Stoffwechsel. Als lipophile Verbindungen werden Phyllo- Faktor IX Blutgerinnung
chinone zusammen mit den Lipiden resorbiert, wofür die Faktor X Blutgerinnung
Anwesenheit von Gallensäuren notwendig ist. Protein C Antikoagulation
Die biologisch aktive Form der K2-Vitamine ist das Di-
Protein S Antikoagulation
farnesylnaphthochinon (MK6). Der Difarnesylrest wird in
Osteocalcin Knochen-Morphogenese
der Leber nach Abspaltung etwaiger anderer Seitenketten
angeheftet. Matrix Gla Protein, Gas 6 hemmt die Calcifizierung von nicht-
Knochengewebe
Ligand für Rezeptortyrosinkinasen,
Biochemische Funktion. Die einzige bekannte Funktion für reguliert Zellwachstum?
Vitamin K bei höheren Organismen ist die eines Cofaktors
Protein Z Koagulationshemmer
für die Carboxylierung von Glutamylresten in Proteinen.
696 Kapitel 23 · Vitamine
23
. Abb. 23.14. Reaktionsmechanismus der Vitamin K abhängigen Carboxylierung von J-Glutamylresten. (Einzelheiten 7 Text)
Der Mechanismus der J-Glutamyl-Carboxylierung ist Pathobiochemie. Hypovitaminose: Die Entstehung eines
in . Abb. 23.14 zusammengefasst: Phyllochinonmangels durch Fehl- oder Mangelernährung
4 Vitamin K wirkt in der Hydrochinonform und muss ist beim Erwachsenen praktisch nicht möglich, da das Vita-
deshalb zunächst über die Chinonreduktase zum Vita- min in ausreichender Konzentration in den Nahrungsmit-
min K-Hydrochinon reduziert werden teln vorkommt und außerdem intestinale Mikroorganis-
4 Dieses reagiert mit Sauerstoff, sodass als starke Base das men Menachinone synthetisieren. Bei Vernichtung der
Vitamin K-Alkoxid entsteht gastrointestinalen Mikroorganismen durch lang dauernde
4 Dieses zieht ein Proton von dem zu modifizierenden orale Therapie mit Antibiotika und gleichzeitiger nutritiver
Glutamylrest eines VDK-Proteins ab, es entsteht ein Unterversorgung kann es zu Vitamin K-Mangel kommen.
Carbanion, an das unter Bildung eines J-Carboxygluta- Wie bei anderen fettlöslichen Vitaminen führt eine Störung
mylrests CO2 angelagert werden kann der intestinalen Fettresorption zur verminderten Resorp-
4 Außer dem K-Alkaloid entsteht unter Abgabe eines tion von Vitamin K.
OH– das Vitamin K-Epoxid, das durch eine entspre- Ein funktioneller Vitamin K-Mangel kann durch Dau-
chende Epoxidreduktase wieder in die Chinonform ertherapie mit Cumarinderivaten (7 Kap. 29.5.3) ausgelöst
umgewandelt wird werden, die bei allen Zuständen verwendet werden, bei de-
nen die Blutgerinnungszeit verlängert werden soll (Throm-
Sowohl die Epoxidreduktase als auch die Chinonreduktase bose- und Infarktprophylaxe). Eine Überdosierung mit
enthalten vicinale SH-Gruppen, die die Reduktionsäquiva- Vitamin K-Antagonisten kann durch große Mengen an Vit-
lente liefern und die bei der Reduktion zu intramoleku- amin K behoben werden. Die durch Cumarinderivate ge-
laren Disulfiden oxidiert werden. Die Reduktion der SH- senkten Prothrombinspiegel normalisieren sich gewöhn-
Gruppen benötigt Thioredoxin. Vitamin K Antagonisten, lich 12–36 h nach der Gabe des Vitamins. Eine oft überse-
wie z. B. Cumarine, blockieren diese SH-Gruppen und ver- hene Folge eines Vitamin K-Mangels ist die verminderte
hindern die Regeneration von Vitamin K Hydrochinon. Bildung von Osteocalcin. Der dadurch gestörte Calcium-
Alternativ kann sowohl das Epoxid als auch das Chinon stoffwechsel im Knochen führt zu Osteoporose und ver-
von entsprechenden NADPH-abhängigen mikrosomalen mehrten Knochenbrüchen.
Dehydrogenasen reduziert werden. Diese Enzyme haben
aber einen wesentlich höheren Km-Wert und sind deshalb
erst bei hohen Konzentrationen von Epoxid bzw. Chinon
aktiv.
23.3 · Wasserlösliche Vitamine
697 23
In Kürze
Vitamin A ist als Retinal in den Sehvorgang und als Reti- und in der Regulation von neuromuskulären Signalübertra-
noat in die Regulation der Genexpression eingeschaltet. gungen, deren Mechanismen noch nicht verstanden wer-
Vitamin D steuert die Calcium-Homöostase, sowie Wachs- den..
tum und Differenzierung von Zellen überwiegend durch Vitamin K ist das Coenzym für die γ-Carboxylierung von
Regulation der hierfür benötigten Gene. Glutamylresten in spezifischen Proteinen, v.a. solchen, die
Vitamin E hat unabhängig von seiner Antioxidans- für die Blutgerinnung notwendig sind.
Funktion essentielle Funktionen bei der Reproduktion
ne Essentialität entscheidend sind. Ascorbinsäure ist Co- trum, während es bei den letzten drei als Elektronendonor
Faktor für eine Reihe von Enzymen, die Übergangsmetal- fungiert.
lionen benötigen. Die Rolle von Vitamin C ist die Aufrecht- Die Prolyl-4-Hydroxylase hydroxyliert cotranslational
erhaltung des für die Aktivität benötigten reduzierten Prolinreste in Kollagenmolekülen (. Abb. 23.16). In seiner
Zustandes der Metallionen (. Tabelle 23.9). Solche Enzyme aktiven Form enthält das Enzym Fe2+. Für die Reaktion
sind: werden O2 und D-Ketoglutarat benötigt. Während der Re-
4 die Prolylhydroxylase aktion wird D-Ketoglutarat decarboxyliert und ein Atom
4 die Hydroxylasen in der Carnitinbiosynthese des Sauerstoffmoleküls in Prolin eingebaut, das andere zur
4 die Dopamin-β-Monooxygenase Oxidation der Carbonylgruppe des nach Decarboxylierung
4 die 4-Hydroxyphenyl-Pyruvathydroxylase sowie von D-Ketoglutarat entstehenden Succinatsemialdehyds
4 die Peptidylglycin α-amidierende Monooxygenase verwendet. Die Prolylhydroxylase ist somit eine Dioxyge-
nase. Als Endprodukte entstehen Succinat und hydroxylier-
Bei den ersten beiden Enzymen sorgt Vitamin C für die te Prolinreste im Kollagen. Findet der Reaktionszyklus je-
Aufrechterhaltung des zweiwertigen Eisens im aktiven Zen- doch in Abwesenheit von Kollagen statt, wird nur D-Keto-
. Abb. 23.16. Schema des Mechanismus der Prolylhydroxylie- tionszyklus (B) kommt es zur Decarboxylierung und Oxidation von
rung durch die Prolyl-4-Hydroxylase. Beim normalen Reaktions- D-Ketoglutarat, Sauerstoff wird dabei als Ox– abgespalten und Fe2+ zu
zyklus (A) entsteht ein Hydroxyprolyl-Peptid unter Decarboxylierung Fe3+ oxidiert. Eine Regenerierung des Enzyms mit Fe2+ ist mit Hilfe
und Oxidation von D-Ketoglutarat zu Succinat. Die Wertigkeit des von Ascorbat möglich. (Nach Padh 1990)
enzymgebundenen Eisens ändert sich nicht. Bei entkoppeltem Reak-
23.3 · Wasserlösliche Vitamine
699 23
glutarat decarboxyliert, das zweite Sauerstoffmolekül desorten, in Leber, Herz, Nieren, Gehirn und magerem
verbleibt als reaktiver Eisen-Oxo-Komplex im Enzym. Der Schweinefleisch. Bei langem Kochen geht das Vitamin ver-
Sauerstoff wird als O– x abgespalten. Dabei wird Fe2+ zu Fe3+ loren.
oxidiert und das Enzym so inaktiviert. Fe3+ wird durch As-
corbinsäure reduziert und so reaktiviert. Damit übernimmt Stoffwechsel. In den meisten Nahrungsmitteln liegt Vita-
Ascorbinsäure beim Kollagenstoffwechsel und analog bei min B1 als biologisch aktives Thiaminpyrophosphat vor
der Carnitinbiosynthese eine Schutzfunktion. Neuere Ar- und wird gelegentlich auch als Thiamindiphosphat be-
beiten beschreiben darüber hinaus einen direkten Einfluss zeichnet. Da in dieser Form eine Resorption nicht möglich
von Vitamin C auf die Transkription von Kollagen, was ist, wird der Pyrophosphatrest im Darm durch Pyrophos-
seine Rolle bei der Kollagenbiosynthese noch wichtiger phatasen abgespalten. Die Resorption im Darm erfolgt über
macht. den Thiamintransporter-2 (THTR2), die Abgabe in die Zir-
Des weiteren ist Ascorbinsäure an der O2-abhängigen kulation über den THTR1. Die Thiamintransporter gehö-
Hydroxylierung der D-Untereinheit des Transkriptions- ren zur Familie der ›soluble carrier Proteine‹ (SLC19A).
faktors HIF (hypoxia inducible factor, 7 Kap. 28.1.10) betei- Intrazellulär erfolgt die Phosphorylierung zum Thia-
ligt, der ein wichtiger Sensor der Sauerstoffhomöostase ist minpyrophosphat unter Bildung von AMP durch die mito-
und die Aktivität von Genen für Proteine reguliert, die für chondriale Thiaminkinase. Im Blut nachweisbares Thiamin
die Anpassung von Zellen an ein niedriges Sauerstoffange- befindet sich zum größten Teil in den Blutzellen.
bot nötig sind. Hierzu gehören z. B. Erythropoietin (7 Kap.
28.1.10), der vasculäre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF), Biochemische Funktion. Thiaminpyrophosphat ist Coen-
und der Glucosetransporter GLUT-1. zym der oxidativen Decarboxylierung von D-Ketosäuren
[D-Ketopropionat (Pyruvat), D-Ketoglutarat, D-Ketoisova-
Pathobiochemie. Hypovitaminose: Die klassische Vitamin lerianat, D-Ketoisocapronat und D-Keto-E-methylvaleria-
C Mangelkrankheit ist Skorbut. Sie ist vor allem von See- nat], an der außerdem Liponamid, Coenzym A, FAD und
fahrern bekannt, die zu Beginn der Neuzeit ohne ausrei- NAD+ beteiligt sind (7 Kap. 14.2).
chende Versorgung mit Vitamin C-haltigen Lebensmitteln Thiaminpyrophosphat ist auch Coenzym der Transke-
auf lange Seereisen gingen. Die Krankheit beginnt nach tolase, eines Enzyms des Glucoseabbaus über den Hexose-
einer Latenzzeit von wenigen Monaten mit schweren monophosphat-Weg. Bei Thiaminmangel ist als Erstes die
Störungen des Bindegewebestoffwechsels (mangelnde Bil- Transketolase betroffen. Dies macht sich in einem Anstieg
dung von Kollagen in Knochen, Gelenken und Blutgefäßen, von Pentosephosphaten bemerkbar, der leicht in Erythro-
7 Kap. 24.2.1). Es kommt zu Zahnfleischbluten, Zahnausfall, zyten gemessen werden kann (. Tabelle 23.3). Erst danach
gestörter Wundheilung, Knochen- und Gelenkverände- treten schwerere Symptome auf.
rungen.
Pathobiochemie. Hypovitaminosen: Das klassische Vita-
minmangelsyndrom ist die Beriberi-Krankheit, die auch
23.3.2 Vitamin B1 heute noch endemisch dort vorkommt, wo polierter Reis
das Hauptnahrungsmittel ist (durch Polieren geht die Vita-
! Vitamin B1 (Thiamin) ist Coenzym der D-Ketosäure-
min B1-enthaltende Keimanlage verloren). Besonders be-
Decarboxylasen sowie der Transketolase.
troffen sind die Gewebe mit hohem Glucoseumsatz (Ner-
Chemische Struktur. Thiamin (. Abb. 23.17) besteht aus vensystem, Gastrointestinaltrakt und kardiovaskuläres
einem mit einer CH3- und NH2-Gruppe substituierten Py- System). Die Symptome sind Appetitmangel, Übelkeit, Er-
rimidinring, der über eine CH2-Gruppe mit einem 4-Me- brechen, Müdigkeit, periphere Nervenstörungen, geistige
thyl-5-Hydroxyethylthiazol verbunden ist. Ersatz der Me- Störungen, Muskelatrophie und gelegentlich eine Enzepha-
thylgruppe am Pyrimidinring durch Ethyl-, Propyl- oder lopathie. Die Erkrankung stellt immer noch ein Problem in
Butylreste führt zu einer weitgehenden Aktivitätseinbuße, Entwicklungsländern dar. Ein der Beriberi sehr ähnliches
der Ersatz der Aminogruppe durch eine Hydroxylgruppe
zum vollständigen Verlust der Vitamin B1-Aktivität. Die
CH-Gruppe zwischen dem N und S Atom im Thiazolring
ist wesentlich saurer als die meisten anderen CH-Gruppen.
Durch Dissoziation entsteht ein Carbanion, das leicht an
Aldehyde und Ketone addiert, was die biologische Aktivität
von Thiamin bestimmt.
Krankheitsbild findet sich häufig bei chronischem Alkoho- Stoffwechsel. Riboflavin befindet sich als solches oder als
lismus (Wernicke-Korsakoff-Syndrom). Der Vitaminman- Protein-gebundenes FMN oder FAD in der Nahrung. Im
gel ist dabei auf unzureichende Nahrungszufuhr und er- Dünndarm wird Riboflavin freigesetzt, in die Mukosazelle
höhten Bedarf bei Alkoholabusus zurückzuführen. Auch in aufgenommen und dort wieder phosphoryliert. Der Trans-
der Schwangerschaft kommt es gelegentlich zu Thiamin- port im Plasma erfolgt als Riboflavin oder FMN über Ribo-
hypovitaminosen. flavin-spezifische Plasmaproteine. Die intrazelluläre Um-
wandlung in FMN wird von der Flavokinase katalysiert, die
23 in FAD von der FAD Synthetase. Biologisch aktive Formen
23.3.3 Vitamin B2 sind FMN und FAD.
! Vitamin B2 (Riboflavin) ist als Bestandteil von Flavinnu- Biochemische Funktion. Riboflavin ist Baustein der beiden
cleotiden am Wasserstoff- und Elektronentransport Coenzyme von Wasserstoff übertragenden Flavoproteine
beteiligt. (. Abb. 23.18):
4 Flavinmononucleotid (FMN) ist u.a. Bestandteil des
Chemische Struktur. Riboflavin ist ein substituierter Iso- Komplexes I der Atmungskette (7 Kap. 15.1.2) und der
alloxazin-Ring, der mit einem Ribitol verbunden ist . Abb. L-Aminooxidase (7 Kap. 13.3.4)
23.18. Phosphorylierung führt zum Riboflavin-5c-Phos- 4 Flavin-Adenindinucleotid (FAD) ist die prosthetische
phat oder Flavinmononucleotid (FMN), Verknüpfung Gruppe bzw. covalent gebundener Bestandteil einer
von FMN mit AMP (aus ATP) zum Flavin-Adenin-Dinu- Reihe von Flavoproteinen
cleotid (FAD). Die Bezeichnung Flavinmononucleotid ist
nicht ganz korrekt, da es sich nicht um ein Nucleotid, d. h. Flavoproteine katalysieren
ein N-Glycosid des Ribosephosphats, sondern um ein De- 4 oxidative Desaminierungen (z. B. Aminosäureoxida-
rivat des Zuckeralkohols Ribitol handelt. sen, 7 Kap. 13.3.4)
4 Dehydrierungen von CH2-CH2-Gruppen zu CH = CH-
Vorkommen. Riboflavin ist im Pflanzen- und Tierreich weit Gruppen (z. B. Acyl-CoA-Dehydrogenase, 7 Kap. 12.2.1)
verbreitet. Milch, Leber, Nieren und Herzmuskel sind gute 4 Oxidationen von Aldehyden zu Säuren (z. B. Xanthin-
Quellen. Viele Gemüse enthalten es in ausreichenden Men- oxidase, 7 Kap. 19.3.1) sowie
gen, Getreideprodukte haben jedoch einen niedrigen Ribo- 4 Transhydrogenierungen (Dihydrolipoatdehydrogenase,
flavingehalt. Bei der Keimung steigt die Riboflavinkonzen- 7 Kap. 14.2, Glutathionreduktase, 7 Kap. 29.2.1, Thiore-
tration in Weizen, Gerste und Mais an. doxinreduktase, 7 Kap. 19.1.3)
. Abb. 23.22. Pyridoxol, Pyridoxamin und Pyridoxal sowie das Pyrimidinstickstoffs und der leicht sauren der OH-Gruppe kommen
Coenzym Pyridoxalphosphat. Wegen der leicht basischen Natur des die beiden tautomeren Formen des PALP vor
23.3.7 Biotin
. Abb. 23.25. Biotin und seine Funktion als Coenzym bei Carboxy-
lierungen
706 Kapitel 23 · Vitamine
23
zym oder nach proteolytischem Abbau desselben als Bio- synthese (7 Kap. 12.2.3), letztere gehört zu den sog. anap-
cytin (H-N-Biotinyllysin) in den Gastrointestinaltrakt. Dort lerotischen Reaktionen des Citratzyklus (7 Kap. 14.4). In
wird Biotin über die Biotinidase freigesetzt und wahr- dieser Reaktion wird aus Pyruvat Oxalacetat gebildet, um
scheinlich über Natrium-abhängige Multivitamin Trans- ausreichende Mengen des Kondensationspartners von Ace-
porter (SMVT, sodium dependent multivitamin transporter) tyl-CoA zur Citratbildung zur Verfügung zu stellen. Über
oder über ›solute carrier‹ (SLC) resorbiert. Intrazellulär wird die Beziehungen der Pyruvatcarboxylasereaktion mit der
Biotin an die entsprechenden Biotin-abhängigen Carboxy- Gluconeogenese (7 Kap. 11.3). Die Propionyl-CoA-Car-
lasen gebunden. Das hierfür zuständige Enzym ist die Ho- boxylase wird beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren und
locarboxylase Synthetase. Durch proteolytischen Abbau verzweigtkettiger Aminosäuren benötigt, die Methylcroto-
entsteht wieder Biocytin, das von der intrazellulären Bioti- nyl-CoA-Carboxylase beim Leucinabbau.
nidase gespalten wird (. Abb. 23.26).
Pathobiochemie. Hypovitaminose: Ein ernährungsbe-
Biochemische Funktion. Biotin ist das Coenzym für vier dingter Biotinmangel beim Menschen ist selten, da die
Carboxylasen des Menschen. Es bindet ATP-abhängig eine Darmbakterien substantielle Mengen Biotin synthetisieren,
Carboxylgruppe in Form von HCO3– und überträgt diese die aber nicht bedarfsdeckend sind. Nur bei biotinarmer
auf die zu carboxylierenden Substrate (. Abb. 23.25). Ernährung mit medikamentöser Stilllegung der Darmflora,
Die vier Carboxylasen sind: z. B. mit Antibiotika, kommt es zu einem Biotinmangel,
4 Acetyl-CoA-Carboxylase (7 Kap. 12.2.3) dessen Symptome in Dermatitiden, Haarausfall, nervösen
4 Pyruvatcarboxylase (7 Kap. 11.3) Störungen und EKG-Veränderungen bestehen. Ein ähn-
4 Propionyl-CoA-Carboxylase (7 Kap. 12.2.1) und liches Krankheitsbild kann durch Aufnahme größerer
4 Methylcrotonyl-CoA-Carboxylase Mengen von rohem Hühnereiweiß erzeugt werden. Dieses
enthält das Glycoprotein Avidin, das Biotin mit hoher Af-
Davon besitzen beim Warmblüter die quantitativ größte finität bindet und biotinkatalysierte Reaktionen hemmt.
Bedeutung die Acetyl-CoA-Carboxylase und die Pyruvat- Genetische Defekte der Holocarboxylase Synthetase
carboxylase. Erstere ist die Startreaktion zur Fettsäurebio- oder der Biotinidase führen zu schwerem Biotinmangel
23.3 · Wasserlösliche Vitamine
707 23
23.3.8 Folsäure
23
. Abb. 23.28. Funktion der Tetrahydrofolsäure als Coenzym bei Übertragungen von 1-Kohlenstoffresten. (Einzelheiten 7 Text)
zum N5-Formyl-THF desaminiert und danach in N5, N10- liefert den Kohlenstoff für die Methylgruppen von Thymin
Methylen-THF umgewandelt. und Hydroxymethylcytosin, sowie den E-Kohlenstoff des
Schicksal der 1-Kohlenstoffreste: N10-Formyl-THF ist Serins bei der Umwandlung von Glycin in Serin (7 Kap.
Kohlenstofflieferant für die C-Atome 2 und 8 des Purin- 13.6.2). In einer NAD+-abhängigen Reaktion wird N5, N10-
kerns (7 Kap. 19.1.1). Außerdem stellt es die Formylgruppe Methylen-THF irreversibel durch die N5,N10-Methylen-
der N-Formylmethionin-tRNA, die bei Prokaryonten die THF-Reduktase zu N5-Methyl-THF reduziert. Die Methyl-
Biosynthese von Proteinen startet. N5, N10-Methylen-THF gruppe von N5-Methyl-THF wird für die Cholinbiosyn-
23.3 · Wasserlösliche Vitamine
709 23
these benötigt und bei der Methioninbiosynthese auf Amethopterin (Methotrexat) ist ein besonders effekti-
Homocystein übertragen (7 Kap. 13.6.2). Letztere Reaktion ver Hemmstoff der Dihydrofolatreduktase. Deshalb wird
ist Vitamin B12 abhängig. Methionin wird in S-Adeno- Amethopterin als Cytostaticum bei diversen Karzinomen
sylmethionin (SAM) eingebaut, als welches es wie THF und Sarkomen verwendet.
als Methylgruppendonor fungiert. SAM hemmt die
N5,N10-Methylen-THF-Reduktase. Bei Vitamin B12 Man- Täglicher Bedarf. Der Folsäuremangel ist der am weitesten
gel kann N5-Methyl-THF nicht zu THF demethyliert wer- verbreitete Vitaminmangel in Nordamerika und Europa.
den. Gleichzeitig wird wenig SAM gebildet, sodass eine Besonders Frauen mit Kinderwunsch sollten auf ihren Fol-
Hemmung der N5,N10-Methylen-THF-Reduktase unter- säurestatus achten, da ein Mangel Neuralrohrdefekte bei
bleibt. Es kommt zu ungehinderter Synthese von N5-Me- Neugeborenen zur Folge hat. Häufig kann der Bedarf nicht
thyl-THF, das nicht weiter verstoffwechselt werden kann. durch die Nahrung gedeckt werden.
So kann es trotz Folsäurezufuhr bei Vitamin B12-Mangel zu Folsäuremangel tritt außerdem bei Alkoholismus, hämo-
einem funktionellen Folsäuremangel kommen. Das Phäno- lytischer Anämie, tropischer und nichttropischer Sprue
men der Anhäufung von N5-Methyl-THF nennt man auch sowie bei malignen Erkrankungen auf. Der tägliche Bedarf
›Methylfalle‹. wird mit 400 μg Folsäure angegeben, während der Schwan-
gerschaft sollten es 600 μg/Tag sein.
Pathobiochemie. Hypovitaminose: Die Essentialität der
Folsäure für die Biosynthese von Purinen und Pyrimidinen
wird besonders beim Wachstum und bei der Zellteilung 23.3.9 Vitamin B12
deutlich. Da die blutbildenden Zellen des Knochenmarks
eine besonders hohe Teilungsrate haben, sind Störungen ! Vitamin B12 (Cobalamin) wird für intramolekulare Um-
des Blutbilds ein frühes Zeichen des Folsäuremangels. Bei lagerung von Alkylresten sowie für die Methylierung
länger dauerndem Mangel kommt es zu einer generellen von Homocystein benötigt.
Störung des Zellstoffwechsels. Es ist nicht nur die Nuclein-
säuresynthese, sondern auch der Phospholipidstoffwechsel Chemische Struktur. Der innere Teil des Cobalamin-(Vit-
(Cholinbiosynthese) und der Aminosäurestoffwechsel be- amin-B12-) Moleküls (. Abb. 23.29) besteht aus vier redu-
einträchtigt. Beim Menschen tritt ein im Blutbild nachweis- zierten und voll substituierten Pyrrolringen, die um ein
barer Folsäuremangel (megaloblastäre Anämie) dann auf, zentrales Kobaltion gelagert sind, das koordinativ an die
wenn über 6 Monate weniger als 5 μg Folsäure/Tag zuge- Stickstoffatome der Pyrrolringe gebunden ist (Corrin-
führt werden. Eine gleichartige Symptomatik zeigt sich Ringsystem). Cobalamin ist der einzige Naturstoff, in dem
auch beim Cobalaminmangel (7 Kap. 23.3.9), die jedoch Kobalt (Name!) bisher nachgewiesen wurde. Im Gegensatz
nur durch Gaben von Cobalamin und nicht durch Folsäure zu den ähnlich aufgebauten Porphyrinen (7 Kap. 22.1.2) sind
behoben werden kann. Deswegen sollte bei megaloblastä- zwei der Pyrrolringe (I und IV) direkt und nicht durch
ren Anämien grundsätzlich der Folsäure- und der Cobala- einen Methinkohlenstoff verbunden.
minspiegel des Serums gemessen werden. Eine Behandlung Cobalamin enthält weiterhin ein 5,6-Dimethylbenzimi-
dieser Anämien nur durch Folsäure würde die durch gleich- dazol-Ribonucleotid, das über Aminoisopropanol an eine
zeitigen B12-Mangel verursachten neurologischen Schäden eine Seitenkette des Rings IV gebunden ist. Von dort bildet
irreversibel machen (7 Kap. 23.3.9). Im Histidinbelastungs- es eine Brücke zur 5. Koordinationsstelle des Kobaltions.
test kann eine gesteigerte Ausscheidung von Formimino- Die 6. Koordinationsstelle kann mit verschiedenen Resten
glutaminsäure im Urin als Folge eines Folsäuremangels (R) substituiert sein (. Abb. 23.29). Im 5-Desoxyadenosyl-
nachgewiesen werden (7 o.) (. Tabelle 23.3). cobalmin ist der 5-Desoxyadenosylrest (Ado) covalent über
Medikamentös kann Folsäuremangel durch Folsäu- das C5-Atom der Desoxyribose an das Kobalt gebunden.
reantagonisten hervorgerufen werden. Durch Substitution Dies ist eine der nur 2 bekannten Kohlenstoff-Metallbin-
der Hydroxylgruppe an Position 4 des Pteridinkerns der dung in der Biologie.
Folsäure durch eine Aminogruppe entsteht die 4-Amino-
folsäure, das Aminopterin. Wird gleichzeitig an Stellung 10 Vorkommen. Die besten Quellen für die Versorgung des
methyliert, kommt man zum Amethopterin (. Abb. 19.12). Menschen mit Cobalamin sind tierische Lebensmittel. Nur
Beide Verbindungen wirken als Antivitamine, da sie durch Mikroorganismen, zu denen auch die Bakterien der Darm-
Hemmung der Dihydrofolatreduktase die Bildung von flora gehören, können dieses Vitamin synthetisieren.
Tetrahydrofolat aus Folsäure blockieren. Eine besonders hohe Vitamin B12-Konzentration fin-
Durch beide Folsäureantagonisten kommt es zu einer det sich im Pansen von Wiederkäuern, was wahrschein-
Konzentrationsabnahme besonders von N5,N10-Methylen- lich auf den dort vorhandenen Bakterienreichtum zu-
THF. Dadurch werden die Biosynthesen von Purin- und rückzuführen ist. Auch die Leber von Wiederkäuern ist
Pyrimidinnucleotiden schwer beeinträchtigt (7 Kap. 19.1.1, wesentlich reicher an Cobalamin als die von Nichtwieder-
11.1.3). käuern.
710 Kapitel 23 · Vitamine
In Kürze
Mit Ausnahme von Ascorbinsäure und Thiamin werden Thiamin ist als Coenzym der oxidativen Decarboxylierung
alle wasserlöslichen Vitamine nach Überführung in die je- von D-Ketosäuren beteiligt. Ascorbinsäure ist ein effizientes
weils biologisch aktive Form als Gruppen-übertragende Reduktionsmittel und hält Eisen- bzw. Kupferionen in Enzy-
Coenzyme verwendet. Übertragene Gruppen sind men in der für die Katalyse notwendigen reduzierten Form.
5 Wasserstoff (Niacin und Riboflavin)
5 CO2 (Biotin)
5 Acyl-Reste (Pantothensäure) und
5 C1-Gruppen (Folsäure, Vitamin B12)
712 Kapitel 23 · Vitamine