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10:00 ... auf die Überholspur 12:00 ... von Traum zu Traum
Kinder sind ein Problem. Er will keine Probleme, Gustavo Fernández studierte und promovierte in Es ist Mittag. Die Autofahrt vom Hubland-Cam- so nennt er, was von Träumen übrigbleibt. Als er mit
er will das Leben genießen. Und er will seine Madrid. Seit 2009 wohnt er in Würzburg und arbeitet pus der Uni Würzburg zurück ins Zentrum ist kurz. dem Abendgymnasium begann, erhoffte er sich ein
Ruhe haben und forschen. Also arbeitet er an seiner Habilitation. „Supramolekulare Chemie“, An der Juliuspromenade wimmelt es vor Menschen, „besseres Paket“. Und das sei es bisher gewesen. Er
von früh bis spät im Labor: Er will Profes- sagt er und genießt dabei jede Silbe. In seinem Labor durch die Gassen quetschen sich die Straßenbah- lacht laut, wie bereits ein Dutzend Mal. Sein Lachen
sor werden. Gustavo Fernández, 31, am Institut für Organische Chemie setzt er Moleküle nen. Aus der Menge tritt ein kräftiger Mann: Manfred hat mit Witz wenig zu tun. Es ist Unsicherheit. Aus
hat ganz konkrete Ziele und Überzeu- wie Legosteine aufeinander. Wie das genau geht, sei Seisenberger, schwarzgekleidet, pünktlich. Die Frem- Manfred Seisenberger sickert sie mit jedem Satz
gungen. Fernández ist eine Ausnah- „zu kompliziert“, sagt er. Aber später verschwindet die den grüßt er, als kenne er sie gut. Sein Händedruck heraus.
me, ein Überflieger. Arroganz, wenn er durch Türen und Treppenhäuser in ist fest.
Er kommt aus Ávila, einer sein Labor führt. Seine Augen funkeln, als er sich Kittel Im Café Standard bestellt Seisenberger einen Cap-
Stadt in der Nähe von Madrid. und Chemie-Brille anzieht. Man betritt einen fensterlo- puccino. Cool-Jazz spielt im Hintergrund, ab und zu
Aber er hasst Madrid, die Men- sen Saal, das Licht geht aus. In einem Reagenzglas rattert die Kaffeemühle. Ansonsten ist es ruhig
schen dort seien selbstsüch- leuchtet eine Flüssigkeit neongrell auf. Über Fernán- hier. Seisenberger, 33 Jahre alt, gebürtiger
tig. Fernández ist klein und dez’ Gesicht zieht sich ein breites Lächeln. „Wunder- Oberbayer, Geschichtsstudent im ersten
blass, er hat scharfe Ge- bar, oder?“ Sein Baby: eine Blase aus Molekülen. Semester, hat zwei Ausbildungen abge-
sichtszüge und kurze, dunkle Mit 18 verließ Fernández das Elternhaus und wusste brochen – und hat im Unterschied
Haare. Ein drahtiger, flinker sofort, dass er nie wieder zurückgehen würde. Das ist zum Überflieger: nicht alles im Griff.
Mann, der aussieht, als könn- noch immer so: Er will nicht nach Spanien zurück. Er Aber er ist auf der Suche. Er macht
te er das Mittelfeld des Real hat eine Wohnung in Würzburg gekauft und die Freun- eine kurze Pause, um Kaffee zu
Madrid stärken – wenn er es din aus Madrid geholt. Familie, ja, aber erst mal ohne trinken, richtet den Blick nach
wollte. Doch er möchte es Kinder. Anfangs sei es mit den Deutschen schwierig unten, umklammert die Tasse
nicht. Er verabscheut seine gewesen. Sie hätten weder hallo noch tschüss gesagt. vorsichtig mit den Fingern,
Heimat. Spanien gehe es be- Nun verstehe er, dass man das nicht sagen muss, nippt am Schaum. Eins nach
schissen, Spanien sei egois- wenn man keine Lust dazu hat. dem anderen, wie im Leben
tisch. Ob er seine Nationalität Gustavo Fernández scheint alles im Griff zu haben. auch.
gegen die deutsche Staatsbürger- Sein Leben, seinen Beruf, den Hass auf die Heimat. „Die Gesellschaft erwartet,
schaft tauschen würde? „Sofort!“ Entscheidungen zu treffen, sei für ihn kein Problem. dass man mit 30 schon im
Treffsicher spuckt der Chemiker Schließlich fragt man: „Bist du ein erfolgreicher Leben angekommen ist“, sagt
eine Antwort auf jede Frage aus. Es ist Mensch?“ „Ja“, sagt er sofort. Nicht jeder in seinem er. Er hebt erst jetzt ab: Man-
noch morgens, Fernández versinkt fast in Alter würde das von sich behaupten. Seiner Generati- fred Seisenberger ist bei wei-
seiner Winterjacke. Während er spricht, reibt on wird oft Unsicherheit vorgeworfen. Auf Gustavo tem der Älteste in seinem Studi-
er sich nervös die Hände an der Hose. Doch er Fernández trifft das nicht zu. „Na ja, vielleicht wird engang. „Ich lasse mich nicht auf
wirkt konzentriert, präzise. Er will ja Professor werden. mein Körper ein bisschen alt“, sagt er spöttisch. den Druck ein.“ Er war 20, als er
eine Erzieher-Ausbildung abbrach.
22, als er Koch werden wollte. Noch
ein Traum, der zerplatzte.
Zigarettenpause und noch ein Cappuc-
cino. „Das Gesamtpaket hat oft nicht ge-
stimmt“, sagt Manfred Seisenberger. „Pakete“,
dann mal entscheiden. spricht, aber dann schiebt sie ganz schnell noch
kriegt den Hintern hoch,
„Ich mache zwar komische Sachen, aber es ergibt sich einen Satz hinterher: „Kopf in den Sand finde ich
um ein Projekt zu starten. eins aus dem anderen, und wenn es gut läuft, muss man blöd.“ Zum Erwachsenwerden gehöre, die Dinge
es laufen lassen“, sagt Brotzeller an einem Kneipentisch selber in die Hand zu nehmen.
Udo Walter, 42 (rechts)
im Würzburger Theater-Ensemble. Und derzeit läuft es: Gabriele Brotzeller hat letztes Jahr geheiratet.
Junge Kulturprojekte scheitern Eines ihrer Stücke hat sie an Verlage und Bühnen ge- Ihr Mann ist Programmierer und könnte die junge
schickt. Das Theaterensemble, eine Off-Bühne im Gewer- Familie wohl alleine ernähren. Für Brotzeller ist das
aber auch oft an den Nachbarn.
begebiet, meldete sich und bot ihr gleich auch noch die jedoch höchstens eine vorübergehende Lösung. Denn
Wenn man sich keinen Türsteher Regie für ihr erstes Theaterstück an. hauptberuflich Mutter zu sein, die nebenher ein biss-
Jetzt sitzt Brotzeller in der schmuddeligen Theaterbar, chen Kunst betreibt – allein die Vorstellung stößt sie ab.
leisten kann, der aufpasst,
die zugleich als Büro dient, und ist glücklich, genau hier „Das ist jetzt kein Geplänkel für mich, das soll richtig gut
dass die Leute nicht zu angekommen zu sein. Selbstbewusst und sicher bewegt werden“, sagt Brotzeller. Und wenn in sechs Monaten
sie sich durch den mit Requisiten vollgestellten Raum, so das Kind da ist, müsse sie „mal sehen“, wie sie Arbeit
laut werden, dann macht
als sei sie schon immer hier zu Hause. Als das Telefon und Familie unter einen Hut bringt. Sicher: Auch das
das nur Ärger. klingelt, springt Gabriele Brotzeller geschäftig auf und wird sich schon ergeben und irgendwie einfach laufen.