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М. D.STEPANOVA, I.I.CERNYSEVA
LEXIKOLOGIE
DER DEUTSCHEN
GEGENWARTSSPRACHE
М.Д.СТЕПАНОВА, И.И.ЧЕРНЫШЕВА
ЛЕКСИКОЛОГИЯ
СОВРЕМЕННОГО
НЕМЕЦКОГО ЯЗЫКА
УЧЕБНОЕ ПОСОБИЕ
Для студентов лингвистических университетов и факультетов
иностранных языков высших педагогических учебных заведений
Москва
ACADEMA
2003
УДК 803.0(075.8)
ББК 81.2 Нем-3я73
С81
Авторы:
М.Д. Степанова — части 2, 5; И. И. Чернышева — части 1, 3, 4
Рецензенты:
доктор филологических наук, профессор Военной академии РВСН
им. Петра Великого Т.Д. Михайленко;
доктор филологических наук, профессор МГОУ Л. К. Латышев
УДК 803.0(075.8)
ББК 81.2 Нем-3я73
Die Lexikologie (griech. lexis „Wort", logos „Lehre") ist ein Bereich der
Sprachwissenschaft, der sich mit der Erforschung des Wortschatzes befasst.
Die Lexikologie als Lehre vom Wortschatz einer Sprache untersucht den
Wortschatz als System. In diesem Fall handelt es sich um ein lexikalisch-
semantisches System, das ein Teilsystem oder Subsystem der Sprache bildet.
Als zentrale Bereiche der lexikologischen Forschung sind zu nennen:
- das Wort als eine grundlegende nominative Spracheinheit im lexika-
lisch-semantischen System, seine strukturellen Wesensmerkmale und seine
Bedeutung,
- die Struktur des Wortschatzes als System und die Beziehungen zwi-
schen seinen Elementen,
- die Stratifikation bzw. Schichtung des Wortschatzes aus der soziolin-
guistischen und funktionalen Sicht,
- kommunikativ begründete Veränderungen des Wortschatzes. Die Quel-
len der Wortschatzerweiterang.
Die methodologische Grundlage der lexikologischen Forschung in der
Linguistik von heute bildet die materialistiche Sprachauffassung, die Be-
trachtung der Sprache als ein unikales System, geeignet mentale, konzeptu-
elle und kommunikative Tätigkeit des Menschen zu ermöglichen.
Die Lexikologie gehört zu den relativ jungen Bereichen der Theorie der
deutschen wie auch anderer Sprachen. Obwohl sich die Lexikologie erst Mitte
unseres Jahrhunderts als selbständiger Wissenszweig herausgebildet hat, gin-
gen ihr jedoch viele wichtige Untersuchungen voraus, die ihren Werdegang
bestimmten.
Die diachrone Sprachbetrachtung, die die ersten Perioden der deutschen
Sprachwissenschaft kennzeichnete, erweckte das besondere Interesse für
die Entwicklungsgeschichte des Wortbestandes. So wurde die Wortbildung
als einer der wichtigsten Wege zur Bereicherung des Wortschatzes einge-
hend untersucht; bereits J.Grimm, den H.Paul mit Recht als deren „ei-
gentlichen Schöpfer" nennt', später H. Paul selbst und auch andere bekannte
Vertreter der junggrammatischen Richtung lenkten auf die Wortbildung
ihr besonderes Augenmerk (siehe unten). Die dem Wortschatz eigenen se-
mantischen Gesetzmäßigkeiten wurden ebenfalls untersucht, und zwar pri-
mär aus der Sicht einer Entwicklung, wobei das klassische Werk von
H. Paul „Prinzipien der Sprachgeschichte"2 auf die weiteren Untersuchun-
gen einen entscheidenden Einfluss ausgeübt hat3. Auch spätere Arbeiten
betrachteten die Semasiologie als „Bedeutungslehre" (und die Onoma-
siologie als „Bezeichnungslehre") meist im prozessualen Aspekt4. Vom
Standpunkt der Entwicklungsgeschichte des deutschen Wortschatzes
wurde auch die Entlehnung untersucht5. Die territoriale und sozial-be-
rufliche Differenzierung des Wortbestandes erweckte ebenfalls schon um
die Jahrhundertwende das Interesse der Sprachforscher6. Am wenigsten
wurden Probleme der Phraseologie untersucht: Die festen Wortverbin-
dungen wurden entweder vom Standpunkt der „Isolierungstheorie" den
Zusammensetzungen gleichgestellt7 oder in der Syntax als Abarten der
Wortfügungen betrachtet8. Das Werk von F.Seiler über die Idiomatik des
Deutschen blieb im Laufe eines halben Jahrhunderts die einzige bedeu-
tende Arbeit zu diesem Problem9.
Was die Theorie des Wortbestandes von verschiedenen Gesichtspunk-
ten aus betrifft, so muss die Rolle der klassischen meist etymologisch
ausgerichteten Wörterbücher erwähnt werden, die aber teilweise auch
als erklärend zu betrachten sind10. So wurde die Entstehung eines spezi-
ellen, der Beschreibung und der Analyse des Wortschatzes gewidmeten
Bereiches der deutschen Sprachwissenschaft allmählich durch mehrere
grundlegende Arbeiten im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vorbe-
reitet. Als eines der ersten Werke, das mehrere lexikologische Aspekte
zusammenfasst, ist die „Etymologie der neuhochdeutschen Sprache" von
H.Hirt11 zu nennen. Der Verfasser gibt eine ausführliche etymologische
Beschreibung des deutschen Wortschatzes und seiner Bereicherung. Im
ersten Viertel des 20. Jhs. erscheint eine Art Lehrbuch der Lexikologie
von E. Wilke, das verschiedene Aspekte der Behandlung des deutschen
Wortbestandes umfasst12; das Buch hat aber keinen theoretischen Wert
und spiegelt außerdem die chauvinistischen Tendenzen des Purismus in
der deutschen Sprache nach dem ersten Weltkrieg wider. Positiv zu wer-
ten waren die Arbeiten, die seit Ende der 50er Jahre zu erscheinen be-
gannen und den Problemen des deutschen Wortschatzes und im besonde-
ren dessen semantischen Charakteristika gewidmet waren13. Darunter wa-
ren z. T. Bücher, die praktische Ziele des Sprachunterrichts verfolgten,
aber auch in diesen Werken waren die Verfasser bemüht, die neuen Er-
gebnisse der Linguistik zu nutzen.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich die Lexikologie an den Fremd-
spracheninstituten unseres Landes seit mehr als vierzig Jahren als selbstän-
diges Lehrfach behauptet hat. Dementsprechend sind auch die Lexikologie-
lehrbücher in verschiedenen Sprachen erschienen. Was die deutsche Spra-
ehe betrifft, so sind die Arbeiten folgender Verfasser zu nennen: L. Saleshsky14,
L.R.ZinderundT.W.Strojeva15, K.A.Lewkowskaja16, A.Iskos, A.Lenko-
wa17, M. D. Stepanova, 1.1. Cernyseva18.
In den 70er Jahren wurden — sowohl in der allgemeinen Sprachwissen-
schaft als auch in einzelnen Sprachen — lexikologische Probleme immer
intensiver untersucht. Folgende Grundprobleme rücken in den Vordergrund:
Probleme der sprachlichen Nomination, das Wort, seine Bedeutung und sei-
ne Beziehung zu dem von ihm bezeichneten Begriff; verschiedene Aspekte
der Zeichentheorie; die semantischen Gesetzmäßigkeiten innerhalb des
Sprachsystems; die Wege der Wortschatzentwicklung; die Wortbildung als
einer dieser Wege und als Lehre von der Wortstruktur; die lexikalischen Ent-
lehnungen als kommunikativ-pragmatisches Phänomen; das phraseologische
System und seine Stellung im Sprachbau; soziolinguistische Aspekte der
Stratifikation des Wortbestandes u.a.m. Dabei unterscheidet sich die theore-
tische Grundlage der heutigen lexikologischen Forschungen grundsätzlich
von der der „klassischen" Wortlehre.
So rückte in erster Linie die synchrone Auffassung der Wortschatzanaly-
se im Zusammenwirken mit der Systembetrachtung der Lexik als Bestand-
teil des Makrosystems der Sprache in den Vordergrund; dem Funktionieren
der Wörter in Sprachsystem und Text wird ebenfalls besondere Aufmerk-
samkeit geschenkt.
Neben diesen Grundthesen, die als universell anzunehmen sind, können
aber wesentliche Unterschiede beobachtet werden, die die Prinzipien der
sprachlichen Untersuchungen ganzer Forscherkollektive kennzeichnen. So
bestand im Laufe mehrerer Jahre ein besonderes Interesse für die Struktur,
für die äußere Form der sprachlichen Gebilde, darunter auch der Lexeme,
was hauptsächlich durch den Einfluss des amerikanischen Deskriptivismus
zu erklären ist. Als positiv erweist sich dabei die Entwicklung von formali-
sierten Forschungsmethoden in bezug auf die Struktur des deutschen Wortes
(in erster Linie die Verwendung der Morphemanalyse, die in der klassischen
deutschen Wortlehre keine Rolle spielte), verschiedene Arten von Transfor-
mation, die Distribution u.a.m.19 Dabei spielte in den strukturbezogenen
Arbeiten die Erforschung der ideellen Seite des Wortes eine nur geringe Rolle.
Anders stand es mit einer Forschungsrichtung, die als „inhaltbezogen"
bezeichnet wird. Sie hat sich in der BRD entwickelt und geht teilweise auf
einige Ideen von W. Humboldt zurück. Aus diesem Grund wird sie auch „Neo-
humboldtianismus" genannt. Aber was bei Humboldt noch ein kühner An-
satz zu werten ist, dem Verhältnis zwischen objektiver Wirklichkeit, gesell-
schaftlichem Denken und Sprache auf die Spur zu kommen, ist bei vielen
seiner Nachfolger — vor allem Weisgerber eine völlige Loslösung von der
materialistischen Sprachauffassung. Folgende Thesen liegen dem Neohum-
boldtianismus zu Grunde: die Unabhängigkeit des Geistes von der objekti-
ven Außenwelt, das Vorhandensein einer „sprachlichen Zwischenwelt", ei-
ner Welt reiner Ideen, die sich in der Sprache mit Hilfe von gewissen „sprach-
lichen Zugriffen" realisieren lassen. Diese Grundideen finden hauptsächlich
in den Arbeiten von L. Weisgerber ihren Ausdruck20. Einige von L. Weisgerber
б
und seinen Nachfolgern vorgeschlagene Verfahren der lexikalischen Analy-
se (in erster Linie der Wortbildungsanalyse) haben ein bestimmtes prakti-
sches Interesse (siehe weiter unten). Was die idealistische Grundlage des
Neohumboldtianismus anbetrifft, so hat sie eine gründliche Kritik in unserer
Literatur erfahren 21 . In einem 1971 erschienenen Werk22 versucht
L. Weisgerber seine Grandideen zu entwickeln, indem er gegen „den naiven
Realismus" auftritt, der in „der Sprache nur Benennungen für Sachen"23 sieht.
Abgesehen davon, dass diese Aussage sich auf keine wissenschaftliche
Sprachtheorie stützen kann, muss betont werden, dass sich die methodologi-
sche Grundlage von Weisgerbers Anschauungen nicht geändert hat. Was ei-
nige neuere praktische Hinweise zur konkreten Sprachanalyse betrifft, so
werden sie in den entsprechenden Abschnitten erörtert.
Die Einseitigkeit der rein formalen Sprachbetrachtung, die in den Wer-
ken einiger Forscherkollektive der ehemaligen DDR vorherrschte, wurde in
der weiteren Entwicklung überwunden. Das Wort wird als strukturelle und
semantische Einheit betrachtet. Es entwickeln sich semantische Theorien in
ihrer Verbindung mit den objektiven Methoden der Analyse des lexikalisch-
semantischen Systems. Besondere Aufmerksamkeit wird dem funktional-
kommunikativen, pragmatischen und soziolinguistischen Aspekt des Wort-
schatzes geschenkt. In diesem Zusammenhang sollten folgende Linguisten
erwähnt werden, deren Arbeiten lexikologischen Problemen gelten: R. Große
als Erforscher der dialektalen und sozialen Differenzierung der Lexik,
W.Fleischer, dessen Wirken verschiedene Aspekte der Lexikologie umfasst,
W.Schmidt, Th. Schippan, G.Wotjak, E.Agricola, D. Viehweger als Verfas-
ser der semantischen Arbeiten. W. Schmidt ist auch besonders zu erwähnen
im Zusammenhang mit seinen Arbeiten auf dem Gebiet der funktional-kom-
munikativen Sprachbeschreibung.
In unserem Lande wird die lexikologische Problematik im Rahmen der
allgemeinen Sprachwissenschaft, der einzelnen Sprachen und speziell der
deutschen Sprache intensiv untersucht. Die Arbeiten unserer Germanisten
stützen sich auf die materialistische Betrachtung der Sprache, in erster Linie
auf das Zusammenwirken von Form und Inhalt, auf die Beziehung Sprache —
Gesellschaft. Bei der Erforschung der lexikologischen Probleme werden
Begriffe und Methoden der gegenwärtigen Sprachanalyse angewandt. Das
schmälert aber keineswegs die Anerkennung der Errungenschaften der klas-
sischen Wortforschung.
Die Lexikologie von heute, was der internationale Stand der Forschung
zeigt, ist eine theoretische Disziplin, die den zentralen Bereich der mensch-
lichen Sprache — den Wortschatz oder das Lexikon im Rahmen des kogni-
tiv-kommunikativen Paradigmas untersucht. Die Anwendung der Forschungs-
ergebnisse von Nachbardisziplinen, vor allem Psycholinguistik, Soziolin-
guistik, Pragmatik, Informationstheorie u.a. lässt annehmen, dass es hier der
Umriss einer interdisziplinären Synthese abzeichnet.
Im vorliegenden Buch wird im Zusammenhang mit den Problemen der
allgemeinen wie auch speziell der deutschen Lexikologie deji Arbeiten
der Sprachforscher V. V. Vinogradov, S.D.Kacnel'son, V.M.Zirmunskij,
А. I. Smimickij, О. S. Achmanova, A. A. Ufimceva, V. G. Admoni, M. M. Guch-
mann, G. V. Kolsanskij, V. M. Pavlov, E. V. Rozen, E. S. Kubrjakova, V. N. Telija
und den Arbeiten der Verfasserinnen dieses Buches wie auch einiger Sprach-
forscher der jüngeren Generation große Beachtung geschenkt24.
Die Lexikologie als Lehrfach - und hier die Lexikologie der deutschen
Gegenwartssprache als Lehrfach - hat die Aufgabe, den Studierenden nicht
nur Kenntnisse auf dem Gebiet des deutschen Wortschatzes zu vermitteln,
sondern sie auch in die aktuelle Problematik der lexikologischen Forschung
einzuführen. Zu diesem Zweck werden, um den Studierenden bei ihrer wei-
teren selbständigen Arbeit zu helfen, die wichtigsten Methoden und Rich-
tungen der modernen Sprachtheorie kritisch besprochen.
Entsprechend den Bereichen lexikologischer Forschung erfasst das Lehr-
fach Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache folgende grundlegende
Themenkreise:
(1) Das Wort im lexikalisch-semantischen System. Synchronie und Dia-
chronie bei der Betrachtung des Wortbestandes.
Zu diesem Themenkreis gehören die Fragen der Struktur und Semantik
des Wortes im allgemeinen und des deutschen Wortes als Gegenstand der
deutschen Lexikologie, seiner Beziehungen im lexikalisch-semantischen
System und der Methoden seiner Erforschung bzw. Wortforschungsmetho-
den. Die Betrachtung der kommunikativ begründeten Veränderungen im
Wortschatz erfordert Elemente der diachronen Wortforschung. Diese wird
bei der Analyse der wichtigsten Wege der Wortschatzerweiterung angewandt.
Es sind dies: (a) semantische Derivation bzw. Bedeutungswandel, (b) Ent-
lehnung, (c) Wortbildung, (d) Phrasenbilding
(2) Sprachsoziologische Schichtung im Wortschatz Dieser Themenkreis
erfasst die Fragen der Stratifikation des deutschen Wortbestandes unter dem
soziolinguistischen und funktionalen Aspekt, d.i. die Beschreibung der fach-,
sozial- und territorialgebundenen Lexik und Tendenzen in ihrer Entwick-
lung.
(3) Phraseologie bzw. Lehre von festen Wortkomplexen der Sprache
(4) Lexikographie als Theorie und Praxis der Aufzeichnung bzw. Expli-
kation des Wortschatzes in Form eines Wörterbuchs
(5) Text als Medium der kommunikativ-pragmatischen Potenzen des
Wortschatzes.
1. DAS WORT IM LEXIKALISCH-SEMANTISCHEN
SYSTEM. SYNCHRONIE UND DIACHRONIE BEI
DER BETRACHTUNG DES WORTBESTANDES BZW.
DES LEXIKONS
Das Wort ist die grundlegende Einheit der Sprache, die in der Struktur
einer Sprache Schlüsselpositionen einnimmt. Diese Tatsache bestreitet heu-
te fast niemand mehr25.
Die zentrale Rolle des Wortes im Mechanismus der Sprache ist auf fol-
gende Eigenschaften desselben zurückzuführen:
Das Wort ist in Bezug auf seine Funktionen in der Sprache universell und
in Bezug auf den Umfang dieser Funktionen unikal, denn nur das Wortzei-
chen und nicht das Morphem kann zugleich sämtliche sprachliche Funktio-
nen haben: die nominative (die Funktion der Benennung), die signifikative
(die Funktion der Verallgemeinerung), die kommunikative und die pragma-
tische26.
Das erklärt die Tatsache, weshalb die Versuche gewisser linguistischer
Richtungen, primär der deskriptiven Linguistik gescheitert waren, das Wort
als grundlegende Einheit der Sprache durch das Morphem und den Begriff
des Wortes durch den Begriff einer „Morphemsequenz", die sich von den
syntaktischen Gefügen nicht prinzipiell unterscheidet, zu ersetzen.
Der funktionale Bereich des Wortes ist sehr groß, er reicht vom Mor-
phem (bei der Wortzusammensetzung als Wortbildungsart) bis zu der rein
kommunikativen Einheit, der Äußerung. Vgl. das Wort Feuer in Zusam-
mensetzungen: Feueralarm („Alarm bei Ausbruch eines Feuers"), Feuer-
ball („Zentrum einer Atombombenexplosion") und als prädikatives Zei-
chen bzw. Satz: Feuer! („Warn- und Hilferuf beim Entdecken eines Feu-
ers").
Dank dieser Polyfunktionalität bzw. leichter Wandlungsfähigkeit bald in
ein Morphem, bald in den Teil einer Wortgruppe oder einen Satz nimmt das
Wort in der Struktur der Sprache eine nur ihm eigene Stellung ein.
Infolge seiner Eigenschaft, mehrere Funktionen wechselseitig erfüllen
zu können, ist das Wort das universellste und zugleich ein spezifisch organi-
siertes sprachliches Zeichen.
Als sprachliches Zeichen hat das Wort folgende Merkmale:
Zum Unterschied von den anderen bilateralen Einheiten der Sprache (den
Morphemen, Wortgruppen, Sätzen, die ihren semantischen Wert nicht nach
dem nominativen bzw. syntagmatischen Bereich der Sprachtätigkeit verän-
dern) existiert das Wort in seinen zwei Modifikationen - als virtuelles poly-
semes Zeichen im System der Benennungen, im Vokabular und als geglie-
dertes, aktuelles Zeichen im Text.
Die Bezeichnungen „virtuell" und „aktuell" verweisen auf die verschie-
denen Modifikationen des Wortes und differenzieren es in Bezug auf die
Bereiche der sprachlichen Tätigkeit. Das virtuelle Zeichen gehört zur nomi-
nativen Tätigkeit, das aktuelle zur syntagmatischen27.
Die Anerkennung des Wortes als Grundeinheit der Sprache hebt die
Schwierigkeiten nicht auf, die mit seiner Definition verbunden sind. Eine
befriedigende Bestimmung des Wortbegriffs bereitet Schwierigkeiten hin-
sichtlich folgender Aspekte:
(1) die Isolierbarkeit des Wortes und die Festlegung der Wortgrenzen,
(2) die Identität des Wortes,
(3) die lexikalische Bedeutung.
Die Hauptschwierigkeiten entstehen im Zusammenhang mit gewissen Wi-
dersprüchen im Wesen des Wortes selbst, besonders durch die Beziehungen
zu seinen „benachbarten" sprachlichen Einheiten — zum Morphem und zum
syntaktischen Wortgefüge; durch die Möglichkeit, es von verschiedenen Sei-
ten aus zu betrachten. Und der Umstand, der die allgemeine Wortdefinition
besonders erschwert, ist eine unterschiedliche phonetische, morphologische
und semantische Ausformung des Wortes in verschiedenen Sprachen. Des-
halb sind in der Fachliteratur nicht wenige Äußerungen bedeutender Lingui-
sten bekannt, die eine universelle, für alle Sprachen gültige Wortdefinition
vorläufig praktisch nicht für möglich halten (L.V.Scerba, J.Vendryes,
A.Martinetu.a.).
Trotz der Schwierigkeit, das Wort widerspruchsfrei und universell zu
definieren, gibt es trotzdem eine Möglichkeit, an dieses Problem heranzuge-
hen. Von Th. Schippan stammt der Vorschlag, eine widerspruchsfreie Defi-
nition der Einheit „Wort" zu geben, wobei das Wort auf jeweils einer Ebene
definiert und im Sinne einer allgemeinen Theorie im Schnittpunkt verschie-
dener Ebenen betrachtet wird28. Auf diese Weise erweist sich das Wort:
(a) Auf der lexikalisch-semantischen Ebene als kleinster, relativ selb-
ständiger Träger der Semantik;
(b) auf der morphematischen Ebene dagegen als eine aus dem Rede-
strom potentiell isolierbare morphematische Einheit, die zwar teilbar sein
kann, jedoch im System zur Einheit eines morphologischen Paradigmas zu-
sammengeschlossen ist;
(c) auf der phonologischen Ebene als eine durch mögliche Pausen iso-
lierbare Einheit;
(d) auf der graphemischen Ebene als eine durch Leerstellen im Schrift-
bild isolierbare Einheit;
(e) auf der syntaktischenen Ebene kann es durch seine syntaktische Funk-
tion, Satzglied, vertausch- und umstellbar zu sein, definiert werden.
Die aufgezählten Betrachtungsebenen lassen darüber hinaus „VollWör-
ter" von „Funktions wörtern" unterscheiden: Vollwörter sind relativ selbstän-
dige Bedeutungsträger, Funktionswörter aber stellen solche Einheiten dar,
die vorwiegend relationelle Bedeutung tragen, wie z.B. Präpositionen.
10
Im Ideal erweist sich ein Wort als Einheit sowohl auf der phonolo-
gisch-graphemischen, als auch auf der morphematischen, der syntakti-
schen und der lexikalisch-semantischen Ebene. Es steht im Schnittpunkt
mehrerer Ebenen.
Ungeachtet dieser Vielschichtigkeit dürfen wir davon ausgehen, wie
Th. Schippan betont, dass auf jeder Ebene eine Kategorie „Wort" wider-
spruchsfrei zu definieren ist. Für die Zwecke der Wortbedeutung wird das
Wort als lexisch-semantische Einheit interpretiert, als kleinster relativ
selbständiger Bedeutungsträger, dessen Formen durch die zu gründe
liegende gemeinsame lexikalische Bedeutung zu einem Paradigma ver-
eint sind, das als Bestandteil des Systems (als „Wörterbuchwort") als
graphemische und phonemische Einheit auftritt29.
1.1.1. ALLGEMEINES
Das Wort ist eine Einheit der Sprache (potentielles Zeichen) und eine
Einheit der Rede (aktualisiertes Zeichen als Textelement).
Als Einheit der Sprache ist das Wort:
1. lautlich-inhaltlich strukturiert, d.h. konstituiert aus einem oder mehre-
ren Repräsentanten
(a) der Klasse Morphem und damit auch
(b) der Klasse Phonem;
2. organisiert im sprachlichen System
(a) stets als Vertreter einer bestimmten Wortklasse mit einer kategorialen
Grundbedeutung;
(b) meist auf Grand bestimmter semantischer Merkmale als Bestandteil
eines lexikalisch-semantischen Paradigmas.
Als Einheit der Rede (des Textes) ist das Wort:
1. artikuliert (notiert), d.h. textkonstituierend;
(a) isoliert, als Minimaläußerung eines Sprechers oder •
.(b) kombiniert, als Glied eingefügt in ein Syntagma, einen Satz oder eine
Satzfolge;
2. mit Aktualisierung (s)einer Bedeutung bezogen
(a) als zeichenhafte Bestimmung (Symbol) auf ein sachlich Gemeintes;
(b) als Information (Signal des Sprechers) auf einen angesprochenen Hörer
(Leser)30.
12
1.1.3. BEDEUTUNG DES WORTES (WORTBEDEUTUNG)
1.1.3.1. Allgemeines
Die Wortbedeutung bzw. die lexikalische Bedeutung bildet in der dialek-
tischen Einheit mit dem Wortkörper das sprachliche Zeichen. Sprachliche
Zeichen sind Produkte der gesellschaftlichen Aneignung der objektiven Rea-
lität durch den Menschen.
Für die zeichenorientierte Semantikforschung ist bei der Betrachtung des
Wortzeichens die Zuwendung zur Widerspiegelungs- oder Abbildtheorie
kennzeichnend. Die Sprache erfüllt ihre Funktionen als Erkenntnis- und Kom-
munikationsinstrument, weil die reale Wirklichkeit als Erkenntnisgegenstand
dient und seine Widerspiegelung im Bewusstsein des Menschen hat. Die
menschliche Erkenntnis findet ihren Gegenstand nicht innerhalb des Bewusst-
seins, sondern er existiert außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein, und
er wird von diesem, hervorgerufen durch die Einwirkung auf die Sinnesor-
gane, in einem komplizierten Prozess auf der Grundlage der Praxis erfasst
und in ideellen Abbildern wie Begriffe usw. widergespiegelt. Die gesell-
schaftliche Praxis einer bestimmten ökonomischen Gesellschaftsformation
ist die konkret-historische Grundlage des gesamten Erkenntnisprozesses. Der
Prozess der Widerspiegelung ist kein Kopieren, kein mechanisches Abbilden
der Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Realität im Bewusstsein,
sondern die aktive ideelle Aneignung der Wirklichkeit durch den Menschen.
Zwischen dem Abbild und dem abgebildeten Gegenstand bestehen Ähn-
lichkeiten und Übereinstimmungen in wesentlichen Beziehungen und Cha-
rakteristika. Die im Prozess der Widerspiegelung entstandenen Abbilder sind
an sprachliche Zeichen gebunden, die im Erkenntnis- und Kommunikations-
prozess Gegenstände, Erscheinungen und Prozesse der objektiven Realität
vertreten. Diese Zuordnungsbeziehung zwischen Bewusstseinsinhalten (Be-
deutung) und Lautfolgen (Formativ), d.h. zwischen materiellen und damit
wiederum im Bewusstsein widerspiegelbaren Gebilden, wird innerhalb ei-
ner historisch-konkreten sozialökonomischen Gemeinschaft gesellschaftlich
gefestigt.
Auf diese Weise ist das Wort ein bilaterales sprachliches Zeichen, eine
Einheit von Formativ (Lautfolge) und Bedeutung (Bewusstseinsinhalt), wo-
bei die Bedeutung ein gesellschaftlich determiniertes, interindividuelles
Abbild der Merkmalstruktur einer Erscheinung der objektiven Reali-
tät ist.
Die dargelegte Theorie der Wortbedeutung unterstreicht die Tatsache, dass die
Bedeutung der Wortzeichen eine Realität der Sprache ist, also eine Substanz im phi-
losophischen Sinne des Wortes (das „für sich Seiende").
Zum Unterschied davon wäre die Theorie der Wortbedeutung zu erwähnen, die
für die strukturelle Semantik charakteristisch ist. Danach ist die Bedeutung des Wor-
tes eine Funktion der Beziehungen, die es mit anderen Wörtern in einem „lexikali-
schen Subsystem" oder in einem bestimmten „Feld" eingeht. Die Bezeichnung „struk-
13
turelle Semantik" versteht sich als Sammelname für verschiedene strukturalistisch
orientierte Modelle der Bedeutungsbeschreibung. Als Vertreter repräsentativer Rich-
tungen seien genannt: in Frankreich A. J. Greimas und B. Pottier, in England J. Lyons,
in Deutschland J.Trier, W.Porzig und in der heutigen Zeit E.Coseriu.
Die methodologischen Grundlagen der strukturalistischen Theorien der Wortbe-
deutung wurden in der zeitgenossischen Linguistik wiederholt einer gründlichen Kritik
unterzogen32. Auch für die jüngste Wortforschung ist der Grundsatz aktuell, dass die
kontextuelle Wandelbarkeit der Semantik die Wortbedeutung als Substanz nicht auf-
hebt, sondern eine gesetzmäßige Erscheinung der sprachlichen Zeichen im Sprach-
system und im Text darstellt. (Davon ausführlich in 1.1.3.2.)
Die substantielle semantische Theorie wird durch die Analyse der Moti-
viertheit der Wortbedeutung besonders deutlich.
Sprachliche Zeichen sind also Mittel des Denkens (Kognition) und Kom-
munikation.
Kennzeichnend für die Betrachtung der Wortbedeutung in der Lexikolo-
gie der Gegenwart ist unter anderem das Bestreben, die kognitiven Fähig-
keiten des Menschen (in seiner Rolle als Sprecher-Hörer) und den Ablauf
sprachlicher Prozesse adäqat wiederzugeben. Große Beachtung finden hier-
bei Probleme der Wissensrepräsentation. Bei der Analyse des semantischen
Wissens werden die beiden grundlegenden Arten von Wissen in Betracht
gezogen: lexikalisches und enzyklopädisches (bzw. Weltwissen) mit allen
möglichen Unterarten derselben.
Dieser Aspekt wird in den letzten Jahren innerhalb der sprachorientier-
ten Forschung der Künstlichen Intelligenz (KI) intensiv entwickelt und fin-
det in natürlich-sprachlichen Systemen Verwendung. Der Einfluss der KI-
Ansätze der Wissenrepräsentation betrifft gegenwärtig vorwiegend die ko-
gnitive Psychologie und die Bereiche der Linguistik, die psychologisch ori-
entiert sind. Neu bei der Analyse der Wortbedeutung sind schemaorientierte
Repräsentationen. Die beiden bekanntesten Ausprägungen stellen Minskys
(1975) Frames und Schank/Abelsons (1977) Scripts dar. Frame ist typi-
scher in der Beschreibung von Sachobjekten, Script dagegen für eine situa-
tive Handlung. Aktuell sind auch einige andere Schlüsselbegriffe der kogni-
tivorientierten Analyse wie semantische Netze, Schemata, die zur formali-
sierten Wortbedeutung verwendet werden. Eine übersichtliche Erschließung
dieser Termini33 zeigt die Vielfalt der schemaorientierten Beschreibung der
Wortbedeutung (Näheres siehe S.239 ff.).
(.belebt')
.Mensch'
.verwandt'
.hervorbringende (Generation)'
.männlich' .weiblich'
Löwe/Katze Gegenständlichkeit
(.belebt')
.Tier'
.Katze'
.wild', .domestiziert'
Gewässer
\. Merkmale i lAggregsitzu- 1
Größe Bewegung Bewertung
N. (Seme) а C2 a
sehr gro:
Gegensi
sehr klei
unbeleb
lichkeit
stehend
negativ
positiv
stand
20
Die Hauptbedeutung ist die Bedeutung, die zu einem bestimmten Zeit-
punkt als gesellschaftlich wichtigste Bedeutung im Bewusstsein der Sprach-
gemeinschaft zuerst realisiert wird.
Die Polysemie gilt allgemein als semantische Universalie, als zentrale
Eigenschaft lexikalischer Spracheinheiten und als struktureller Grundzug
der Sprache als System. Auf der Textebene erfolgt die Monosemierung der
polysemen Wörter in entsprechenden Kontexten, wodurch die Kommunika-
tion gesichert wird.
Wenn das diachrone Merkmal, d.h. die etymologische Zusammengehö-
rigkeit der zentralen und abgeleiteten Bedeutungen ausscheidet, bleibt als
Kriterium der Mehrdeutigkeit das der verschiedenen Bedeutungen im Text
bzw. die kontextuell bedingten Bedeutungsvarianten. Dabei ergeben sich
unscharfe Grenzen zur Homonymie.
Homonyme sind Wörter mit gleichem Formativ und völlig unterschied-
licher Bedeutung, z.B. die Mutter „Verwandtschaftsname", die Mutter
„Schraubenmutter". Sie entstehen im Deutschen grundsätzlich durch (1) den
Zerfall der Polysemie und (2) durch eine zum gleichen Ergebnis führende
lautliche Entwicklung. So entwickelten sich z.B. die Homonyme der Bauer
(„Landmann") und das (der) Bauer („Vogelkäfig") aus einem Etymon: ahd.
böan, mhd. büwen „wohnen, bewohnen, Landwirtschaft betreiben"; die ety-
mologische Zusammengehörigkeit ist im Neuhochdeutschen nicht erhalten.
Oder: die Homonyme die Bremse „Insekt" zu „brummen" und die Bremse
„Hemmschuh" zum Mittelniederdeutschenpramen „drücken" haben sich aus
verschiedenen Wörtern entwickelt, die lautlich zusammengefallen sind.
Für die strukturelle Semantik ist die Unterscheidung der Polysemie und Hom-
onymie nicht relevant, da die Bedeutung aus synchroner Sicht und unter Einbe-
ziehung des Kontextes ermittelt wird. Vgl. folgende Bemerkung einer Lingui-
stin, die „eine kontextuell orientierte Bedeutungskonzeption vertritt: „Eine am
syntaktischen und lexikalischen Kontext orientierte Bedeutungskonzeption lässt
keine Unterscheidung von Grund-, Haupt- und übertragener Bedeutung bzw. ei-
21
gentlicher und uneigentlicher Bedeutung zu"42. Das angeführte Zitat illustriert
die Bedeutungskonzeption als Relation der strukturellen Semantik. In inserer
Linguistik sowie Germanistik wird den kontextuellen Realisierungen der mehr-
deutigen Wörter zwar große Beachtung geschenkt, aber aus der Bedeutungsva-
riabilität der Wörter in Kontexten ist jedoch keine Kontexttheorie der Bedeu-
tung abzuleiten. Ein polysemes Wort existiert mit seinen Sememen bzw. lexisch-
semantischen Varianten (der Terminus von A.I. Smirnickij) im Bewusstsein der
Sprachbenutzer und wird auch ohne Kontext in seiner Hauptbedeutung verstan-
den. So wird bei der isolierten Nennung der Lautfolge „Tisch" die zentrale Be-
deutung „Möbelstück zum Essen, Arbeiten usw." identifiziert. Dasselbe geschieht
bei der Nennung der Lautfolge „Stuhl", die als Bedeutung „Möbelstück zum
Sitzen" identifiziert wird. Gerade diese Tatsache, dass dem Sprachbenutzer die
direkten Wortbedeutungen als bestimmte semantische Größen bekannt und ge-
läufig sind, sichert ihre kontextuelle Verwendung erstens in der normativen und
zweitens — in der abweichenden Form, was zur Entstehung neuer Sememe im
Bedeutungsgefüge der Wörter führt.
Unter dem Aspekt der Zugehörigkeit des Wortes zum System (langue)
oder Text (parole) werden die Bedeutungen terminologisch differenziert be-
zeichnet als lexikalische (im System) und aktuelle (realisierte im Text)
(W. Schmidt) oder als potentielle und aktualisierte (J. Erben) u.a.
1.1.4. BEDEUTUNGSBEZIEHUNGEN
IM LEXIKALISCH-SEMANTISCHEN SYSTEM
N. Merkmale
Big, Einzelle
ten, Beamtei
der Künstler
Gegenständ-
nicht regelm
der Angeste
der Arbeiter
(monatlich)
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+ + +
der Gehalt + + + + +
die Gage + + + + +
Vorderseite des
Kinnb is Haar-
\Merkmale
Kopfes >(vom
I
Gegen ständ-
IT
I
gehörend
lichkeit
9 tt
gehobe
(abwei
salopp
(aufwe
ansatz
neutra
Forraative \.
das Gesicht + + + +
das Antlitz + + + +
die Visage + + + +
die Fratze + + + +
Die differenzierenden Seme, die begrifflich-wertend, konnotativ sind,
ergeben die stilistische Markiertheit der Lexeme, deshalb werden die Syn-
onyme dieser Art als stilistische Synonyme bezeichnet.
In den synonymischen Reihen wird die Dominante oder das Grundsy-
nonym unterschieden. Das ist gewöhnlich ein solches Synonym, das be-
grifflich und stilistisch eine Invariante der anderen Glieder der synonymischen
Reihe bildet. Begrifflich gibt das Grundsynonym den Sachverhalt ohne dif-
ferenzierende Seme wieder, und stilistisch ist es neutral. Vgl. die Synonyme
„rennen", „das Gesicht" in den entsprechenden synonymischen Gruppen.
26
Zahlreich sind im Deutschen Lexeme, die sich zwar auf dieselbe Erschei-
nung der Wirklichkeit beziehen, sich aber regional unterscheiden wie z.B.
Stulle—Bemme. Beide Wörter bezeichnen „ein belegtes, bestrichenes Brot",
Bemme ist aber ostmitteldeutsch, sächsisch und Stulle nordd., besonders berli-
nisch. Diese Bedeutungsbeziehungen werden als territoriale oder regiona-
le Dubletten bezeichnet. Sie werden in 3.3.2. eingehend betrachtet.
1.1.4.2.3. Bedeutungsgegensatz/Antonymie
30
anlassen; (b) umg., z.B. abtrumpfen, salopp jmdm. die Hammelbeine lang
ziehen; (c) salopp, z.B. abkanzeln, umg. jmdm. den Kopf waschen; (d) vulg.
anscheißen. Lexikalisch-semantische Paradigmen vom Typ „Feld" können
in der Fachliteratur auch als lexikalisch-semantische Gruppen bezeichnet
werden. Innerhalb solcher Gruppen ist dann dieselbe Strukturierung der
Konstituenten durchführbar.
2576 33
1.1.4.3.2. Valenzwörterbuch von G.Helbig / W.Schenkel
Ende der 60er Jahre entstand ein Valenzmodell, das viele Mängel der
ersten Darstellungen der Valenz, vor allem der von Tesniere beseitigte und
seinen Niederschlag u.a. im „Wörterbuch zur Valenz und Distribution deut-
scher Verben" von G. Heibig und W. Schenkel fand. Dieses Modell ging zu-
nächst von der syntaktischen Valenz (d.h. von der Valenz der Ausdrucksebe-
ne) und von der Wortart der Verben aus, ist aber, wie sich das später erwie-
sen hat, einerseits übertragbar auch auf die Valenz anderer Wortarten (z.B.
der Adjektive und der Substantive)55 und ist andererseits als notwendiger
Bestandteil integrierbar in ein komplexeres Modell, das verschiedene Ebe-
nen umfasst.
Im Wörterbuch von G. Heibig und W. Schenkel wurde ein dreistufiges
Modell entwickelt, das die Valenz und Distribution deutscher Verben be-
schreibt. Dabei wird unter Valenz die Fähigkeit des Verbs (oder entspre-
chend: einer anderen Wortart) verstanden, bestimmte Leerstellen um sich
herum zu eröffnen, die durch obligatorische oder fakultative Aktanten zu
besetzen sind. Als Leerstellen werden verstanden die vom Verb (oder ei-
nem anderen Valenzträger) geforderten und obligatorischen bzw. fakultativ
zu besetzenden Stellen, die in der Bedeutung des Verbs (oder eines anderen
Valenzträgers) angelegt sind. Aktanten (oder „Mitspieler") werden diejeni-
gen Glieder genannt, die diese Leerstellen besetzen.
Um die Aktanten adäquat zu beschreiben, genügt nicht das Wissen um
die Zahl der Aktanten, d.h. die Valenz im engeren Sinne. Man muss viel-
mehr auch ihre Art (syntaktisch und semantisch), d.h. die Distribution des
Verbs (oder eines anderen Valenzträgers) kennen. Unter Distribution eines
sprachlichen Elements wird die Summe aller Umgebungen verstanden, in
denen es vorkommt.
Entsprechend diesen Bestimmungen der Begriffe „Valenz" und „Distri-
bution" werden in dem „Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher
Verben" von Heibig / Schenkel die Verben auf folgenden drei Stufen (in
einem dreistufigen Modell) interpretiert:
(1) Auf Stufe I wird für jedes Verb die quantitative Anzahl der Aktan-
ten, d.h. seine syntaktische Valenz im engeren Sinne festgelegt, z.B.:
I. erwarten2
rauben 2+(1) = 3)
wobei die obligatorischen Aktanten ohne Klammern, die fakultativen
Aktanten in Klammern stehen und beide zur Gesamtheit der valenzdetermi-
nierten Glieder addiert werden.
(2) Auf Stufe II werden die Aktanten qualitativ durch Angabe der syn-
taktischen Umgebungen der Verben in streng formalen Begriffen festge-
legt (z.B. Sn = Substantiv im Nominativ, Sa = Substantiv im Akkusativ,
Sd = Substantiv im Dativ, pS - Substantiv mit Präposition, NS = Nebensatz):
34
(3) Auf Stufe III werden die Aktanten qualitativ durch Angabe der se-
mantischen Umgebungen der Verben festgelegt, und zwar mit Hilfe sol-
cher Begriffe wie Hum (= menschlich), ± Anim (± belebt), Abstr (= ab-
strakt) usw. Diese Stufe III spezifiziert somit die determinierten Aktanten
durch die Angabe des zugelassenen semantischen Gehalts. Solche Regeln
werden heute meist als „Selektionsregeln" bezeichnet. Sie sind notwendig,
weil bei den meisten Wörtern nicht jedes beliebige Sn oder Sa erscheinen
kann:
III. Sn > 1. Hum (Der Freund erwartet uns)
2. Abstr (als Hum) (Das Institut erwartet Besuch)
3. Abstr (Viel Arbeit erwartet uns)
Sa > keine Selektionsbeschränkungen (Er erwartet den Freund, den
Hund, die Kommission, den Brief, einen Beschluss, das Schwimmen)
NS > Act (Wir erwarten, dass er kommt)
Inf > Act (Er erwartet eingeladen zu werden)
Das Valenzwörterbuch von G.Heibig und W.Schenkel hat für den
Deutschunterricht (Deutsch als Fremdsprache) nicht nur eine theoretische,
sondern auch eine große praktische Bedeutung. Es sichert dem Deutsch ler-
nenden Ausländer die Generierung von grammatisch und semantisch richti-
gen Sätzen.
Kennzeichnend für die Valenztheorie von heute ist die Tatsache, dass die
frühere Betonung des syntaktisch-grammatischen Aspekts überwunden ist.
Das ist beispielsweise in dem dreistufigen Model] des oben beschriebenen
Valenzwörterbuchs, auf der Stufe III zu sehen. Zwar wurden die Beziehun-
gen der Verträglichkeit (Kompatibilität) lexikalisch-semantischer Art zwi-
schen Wörtern im Satz auch früher in der Linguistik beachtet, aber sie tauch-
ten gewöhnlich nicht unter dem Begriff und / oder Terminus der Valenz auf
und wurden in der Regel auch völlig unabhängig davon erörtert. So erscheint
z. B. bei E.Leisi für die Verbindbarkeit von Substantiven und Verben der
Terminus „semantische Kongruenz"56. Er hat in intuitiver Weise dieses Phä-
nomen beschrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass z. B. ein Satz
möglich ist wie „Er schießt Rehe", aber nicht ein Satz wie „Er schießt Men-
schen" (im Akkusativ kann offensichtlich ein belebtes, aber kein menschli-
ches Wesen erscheinen), dass ein Satz möglich ist wie „Er beschädigte das
Auto", aber nicht „Er beschädigte seinen Freund" (im Akkusativ erscheint
nur ein unbelebtes Wesen, kein Mensch).
Heute ist in die Valenztheorie auch die semantische Valenz eingeschlos-
sen. Diese spiegelt die Tatsache wider, dass Wörter (als Valenztrüger) be-
stimmte Kontextpartner mit bestimmten Bedeutungsmerkmalen fordern, an-
dere Kontextpartner mit anderen Bedeutungsmerkmalen ausschließen. Sie
regelt die Besetzung von Leerstellen mit Klassen von Partnern, die seman-
3* 35
tisch durch bestimmte Bedeutungsmerkmale festgelegt sind. Die Wahl ge-
eigneter Kontextpartner erfolgt auf Grund der Kompatibilität der Bedeutungs-
merkmale der beiden Kontextpartner (intralinguistisch), die ihrerseits in der
außersprachlichen Realität (extralinguistisch) motiviert ist. So setzen z.B.
die Verben des Sagens und Denkens als Subjekt menschliche Wesen, die
Verben des Sehens und Erblickens als Objekt konkrete Wesen voraus. So
sind Sätze wie
Peter stirbt manchmal und
Er kennt Peter auf dem Flughafen
•o"
im Deutschen (bei der ursprünglichen und nicht metaphorischen Bedeutung
der Verben) nicht möglich, weil die Adverbialien Bedeutungsmerkmale ent-
halten (etwa: [+ frequentativ] und [+ lokal]), die den Bedeutungsmerkmalen
des Verbs widersprechen und deshalb mit ihnen unverträglich sind. Ein Satz
wie Er stirbt manchmal ist nur dann möglich, wenn das Subjekt Prowort
für eine Gattungsbezeichnung ist (z.B. Die Operation ist immer lebensge-
fährlich für den Patienten. Er stirbt manchmal.), nicht aber, wenn es
Prowort für eine Individualbezeichnung ist. Bei der semantischen Valenz
handelt es sich somit um Selektionsbeschränkungen, die reguliert werden
auf Grund der semantischen Kompatibilität zwischen den Kontextpartnern.
Darum betont G. Heibig: der Valenzbegriff wird erweitert von der syntakti-
schen auf die logisch-semantische Ebene57.
1.2.1.1. Allgemeines
Unter semantischer Derivation bzw. Bedeutungswandel versteht man
die В edeutungsVeränderung der Wörter, die sich im Laufe der Zeit bei die-
sen sprachlichen Zeichen einstellt, bedingt durch Wesen und Charakter der
Sprache als soziales Phänomen.
Der Bedeutungswandel tritt gesetzmäßig im Zusammenhang mit dem
Sachwandel ein, denn die Gegenstände und Erscheinungen der Wirklichkeit
befinden sich in einem Zustand dauernder Veränderung. So ist z.B. Bleistift
heute „ein von Holz umschlossener Graphitstift zum Schreiben". Die im 17.
Jahrhundert belegte ursprüngliche Form Bleystefft (eine Klammerform für
Bleyweißstefft) zeugt davon, dass Stifte zum Schreiben aus einem anderen
Material hergestellt wurden. Das Formativ blieb, als man im 18. Jahrhundert
zu Graphitstiften (-minen) mit Tonzusatz überging.
36
Aber außer diesem Bedeutungswandel gibt es auch eine Veränderlichkeit
der Bedeutung von einer anderen, viel komplizierteren Art, was aus der Ana-
lyse alter Sprachdenkmäler besonders deutlich hervorgeht. Eine der größten
Schwierigkeiten für das Verständnis eines mittelhochdeutschen Textes, schreibt
W. Porzig58, bieten Wörter, die scheinbar bekannt und heute noch geläufig
sind, aber etwas ganz anderes bezeichnen, als wir heute darunter verstehen.
So fängt Walther von der Vogelweide (ca. 1160—1227) ein Gedicht mit
folgenden Worten an:
Ich hört ein wasser diessen
Und sach die vische fliessen.
In der Gegenwartssprache fließt nur das Wasser, bei Walther von der Vo-
gelweide fließen auch die Fische, die im Deutsch von heute schwimmen.
Schwimmen konnte zu Walthers Zeit nur ein Mensch oder ein Schiff, über-
haupt etwas, was die Oberfläche des Wassers bricht. Was sich ganz im Was-
ser befand, das floss, wenn es sich selbst bewegen konnte, wenn es nur da-
hintrieb, so schwebte es. In der Gegenwartssprache dagegen kann etwas nur
in der Luft schweben, nicht im Wasser, vgl. ein Adler schwebt hoch in der
Luft. Die Vevbenfließen, schwimmen, schweben sind also heute wie damals
vorhanden, aber sie bezogen sich ehemals auf andere Sachverhalte.
Aber im Zusammenhang mit der Wortschatzerweiterung wären hier zahl-
reiche Bedeutungsentwicklungen zu nennen, die den Bedeutungsumfang
eines Lexems oder seine Bedeutungsstruktur erweitern. Das geschieht, in-
dem dasselbe Formativ zur Bezeichnung eines neuen Sachverhalts ausge-
wertet wird neben des bereits vorhandenen.
So erhielt ein altes gemeingermanisches Wort Netz zu seiner herkömmli-
chen Bedeutung „geknüpftes maschenförmliges Gebilde" durch den Meta-
phorisierungsprozess zusätzlich ein Semem „System aus vielen sich vielfäl-
tig kreuzenden, miteinander verbundenen Strecken und Linien" — Strom-
netz, Eisenbahnnetz, Verkehrsnetz.
Wichtige Erkenntnisse vermittelt in Bezug auf die Polysemie die kogni-
tivorientierte Psycholinguistik. Erstmals in der Geschichte der Semasiologie
wurden die grundlegenden Faktoren erschlossen, die den regelmäßigen Cha-
rakter dieses Prozesses sichern und abhängig machen vom (I) Typ der Lexe-
me und (2) vom Typ der begrifflichen Abstraktion. Danach sind semantisch
ableitbar in erster Linie Konkreta, weil die semantische Struktur der konkre-
ten Namen über Elemente verfügt, deren Grundlage weitere derivative Pro-
zesse ermöglicht (Metaphoriesierung, Metonymisierung). Der zweite Fak-
tor, der die Produktivität der semantischen Ableitung erklärt, ist Grad der
begrifflichen Abstraktion, wie das in der bezeichneten Disziplin unterschie-
den wird. Danach ist am produktivsten der mittlere Grad bzw. die mittlere
Stufe der Abstraktion, so z.B. von den Substantiven:
Säugetier — Hund — Spürhund
kommt sie dem Substantiv „Hund" zu, weil Lexeme dieser Stufe dem
Menschen begrifflich relevanter sind als die anderen.
37
Einen bedeutenden Beitrag zur Polysemie der deutschen Spache hat
LG.Olsanskij geliefert59.
Die semantische Derivation kann erfolgen, indem dasselbe Formativ zur
Bezeichnung nicht nur neuer Sachverhalte verwendet wird, sondern auch
zur Schaffung expressiver, stilistisch markierter Synonyme zu den bestehen-
den Lexemen. Sie sind wertenden, meistens abwertenden Charakters. So ist
Huhn nicht nur Bezeichnung einer Geflügelart, sondern auch die einer Per-
son, vgl. salopp: Dieser Mensch ist ein dummes, verdrehtes, verrücktes Huhn.
Lappen ist nicht nur ein Stück Stoff, Fetzen (zum Waschen, Wischen, Polie-
ren usw.), sondern eine umgangssprachliche Bezeichnung für Geldschein:
er blätterte einige Lappen auf den Tisch. Waschlappen ist „ein feiger, ener-
gieloser, charakterschwacher, weichlicher Mensch".
Der Bedeutungswandel kann also ein Semem betreffen und es kann zur
Entwicklung neuer Sememe innerhalb der semantischen Struktur des Le-
xems führen.
Lehngut
Lehnübertragung
ANMERKUNGEN
1
Paul H. Deutsche Grammatik. — Halle a. S., 1920. — Bd. V. — S. 3.
2
Paul H. Prinzipien der Sprachgeschichte. — 1. Aufl. (der mehrere andere folg-
ten). — Halle (Saale), 1880.
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lenleben der Wörter. — Schauenburg, 1908.
4
Quadri B. Aufgaben und Methoden der onomasiologischen Forschung. Eine
entwicklungsgeschichtliche Darstellung. — Bern, 1952; DomseiffR Bezeichnungs-
wandel unseres Wortschatzes. Ein Blick in das Seelenleben der Sprechenden. —
Schauenburg, 1955 (u.a.); Deutsche Wortgeschichte/Hrsg. von F.M.Maurer und
F.Stroh. — 2. neubearb. Aufl. — В., 1959. — Bd. 1—2 (u.a.).
5
Vor allem das bedeutende Werk von Seiler F. Die Entwicklung der deutschen
Kultur im Spiegel des deutschen Lehnwortes. — Halle (Saale), 1921 — 1925. —
Bd. 1—8.
6
Kretschmer P. Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache. — GÖt-
tingen, 1918; Kluge F. Deutsche Studentensprache. — Straßburg, 1895; Kluge F.
Seemannsprache. — Halle (Saale), 1911 (u.a.m.; siehe weiter unten Teil 3.).
7
Paul H. Deutsche Grammatik. — S. 20 (u.a.).
8
Ries J. Zur Wortgruppenlehre. — Prag, 1928; Sütteiiin L Die deutsche Sprache
der Gegenwart. — Leipzig, 1918.
71
9
Seiler F. Deutsche Sprichwörterkunde. —München, 1922.
~>—l0 Grimm J. u. W. Deutsches Wörterbuch. — 1854 (beendet erst viele Jahre nach
dem Tod der Verfasser, 1961); Paul H. Deutsches Wörterbuch. — 1. Aufl. — Mün-
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11
HirtH. Etymologie der neuhochdeutschen Sprache. Darstellung des deutschen
Wortschatzes in seiner geschichtlichen Entwicklung. — München, 1909.
12
Wilke E. Deutsche Wortkunde: Ein Hilfsbuch für Lehrer und Freunde der Mut-
tersprache. — 6. Aufl. — Leipzig, 1925.
13
Schmidt W. Deutsche Sprachkunde: Ein Handbuch für Lehrer und Studieren-
de. — 1. Aufl. — В., 1959 (der mehrere Neuaufl. folgten; 7. bearb. Aufl. — В.,
1972); Lexikalische und aktuelle Bedeutung. Ein Beitrag zur Theorie der Wortbe-
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Saleshsky L. Deutsche Wortkunde (für pädagogische Hochschulen). — Mos-
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ский курс (разд. "Словообразование. Лексикология"). — 3-е изд., перераб. —
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Lewkowskaja К. А. Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. — Mos-
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hkos A., Lenkowa A. Deutsche Lexikologie. — Leningrad, 1960.
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Степанова М.Д., Чернышева И. И. Лексикология современного немец-
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deutschen Gegenwartssprache.—Moskau, 1975 (2. verbesserte Aufl.—Moskau,
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19
Die Aufsätze von W. Motsch, M. Bierwisch, К. Е. Heidolph und anderen Auto-
ren der „Studia Grammatica", die seit 1962 regelmäßig erschienen.
20
Weisgerber L. Grundzüge der inhaltbezogenen Grammatik.—Düsseldorf, 1962;
Die vier Stufen in der Erforschung der Sprache. — Düsseldorf, 1963 (u.a.).
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Теории семантического поля и возможности их применения при изучении
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гербера // Вопросы теории языка в современной зарубежной лингвистике. —
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Ebenda. — S. 330 f.
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Schippan Th. Einführung in die Semasiologie. — 2. Überarb. Aufl. — Leipzig,
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Будагов P.A. Я з ы к — р е а л ь н о с т ь — я з ы к . — М., 1983 (und andere Arbeiten).
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Humboldt W. v. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und
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Leitung von D. Viehweger//Studia Grammatica XV. — В., 1977. — S. 100 (u.a.).
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Wörter. — 1884; zitiert nach: Schippan Th. Einführung... — S. 84.
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Das Beispiel und die Interpretation ist entnommen: Schippan Th. Einführung... —
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Frei nach: Spiewak W. Zum Stand der Arbeit an einer Kommunikativen Gram-
matik // Greifswalder Germanistische Forschungen. — Greifswald, 1977. — H. 1. —
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Zitiert nach: Bräuer R. Zu Wesen und Struktur der Bedeutung im Modell einer
kommunikativen Grammatik // Greifswalder Germanistische Forschungen. — Greifs-
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Sprache. — Leipzig, 1977. — S. 14 ff.
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Düsseldorf, 1962; Sprachfelder in der Erschließung der Welt // Festschrift für Jost
Trier. — Meisenheim, 1954. — S. 34 ff.
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языке: АДД. — М., 1991 (und andere Arbeiten).
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1999. — № 4 .
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Ebenda.
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МГПИИЯ. — М . , 1955. — Т . VII. — С . 16—17.
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Уч. Зап./1 МГПИИЯ. — М., 1957. — Т. XI. — С. 39 — 40.
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Дегтерева Т. А. О лексическом значении... — С. 41, 42.
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Готлиб К Г. Междуязычные аналогизмы французского происхожде-
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териале англоамериканизмов в современном немецком языке в ФРГ и ГДР):
Автореф. дис.... канд. филол. наук/I МГПИИЯ.—М., 1967; ЧернышеваИ.Й.
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материале немецкого языка)//Лингвистика и методика в высшей школе
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83
Kleine Enzyklopädie. — S. 304—306.
84
Das hing mit der Romanisierung des benachbarten Gallien und mit der teilwei-
sen Besetzung germanischer Gebiete durch die Römer zusammen.
85
Aus dieser Entlehnungsschicht, vom 1. bis zum 5. Jh., sind im deutschen Wort-
schatz der Gegenwart an die 600 Wörter nachweisbar, die sich völlig assimiliert
haben. Schiriner A. Deutsche Wortkunde. Eine Kulturgeschichte des deutschen Wort-
schatzes. — В., 1926. — S. 40.
86
Wie zahlreich die Übernahme antiker, vor allem lateinischer Fremdwörter in
dieser Zeit war, beweist das erste Fremdwörterbuch, das am Ende dieser Periode
(1571) erschien und von Simon Roth zusammengestellt war: Es zählte gegen 2000
lateinische Fremdwörter. Noch heute enthalten die umfangreichen Fremdwörterbü-
cher, die ein besonderes Kennzeichen der deutschen Sprache bilden, in ihren langen
Wortlisten zu etwa drei Vierteln aus dem Lateinischen und Griechischen stammende
Wörter der gelehrten Bildung, zu denen das Zeitalter des Humanismus im wesentli-
chen den Grund gelegt hat.
87
Wie A. Schinner mit Recht bemerkt, könnte man ein ganzes Wörterbuch hier
anführen, wollte man die in jener Zeit ins Deutsche eingedmngenen Fremdwörter
aufzählen. Wenn auch vieles davon nur vorübergehende Bedeutung hatte, so hat
sich doch beinahe die Hälfte der damals aufgenommenen Fremdwörter bis heute
erhalten. Deutsche Wortkunde... — S. 83.
88
Ganz P F. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz 1640 —
1815.89
— В., 1957. — S. 21 — 25.
Kleine Enzyklopädie. Die deutsche Sprache. — Leipzig, 1969. — Bd. I. —
S. 508—509.
90
91
Vgl. Рыбакова Л. М. Романские заимствования...
Unter dem semantischen System verstehen wir den Begriffsschatz einer Sprache.
Vgl. auch die Erschließung des Terminus bei Ufimceva A.A.: "Семантической си-
стемой языка называют часть, совокупность значений слов как единиц вока-
буляра, или вообще сумму понятий (сем), выражаемых лексическими едини-
цами в системе номинативных средств языка (ср. нем. Begriffsschatz). Основ-
ным видом изучения системы языка в таком понимании являются многочис-
ленные пробы в области семантического картографирования, исследования
понятийных сфер, как они находят свое отражение в членимости внешнего
мира, опыта носителей языка при помощи лексики и грамматики". Уфим-
Цева 92
A.A. Слово в лексико-семантической системе языка.—М., 1968.—С. 249.
Левковская К. А . Лексикология немецкого языка. — М., 1959; Lewkow-
skajaKA. Lexikologie...; Iskos A., LenkowaA. Deutsche Lexikologie.—Leningrad,
I960; Степанова М. Д., Чернышева И. К Лексикология современного немец-
кого языка. — М., 1962.
93
94
Schulz О. Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts. — В., 1824. — S. 10.
Campe J.H. Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Spra-
che aufgedrungenen fremden Ausdrücke. — 1801. — S. 16.
75
95
Ebenda. — S. 8.
96
Ebenda. — S. 167.
97
Schirmer A. Deutsche Wortkunde... — S. 93.
98
Engel E. Sprich deutsch. — Leipzig, 1917. — S. 236.
99
Архангельская К. В. Равнозначные синонимы немецкого языка // Уч.
зап. /1 МГПИИЯ. — М., 1958. — Т. XVI. — С. 129—164; Polen Р v. Ge-
schichte der deutschen Sprache: Sammlung Göschen. — В., 1970. — Bd. 915,915a. —
S. 161 f.
100
Eulenspiegel. — 1957. — S. 18.
101
Fallada H. Wolf unter Wölfen. — В., 1954. — S. 139.
102
Кузнецова В. А. Функционально-семантические потенции немецких
равнозначных синонимов вида Moment — Augenblick (к проблеме систем-
ных отношений в лексике): Автореф. дис.... канд. филол. наук / МГПИИЯ. —
М., 1984.
103
Fritz G. Bedeutungswandel... — № 2. — S. 17.
104
Weinreich U. Languages in Contact. Findings and Problems. — The Hague;
Mouton, 1963. — S. 53; deutsch zitiert nach: Burger A. Die Konkurrenz englischer
und französischer Fremdwörter in der modernen deutschen Pressesprache // Mutter-
sprache. — 1966. — № 2. — S. 33—48.
105
Готлиб К. Междуязычные аналогизмы французского происхождения
в немецком и русском языках: Краткий очерк. — Кемерово, 1966. — С. 45.
106
Фридман Л. А. Английские заимствования во французской медицин-
ской терминологии: Автореф. дис. ... канд. филол. наук / МГПИ. — М.,
1968.
107
Рыбакова Л. М. Романские заимствования... — С. 8.
108
Крысин Л. П. Иноязычные слова в современном русском языке. —
М., 1968. — С. 41.
109
Der Große Duden. — Mannheim, 1965. — Bd. 9. — S. 45.
110
In diesem Sinne wird die semantische Selbständigkeit eines Fremdwortes bei
Heller K. betrachtet. Heller K. Das Fremdwort in der deutschen Sprache der Gegen-
wart. — Leipzig, 1966. — S. 23.
111
Vgl. Крысин Л. П. Иноязычные слова... — С. 41.
112
Ullstein. Fremdwörter-Lexikon. —19. Aufl.—Frankfurt/Main; Berlin; Wien,
1972. — S. 90.
113
Carstensen B. Englische Einflüsse auf die deutsche Sprache nach 1945. —
Heidelberg, 1965. — S. 142.
114
Der Zug zur Sprachökonomie als einer der Triebkräfte der semantischen Assi-
milation der Angloamerikanismen im Deutschen wird auch von Carstensen B. er-
wähnt: Amerikanische Einflüsse auf die deutsche Sprache // Jahrbuch für Amerika-
studien. — Heidelberg, 1963. — Bd. 8. — S. 53.
115
Готлиб К. Междуязычные аналогизмы... — С. 15.
110
Ebenda.
117
WDG. — Berlin, 1970. — Bd. 3. — S. 1995.
118
Готлиб К. Междуязычные аналогизмы... — С. 45.
119
Diese Erscheinung wird auch auf Grund der Entlehnungen im Englischen
festgestellt (Арнольд И. В. Лексикология современного английского языка. —
М., 1959. — С. 212). In einigen Arbeiten wird sie als intralinguistische Ursache der
Entlehnung angesehen (Якобсон М. Я. Французские заимствования в испанском
языке: Автореф. дис.... канд. филол. наук / МГПИИЯ им. М.Тореза. — М.,
1968. — С. 8).
76
120
Der Große Duden. — Mannheim, 1963. — Bd. 7.
121
Zitiert nach: Carstensen B. Englische Einflüsse... — S. 136.
122
Unter der Hitparade oder Schlagerparade versteht man eine regelmäßig er-
scheinende Aufstellung der beliebtesten Schlager, die von Fachzeitschriften nach
Untersuchungen des Schallplatten-Umsatzes, des Rundfunk- und Musikbox-Einsat-
zes ermittelt wird.
123
Carstensen B. Englische Einflüsse... — S. 136.
124
Majorow A.P. Zur lexikalisch-semantischen Assimilation der Fremdwörter
im modernen Deutsch // DaF. — 1971. — № 2. — S. 119.
125
Nach der Untersuchung von H. Fink beträgt die Zahl der formalen Entlehnun-
gen („in unveränderter Form") bei den Amerikanismen der deutschen Tagespresse,
z.B. in der „Welt" 59,6 %, Teilsubstitution oder Mischkomposita in der „Süddeut-
schen Zeitung" — 40,0 % und Vollsubstitution oder Lehnprägung—5,4 % (Fink H.
Amerikanismen i m Wortschatz der deutschen Tagespresse, dargestellt am Beispiel
dreier überregionaler Zeitungen: Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktor-
würde der philosoph/Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz. —
1968. — S. 484).
126
Der Große Duden. — Mannheim, 1974. — Bd. 7.
127
Politisches Theater. Zur Herausgabe der Schriften Erwin Piscators // Neue
Deutsche Literatur. / Hrsg. Dr. K. Pfützner. — 1968. — S. 13.
128
Zindler H. Anglizismen in der deutschen Pressesprache nach 1945: Diss. —
Kiel, 1959. — S. 83; zitiert nach: Carstensen B. Englische Einflüsse... — S. 98.
129
Der Große Duden. — Mannheim, 1965. — Bd. 9. — S. 45.
130
Zitiert nach: Carstensen B. Englische Einflüsse... — S. 137.
131
Der Große Duden. — Mannheim, 1974. — Bd. 5.
132
Majorow А. P. Zur lexikalisch-semantischen Assimilation... — S. 119.
133
Universal Wörterbuch (Duden); zitiert nach: Розен Е. В. Н а пороге X X I века.
Н о в ы е слова и словосочетания в немецком языке. — М., 2000. — С. 134,135.
134
Ostenvinter R. Droht der deutschen Sprache die Anglisierung // Sprachspie-
gel. — 1 9 9 8 . — № 1; zitiert nach der Zeitung „Deutsch". — M., 2001. — № 14. —
S. 12,
135
13.
Wassenieher E. Woher? Ableitendes Wörterbuch der deutschen Sprache. —
13. Aufl. — Bonn, 1952. Die Unterscheidung des Lehngutes in Lehnwörter und
Fremdwörter ist auch beibehalten in den jüngeren Publikationen: Kleine Enzyklopä-
die. — 1983; Schippan Th. Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. — Tü-
bingen, 1992.
136
Зиндер Л. Р., Строева Т. В. Современный немецкий язык. —Л., 1941.—
С 319.
137
Зиндер Л. Р., Строева Т. В. Современный немецкий язык. — 3-е изд. —
М., 1381957. — С . 372.
Гранаттна Л. Ю. Иноязычные слова и их стилистическое использова-
ние 139
в современном немецком языке // Уч. зап. /1МШИИЯ.—М., 1956.—Т. X.
Das umfassende Wort unterscheidet sich vom vieldeutigen Fremdwort da-
durch, dass es sich „auch im Kontext nicht auf eine klar umrissene Bedeutung, einen
exakt abgrenzbaren Inhalt festlegen lässt". Für solche Wörter gebraucht Heller auch
den Ausdruck „Schwammwörter", z.B. raffiniert. (Heller K. Das Fremdwort... — S. 91).
2. WORTBILDUNG
79
Der Terminus „Modell" ist mehrdeutig. Die eine Grundbedeutung, dem
englischen Terminus „model" entsprechend, lässt sich erstens (mit verschie-
denen Varianten) als eine Theorie erschließen, ein hypothetisch deduktives
System als Analogon zum Original — im linguistischen Sinn — Analogon
der Sprache oder eines Teils in ihrem Bestand; zweitens als Art und Weise •
der linguistischen Analyse. Die dritte Bedeutung, die der Bedeutung des
englischen Wortes „pattern" entspricht, setzt ein Muster, ein Schema voraus,
nach dem sprachliche Einheiten gebildet werden. In diesem dritten Sinne
wird der Ausdruck „Modell" gern bei der konkreten Sprachanalyse wie auch
in der Methodik des Sprachunterrichts gebraucht. Von ihm ausgehend, defi-
nieren wir das Wortbildungsmodell als stabile Struktur, die über eine
verallgemeinerte lexikalisch-kategoriale Bedeutung verfügt und geeig-
net ist, mit verschiedenem lexikalischem Material (d.h. mit verschiede-
nen lexikalischen Stämmen) ausgefüllt zu werden5. Der Begriff des Wort-
bildungsmodells kann einen weiteren und einen engeren Umfang haben, je
nachdem ob ein stärkerer oder schwächerer Grad von Verallgemeinerung
und Abstraktion gemeint wird — die Grundbedeutung bleibt stabil (über die
Wortbildungsmodelle in der deutschen Gegenwartssprache siehe weiter un-
ten 2.4.4. — 5.1.). Die Modellierung der Wortbildung aus synchroner Sicht
kann sowohl dem prozessualen wie auch dem analytischen Aspekt der Wort-
analyse entsprechen. Im ersten Fall wird die Frage gestellt: Wie, nach wel-
chem Modell ist das Wort entstanden? Oder: Können nach diesem oder je-
nem Modell neue Wörter gebildet werden? (die letzte Frage entspricht den
Begriffen der Produktivität/Unproduktivität der Modelle). Im zweiten Fall
fragt man: Welchem Wortbildungsmodell entspricht die Struktur des Wor-
tes? Dabei muss betont werden, dass die Bestimmung des Wortbildungsmo-
dells im ersten Fall mit Schwierigkeiten verbunden ist, denn die heutige
Wortstruktur entspricht nicht immer der Entstehung des Wortes — z.B. die
„Scheinkomposita" (vom Standpunkt der Etymologie) - siehe oben, S. 79.
Die Frage aber, welchem Wortbildungsmodell die Wortstruktur heute ent-
spricht, lässt sich eindeutig beantworten, denn sie bezieht sich auf den ana-
lytischen Zustand des Wortschatzes, unabhängig davon, „wie" das eine oder
das andere Wort entstanden ist.
Der Begriff des Modells mit verallgemeinerter, von konkreter Füllung
abstrahierter Bedeutung entspricht dem Begriff „Wortbildungsart"; letzte-
re hat aber einen prozessualen Nebensinn, denn es handelt sich um die „Art
und Weise" der Entstehung eines Wortes.
Neben dem Begriff und dem Terminus „Modell" wird auch der Ausdruck
„Typ" gebraucht. In der Russistik versteht man unter „Wortbildungstyp" ein
„Wortbildungsmodell" im engeren Sinne des Wortes, das heißt, beschränkt
durch ein und dieselbe morphologische Wortart6. Prof. W. Fleischer definiert
den Wortbildungstyp als ein Muster, nach dem auch keine neuen Wörter ge-
bildet werden7. So wird das Modell nur als produktives Muster verstanden.
Die „Wortmotivation" ist ein semantischer Begriff, der teilweise dem
traditionellen Begriff „innere Wortform" entspricht; er hat aber einen rein
synchronen Charakter: es handelt sich um die Gegenwartssprache, nicht um
80
die Etymologie der Wörter. Motiviert können natürlicherweise nur Ablei-
tungen und Zusammensetzungen sein. Es gibt eine Meinung, dass die schall-
nachahmenden Wörter motiviert sind, unabhängig von ihrer morphologischen
Struktur — man vergleiche: der Kuckuck, ächzen, piepsen u.a.m. — es ist
aber eine ganz andere Art von Motivation, die sich auf die mit dem Wort
verbundenen Laute stützt.
Die Wortmotivation (im eigentlichen Sinn des Wortes) ist die Bedeu-
tung, die durch die Semantik des Wortbildungsmodells und die lexikalische
Bedeutung des primären Stammes (der primären Stämme) bestimmt wird,
z.B.: Arbeiter „ein Mann, der arbeitet", „ein arbeitender Mann" — die Mo-
tivation wird bestimmt durch die Semantik des suffixalen er-Modells (han-
delnde Person) und die Bedeutung des primären Stammes „arbeiten"; Zim-
mertür „die Tür des Zimmers" die Motivation entspricht der Semantik des
Modells einer Bestimmungszusammensetzung (in der die 1. Komponente die
2. Komponente näher bestimmt) und der Bedeutung der beiden primären
Stämme im Bestand des sekundären Stammes. Man vergleiche auch: Arbei-
terschaft „die Gesamtheit der Arbeiter"; Missernte „misslungene Ernte"; be-
freien „jmdn. freimachen"; goldähnlich „dem Golde ähnlich" u.a.m. Die
Wortmotivation nähert sich mehr oder weniger der gegenständlichen Bedeu-
tung des Wortes, fällt aber bei weitem nicht immer mit ihr zusammen. Es
gibt auch mehrere Wörter, deren Motivation nur im übertragenen Sinn zu
verstehen ist, z.B.: Goldherz „ein goldenes, d.h. ein gutes, liebevolles Herz",
Samtaugen „Augen wie Samt", himmelschreiend „schrecklich, unerhört",
bleischwer „sehr schwer", „schwer wie Blei" u.a. Die Wortmotivation kann
auch vollständig verdunkelt sein, z.B.: Ohrfeige, Junggeselle, höflich, iiber-
handnehmen u.a.m.
Die meisten Wortbildungsmodelle sind mehrdeutig, d.h. dass die Wort-
motivation beim Gebrauch ein und desselben Modells variiert. So kann das
substantivische suffixale er-Modell eine handelnde Person bezeichnen (z.B.
Arbeiter), ein unbelebtes zählbares Ding (z.B. Dampfer), einen abstrakten
Begriff (z.B. Seufzer); ein Bestimmungskompositum kann verschiedene Be-
ziehungen zum Ausdruck bringen (z.B. Handarbeit — instrumentale Fa-
brikarbeit — lokale Beziehung) u.a. Diese semantischen Besonderheiten der
Wortbildungsmodelle werden weiter unten erschlossen (siehe 2.5.1.).
Die drei nächsten Begriffe spiegeln verschiedene Meinungen und erhal-
ten verschiedene Definitionen wider.
Unter „Wortbildungsbedeutung" eines Lexems verstehen wir die Be-
deutung des Wortbildungsmodells, die in diesem Lexem realisiert wird,
d.h. dass sie mit der Wortmotivation aufs engste verbunden ist. So ist die
Wortbildungsbedeutung des Substantivs Lehrer — die Bedeutung der han-
delnden Person, des Substantivs Dampfer—eines unbelebten zählbaren Din-
ges, des Substantivs Seufzer — eines abstrakten Begriffes, des Komposi-
tums Handarbeit — der instrumentalen, des Kompositums Fabrikarbeit —
der lokalen Beziehung u.a.m.
Im allgemeinen kann man annehmen, dass die Suffixe eine kategoriale
Bedeutung, die Präfixe ein kategoriales Merkmal, die Bestimmungszusam-
6 2S76 81
mensetzung eine Beziehung zwischen zwei Gegenständen zum Ausdruck
bringen; Varianten ergeben sich aus der Bedeutung der konkreten Lexeme.
Der Begriff „Wortnest" berührt sich mit dem Begriff „Wortfamilie", der
in der klassischen Wortbildungstheorie gebraucht wurde, d.h. mit der ety-
mologischen Verwandtschaft der Wörter, die auf ein und dasselbe Wurzel-
wort zurückzuführen sind. Neu ist aber die Interpretation der „Wortfamilie"
vom Standpunkt der semantischen Beziehungen in der Gegenwartssprache.
Das „Wortnest" enthält die Wörter, die nicht nur etymologisch, sondern auch
semantisch verbunden sind. So gehövenfahren, Fahrer, Fahrt, Fahrerei, fahr-
bar, befahren u.a.m. zu ein und demselben Wortnest mitfahren als Zentrum,
während fertig, Furt u.a. heute außerhalb dieses Wortnestes stehen (über
den Begriff „Fächerung" siehe weiter 2.5.4.).
Der Begriff „Paradigma" gehört zu den Grundbegriffen der Grammatik.
Das morphologische Paradigma eines Wortes ist das geschlossene System
seiner grammatischen Formen. So gehören zum Paradigma des Substantivs
„Kind" dessen Kasus- und Pluralformen, zum Paradigma des starken Verbs
„halten" alle Formen, die seine temporalen, modalen, Personal-Genusfor-
men gestalten u.a.m. Zum Paradigma einer Wortart im allgemeinen gehören
alle diese Wortart gestaltenden morphologischen Formen. Auch in der Syn-
tax ist der Begriff des Paradigmas ausgearbeitet.
In der Wortbildung ist das Paradigma ein neuer Begriff, der verschie-
dene Schilderungen erhält. Wir schließen uns der Definition von B. Block
und G. L. Trager an: „Ein Paradigma ist jede Gruppe verwandter Wörter, die
von einem gemeinsamen Stamm mit Hilfe aller an diesen Stamm anfügbaren
Affixe gebildet sind"8, nur muss hinzugefügt werden, dass die zu dieser Grup-
pe gehörenden Wörter mit dem Grundlexem semantisch verbunden sind. Das
heißt, dass das Paradigma die 1. Stufe eines Wortbildungsnestes darstellt. So
gehören zum Wortbildungsparadigma des Verbs lehren folgende Ableitun-
gen: Lehrer, Lehrling, Lehre, lehrhaft, lehrbar, gelehrig, belehren, mit ande-
ren Worten substantivische suffixale Modelle mit -er, -ling, -e, adjektivische
suffixale Modelle mit -haft und -bar, das adjektivische präfixal-suffixale
Modell mit ge- und -ig, das verbale präfixale Modell mit be-. Die Zusam-
mensetzungen werden nicht in Betracht gezogen, da sie ein „offenes" Sy-
stem bilden. Die Ableitungen weiterer Stufen bilden das Paradigma des ent-
sprechenden abgeleiteten Wortes: so gehören Lehrerin, Lehrerschaft zum
Paradigma des suffixalen Wortes Lehrer, Belehrung zum Paradigma des prä-
fixalen Verbs belehren u.a.m.
Zum Wortbildungsparadigma einer Wortart gehören alle für sie mögli-
chen Wortbildungsmodelle.
Man kann das Wortbildungsparadigma mit den morphologischen Para-
digmen eines einzelnen Wortes und jeder Wortart vergleichen: so gehören
zum morphologischen Paradigma des Substantivs Lehrer die Form des Geni-
tivs Singular Lehrers und des Dativs Plural Lehrern; zum morphologischen
Paradigma des Substantivs alle ihm eigenen Kasus- und Pluralformen u.a.m.
Die dynamischen Prozesse in der synchronen Wortbildung finden ihren
Ausdruck in mehreren Erscheinungen. So gibt es periphere Wortbildungs-
82
modeile, die bald zu einem, bald zu einem anderen Gebiet zu zählen sind
(siehe weiter unten 2.4.4.4.)- Auch lassen sich neue Modelle und neue Re-
geln der Füllung der Modelle beachten, die in Neologismen und Okkasiona-
lismen erscheinen, wobei andere Modelle archaischen Charakter gewinnen:
die Spracherscheinungen schwanken zwischen „Regellosigkeit" und „Re-
gelhaftigkeit", was jedoch die Grundgesetzmäßigkeiten der sprachlichen
Norm nicht verletzt.
85
der Häufigkeit der Verwendung der entsprechenden Modelle in der Gegen-
wartssprache, d.h. von ihren quantitativen Besonderheiten. In der traditio-
nellen Grammatik überwiegt die Tendenz, von den Einzelbelegen und nicht
vom Ganzen auszugehen: der Mangel an Systembetrachtung der Sprache
wird in der modernen Sprachwissenschaft „Atomismus der Junggrammati-
ker" genannt. Zu betonen ist ebenfalls, dass bei der Sprachanalyse, die für
die Vertreter der traditionellen Theorie typisch ist, die Intuition des Sprach-
forschers eine besonders große Rolle spielte; diese Intuition führte oft zu
richtigen Schlussfolgerungen, jedoch die expliziten Methoden blieben ihnen
noch fern.
87
Nach К. Baidinger und L. Weisgerber gehen auch W. Porzig30, H. Geckeier31
u.a. von gleicher Konzeption aus.
Obgleich die Einstellungen der „strukturellen" und der „inhaltbezoge-
nen" Wortbildungslehre grundverschieden sind, haben beide Linien in der
Entwicklung dieser Lehre einige gemeinsame Züge: eine konsequent durch-
geführte synchrone Sprachbetrachtung und die Beleuchtung der Wortbildung
unter analytischem Aspekt. Beide Besonderheiten erscheinen als eine Art
Reaktion gegen die traditionelle Theorie und lassen sich als positiv einschät-
zen.
Es sei bemerkt, dass die inhaltbezogene Theorie auch in der BRD jetzt
nicht mehr populär istNur die oben genannte große Arbeit „Deutsche Wort-
bildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache" (siehe S. 84) steht
noch teilweise unter dem Einfluss der „inhaltbezogenen Wortbildung", ent-
hält dabei umfangreiches Material, das objektiv analysiert wird.
Als Übergang von der Tradition zu der neuen Auffassung der Wortbil-
dung ist das Werk von W. Henzen anzusehen, dessen „Deutsche Wortbil-
dung" in drei Auflagen erschienen ist (siehe oben, S. 84), wobei jede dieser
Auflagen „moderner" als die ihr vorangehende ist. So verzichtet der Verfas-
ser seit der 2. Auflage auf die traditionelle Vereinigung der Präfixbildung
mit der Zusammensetzung wegen der „Unterordnung des historischen Ge-
sichtspunktes unter einen funktionellen". Die 3. Auflage enthält „Ergänzun-
gen zu den einzelnen Abschnitten" (Hinweis auf weitere Abhandlungen),
womit das Ziel verfolgt wird, neuere Einstellungen oder Ergebnisse der For-
schungen kurz anzudeuten32. Eine diachrone Einstellung ist in allen drei Auf-
lagen deutlich zu bemerken — die Wortbildungsarten und -mittel werden
historisch beleuchtet; es werden aber auch Strukturen angegeben, die für die
Sprache der Gegenwart typisch sind, wobei zahlreiche Belege aus der Ge-
genwartssprache angeführt werden.
In der ehemaligen DDR hat sich in den 60er — 70er Jahren eine struktu-
rell-semantische und funktionale Einstellung der Sprachwissenschaft ent-
wickelt, was auch für die Wortbildungstheorie gilt. W. Jung hält sich noch in
dem Teil seiner Grammatik, in dem die Wortbildung geschildert wird, an
den historischen Aspekt; auch gibt er knappe historische Erläuterungen in
Bezug auf die Herkunft der Wortbildungsmittel und der einzelnen Wörter.
Andererseits behandelt er kurz den Bau des Wortes und widmet besondere
Aufmerksamkeit den Tendenzen in der Wortbildung der Gegenwart33, z.B.
der „Entstehung" der Zusammensetzungen mit einer substantivischen Plu-
ralform als erste Komponente, — Typ Gästehaus (was auch W. Henzen un-
ter dem Terminus „Pluralkomposita" erwähnt), mit Personennamen — Typ
Goethehaus; der Kurzwörter, der einfachen desubstantivischen Verben ne-
ben Ableitungen mit -ieren, -isieren — Typ lacken (vgl. lackieren), pulvern
(vgl. pulverisieren) u.a.m. Bemerkenswert ist auch, dass bei der allgemeinen
Schilderung „der Wörter und des Wortschatzes" (womit der Teil „Wortbil-
dung" beginnt) die „Wortfelder" kurz erwähnt werden.
Die Arbeiten mancher Sprachforscher weisen eine strukturell-semanti-
sche Einstellung auf; dabei findet das Streben, die Sprachtheorie auf der
88
materialistischen Sprachauffassung aufzubauen, auch auf diesem Gebiet sei-
nen Ausdruck. Von besonderer Bedeutung sind die der Wortbildung gewid-
meten zahlreichen Aufsätze von W. Fleischer und in erster Linie seine „Wort-
bildung der deutschen Gegenwartssprache" — ein Buch, das dieses Gebiet
sehr ausführlich darstellt und es dabei von verschiedenen Seiten und anhand
von Belegen aus Presse und schöner Literatur der neuesten Zeit beleuchtet34
W.Fleischer bricht nicht vollständig mit der Tradition, er wendet aber auch
manche Methoden an, die die moderne Sprachwissenschaft kennzeichnen
und damit die Wortbildungslehre mit den aktuellen Problemen der Sprach-
wissenschaft verbindet. Im Zusammenhang mit der Wortbildung werden sol-
che Probleme behandelt, wie die Bezeichnungsstruktur des Wortes und das
Abbild, die Entstehung neuer Wörter im allgemeinen, die Wortmotivation
u.a.m. Das Grundziel des Buches ist eine synchrone Darstellung der deut-
schen Gegenwartssprache, dabei bedient sich der Verfasser solcher Metho-
den der Wortanalyse wie der Zerlegung der Wortstämme in die unmittelba-
ren Konstituenten, Transformation, Distribution, Modellierung. Von großem
Wert sind die Belege, die den deutschen Wortschatz der Gegenwart in sei-
nem Werden darstellen, wie auch Hinweise auf die stilistischen Aspekte der
Wortbildung. W. Fleischer gebraucht teilweise die traditionellen Klassifika-
tionen und Begriffe, wenn auch einige von ihnen wie z.B. die Betrachtung
der Possessivkomposita als eines dritten Typs der Zusammensetzung neben
den Determinativ- und Kopulativkomposita und die Termini „eigentliche"
und „uneigentliche" Zusammensetzungen u.a.m. überarbeitet werden. Be-
sondere Aufmerksamkeit widmet der Verfasser dem Übergang der Kompo-
nenten der Komposita in Wortbildungsmittel (siehe weiter unten S. 116),
was den neuen Tendenzen der Wortbildungstheorie entspricht. Was die Aspek-
te der Wortbildungsanalyse angeht, so nimmt W. Fleischer, wie oben gesagt,
das Vorhandensein des „prozessualen" und „analytischen" Aspektes an. Es
ist zu betonen, dass der Verfasser der Tradition der deutschen Sprachlehre
entsprechend die Präfixbildung aus der Ableitung ausschließt, wenn er sie
auch mit der Zusammensetzung nicht identifiziert, d.h. er sondert im Allge-
meinen drei Grundarten der Wortbildung aus: Zusammensetzung, Ableitung,
Präfixbildung (dasselbe gilt für W.Henzen — siehe die 2. und 3. Auflage
seiner „Deutschen Wortbildung" — W. Jung und andere deutsche Germani-
sten). Speziell zu erwähnen sind mehrere Aufsätze von W. Fleischer wie z.B.
„Tendenzen der deutschen Wortbildung". In diesem Aufsatz werden einige
häufig gewordene Konstruktionen erwähnt wie die „Verdichtung" einer syn-
taktischen Wortverbindung zu einem einzigen Wort-Typ Lese-Blatt-Samm-
lung; lautlich-grafische Reduktion und Kürzung Schirm (neben Regenschirm),
verbale Präfixbildungen zu Fremdwörtern-Тур verkomplizieren u.a.m. Auch
wird das Entstehen neuer Affixe erwähnt, darunter die „Morphematisierung"
fremdsprachiger Elemente Typ mini- in Minilok, -koffer u.a. Zum Schluss
behandelt der Verfasser „die ständige Entwicklung von Isolierungen und
unikalen Morphemen" und auch Erscheinungen, die jetzt noch als „Störun-
gen des Systems" empfunden werden, in Wirklichkeit aber bestimmten Ge-
setzmäßigkeiten folgen: „das entspricht dem Wesen der Sprache und dem
89
Charakter ihrer durch außersprachliche Faktoren bestimmten Entwicklung"35.
Die letzte Äußerung wie auch die Schilderung des heutigen Wortbildungs-
systems in seiner Verbindung mit extralinguistischen Momenten gehören zu
einem neuen Gebiet in der Wortbildungstheorie: Es handelt sich um ihre
Funktion als eines Teils der Soziolinguistik, die im Mittelpunkt des Interes-
ses der Sprachforscher verschiedener Länder steht.
Die pragmatische Einstellung der Wortbildung kommt im Aufsatz von
W. Fleischer „Konnotation und Ideologiegebundenheit in ihrem Verhältnis
zu Sprachsystem und Text"36 zum Ausdruck: da werden sowohl fertige
Lexeme als auch „Typen von Formativstrukturen" von diesem Standpunkt
aus behandelt37. Eine besonders ausführliche Beschreibung der deutschen
Wortbildung finden wir in den Teilen des Buches „Теоретические основы
словообразования в немецком языке", die W. Fleischer geschrieben hat38.
Zum Schluss muss betont werden, dass der Wortbildung in der deutsch-
sprachigen Germanistik viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es lässt sich
immer deutlicher fühlen, dass Struktur und Semantik im Sinne der gegen-
ständlichen Bezogenheit und kommunikativen Funktion der sprachlichen
Zeichen eng miteinander verbunden sind, was als Grundlage einer einheitli-
chen Forschungsrichtung dienen kann.
90
sehen Wortbildung gewidmet ist, im Jahre 1953 erschienen. In den letzten
Jahrzehnten herrscht eine deutlich von der Diachronie getrennte synchrone
Auffassung der Wortbildung. Ihr werden viele Dissertationen und Aufsätze
gewidmet. Auch ist das erste Wörterbuch erschienen, das speziell der Wort-
bildung gewidmet ist42. Das Wörterbuch enthält 770 Wortbildungselemente,
ihre allgemeine Charakteristik, Beispiele mit der Übersetzung ins Russische:
es kann als eine kurz gefasste Enzyklopädie der deutschen Wortbildung cha-
rakterisiert werden.
2.4.1. MORPHEMANALYSE
Das Wort als komplexe Ganzheit besteht aus kleineren strukturellen Bau-
elementen und zwar aus Morphemen, die man als „kleinste bedeutungstra-
gende sprachliche Einheiten" definieren kann, und die zum Unterschied von
den Gegenstand der Lautlehre bildenden Phonemen und Silben, zur Mor-
phologie (im weiteren Sinne des Wortes, d.h. zur Flexion und Wortbildung)
gehören. Dieser Definition, die wir auch in der klassischen rassischen Gram-
matik finden49, widersprechen nicht die Definitionen in der modernen Lin-
guistik, die deskriptive Linguistik mitgezählt50. In der klassischen deutschen
Germanistik wurde die Morphemanalyse als solche nicht durchgeführt und
der Begriff des Morphems nicht erschlossen, obwohl die einzelnen form-
und wortbildenden Elemente ausführlich behandelt wurden. Zum Unterschied
von der traditionellen Sprachlehre beschäftigen sich die Germanisten unse-
rer Zeit mit allen Fragen des Morphembestandes des Wortes, unabhängig
davon, welche "Linie" oder welchen „Aspekt" sie vertreten. In unserer Ger-
manistik wird der Morphemanalyse besondere Aufmerksamkeit geschenkt,
und sie wird sowohl auf dem Gebiet der Grammatik als auch auf dem Gebiet
der Wortbildung konsequent durchgeführt, was nicht nur den Forderungen
der modernen Sprachwissenschaft entspricht, sondern auch die Tradition der
klassischen rassischen Grammatik fortsetzt. Was die germanischen Sprachen
betrifft (d.h. ein weites Gebiet umfassend), so sind die Arbeiten von E.S. Kub-
rjakova von besonderem Interesse.
Es muss betont werden, dass manche Aspekte der Morphemanalyse auf
eine neue Art und recht ausführlich untersucht worden sind. Das ist teilwei-
se den Bemühungen der Vertreter der amerikanischen deskriptiven Lingui-
stik zu verdanken, obwohl manche von ihren Grundthesen nicht anzuneh-
men sind. Zu diesen Thesen gehört in erster Linie die Meinung, nicht das
Wort, sondern das Morphem sei die grundlegende sprachliche Einheit, das
Wort aber bloß eine Morphemkonstruktion, eine Folge oder Sequenz von
Morphemen wie auch jede syntaktische Fügung. Diese These, die in der
deskriptiven Fachliteratur ebenfalls bei weitem nicht konsequent beibehal-
ten wird, widerspricht der realen Funktion der Sprache als des Mittels der
Gestaltung und der Wiedergabe unserer Gedanken. Wir denken nicht mit
Hilfe von Morphemen, sondern bedienen uns der Wörter in ihrer gegen-
ständlichen Bezogenheit; wir benennen die Gegenstände und Erscheinun-
gen der realen Welt mit Wörtern und nicht mit Morphemen. Sogar in dem
92
Fall, wenn das Wort nur aus einem Morphem besteht (d.h. wenn es ein Wur-
zelwort ist), ist es mit diesem Morphem nicht identisch, denn nicht das Wur-
zelmorphem erscheint in der Paradigmatik als Komplex von grammatischen
Formen, in der Syntagmatik als Träger einer bestimmten grammatischen
Bedeutung, sondern das Wort; an der Wortbildung nimmt dagegen nicht das
Wort, sondern das Wurzelmorphem teil. Abgesehen von dieser wie auch von
einigen anderen nicht überzeugenden Thesen (siehe weiter unten) spielt der
von den Deskriptivisten ausgearbeitete Apparat der Morphemanalyse in der
modernen Linguistik eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Oben wurde das Morphem als kleinste bedeutungstragende sprachliche
Einheit definiert.
Die nächste Frage der Morphemtheorie bezieht sich auf die Funktion der
in der Sprache vorhandenen Morpheme. In der deskriptiven Linguistik wer-
den sie in der Regel in zwei Klassen eingeteilt: in freie und gebundene Mor-
pheme. Eine gleiche Einteilung gibt auch W. Fleischer, aber mit einer weite-
ren Systematisierung51. Die freien Morpheme können, wie er schreibt, allein
als Grundmorpheme den lexikalischen Stamm des Wortes bilden, die gebun-
denen Morpheme erscheinen nur in Verbindung mit freien Morphemen. Es
kann aber eine andere Einteilung vorgeschlagen werden, die Einteilung in
lexikalische und grammatische Morpheme, die sich mit der obigen kreuzt,
ohne mit ihr zusammenzufallen. Die ersten konstituieren den lexikalischen
Stamm (die lexikalische Basis) des Wortes, d.h., dass sie den Träger seiner
gegenständlichen Bezogenheit gestalten; die zweiten drücken die grammati-
sche Bedeutung im Kommunikationsprozess aus. Die lexikalischen Mor-
pheme können frei und gebunden sein; im ersten Fall sind es Wurzelmorph-
eme, im zweiten Fall lexikalische (wortbildende) Präfixe und Suffixe; die
grammatischen Morpheme sind immer an den lexikalischen Stamm gebun-
den. Eine solche Einteilung, die als der sprachlichen Realität entsprechend
anzunehmen ist, ist aber mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Erstens
sind die lexikalischen Morpheme nicht immer einwandfrei von den gram-
matischen zu trennen. Ein Problem bildet das Suffix des Infinitivs -en. In
unserer Germanistik wird es, wie oben bereits erwähnt, zu den grammati-
schen Morphemen gezählt. W. Fleischer meint, es handle sich einerseits um
ein Wortbildungsmorphem, andererseits im System der Flexionsformen des
Verbes um ein Flexionsmorphem52. Auch andere Fälle wären zu erwähnen
wie z.B. die Suffixe der Steigerung, denn diese Kategorie wird manchmal
als grammatische, machmal als wortbildende Kategorie betrachtet (strittig
ist in erster Linie der Elativ, der in der Regel eine lexikalisierte Form dar-
stellt, man vgl.: im äußersten Norden, aufs Schlimmste gefasst sein u.a.m.).
Im Deutschen lassen sich die Morpheme in linearer Verbindung meist
leicht voneinander abgrenzen, d.h., dass auch das Grundmorphem leicht aus-
zusondern ist. Es gibt aber Fälle, wo es immer „gebunden" ist: Das bezieht
sich in erster Linie auf die verbale Wurzel, die (wie auch jeder andere verba-
le Stamm) ohne grammatisches Morphem nicht erscheint (mit Ausnahme
von einigen Fällen, wo der Imperativ Singular mit dem Stamm zusammen-
fällt: Komm! Geh! Schreib!). „Gebunden" sind auch einige Wurzelmorphe-
93
me neben dem unbetonten Suffix -e, das leicht eliminiert wird: Affe —Affin,
Erde — Erdball u.a.m. (eliminiert werden können auch andere Endlaute —
siehe weiter unten).
Die gebundenen grammatischen Morpheme bilden ein geschlossenes
System, was sich jedoch auf die gebundenen lexikalischen Morpheme nicht
vorbehaltlos bezieht. Einerseits gibt es solche Affixe, die sich nur noch iso-
liert erhalten haben (Zier-de; Wüte-rich); andererseits beobachten wir einen
interessanten Prozess, den W. Fleischer „Morphematisierung fremdsprachi-
ger Elemente" nennt. Als solche erwähnt er z.B. tele-(Teleklub, Television),
mini-(Minirock, Ministraßenbahn u.a.). Auch die sogenannten Halbaffixe
(siehe weiter unten) bilden kein deutlich umrissenes System, denn einige
von ihnen verlieren in verschiedenem Maße ihre Verbindung mit den ihnen
entsprechenden Wörtern, die anderen stehen noch den Komponenten einer
Zusammensetzung nahe.
Ein besonderes Problem ist das Problem „des Nullmorphems", das ei-
gentlich zum grammatischen System gehört, manchmal aber auch im Zu-
sammenhang mit der Wortbildung erwähnt wird. In der Grammatik versteht
man unter der „Nullform" eines Wortes eine grammatische Form, die durch
kein gebundenes Morphem gestaltet ist, z.B. Komm! (Imperativ Singular),
(ich lese) das Buch (Akkusativ Singular), (das Kind ist) krank (kurze Form
eines Adjektivs) u.a.m. Die Nullformen existieren nur in dem Fall, wenn sie
flektierten Formen in ein und demselben Paradigma gegenübergestellt wer-
den, vgl. komm! im verbalen, Buch im substantivischen, krank im adjektivi-
schen Paradigma. Die Nullform wird durch das Fehlen eines grammatischen
Morphems, mit anderen Worten, durch ein „Nullmorphem" gestaltet, denn
das Fehlen eines Morphems ist im Vergleich mit den durch Morpheme ge-
kennzeichneten Formen ein Zeichen der grammatischen Bedeutung. Was die
Wortbildung angeht, so wird manchmal die Meinung geäußert, dass die af-
fixlose oder implizite Ableitung mit Hilfe eines „Nullmorphems" ihren Aus-
druck findet53, was uns aber strittig zu sein scheint, denn hier werden ganz
unterschiedliche sprachliche Fakten identifiziert.
Die Identität der Morpheme und ihre Kriterien gehören zu den Fragen,
die in der deskriptiven Linguistik ausführlich beleuchtet wurden. An und für
sich ist das Problem nicht neu. Es ist allgemein bekannt, dass sich das Wur-
zelmorphem eines Wortes bei der grammatischen Abwandlung verändern
kann, wobei die lexikalische Bedeutung des Wortes stabil bleibt, z.B. lesen —
las, (du) liest u.a. bei den Verben; Haus — Häuser bei den Substantiven;
stark — stärker bei den Adjektiven. In der deskriptiven Linguistik wird das
Morphem als Komplex betrachtet, als eine Gesamtheit von Varianten, die als
dessen Manifestierung in konkreter Umgebung realisiert werden. Diese Va-
rianten werden Allomorphe oder Morphemalternanten genannt. Als Kriteri-
en der Identität des Morphems (d.h. auch der Definition eines Allomorphs)
werden genannt: 1. gleiche Bedeutung; 2. komplementäre Distribution;
3. das Auftreten in parallelen Konstruktionen54.
Wie bekannt, ist die Distribution die Summe aller Kontexte, in denen
eine sprachliche Einheit gebraucht wird, zum Unterschied von den Kontex-
94
ten, in denen sie nicht erscheinen kann. Die komplementäre Distribution ist
die Umgebung einer sprachlichen Einheit, die die Umgebung aller übrigen
sprachlichen Einheiten ausschließt: Im gegebenen Fall heißt es, dass jedes
Allomorph in einer solchen Umgebung gebraucht werden kann, die für die
übrigen Allomorphe des betreffenden Morphems nicht möglich ist. So kann
z.B. das Allomorph./wzd — (finden) in der Distribution des Präteritums (man
vgl. fand-) oder des Partizips (gefunden) nicht erscheinen; dagegen gilt für
fand- nur die Distribution des Präteritums, für -fand—des Partizips П; haus
ist an den Singular, häus- an den Plural gebunden u.a.m.
Die phonematische Ähnlichkeit oder Nichtähnlichkeit der Allomorphe
wird nicht in Betracht gezogen. In der Sprachwissenschaft unseres Landes
wird im Gegenteil anerkannt, dass das Vorhandensein von Allomorphen durch
ihre phonematische Ähnlichkeit bedingt sein muss, d.h. dass das Vorhan-
densein einer phonematischen Invariante als viertes Kriterium der Identität
des Morphems anzunehmen ist55. Von diesem Standpunkt aus enthalten die
suppletiven grammatischen Formen (sein, ich bin ... war, gut, besser u.a.)
keine Allomorphe, sondern unterschiedliche Wurzelmorpheme, die in ein
und demselben Paradigma vereinigt werden (zum Unterschied von lesen, du
liest — las; klug — klüger u. a. m., wo man es mit Allomorphen ein und
desselben Morphems zu tun hat). Auch sind die Verkleinerongssuffixe -chen
und -lein wie auch die partizipialen Suffixe -en und -t keine Allomorphe,
sondern verschiedene Morpheme, obwohl sie gleiche Funktionen erfüllen.
Das Vorhandensein von Allomorphen ist typisch für die Wurzelmorpheme
der starken Verben, auch oft der Substantive und der Adjektive. Dabei gilt
für die grammatische Abwandlung der Verben der Ablaut, die Tonerhöhung
und der Umlaut, z.B. geben — (du) gibst, gabst, gäbest, der Substantive und
der Adjektive nur der Umlaut, z.B. Schrank — Schränke, stark — stärker.
Die Allomorphe kennzeichnen auch manche Wurzelmorpheme bei der Wort-
bildung, wobei hier dieselben Prinzipien gelten wie bei der grammatischen
Abwandlung, wenn auch mit einigen Besonderheiten: stabil bleiben aber
immer die komplementäre Distribution und die phonematische Invariante.
Die Semantik kann mehr oder weniger variieren im Zusammenhang mit den
entsprechenden Wortbildungsprozessen, wobei aber das Wurzelmorphem
durch eine semantische Invariante gekennzeichnet wird, die das „Wortbil-
dungsnest" zusammenhält, man vgl.: der Garten — der Gärtner (ein Mann,
dessen Tätigkeit mit Gärten verbunden ist); der Berg — das Gebirge (meh-
rere Berge, eine Gesamtheit von Bergen); das Haus — das Gehäuse (Be-
hältnis nach der Art eines Hauses); singen — der Sänger (jmd., der singt);
warm — wärmen (warm machen); springen — der Sprung (die dem „sprin-
gen" entsprechende Aktion, gegenständlich gedacht) u.a.m. Während sich
die Sprache entwickelt, kann die semantische Verbindung zwischen den ety-
mologisch verwandten Wörtern verschwinden, und die Allomorphe des
Wurzelmorphems verwandeln sich in homonyme Wurzelmorpheme, z.B. Gift—
geben, Mitgift, Hof— höflich u.a.m.
Speziell ist zu betonen, dass die Allomorphe in der Wortbildung oft den
Allomorphen bei der grammatischen Abwandlung des Wurzelwortes ent-
95
sprechen, man vergleiche: der Garten — die Gärten und der Gärtner, der
Kranz — die Kränze und bekränzen; das Buch — die Bücher und das Büch-
lein; klug — klüger und ausklügeln; groß — größer und die Größe; stark —
stärker und die Stärke, stärken; trinken — trank — tränke — getrunken und
der Trinker, der Trank, der Trunk, tränken; bergen — birgst und der Berg,
das Gebirge; binden — band — bände — gebunden und die Binde, der
Band — die Bände, der Bund u.a.m.
Was das Kriterium „parallele" Konstruktionen angeht, so kommt es in
der Wortbildung nicht so konsequent wie bei der grammatischen Abwand-
lung zum Ausdruck. Wie schon gezeigt wurde, sind die Allomorphe in der
Grammatik und in der Worbildung identisch, aber das heißt durchaus nicht,
dass hier eine vollständige Symmetrie vorherrscht. So gibt es Fälle, wo ei-
nem in der Grammatik polyallomorphen Morphem nur ein monoallomor-
phes Morphem in der Wortbildung entspricht, und umgekehrt, man vgl.:
werben — wirbst — warb — würbe — geworben und die Werbung, der
Bewerber; klar — klarer und klären; Schule — Schulen und der Schüler
u.a.m. Diese Assymetrie lässt sich durch komplizierte historische Prozesse
erklären, die mit der Wortbildung verbunden sind.
Für die gebundenen Wortbildungsmorpheme (Präfixe und Suffixe) gel-
ten die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Morphemvariierung nicht. Nur
in einigen Fällen lässt sich eine ähnliche Erscheinung aussondern, wenn ne-
ben einem älteren Suffix, dessen Verbindung mit einem anderen Suffix oder
eine Verschmelzung mit dem Auslaut des Wortstammes im Wortbildungssy-
stem vorhanden sind; vgl.: -er, -ler, -ner, -aner, -ianer, -enser; -heit, -keit,
-igkeit; -ei, -erei, -elei u.a.m. In der Regel haben solche Suffixvarianten glei-
che kategoriale Bedeutung (siehe weiter unten) und werden durch komple-
mentäre Distribution gekennzeichnet, denn sie treten an verschiedene Stäm-
me — Lehr-er, Künst-ler, Schaff-ner, Amerik-aner, Hall-enser, Frei-heit,
Fröhlich-keit, Arbeitslos-igkeit, oder (wenn sie an ein und denselben Stamm
angehängt werden) verleihen sie den Wörtern verschiedene Bedeutung Neu-
heit — Neuigkeit. Was die Präfixe anbelangt, so verfügt die deutsche Spra-
che der Gegenwart nur über ein einziges Beispiel solcher Variation, und
zwar miss-: Misserfolg, -ernte, -ton, -laune usw. und Misse-tat. Präfixale
Allomorphe erscheinen in Entlehnungen: ad — assimilieren, Assistent, in —
illegal, irregulär56.
Wie bereits gesagt, lassen sich die deutschen Wörter im allgemeinen leicht
in Morpheme zerlegen; dabei hat jedes Morphem seinen eigenen Inhalt. Es
gibt aber auch Fälle, wo die Morphemanalyse mit Schwierigkeiten verbun-
den ist. Diese Fälle lassen sich nicht eindeutig erklären. Allgemein bekannt
ist, dass ein Kompositum oft Fugenelemente (Bindelemente) enthält, die die
beiden Komponenten miteinander verknüpfen. Formell fallen sie mit den
grammatischen Morphemen zusammen, und zwar mit den genitivischen Fle-
xionen oder den Pluralsuffixen der Substantive: -(e)s, -{e)n, -er, -e, -ens (sel-
ten), was ihrer Herkunft auch entspricht; (teilweise erscheint -e als Rest ei-
nes stammbildenden Elementes, vgl.: fr. nhd. gras-e-mücke, tag-e-lön; auch
nach einem verbalen Stamm wie in Werdegang, Nagetier u.a.m.).
96
In den meisten Fällen entspricht auch jetzt das Fugenelement den gram-
matischen Morphemen der ersten Komponente, vgl.: Tageslicht, Menschen-
kraft, Bücherschrank, Pferdestall. Als Ausnahmen sind zu nennen: das „un-
organische ,s'" nach einer Konstituente weiblichen Geschlechts, oft nach
„schweren" Suffixen, d.h. solchen, die mehrere Konsonanten enthalten: Wirt-
schaftsplan, Erholungsheim, Freiheitskampf u.a. und auch nach der Konsti-
tuente liebe — Liebesdienst, Liebespaar u.a. oder -n als Rest alter Kasusfor-
men Sonnenstrahl, Schwanenlied. Was die Semantik anbelangt, so entspricht
das Fugenelement bei weitem nicht immer der genitivischen oder der plura-
lischen Bedeutung der Verbindung, man vgl.: Jägersmann, Lieblingsbuch,
Kinderkopf, Städtename usw. Auch fehlt das Fugenelement da, wo es zu
erwarten wäre {Augapfel, Hausflur; schließlich gibt es strukturelle Varian-
ten mit gleicher Bedeutung (Schiff- und Schiffsbau, Herz- und Herzensbru-
der u.a.m.). So kann man zur Schlussfolgerung kommen, das Fugenelement
sei in der Gegenwartssprache kein regelrechtes Morphem, sondern nur ein
fakultatives Funktionszeichen der Verbindung von zwei Konstituenten mit-
einander, das teilweise infolge einer historischen Tradition, teilweise aus pho-
netischen Gründen, dabei aber bei weitem nicht immer konsequent genug
gebraucht wird. Das heißt, dass das Fugenelement eine Art von „leerem
Morph", ein strukturelles Element ohne Inhalt darstellt. Dasselbe gilt für das
„unorganische t" (auch „Übergangslaut" oder „Gleit-t" genannt): Dieses t
erscheint aus rein phonetischen Gründen innerhalb des Wortstammes zwi-
schen der Lautverbindung -en, -ne und einem wortbildenden Element: we-
sentlich, eigentlich, -wöchentlich; meinet-, deinetwegen u.a.m.
Eine andere Erscheinung liegt in den Fällen vor, wo neben einem regel-
rechten Wurzelmorphem oder einem Wortbildungselement sich ein Lautkom-
plex aussondern lässt, der weder zu der ersten noch zu der zweiten Art von
Morphemen gezählt werden kann. Das Wurzelmorphem kann natürlicher-
weise an der Komposition und an der affixalen Ableitung teilnehmen, aber
als Test bleibt die Möglichkeit, es als einziges stammbildendes Morphem zu
gebrauchen; vgl.: Lebensglück, Unglück, glücklich und das Substantiv Glück,
dessen Stamm dem Wurzelmorphem glück identisch ist. Gebundene Wort-
bildungsmorpheme — Präfixe und Suffixe — besitzen die Fähigkeit, serien-
weise in verschiedenen Wörtern zu erscheinen, wobei sie ihnen in der Regel
eine bestimmte kategoriale Bedeutung verleihen, man vgl.: Unglück, Un-
sinn, Undank (negative Bedeutung); rötlich, ärmlich, ältlich, säuerlich (Mil-
derung des durch das Grandmorphem ausgedrückten Merkmals). Ganz an-
ders steht es mit den Lautkomplexen innerhalb der Wortstämme, die weder
den Kriterien der Wurzelmorpheme noch der Wortbildungsaffixe entspre-
chen. Solche Lautkomplexe können unikalen Charakter haben oder in einer
ganzen Gruppe von Wörtern erscheinen. Unikalen Charakter haben Laut-
komplexe neben Wortstämmen: -gam in Bräutigam, -gall in Nachtigall, de-
inpemut u.a.m. und neben Wortbildungsaffixen:/<?>1'- in Ferkel, löff- in Löffel,
-ziefer in Ungeziefer, -geheuer in Ungeheuer, -ginnen in beginnen, -He?-en
in verlieren, -gessen in vergessen u.a.m. Solche Lautkomplexe erhalten in
der Fachliteratur verschiedene Benennungen: „Quasi morphe", „Submor-
7
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phe" u.a. Unserer Meinung nach ist hier der Ausdruck „Restelement" be-
rechtigt, obgleich solche Lautkomplexe historisch auf Morpheme zurückzu-
führen sind: in der Synchronie sind es unikale „Reste", die sich nach dem
Abstreichen der Wurzel- oder Wortbildungsmorpheme aussondern lassen.
Solche Wörter sind als Ganzheiten nur teilweise motiviert {Nachtigall ist
mit der Nacht verbunden; Ungeheuer hat negative Bedeutung u.a.m.) und
gehören zu den peripheren Gebilden, die den Wurzelwörtern naheliegen.
Eine andere Art von Lautkomplexen stellen solche Elemente dar, die eben-
falls nicht den Kriterien der regelrechten Morpheme entsprechen, aber zum
Unterschied von den „Restelementen" keinen unikalen Charakter haben: Sie
erscheinen in einem ganzen Wortnest neben verschiedenen Affixen. Solche
Wortnester sind zahlreich im Bestand der Entlehnungen, die mehr oder we-
niger eingedeutscht sind wie auch die entsprechenden Wortbildungsaffixe,
man vgl.: studieren, Student, Studium; demonstrieren, Demonstrant, Demon-
stration; elektrisch, Elektrizität, Elektrik u.a. Die Lautkomplexe stud-, de-
monst-, elektr- u.a. schlagen wir vor, „Pseudowurzeln" zu nennen, denn,
obgleich sie immer an Affixe gebunden sind, verleihen sie den Wörtern des
Wortnestes, die einander gegenseitig motivieren, ein und dieselbe Grundbe-
deutung.
Auch im Bestand der Entlehnungen gibt es Wörter mit unikalen „Rest-
elementen" wie bar- in Baron, balk- in Balkon u.a. Speziell sind Wörter zu
nennen, die aus zwei gebundenen Elementen bestehen, wobei schwer zu
bestimmen ist, welches Element als Pseudowurzel zu betrachten ist, man
vgl.: Kosmodrom, Kosmonaut, Aerodrom u.a. In den erwähnten Fällen, die
in der modernen Sprache recht verbreitet sind, wirken gleichzeitig zwei Fak-
toren: eine stets zunehmende Tendenz zur Entlehnung von ganzen Wörtern
und Wortbildungselementen, außerdem die Neigung zur Analogie, die in
der Wortbildung eine große Rolle spielt.
104
unangetastet oder variiert in den Grenzen der Allomorphe, d.h. der Identität
des Wurzelmorphems. Man vgl.: grün — grünen — das Grün; der Kauf—
kaufen, der Verkauf— verkaufen; der Trieb — treiben, der Betrieb — be-
treiben; der Rat — raten; der Trotz — trotzen — trotz (Präp.); seit (Präp.) —
seit (Konj.) u.a.m.
Dazu wären folgende Erläuterungen zu geben:
1. In allen erwähnten Fällen handelt es sich um korrelative Wortstämme;
das infinitivische Suffix -en wird von uns als grammatisches und nicht als
wortbildendes Suffix betrachtet, als Merkmal nur einer grammatischen Form,
das in den übrigen grammatischen Formen des Verbs fehlt, man vgl.: grün-
en, das Gras grün-t, grün-te...
2. Das grammatische Paradigma, das die morphologische Distribution
des Wortstammes bestimmt, fehlt bei den unflektierbaren Wortarten (Ad-
verb, Präposition, Konjunktion). Das gilt ebenfalls als Merkmal der betref-
fenden Wortart: die führende Rolle gehört hier der syntaktischen Distributi-
on — seit dieser Zeit..., seit ich hier wohne... .
3. Was die Semantik der korrelativen Wortarten anbelangt, so behauptet
jede von ihnen die sie kennzeichnende kategoriale Bedeutung: grün — Merk-
mal; das Grün — Gegenständlichkeit, grünen — Prozess; der Trotz — Ge-
genständlichkeit, trotzen — Prozess, trotz (Präp.) — Beziehung. Dabei ist
das Bedeutungsgefüge jeder von den korrelativen Wortarten unterschied-
lich, was in ihrer syntaktischen und semantischen Distribution seinen Aus-
druck findet. So bezeichnet das Adjektiv grün nicht nur eine der Grundfar-
ben, sondern auch einen noch nicht reifen Zustand (grünes Obst), es kann
auch auf eine fahle Gesichtsfarbe hinweisen; das Substantiv das Grün kann
als Bezeichnung der gegenständlich gedachten grünen Farbe gebraucht wer-
den, aber auch als Bezeichnung der Gesamtheit von grünen Blättern (das
erste Grün) oder der jungen Pflanzen; das Verb grünen drückt nur den Pro-
zess des Grünseins oder des Grünwerdens aus (auch andere Beispiele kön-
nen angegeben werden). Da die Glieder des betreffenden Wortnestes trotz
der verschiedenen kategorialen Bedeutung und des unterschiedlichen Be-
deutungsgefüges durch eine semantische Invariante (meist durch ihre Grund-
bedeutung) zusammengehalten werden, kann man sie „grammatische Hom-
onyme" nennen; fehlt eine solche Invariante, so handelt es sich um regel-
rechte lexikalische Homonyme, z.B. der Gang in der Bedeutung — „Flur,
Korridor" — und das Verb gehen; auch die Präposition trotz und das Sub-
stantiv der Trotz befinden sich an der Grenze der Homonymie.
Wie ersichtlich, kann das Modell2 (wie auch das Modell3) aus Gründen
der Tradition und auch dank der Unifizierung der Beschreibung der Wort-
strakturen „Wortbildungsmodell" genannt werden. In Wirklichkeit handelt
e
s sich um korrelative Wortarten, die im Schnittpunkt der Grammatik und
der lexikalischen Semantik stehen und sich gegenseitig motivieren. Am be-
sten passt hier der Ausdruck „Wortartwechsel", falls man diesen Terminus
nicht im prozessualen, sondern im analytischen Sinn gebraucht. Dabei ist
anzunehmen, dass sich in einigen Fällen zwischen den Gliedern der korrela-
tiven Lexeme bestimmte semantische Beziehungen unifizieren lassen, die
105
mit Hilfe der Transformation erschlossen werden. Solche Beziehungen ver-
binden z.B. manche Adjektive und korrelative transitive (faktitive) und intran-
sitive (inchoative) Verben: etwas bereiten — bereit machen; kürzen — kurz
machen; bessern — besser machen; grünen — grün sein {werden); reifen —
reif werden; gleichen — gleich sein; gesunden — gesund werden u.a.m.
Es gibt im Deutschen eine kleine Gruppe von korrelativen Wörtern, die
zu ein und derselben Wortart (und zwar zum Verb) gehören und durch kau-
sative Beziehung miteinander verbunden sind: fällen —fallen lassen {ma-
chen), setzen — sitzen lassen {machen), legen — liegen lassen {machen),
tränken — trinken lassen. Die Bildung solcher Verben ist nicht mehr pro-
duktiv.
Innerhalb des Wortartwechsels sind zwei Fälle zu erwähnen, wo sich der
primäre Stamm deutlich von dem sekundären unterscheiden lässt. Es han-
delt sich um den Übergang anderer Wortarten in die Klasse der Substantive,
wobei das substantivische Paradigma nicht angenommen wird. So bei der
Substantivierung der Adjektive: alt — der Alte, ein Alter, zwanzigjährig —
der Zwanzigjährige, ein Zwanzigjähriger — in diesen Fällen ist das Sub-
stantiv eine sekundäre Struktur. Anders, wenn sich eine grammatische Wort-
form in den lexikalischen Stamm einer unterschiedlichen Wortart verwan-
delt: bei der Substantivierung des Infinitivs {lesen — das Lesen, aufstehen —
das Aufstehen, weggehen — das Weggehen u.a.), auch bei der Adverbiali-
sierung des substantivischen Genitivs des Abends — abends; des Tages —
tags; {-s hat sich hier schon in ein adverbiales Suffix verwandelt, das als
Merkmal eines Adverbs dient). Bei der Substantivierung der Partizipien sind
gleichzeitig zwei Merkmale des sekundären Charakters des Substantivs vor-
handen: der Übergang der partizipialen verbalen Wortform in seinen lexika-
lischen Stamm und das Vorhandensein des adjektivischen Paradigmas {ge-
lehrt — der Gelehrte, ein Gelehrter; lächelnd — die Lächelnde, der Lä-
chelnde u.a.)65.
M4 und M5 — Modelle der präfixalen Ableitung
Der Tradition unserer Linguistik folgend, betrachten wir zum Unterschied
von manchen ausländischen Germanisten die Präfigierung als Unterart der
affixalen Ableitung, denn es handelt sich, ebenso wie bei der Suffigierung,
um Strukturen, deren UK einen primären Stamm und ein Wortbildungsmor-
phem darstellen. Der formale Unterschied zwischen der Präfigierung und
der Suffigierung besteht in der Reihenfolge der UK: das Präfix steht vor, das
Suffix nach dem primären Stamm. Das Suffix besitzt die Fähigkeit, eine
Wortart in eine andere Wortart zu transponieren. Diese Fähigkeit ist bei den
Präfixen beschränkt: sie gilt nur für die verbalen Präfixe (außer ge- und
miss-) und für das substantivische Präfix ge- (siehe weiter unten).
Zu den Präfixen (wie auch zu den Suffixen) zählen wir zum Unterschied
von einigen Linguisten, unter ihnen auch W. Fleischer (siehe weiter unten),
nur gebundene lexikalische Morpheme, die weder lautlich noch semantisch
einem Wurzelmorphem entsprechen. Das unterscheidet sie von den „Halb-
affixen", die sich in verschiedenem Maße den Affixen nähern (siehe weiter
106
unten). W. Fleischer, der das affixale System der deutschen Sprache viel aus-
führlicher als je untersucht, nennt 10 „echte" (von unserem Standpunkt aus)
deutsche (und vollständig verdeutschte) und 21 Präfixe fremder Herkunft
(die Anzahl der letzten könnte vergrößert werden). Da wir in unserem Buch
in erster Linie das Ziel verfolgen, die Verwendung der Methoden der Wort-
bildungsanalyse zu behandeln und dabei die Grundbesonderheiten des deut-
schen Wortbildungssystems zu klären, begnügen wir uns mit einer knappen
Darstellung des präfixalen Systems, indem wir alle deutschen Präfixe und
die gebräuchlichsten fremden Präfixe nach ihrer Verwendung in den Wort-
arten gruppieren.
Präfixe der Substantive: 1. deutsche (und vollständig verdeutschte) Präfi-
xe: erz- ge-, miss- (misse-), un-, ur-; 2. fremde Präfixe: a-, anti-, auto-, ex-,
extra-, hyper-, in-, inter-, ко- (коп-), такт-, mikro-, mini-, mono-, poly-,
pseudo-, re-, super-, ultra-, vize-.
Präfixe der Adjektive: 1. deutsche (und vollständig verdeutschte) Präfi-
xe: erz-, ge-, miss-, un-; 2. fremde Präfixe: a-, anti-, extra-, hyper-, in-,
inter-, такт-, mikro-, mono-, poly-, super-.
Präfixe der Verben: 1. deutsche Präfixe: Ье-, ent-, emp-, er-, ge-, miss-,
ver-, zer-, 2. fremde Präfixe: de-, dis-, ex-, ко-, re-.
Die deutschen Präfixe sind produktiv (Ausnahmen ge- bei den Adjekti-
ven, ge- bei den Verben; misse bei den Substantiven — Variante des
Präfixes miss-, das verbale Präfix emp-); die von uns erwähnten fremden
Präfixe sind entweder produktiv oder mehr oder weniger aktiv. Trotz der
verhältnismäßig geringen Anzahl der Präfixe im modernen Deutsch spielen
sie im Wortbildungssystem doch eine bedeutende Rolle. Dabei verbinden
sich die meisten fremden Präfixe sowohl mit primären Wortstämmen als auch
mit Restelementen und Pseudowurzeln; diese Besonderheit kennzeichnet
ebenfalls (wenn auch in geringerem Maße) die deutschen Präfixe, man vgl.:
Gehölz und Gemahl, Unmensch und Ungeheuer, misstreu und misshellig,
verreisen und verlieren, beherrschen und beginnen u.a.m. Die meisten Prä-
fixe sind unbetont; als Ausnahmen sind zu nennen: un- und ur- bei den Sub-
stantiven ('Unglück, 'Urfeind) und ur- bei Adjektiven, das entweder die
Hauptbetonung trägt ('uralt) oder durch eine schwebende Betonung gekenn-
zeichnet wird (bei der Funktion der Verstärkung: 'ur'komisch), und miss-
bei den Verben, wenn der primäre Stamm ein präfixaler ist (in diesem Fall
wird miss- schwach betont: missverstehen).
Es ist bemerkenswert, dass mehrere Präfixe nicht in einer, sondern in
zwei oder drei Wortarten gebraucht werden, und zwar: erz- (Subst., Adj.),
ge- (Subst., Adj., Verb), miss- (Subst., Adj., Verb), un- (Subst., Adj.), ttr-
(Subst., Adj.), ex- (Subst., Verb), extra- (Subst., Adj.), mter-(Subst, Adj.),
makro- (Subst., Adj.), mikro- (Subst., Adj.), mono- (Subst., Adj.), poly-
(Subst., Adj.), super- (Subst., Adj.), re- (Subst., Verb). Dabei muss betont
werden, dass die lautlich zusammenfallenden Präfixe auch semantisch iden-
tisch oder fast identisch sind; als Ausnahme gilt das Präfix ge-, das den Sub-
stantiven die Bedeutung der Abstrakta — Gebrüll, Geheul, Gefühl — oder
der Kollektiva — Gehölz, Gebäck, Gebüsch — verleiht, bei Adjektiven und
107
Verben desemantisiert ist: getreu, gestreng, gehorchen, geziemen, d.h., dass
es sich um homonyme Präfixe handelt.
M6 und M7 — Modelle der suffixalen Ableitung
Die Wortbildungssuffixe der deutschen Gegenwartssprache sind viel zahl-
reicher als die Präfixe; W. Fleischer nennt circa 48 deutsche und 35 entlehn-
te Suffixe (wir zählen aber zu den Suffixen ebenso wie zu den Präfixen nur
vollständig gebundene Morpheme). Es gibt manche gleichlautende Suffixe,
die verschiedene Wortarten bilden; sie sind aber in der Regel semantisch (oft
auch etymologisch) unterschiedlich und gelten als homonyme Morpheme.
Bemerkenswert ist auch, dass einige substantivische Morpheme dem Sub-
stantiv verschiedenes Geschlecht geben. Es gibt Suffixvarianten, die den zu
bildenden Lexemen gleiche kategoriale Bedeutung zugeben (solche Varian-
ten geben wir in Klammern an).
Suffixe der Substantive männlichen Geschlechts: Deutsche Suffixe:
-bold, -e, -el, -er(-ler, -ner, -aner, -ianer, -enser, -iker), -icht, -ian (-jan), -ing,
-ling, -rieh, -sei, -ung; fremde Suffixe: -al, -an, -ant, -ar (-är), -at, -ent, -et,
-eur (-ieur), -ier -ismus {-asmus), -ist, -it, -on, -or (-ator). Am produktiv-
sten sind: -er (wie auch die meisten seiner Varianten), -ling, -ant, -ent, -eur
{-ieur), -ismus, -ist, -пот, -or (die fremden Suffixe kennzeichnen fast aus-
schließlich Entlehnungen). Als unproduktiv gelten: -e, -ing, -ung, -sei, die
meist neben Restelementen stehen: Schütze, Kampe, Hering, Messing, Stöp-
sel; einige bilden Familiennamen: Adelung, Hartwig. Die übrigen deutschen
und alle fremden Suffixe der Maskulina sind mehr oder weniger aktiv.
Suffixe der Substantive weiblichen Geschlechts: Deutsche Suffixe:
-e, -ei (-erei, -elei), -de, -heit {-keit, -igkeii), -icht, -in (-erin, -nerin), -nis, -
sal, -schaft, -t, -ung; fremde Suffixe: -ade (-iade), -age, -el, -enz (-anz),
-esse, -isse, -ide, -ie (-erie), -iere, -ik (-atik), -ion (-ation), -ose, -tat (-ität),
-ur. Besonders produktiv sind: -heit (mit seinen Varianten), -in, -schaft,
-ung; unproduktiv sind -de, -icht; die übrigen deutschen und alle fremden
Suffixe der Feminina sind mehr oder weniger aktiv.
Suffixe der Substantive sächlichen Geschlechts: Deutsche Suffixe: -chen,
-el, -lein, -nis, -sal (-sei), -tum; fremde Suffixe: -al, -ament (-ement), -at
(-iat), -är, -ent, -et, -eur, -ier, -пот. Produktiv sind: -chen, -lein, -tum, -el,
-nis, -sal (-sei), die fremden Suffixe sind mehr oder weniger aktiv.
Wie ersichtlich, sind die Suffixe der Feminina am zahlreichsten; ihnen
folgen die Suffixe der Maskulina; die kleinste Anzahl bilden die Suffixe der
Neutra. In der Regel erscheinen die Suffixe als Merkmal des grammatischen
Geschlechts: Eine Ausnahme bilden: -e sowohl bei den Maskulina der Jun-
ge, Schütze als auch bei den Feminina die Tiefe, Schere; -el bei den Masku-
lina der Flügel, Deckel wie bei den Neutra das Bündel, Mädel; -nis bei den
Feminina die Kenntnis, Finsternis und bei den Neutra das Geheimnis, Bünd-
nis; -sei (vereinzelt beim Maskulinum: der Stöpsel), sonst bei den Neutra
das Rätsel, Geschreibsel; -tum fast ausschließlich bei den Neutra das Eigen-
tum, Altertum; vereinzelt bei den Maskulina der Reichtum, Irrtum; auch
manche fremde Suffixe -al; der Admiral, das Kapital; -ar. der Bibliothekar,
108
das Glossar, -at: der Kandidat, das Lektorat; -ent: der Student, das Monu-
ment; -et: der Prolet, das Paket; -eur. der Kommandeur, der Monteur, das
Odem; -ier. der Kanonier, das Plaisier; -пот: der Agronom, das Metro-
nom u.a.
Suffixe der Adjektive: Deutsche Suffixe: -bar, -en {-ern), -er, -haft,
-ig (-artig, -förmig, -haltig, -malig, -mäßig), -isch (-itisch), -lieh (-tlich),
-sam; fremde Suffixe: -abel (-ibel), -al (-ial), -ant (-ent), -el (-iett), -esk, -iv,
-os (-ös).
Die Anzahl der adjektivischen Suffixe ist im Vergleich zu den substanti-
vischen gering; dagegen sind alle deutschen Suffixe produktiv, die fremden
Suffixe aktiv, das heißt, dass die Suffigierang bei der adjektivischen Wort-
bildung eine große Rolle spielt. Bemerkenswert ist das Vorhandensein von
mehreren zweisilbigen Varianten des Suffixes -ig. Der Herkunft nach gehen
sie auf Zusammensetzungen zurück: Eigenart — eigenart-ig. Flaschen-
fonn —flaschenfönn-ig oder auf Wortgruppen (Art eines Affen — affen-
artig, andere Art—andersart-ig). Wir zählen sie zu den erweiterten Varian-
ten des Suffixes -ig, sind aber der Meinung, dass es sich hier oft um zwei
Möglichkeiten der Zerlegung des Wortstammes in die UK handelt, eigenart+ig
und eigen + artig. Der Umlaut auf -förmig gestattet nur eine Art der Zerle-
gung:fletschen-,glocken-, ketten-, birnen-förmig u.a.m.
Suffixe der Numeralien: Wie bekannt, bilden die Numeralien eine un-
begrenzte Wortklasse, da auch das Zählen, das ihnen zu Grande liegt, keine
Grenzen hat. Bemerkenswert ist aber, dass alle Numeralien aus einer gerin-
gen Zahl von Wurzelwörtern (durch Suffigierung und Zusammensetzung)
entstehen; es sind: eins bis zwölf, hundert, tausend, Million (Trillion, Qua-
drillion...). Zu den Suffixen der Kardinalia gehören: -zig (-ßig); der Ordina-
lia: -t, -st; die Bruchzahlen erhalten die Suffixe -tel und -steh Die Multipli-
katiya zählt man auch zu den Adjektiven und Adverbien je nach ihren gram-
matischen Merkmalen, oder man nennt sie „adjektivische und adverbiale
Multiplikativa", was durchaus berechtigt ist, denn sie werden ebenfalls aus
den mineralischen Wurzelwörtern gebildet. Die ersten erhalten das Suffix
•erlei, das unflektierte Formen bildet (zwei-, dreierlei Fragen), -malig (eine
Verbindung von -mal + ig; die auf diese Weise gebildeten Multiplikativa
lassen eine zweifache Zerlegung in die UK zu: zwei-malig und zweimal +
fe). fach und -faltig; die zweiten werden mit Hilfe des Suffixes -ens gebil-
det (drittens; die Basis ist der Stamm der Ordinalia).
Suffixe der Verben: Die verbalen Suffixe lassen sich in solche Suffixe
einteilen, die Vokale enthalten, und in „konsonantische", die nur aus Kon-
sonanten bestehen, d.h. nur als Bestandteile einer Silbe zu betrachten sind.
Zu den ersten gehören: deutsche Suffixe -el(n), -enz(en), -er(n),-ig(en), -
itz(en); das fremde Suffix -ier(en), -(is)ier(en), -(ifiz)ier(en)\ zu den zwei-
ten: -ch(en), -s(en), -sch(en), -tsch(en), -z(en). Recht produktiv ist das
fremde Suffix -leren wie auch seine Varianten; -ig(en) und-er(n) sind
unproduktiv. Die übrigen Suffixe scheinen nur bei der Bildung schall-
nachahmender Verben aktiv zu sein: lispeln, knirschen, piepsen, sonst er-
scheinen sie nur relikthaft. Im Allgemeinen spielt die Suffigierang bei den
109
Verben, zum Unterschied von den Nomina, eine viel geringere Rolle als
die Präfigierung.
Suffixe der Adverbien: Die adverbialen Suffixe sind nicht zahlreich. Es
sind -lieh, -sam, -wärts, -lei{-erlei), -s(-dings, -lings), -st. Besonders pro-
duktiv ist -s; unproduktiv ist -sam; die übrigen scheinen mehr oder weni-
ger aktiv zu sein.
Wie aus der Schilderung des suffixalen Systems folgt, spielt die Suffigie-
rung eine bedeutende Rolle im deutschen Wortbildungssystem, besonders
bei den Nomina. Die Grundfunktion der Suffixe besteht darin, dass sie als
Merkmal einer Wortart erscheinen, wobei jede Wortart durch ihre eigenen
Suffixe gekennzeichnet wird. Wie schon oben gesagt, gibt es Suffixe ver-
schiedener Wortarten, die lautlich zusammenfallen, oft auch etymologisch
verwandt sind; dennoch sind es grammatische und meist auch lexikalische
Homonyme, z.B.: -er bei Substantiven Lehrer, bei Adjektiven Leningrader
(Straßen), bei Verben plappern; -sam bei Adjektiven {einsam) und verein-
zelt bei Adverbien {gleichsam), auch manche fremde Suffixe. Als Homony-
me sind auch gleichlautende substantivische Suffixe zu betrachten, die den
Substantiven verschiedenes grammatisches Geschlecht verleihen, wie -e bei
den Maskulina und Feminina, -nis und -sal bei den Maskulina und Neutra
u.a.m. (siehe oben). Bemerkenswert ist auch, dass die fremden Suffixe wie
auch die fremden Präfixe recht zahlreich und — wenn auch nicht immer
produktiv — doch mehr oder weniger aktiv sind.
Mg und M9 — Modelle der präfixal-suffixalen Ableitung
Die Besonderheiten dieser Strukturen bestehen darin, dass sie sich in die
UK verschieden zerlegen lassen: Präfix + primärer Stamm + Suffix, oder:
primärer Stamm mit einer diskontinuierlichen gebundenen UK, die sich weiter
in Präfix und Suffix teilen lässt, man vgl.: DP+L^IO+DS oder L^li) + DP, DS.
Solche Strukturen sind nicht zahlreich und spielen keine bedeutende Rolle
im Wortbildungssystem der deutschen Gegenwartssprache. Bemerkenswert
ist auch, dass der primäre Stamm in der Regel ein Wurzelmorphem ist.
Präfixal-suffixale Substantive: Es sind de verbau ve und denominative
Strukturen mit dem Präfix ge- und meist mit dem Suffix -e (seltener mit
einigen anderen Suffixen), man vgl.: Gefrage, Gelaufe, Gebrülle, Gespiele,
Geschreibsel, Gebirge, Gebäude. Ableitungen mit verbalen Stämmen sind
produktiv, mit nominalen Stämmen nur aktiv. Relikthaft sind einige Bildun-
gen mit Restelementen: Genösse, Gemüse, Gesinde u.a. Die Hauptbetonung
fällt in der Regel auf das Wurzelmorphem.
Präfixal-suffixale Adjektive: Diese Strukturen, die recht produktiv sind,
werden nach dem Modell der Partizipialformen der schwachen Verben ge-
bildet, ohne dass ein Verbalparadigma dazu existiert, man vgl.: gestiefelt,
befrackt, entmenscht, vertiert, zertalt (am produktivsten sind Bildungen mit
dem Präfix ge-). Das Suffix -t und das Präfix ge- fungieren in diesem Fall als
lexikalische, nicht als grammatische Morpheme.
Präfixal-suffixale Verben: Diese Strukturen sind weder aktiv noch zahl-
reich, man vgl.: beerdigen, befriedigen u.a.
110
Wie schon gesagt, zählen wir das verbale Suffix -en zu den grammati-
schen Merkmalen, zum Unterschied von W. Fleischer, der solche Einhei-
ten wie beglasen, zerstücken u.a. als präfixal-suffixale Verben betrachtet.
M10 — Modell der determinativen Komposita
Dieses Modell spielt in der deutschen Gegenwartssprache (siehe weiter
unten S. 123) eine besonders große Rolle und ist typisch für Substantive,
Adjektive, Numeralien und Verben. Drei Grandmerkmale kennzeichnen das
Modell: erstens ist die hierarchische Struktur der entsprechenden Konstruk-
tionen immer binär, d.h., sie lassen sich in zwei UK teilen, unabhängig von
der Anzahl der sie konstituierenden Morpheme; zweitens wird die Wortart,
zu der die Konstruktion gehört, durch die 2. UK bestimmt; drittens ist die
Beziehung der ersten UK zu der zweiten, die die Wortmotivation bestimmt,
(im zweiten Sinne des Wortes) determinierend. Vom formalen Standpunkt
aus lassen sich die determinativen Komposita in drei Arten teilen: echte (ei-
gentliche) Komposita, deren UK sich miteinander unmittelbar verbinden:
Lichtstrahl, Schreibtisch, dunkelblau; unechte (uneigentliche) Komposita,
die ein Fugenelement enthalten: Tageslicht, kinderleicht, Sonnenstrahl, Wer-
degang; Zusammenriickungenrd.h. solche Komposita, die der Struktur und
der Stellung ihrer UK nach mit den aus den UK entsprechenden Lexemen
gebildeten syntaktischen Fügungen identisch sind — man vgl.: Krausemin-
ze, weitberühmt, gutaussehend, zweihundert, dreitausend, wachliegen, em-
porsteigen, u.a.m. Die Termini „echte" („eigentliche"), „unechte" („unei-
gentliche") Komposita hat J. Grimm eingeführt. Wir gebrauchen sie der Tra-
dition folgend, obgleich sie nicht motiviert sind. Unsere Definition der „Zu-
sammenrückung" entspricht im Allgemeinen der Definition von 0. Behag-
hel, der darunter „eine ganz lose Art von Zusammensetzung" versteht, „wenn
Wörter, die im Satz häufig nebeneinander stehen, zur Einheit zusammenge-
fasst werden, ohne dass bei der Vereinigung eine Veränderung eintritt, sei es in
der Beziehung der Teile untereinander, sei es in ihrem Verhältnis zu den be-
nachbarten Teilen der Rede"66. Innerhalb der determinativen Substantive sind
die Zusammenrückungen selten: die meisten Komposita dieses Modells gehö-
ren zu den „echten" und „unechten" Zusammensetzungen; dasselbe gilt für
die Adjektive, wo aber die Zusammenrückungen häufiger erscheinen; was die
zusammengesetzten Verben angeht, so können sie zu den determinativen Zu-
sammenrückungen gerechnet werden unter der Bedingung, dass die erste sub-
stantivische Komponente den Artikel verliert, man vgl.: teilnehmen, haushal-
ten, achtgeben u.a. (das kennzeichnet übrigens auch die meisten festen Wort-
komplexe dieser Art: Abschied nehmen, Gefahr laufen, Wache stehen u.a.).
Der Hauptakzent fällt bei den determinativen Komposita auf die betonte
Silbe der ersten UK, eine schwächere Betonung erhält die betonte Silbe der
zweiten UK.
M u — Modell der nichtdeterminativen Komposita
Es handelt sich dabei eigentlich nicht um ein Modell, sondern um mehre-
re Modelle, die durch folgende gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind:
111
Die entsprechenden Komposita sind immer Zusammenrückungen; sie kön-
nen mehr als zwei UK einschließen, d.h., dass sie nicht unbedingt binär zu
gliedern sind. Dazu gehören: 1. kopulative (additive) Komposita, deren UK
anreihend miteinander verbunden sind (wie Glieder einer syntaktischen
Wortreihe): Dichterkomponist, Strichpunkt, deutsch-russisch, taubstumm,
dreizehn, einundzwanzig, hundertzweiunddreißig; 2. die sogenannten Impe-
rativnamen, d.h. substantivierte Imperativsätze (mit und ohne Anrede): das
Tischleindeckdich, das Vergißmeinnicht, der Taugenichts; 3. substantivierte
präpositionale Gruppen: der Ohnebart; 4. zusammengesetzte Adverbien:
geradeaus, bergauf, meistenteils; 5. einige gelegentliche Verschmelzungen
von Lexemen, die im Satz nebeneinander stehen: ein Maßvoll, eine Hand-
voll, das Vaterunser. Produktiv sind die Komposita, die zur ersten Gruppe
gehören, d.h. Substantive, Adjektive, Numeralien und die adverbialen Kom-
posita (4. Gruppe). Substantivierte präpositionale Gruppen (3. Gruppe) sind
selten; die übrigen Strukturen scheinen mehr oder weniger aktiv zu sein. Die
Betonung unterliegt keinen festen Gesetzmäßigkeiten, sie hängt von den
Einzelbildungen und auch von der verschiedenen syntagmatischen Umge-
bung der Lexeme ab.
M12 — Modell der Komposita mit einem Restelement
Diese Strukturen sind das Resultat historischer Prozesse, d.h. dass die
„Restelemente" den Stämmen solcher Wörter entsprechen, die als selbstän-
dige Lexeme verschwunden sind und sich nur noch vereinzelt als „gebunde-
ne UK" eines Wortstammes erhalten haben. Sie können sowohl die erste als
auch die zweite Stelle einnehmen, man vgl.: Demut (dio-ahd. „Knecht");
Brombeere (brama — ahd. „Dornstrauch"); Nachtigall (gala — ahd. gehört
zu einem untergegangenen Verb galan — „singen"); Werwolf(wer — ahd.
wer, got. wair — „Mann"). Solche Wörter sind selten und gehören zu den
peripheren Strukturen sowohl innerhalb der Zusammensetzungen als auch
innerhalb der Wurzelwörter. Dazu gehören einzelne Substantive, darunter
auch geographische und Familiennamen: Heidelberg, Wiesbaden; Dessel-
mann, Brinkmann u.a.m.) und einige desubstantivische Verben, deren Basen
untergegangen sind: brandmarken, willfahren u.a.
M13 — Modell der affixalen Ableitung mit einem Restelement oder einer
Pseudowurzel
Dieses Modell zerfällt in zwei Unterarten: zur ersten Unterart gehören
einzelne deutsche Strukturen mit Präfixen oder Suffixen, die neben Einzel-
elementen, die keinen Wortstämmen mehr entsprechen, ihre Wortbildungs-
funktion beibehalten; zur zweiten Unterart — meist Entlehnungen, die mit
ein und demselben Grundelement ganze Wortnester bilden. Die Wörter der
ersten Art und die zum 12, Modell gehörenden Zusammensetzungen können
verschiedene Wortarten sein: Substantive •*— t/ngeziefer (man leitet es aus
ahd. ze'bar— „Opfertier" ab); LöffeZ (zu einem noch mundartlich gebrauch-
ten Verb laffen man vgl. „lecken"); auch geographische und Personennamen
München, Dietrich; Adjektive — billig (in der Geschichte der Sprache im-
112
mer nur suffixales Wort), wragestüm (gestiieme = „sanft", schon im Mhd.
selten); Verben — gewinnen (winnan = ahd. „sich mühen", „leisten"), verlie-
ren (auch in altgermanischen Sprachen nur mit einem Restelement als 2.
UK bekannt) u.a.m. In allen diesen Fällen handelt es sich um einzelne Rest-
elemente.
Auch innerhalb der Entlehnungen gibt es Einzelbildungen mit einem
Suffix und einem Restelement, z.B., Elefant, Komet, Baron u.a.
Zur zweiten Art gehören zahlreiche Entlehnungen mit „Pseudowurzeln",
die sich in mehreren etymologisch und semantisch verwandten Wörtern wie-
derholen, ohne dass das sie vereinigende Element einem selbständigen Wört-
stamm entspricht: studieren, Student, Studium; demonstrieren, Demonstrant,
Demonstration; elektrisch, Elektrizität, elektrifizieren, Elektron u.a.m. Man-
che Forscher zählen sie zu regelrechten Ableitungen, deren primärer Stamm
gekürzt wird. Unserer Meinung nach sind es periphere Bildungen, die zwar
einander motivieren, aber nur „Pseudowurzeln" enthalten, die immer als
gebundene Elemente des Wortstamms funktionieren.
115
Kompositionsgliedern regulärer Zusammensetzungen abzuheben — nicht
ohne weiteres von der Hand zu weisen ist"74.
Besondere Aufmerksamkeit widmet dem Problem W.Fleischer. Er son-
dert einige Momente aus, die diese Wortbildungselemente kennzeichnen.
Dabei ist er bestrebt, innerhalb dieser Elemente verschiedene Schichten zu
unterscheiden. So gehören seiner Schilderung nach manche von ihnen schon
zu „jüngeren Suffixen": -gut, -werk, -zeug u.a.75 Mehrere Elemente werden
als „Präfixe mit homonymen freien Substantiven": haupt-, grund- u.a., „mit
homonymen freien Substantiven und Adjektiven" u.a.m. betrachtet. In sei-
nem Aufsatz „Tendenzen der deutschen Wortbildung" schreibt der Verfasser
über den Ersatz „verbrauchter" Suffixe durch „die Entwicklung neuer Suffi-
xe", zu denen er die Elemente: -werk, -zeug, -wesen, -los u.a. zählt; dabei
schlägt er vor, „für tatsächlich im Übergangsbereich befindliche Elemente,
denen man einen klaren Suffixcharakter (noch) nicht zusprechen kann —•
am besten den Terminus Suffixoid (Präfixoid, Affixoid) zu empfehlen. In
seinem letzten Werk teilt er die Affixe nach Gruppen, wobei nur die 1. Grup-
pe zu den echten Affixen gehört. Für die übrigen Gruppen werden, wie er
betont, verschiedene Termini (Affixoide, Halbaffixe, relative Affixe) ge-
braucht76.
Es ist zweifellos ein Verdienst von W. Fleischer, dass er nicht nur aus-
führlicher als andere Vertreter der deutschsprachigen Germanistik das Pro-
blem der „Halbaffixe" („Affixoide", „Präfixoide", „Affixe mit homonymen
freien Substantiven, Adjektiven" u.a.m. — der Terminus spielt keine ent-
scheidende Rolle) behandelt, sondern auch den Übergangscharakter, die ein-
zelnen Besonderheiten dieser Elemente betont. Im allgemeinen ist er be-
strebt, die Neigung mancher Kompositionsglieder als „Werden" neuer Affi-
xe zu betrachten.
Wir leugnen durchaus nicht, dass die „Halbaffixe" keinen homogenen
Bereich bilden. Ihr Vorhandensein in der Sprache zeugt von den Berührun-
gen einzelner Wortbildungsmodelle miteinander. Zweifellos stehen die ei-
nen den Komponenten der Zusammensetzungen, die anderen den Affixen
näher. Weitere Untersuchungen müssen die einzelnen Fragen klären. Vor-
läufig muss aber — in erster Linie aus praktischen Gründen — der Grund-
satz angenommen werden, dass bestimmte Kriterien „die Halbaffixe" im gro-
ßen und ganzen als Wortbildungselemente von den übrigen Wortbildungs-
elementen unterscheiden. Zu solchen Kriterien der Halbaffixe gehören:
1. der Seriencharakter der Lexeme, die sie enthalten;
2. ihre formelle Identität und etymologische Verwandtschaft mit frei ge-
brauchten Wörtern;
3. Semantische Verschiebungen, denen sie als Wortbildungselemente
unterliegen, ohne dass die semantische Verwandtschaft mit freien Wurzel-
morphemen vollständig verloren geht.
Diese Kriterien sollen hier näher erläutert werden.
1. Die Serie der Lexeme mit ein und demselben Halbaffix kann verschie-
denen Umfang haben: die Halbsuffixe sind entweder mehr oder weniger aktiv
oder produktiv; auch die Zahl der zu bildenden Wörter kann kleiner oder
116
größer sein. So ist z.B. -mann recht produktiv, -liese, -peter und andere den
Eigennamen entsprechende Elemente sind in ihrer Verbindung mit bestimm-
ten primären Stämmen dagegen beschränkt u.a.m.
2. Die formelle Identität mit frei gebrauchten Wörtern ist ein absolutes
Kriterium. Auch betrachten wir als solches die etymologische Identität der
Halbaffixe und der freien Morpheme trotz unserer synchronen und analyti-
schen Auffassung der Wortbildung, denn gerade diese Identität ist eins der
Grundmerkmale der Halbaffixe. So sind erz- und ur- regelrechte Präfixe
nicht nur ihrer Semantik wegen, sondern auch deshalb, weil sie von den
gleichlautenden Substantiven Erz und Ur etymologisch zu trennen sind,
während wir z.B. haupt- und grund- sowohl aus semantischen als auch aus
etymologischen Gründen (man vgl. mit Haupt und Grund) zu den Halbprä-
fixen zählen.
3. Das semantische Kriterium bestimmt, ob das Halbaffix einer Kompo-
nente der Zusammensetzung oder einem regelrechten Affix näher steht. So
ist das Halbaffix -mann als kategoriale Bezeichnung eines Berufs (man vgl.
Kauf-, Arbeits-, Finanzmann u.a.m.) noch teilweise mit dem Substantiv Mann
als Personenbezeichnung verbunden; -frei, -leer drücken als adjektivische
Halbsuffixe ebenso wie die entsprechenden Adjektive den Mangel an etwas
aus. Dagegen erscheint das adjektivische Halbpräfix in stockdumm, stock-
heiser u.a. schon als Homonym des Substantivs Stock und ist mit ihm nur
noch durch das Klangbild, die Etymologie und durch das Vorhandensein in
stocksteif, stockgerade verbunden; blut- und kreuz- sind Homonyme der freien
Lexeme. Je loser die semantische Verbindung des Halbaffixes mit dem ent-
sprechenden Lexem ist, desto mehr nähert es sich einem Affix. Dabei muss
betont werden, dass auch in den Fällen, wo sich die Halbaffixe und die frei-
en Lexeme semantisch noch stark berühren, sich die ersten von den zweiten
durch einen starken Grad der Verallgemeinerung und Abstraktion unterschei-
den, man vgl.: das Substantiv Riese und das Halbpräfix riese- mit verstär-
kender Bedeutung, das Substantiv Zeug und das Halbsuffix -zeug mit reiner
gegenständlicher Bedeutung usw.
Die Halbaffixe bilden zum Unterschied von den Affixen, deren Bestand
verhältnismäßig stabil ist, eine „offene" Klasse von Wortbildungsmitteln,
deren Grenzen sich verschieben lassen; auch gibt es eine bestimmte Subjek-
tivität bei der Entscheidung, ob ein Element ein Halbaffix ist oder nur eine
Komponente der Zusammensetzungen, die häufig gebraucht wird. Weiter
werden die Halbaffixe genannt, die unserer Ansicht nach am deutlichsten
den Grundkriterien der Halbaffixe entsprechen.
Halbsuffixe der Substantive: -mann {-leute, -männer), -/гаи, -bild, -per-
son, -hans, -liese, -peter, -meier, -fritze (in Personenbezeichnungen); -stück
-werk, -zeug (in Bezeichnungen der leblosen Einzeldinge oder der Kollekti-
va); -mut, -sinn, -lust, -sucht, -gier, -künde, -wesen (mit abstrakter Bedeu-
tung).
Halbsuffixe der Adjektive: -frei, -leer, -arm (drücken den Mangel an
etw. oder das Fehlen von etw. aus); -reich, -voll (bezeichnen das Vorhanden-
sein von etw. in hohem Maße).
117
Halbsuffixe der Adverbien: -weise, -maßen, -dings (drücken verschie-
dene Schattierungen der Modalität aus); -willen (mit kausal-konsekutiver
Bedeutung); -seit, -weg (mit lokaler Bedeutung, meist in übertragenem Sinn).
Halbpräfixe der Substantive und Adjektive: riese(n)-, mord(s)-, blitz-,
grund-, stock-, hoch- {höchst-), über-, all- {allzu-, aller-), stink- (mit verstär-
kender Bedeutung); ab-, vor-, neben- (mit lokaler Bedeutung, auch im über-
tragenen Sinn); ober- (mit der Bedeutung eines höheren Ranges).
Halbpräfixe der Verben: 1. Gruppe: ab-, an-, auf-, aus-, bei-, ein-, mit-,
nach-, vor-, zu-; 2. Gruppe: hinter-, über-, unter-, wider-.
Die verbalen Halbpräfixe sind in der Regel mehrdeutig wie auch die
gleichlautenden Präpositionen {„ein-" ist der Präposition „in-" etymologisch
und semantisch verwandt), obwohl das Bedeutungsgefüge der Elemente dieser
beiden Kategorien sich nur berührt und nicht vollständig zusammenfällt. Die
verbalen Halbpräfixe unterscheiden sich von den Präfixen dadurch, dass sie
betont und trennbar (1. Gruppe) oder bald betont und trennbar, bald unbetont
und untrennbar (2. Gruppe) sind. Von den ersten Komponenten der verbalen
Komposita unterscheiden sie sich erstens durch ihre diffuse Bedeutung, zwei-
tens dadurch, dass sie nicht Voll-, sondern Dienstwörtern entsprechen, die
sich in ihrer Funktion und ihrer Lage im grammatischen System den gram-
matischen Morphemen nähern.
Wie aus unserer Schilderung folgt, gehört die Kategorie der Halbaffixe
einerseits zu den peripheren Schichten der Komposita, andererseits zu de-
nen der Derivata: die einen Halbaffixe berühren sich mehr mit den Kompo-
sitionsgliedern der Zusammensetzungen, die anderen mit den Affixen.
In den letzten Jahren ist in der einschlägigen Forschung der Begriff der
„Komponenten mit hoher Frequenz"77 entstanden. Es sind erste und zweite
Komponenten der determinativen Komposita, die in großen Serien von Le-
xemen erscheinen, sich dabei von den Halbaffixen dadurch unterscheiden,
dass sie keine (oder eine nur geringe) Bedeutungsverschiebung aufweisen.
Handelt es sich um mehrdeutige Lexeme, so entspricht die Bedeutung der
Komponente einer der Bedeutungen oder der allgemeinen Bedeutung des
Lexems, die immer vorhanden ist. So erscheint -stelle als „Komponente mit
hoher Frequenz" mit lokaler Bedeutung in den Komposita Arbeits-, Lan-
dungs-, Melde-, Annahmestelle u.a.m.; nicht- in den Komposita Nichtach-
tung, -fachmann, -metall, -raucher, nicht-antagonistisch, -linear, -arbeitend,
-rostend u.a., wobei es die Verneinung zum Ausdruck bringt. Von besonde-
rer Bedeutung sind die 2. Komponenten mit hoher Frequenz bei den deter-
minativen Verben, z.B. -halten, -heben, -stehen, -wollen, -legen, -bleiben
und viele andere: sie sind auf Grund ihrer selbständigen Stellung im Satz in
finiten Formen nicht als „Halbaffixe" zu betrachten, auch wenn eine Bedeu-
tungsverschiebung vorhanden ist.
So erscheint das Modell der determinativen Komposita als Merkmal des
dynamischen Charakters der synchronen Wortbildung. Man kann es folgen-
derweise zusammenfassen:
Komponenten der Bestimmungskomposita — Komponenten mit hoher
Frequenz — Halbaffixe — Affixe (wenn sie als vollständige Homonyme der
118
ihnen entsprechenden Lexeme zu betrachten sind, wie z.B. kreuz- in kreuz-
brav, -fidel u.a.m.). Die Grenzen zwischen den einzelnen Arten sind flie-
ßend und lassen sich nicht deutlich definieren.
\
\
\
Wie oben schon gesagt, gehören die Initial- und die Kurzwörter zur Peri-
pherie der Wurzelwörter. Man könnte sie auch weiter einteilen, nach ihrer
Aussprache und Struktur (siehe oben, S. 113, 114). Die Zusammenbildun-
gen gehören zu den Modellen M2, m2 und M6. Was die Halbaffixe und die
Komponenten mit hoher Frequenz betrifft, so können sie weiter eingeteilt
120
werden nach jedem konkreten Wortbildungselement: das allgemeine Modell
schwankt zwischen dem Modell der Bestimmungszusammensetzung (M10)
und den affixalen Modellen.
Oben (siehe S. 80) wurde die Definition des Wortbildungsmodells ge-
geben, die dem Begriff entspricht, den der englische Terminus „pattern"
zum Ausdruck bringt, zum Unterschied von dem ebenfalls englischen Ter-
minus „model" als Bezeichnung eines allgemeinen sprachlichen Systems,
eines Analogons der Sprache. Aber die Gesamtheit der 13 Grundmodelle
(der Modelle der 1. Stufe) mit den ihnen untergeordneten Modellen 2. Stu-
fe führt zum allgemeinen Modell, das das ganze System der deutschen
Wortbildung widerspiegelt; das bedeutet, dass die einzelnen Wortbildungs-
strukturen mit allen ihren Gesetzmäßigkeiten sich schließlich in einem ein-
zigen „Modell", einem Analogon der gesamten Wortbildungsstruktur der
deutschen Sprache vereinigen, in einem Schema, das auch die Theorie der
deutschen Wortbildung darstellt. Von dieser Warte aus kann jede Wortbil-
dungserscheinung der deutschen Gegenwartssprache erschlossen und ex-
pliziert werden.
2.5. SEMANTISCHE-ANALYSE
DER WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN (WBK)
121
Von bedeutendem Interesse ist die Semanalyse bei der Bestimmung der
Information der Wortbildungsaffixe. Das Sem als minimales Bedeutungs-
element im Bestand einer Information ist eine diskrete Einheit, die sich nicht
weiter teilen lässt, es kann sich aber bei seiner Aktualisierung in jedem kon-
kreten Fall in einer hierarchischen Beziehung zu anderen Semen befinden,
d.h., dass die Seme als über- oder untergeordnete Glieder einer Rangord-
nung zu betrachten sind. Die Affixe können auch wie andere sprachliche
Einheiten mehrdeutig sein, d.h., dass sie potentielle Seme enthalten, die un-
ter verschiedenen Bedingungen aktualisiert werden.
Die Semanalyse kann ebenfalls zur Feststellung der semantischen Be-
ziehungen zwischen den einzelnen Wortbildungselementen dienen. So er-
scheinen die adjektivischen Suffixe -lieh und -bar bei der Aktualisierung
des Sems des passiven Zustandes als Synonyme — erklärlich, erklärbar,
dasselbe gilt für das Suffix -er als Berufsbezeichnung, das dem Grundsem
des Halbsuffixes -mann entspricht, wie auch für die substantivischen
Suffixe -chen und -lein, mit dem ihnen eigenen Grundsem der „Verkleine-
rung". Auch können einige Wortbildungselemente als Antonyme betrach-
tet werden, denn sie enthalten Seme, die einander ausschließen: so die ver-
balen Präfixe be- (bei der Aktualisierung des Sems des „Versehens") und
ent- mit dem Sem der „Aufhebung" (man vgl. bekleiden — entkleiden);
die adjektivischen Halbaffixe -reich, -voll einerseits und -arm, -leer an-
dererseits (man vgl. wasserreich — wasserarm u.a.). Bei gleichen primä-
ren Stämmen bilden solche Wörtbildeelemente auch synonyme oder ant-
onyme Lexeme, was aber ihre kategorialen Beziehungen, die auch bei un-
terschiedlichen Wortstämmen zum Ausdruck kommen, als solche nicht
ausschließt, z.B. in den Wortpaaren Arbeiter und Arbeitsmann (Kategorie
des Berufs); bekohlen und entkohlen (Kategorie des Versehens und der
Aufhebung) u.a.m.
Wie gesagt, muss die Semanalyse in der Wortbildung noch gründlich un-
tersucht und systematisiert werden, wenn sie auch bereits bei der Erörterung
einzelner Fragen der Wortbildung verwendet wurde.
Das substantivische Suffix -er umfasst folgende Seme: „Gegenständlich-
keit", „Lebewesen", „männliches (natürliches) Geschlecht", „Ding" (d.h.
„kein Lebewesen"), „abstrakter Begriff". Von diesen fünf Semen ist nur das
erste („Gegenständlichkeit") in jedem Substantiv mit dem Suffix -er vorhan-
den. In mehreren Wörtern finden wir das zweite, dritte und vierte Sem, dabei
gibt es eine hierarchische Reihe: „Gegeständlichkeit" — „Lebewesen" - -
„Person" — „männliches natürliches Geschlecht"; im Zusammenhang mit
dem primären Stamm ergeben sich noch andere potentielle Seme, die den
obigen untergeordnet sind: „Beruf" (Lehrer), „Nationalität" (Engländer),
„Alter" (Vierziger) u.a.m. Das Sem, das einem „leblosen Ding" entspricht,
ist in solchen Wörtern aktualisiert wie Bohrer, Kühler, Dampfer u.a., wobei
auch hier eine weitere Unterordnung vorhanden ist: „Gerät", „Transportmit-
tel" u.a. Bei den Abstrakta wie Seufzer, Walzer u.a. finden sich das Sem der
„Gegenständlichkeit" und die Seme des „Zustandes" oder der „Handlung"
im weiten Sinne des Wortes.
122
Das verbale Präfix ent- enthält zwei Seme, die jedem der ent- Verben
eigen sind — des Prozesses und der terminativen Bedeutung; die übrigen
haben potentiellen Charakter: das Sem der Entfernung von einem Ort —
entfliegen, -strömen, -kommen; einer dem Stammverb entgegengesetzten
Handlung — entfalten, -rollen; der Aufhebung eines Gegenstandes, einer
Eigenschaft — enthaupten, -rechten, -mündigen; des Anfangs eines Prozes-
ses — entbrennen, -flammen, -schlummern u.a.m.
Bei der Verdunkelung der Motivation enthält das abgeleitete oder das
zusammengesetzte Wort dieselbe Semanalyse wie ein Wurzelwort. So feh-
len im Wort Junggeselle die Seme „der Jugend" und „der Zugehörigkeit zu
einem Geschäft", sein Sembestand ist „Person männlichen Geschlechts, un-
verheiratet". Ist das Wort teilweise motiviert, so bleiben einige dieses Wort
motivierende Seme erhalten: in „Frauenzimmer" bleibt das Sem der „Person
weiblichen Geschlechts", das Sem des „Raumes" fehlt, an seiner Stelle er-
scheint die stilistische Komponente der „Verachtung" u.a.m.
Jede WBK ist in erster Linie ein Lexem, d.h. ein Wort mit einer ihm
eigenen nominativen Funktion. Es muss aber betont werden, dass die nomi-
native Bedeutung sowohl der Komposita als auch der affixalen Derivata Be-
sonderheiten aufweist, die dem Wurzelwort nicht eigen sind. Sie bestehen
aus Einheiten — Wortstämmen und Affixen —, die an und für sich bedeu-
tungstragend sind; auch sind Beziehungen zwischen den UK der WBK in
Betracht zu ziehen. Das heißt, dass die WBK motiviert sind (selbstverständ-
lich solche, deren Motivation nicht vollständig verdunkelt ist). Dabei haben
sie auch, ebenso wie jedes Wurzelwort, eine sie überlagernde lexikalisch-
grammatische Bedeutung der Wortart, zu der sie gehören. Auch ihre stilisti-
sche Färbung hat spezifischen Charakter. Daraus folgt, dass die onomasiolo-
gische und kommunikative Funktion der WBK speziell zu betrachten ist.
Wir beginnen mit der Analyse der Komposita, die den Wortfügungen am
nächsten stehen.
Sie können grob in vier Untergruppen eingeteilt werden.
1. Gruppe. Das sind Komposita, deren Motivation vollständig oder fast
vollständig verdunkelt ist: Fähnrich, Junggeselle, zufrieden u.a.
2. Gruppe. Das sind bildliche Komposita, die, wie man annehmen könn-
te, zwei Bedeutungen haben: eine buchstäbliche und eine übertragene, z.B.
der Wassermantel (bei einem Motor), der Seehund, das Tischleindeckdich,
faustdick, himmelhoch, schiefgehen u.a.m.
3. Gruppe. Sie erscheint als Gegensatz zur ersten: das sind Komposita,
die einer Wortfügung deutlich entsprechen, z.B. Wohnungsaustausch „Aus-
tausch von Wohnungen", Familienmitglied „Mitglied der Familie", schnee-
vermischt „mit Schnee vermischt", kissenbelegt „mit Kissen belegt", pflege-
bedürftig „der Pflege bedürftig", weitergehen u.a.m.
123
4. Gruppe. Zu dieser Gruppe gehören die meisten Komposita des Deut-
schen. Sie sind nicht idiomatisiert und haben eine bestimmte Motivation,
dennoch unterscheiden sie sich von den Wortfügungen, in die sie zerlegt
werden können. So ist Großbauer kein „großer Bauer", Zahnrad nicht bloß
„ein Rad mit Zähnen", halbhell ist nicht die „Hälfte von hell", freisprechen
enthält nicht nur die Seme der „Freiheit" und des „Sprechens", sondern die
Bedeutung des „Freisetzens" u.a.m. Auch muss immer in Betracht gezogen
werden, dass die Komponenten der Komposita mehrdeutig sind und ver-
schiedene Seme zum Ausdruck bringen können, was den Sembestand der zu
bildenden Lexeme beeinflußt. So hat „Himmel" eine direkte und eine über-
tragene Bedeutung, man vgl.: Himmelskarte und Himmelsgeduld, schwarz
hat nicht nur die Bedeutung der Farbe, sondern noch mehrere andere Bedeu-
tungen, darunter auch „illegal" — man vgl.: schwarzäugig und Schwarzar-
beit; „bleiben" nicht nur lokale, sondern auch die Bedeutung des Zustandes,
man vgl.: hierbleiben und festbleiben u.a. So ist auch der Sembestand dieser
Lexeme unterschiedlich: bei Himmelsgeduld enthält die 1. Komponente das
Sem der Verstärkung, bei festbleiben verliert die 2. Komponente das Sem
des „Hierseins" u.a.m.
Die Komposita der 1. Gruppe haben dieselbe Art von Nomination wie die
Wurzel Wörter; die Komposita der 2. Gruppe werden durch expressiven Cha-
rakter gekennzeichnet, die Komposita der 3. Gruppe lassen sich leicht in
ihre UK zerlegen: ihre Nomination entspricht der Nomination der syntakti-
schen Fügungen; die Komposita der 4. Gruppe haben in der Regel individu-
ellen Charakter.
Am kompliziertesten ist der onomasiologische Charakter der Komposita
der 3. Gruppe, denn sie entspricht teilweise der Funktion der ganzen Ein-
heit, teilweise aber ist sie mit den sie motivierenden Bestandteilen einer
Wortfügung verbunden.
Auch die Ableitungen lassen sich vom Standpunkt ihrer Semantik in glei-
che Gruppen einteilen. So gibt es vollständig unmotivierte Ableitungen wie
höflich, Schicksal, hässlich, bestehen, besitzen, gehören u.a.m. bildliche Ab-
leitungen mit zwei Bedeutungen — einer direkten und einer übertragenen •—
man vgl.: giftige Pflanze und giftige Kritik; väterliches Erbteil und väterli-
che Liebe; eine Fahne entfalten, Aktivitäten entfalten u.a.m. Zahlreich sind
die Ableitungen, die den syntaktischen Fügungen fast vollständig entspre-
chen, z.B. etwas erwärmen = „warm machen"; jmdn. bedrohen = „jmdm.
drohen", ermüden = „müde werden"; sie lassen sich aber nicht immer leicht
von den Ableitungen absondern, die den syntaktischen Wortfügungen nahe
stehen, aber mit ihnen nicht zusammenfallen, z.B.: er ist ein Kompromissler
= „er macht (gern) Kompromisse"; er stolziert = „er geht stolz daher"; jmdn.
heroisieren = „jmdn. (zu einem scheinbaren) Heros machen" u.a.m.
In den letzten Jahren werden von den Linguisten verschiedene onomasiolo-
gische Prozesse diskutiert. So unterscheidet W. Fleischer drei Grandtypen ono-
masiologischer Kategorien vom Standpunkt des kategorialen Charakters von
onomasiologischer Basis und onomasiologischem Merkmal, d.h. von determi-
niertem Element (Basis) und determinierendem Element (Merkmal). Das sind:
124
Der „Mutationstypus", z.B.. Städter (Stadt — Merkmal, -er — Basis).
Der „Modifikationstypus", z.B. Häuschen (Haus — Basis, -dien—Merk-
mal).
Der „Transportationstypus", wo „ein abhängiges Merkmal als unabhän-
gig betrachtet wird" (Schönheit — schön)18.
Nicht alles ist in dieser Klassifikation klar: von Interesse ist aber das
Vorhandensein einer semantischen Beziehung der UK zueinander innerhalb
eines Nichtwurzelwortes.
Die Besonderheiten der Semantik der Komposita und der Ableitungen
bilden den Grund ihrer onomasiologischen Wirkung. Nur die Bildungen,
deren Motivation vollständig verdunkelt ist, entsprechen in dieser Hinsicht
den Wurzelwörtern. In allen übrigen Fällen lässt sich ihr lexikalischer Be-
stand mehr oder weniger fühlen. So ist der bildliche Vergleich die Quelle der
Empfindung der besonderen Bedeutung der Komposita und der Ableitun-
gen. Eine eigenartige onomasiologische Wirkung haben die Komposita und
die Ableitungen der 3. Gruppe, die syntaktischen Fügungen entsprechen: sie
sind innerlich zergliedert, obgleich sie äußerlich Einheiten bilden. Auch die
4. Gruppe ist mit der Syntax eng verbunden. Und dennoch handelt es sich
um Wörter und nicht um Wortfügungen. Von besonderem Interesse sind ok-
kasionelle Bildungen, die im Text ebenso wie freie Wortfügungen entstehen
(siehe weiter unten).
Die kommunikative Funktion der Komposita und der Derivata ist mit
ihren onomasiologischen Besonderheiten verbunden. Einerseits sind es Be-
nennungen von Gegenständen und Erscheinungen der reellen Welt wie auch
die Wurzelwörter. Andererseits erscheinen in ihrem Bestand UK, die eine
bestimmte Rolle im Kontext spielen, je nach den semantischen Beson-
derheiten dieser UK. Näher über ihre Funktion siehe weiter unten im Teil
5.4., 5.5.
126
die inhaltliche Bestimmtheit aufhören. Es handelt sich um einen prozessual-
analytischen Aspekt der synchronen Wortbildung, d.h. um die Möglichkeit
der Entfaltung des Kernwortes. Als Zentrum der Fächerung kann nicht nur
ein einzelnes Wort, sondern auch ein ganzes Wortfeld erscheinen, d.h. eine
Gruppe von Kernwörtern, die semantisch miteinander verwandt sind. So be-
handelt L. Weisgerber die Fächerung im Zusammenhang mit dem sprachli-
chen Feld der Farbwörter, d.h. am Beispiel der deutschen Grandfarbwörter:
rot, grün, gelb, blau, braun, weiß, grau, schwarz, violett, lila, rosa*6. Da im
Resultat der Fächerang semantisch verwandte Wörter entstehen, die verschie-
denen Wortarten angehören und auch zusätzliche Bedeutungsschattierun-
gen erhalten, die ihnen die entsprechenden Wortbildungsmodelle verleihen,
zeigt uns das ganze Bild das „Farbige" unter verschiedenen Gesichtspunk-
ten. So drückt das Adjektiv rötlich die Verminderung von rot, eine Ähnlich-
keit mit dieser Farbe aus, das Rot lässt uns diese Farbe gegenständlich vor-
stellen; das Verb röten heißt „rot machen" oder „rot färben" u.a.m. Auffal-
lend ist, dass nicht von allen Farbwörtern gleiche Ableitungen möglich sind:
so gibt es keine Faktitiva (Bewirkungsverben) von gelb, grau; intransitive
Verben (mit der Bedeutung des Zustandes) werden nur von grün (grünen),
blau (blauen) gebildet. Den entlehnten Adjektiven lila, rosa entsprechen
nur affixlose Substantive: das Lila, das Rosa. Das heißt, dass die Fächerang
zweifache theoretische Bedeutung hat: erstens ergibt sich ein vielfach ge-
gliedertes semantisches Feld, das den Wortschatz semantisch und strukturell
organisiert; zweitens wird das Zusammenspiel von Wortbildungsmodellen,
Semantik und sprachlicher Tradition veranschaulicht, d. h. die Begrenzung
der Verwendung der Wortbildungsmodelle unter gleichen Bedingungen.
Auf dieselbe Weise wie das Feld der „Farbwörter" lassen sich recht ver-
schiedene kleinere und größere Wortfelder im Prozess der Fächerang dar-
stellen. Als Beispiel schlagen wir die Fächerung einer Gruppe von Wurzel-
adjektiven vor, die positive und negative Eigenschaften eines Menschen
zum Ausdruck bringen: Die Fächerung wird in der Tabelle auf den Seiten
1.28 —129 veranschaulicht.
Die Tabelle bedarf einiger Erläuterungen. Wir geben (ebenso wie bei der
Schilderung der Farbwörter von L. Weisgerber) nur die sogenannte 1. Stufe
der Fächerang an; eine weitere Fächerang betrifft als Basen die Elemente
der 1. Stufe, so Veredelung <- veredeln; ausklügeln, Klügelei <- klügeln;
Zärtlichkeit <- zärtlich, Zärtelei <- zärteln u.a. (mitunter ist eine zweifache
Zerlegung in die UK möglich: Klügelei auch klug + elei, Zärtelei auch zart +
elei). In der Tabelle fehlen Zusammensetzungen und Bildungen mit Halb-
suffixen, da die ersten eine offene, die zweiten eine nur relativ geschlossene
Kategorie bilden. Was den Charakter und die Semantik der Elemente der
angegebenen Fächerang betrifft, so lassen sich daraus folgende Schlussfol-
gerungen ziehen:
1. Jedes substantivierte Adjektiv kann als Bezeichnung des Trägers der
betreffenden Eigenschaft gebraucht werden, während die entsprechenden
suffixalen Bildungen nur in fünf Fällen (und dabei mit pejorativem Neben-
sinn) vorhanden sind.
127
l-O
Die Fächerung der Adjektive, die positive und negative Eigenschaften der Menschen sum Ausdruck bringen
— der, die — —
edel unedel das Edle die Edelkeit** veredeln
Edle
— der, die — — — —
kühn kühnlich die Kühnheit
Kühne
— — der, die —
feige der Feigling die Feigheit
Feige
to
2. Substantivierungen als Abstrakta, die potentiell von jedem Adjektiv
gebildet werden können, sind hier bei weitem nicht immer geläufig; entspre-
chende Bezeichnungen von Eigenschaften werden nach dem Modell mit -heit
{-keit, -igkeit) konstruiert.
3. Die präfixalen Bildungen haben keinen universellen Charakter und
werden fast ausschließlich mit dem Präfix un- (mit negativer Bedeutung),
die suffixalen Adjektive meist nach dem Modell mit dem Suffix -lieh gebildet.
4. Adjektivische Verben sind Einzelerscheinungen. Die Fächerang ist ein
Verfahren, das sowohl theoretischen als auch praktischen Wert haben kann.
Vom theoretischen Standpunkt aus verbindet sie die Wortbildung mit den
Wortfeldern. Außerdem erweist sie sich als wichtiges Hilfsmittel für den
Fremdsprachenunterricht und auch für die Lexikographie. Es ist zu betonen,
dass unsere Germanisten auf diesem Gebiet aktiv gearbeitet haben, wovon
Dissertationen und Aufsätze zeugen.
130
Dabei muss betont werden, dass sich diese Voraussetzungen sowohl auf pro-
duktive und aktive als auch auf unproduktive Modelle beziehen. Aber von
besonderer Wichtigkeit sind sie bei der Realisierung der produktiven und
aktiven Modelle, d.h. bei der Bildung neuer Wörter.
Die formalen Gesetzmäßigkeiten der Füllung der Wortbildungsmodel-
le lassen sich in phonematische, strukturelle, morphologische und ge-
netische einteilen. Die phonematischen Gesetzmäßigkeiten sind noch sehr
wenig untersucht. In der Fachliteratur gibt es einzelne Hinweise auf die
Besonderheiten der Verbindung einiger Suffixe mit den UK im Zusam-
menhang mit deren Auslaut: der Verkleinerungssuffixe -dien und -lein,
-heit und -keit u.a.
Auch der Gebrauch der Bindeelemente im Bestand der Komposita unter-
liegt keinen bestimmten Regeln. Es scheint, hier spiele die phonematische
Struktur der Komposita als Ganzheiten eine bestimmte Rolle, die teilweise
P.Menzerath untersucht hat87.
Die strukturelle innere Valenz hängt davon ab, welche Wortbildungs-
struktur die primären Stämme haben. Selbstverständlich handelt es sich hier
nur um bestimmte Tendenzen, denn die Analyse der Ableitungen und Zu-
sammensetzungen zeigt, dass ihre UK verschiedene Struktur haben können.
Dennoch darf man vermuten: je einfacher die Struktur des Wortstammes ist,
desto eher kann er an der Ableitung und Zusammensetzung beteiligt sein.
Was die determinativen Komposita betrifft, so hängt ihre Wortbildungsstroktur
von dem funktionalen Stil ab: In der schönen Literatur und in der Umgangs-
sprache haben die Komposita meist eine einfachere Struktur, während in der
wissenschaftlichen, besonders in der technischen Prosa, Mehrwurzelwörter
(„Wortungeheuer") üblich sind.
Die morphologische innere Valenz (d.h. die Einfügung primärer Stäm-
me) entsprechend den verschiedenen Wortarten lässt sich leicht auf Grand
der üblichen, uns bekannten Gesetzmäßigkeiten feststellen.
Für die determinativen Zusammensetzungen gilt eine allgemeine Regel:
Die zweite UK bestimmt die Wortart, zu der das Kompositum gehört; in der
Funktion der ersten UK können die Stämme (Worlformen) verschiedener
Wortarten gebraucht werden; man vgl.: Tischtuch, Kleingeld, Zweilaut, Ichton,
Säugetier, Außenwelt, Mitmensch, (in aller) Herrgottsfrühe, himmelhoch,
dunkelrot, denkfaul, überglücklich; zweihundert, derselbe; teilnehmen, frei-
sprechen, weitergehen u.a.m. Am reichsten ist dabei der morphologische
Bestand der ersten UK beim Substantiv vertreten, wo alle Wortarten mitwir-
ken. Beim Adjektiv treten in dieser Funktion Stämme (Wortformen) der Sub-
stantive, Adjektive, Verben, seltener Adverbien und Präpositionen auf, bei
den Numeralien nur der Numeralien. Die determinativen Pronomina sind
nur Einzelbildungen, u.z. mit dem bestimmten Artikel derjenige, derselbe,
derselbige auch das Pronomen jedermann. Bemerkenswert ist, dass zu den
ersten UK der Verben (außer den Substantiven, Adjektiven, Adverbien, Prä-
positionen) in der Regel verbale Nominalformen — stehenbleiben, gelau-
fenkommen — aber keine Verbalstämme gehören (Ausnahmen siehe weiter
unten). Die kopulativen (additiven) Komposita sind durch Substantive, Ad-
9* 131
jektive und Numeralien vertreten. Dabei gehören ihre UK zu den den Ganz-
heiten entsprechenden Wortarten: Dichterkomponist, taubstumm, zweiund-
dreißig. Für die übrigen nichtdeterminativen Komposita gelten keine bestimm-
ten Regeln, denn es handelt sich um Zusammenrückungen von im Satz ne-
beneinander stehenden Wörtern verschiedener morphologischer Art. Eine
Ausnahme bilden die Imperativnamen; sie enthalten in der Regel eine verba-
le Wortform, die die übrigen Elemente regiert: das Rühr-mich-nicht-an, das
Vergissmeinnicht u.a.
Die Präfixe lassen sich deutlich in nominale und verbale teilen. Die no-
minalen Präfixe verbinden sich mit nominalen Stämmen: Unglück, Erzdieb,
Urwald, Antifaschist, unschön, hypermodern, superkorrekt u.a.m. Die ver-
balen Präfixe (außer miss- und ge-) stehen bei Verben sowohl vor verbalen
als auch vor nominalen Stämmen: beherrschen — behaupten; verlaufen —
vergolden, zerreißen — zerstückelt. Zwei Präfixe bilden sowohl Nomina als
auch Verben: miss- und ge-. Dabei hat miss- in allen Fällen ein und dieselbe
Bedeutung: Missernte — misstreu — misshandeln. Anders steht es mit ge-,
das den Substantiven eine prozessuale oder kollektive Bedeutung verleiht:
Geheul, Gehölz, bei den Verben und Adjektiven demotiviert ist — gehören,
geziemen, gestreng, getreu u.a. Es handelt sich um zwei homonyme Mor-
pheme. Unter den fremden Präfixen gibt es solche, die in verschiedenen Wort-
arten erscheinen: a-, anti-, extra- u.a. in Substantiven und Adjektiven, ко-,
re- bei Substantiven und Verben etc. Es muss betont werden, dass sich die
meisten fremden Präfixe in Wörtern mit Pseudowurzeln und Restelementen
aussondern lassen: Automat, Exaration, mikroporös, polygam, exponieren
u.a., was bei den deutschen Präfixen selten ist.
Die Suffixe, die, wie gesagt, jede Wortart kennzeichnen, sind aber im
Vergleich zu den Präfixen vom Standpunkt ihrer morphologischen Valenz
weniger spezialisiert: das heißt, dass sie in den meisten Fällen an verschie-
dene morphologische Stämme treten, unabhängig davon, welche Wortart
sie bilden. Man vgl.: Lehr-er, Engländ-er, Zwanzig-er; bärt-ig, belieb-ig,
heut-ig; hüst-eln, äug-eln, klüg-eln; nacht-s,jenseit-s, bereits, eilend-s u.a.m.
Es gibt auch Suffixe mit beschränkter morphologischer Valenz: -aner (-ianer),
-enser verbinden sich nur mit substantivischen Stämmen (der geographischen
und der Personennamen), -en (-ern) ebenfalls mit substantivischen Stäm-
men (der Stoffnamen), die meistens konsonantischen verbalen Suffixe er-
scheinen in schallnachahmenden Verben u.a.m. Die fremden Suffixe wer-
den meist neben Pseudowurzeln und Restelementen gebraucht, vgl.: Inge-
nieur, Republik, Moment, eventuell, elektrifizieren u.a.m.
Vom Standpunkt der Genesis aus gibt es einen wesentlichen Unterschied
zwischen der Zusammensetzung und der Ableitung. Die determinativen no-
minalen Komposita enthalten oft UK verschiedener Herkunft, man vgl.: Au-
tozubehör, Ballasteisen, Bromwasser, Kühlapparat, Saugbagger, Saugven-
til; rosafarben u.a.
Was die Ableitungen anbetrifft, so gibt es eine deutlich ausgeprägte Ten-
denz: die deutschen Affixe verbinden sich mit deutschen primären Stäm-
men, die fremden Affixe mit fremden Stämmen (oder mit fremden Pseudo-
132
wurzeln und Restelementen). Ausnahmen sind verhältnismäßig selten, z.B.
hausieren, stolzieren; Benehmität, (scherzh.) Expropriierung, Antikörper u.a..
(Über die Neuerscheinungen auf diesem Gebiet siehe weiter unten.)
Das am schwersten zu lösende Problem der inneren Valenz ist ihr seman-
tischer Aspekt, d.h. die Gesetzmäßigkeiten der semantischen Kongruenz,
die die Zusammenfügung der UK innerhalb des Wortstammes bedingen. Diese
Gesetzmäßigkeiten sind mit mehreren Faktoren verbunden, nicht nur lingui-
stischer, sondern auch außerlinguistischer und situationsbestimmter Natur.
Dabei sind zu unterscheiden: die innere Valenz der Komposita und die inne-
re Valenz der Ableitungen.
Die innere semantische Valenz der Komposita kann teilweise mit der
äußeren Valenz der Wörter verglichen werden (denn auch hier handelt es
sich um die Wortbedeutung), teilweise weist sie aber spezifische Züge auf:
sie hängt von den semantischen Besonderheiten der Komposita ab. Wir ver-
binden ihre semantische Valenz mit der Einteilung in vier Gruppen (siehe
oben, S. 123). Die Komposita der 1. Gruppe weisen keine innere Valenz auf,
denn sie sind vollständig idiomatisiert. Zur 2. Gruppe gehören, wie gesagt,
Komposita, die durch metaphorische Übertragung gekennzeichnet werden:
ihre innere Valenz richtet sich nach dem Bild, das ihnen zu Grunde liegt,
man vgl.: Wassermantel — „Mantel für Wasser", Seehund — „Hund in der
See", Langfinger - „jmd. mit langen Fingern" u.a.m. (Über die Komposita
mit verdunkelter Motivation, die als Okkasionalismen entstehen, siehe wei-
ter unten.)
Die Valenz der Komposita der 3. Gruppe fällt mit der Valenz der ihnen
entsprechenden freien Wortfügungen zusammen, z.B. Briefmarkenverkauf—
„Verkauf von Briefmarken", kissenbelegt — „mit Kissen belegt" u.a. (Über
den Gebrauch der Okkasionalismen dieser Art siehe weiter unten).
Die meisten Komposita der 4. Gruppe gehören zum allgemeinen Wort-
schatz: nach gleichen Modellen, oft mit gleichen (ersten oder zweiten) UK
können aber auch neue Ganzheiten gebildet werden, die für unser Sprachge-
fühl leicht verständlich sind. Die zweite UK vertritt hier eine weite semanti-
sche Kategorie, zu der das Ganze als Bestandteil gehört, man vgl.: -bäum
und Birnbaum, -stunde und Morgenstunde, -ring und Goldring, -blau und
hellblau, -liebend und friedliebend, -kommen und zurückkommen u.a.m. So
haben die zweiten Komponenten feldmäßigen Charakter, was noch dadurch
verstärkt wird, dass viele von ihnen nicht in Einzelbildungen, sondern auch
in ganzen Wortreihen erscheinen. Nach der Erklärung von H.Brinkmann
wird das „Grundwort" (2. UK—M. S.) „zu einem vielfach gegliederten Feld"
wie Schmerz in der Reihe Zahn-, Kopf-, Hals-, Leibschmerzen usw. Auch
Handarbeit gehört in das Feld der Arbeit und darin — Kopfarbeit als Gegen-
wort (ein anderes Paar aus diesem Feld: Land-, Fabrikarbeit)85.
In der deutschen Gegenwartssprache lassen sich viele „Felder" dieser
Art aussondern, vgl.: Apfel-, Bim-, Pflaumenbaum (daneben: Fichten-,
Eichbaum, Tannenbawn); Mädchen-, Knaben-, Flieger-, Militärschide (da-
neben: Hoch-, Mittelschule); Silberuhr (daneben: Wand-, Turmuhr); hell-,
dunkelblau (daneben: himmel-, lasur-, veilchenblau); zurück-, weg-, da-
133
vongehen u.a.m. Auch die erste UK kann als Ausdruck eines kategorialen
Merkmals, als eigenartiges „Feld" verstanden werden, wozu eine Reihe
von Komposita gehört, man vgl.: Golduhr, -ring, -kette -zahn (daneben:
Goldgrube, -bergwerk); hellblau, -gelb, -braun, -blond; zurückgehen, -sprin-
gen, -blicken usw. Manche Komposita dieser Art enthalten Komponenten
mit hoher Frequenz.
Die semantische Kongruenz der UK kommt in solchen Zusammenset-
zungen darin zur Geltung, dass die 1. UK im Allgemeinen zum „Feld" der 2.
UK gehört {Bäume und Obst, Schule und Studierende; verschiedene Schat-
tierungen ein und derselben Farbe; Metall und Gegenstand aus diesem Me-
tall u.a.m.).
Die Gesetzmäßigkeiten der inneren semantischen Valenz der affixalen
Wörter haben einige allgemeine Züge, die sie von der inneren Valenz der
Komposita unterscheiden, u.z. in dem Sinn, dass sie strenger umrissen sind
und bedeutend deutlicher erscheinen. Das geschieht aus folgenden Grün-
den: 1. die lexikalischen Affixe bilden zum Unterschied von den Komponen-
ten der Komposita ein „geschlossenes" System von Morphemen, die sich
sowohl aufzählen als auch registrieren, d.h. auch beschreiben lassen; 2. das
Bedeutungsgefüge eines jeden Affixes umfasst einen engeren Kreis von Be-
deutungen (außer den wenigen Fällen, wo die Affixe keine spezifische Se-
mantik besitzen und nur als Merkmal der betreffenden Wörter dienen, wie
z.B. -ig bei mehreren Adjektiven, ge- bei den Verben); 3. die innere Valenz
ist oft mit ihrer morphologischen Valenz verbunden, d.h., dass die Vieldeu-
tigkeit der Affixe teilweise durch die morphologische Art des primären Stam-
mes neutralisiert wird.
Im folgenden werden Verbindungen mit zwei Morphemen analysiert: mit
dem substantivischen Präfix ми- und mit dem adjektivischen Suffix -lieh.
Diese Analyse soll die semantische Valenz der affixalen Ableitung erläu-
tern. Dem Umfang unserer Arbeit entsprechend werden dabei nicht alle Be-
deutungsfälle, sondern nur die Wichtigsten erwähnt: Es kommt uns mehr
auf die Methode als auf die Belege an. Nicht zufällig haben wir auch solche
Modelle gewählt, die früher von anderen Standpunkten aus analysiert wur-
den (siehe oben). Damit werden verschiedene Methoden an ein und demsel-
ben Material veranschaulicht.
Das substantivische Präfix un- kann entsprechend den zwei Hauptbedeu-
tungen des Modells dem Substantiv zwei Bedeutungen verleihen: Negation
und Verstärkung. Im ersten Fall sind folgende Arten von semantischer Va-
lenz möglich: das Präfix steht a) vor Stämmen solcher Substantive (oft Ab-
strakta) mit positiver Bedeutung, die Antonyme zulassen: Dank — Undank,
Geduld — Ungeduld, Gunst — Ungunst, Glück — Unglück; b) vor — vom
wertenden Standpunkt aus — neutralen Stämmen, was die negative Bedeu-
tung der Ganzheiten nicht ausschließt: Kraut — Unkraut, Fall — Unfall,
Ding — Unding; c) vor Stämmen mehrdeutiger Substantive, wobei sich die
Ganzheiten mit unterschiedlicher, wenn auch mit negativer Bedeutung auf
die Grundwörter beziehen: Unwetter — 1) Synonym zu Wetter = „Sturm,
Gewitter, d.h. schlechtes Wetter", 2) kein Synonym zu Wetter = „jeweiliger
134
Zustand der Atmosphäre"; Unstern — 1) Antonym zu Stern - (übertr. Be-
deutung); 2) kein Antonym zu Stern = „Himmelskörper".
Im zweiten Fall verbindet sich un- mit solchen Stämmen, die Zahl und
Maß bezeichnen oder kollektive Bedeutung haben, d.h., dass diese Begriffe
eine Verstärkung zulassen: Unzahl, Unmenge, Unkosten.
Das adjektivische Suffix -lieh ist mehrdeutig: es lassen sich im Allge-
meinen fünf Grandbedeutungen aussondern, und jede wird durch eine spe-
zielle semantische Valenz gekennzeichnet. Die „Verminderung" ist typisch
für Adjektive, deren primäre Stämme verschiedenen Grad des betreffenden
Merkmals aufweisen können: gelb — gelblich, lang — länglich, zart —
zärtlich u.a. Die Bedeutung einer aktiven oder passiven Tätigkeit, eines akti-
ven öder passiven Zustandes setzt voraus, dass der primäre Stamm ein verba-
ler ist, wobei im 1. Fall das Verb ein transitives oder ein intransitives sein kann
(vergesslich — vergessen vt, nachdenklich — nachdenken vi), im zweiten Fall
nur ein transitives (begreiflich — begreifen vt, erträglich — ertragen vt).
Am kompliziertesten ist die Feststellung der Valenz bei den „Beziehungs-
adjektiven"; hier sind verschiedene Beziehungen zu Personen, Gegenstän-
den, Erscheinungen möglich, man vgl.: väterliches Haus = „dem Vater ge-
hörend", abendlich = „am Abend stattfindend", glücklich = „Glück empfin-
dend" u.a.m. Was die qualitative Beziehung anbelangt, so handelt es sich in
der Regel um Eigenschaften, die eine (durch den primären Stamm bezeich-
nete) Person kennzeichnet — ritterlich, freundlich, feindlich = „in der Art
eines Ritters, Freundes, Feindes" usw. (auch in übertragener Bedeutung —
väterlich = „wie ein Vater"). Wie die Analyse des Suffixes -lieh zeigt, ist die
innere semantische Valenz der betreffenden Adjektive mit ihrer inneren
morphologischen Valenz verbunden.
Selbstverständlich lässt sich die innere Valenz der Ableitungen wie auch
der Zusammensetzungen bei weitem nicht immer leicht erschließen. Es gibt
Wörter mit deutlich auszusondernden Affixen und verdunkelter Motivation
wie höflich, hässlich, bekommen, gehören usw., die keine innere semanti-
sche Valenz aufweisen; das gleiche gilt für Wörter mit Restelementen und
Pseudowurzeln.
Oben wurde schon konstatiert, dass die Halbaffixe meist ein- oder zwei-
deutig sind. Was ihre innere Valenz betrifft (sowohl die formelle als auch die
semantische), weist sie ebenfalls wesenhafte Merkmale auf:
Sie unterliegt im Vergleich zu den Zusammensetzungen konsequenteren
Gesetzmäßigkeiten, ist auch im Vergleich zu den Ableitungen stärker be-
schränkt (man vgl.: die Valenz des Halbsuffixes -mann, das sich meist mit
substantivischen Stämmen verbindet, die einen Beruf, eine Tätigkeit bezeich-
nen und die mannigfaltige Valenz des Suffixes -er, der adjektivischen Halb-
suffixe -voll, -reich, -arm, die nach substantivischen Stämmen mit beschränk-
ter Semantik stehen, und die Valenz der adjektivischen Suffixe -ig, -lieh u.a.).
Eine Ausnahme bilden die verbalen Halbpräfixe, die in ihrer Valenz den
Präfixen nahestehen, obgleich auch hier eine bestimmte Beschränkung vor-
handen ist. Die Frage der Valenz der Halbaffixe bedarf einer speziellen Un-
tersuchung. Es muss bemerkt werden, dass die Besonderheiten der inneren
135
Valenz dieser Bildungen vielleicht als einer der Beweise dafür dienen, dass
sie nicht ohne weiteres zu den gewöhnlichen Zusammensetzungen und zu
den Ableitungen gezählt werden können.
Die Gesetzmäßigkeiten der „inneren Valenz" gehören zu den „Regeln der
Wortbildung", die in den letzten Jahren besonders aktiv behandelt werden.
Dabei geht es nicht nur um Regeln, sondern auch um verschiedene Restrikti-
onsfaktoren, die diese Regeln begrenzen89. Eine weitere Erforschung sowohl
der „Regeln" als auch ihrer Restriktion, verbunden mit manchen Änderungen
in der modernen deutschen Sprache, ist von besonderer Wichtigkeit.
136
von diesem Standpunkt aus gehört nicht zu den Aufgaben des vorliegenden
Buches — wir begnügen uns nur mit einigen Beispielen aus der österreichi-
schen nationalen Variante der deutschen Sprache. So finden sich hier viel
öfter Bildungen mit dem Suffix -ist, sowohl mit fremden als auch mit einhei-
mischen primären Stämmen: Pensionist, Stipendist, Bohrist u.v.a. Recht pro-
duktiv ist das verbale Suffix -ieren: garagieren = „in eine Garage einstel-
len", paprizieren = „mit Paprika würzen" u.a.m. Das Suffix -erl ist beson-
ders beliebt, nicht nur in den Diminutiva, sondern auch in anderen Bildun-
gen, man vgl.: Knopf erl, Tupferl, Glaserl, Erikerl usw.; besonders produktiv
sind Verben mit dem Suffix -el(n): schnapsein = „gern Schnaps trinken",
fischein = „nach Fisch riechen" u.a.; manche Substantive mit dem Suffix -er,
die im Deutschen fehlen: Deuter = „jmd., der etwas erläutert", Genierer =
„Schüchternheit"; auch mit dem Suffix -ler. Taxler = „Fahrer, Taxifahrer",
Postler, Öbstler usw.
Von besonderer Bedeutung ist die Realisierung der einzelnen Wortbil-
dungsmodelle im Zusammenhang mit den funktionalen Stilen. Im Folgen-
den werden nur ganz allgemeine Fragen der stilistischen Aspekte der Wort-
bildung untersucht:
1. Die stilistische Färbung der Wortbildungsmodelle und ihrer Varianten
sowie der Gebrauch dieser Modelle in verschiedenen funktionalen Stilen.
2. Beziehungen zwischen der stilistisch-kommunikativen Funktion des
Modells und dem Kontext, in dem das Wort gebraucht wird.
Im ersten Fall handelt es sich um bestimmte stilistische, dem Wortbil-
dungssystem der deutschen Sprache eigenen Normen. Im zweiten Fall hängt
die stilistische Rolle des Modells nicht nur von seiner Füllung ab, sondern
auch von dem engeren oder weiteren Kontext, in dem das Wort gebraucht
wird. In allen Fällen gehen wir von der Opposition aus: neutrale stilistische
Färbung — spezialisierte stilistische Färbung, neutraler Stil — spezialisier-
ter funktionaler Stil. Die stilistische Färbung des Modells wie auch des Wor-
tes als einer Ganzheit und deren Anwendung in einer bestimmten Stilart
sind als zwei Seiten ein und desselben Phänomens zu betrachten, was im
ersten der obigen Fälle besonders deutlich wird: ist das Modell bzw. dessen
Variante neutral gefärbt, so gehört es auch zum neutralen Stil; hat es eine
expressive Färbung, so ist es an einen speziellen (gehobenen, familiären usw.)
funktionalen Stil gebunden u.a.m. Aus diesem Grund wird weiter nur von
der stilistischen Färbung der Modelle die Rede sein, wobei auch der betref-
fende funktionale Stil gemeint ist.
Von großer Wichtigkeit sind die Besonderheiten der Füllung der Modelle—
wir betrachten sie jedoch weiter unten bei der Behandlung der Okkasiona-
Usmen (2.7.).
Wie die Analyse zeigt, gibt es in der deutschen Gegenwartssprache nur
wenig stilistisch gefärbte Wortbildungsmittel bzw. Modelle: die substantivi-
schen Suffixe -hold und -ian und das Präfix erz- bei den Adjektiven. Alle
drei Affixe verleihen dem Wort eine pejorativ-familiäre Färbung, was sich
bei Substantiven im Vergleich der Bildungen mit diesen Suffixen mit ihren
stilistisch neutralen Varianten und Synonymen feststellen lässt: Saußold—
137
Säufer, Witzbold — der Witzige, Grobian — grober Kerl, Schlendrian —
Nach-, Fahrlässigkeit. Die Adjektive mit erz- haben keine stilistisch neutra-
len Synonyme, dagegen betonen die gleichbedeutenden stilistisch gefärbten
Adjektive mit dem Halbpräfix stink- ihre pejorativ-verstärkende Wirking,
man vgl.: erzfaul, erzdumm, erzböse und stinkfaul, stinkböse. Wie aus die-
sen Beispielen zu ersehen ist, verbinden sich die erwähnten Wortbildungs-
mittel mit primären Stämmen, die ebenfalls eine negative Bedeutung haben:
also besitzen die beiden UK gleiche Seme (negativer Einschätzung) und stim-
men semantisch überein. Es gibt auch Modelle, die nur unter bestimmten
Vorbedingungen, d.h. bei entsprechender innerer Valenz, eine stilistische
Färbung erhalten. So steht es mit erz- bei Substantiven (nicht aber bei Ad-
jektiven): Es verleiht dem Wort eine verstärkend-pejorative Schattierung bei
primären Stämmen mit negativer Bedeutung: Erznarr, -scheint, -grobi-
an, -lump (als Ausnahme, d.h. ohne expressive Färbung, gilt Erzfeind), bei
Stämmen, die einen Verwandtschaftsgrad oder Titel zum Ausdruck bringen,
sind sie stilistisch neutral und bezeichnen einen höheren Rang: -herzog,
-bischof. Das präfixal-suffixale Modell Ge — e, ist stilistisch neutral bei
nominalen primären Stämmen: Gebirge, Gehäuse, Gelände und expressiv
gefärbt bei verbalen primären Stämmen. Das ist leicht festzustellen, wenn
man diese Substantive mit anderen Wortbildungsvarianten vergleicht: Ge-
brülle — Gebrüll, Geheule — Geheul, Getanze — Tanz. Auch verleiht das
Suffix -ei (und dessen Variante -erei) den Substantiven mitunter ebenfalls
pejorative Färbung: Brüllerei, Heuchelei, Schreiberei, Lauferei, Schlagerei,
Malerei (in Bedeutung „Gekleckse", man vgl. auch Kleckserei zu klecksen;
die übrigen Bedeutungen von Malerei sind stilistisch neutral). Mo vierte Fe-
minina mit dem Suffix -in sind in der Regel stilistisch neutral; aber Ableitun-
gen von Familiennamen, die die Gattinnen der betreffenden Personen bezeich-
nen, erhalten eine familiäre Färbung: die Schulzin, die Müllerin (man. vgl. im
Russischen Иваниха, Антониха, Макариха). Es gibt Benennungen der
Tiermütter, von den Namen einiger großer Tiere abgeleitet — Wölfin, Hündin,
Eselin, die nur terminologisch geprägt sind, denn in der (neutralen) Umgangs-
sprache werden beide Geschlechter gleich bezeichnet: Wolf, Hund, Esel.
Als Sonderfall ist die stilistische Färbung der Diminutiva zu betrachten.
Zum Unterschied von der russischen Sprache, die über ein ganzes System
von Diminutivsuffixen mit verschiedenen Expressivitätsschattierungen ver-
fügt wie -OK, -ец, -уся, -юля, -ище, -ишко u.a.m., dienen die deutschen
Suffixe -chen und -lein als neutrale Verkleinerungsmittel und auch als Aus-
druck der Verachtung, der Familiarität, der Liebkosung und anderer subjek-
tiver Faktoren: die entsprechende Färbung der Diminutiva wird mit Hilfe
eines engeren oder weiteren Kontextes zum Ausdruck gebracht, „...eine grü-
ne und eine rote Schlange..., die Mathilde ... sich um den Hals gelegt hatte,
die zwei Köpfchen vorne überkreuzt." (L.Frank. Mathilde. Berlin, 1956,
S. 19). „Köpfchen" hat hier nur eine Verkleinerungsbedeutung.
„Auf seinen ungeheuren Rumpf ward sein kleiner Kopf plötzlich anzuse-
hen: — „Freundchen!" (H.Mann. Der Untertan. Moskau, 1950, S. 24).
„Freundchen" hat familiäre Prägung.
138
Im großen und ganzen ist das deutsche affixale System nicht reich an
stilistisch gefärbten Modellen. Den Mangel an entsprechenden Mitteln fül-
len teilweise die Halbaffixe aus, die den zu bildenden Wörtern unterschied-
liche stilistische Färbung verleihen. Zu nennen sind: manche substantivi-
sche Halbsuffixe — Personenbezeichnungen und Eigennamen wie -person,
-bild mit familiärem Nebensinn: Weibs-, Mannsbild, Weibs-, Mannsperson; -
hans, -liese, -peter, -bruder, -meier, die den Substantiven entweder nur fa-
miliäre oder auch negative Bedeutung verleihen: Fabel-, Prahl-, Sanflians;
Heul-, Tränenliese; Miese-, Faulpeter u.a.m.: -fritze bei Scherznamen der
Verkäufer: Automobil-, Süßigkeits-, Zigarettenfritze; auch nominale Halbpräfi-
xe und einzelne Komponenten mit verstärkend-expressiver Färbung — stock-:
stockdumm, -heiser, -blind, -taub; mords-: Mordsskandal, -geschrei, -kerl; pec
pechschwarz, -dunkel; stink-: stinkfaul, -dumm und manche andere.
Nicht zufällig zählt L. Sütterlin einige solcher Bildungen zu „Volkssu-
perlativen"91, weil sie eine bestimmte umgangssprachliche Färbung zum Aus-
druck bringen.
Die stilistische Färbung der Komposita hängt von ihrer Füllung ab, aber
einige Modelle wären speziell zu erwähnen. Es handelt sich um manche
bildliche Imperativnamen mit umgangssprachlich-familiärer Färbung: der
Springinsfeld, derHans-guck-in-die-Welt, das Schmücke-dein-Heim neben
neutralen: das Vergissmeinnicht, das Stehaufmännchen usw. und um meh-
rere Bahuvrihi (Possessivkomposita), die gleichzeitig Metonyme und Me-
taphern sind: der Blaustrumpf, der Langfinger, die Schlafinütze u.a.m.
Von besonderer Bedeutung ist der Gebrauch der WBK in verschiedenen
funktionalen Stilen. Allgemein bekannt ist, welche außerordentliche Rolle
die Komposition im Deutschen in jeder Stilart spielt. Besonders häufig sind
dabei die substantivischen Zusammensetzungen. Es lassen sich aber einige
stilistische Unterschiede feststellen. In der schönen Literatur werden meist
Zwei-, manchmal Dreigliederkonstruktionen gebraucht, z.B.: Zeltlager, gut-
gelaunt, weltberühmt, mittelgroß u.a. m.; auch gelegentliche Einmalbildun-
gen weisen meist solche Strukturen auf: altersbraun (L.Frank. Mathilde.
Berlin, 1956, S. 39); winderfahren (W.Borcherts Werke. M., S. 112) u.a.m.
Dasselbe gilt für die im Alltagsgespräch verwendeten gebräuchlichen Kom-
posita92. In der wissenschaftlichen Prosa, besonders in der wissenschaftlich-
technischen Literatur, gebraucht man dagegen gern mehrgliedrige Komposi-
ta, die sogenannten Wortungeheuer, die schwer zu zergliedern sind, z.B.
Halbleiterfotobauelemente, Klarsichtfolien, Mehrzweckhülle, Heißgaslabor-
elektroabschneideranlage92. In der schönen Literatur sind aber mehrgliedri-
ge infinitivische Zusammenbildungen üblich, die ganze Situationen in einer
Ganzheit zum Ausdruck bringen. So schreibt G.Möller: „Es entspricht der
Funktion des Verbs im Satz, dass bei Substantivierung der Infinitiv unter-
schiedliche Partner an sich ziehen — oder besser: bei sich behalten—kann"
und führt folgende Beispiele an: Denkenlernen, Sichselberhören, das Sich-
a
ngeblich-nicht-in-die-Gemeinschafieinfügen-Können u.a.m.94
Solche WBK tauchen in der schönen Literatur immer wieder auf, was
zahlreiche Belege bestätigen, z.B. „dies krampfige Ineinanderringen und
139
Sichgegenseitighalten1' (St.Zweig. Novellen. Moskau, 1959, S. 291); „das
Zu-Bette-Geschickt-Werden" (ebenda, S. 60); „(das) Dem-anderen-sich-ins-
Gesicht-Setzen" (H.Mann. Der Untertan. M., 1950, S. 376).
Was die affixalen Modelle betrifft, so gibt es auch hier in den Stilarten
Unterschiedlichkeiten. So kann man a priori behaupten, dass die expressiv
gefärbten Wortbildungsmittel (die substantivischen Suffixe -bold, -ian> die
Halbsuffixe -liese, -peter, -person, -bild, die meisten verstärkenden Halb-
präfixe — siehe oben) nur in der schönen Literatur oder im Alltagsge-
spräch gebraucht werden, der Publizistik und der wissenschaftlichen Pro-
sa aber fernbleiben. Solche Untersuchungen sollten fortgesetzt werden.
Über die stilistische Verwendung der WBK, besonders im Zusammen-
hang mit ihren syntaktischen Äquivalenten siehe W. Fleischer und G. Michel,
ebenfalls E. Riesel und E. Schendels95.
Die Entstehung neuer Wörter in der Sprache ist ein unaufhörlicher Pro-
zess. Die Wortbildung spielt dabei innerhalb der übrigen Wege der Wort-
schatzerweiterung die führende Rolle. Es muss aber in Betracht gezogen
werden, dass nicht jede in einem Text auftretende „neue" WBK als „Neolo-
gismus" anzusehen ist. Die Nichterscheinung einer WBK in den neuesten
Wörterbüchern ist noch kein Indiz für ihre „Neuheit". So bleibt das Urteil
über eine im Text auftretende WBK oft intuitiv. Was scheinbar „neu" ist,
kann eine individuelle Prägung, d.h. ein Okkasionalismus sein. Auch ist nicht
klar, „wie lange" bleibt ein neues Wort ein „Neologismus"? W. Braun meint,
dass der Neologismus nach 10—15 Jahren in den allgemeinen Wortschatz
der Sprache übergehen kann96.
Am leichtesten lassen sich die Neologismen aussondern, die ganz neue
Gegenstände und Erscheinungen bezeichnen wie z.B. das Wort „Container"
als Benennung eines „transportablen Großbehälters", das in einem ganzen
Wortnest als Komponente mit hoher Frequenz gebraucht wird: Container-
netz, -System, -schiff, -verkehr u.a.m. A. Neubert nennt die Lexeme Volk(s)
und Staates) in einer Reihe von Neologismen: Volksvertretung, -polizei, -ar-
mee, -eigentum, -kontrolle; Staatsbürger, -organ, -vertrag, -besuch „lexika-
lische Mittel, die eine Vorzugsstellung in der gesellschaftlichen Kommuni-
kation... genießen"97, d.h., dass es Komponenten mit hoher Frequenz sind,
die Neologismen bilden*. Es gibt Neologismen mit der zweiten Konstituen-
te -raumschiff, die mit der Kosmosforschung verbunden sind: Versorgungs-
raumschiff, Transport-, Fracht-, Tankraumschiff9S. Auch einzelne Neolo-
gismen sind zu erwähnen: Heimsonne (elektrisches Gerät zur Erzeugung
von Ultra-Infrarot-Strahlung), Ideenbuch (Buch für Verbesserungsvorschlä-
140
ge) u.a.m. Die Neologismen werden nach produktiven Wortbildungsmodel-
len und (vom Standpunkt der inneren Valenz) mit der gesetzmäßigen Fül-
lung gebildet, obgleich es sich auch um übertragene Bedeutung handeln kann
(z.B. in „Heimsonne").
Von den Neologismen sind die „Okkasionalismen" zu unterscheiden (man
nennt sie auch „Einmalbildungen", „Augenblicksbildungen"). Sie werden
nicht als fertige Bildungen dem Wortschatz entnommen, sondern im Text
„produziert". In den meisten Fällen erscheinen sie bei ein und demselben
Autor, manchmal in ein und demselben Text. Dabei sind folgende Unterar-
ten der Okkasionalismen zu unterscheiden:
1. Okkasionalismen sind nach den vorhandenen Modellen und ohne Ver-
letzung ihrer gesetzmäßigen Füllung gebildet, d.h., dass sie systemgeprägt
sind. Z.B. „...mit blauen Plüschaugen" (L.Frank. Links, wo das Herz ist.
Berlin, 1955, S. 18), „geföhlsklug" (ebenda, S. 232), „Wieder kam aus der
Hörmuschel ein Sprechfeuerwerk" (J. Petersen. Yvonne. Berlin, 1958, S. 24),
„so charmant-verdreht" (ebenda, S. 39), „blutlebendige Jugend" (A. Seghers.
Überfahrt. Berlin u. Weimar, 1971, S. 165) u.a.m. Diese Okkasionalismen
lassen sich sogar außerhalb des Textes leicht verstehen, auch wenn eine Be-
deutungsübertragung (z.B. „Sprechfeuerwerk") vorhanden ist.
2. Weniger produktiv sind Okkasionalismen, die durch Verletzung der
morphologischen oder (öfter) semantischen Gesetzmäßigkeit der inneren Va-
lenz gekennzeichnet werden, z.B. (die) mondeinsame Halle (W.Borcherts
Werke. M., 1970, S. 125), „lilagehungerte Kinder" (ebenda, S. 178), „Bier-
flaschenjacke" (ebenda, S. 199), „Glücksbeamte,, (J.Becher. Abschied. M.,
1950, S. 219), „die Haben-haben-haben-Wirtschafisordnung" (L. Frank. Links,
wo das Herz ist, S. 342) u.a.m. Diese Okkasionalismen sind an den Text ge-
bunden und lassen sich nicht immer ohne Kontextumgebung verstehen.
Zu den Verletzungen der morphologischen Regeln der Füllung der Mo-
delle gehört die Bildung der „Zwillingsverben", die aus zwei verbalen Stäm-
men bestehen: sie finden sich „höchstens als stilistisch expressive Bildun-
gen in der Dichtung und in gewissem Ausmaß auch in der Fachsprache der
Technik"99. Solche Beispiele werden sowohl von W. Fleischer100, als auch von
W. Schneider101 angeführt. Es sind: rollrasseln, lebdonnern, schwatzlachen u.a.
Die Okkasionalismen verursachen einen mehr oder weniger greifba-en
stilistischen Effekt: besonders die Okkasionalismen mit Verletzung der all-
gemeinen Regeln der Wortbildung.
Im Allgemeinen sind die Grundmodelle wie auch die Regeln ihrer Fül-
lung stabil. Die Wortbildung weist in dieser Hinsicht einige Besonderheiten
im Vergleich mit anderen Sprachgebieten auf. So bleiben Wörter als Ganz-
heiten wie auch grammatische (morphologische, syntaktische) Strukturen,
141
die als Archaismen zu betrachten sind, im Sprachgebrauch isoliert und er-
scheinen höchstens als Historismen mitbestimmter stilistischer Färbung oder
als Zubehör der Beschreibung einer entfernten Epoche — man vgl.: „Base"
und „Oheim" durch „Tante" und „Onkel" verdrängt, „weiland" = „vor Zei-
ten" (jetzt nur mit der Bedeutung „verstorben", „selig" gebraucht), „Feuer-
stelle" als Bezeichnung einer Universität u. a. m. Als morphologische Ar-
chaismen erscheinen präteritale Formen „hüb", „pflog", als morphologisch-
syntaktische - teilweise der Genitiv in nicht attributiver Funktion, z.B. sich
der Sonne freuen, sich eines Tages erinnern, vergessen; „dieweil", „derweil",
„auf dass" als Unterordnungsmittel der Gliedsätze u.a.m.102 Was die Wort-
bildung angeht, so funktionieren manche Lexeme, nach jetzt unproduktiven
Modellen gebildet, im heutigen Wortschatz aktiv, z.B. Substantive mit den
Suffixen -t, -de {Macht, Tat, Saat, Neugierde, Zierde u.a.), Verben mit dem
Präfix ge- (gehören, gehorchen, geziemen), emp- (empfangen, empfinden)
u.a. Auch haben sich im Bestand der gebräuchlichen Wörter „Restelemen-
te" erhalten, die den in der Sprache verschwundenen freien Lexemen ent-
sprechen (siehe oben, Modelle 12,13, S. 103). Das alles zeugt von bestimm-
ten Tendenzen der Stabilität der Wortbildungsstrukturen: ihr archaischer Cha-
rakter verhindert die Bildung neuer Wörter, aber nicht den Gebrauch der
fertigen Strukturen.
Die Stabilität der Wortbildung als ganzes System widerspricht nicht dem
Vorhandensein dynamischer Prozesse in ihrem Bestand. Es handelt sich da-
bei nicht nur um die Entstehung von Neologismen. Dazu gehört die Entste-
hung — wenn nicht neuer Grundmodelle, — so doch ihrer Varianten, wie
auch neuer Gesetzmäßigkeiten ihrer Füllung und ihrer Funktion. Die Ge-
schichte der Sprache kennt manche Beispiele dieser Art. Zu nennen ist das
Eindringen der verbalen Stämme in manche Modelle der abgeleiteten und
zusammengesetzten Wörter. So wurde ursprünglich das adjektivische Suffix
-bar (seiner Herkunft nach mit dem Verb heran = tragen verbunden) nur
neben substantivischen Stämmen gebraucht, jetzt erscheint es zumeist in de-
verbalen Adjektiven, denen es passivische und modale Bedeutung verleiht
(brauch-, dreh-, wasch-, entzünd-, zerlegbar u.a.), während Adjektive mit
substantivischen Stämmen selten geworden sind (z.B. fruchtbar), und eini-
ge von ihnen wie dienstbare (Geister), milchbare (Kuh) als Archaismen emp-
funden werden. Verbale primäre Stämme erscheinen immer häufiger auch in
anderen suffixalen Adjektiven — mit den Suffixen -lieh (beweg-, ertrag-,
üblich), -haft, (lehr-, schwatz-, lebhaft) u.a.m. Obgleich die substantivischen
ersten Komponenten im Bestand der determinativen Komposita am häufig-
sten erscheinen, beobachten wir hier ebenfalls das Eindringen der verbalen
Stämme — zuerst in Anlehnung an verbale Substantive (Slafkamara), dann
auch ganz selbständig (Turnstunde, Schreibtisch, Wanderlied, Siedetempera-
tur u.a.). Es könnte noch eine ganze Reihe solcher Beispiele genannt werden.
Wie oben schon gesagt, werden nach archaischen Wortbildungsmodellen
keine neuen Wörter gebildet. Dieser Mangel wird durch das Entstehen neuer
Wortbildungsmittel neutralisiert. So schreibt Prof. W. Fleischer von der „Mor-
phematisierang" der Bestandteile der entlehnten Wörter in der deutschen
142
Gegenwartssprache wie -tron aus Elektron (Robo-, Cellatron), -thek (Biblio-,
Karto-, Phonothek), tele- (Teleklub, -vision), mini- (Minilok, -Straßen-
bahn, -koffer) u.a.m.103 Als ein anderer recht aktiver Weg der Bereicherang
der Wortbildungsmittel muss die Entstehung der Halbaffixe erwähnt wer-
den. Die Entwicklung der einzelnen Halbaffixe, wie auch des ganzen Sy-
stems dieser Wortbildurigsmittel, die Entstehung der entsprechenden Neolo-
gismen, das Ersetzen durch diese Mittel einzelner Affixe wie auch die Fül-
lung der „Leerstellen" innerhalb des Derivationssystems (z.B. bei der Nen-
nung der zählbaren unbelebten Dinge durch Verwendung der Halbsuffixe -
stück, -zeug, oder bei der Bildung stilistisch markierter Personenbezeich-
nungen mit den Halbsuffixen -person, -hans, -liese, -peter und anderer Ar-
ten von Lexemen mit den Halbpräfixen mords-, blitz-, stock- u.a.m.) verur-
sacht eine Art von „Bewegung" im synchronen Wortbildungssystem.
Die dynamischen Prozesse in der Wortbildung sind nicht nur mit dem
Vorhandensein der Halbaffixe als System verbunden, sondern auch mit der
Polysemie der Basislexeme und der Mannigfaltigkeit der Funktionen der
entsprechenden Elemente in der Sprache. Gleichlautende Elemente erschei-
nen innerhalb verschiedener Lexeme bald als Halbaffixe, bald als gewöhnli-
che Komponenten oder Komponenten mit hoher Frequenz der Komposita;
bei ihrer vollständigen semantischen Loslösung von dem Stammwort kön-
nen sie als regelrechte Affixe betrachtet werden (z.B. -zeug in einigen Fäl-
len). So ist groß- ein Halbpräfix in den Verwandtschaftsbezeichnungen (Groß-
mutter, -vater, -eitern), wo es die allgemeine Bedeutung einer „höheren Stu-
fe" in der Hierarchie der Verwandtschaftsbezeichnungen zum Ausdruck
bringt, erscheint aber als Komponente mit hoher Frequenz in den Komposita
Großbetrieb, -erdbeben, -bagger (das Merkmal eines hohen Maßes), und als
Komponente mit Einzelbedeutung im Kompositum Großbauer (Bauer mit
großem Grundbesitz und zahlreichem Vieh). Das Element -werk muss als
Komponente mit hoher Frequenz in den Komposita Automobil-, Metall-,
Riesen-, Elektromotorenwerk betrachtet werden; in Laub-, Blätter-, Mauer-,
Wurzelwerk als Halbsuffix, das Kollektiva bildet und das schon zum Status
der Suffixe neigt. Verschiedene Funktionen erfüllen die Elemente -mann, -frau,
-zeug im Bestand der Substantive und die Elemente pech-, himmel-, stock-,
Zucker- u.a. innerhalb der Adjektive. Tatsächlich stellt das ganze System der
Elemente, die teilweise als Halbaffixe gebraucht werden, eine „Zone" von
dynamischen Prozessen dar, was, wie es scheint, die Grundlage verschiede-
ner Meinungen in Bezug auf die „Halbaffixe" zu betrachten ist.
Zu den dynamischen Prozessen in der Wortbildung muss auch die Ent-
wicklung neuer Gesetzmäßigkeiten der Füllung der bereits vorhandenen
Modelle gezählt werden: in einigen Fällen handelt es sich um vollendete
Veränderungen, in anderen Fällen um okkasionelle Bildungen, deren Wie-
derholung von der Möglichkeit der Entstehung neuer Systemregeln zeugt.
Zu den ersten muss in der deutschen Gegenwartssprache das Erscheinen von
Ableitungen gezählt werden, deren unmittelbare Konstituenten etymologisch
nicht gleichartig sind. Früher war es nicht vorhanden, jetzt aber zeugt das
von der Tendenz des deutschen Wortschatzes zur Internationalisierung (wie
143
auch das Erscheinen neuer Affixe Typ -tron, siehe oben, S. 141). Als Bei-
spiele solcher Ableitungen können Substantive mit internationalen Stäm-
men und deutschen Suffixen dienen wie: Interessiert-, Explizit-, Motiviert-
heit; präfixale Verben wie verkomplizieren, versimplizieren und auch Ver-
bindungen entlehnter Affixe mit deutschen Stämmen — Benehmität, Mini-
koffer u.a. Verbreitet sind im modernen Deutsch die früher nicht geläufigen
Komposita von Typ Oxymoron: wehmütig-heiter (H.Heine. Ausgewählte
Werke. Band П. M., 1949, S. 18); Hassliebe (L.Frank. Links, wo das Herz
ist. Berlin, 1956, S. 212) u.a.m. Noch selten sind kopulative Verben (s. S. 131)
ein Modell, das von jeher nur für Substantive und Adjektive typisch war
(Dichterkomponist; schwarzweiß u.a.).
Zum Gebiet der dynamischen Prozesse in der Wortbildung gehört ein
den neuen Wortbildungsmitteln entgegengesetzter Prozess — die strukturel-
le Verselbständigung der Elemente der Komposita und der Ableitungen, ihre
Verwandlung in Lexeme. In diesem Fall findet eine „syntaktisch bedingte
Destruktion der zusammengesetzten und abgeleiteten Wörter" statt104. Es
handelt sich um die Möglichkeit der Aussonderung solcher Elemente in
Wortreihen infolge der Eliminierung der gleichlautenden Wortteile wie z.B.
Regional- und Senatsreform, Rohrbe- und -entlüfter, Wasser-, Ab- und Über-
laufventil u.a.m.105 Eine andere Art von Destruktion, die man „strukturell-
semantische" nennen kann, findet statt, wenn ein Attribut sich weder auf das
ganze Kompositum, noch auf das Grundwort, sondern auf das Bestimmungs-
wort bezieht. In der klassischen Stilistik und Grammatik werden solche Fäl-
le als „Verletzung der Norm" betrachtet: als Beispiele werden „falsche Kopp-
lungen" angeführt wie „der verrückte Kinderarzt", „die reitende Artillerie-
kaserne" u.a.m. Dennoch finden wir in der heutigen schöngeistigen Litera-
tur Beispiele ähnlicher Art: der Lebensretter meines Kindes (J.Petersen.
Yvonne. 1958. Berlin, S. 13) = „der Retter des Lebens meines Kindes" u.a.m.
Systemberechtigt sind Wortfügungen, in denen sich das Possessivpronomen
auf die erste Komponente des Kompositums bezieht — unsere Meinungs-
verschiedenheiten = „Verschiedenheiten in unseren Meinungen, sein Lebens-
werk — „das Werk seines Lebens", ihre Mundwinkel = „die Winkel ihres
Mundes", seine Wohnungstur = „die Tür zu seiner Wohnung" u.a. Solche
Wortfügungen werden auf Schritt und Tritt gebraucht.
Zu der „Verselbständigung" der Wortbildungselemente können gezählt
werden: der Schirm (in der Bedeutung von „Regenschirm"); der Ismus (aus
dem entlehnten Suffix der Substantive -ismus); das Mini, das Maxi (aus den
gleichlautenden entlehnten substantivischen Präfixen) u.a.
Die oben erwähnten Beispiele der dynamischen Prozesse in der synchro-
nen Wortbildung zeugen davon, dass es in der Sprache keinen Stillstand
gibt, dass sie sich in ständiger „Bewegung" befindet. Man muss aber unter-
scheiden, ob es sich um einzelne Prozesse handelt, die nicht immer leicht zu
beobachten sind, oder um prinzipiell neue Erscheinungen, d.h. qualitative
Veränderungen im Sprachbau, Die qualitativen Veränderungen vollziehen
sich so langsam, dass man sie im synchronen Querschnitt nicht immer be-
stimmen kann. Es handelt sich um Tendenzen, die bei weitem nicht immer
144
das Werden neuer Regeln verursachen. Im großen und ganzen bleibt das
Wortbildungssystem grundsätzlich stabil. Die allgemeine Stabilität der sprach-
lichen Gesetzmäßigkeiten ist von großer Bedeutung, denn sie erscheint als
Grandlage der Benennung neuer Realien, die mit den Veränderungen auf
allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens der Menschen verbunden sind.
ANMERKUNGEN
1
Fleischer W. Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. — 3. Überarb.
Aufl. — Leipzig, 1974. — S. 19 (u.a.); Степанова М.Д. Аспекты синхронного
словообразования//Иностр. языки в школе. — 1972. — № 3.
2
Dokulil M. Zur Theorie der Wortbildung // Zur Lexikologie der deutschen Spra-
che der Gegenwart. Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität.—Leip-
zig, 1968. — 17. Jg. — H. 2 / 3. — S. 205.
3
Ebenda. — S. 205.
4
Кубрякова Е. С. Что такое словообразование. — M., 1965. — С. 21,22.
5
Словарь словообразовательных элементов немецкого языка // Под рук.
М.Д.Степановой. — М., 1979. — С. 522
6
Русская грамматика. — М., 1982. — Т. I. — С. 135.
7
Степанова М.Д., Фляйшер В. Теоретические основы словообразования в
немецком языке. — М., 1984. — С. 80, 81.
8
Zitiert nach: Moskalskaja O.l. Probleme der systemhaften Beschreibung der
Syntax / Ins Deutsche übersetzt von Eberhard Fleischmann.—Leipzig, 1978.—S. 119.
9
Paul H. Deutsche Grammatik. — 3. Aufl.—Halle (Saale), 1957. — Bd. 5.—S. 3.
10
Ebenda. — S. 3.
11
HirtH. Etymologie der neuhochdeutschen Sprache. Darstellung des deutschen
Wortschatzes in seiner geschichtlichen Entwicklung. — München, 1909.
12
Schmidt W. Deutsche Sprachkunde: Ein Handbuch für Lehrer und Studieren-
de. — 1. Aufl. — Berlin, 1959 (der neue Aufl. folgten; 7. bearb. Aufl. — Berlin,
1972. — S. 344); Schippan Th. Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. —
Leipzig, 1984; Левковская К. А . Лексикология немецкого языка, — М., 1956. —
С. 247; Stepanova M.D., Üemyseva I.I. Lexikologie der deutschen Gegenwarts-
sprache. — M., 1975. — S. 272 (u.a.). Dasselbe gilt für die Lehrbücher der Lexiko-
logie des Englischen und des Französischen.
3
Степанова М.Д. Словосложение в современном немецком языке:
Автореф. дис.... докт. филол. наук ЛГУ им. А. А. Жданова. — Л., 1960; Пав-
лов В.М. Субстантивное словосложение в немецком языке: Автореф. дис. ...
Докт. филол. наук / Ленинградское отделение ин-та языкознания АН СССР. —
Л., 1973. Verschiedene Fragen der Wortbildung sind in Monographien und Aufsa't-
zen von Batrak, Korol, Levitene, Nedjalkov, Avetisjan, Jefimov, Cekunajeva, Anty-
§ev, Skakun, Bujanov, Novikova, Pamoroskaja, Kalasnikova u.a. erörtert.
14
Henzen W. Deutsche Wortbildung. — Halle (Saale), 1947.
5
Степанова М.Д. Словообразование современного немецкого языка. —
М., 1953.
'* Henzen W. Deutsche...—2. Aufl.—Tübingen, 1957; 3. Aufl. —Tübingen, 1965.
Вашунин В. С. Структура определительных сложных существительных
в современном немецком языке. — Куйбышев, 1982.
Fleischer W. Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. — 1. Aufl. —
Leipzig. 1969; 2. Aufl. — Leipzig, 1971; 3. Überarb. Aufl. — Leipzig, 1974.
10 2576 145
19
Naumann B. Wortbildung in der deutschen Gegenwartssprache. — Tübingen, 1972.
20
Erben J. Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. — Berlin, 1975.
21
Kühnhold /., Wellmann H. Das Verb: 1. Hauptteil. — 1. Aufl. — Düsseldorf,
1973; Wellmann H. Das Substantiv: 2. Hauptteil. — 1975; Kühnhold I., Putzer O.,
Wellmann H. Das Adjektiv: 3. Hauptteil. — 1978.
22
Степанова М.Д., Фляйшер В. Теоретические основы словообразования
в немецком языке. — М., 1984; Stepanova M.D., Fleischer W. Grundzüge der
deutschen Wortbildung / VEB Bibliographisches Institut Leipzig. — Leipzig, 1985.
23
Naumann B. Wortbildung... — S. 20.
24
Der Große Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. — 3. neu-
bearb. und erweiterte Aufl. Bearbeitet von P. Grebe./Bibliographisches Institut. —
Mannheim; Wien; Zürich, 1973. — Bd. 4. — S. 348.
25
Ebenda. — S. 353.
26
Ebenda. — S. 346.
27
Erben J. Einführung....
28
Deutsche Wortbildung....
29
Weisgerber L. Der Mensch im Akkusativ // Wirkendes Wort / Sprachwissen-
schaft. — Düsseldorf, 1962. — Sammelband 1. — S. 264 ff.; Die 4 Stufen in der
Erforschung der Sprache.—Düsseldorf, 1963 (und andere Arbeiten von L. Weisgerber).
30
Porzig W. Das Wunder der Sprache. — 3. Aufl. — Bern; München, 1962.
31
Geckeier H. Strukturelle Semantik und Wortfeldtheorie. — München, 1971.
32
Henzen W. Deutsche... — 3. Aufl. — Tübingen, 1865. — S. 14.
33
Jung W. Grammatik der deutschen Sprache. — Leipzig, 1966. — S. 390 ff.
34
Fleischer W. Wortbildung...
35
Fleischer W. Tendenzen der deutschen Wortbildung // Deutsch als Fremdspra-
che. — 1972. — H. 3. — S. 132 ff.
36
Fleischer W. Konnotation und Ideologiegebundenheit in ihrem Verhältnis zu
Sprachsystem und Text // Wissenschaftliche Zeitschrift / Gesellschafts- und Sprach-
wissenschaftliche Reihe. — Leipzig, 1978. — 27. Jg. — H. 5. — S. 543 ff.
37
Ebenda.
38
Степанова М.Д., Фляйшер В. Теоретические основы...
39
Вопросы немецкой грамматики в историческом освещении. — Л., 1955.
40
Адмони В.Г. Введение в синтаксис немецкого языка: Приложение к
главе III. — М., 1955. — С. 3 0 4 — 3 0 9 ; Москальская О.И. Грамматика не-
мецкого языка. — М., 1956. — С. 39; Гулыга Е.В., Натанзон М.Д. Грамма-
тика немецкого языка. — М., 1957.
41
Зиндер Л. Р., Строева Т. В. Современный немецкий язык. — М., 1957. —
С. 130 — 2 3 5 , 379 f.
42
Зуев А.Н., Молчанова И.Д., Руфьева АЛ., Степанова М.Д. Словарь
словообразовательных элементов немецкого языка / Под рук. М. Д. Степа-
новой. — М., 1979.
43
I m Allgemeinen und speziell in den germanischen Sprachen wird das Problem
besonders aktiv von Kubrjakova E.S. untersucht: Части речи в ономасиологи-
ческом освещении.—М., 1978; Типы языковых значений.—М., 1981 (u.a.m.).
44
Степанова М.Д. Словосложение в современном немецком языке: Ав-
тореф. дис.... докт. филол. наук; Павлов В.М. Субстантивное словосложе-
ние в немецком языке: Автореф. дис.... докт. филол. наук; Вашунин B.C.
Структура... Функции...
45
Die Arbeiten von M.D.Stepanova. Dann auch: Ефимов P.B. Синонимия
словообразовательных аффиксов// Сб. научных трудов/МГПИИЯ им. М.То-
146
реза. —М., 1975. —Вып. 91. — С. 15 (и далее); Буянов А .П. Субстантивные
полусуффиксы в словообразовательной системе современного немецкого
языка / АК МГПИИЯ им. М. Тореза. — М., 1979; Словарь словообразова-
тельных элементов...
46
Степанова М.Д. Валентность в синтаксисе и в словообразовании не-
мецкого языка. — М., 1983; Новикова H.H. Синсемантия существитель-
ных и именное словосложение в современном немецком языке: Автореф.
дис.... канд. филол. наук / МГПИИЯ им. М. Тореза. — М., 1978.
47
Кубрякова Е. С. О связях между лингвистикой текста и словообразо-
ванием// Сб. научных трудов / МГПИИЯ им. М. Тореза. — 1984. — Вып.
217; Степанова М.Д. Лексические и словообразовательные средства орга-
низации текста (там же).
48
Вашунин В. С. Ф у н к ц и и . . . — С. 34 — 54; Степанова М.Д., Фляйшер В.
Теоретические основы... — С . 6 4 — 7 8 , 1 8 0 — 182; 235 — 246; Борисенкова
Л. М. Семантическая структура и коммуникативные функции девербати-
вов, деадъективов и морфологически родственных им компонентов (на ма-
териале немецкого языка): Автореф. дис.... канд. филол. наук. — М., 1984.
49
БодуэндеКуртенеИ.А. Введение в языкознание. — Пг., 1917. — С. 197.
50
Глисон Т. Введение в дескриптивную лингвистику / Пер. с англ. Е. С. Куб-
ряковой и В. П. М у р а т . — М., 1959. — С. 99, 105 (и др.).
^ Fleischer W. Wortbildung... — S. 38, 39.
52
Ebenda. — S. 314; auch: Степанова М.Д., Фляйшер В. Теоеретические
основы... — С. 141.
53
Marchand H. The Categories and Types of Present-Day English Word-Forma-
tion. A Synchronic — Diachronie Approach. — Wiesbaden, 1960. — P. 2 ff.
54
Глисон Г. Введение... — С. 136.
55
Русская грамматика. — М., 1982. — Т. I. — С. 125.
56
Schippan Th. Lexikologie... — S. 75.
57
Fleischer W. Wortbildung... — S. 4 9 ff.
58
Блумфильд Л. Язык/Пер. с англ. Е.С.Кубряковой и В.П.Мурат. —
М., 1968. — С . 245 (и далее).
59
D e r Große Duden. — Bd. 4 . — S. 346.
60
Ebenda. — S. 369.
61
Fleischer W. Wortbildung... — S. 63 f., 72 ff (u.a.m.).
62
Ebenda. — S. 73.
63
Ebenda. — S. 204 f.
64
Ebenda. — S . 7 3 .
65
Zum Problem des Wortartwechsels, siehe: Степанова М.Д. Ч а с т и речи и
корреляция лексических единиц// Теория языка. Англистика. Кельтология. —
М., 1976.
66
Behaghel О. Die deutsche Sprache... — Halle (Saale), 1954. — S. 224.
67
Beispiele der Kurzwörter sind dem Buch von Fleischer W. entnommen: Wort-
bildung... — S. 232 ff.
68
Behaghel O. Die deutsche Sprache... — Halle (Saale), 1954. — S. 223, 224.
69
Ebenda. — S. 224.
70
Henzen W. Deutsche Wortbildung... — S. 192, 193.
71
Marchand H. The Categories... — P. 290 — 292.
72
Als erster gebraucht den Terminus „Halbaffix" Prof. OSanin in Bezug auf eine
Gruppe von wortbildenden Elementen in der chinesischen Sprache. Ошанин И. М.
О частях речи в китайском языке // Т р у д ы В И И Я . — 1 9 4 7 . — № 3. Zitiert nach:
10* 14 7
Цыкин B.B. П о л у а ф ф и к с а ц и я в составе к и т а й с к о г о словообразования//
ВЯ. — 1979. — № 5. — С. 80 (и далее).
73
Grimm H.J. Einige Gedanken zum Begriff „Halbsuffix" // Sprachpflege. —
1968. — № 4.
74
Petermann H. Semantische Veränderungen erster Kompositionsglieder im
Grenzbereich zwischen Zusammensetzungen und Präfixbildungen // Deutsch als
Fremdsprache. — 1971. — № 2.
75
Fleischer W. Wortbildung... — S. 67 — 76.
76
Fleischer W. Wortbildung... — S. 137; Степанова М.Д., Фляйшер В. Тео-
ретические основы... — С. 70 — 72,145 — 1 4 9 .
77
Словарь словообразовательных элементов... — С. 530 — 532.
78
Fleischer W. Wortbildung... — S. 65, 66. Er beruft sich dabei auf Dokulil M.
Zur Theorie der Wortbildung // Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-
Universität. Leipzig /Gesellschafts- und Sprachwissenschaft. Reihe 17. — 1968. —
S. 209. Siehe auch: Кубрякова Е. С. Теория номинации и словообразование//
Я з ы к о в а я номинация. Виды наименований. — М., 1977. — С. 265 (и далее).
79
Baidinger К. Kollektivsuffixe und Kollektivbegriff. — Berlin, 1950.
80
Weisgerber L. Grundzüge der inhaltbezogenen Grammatik. — Düsseldorf,
1962. — S. 222 ff. (u.a. Werke von L. Weisgerber).
81
BrinkmannH. Die deutsche Sprache.—Düsseldorf, 1971. — S . 17—40,116ff.
82
Русская грамматика. — M., 1982. — С. 200 (и далее).
83
Fleischer W. Wortbildung... — S. 198 — 1 9 9 , 340 ff.
84
Степанова М.Д. К вопросу о семантическом моделировании в сло-
вообразовании (на материале немецкого языка) // Вопросы семантики и
стиля. — Уфа, 1979. — С. 3 (и далее).
85
Weisgerber L. D i e inhaltbezogene Grammatik... — S. 231 ff.
86
Ebenda. — S. 256.
87
Menzerath P. Architektonik des deutschen Wortschatzes // Phonetische Studi-
en. —Bonn; Hannover; Stuttgart, 1954.—№ 3. Auf die Untersuchungen von Menze-
rath stützt sich auch Erben J. Deutsche Grammatik. Ein Abriß. — Berlin, 1972. — S. 47.
88
Brinkmann H. Z u s a m m e n s e t z u n g im Deutschen // Sprachforum. — Köln; Graz,
1956/57. — 2. Jg. — H. 3/4. — S. 222 ff.
89
Siehe z.B. Степанова М.Д., Фляйшер В. Теоретические основы... —
С. 83, 84.
90
Fleischer W. Wortbildung... — S. 178 —180.
91
Sütterlin L. Die deutsche Sprache der Gegenwart. — Leipzig, 1918. — S. 161.
92
Девкин В. Д. Особенности немецкой разговорной речи. — М., 1965. —
С. 229 (и далее); Немецкая разговорная лексика. — М., 1973. — С. 286;
Немецкая разговорная речь. — М., 1979. — С. 184.
93
Die Beispiele sind dem Aufsatz von Möller G. entnommen: Stilpraktische
Überlegungen zur Wortzusammensetzung // Sprachpflege. — 1973. — № 10. —
S. 193 ff.
94
Ebenda. — S. 197, 198.
95
Fleischer W., Michel G. Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. — Leip-
zig, 1975. — S. 115 ff.; Riesel E., Schendels E. Deutsche Stilistik. M., 1975. —
S. 171 ff.
96
Braun W. Neuwörter und Neubedeutungen in der Literatursprache der Gegen-
wart //Sprachpflege. — 1978. — № 8. — S. 164.
97
Neubert A. Zu Gegenstand- und Grundbegriffen einer marxistisch-leninistischen
Soziolinguistik//Beiträge zur Soziolinguistik. — Halle (Saale), 1974. — S. 29 ff.
148
98
Thilmann S.E. Neue Wörter bei der Kosmosforschung//Sprachpflege. —
1978. — № 1 2 . — S . 249 ff.
99
Fleischer W. Wortbildung... — S. 306.
100
Ebenda.
101
Schneider W. Stilistische deutsche Grammatik. — Freiburg; Basel; Wien,
1969.^—8.205.
102
Гулыга Е., Розен Е. Новое в лексике и грамматике немецкого языка. —
Л., 1977.
103
Fleischer W. Tendenzen... — S. 138.
104
Siehe Абрамов Б. А. Синтаксически обусловленная деструкция слож-
ных и производных слов // ВЯ. — 1970. — № 5. — С. 66 (и далее), diesem
Absatz sind auch die Beispiele entnommen; Носоченко С. Синтаксико-слово-
образовательное совмещение и его связь со способами словообразо-
вания (на материале современного немецкого языка)/МГПИ им. В.И.Ле-
нина. — М., 1977.
105
Абрамов Б. А. Синтаксически обусловленная деструкция. — С. 73.
3. DIE SOZIOLINGUISTISCHEN UND FUNKTIONALEN
ASPEKTE DER STRATIFIKATION DES
DEUTSCHEN WORTBESTANDES
3.1. EINFÜHRUNG
"""-»•^Erscheinungsweise
^~"\^CFunktion) soziologisch
räumlich stilistisch
(historisch)
Erscheinungsform"1"--»^
Einheitssprache, Kultursprache,
I. Schriftsprache Hochsprache
Gemeinsprache Standardsprache
II. Umgangssprache Verkehrssprache
Landschaftssprache (Stadtsprache)
oder Halbmundart
Alltagssprache
III. Mundart Ortssprache (Volkssprache) Haussprache
152
beschränkt sind; 3. Wörter und feste Wortkomplexe, die regional (landschaft-
lich) beschränkt sind. Ihre Charakteristika und Wechselbeziehungen sind
Objekte der soziolinguistischen Forschung.
3.2.1. BEGRIFFSBESTIMMUNG.
DAS PROBLEM DER KLASSIFIKATION
Für sozial-beruflich bestimmte Ausprägungen des Wortschatzes werden
in der Germanistik viele Termini gebraucht: Sondersprachen bzw. Sonder-
wortschätze, Sonderlexik, Soziolekte. Dieser Wortschatz entwickelt sich in
verschiedenen Gruppen der Sprachgemeinschaft auf Grund des gemeinsa-
men Berufes, gemeinsamer Interessen, gemeinsamer Lebensbedingungen.
Das ist also ein eigenständiger, von allgemein verständlichen Wörtern und
Wendungen der Gemeinsprache abweichender Wortschatz der sozialen Grup-
pen der Sprachgemeinschaft, differenziert nach Sachbereichen und anderen
Merkmalen des Gruppendaseins.
Zwei Besonderheiten der Sonderlexik wären aus soziolinguistischer Sicht
besonders hervorzuheben. Es handelt sich hier um keine selbständigen Er-
scheinungsformen der Sprache. Es ist nur ein eigentümlicher Wortschatz,
der in den lautlichen, grammatischen und anderen Formen der Gemeinspra-
che realisiert wird. Darum ist die ältere traditionelle Bezeichnung Sonder-
sprachen den jüngeren präzisierten Termini — Sonderwortschätze, Son-
derlexik, Soziolektismen — gewichen.
Ferner handelt es sich bei den Sonderwortschätzen um sozial relevante
Größen, d,h. es geht nicht um individuelle Abweichungen von der Norm der
Schriftsprache, sondern um die von der Norm abweichenden sprachlichen
Besonderheiten ganzer Sprechergruppen, was eine der Grundbedingungen
der soziolinguistischen Forschung ist11. Dieser Aspekt ist schon in der Be-
nennung des in jüngster Zeit aufgekommenen Terminus Soziolekt enthal-
ten, denn von Soziolekt wird gesprochen, wenn sprachliche Besonderheiten
an sozial-ökonomisch determinierte Kommunikationsgemeinschaften gebun-
den sind, vor allem also an gesellschaftliche Klassen und Schichten oder
politische Gruppen12.
In der Germanistik wurde die Sonderlexik traditionsgemäß in drei Grup-
pen eingeteilt: 1. Standessprachen (Jargons); 2. Berufssprachen (Berufswort-
schatz); 3. Fachsprachen (Termini)13.
Auf die Ungenauigkeit in der Bezeichnung dieses Wortschatzes als Spra-
chen wird auch in älteren einschlägigen Arbeiten hingewiesen, indem diese
sogenannten Sprachen als die in Wortschatz und Redewendungen eigentüm-
liche Ausdrucksweise gewisser Standes-, Alters- oder Berufsgruppen inner-
halb einer Gemeinsprache erläutert werden.
153
In der einschlägigen Literatur der letzten Zeit besteht eine Tendenz, den
Gesamtbereich der Sonderlexik nach der Art ihrer funktionalen Beschaffen-
heit als eine Zweiteilung zu betrachten: 1. Fachsprachen / Fachwortschätze;
2. gruppenspezifische Wortschätze14.
Im Zusammenhang mit der sprachtheoretischen Analyse des Verhältnis-
ses von Sprache und Gesellschaft scheinen die letzten Klassifikationen be-
sonders geeignet zu sein, die Spezifik in der Entwicklung des Sonderwort-
schatzes der Gegenwartssprache zu untersuchen. Im Unterschied zu her-
kömmlichen Betrachtungen der Sonderwortschätze, wobei besonders große
Aufmerksamkeit den sogenannten Standessprachen galt15, rücken heute im
Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Revolution Probleme der Fachle-
xik, des Fachwortschatzes oder der Fachsprachen in den Vordergrund.
Das hängt mit der immer stärker von Wissenschaft und Technik beein-
flussten gesellschaftlichen Entwicklung zusammen und mit einer zunehmen-
den Intellektualisierung auch der Gemeinsprache als Folge der gegenwärti-
gen gesellschaftlichen Entwicklung.
3.2.2. FACHSPRACHEN/FACHWORTSCHÄTZE
i
160
Die Hauptquelle der gruppenspezifischen Lexik der Jugendlichen ist die
gemeinsprachliche Lexik, aber auch Entlehnungen aus anderen Gruppen-
sprachen, Dialekten und Fremdsprachen sind zu verzeichnen. Gerade in der
Jugendsprache treten die Wechselbeziehungen zwischen gemeinsprachlicher
Lexik und anderen Gruppensprachen besonders deutlich zutage.
Die überwiegende Mehrheit der Jugendjargonismen (semantisch-trans-
formierte gemeinsprachliche Lexeme) entsteht durch metaphorische Bedeu-
tungsübertragung: Tenne für Tanzdiele 46 , Kanne für Saxophon, Pfanne für
Banjo, Badewanne, Hundehütte für Kontrabass, Schießbude für Schlagin-
strument, Wurzel für Klarinette 47 .
Interessant sind Fälle sekundärer semantischer Transformationen, die in
der Fachliteratur festgestellt werden 48 . Das Substantiv Bulle hat in der Um-
gangssprache folgende lexisch-semantische Varianten:
1. Kriminalbeamter, salopp abwertend; 2. starker, ungeschlachter Mann,
salopp, abwertend 49 . Die erste lexisch-semantische Variante ist laut lexiko-
graphischer Quelle aus dem Rotwelsch entlehnt, die zweite entstand durch
metaphorische Bedeutungsübertragung aufgrund der äußeren und inneren
Ähnlichkeit von Tier und Mann. In der Jugendsprache der 60er Jahre fun-
gierte das Lexem Bulle mit der Bedeutung „jugendlicher Boss", „ein nicht
mehr sehr junger, tonangebender Junge". Wenn bei primärer Metaphorisie-
rung von Bulle in der Umgangssprache ein Merkmal der Stärke ausgewertet
ist, so ist das in der Jugendsprache ein Merkmal der moralischen Stärke bzw.
Überlegenheit. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Bedeutung des
Wortes aus der Gruppensprache der Soldaten entlehnt wurde, wo Bulle „wich-
tige Person auf einträglichem Posten, leitendem Posten beim Militär" be-
zeichnet 50 .
Weitere Entlehnungen aus anderen Gruppensprachen sind z.B. Brumm-
те „Braut, Freundin" aus der Soldatenlexik, Ische „Freundin, Mädchen"
aus der Gaunersprache.
Entlehnungen aus Fremdsprachen sind primär Angloamerikanismen. Das
sind in erster Linie Bezeichnungen für Jugendliche selbst: der Teenager und
die Scheinentlehnung — der Twen (englisch nicht vorhanden, eine Bildung
der Jugendsprache aus dem engl. twenty). Ferner sind zahlreiche Angloame-
rikanismen zu nennen aus den Bereichen Musik, Film, Femsehen, Freizeit-
gestaltung, Mode: Western-, Country-, Funky-Musik, Hard-Rock, hard-ro-
ckige Komposition, Remake (Neuverfilmung eines älteren Spielfilmstoffes),
Blues-Revival, Disko, Diskjockey, Disko-Seiyice, Live-Disko, Single, Debüt-
Single, Single-Platte, Sportdress, T-Shirt u.a.m.
Interessante Ergebnisse zeigte die Analyse der wortbildenden Struktur
dieser gruppenspezifischen Lexik 51 . Bezeichnend ist hier die Tatsache, dass
die Wortbildung oft mit Prozessen der Bedeutungsübertragung verbunden
ist. Neben gewöhnlicher Zusammensetzung, wo der Jargonismus mit einer
näheren Bestimmung fungiert, z.B. Jazzbomber für „Tänzer mit großer Aus-
dauer im Tanz", gibt es Zusammensetzungen, in denen beide Komponenten
umgedeutet sind, z.B. Wimmerschlauch für Tonbandgerät, Flüstermaschine
für Telefon, Jubelrohr für Klarinette, Wimmerscheune für Konzertsaal.
H 2576 161
Eine Besonderheit der Wortbildung im Jugendjargon der 60er Jahre war
die hohe Produktivität des Suffixes -e, das im Wortbildungssystem der Ge-
meinsprache völlig unproduktiv ist und nur eine gewisse Verbreitung in der
Umgangssprache hat52. In der Jugendsprache dagegen entstanden sehr viele
Jargonismen aus entsprechenden Verben: die Benehme (sich benehmen), die
Tobe (toben), die Tippe (tippen) = Ausflug, Marsch; die Verhaue (verhauen)
= Fehler, Irrtum; die Heule (heulen) = Transistorradio; die Rauche (rauchen)
= Zigarette; die Rieche (riechen) = Nase; die Absteige (absteigen) = Hotel,
Wohnort, Wohnung; die Scheine (scheinen) = Lampe.
Die Sonderwortschätze wie Jugenddeutsch sind besonders wandelbar, was
bereits aus der thematischen Charakteristik der Jugendjargonismen zu erse-
hen ist. Darum ist die Bestandsaufnahme dieses Sonderwortschatzes in der
Lexikographie immer bedingt aufzufassen. Vieles von dem, was bekannt
und registriert wurde, ist bereits überholt, und es kommen immer neue Wör-
ter und Wendungen auf, die völlig überraschend wirken. Vgl. Ausdrücke,
die missbilligendes Erstaunen in der Jugendsprache der 70er — 80er Jahre
(BRD) wiedergeben:
Ich — glaub', ich knall' auseinander1.
Ich glaub', ich klink aus!
Ich glaub'.mein Opa boxt im Kettenhemd!
Ich glaub', der Papst boxt im Kettenhemd!
Ich glaub', mein Schwein pfeift!
Ich glaub', mein Hamster bohnert!
Ich schnall', ab!
Ich brech', zusammen!^
ANMERKUNGEN
l
MeilletA. Linguistique historique et linguistique generale. — Paris, 1926; zi-
tiert nach: Allgemeine Sprachwissenschaft. — Berlin, 1975. — Bd. 1. — S. 395.
2
Schmidt W., Scherzberg J. Fachsprachen und Gemeinsprache//Sprachpfle-
ge. — 1968. — № 4. — S. 65.
3
Schönfeld H. Zur Soziolinguistik in der DDR. Entwicklung, Ergebnisse, Auf-
gaben // Zeitschrift für Germanistik. — 1983. — № 2. — S. 215.
4
Große R. Sprachsoziologische Schichtung im Wortschatz // DaF. — 1972.—№ 6. —
S. 327.
5
Lewandowski Th. Linguistisches Wörterbuch. — Heidelberg; Wiesbaden,
1985. — S. 664.
6
Große R. Ebenda.
7
Kleine Enzyklopädie... — S. 420.
8
Schmidt W., Scherzberg J. Fachsprachen... — S. 65 f.
9
Kleine Enzyklopädie... — S. 430 f.
10
Siehe den Überblick über die Entwicklung der Umgangssprache: Домаш-
нее А. И. Современный немецкий язык в его национальных вариантах.—Л.,
1983. — С. 33 — 37; Kleine Enzyklopädie. — S. 430 f.
11
Schippan Th. Lexikologie... — S. 190 ff.
12
Theoretische Probleme der Sprachwissenschaft/Hrsg. von W. Neumann. —-
Berlin, 1976. — S. 570 — 582.
13
Stroh F. Handbuch der germanischen Philologie. — Berlin, 1952. — S. 334 ff.
14
Kleine Enzyklopädie... — S. 444 ff.; Schippan Th. Lexikologie... — S. 243 ff.
15
Kluge F. Unser Deutsch. Einführung in die Muttersprache. — 6. Aufl. — Hei-
delberg, 1958.
16
Реформатский A.A. Что такое термин и терминология. Вопросы терми-
нологии // Материалы всесоюзного терминологического совещания. — М.,
1961 (и др.).
172
17
Schmidt W., Scherzberg J. Fachsprachen...; Schmidt W. Charakter und gesell-
schaftliche Bedeutung der Fachsprachen/Sprachpflege. — 1969. — № 1; Schippan
Th. Die Rolle der politischen und philosophischen Terminologie im Sprachgebrauch
beider deutscher Staaten und ihre Beziehungen zum allgemeinen Wortschatz // Wis-
senschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität. — Leipzig, 1968. — H. 2 / 3;
Heller K. Der Wortschatz unter dem Aspekt des Fachwortes — Versuch einer Syste-
matik//Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität. — 1970. — № 4;
Friese E. Stellung, Wesen und Charakter der technischen Fachsprachen in der ge-
sellschaftlichen Kommunikation//Sprachpflege. —1974. — № 1 (u.a.).
18
Heller K. Der Wortschatz... — S. 533 ff.
19
Friese E. Stellung, Wesen und Charakter... — S. 12.
20
Schippan Th. Die Rolle... — S.181
21
Drozd L. Die Fachsprache als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts //
DaF. — 1966. — № 2. — S. 25.
22
Moser H. Deutsche Sprachgeschichte. — 5. Aufl.—Tübingen, 1965. — S. 15 ff.
23
Porzig W. Das Wunder... — S. 260.
24
Kluge F. Unser Deutsch....
25
Stroh F. Handbuch... — S. 335; siehe auch Schmidt W., Scherzberg J. Fach-
sprachen... — S. 66. Eine ähnliche Beobachtung wurde ebenso in der älteren Fach-
literatur gemacht: Schirmer A. Die Erforschung der deutschen Sondersprachen // Ger-
manisch-romanische Monatsschrift. — 1913. — № 5. — S. 11.
26
Schmidt W. Charakter... — S. 20.
27
Riesel E. Stilistik... — S. 102.
28
Schmidt W. Charakter... — S. 20.
29
Гаранина H. С. Специальная лексика / МГУ. —1967.
30
Kluge F. Unser Deutsch....
31
Ebenda. — S. 102.
"Ebenda.
33
Kleine Enzyklopädie... — S. 300; Schippan Th. Lexikologie... — S. 237 f.
34
Heinemann M. Zur Signalfunktion der Jugendsprache//Linguistische Studi-
en. Reihe A Arbeitsberichte. — Berlin, 1983. — S. 122—136.
35
Портяниикова В. Н. Некоторые проблемы лексической характеристики
жаргонизмов (на материале «молодежного жаргона» современного языка в
ФРГ): Автореф. дис.... канд. филол. наук. — М., 1971. — С. 10.
36
Porzig W. Das Wunder... — S. 253 ff.
37
Riesel E. Der Stil der deutschen Alltagsrede. — M„ 1964. — S. 112.
38
Hartwig W.D. Kommunikation und Sprachvariation. — Berlin, 1981. — S. 16.
35
Heinemann M. Zur Signalfunktion... — S. 130.
40
Steiler Zahn und Zickendraht. Das Wörterbuch der Teenager- und Twenspra-
che. — Stuttgart, 1960; Welter E. G. Die Sprache der Teenager und Twens.—Frank-
furt/Main, 1964; Küpper H. Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. — Ham-
burg, 1970.—Bd. VI.
41
Müller-Thurau C.P. Lass uns mal'ne Schnecke angraben. Sprache und Sprü-
che der Jugendszene. — 7. Aufl. — Düsseldorf, 1983.
42
Ebenda, — S. 161.
43
Ebenda. — S. 116.
44
Heinemann M. Zur Signalfunktion... — S. 132 f.
45
Ebenda. — S. 130.
46
Küpper H. — Bd. VI. — S. 330.
47
Портянникова В. Н. Некоторые проблемы... — С. 16.
173
48
Ebenda. — S. 13 f.
49
WDG. — S. 697.
50
Портятшкова B.H. Некоторые проблемы... — С. 15, 16.
51
Ebenda. — S. 18 f.
52
ДевкииВ.Д. Немецкая разговорная речь. — М., 1979. — С. 191. Козыре-
ва И. В. Словопроизводство коллоквиализмов в современном немецком язы-
ке: Автореф. дис.... канд.филол. наук / МГПИ им. В. И. Ленина. — М., 1967.
53
Müller-Thumu СР. Lass.... — S. 54 f.
54
Schirmer А. Deutsche Sondersprachen//GRM. — 1913. — H. 1. — S. 2.
55
Schmidt W., Scherzberg J. Fachsprachen... — S. 68 ff.
56
Heller K. Der Wortschatz... — S. 537. Dazu ausführlicher bei Schippan Th.
Die Rolle... — S. 177 ff. und besonders bei Fleischer W. Terminologie und Fach-
sprache im Bereich der Politik. Abschnitt: zum Begriff Fachsprache // Wissenschaft-
liche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule / Gesellschafts - und Sprachwissen-
schaftliche Reihe. — Potsdam, 1969. — H. 13. — S. 475 ff.
57
Schmidt W., Scherzberg J. Fachsprachen... — S. 69.
58
Ischreyt H. Studien zum Verhältnis von Sprache und Technik. — Düsseldorf,
1965. — S . 199.
59
Зиндер Л. Р., Строева Т. В. Современный немецкий язык. — М., 1957.
т
Heineinann M. Wie modern sind Modewörter /Sprachpflege. —1984.—H. 11.—
S. 159.
61
Ebenda.
62
Der Große Duden. — Mannheim, 1963. — Bd. 7. — S.268.
63
WDG. — S . 1874.
64
Филин Ф.П. О структуре современного русского литературного язы-
ка // ВЯ. — 1973. — №2. — С. 3, 4.
65
Kleine Enzyklopädie... — S. 384 f.
66
Näheres siehe: Guchmann M.M. Die Literatursprache//Allgemeine Sprach-
wissenschaft. — Berlin, 1973. — Bd. I. — S. 412 ff.
67
Жирмунский В.М. Проблема социальной дифференциации языков//
Язык и общество. — М., 1968. — С. 22—39.
68
D i e Mundart ist eine selbständige Erscheinungsform u n d unterscheidet sich
von der Schriftsprache auch in phonologischer und grammatischer Charakteristik,
auf die hier näher nicht eingegangen wird.
69
Kadel P. Beiträge zur rheinhessischen Winzersprache. — Gießen, 1928.
70
Näheres siehe: Жирмунский В. М. Н а ц и о н а л ь н ы й я з ы к и с о ц и а л ь н ы е
диалекты. — Л., 1936. — С. 79 (и далее).
71
Kleine Enzyklopädie... — S. 385.
72
Behaghel 0. Schriftsprache und Mundart. — Gießen, 1896. — S. 9.
73
Schambach G. Wörterbuch der niederdeutschen Mundart der Fürstentümer
Göttingen und Grubenhagen. — Hannover, 1858.
74
Behaghel 0. Schriftsprache... — S. 14.
75
Reis H. Die deutschen Mundarten. — Berlin; Leipzig. — 1912. — S. 2.
76
Wiese 0. Unsere Muttersprache, ihr Werden u n d ihr Wesen. — Leipzig; Ber-
lin. — 1902. — S. 72.
77
Becker H. Zu Mundart und Mundartforschung // Sprachpflege. — 1 9 5 8 , — № 7. —
S. 97, 98.
78
Gementz H. J. Über den Auflösungsprozess der Mundart im Norden der Deut-
schen Demokratischen Republik: Xth International Congress of Linguists. — Buka-
rest, 1967.—S. 118 ff.
174
79
Schönfeld H. Zur Soziolinguistik in der DDR // Zeitschrift für Germanistik. —
Leipzig. — 1983. — № 2. — S. 219.
80
Zitiert nach: Schippan Th. Lexikologie der deutschen Gegenwartsprache. —
Tübingen, 1992. — S. 14
81
Große R. Sprachsoziologische... — S. 329.
82
Ebenda.
83
Kretschmer P. Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache. — Göt-
tingen, 1918. — S . 2.
84
Große R. Sprachsoziologische... — S. 330.
85
Ebenda.
86
Nach dem Charakter der Einheit und dem Stand des Normierungsprozesses
gehört die deutsche Spache ähnlich wie Englisch und Französisch zu Literaturspra-
chen, die neben einem grundlegenden Standard eine mehr oder weniger standardi-
sierte Variante als Literatursprache einer anderen Nation aufweisen//Allgemeine
Sprachwissenschaft. — Berlin, 1975. — Bd. I. — S. 453.
87
Riesel E. Stilistik... — S. 88; Der Stil... — S. 11 ff; Домашнее А.И. Очерк
современного немецкого языка в Австрии...—М., 1967; Перковская И. Д. Диф-
ференциальные признаки швейцарского варианта немецкого литератур-
ного языка (на материале швейцарской художественной литературы 19 и
20 в. и современной швейцарской прессы: Автореф. дис.... канд. филол.
наук / МГПИИЯ им. М. Тореза. — М., 1972; Домашнее А. И. Современный
немецкий язык в его национальных вариантах.
88
Kretschmer Р. Wortgeographie.... Aus „Vorbemerkungen zur 2. Auflage". —
Göttingen, 1969.
89
Архангельская K.B. Равноязычные синонимы немецкого языка (К про-
блеме классификации синонимов) // Уч. зап. /1 МГПИИЯ. — М., 1958. —
Т. XVI. — С. 153—161; Große R. Sprachsoziologische...
4. PHRASEOLOGIE
4.1. BEGRIFFSBESTIMMUNG.
ZIELE UND FRAGESTELLUNGEN
DER PHRASEOLOGISCHEN FORSCHUNG
Die Phraseologie ist ein neuer Bereich der Linguistik, der sich mit fe-
sten Wortkomplexen einer Sprache befasst. Feste Wortkomplexe sind se-
kundäre sprachliche Zeichen. Sie werden auf der Basis der primären bzw.
minimalen sprachlichen Zeichen, der Lexeme gebildet. Deshalb werden
sie auch komplexe Zeichen genannt. Der Struktur nach sind das Syntag-
men bzw. Wortgruppen und Sätze, die nach produktiven Modellen der Syn-
tax gebildet sind. Von den variablen Syntagmen unterscheiden sie sich da-
durch, dass innerhalb der festen Syntagmen und Sätze keine regulären se-
mantischen Beziehungen bestehen. Produktive strukturell-semantische
Modelle der Syntax dienen in diesem Fall zum Ausdruck einer unterschied-
lichen Semantik. Vgl.:
„jmdm. den Kopf waschen" als variables Syntagma bezeichnet eine kon-
krete Situation, in der einer dem anderen den Kopf wäscht;
„jmdm. den Kopf waschen" als festes Syntagma — ugs. jmdn. scharf
zurechtweisen;
„Das kannst du vergessen!" als variabler Satz bezeichnet die Aufforde-
rung, dass man irgendetwas vergessen kann;
„Das kannst du vergessen!" als festgeprägter Satz — ugs. das ist nicht
mehr aktuell; daraus wird nichts; z.B. den Mantel kannst du vergessen! (= er
ist nicht mehr brauchbar).
Unter festen Wortkomplexen sind somit reproduzierbare Syntagmen
bzw. Wortverbindungen, Wortgruppen, prädikative Verbindungen und fest-
geprägte Sätze zu verstehen, die über eine besondere Semantik verfügen.
Als Träger einer solchen gehen sie in das semantische System der Sprache
ein. Ihr Aufkommen und Bestehen in natürlichen Sprachen ist eine Folge-
erscheinung der Divergenz zwischen der Unendlichkeit der menschlichen
Erkenntnis, der gesellschaftlichen Praxis und der beschränkten Zahl der
Wurzelmorpheme.
Im Rahmen der sich intensiv entwickelnden Theorie der sprachli-
chen Nomination1 in unserer Linguistik sind weiterführende Aspekte
der modernen Phraseologieforschung deutlicher in Erscheinung getre-
ten. Diese betreffen in erster Linie folgende Bereiche der linguistischen
Forschung:
176
(1) Benennungsaspekt, d.h. die Untersuchung der Frage, welche Frag-
mente der außersprachlichen Wirklichkeit durch feste Wortkomplexe be-
zeichnet werden. Die Mechanismen ihrer Erzeugung, Probleme der Mo-
dellierung.
(2) Semantische Eigenständigkeit im Vergleich zu minimalen sprachli-
chen Zeichen primär im Hinblick auf den denotativ-referentiellen Bedeu-
tungsanteil.
(3) Kommunikativ-pragmatische Potenzen und Leistungen.
Der eigentlichen Betrachtung der oben genannten Fragen wären einige
begriffliche und terminologische Präzisierungen vorauszuschicken.
Der Begriff „Phraseologie" ist bis heute terminologisch nicht eindeutig.
In letzter Zeit gewinnt allerdings ein deutliches Übergewicht die Konzepti-
on, nach der sich dieser Bereich der linguistischen Forschung mit allen Ar-
ten fester Wortkomplexe der Sprache befasst. Demnach sind vorerst die Klas-
sen fester Wortkomplexe zu besprechen.
12 2576 177
(g) blinde Fenster, Türen; ein blindes Knopfloch „vorgetäuschte Fenster"
usw.;
(h)jmdn., etw. in Empfang nehmen „jmdn., etw., empfangen";
(hj) ein Berg von einem Zuchtbullen ugs.;
(i) der Nahe Osten;
{ij) Nationales Olympisches Komitee.
Wie die Beispiele zeigen, sind die angeführten festen Wortkomplexe syn-
taktisch sowohl Wortgruppen (a), (aj), (b), (bj), (c), (d), als auch Sätze (e),
(ei)> (ег)'> semantisch sind es sowohl ganzheitliche umgedeutete feste Wort-
komplexe wie (а), (а,), (b), (b,), (c) und nicht umgedeutete (i), (i t ) als auch
solche mit analytischer Bedeutung (f), (fi), (g); ferner sind hier festgeprägte
Sätze mit übertragener und erweiterter Bedeutung (e), (e{), (e2) und schließ-
lich Wortkomplexe, die semantisch und strukturell nach bestimmten Model-
len der Sprache in der Rede aktualisiert werden (h), (hj); funktional sind die
festen Wortkomplexe ebenso nicht homogen, denn einige davon sind rein
benennende (denotative) Spracheinheiten wie (i), (ii), (g), (h), die anderen
dagegen wertende, charakterisierende (konnotative) wie (a), (a^, (b), (bj,
(c), (d), kommentierende, verallgemeinernde wie (e), (e{), (e2). Diese sind
infolgedessen oft stilistisch markiert.
Die Vielfalt der Forschungsobjekte bedingt in diesem Fall die Wahl eines
Komplexes von Kriterien, deren Anwendung die Eigenart fester Wortkom-
plexe identifizieren lässt. Es werden also alle wesentlichen Faktoren berück-
sichtigt, die sie konstituieren: die grammatische (syntaktische) Struktur, die
Verknüpfungsart des Konstituentenbestandes, die Semantik als Ergebnis des
Zusammenwirkens von Struktur und Umdeutung einschließlich des Umfangs
der Umdeutung.
Daraus ergeben sich folgende Kriterien zur Identifizierung fester Wort-
komplexe aus synchroner Sicht:
1. grammatische (syntaktische) Struktur:
a. Wortverbindungen bzw. Wortgruppen;
b. prädikative Verbindungen und Sätze.
2. Verknüpfungsart der Konstituenten:
a. singuläre;
b. serielle;
с modellierte.
3. Bedeutung als Resultat des Zusammenwirkens von Struktur und se-
mantischer Transformation der Konstituenten:
a. Bedeutung als Ergebnis der semantischen Transformation
des Konstituentenbestandes;
b-. Bedeutung als Ergebnis einer typisierten Struktur (modelliert);
с Bedeutung als Ergebnis der eigentlichen lexikalischen
Bedeutungen des Konstituentenbestandes2.
178
Die Anwendung der entwickelten Kriterien ermöglicht es, folgende Klas-
sen fester Wortkomplexe aufzustellen:
Syntaktische Wortverb. Präd. Wortverb. Wortverb u. Wortverb.
Struktur Verbind, u. Satz
Satz
\Bedeutung transformiert
übertragen übertragen übertragen modelliert eigentlich
(alle Konsti- od. erwei- (eine Konsti-
tuenten) tert tuente)
VdK* \
singulär Ia Ib Ic IV
seriell II
modelliert III
Die I. Klasse (Ia, Ib, Ic) ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
singuläre Verknüpfbarkeit der Konstituenten3 und semantisch transformier-
te Bedeutung (übertragene oder erweiterte).
Die Subklasse Ia erfasst die festen Wortkomplexe mit der syntaktischen
Struktur der Wortverbindungen bzw. Wortgruppen, deren Bedeutung auf-
grund der semantischen Transformation des gesamten Konstituentenbestan-
des entsteht. Das sind die Beispiele (a), (aj), (b), (bj), (c).
Die Subklasse Ib erfasst die Komplexe mit der syntaktischen Struktur der
Sätze bzw. der prädikativen Verbindungen, deren Bedeutung auf dem Wege
der Bedeutungsübertragung bzw. -erweiterung zustande kommt. Das sind
die Beispiele (e) (в[), (е2).
Die Subklasse Ic erfasst die Komplexe, die durch eine singuläre Ver-
knüpfung einer semantisch transformierten (übertragenen) Konstituente ent-
stehen. Die andere Konstituente solcher festen Wortkomplexe ist nicht über-
tragen. Vgl. die Beispiele (f), (fi).
Die II. Klasse fester Wortkomplexe ist gekennzeichnet durch die serielle
Verknüpfung einer semantisch transformierten (übertragenen) Konstituente
mit Lexemen in der eigentlichen Bedeutung. Vgl. das Beispiel (g).
Die III. Klasse ist durch modellierte Verknüpfung der Konstituenten und
eine modellierte Semantik gekennzeichnet, d.h. es handelt sich hier um be-
stimmte Strukturen bzw. Modelle der Sprache mit einer typisierten Semantik,
die auf der Ebene der Rede situativ realisiert werden, vgl. die Beispiele (h), (hi).
Die Einbeziehung der III. Klasse in das Korpus fester Wortkomplexe ist
insofern bedingt zu betrachten, als es sich in diesem Fall um Schemata han-
delt, deren lexikalischer Bestand erst in der Rede konkretisiert wird.
Die IV. Klasse kennzeichnet sich durch eine singuläre Verknüpfung der
Konstituenten für die gegebene Semantik, die aufgrund der eigentlichen le-
xikalischen Bedeutung derselben entsteht, vgl. die Beispiele (i), (i,).
12* 179
Terminologische Bezeichnungen für die vier gewonnenen Klassen fester
Wortkomplexe sind:
I. Phraseologismen. III. Modellierte Bildungen.
П. Phraseologisierte Verbindungen. IV. Lexikalische Einheiten.
186
4.2.3.3. Adverbiale Phraseologismen
Adverbiale Phraseologismen entstehen auf der Basis der syntaktischen
Modelle (7), (8), (9), (10), (11), (12), (13), (14), (15), (16) (siehe S. 182).
Diese Modelle erfassen grundsätzlich drei Gruppen der Phraseologismen:
1. adverbiale Phraseologismen mit der syntaktischen Struktur der Präpo-
sitionalgruppen, Modelle (12), (13), z.B. durch die Bank „gänzlich, ohne
Ausnahme", um ein Haar „beinahe", aus dem Stegreif „ohne Vorbereitung,
improvisiert", mit offenen Armen „freudig", unter vier Augen „ohne Zeu-
gen";
2. Paarformeln bzw. Wortpaare, Modelle (7), (8), (9), (10), (11).
3. Komparative Phraseologismen, Modelle (14), (15), (16). Da die letz-
ten zwei Gruppen besonders mannigfaltig und zahlreich sind, werden sie
gesondert betrachtet.
Das wichtigste strukturelle Merkmal der Paarformeln ist, dass sie binäre
Wortfügungen sind, d.h. Fügungen aus zwei Lexemen der gleichen Wortart.
Paarformeln verdienen unter phraseologischen Einheiten eine besondere
Beachtung, weil sie sehr produktiv sind und neben den kodifizierten alten
und älteren Paarformeln zahlreiche Bildungen dieser Art nach den struktu-
rell-semantischen Modellen der Paarformeln in der Gegenwartssprache ent-
stehen. Dieser Aspekt bei der Betrachtung der Paarformeln wird in der ein-
schlägigen Forschung oft übersehen.
Die meisten Paarformeln haben wie auch die anderen adverbialen Phra-
seologismen vorwiegend modale Bedeutung, ein kleinerer Teil lokale und
temporale. Sie werden wie Adverbien als adverbiale Bestimmungen ge-
braucht11.
Entsprechend den syntaktischen Modellen werden die Paarformeln un-
terschieden in:
187
Hinsichtlich der Semantik sind die Paarformeln generell ganzheitlich.
Dies entsteht auf Grund verschiedener semantischer Umformungen der bei-
den Konstituenten. Hier lassen sich folgende grundsätzliche Phraseologisie-
rungsarten feststellen:
(1) Die ganzheitliche Bedeutung entsteht durch die metaphorische oder
metonymische Bezeichnungsübertragung der binären Wortgruppen, deren
Konstituenten in einem Verhältnis der Ähnlichkeit (Synonymie), der Ergän-
zung oder des Gegensatzes (Antonymie) zueinander stehen, z.B.:
Feuer und Flamme „begeistert", „sofort für etwas begeistert sein" mit
Haut und Haar „ganz", „völlig".
(2) Die ganzheitliche Bedeutung entwickelt sich aufgrund der semanti-
schen Konsolidierung der beiden Konstituenten der binären Wortgruppen,
die in einem Verhältnis der Synonymie, der Ergänzung oder der Antonymie
zueinander stehen, z.B.:
Grund und Boden „Grandbesitz";
Haus und Hof „jmds. gesamter Besitz";
Freund und Feind „alle";
arm und reich „alle";
alt und jung „alle".
Die Entstehung der ganzheitlichen Bedeutung der Paarformeln, im be-
sonderen der Gruppe (2), wird in der neueren einschlägigen Forschung mit
überzeugenden Belegen aus der Rechtssprache illustriert' 2 . Ein Teil solcher
Wortpaare wird als substantivische Phraseologismen verwendet.
Die ganzheitliche Bedeutung der Paarformeln ist auch rein formell fest-
stellbar, was schon F. Seiler seinerzeit zeigte. Sie fungieren in der Rede als
eine Art Zusammensetzung, z.B. mit Hab und Gut, mit all ihrem Hab und
Gut, obwohl es die Habe heißt; er lief in die Kreuz und Quere trotz das
Kreuz- Vgl. auch andere typische Realisierungen der Paarformeln: ein klipp
und klares Ja; ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen.
(3) Die ganzheitliche Bedeutung entsteht auf Grund der tautologischen
Verknüpfung der identischen Wortarten, die deshalb auch tautologische Paar-
formeln genannt werden, z.B. Schritt für Schritt, Schritt um Schritt, Stunde
für Stunde, Schlag auf Schlag, durch und durch, halb und halb.
Ihre Semantik ist primär als Verstärkung ihrer kategorialen Semantik zu
bezeichnen, z. B. Schlag auf Schlag „in rascher Folge, rasch nacheinander"),
vgl. den Kontext: Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt an
aber kam es Schlag auf Schlag (W.Hauff. „Die Geschichte von der abge-
hauenen Hand". Ferner: Schulter an Schulter [stehen] „dicht gedrängt, sehr
dicht beieinander [stehen]"; Kopf an Kopf [stehen] „dicht gedrängt [stehen]";
durch und durch „völlig", z.B. in den Kontexten: ich bin durch und durch
nass; durch und durch davon überzeugt sein, dass... Hinsichtlich der Model-
lierbarkeit sind die tautologischen Paarformeln nicht gleich, da die Phraseo-
logisierungsprozesse in den einzelnen Paarformeln verschieden sind. So gibt
es Paarformeln durch und durch, über und über, nach und nach, aber es gibt
keine Formeln* auf und auf,* wider und wider,* gegen und gegen12.
188
Im Rahmen der tautologischen Paarformeln ist jedoch ein Modell mit
frei austauschbaren Konstituenten feststellbar. Das ist S + für + S, in dem/иг
nicht die Bedeutung der freien Präposition hat. Die typisierte Semantik die-
ses Modells wird von H. Burger folgenderweise formuliert: jedes X, eines
nach dem anderen14, Jahr für Jahr, Tag für Tag, Stunde für Stunde, aber
auch andere nicht nur auf Zeitbezeichnungen beschränkte Begriffe: Punkt
für Punkt, vgl. den Kontext: Sie überlegte eifrig seine Worte, verarbeitete
sie Punkt für Punkt; Wort für Wort. Einen weiteren Einblick in die Model-
lierbarkeit der Paarformeln kann man auf Grand ihres Funktionierens in ver-
schiedenen Textsorten bekommen.
13 2476 193
(Ach du) heiliger Schreck.' ) Ausruf des Entsetzens, Schreckens
Ach, du Schreck! i
(Aber) ich bitte Sie! (ugs.) | Ausrufe der Entrüstung
Ich muss doch sehr bitten! (ugs.) I
In struktureller Hinsicht sind sprichwörtliche Satzredensarten sehr man-
nigfaltig. Neben Aussagesätzen der charakterisierenden sprichwörtlichen
Satzredensarten (siehe oben) gibt es auch zusammengesetzte Sätze: So was
lebt, und Schiller musste sterben, salopp, scherzh. „So dumm kann ein Mensch
sein und stirbt nicht an seiner Dummheit"; Wissen, was die Uhr geschlagen
hat „über jmds. Zorn, Empörung Bescheid wissen".
Besonders zahlreich sind Aufforderungssätze bei interjektionalen und
modalen Satzredensarten des Typs: Du kriegst die Tür nicht zu! ugs. (Ausruf
des Erstaunens), Nun wird's aber Tag! salopp „das ist ja unglaublich!" und
Fragesätze: Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? salopp „Bist
du denn normal?".
4.2.4.2. Sprichwörter
Die Sprichwörter weisen im Vergleich zu sprichwörtlichen Satzredensar-
ten einen grundsätzlichen Unterschied auf: Ihre Semantik entsteht nicht durch
die Phraseologisierung des Konstituentenbestandes im jeweiligen Sprich-
wort, sondern stellt die auf bestimmte Situationen bezogenen Verallgemei-
nerungen der menschlichen Lebenserfahrung dar.
Dieses unterschiedliche Merkmal der Sprichwörter wird z.B. bei
V.N.Telija folgenderweise formuliert: „Wie uns scheint, bilden die Sprich-
wörter ein besonderes Korpus der in gewissem Sinne paralinguistischen
Einheiten, deren Bedeutung außerhalb der eigentlichen sprachlichen
Strukturierung geformt wird, auch wenn sie durch sprachliche Mittel aus-
gedrückt ist21.
Nach ihrer Entstehung „im Volksmund", ihrer Semantik („lehrhafte Ten-
denz", Verallgemeinerung der Lebenserfahrung, Volksweisheit)22 und ihrem
Gebrauch, — sie fungieren als selbständige Texte — gehören diese Gebilde
zur Folklore. Dieser Umstand darf aber nicht entscheidend sein bei der Dis-
kussion über die phraseologische Zugehörigkeit der Sprichwörter23.
Trotz der grundlegenden Unterschiede zwischen Sprichwörtern und Phra-
seologismen aller anderen Arten weisen sie Merkmale auf, die sie in den
phraseologischen Bestand einbeziehen lassen. Das sind:
1. Semantische Spezialisierang der Sprichwörter, die infolge des logisch-
syntaktischen Phraseologisierangstyps zustande kommt24. Das sind bestimmte
„logische Regeln", die sprachlich realisiert werden und vielfach ganze Seri-
en von synonymischen Sprichwörtern ergeben. Vgl. die Regel „Wer einmal
die Sache unterstützt, kann sich nicht mehr von ihr distanzieren" und ihre
sprachlichen Realisierungen:
Wer A sagt, muss В sagen.
Wer das Pferd will, muss auch die Zügel nehmen.
194
Wer den Wein trinkt, muss auch die Hefe trinken.
Wer zum Spiele kommt, muss spielen.
Wer den Teufel im Schiffe hat, der muss ihn fahren25.
Oder die Regel „Wie das Haupt einer Gemeinschaft ist, so ist auch die
Gemeinschaft selbst" und ihre sprachlichen Realisierungen:
Wie der Abt, so die Brüder.
Wie der Herr, so 's Gesehen:
Wie der Herr, so der Knecht.
Diese semantische Spezialisierung wird manchmal, wie oben erwähnt,
auch als „lehrhafte Tendenz", „didaktischer Sinn" formuliert. Die wichtig-
ste Folge der bezeichneten logisch-syntaktischen Phraseologisierung ist
die Bildung bzw. Entstehung der Spracheinheiten, die, ähnlich anderen
Phraseologismen, zum Inventar der konnotativen sprachlichen Zeichen
gehören.
Wenn man das Sprichwort als sprachliches Zeichen besonderer Art be-
trachtet, so ist der Terminus „kommentierendes Zeichen"26 der Funktion des
Sprichworts gerecht, denn mit dem Gebrauch eines Sprichworts wird der
situative Kontext nicht nur verallgemeinert und beurteilt, sondern auch ge-
wertet, wozu sich auch die künstlerische Formgebung der Sprichwörter sehr
gut eignet. In diesem Zusammenhang wären auch die Worte von
A. I. Smirnickij zu zitieren, der betonte, dass Sprichwörter, sprichwörtliche
Satzredensarten, Aphorismen und verschiedene andere Sprüche erst dann
als Spracheinheiten fungieren, wenn sie in der Kommunikation als Mittel
zur emotional geladenen, bildhaften Ausdrucksweise der Gedanken repro-
duziert werden. Als Schöpfung oder Werke unbekannter oder bekannter
Autoren sind sie in dieser Eigenschaft eigentlich keine Spracheinheiten und
gehören zur Folklore oder Literatur7.
2. Das zweite grundlegende Merkmal der Sprichwörter als Spracheinhei-
ten ist die Reproduzierbarkeit28. Erst dieses Merkmal überführt die Ein-
heiten der Volkskunst in die Klasse der Spracheinheiten des Typs Phraseolo-
gismen. Deshalb ist in der Subklasse (2) „Festgeprägte Sätze" von gängigen
sprichwörtlichen Satzredensarten und gängigen Sprichwörtern die Rede2'.
Die sprachliche Ausformung der „logischen Regeln" geschieht unter
Anwendung:
(1) semantischer Transformationen, unter denen ganz besonders beliebt
die Metaphorisierung ist, z.B.: Ein räudiges Schaf steckt die ganze Herde
an „Gerät in einen zusammengehörenden Kreis von Menschen ein einziger,
der sittlich verdorben ist, so verdirbt er auch die anderen". Hohle Fässer
klingen am meisten „Unwissende machen viel Aufhebens von sich". Es ist
nicht alles Gold, was glänzt „Nicht alles, was äußerlich einen schönen Schein
hat, ist auch innerlich wertvoll".
Neben der Metaphorisierung gehört zu den beliebten Mitteln der „inne-
ren Formgebung" (F. Seiler) auch die Groteske, Paradoxe, Hyperbel, Iro-
nie, Antithese, z.B.:
13* 195
Wer 's Glück hat, demfliegendie Enten gebraten ins Maul. Man muss die
Leute reden lassen, die Fische können's nicht. Er ist der Beste — wenn die
anderen nicht zu Hause sind. Ist die Kuh noch so schwarz, sie gibt immer
weiße Milch. Heute rot, morgen tot.
(2) Anwendung der „äußeren Redeformen" des Sprichworts (F. Seiler):
Sinnreim, Rhythmus, Reim, Parallelismus usw., z.B.:
Wenn man den Teufel nennt, so kommt er gerennt. Leid ist ohne Neid.
Nachrat, Narrenrat. Hoffen und Harren macht manchen zum Narren. Ende
gut, alles gut. Wie man ins Holz schreit, so schreit es zurück. Kleine Kinder,
kleine Sorgen; große Kinder, große Sorgen.
(3) Den dritten Typ bilden Sprichwörter, die auf den ersten Blick den
Eindruck erwecken, ohne besondere Redemittel ausgeformt zu sein,. z.B.:
(a) Der gerade Weg ist der kürzeste.
(b) Irren ist menschlich.
(c) Tadeln ist leichter als besser machen.
Bei genauer Betrachtung erkennt man aber, dass das Sprichwort des Typs
(a) auch eine semantische Umformung aufweist, eine Bedeutungserweite-
rung, die aus dem Anwendungsbereich dieser Spracheinheit deutlich her-
vorgeht: der Weg hat nicht unbedingt einen räumlichen Sachverhalt und meint
eigentlich „das Handeln", was auch das synonymische Sprichwort besagt
Der rechte Weg ist nicht krumm. Im Beispiel (c) ist ebenfalls ein zusätzliches
Mittel ausgewertet, und zwar der Vergleich. Im Beispiel (b) liegt ein ideales
Muster für die Realisierung eines der wichtigsten Merkmale der Sprichwör-
ter vor — die Kurzfassung30.
Die Diskussion über die Einbeziehung der Sprichwörter der Gruppe
(3), der nichtbildlichen und nichtallegorischen Sprüche, in das Korpus der
Phraseologie wird schon sehr lange geführt, aber bis heute ist noch nicht
abgeschlossen. Schon F. Seiler, der sich mit den wesentlichen Merkmalen
der älteren und neueren Auslegung der Sprichwörter auseinander setzt,
schreibt: „In neuerer Zeit ist man sogar so weit gegangen, nur die allegori-
schen, also die bildhaften für wirkliche Sprichwörter zu erklären, den un-
bildlichen, abstrakt gehaltenen dagegen den Charakter von Sprichwörtern
abzusprechen und sie den Denk- oder Sittensprüchen zuzuweisen. Die Tren-
nung der abstrakten Sprichwörter von den bildlichen ist schon aus dem
Grunde nicht möglich, weil zwischen den beiden Übergänge vorhanden
sind. Viele Sprichwörter sind im Subjekt abstrakt, im Prädikat bildlich...
Es können also nur solche (Sprichwörter) in Frage kommen... wie z.B.
Irren ist menschlich; Tadeln ist leichter als besser machen; Selber essen
macht fett; Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Wer möchte aber diesen und
anderen in allen Schichten des Volkes verbreiteten lehrhaften Sprüchen,
die jeder Deutsche von Kindheit an kennt und gebraucht, den Titel Sprich-
wort' versagen?"31
Der Stellungnahme F.Seilers entspricht die von L.I.Rojzenzon, der sich
mit den Phraseologen A.V.Kunin, A.M.Babkin u.a. auseinandersetzt, die
für eine Trennung des Sprichwörterbestandes in semantisch transformierte,
bildliche und nichtbildliche eintreten32.
196
In strukturell-semantischer und funktionaler Hinsicht haben die Sprich-
wörter viele Eigenarten, was nachstehend z.T. in 4.2.8. und 4.4.1.2. ge-
zeigt wird.
204
Diese Art der phraseologischen Antonymie „arbeitet" auch in einer an-
deren Hinsicht nicht, nämlich: antonymische lexikalische Konstituenten er-
geben nicht immer ein antonymisches Verhältnis der Phraseologismen. So
in den Wendungen:
etw. durch einefremde Brille sehen; etw. durch seine eigene Brill
sehen, wo im zweiten Beispiel infolge der Umdeutung des gesamten Konsti-
tuentenbestandes das Adjektiv eigen eine andere Bedeutung entwickelt hat,
nämlich „subjektiv".
Dass phraseologische Antonyme auf diesem Weg nicht regelmäßig ge-
bildet werden, geht folglich aus dem linguistischen Status dieser Sprachein-
heiten hervor, weil Phraseologismen eben semantisch transformierte Wort-
komplexe sind
Auf denselben Umstand ist auch die Antonymität der Konstituenten zu-
rückzuführen, die außerhalb der Phraseologismen nicht antonymisch sind:
grünes Licht „Handlungsfreiheit"; rotes Licht „Versagung der Hand-
lungsfreiheit".
Keine Regelmäßigkeit in der Bildung von antonymischen Paaren in der
Phraseologie ist auch durch Negation feststellbar, obgleich es im phraseo-
logischen Bestand einzelne gegensätzliche Phraseologismen dieser Art gibt,
vgl:
sich über etw. Kopfzerbrechen machen „sich über etw. Gedanken ma-
chen" — sich über etw. kein Kopfzerbrechen machen „sich über etw. keinen
Kummer machen".
Das ist besonders deutlich zu sehen an der Tatsache, dass zu den be-
stehenden phraseologischen Wortfügungen, in deren Bestand eine Nega-
tion enthalten ist, keine positiven Formen gebildet werden können. Vgl.:
nicht auf den Kopf gefallen sein „nicht dumm sein", aber es gibt unter
den kodifizierten festen Wortkomplexen des Deutschen keinen antony-
mischen Phraseologismus *aufden Kopf gefallen sein; etw. ist nicht von
schlechten Eltern „etw. hat Format", aber *etw. ist von den schlechten
Eltern; aussehen, als ob man kein Wässerchen trüben könnte „ganz harm-
los aussehen", aber ^aussehen, als ob man ein Wässerchen trüben könn-
te; jmdm. nicht grün sein „jmdm. nicht wohlgesinnt sein",, aber *jmdm.
grün sein.
Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass die innere Form der
bezeichneten Phraseologismen bzw. das Motivationsmerkmal, das derPhra-
seologisierung zu Grunde liegt, bei solchen Umkehrungen sinnwidrig wird.
Vgl. ^aussehen, als ob man ein Wässerchen trüben könnte. Bei anderen
Einheiten würde die konnotative Komponente — das Ironische, Scherz-
hafte einer Wendung —, was gerade die semantische Einmaligkeit vieler
Phraseologismen bildet, verschwinden, z.B. *aufden Kopf gefallen sein,
*jmdm. grün sein.
Da phraseologische Antonyme nicht frei modellierbar sind, bilden gleich-
strukturierte antonymische Einheiten lediglich eine Gruppe unter anderen
phraseologischen Antonymen. Wie groß diese Gruppe ist, wird wohl die
künftige Forschung ergeben. Zahlreicher scheinen allerdings verschieden-
205
strukturierte Einheiten zu sein, die infolge der Phraseologisierung variabler
Wortverbindungen entstehen. Daraus resultieren folgende Typen gegensätz-
licher Beziehungen der Phraseologismen:
(a) die Phraseologismen sind semantisch einander nur annähernd gegen-
sätzlich und stilistisch gleich markiert. Vgl.:
jmdm. den Kopf waschen ugs. jmdn. in den Himmel heben
„jmdn. s c h a r f zurechtweisen" ugs. „jmdn. ü b e r m ä ß i g loben"
(b) die Phraseologismen sind semantisch einander nur annähernd gegen-
sätzlich und stilistisch verschieden markiert. Vgl.:
jmdn. auf der Latte haben salopp jmdn. über den grünen Klee
„jmdn. n i c h t l e i d e n loben ugs. „jmdn. ü b e r m ä ß i g
können" loben"
Diese Eigenschaften verschiedenstrukturierter phraseologischer Antony-
me — und ihre Zahl ist bedeutend — gibt Anlass festzustellen, dass „perfek-
te Antonymie in der Phraseologie an sich selten ist"45. Diese Lücke des Sy-
stems wird bei situativer Realisierung vielfach kompensiert, indem zu beste-
henden Einheiten völlig äquivalente Antonyme geschaffen werden. Das heißt
in diesem Fall, dass die innere Form oder die bildliche Motiviertheit der
Bedeutung genau gegensätzlich ist. Vgl. den usuellen Phraseologismus der
Apfel fällt nicht weit vom Stamm „jmd. ist in den negativen Anlagen den
Eltern sehr ähnlich" und sein situatives Antonym der Apfel rollt oft weit vom
Stamm („Eulenspiegel" 29 /1977, S. 13).
Zusammenfassend wäre über die semantische Kategorie der phraseolo-
gischen Antonymie folgendes zu bemerken: Die phraseologische Antony-
mie ist im System und im Text nicht ganz gleich zu charakterisieren. Die
Antonymie im System ist konstituiert durch (1) gleichstrukturierte (absolute)
antonymische Einheiten und (2) verschiedenstrukturierte (relative) antony-
mische Einheiten. Phraseologische Antonyme sind nicht frei modellierbar.
Dies gilt sowohl für die Gruppe (1) als auch für die Gruppe (2).
Im Text kann das Korpus der antonymischen Phraseologismen für prag-
matische Zwecke durch absolute situative Einheiten erweitert werden.
Folglich sind phraseologische Antonyme im Text potentiell modellier-
bar.
-t *
207
bilden wie Hund, Schwein, Affe, Ziege, Pferd, dann entstehen Phraseologis-
men, die neben verschiedenen Einzelbedeutungen der phraseologischen Se-
rien das eine typologisch geraeinsame semantische Merkmal besitzen — sie
drücken die sozial gezielte Wertung der Charaktereigenschaften und der
Haltung des Menschen aus. Diese Semantik findet oft Ausdruck in den kom-
parativen strukturellen Modellen. Vgl. arbeiten wie ein Pferd, leben wie ein
Hund, wählerisch wie eine Ziege.
Sind die phrasembildende Basis Somatismen wie Hand, Kopf, Auge, Herz,
Ohr, so ist das gemeinsame typologische Merkmal — Ausdruck von emo-
tionalen, mentalen Eigenschaften und verschiedenen Handlungen des Men-
schen. Vgl. die nachstehenden Phraseologismen mit der Grundkonstituente
„Herz":
jmdm. ist (wird) das Herz schwer „jmd. ist (wird) sehr traurig, hat großen
Kummer"; ein Herzßrjmdn., etw. haben „Interesse, Sympathie für jmdn.,
etw. haben"; seinem Herzen Luft machen ugs. „sich über etw., was einen
ärgert, mit einiger Heftigkeit äußern"; jmdn. in sein Herz schließen „jmdn.
lieb gewinnen, eine starke Zuneigung zu jmdm. fassen".
Im Fall (b), wenn die phrasembildende Basis variable Syntagmen oder
Sätze sind, so trägt die Modellierbarkeit der Phraseologismen stets einen
potentiell-wahrscheinlichen Charakter. Dies bedeutet folgendes:
Ein Wortkomplex mit konkret-gegenständlicher Bedeutung kann in der
betreffenden Sprache durch bildliche Übertragung eine phraseologische
Bedeutung erlangen, muss es aber nicht; falls nun eine solche phraseologi-
sche Umdeutung geschehen ist, so können Richtung, Umfang und Resultat
sehr verschieden sein. Statt eindeutiger Determinationsbezeichnungen zei-
gen sich bei der Bildung von Phraseologismen nur bestimmte Präferenzen,
mehr oder weniger typische Fälle und bevorzugte Korrelationen. Diese
Umstände schränken den theoretischen und besonders den praktischen Wert
der strukturell-semantischen Modellierung in der Phraseologie ein47.
Das ist der Grund, weshalb die führenden Phraseologieforscher der 60er
Jahre, wie N. N. Amosova, V. L. Archangerskij, A. V. Kunin u.a. die struktu-
rell-semantische Modellierung der Phraseologismen im Sinne der produkti-
ven Modelle der Generierung ablehnten.
Andererseits haben die onomasiologisch strukturierten lexikalisch phra-
seologischen Felder mit solchen Archilexemen wie „irreführen, betrügen",
„tadeln", „sterben" gezeigt, welche Regelmäßigkeiten in der phraseologi-
schen Nomination feststellbar sind. Zwar wirkt ein jeder Phraseologismus,
wie es in der einschlägigen Forschung mehrfach betont wurde, individuell,
aber innerhalb der größeren semantischen Bereiche wie die oben genannten
Gruppierungen von Lexemen und Phraseologismen lassen sich invariante
Motivationsmodelle feststellen, die dann strukturell-semantisch „individu-
ell" variiert werden. Vgl. das Motivationsmodell „zu atmen aufhören" ini
lexikalisch-phraseologischen Feld „sterben" und seine strukturell-semanti-
schen Variierungen: die letzten Atemzüge tun, den letzten Atem aushauchen,
den letzten Hauch von sich geben, den letzten Seufzer tun, 's Atemholen
vergessen (landsch.), das Atmen vergessen (sold.). Vgl. ferner das Motivati-
208
onsmodell „zu es?en aufhören" und seine strukturell-semantischen Varian-
ten: den Löffel sinken lassen, den Löffel wegwerfen (wegschmeißen), den
Löffel abgeben, 's letzte Brötche gefressen haben (landsch.), 's Brotessen
vergessen (landsch.)-
Übereinstimmungen in der inneren Form bestimmter Gruppen der Phra-
seologismen der phrasembildenden Basis (b) sind ferner festgestellt am
Material der slawischen Sprachen48. Sie geben eine Vorstellung von typi-
schen Wegen, auf denen viele Phraseologismen entstanden sind und eventu-
ell noch heute entstehen. Allerdings sind es nur Modelle der Beschreibung,
die zum besseren Verständnis der Tendenzen in der Entwicklung des phra-
seologischen Korpus der jeweiligen Sprache dienen und keine Regeln, nach
denen neue Phraseologismen frei zu bilden wären.
Trotz der beschränkten Rolle der phraseologischen Modellierung im Sinne
der Generierungsmodelle lässt die phraseologische Forschung von heute die
allgemeinen logisch-semantischen Modelle ermitteln, die für Sekundärbil-
dungen der menschlichen Sprachen typisch sind und die sich auch in der
Phraseologie wirksam erweisen. Sie beruhen auf den universellen Gesetzen
des menschlichen Denkens, auf gemeinsamen logischen und assoziativen
Prozessen, die zur Gewährleistung der emotiven Funktion der Sprache die-
selben Mechanismen nutzen und gleiche oder ähnliche komplexe Sprach-
einheiten entstehen lassen. Hier wären z.B. solche logisch-semantischen
Modelle zu nennen wie die Antithese und das Modell der Identität, die bei
der Ausformung des deutschen phraseologischen Korpus auch äußerst pro-
duktiv sind. Vgl. vor allem zahlreiche Paarformeln, deren Gesamtbedeutung
auf Grund der Antithese, d.h. der semantischen Integrierung von antonymi-
schen Lexemen innerhalb einer Wortgruppe entsteht, z.B. Freund und Feind,
alt und jung, arm und reich „alle". Außer dieser sehr bekannten Schicht der
Phraseologie ist auch ein beträchtlicher Teil der festgeprägten Sätze des Typs
Sprichwort mit Hilfe der Antithese ausgeformt, z.B. Friede ernährt, Unfrie-
de verzehrt; Lüge vergeht, Wahrheit besteht; außen blank, innen stank; ein-
mal ist keinmal; der Wölfe Tod ist der Schafe Heil; kleine Ursache, große
Wirkung.
Das Modell der Identität, das mit dem Vergleich operiert, ist ebenfalls ein
generelles iogisch-semantisches Modell der allgemeinen und deutschspra-
chigen Phraseologie. Neben nahezu 500 stehenden Vergleichen bzw. kom-
parativen Phraseologismen des Deutschen wie: hässlich wie die Nacht „sehr
hässlich", sich freuen wie ein Schneekönig „sich sehr freuen" ugs., gibt es
auch zahlreiche festgeprägte Sätze, die nach diesem Modell gebildet sind.
Vgl.: Besser eine Stunde zu früh als eine Minute zu spät; besser I lieber zu
viel als zu wenig.
220
miniert, nicht zuletzt durch den Individualstil des Autors, und auch durch
den Ideengehalt des Werkes.
In den Werken einiger bekannter Schriftsteller der deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur, die unter dem bezeichneten Aspekt untersucht wurden,
ergibt die Zahl der Phraseologismen gegenüber der der Lexeme folgendes
Verhältnis:
Lion Feuchtwanger — 1:25
Willi Bredel—1:50
Hans Fallada — 1:166
Bertolt Brecht — 1:200
Nicht alle Subklassen der Phraseologie sind quantitativ sowie nach ihrer
textbildenden Bedeutsamkeit gleich. Vor allem wären hier diejenigen Klas-
sen zu nennen, die bei der Ausformung des Inhaltsplans der Texte als erst-
rangig zu bestimmen sind.
In dieser Hinsicht sind in erster Linie die phraseologischen Einheiten zu
nennen, deren zahlenmäßige Überlegenheit in den Werken solcher Autoren
der Gegenwartsliteratur festgestellt wurden, wie Willi Bredel, Herbert Jobst,
Fritz Erpenbeck, Max Frisch, Max Walter Schulz, Werner Steinberg, Erik
Neutsch u.a.
Unter den phraseologischen Einheiten sind wiederum bestimmte Arten
von besonderer Wichtigkeit— die verbalen phraseologischen Einheiten, und
unter den anderen Einheiten — die Paarformeln.
Die zentrale Stellung der phraseologischen Einheiten in den Texten der
schönen Literatur geht aus ihren Funktionen hervor, die sie hier erfüllen. Sie
werden in der Autoren- und Figurensprache der Romane gebraucht. Neben
zahlreichen anderen sprachlichen Mitteln werden sie genutzt zu Charakteri-
stika sowohl der handelnden Personen als auch zur Schilderung der wichtig-
sten, das Leitmotiv der Werke bestimmenden Handlungen und Situationen.
Viele der phraseologischen Einheiten sind in der charakterisierenden Funk-
tion rekurrent. So sind z.B. im Roman W. Steinbergs „Pferdewechsel" 65
Phraseologismen zwecks einprägsamer Charakteristik wiederholt genutzt.
Besonders oft kommt der Phraseologismusj>n<i/?t. den schwarzen Peter zu-
schieben vor, auch in der derivativen Form der schwarze Peter „Schuld",
»Verantwortung". Vgl.:
..., sie hasst ihn, d e n s c h w a r z e n P e t e r (S. 210).
..., dann muss man nicht d e n s c h w a r z e n P e t e r h a b e n (S.213).
Das war das erste Mal, dass d e r s c h w a r z e P e t e r a u f g e t a u c h t
w a r (S. 213).
..., denn der s c h w a r z e P e t e r begann von jenem Tag an zu wan-
dern (S. 213).
Jetzt weiß ich, das ist d i e s e r v e r d a m m t e s c h w a r z e Peter,
den sie mir zugeschoben habenl (S. 218)
...und auf keinen Fall würde der s c h w a r z e Peter, den sie ihm
heute alle z u s c h i e b e n wollten,//! seiner Hand bleiben, neinl (S. 228)
(Gesperrt gedruckt in allen Beispielen von — I.C.)
221
Oder die immer wiederkehrenden Phraseologismen goldene Hände ha-
ben zur positiven Charakteristik und zwei linke Hände haben zur negativen
Charakteristik der handelnden Personen. Darüber hinaus eine besonders
wirksame Auswertung der beiden in einem Satz zur betont negativen Cha-
rakteristik:
„Der einzige Schatten, ein lichter Schatten nur, aber doch ein Schatten in
ihrem Leben, war das Wesen des Sohnes Thomas, ganz unterschiedlich von
dem ihres Mannes; der h a 11 e k e i n e g o l d e n e n H ä n d e , der h a t t e
z w e i l i n k e H ä n d e , wie Peter Legion erst mit freundlichem Spott, spä-
ter mit ärgerlicher Ungeduld feststellte." (S. 48)
Zu den textbildenden Funktionen der phraseologischen Einheiten in den
Texten der schönen Literatur gehören alle bekannten Typen der okkasionel-
len Modifikation im Konstituentenbestand. An erster Stelle hinsichtlich der
Produktivität steht hierbei die Austauschbarkeit von lexikalischen Kon-
stituenten.
Zahlreich sind situative Bildungen, wo das austauschbare Lexem in der
Semantik in gewisser Weise konkretisierend wirkt. Die modifizierten Phra-
seologismen erhalten somit eine etwas andere bildliche Motiviertheit und
stehen zur Basiseinheit im Verhältnis der Synonymie.
Dies lässt sich illustrieren an der situativen Bildung sein Schäfchen wei-
dete im trocknen (H. Jobst. Der Glücksucher, S. 58) gegenüber den kodifi-
zierten Formen sein Schäfchen im trocknen haben oder sein Schäfchen ins
trockene bringen „sich wirtschaftlich sichern; großen Gewinn einheimsen".
Oder: sich in Schweigen h i n e i n k a u e r n gegenüber der kodifizierten Form
sich in Schweigen hüllen.
Textbezogene austauschbare Lexeme sind dagegen in den Texten der
schönen Literatur bedeutend seltener als in den sozialkritischen Texten der
Presse.
Textbezogene austauschbare Konstituenten der Phraseologismen bilden
ein charakteristisches Merkmal der Darstellungsart in solchen Genres der
Presse wie Feuilleton, Glosse, Skizze, Pamphlet u.a. Das Wesen solcher
Realisierung der Phraseologismen besteht darin, dass die jeweilige austausch-
bare Konstituente in ihrer eigentlichen Bedeutung verwendet wird und nur
aus dem gegebenen Text zu verstehen ist, z.B. I c h bin ja nicht auf den
K n o p f gefallen gegenüber „nicht auf den Kopf gefallen sein" in einem
Text, wo es sich um teure modische Knöpfe handelt (Eulenspiegel, 6 /1978,
S. 10).
Einer großen Frequenz erfreuen sich textgebundene Modifikationen, die
in der Erweiterung bzw. Präzisierung der Konstituenten bestehen. Die Er-
weiterung kann in Form einer Zusammensetzung erfolgen, wo die erste Kom-
ponente der Zusammensetzung eben situativ- oder textgebunden ist. Eine
solche Erweiterung kann bei verbalen und nominalen phraseologischen Ein-
heiten entstehen. Folgende Belege aus den Texten der schönen Literatur illu-
strieren diese Art:
Seit ihm dieser Kollege von der Gewerkschaft d e n E r f i n d e r f l o h
ins Ohr gesetzt hat, zerknobelt er sein letztes bisschen Grips (H. Jobst, Der
222
Glücksucher, S. 187). Vgl.jmdm. einen Floh ins Ohr setzen, ugs. „in jmdm.
einen unerfüllbaren Wunsch wecken". Aber: Sie sind ein alter S c h a c h t -
h a s e (ebenda, S. 29). Vgl. ein alter Hase, ugs. „ein durch viele Erfahrun-
gen (lebens)klug gewordener Mann".
Die Erweiterung kann in Form eines Attributs erfolgen, wie z.B.:
Ist es da nicht viel einfacher, es mit einem neuen Besen zu tun zu haben,
für den der Parteisekretär dann der alte e r f a h r e n e Hase ist (W. Steinberg.
Pferdewechsel, S. 437).
...dass Leps dazu schwieg, beunruhigte ihn,... wollte der Sekretär nicht
ein k l e i n e s , sondern ein g r o ß e s Fass aufmachen! (ebenda, S. 377).
Vgl. ein Fass aufmachen ugs. „Streit anfangen"69.
Er sah sie an, die e i n g e s e s s e n e n Hinzes und Kunzes (H. Sakowski.
Daniel Druskat, S. 141). Vgl. Hinz und Kunz ugs. „jedermann".
Diese Erweiterung erscheint allerdings mit einer anderen Modifikation
kombiniert, was in solchen Texten ziemlich oft geschieht.
Die quantitative Analyse der phraseologischen Einheiten vom Typ der
Paarformeln hat ergeben, dass sie in den Texten der schönen Literatur nach
verbalen Phraseologismen die zweitgrößte Gruppe bilden.
In den Texten analytischer Genres der Zeitung wie „Leitartikel", „Kom-
mentar" sowie in den sozialkritischen Texten und in der Publizistik sind die
Paarformeln ebenfalls sehr zahlreich. Die funktionale Charakteristik der
Paarformeln in den Texten der schönen Literatur und der Presse wurde in
der älteren und jüngeren Forschung allgemein als verstärkend bezeichnet.
Diese allgemeine Charakteristik ist aber im Weiteren zu präzisieren, denn
sowohl der Bestand der Paarformeln, d.h. ihre Arten, als auch ihre funktio-
nalen Leistungen weisen in verschiedenen Textsorten zusätzliche Merk-
male auf.
Zu den textbildenden Leistungen der Paarformeln in den verschiedenen
Genres der Presse und in den Texten der schönen Literatur gehört die Aus-
nutzung der Modellierbarkeit. Neben kodifizierten Zwillingsformeln wer-
den situative Paarformeln gebildet. Darunter sind zahlreiche textpragmati-
sche Einmalbildungen zu nennen, die nur für die gegebenen Texte relevant
sind: Mit Lutz und Lüge, Charm und Chic aus Warschau.
Zum Unterschied von den rein situativen Bildungen sind einige Arten
der modellierten Paarformeln in den analytischen Genres der Presse keine
Okkasionalismen. Sie sind für eine bestimmte Entwicklungsperiode der Ge-
sellschaft feste Wortkomplexe der Sprache, die als notwendige Elemente
zur Struktur dieser Texte gehören. Das sind Paarformeln, die in binären Struk-
turen (den traditionellen Zwillingsformeln nachgebildet) aktuelle Losungen,
Schlagworte des gesellschaftlich-politischen Lebens wiedergeben. Vgl. die
typischen Beispiele, die aus den Leitartikeln der Zeitungen der ehemaligen
DDR stammen:
Pflichten und Rechte; Leitung und Organisation; Wissenschafi und Pra-
xis; Planung und Leitung; Freundschaft und Zusammenarbeit.
Wie die traditionellen Zwillingsformeln sind die modellierten Paarfor-
meln vor allem substantivisch, aber auch adjektivisch, adverbial und verbal.
223
Die Konstituenten dieser Paarformeln befinden sich in den meisten Fällen
im Verhältnis der Ergänzung, der Präzisierung oder Synonymie. Vgl. Ideen
und Vorschläge; Einheit und Geschlossenheit; Tiefe und Vielfalt; Wissen und
Können; Maschinen und Geräte; Analysen und Vorschläge; Freude und Stolz;
fest und widerruflich; interessant und rege; blühen und gedeihen; entwickeln
und stärken.
Die Konstituenten der Paarformeln können auch zueinander im Verhält-
nis der Gegensätzlichkeit oder Antonymie stehen:
Plus und Minus; Wissenschaft und Praxis; Stabilität und Dynamik; Ge-
danken und Taten; materiell und geistig; geben und nehmen; lehrend und
lernend.
Diese modellierten Paarformeln sind Standardausdrücke, aber ihre Se-
mantik wird durch binäre Aneinanderfügung präzisierender sinnverwandter,
synonymischer, antonymischer Lexeme einprägsam ausgeformt. Im Rahmen
solcher Textsorten wie „Leitartikel" oder „Kommentar" sind sie rekurrente
Strukturelemente.
Beachtenswert ist die Produktivität der Paarformeln als Überschriften in
den sozialkritischen Texten der Presse. Hier werden aber bei okkasionellen
Nachbildungen der traditionellen Zwillingsformeln vor allem der Stabreim
und der Endreim ausgewertet: Mit Lutz und Lüge, Kreuz- und Querschüsse,
In Hülle und Fülle.
Die Änderung in der funktionalen Leistung festgeprägter Sätze vom
Typ Sprichwort ist für Texte bestimmter Genres der Presse und Publizistik
kennzeichnend. In den sozialkritischen Textsorten der Presse sind die Sprich-
wörter außerordentlich produktiv, und im Gegensatz zum allgemeinen Sprach-
gebrauch, wo ihre Popularität zurückgeht, ein heute beliebtes Mittel von
Humor und Satire.
Für die Auswertung der festgeprägten Sätze in diesen Texten ist typisch,
dass sie primär als Überschriften bzw. Titel für solche sozialkritischen Texte
gebraucht werden.
Die festgeprägten Sätze können in dieser Eigenschaft zusätzlichen Mo-
difikationen unterliegen, unter denen einige besonders populär sind.
Dazu gehört in erster Linie die Kürzung bekannter Sprichwörter und
Satzredensarten. Vgl. die Überschrift eines kritischen Textes „Die Axt im
Haus" (Eulenspiegel, 2 / 1978, S. 4) gegenüber dem bekannten Sprichwort
die Axt im Haus erspart den Zimmermann. Die Kürzung diesen Typs ist
auch in der russischen Sprache in einer ähnlichen Funktion sehr bekannt,
vgl. „ложка дёгтя" (Вечерняя Москва, 60 /1977, С.2) gegenüber ложка
дегтя в бочке меда.
Die Kürzung kann auch umgekehrt die Anfangsworte eines festgepräg-
ten Satzes betreffen, z.B. im Titel „...ist ehrenvoll und bringt Gewinn" (Eu-
lenspiegel, 47 / 1977, S. 3) gegenüber dem bekannten Zitat aus Goethes
„Faust" — Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren, ist ehrenvoll und ist Ge-
winn. Vgl. auch ein ähnliches Beispiel aus der russischen Presse
„Подсчитали — прослезились (Вечерняя Москва, 88 / 1977, С. 3)
gegenüber Пировали — веселились, подсчитали — прослезились.
224
Die rein äußerliche Beschreibung der Modifikationen, die an den festge-
prägten Sätzen und im Besonderen an den Sprichwörtern vorgenommen wer-
den, kann jedoch die textpragmatischen Potenzen dieser Spracheinheiten nicht
real erschließen. Ihre funktionale Leistung in den bezeichneten sozialkriti-
schen Texten der Presse kann nur im Rahmen der textlinguistischen Analyse
erkannt werden. Erst die Betrachtung der Zusammengehörigkeit von Über-
schrift und Text gibt Aufschluss über ihre spezifische Auswertung und prag-
matische Leistung.
Zum Unterschied vom Gebrauch der Sprichwörter in der Umgangsspra-
che, wo sie mit ihren verallgemeinerten Lebensregeln in Bezug auf ähnliche
Situationen verwendet werden, stehen die Überschriften der analytischen
Texte zum Textinhalt in einem anderen Verhältnis. Das kann an den oben
zitierten Texten illustriert werden. Das Sprichwort die Axt im Haus erspart
den Zimmermann wird in der Lexikographie folgenderweise erläutert: „je-
mand, der geschickt ist im Umgang mit Handwerkzeug, braucht für vieles
nicht die Hilfe eines Fachmanns".
Der satirische Text „Die Axt im Haus" behandelt aber etwas anderes,
nämlich die Misstände in Werkzeugläden, Schwierigkeiten, die es beim Be-
schaffen von Werkzeugen gibt. Der einzige Berührungspunkt zwischen Text-
titel und Textinhalt ist folglich die Konstituente Axt in ihrer lexikalischen
Bedeutung als eine Art Werkzeug. Der Effekt liegt in der doppelten Aktuali-
sierung. Daraus geht hervor:
Der Textinhalt korreliert nicht mit der jeweiligen Lebensregel des Sprich-
worts, sondern mit der lexikalischen Bedeutung einer Konstituente, die mit
der Hauptidee des Textes thematisch verbunden ist. Darauf basiert dieses
Verfahren beim Funktionieren der Sprichwörter, das zum Ausdruck von
Humor, Spott und Satire benutzt wird und eine neue textpragmatische Funk-
tion der Sprichwörter in den sozialkritischen Texten der Presse ermöglicht.
Hinsichtlich textpragmatischer Modifikationen sind Sprichwörter in der be-
zeichneten Textsorte nach verbalen Phraseologismen die zweitproduktivste
Gruppe.
festen Wort-
festen Wort-
komlexe, %
schnittsfre-
% -Anzahl
menszahl-
menszahl,
Vorkom-
Vorkom-
komlexe
Zahl der
Zahl der
Typ der festen
-Anzahl
Durch-
quenz
Wortkomlexe
An der ersten Stelle unter den bezeichneten Gruppen stehen die phra-
seologisierten Verbindungen des syntaktischen Modells V + S, z.B. Ach-
tung, Vertrauen, Ansehen, Schutz genießen.
Ihre funktionale Leistung in den bezeichneten Texten besteht in der Rea-
lisierung eines der konstruktiven Prinzipien der Zeitungssprache, das von
V. G. Kostomarov im Wechselspiel expressiver und standardisierter Elemen-
te gesehen wird71. Zu den expressiven Elementen gehören phraseologische
Wortfügungen, zu den standardisierten zählen unten anderen rekurrenten
Ausdrücken auch die phraseologisierten Wortverbindungen.
Der linguistische Status dieser Subklasse fester Wortkomplexe bildet die
Grundlage ihrer funktionalen Auswertung: auf der Basis einer semantisch
transformierten (übertragenen) Konstituente entsteht eine Reihe (Serie) von
Wortverbindungen, die aktuelle Begriffe des Lebens vielfach auch des ge-
sellschaftlich-politischen Lebens wiedergeben. Das kann man an einer zur
Zeit sehr populären Reihe usuell begrenzter Wortverbindungen illustrieren,
die sich in der Zeitungssprache auf der Basis des Verbs anheizen entwickelt
hat. Die semantische Struktur des Verbs besteht aus zwei Sememen: (1) „ein
Feuer entfachen, zu heizen beginnen"; (2) übertr. „zu einem Höhepunkt trei-
ben, steigern". Aufgrund von (2) sind heute in den bezeichneten Textsorten
folgende phraseologisierte Verbindungen belegt:
226
die Stimmung
einen Applaus
die Inflation
eine Kampagne anheizen
die Lage
die Hysterie
die Lohndebatte
das Wettrüsten
ANMERKUNGEN
1
Языковая номинация. Общие вопросы. — М., 1977; Виды наименова-
ний. — М., 1977.
2
Phraseologische Arbeiten, die sich mit den festen Wortkomplexen verschiede-
ner Sprachen befassen, vor allem die Arbeiten von N. N. Amosova, L. I. Rojzenzon
und Aufsätze von O.I.Moskalskaja zum Problem des grammatischen Idiomatismus
wurden bei der Aufstellung dieser Kriterien berücksichtigt.
3
Singuläre Verknüpfung der Konstituenten wird verstanden nicht als ein einma-
liges bzw. unproduktives syntaktisches Modell einer Wortverbindung oder einer prä-
dikativen Verbindung. Singular bedeutet bei der Verknüpfung der Konstituenten das
semantisch-syntaktische Resultat, was das syntaktische Modell regelmäßig nicht
voraussetzt. Dies ist auf die semantische Transformation zurückzuführen, die ein
globales Merkmal der Phraseologismen ist.
4
Райхштейп А.Д. Вопросы фразеологической семантики: Тексты лек-
ций по фразеологии современного немецкого языка / МГПИИЯ им. М. То-
реза.— М., 1981.—-С. 16.
5
Виноградов В. В. Основные понятия русской фразеологии как лингви-
стической дисциплины//Труды юбилейной научной сессии ЛГУ. Секция
филол. наук. — Л., 1946.
6
Щукина И. А. Стилистическая дифференциация устойчивых словосо-
четаний и их использование в современной немецкой художественной ли-
тературе: Автореф. дис.... канд. филол. наук /1 МГПИИЯ. — М., 1953.
7
Виноградов В.В. Основные... — С. 353.
8
Frei nach: Амосова Н. Н. Основы английской фразеологии / ЛГУ.—Л.,
1963. — С . 114.
229
9
Burger H., Jaksche H. Idiomatik des Deutschen. — Tübingen, 1973. — S. 78 ff.
10
Häusermann J. Phraseologie. Hauptprobleme der deutschen Phraseologie auf
der Basis sowjetischer Forschungsergebnisse. — Tübingen, 1977. — S. 99.
11
Fleischer W. Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. — Leipzig,
1982. — S. 158.
12
Burger H., Jaksche ff. Idiomatik... — S. 45.
"Ebenda. — S . 46
14
Ebenda. — S. 47.
15
Назарян А. Г. Фразеология современного французского языка. — М.,
1976. — С. 207.
16
So bei Amosova N.N. Основы... (u.a.).
17
In der deutschen Lexikographie und Phraseographie sind über 500 stehende
Vergleiche registriert, darunter 340 verbale und 171 adjektivische Vergleiche. Гла-
зырин P.A. Сопоставительный анализ компаративных фразеологических
единиц в современных германских языках (на материале немецкого, анг-
лийского и шведского языков): Автореф. дис. ... канд. филол. наук/
МГПИИЯ им. М.Тореза. — М., 1972. — С. 18.
18
Wir fassen den Terminus weiter als er von Agricola E. gebraucht wurde: Wör-
ter und Wendungen. — 1. Aufl. — Leipzig, 1962. Mit diesem Terminus bezeichnen
wir alle satzwertigen Phraseologismen analog dem russischen Terminus „feste Phra-
sen".
19 Bürger H., Jaksche H. Idiomatik... — S. 5 3 .
20
Райхштейн А.Д. Немецкие устойчивые фразы. — М., 1971. —
С. 80,81.
21
Allgemeine Sprachwissenschaft. — Berlin, 1975. — Bd. 2. — S. 428.
22
Nach F. Seiler sind die Sprichwörter „im Volksmund umlaufende, in sich ge-
schlossene Sprüche von lehrhafter Tendenz und gehobener Form". Siehe: Deutsche
Sprichwörterkunde. — München, 1922. — S. 2.
23
Aus d e m Bereich der Phraseologie wurden die Sprichwörter als „Miniatur-
formen" der Volkskunst bzw. Parömieen von einer ganzen Reihe Phraseologiefor-
scher ( N . N . Amosova, A . M . B a b k i n , V.P.Zukov, V.N.Telija, M . D . Gorodnikova
u.a.) ausgewiesen. M i t dieser Auffassung setzte sich aus der Sicht d e r neueren
Phraseologieforschung L.I. Rojzenzon auseinander (1973), dessen Standpunkt wir
teilen.
24
Der Terminus von L.I.Rojzenzon, ebenda. In diesem Fall werden bestimmte
„logische Figuren" m i t sprachlichen Mitteln realisiert, die Lebensmaximen eines
Volkes darstellen. Eine ähnliche Betrachtung siehe auch in: Пермяков Г. Л. О т
поговорки д о сказки. — М., 1970. — С. 141
25
Häusermann J. Phraseologie... — S. 114.
26
Ebenda. — S. 116.
27
Смирницкий А.И. Лексикология английского языка. — М., 1956. —
С. 16, 17. (Übertragen I.Ö.).
28
Ebenda.
29
Vgl. die Bezeichnung der analogen Spracheinheiten der russischen Sprache
bei Archangelskij V.L. Общеупотребительные пословицы, общеупотребитель-
ные поговорки. — С. 159 (и далее.).
30
Vgl. hierzu: Seiler F.: „Das Sprichwort muss also kurz und knapp sein. Lange
Sätze werden nicht volkläufig" (S. 4). — Das .oberste Stilgesetz' des Sprichworts
ist die Kürze (S. 181).
31
Ebenda. — S. 6 f.
230
32
Rojzenzon L./., a.a.O. — S. 120 — 1 3 2 .
33
Rothkegel A . Feste Syntagmen. Grundlagen, Strukturbeschreibung u n d auto-
matische Analyse // Linguistische Arbeiten 6. — Tübingen, 1973. — S. 78 ff.
34
Ebenda. — S. 3 7 .
35
Езиев X. X. Полисемия фразеологических единиц современного немец-
кого языка: Автореф. дис.... канд.филол. наук / МГПИИЯ им. М. Тореза. —
М., 1969.
36
Глухое В. М. Вопросы многозначности фразеологических единиц и
их решение в Фразеологическом словаре русского языка / Под ред. А. И. Мо-
лоткова. // Проблемы устойчивости и вариантности фразеологических еди-
ниц.—Тула, 1968.
37
Borchard, Wustmann, Schoppe. D i e sprichwörtlichen Redensarten. — S. 357.
38
Молотков А.И. Основы фразеологии русского языка. — Л., 1977.—
С. 160.
39
D e r Terminus von А . V. Kunin.
40
In diesem Phraseologismus ist statt des Lichtes sein Hersteller eingesetzt. Röhrich
L . Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten.—Freiburg im Breisgau, 1 9 7 3 . — S . 598.
4
' Амосова H.H. О с н о в ы . . . — С. 100.
42
Filipec J. Zur Theorie der lexikalischen Synonyme in synchronischer Sicht//
Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität. Gesellschafts- und Sprachw.
Reihe 17. — Leipzig, 1968. — H. 2 / 3 . — S. 196.
43
Agricola E. Wörter u n d Gegenwörter. Eine Einführung in die Probleme der
Antonymie//Sprachpflege. — 1978. — № 4. — S. 72.
44
Koller W. Redensarten Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprach-
spiel. — Tübingen, 1977. — S. 25.
45
So b e i Häusermann J. Phraseologie... — S. 9 5 .
46
Золотова Л. М. К проблеме семантической мотивированности фразео-
логизмов современного немецкого языка: Автореф. дис. ... канд. филол.
наук/МГПИИЯ им. М. Тореза. — М., 1978. — С . 12,13.
47
РайхштейпА.Д. Вопросы фразеологической семантики: Тексты лек-
ций по фразеологии современного немецкого языка / МГПИИЯ им. М. То-
реза. — М., 1981. — С. 49.
48
Мокиенко В.М. Славянская фразеология. — М., 1980.
49
D e r Terminus von W.Fleischer in: Fleischer W. Phraseologie der deutschen
Gegenwartssprache. — Leipzig, 1982. — S. 189.
50
Siehe Näheres in: Kluge F. Unser Deutsch. — S. 9 6 (Kopfhänger, Stubenho-
cker, Grillenfänger, Pflastertreter); Küpper H. Wörterbuch...—Bd. I . — S . 110 (Bogen-
spucker); Borchardt, Wustmann, Schoppe. Die sprichwörterlichen Redensarten. —
S. 101 (Bärenanbinder u.a.m.).
51
Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 6 B ä n d e n . — B d , 6. —
S. 2563 f.
52
Амосова H.H. Основы... — С. 69.
53
Телия В.Н. Типы языковых значений. Связанное значение слова в
языке. — М., 1981. — С. 253.
54
Für diese Gebilde sind auch andere Termini im Gebrauch. Die wichtigsten
davon sind: nominale Umschreibungen (Daniels K.-H. Substantivierungstendenzen
in der deutschen Gegenwartssprache. — Düsseldorf, 1963); die Streckformen
(Schmidt V. Die Streckformen des deutschen Verbums. — Halle (Saale), 1968); feste
Verbindungen (Duden. Grammatik. — Mannheim, 1966. — Bd. 4); Funktionsverb-
gefüge (Duden. Stilwörterbuch. — Mannheim, 1970. — Bd. 2).
231
55
Der Terminus von N . N . Amosova.
56
Schmidt W. Lexikalische und aktuelle Bedeutung. Ein Beitrag zur Theorie der
Wortbedeutung. — 4. Aufl. — Berlin, 1967. — S. 79, 84.
57
Eggers H. Zur Syntax der deutschen Sprache der Gegenwart // S t u d i u m Gene-
rale.—1962.—H. 1.
58
Polenz P. v. Funktionsverben im heutigen Deutsch. Sprache in der rationali-
sierten Welt//Wirkendes Wort. — 1963. — Beih. 3 .
59
Schmidt V. Die Streckformen des deutschen Verbums. — Halle (Saale), 1968.
60
Reiners L . Vom deutschen Stil. Der Große Duden. — 5. Aufl. — Mannheim,
1963. — Bd. 2. — S. 10.
61
Daniels K.-H. Substantivierungstendenzen... — S. 32.
62
Schmidt V. Die Streckformen... — S. 4 1 .
63
Eggers H. Zur Syntax... — S. 56.
M
Agncola E. и. а. Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum deutschen Sprach-
gebrauch // Hrsg. von E. Agricola unter Mitwirkung von H. Görner und R. Küfner. —
Leipzig, 1962. — S. 92.
65
Paul H. Deutsches Wörterbuch. — 7. Aufl. — Halle (Saale), 1960. — S. 86.
66
Wörter und Wendungen.
67
Reichstein A . D , Festgeprägte prädikative Konstruktionen i m Deutschen // DaF. —
1973.— №4. — S. 216.
68
Die Termini illokutionär, entsprechend Illokution u n d Perlokution entstam-
men der Sprechakttheorie. Vgl. Austin J. L . H o w to do things with words. — Oxford,
1962; Deutsch zur Theorie der Sprechakte. — 1972. — S. 117. Austin hat bei einer
sprachlichen Äußerung (Lokution) ausgegliedert illokutiven bzw. illokutionären Akt
(die Art des Vollzugs einer Sprechhandlung als Fragen, Informationen usw.) und
perlokutiven bzw. perlokutionären Akt (Wirkungen auf die Gefühle, Gedanken oder
Handlungen des Hörers).
69
Küpper H. Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. — Bd. VI. — S. 114.
70
Заиченко Н.Л. Актуальные глагольные устойчивые словесные комп-
лексы немецкого языка в прогрессивной прессе (на материале некоторых
аналитических жанров прессы ГДР, ФРГ и Австрии): Автореф. дис.... канд.
филол. наук / МГПИИЯ им. М.Тореза. — М., 1977.
71
Костомаров В. Г. Русский язык на газетной полосе. Некоторые особен-
ности языка современной газетной публицистики. — М., 1971.
5. TEXT ALS MEDIUM DER KOMMUNIKATIV-
PRAGMATISCHEN POTENZEN DES WORTSCHATZES
Die Texttheorie ist eines der führenden Gebiete der heutigen Sprachleh-
re. Das lässt sich dadurch erklären, dass der Text zur kommunikativ-prag-
matischen Einstellung der Sprache gehört. Auch in den früheren Perioden
der Entwicklung der Sprachtheorie versuchte man Einheiten, die vom se-
mantischen Standpunkt aus größer sind als der Satz, auszusondern; so ent-
stand der Begriff des „komplexen syntaktischen Ganzen" — einer Satzge-
meinschaft mit einem einheitlichen Inhalt, die mehr als einen Satz einschließt.
Allgemein bekannt ist auch, dass es sich in jeder Satzdefinition nur um ei-
nen „relativ abgeschlossenen" Gedanken handelt. Ungefähr in den 60er Jah-
ren kam es zu einem entscheidenden Aufschwung in der Erforschung der
Einheiten, die semantisch und strukturell größer sind als ein Satz, d.h. zu der
Entstehung der Texttheorie1. Obgleich auch heute bei weitem nicht alle Fra-
gen, die zu dieser Theorie gehören, gelöst sind, lassen sich einige Begriffe
aussondern, die von allgemeiner Bedeutung sind. Dazu gehören:
(1) Der Satz ist als minimale kommunikative Einheit zu betrachten, d.h.
auch als minimale Texteinheit. Nur selten kann der Satz als vollendeter Text
betrachtet werden — das kann ein Sprichwort, ein Telegramm, eine Anzeige
u.a. sein. Die höchste Grenze des Textes ist ein Roman, ein wissenschaftli-
ches Werk, eine publizistische Schrift u.a.m.
(2) Es sind zu unterscheiden: Mikrotext (Kleintext) und Makrotext (Groß-
text). Der Makrotext ist unabhängig von seinem Umfang eine inhaltlich ab-
geschlossene Einheit. Der Mikrotext ist mit anderen Mikrotexten inhaltlich
verbunden.
(3) Sowohl der Makro- als auch der Mikrotext haben Zeichencharakter:
sie werden durch Inhalt und Struktur gekennzeichnet. Die äußere und innere
Kohärenz des Textes wird durch das Vorhandensein von sprachlichen Ver-
flechtungsmitteln erzielt.
(4) Die Grenzen des Makrotextes lassen sich leicht bestimmen. Die Aus-
sonderung der Mikrotexte ist mit Schwierigkeiten verbunden. Der Mikro-
text muss ebenso wie der Makrotext ein bestimmtes Thema, Anfangs- und
Schlusssignale haben, so wie auch Verflechtungsmittel, die seine Kohärenz
gestalten.
(5) Bis jetzt bleibt unbestimmt, zu welcher theoretischen Disziplin die
Texttheorie gehört. Der Mikrotext, der aus Sätzen besteht, scheint eine gram-
233
matische Einheit zu sein; der Makrotext ist in erster Linie mit der Stilistik
verbunden, aber auch mit dem Fach, zu dem er gehört. Obgleich wir den
Mikrotext als grammatische Einheit betrachten, muss betont werden, dass
die Verflechtungsmittel nicht nur grammatische, sondern auch stilistische,
lexikalische, phraseologische und phonetische Bildungsmittel sind. Diese
Mittel erfüllen auch andere Funktionen, die mit den entsprechenden Diszi-
plinen verbunden sind.
Der vorliegende Teil unseres Buches ist der Funktion der Wortschatzein-
heiten verschiedener Art, d.h. der einzelnen Wurzelwörter, der Wortbildungs-
konstruktionen (WBK), der festen Wortkomplexe im Text gewidmet. Oft
handelt es sich um das Zusammenspiel von verschiedenen Arten der lexika-
lischen Mittel im Text.
235
„Weißt du... ich wollte dir sagen... Aber sag mir du zuerst: ist dir nicht
etwas aufgefallen in den letzten Tagen an unserem Fräulein". (St. Zweig.
Novellen. Die Gouvernante. M., 1959, S. 23).
Der Kontext wie auch der ganze Text der Novelle zeigen, dass die Be-
deutung des mehrdeutigen Wortes Fräulein „Erzieherin der Kinder" ist; in
dieser Bedeutung wird das Wort im ganzen Text gebraucht.
Von Interesse ist der Gebrauch des Wortes „die Sache" im folgenden Text:
„Die Sache mit Xaver erregte in mir Bedenken, ob wir vielleicht in eine ganz
schlimme Zeit eingetreten seien." (J.R. Becher. Abschied. M., 1950, S. 25)
Einerseits ist „Sache" mehrdeutig; die Bedeutung „Umstände" wird hier
durch den Kontext realisiert. Andererseits ist das Substantiv in dieser Be-
deutung synsemantisch und weist auf das Geschehnis hin, das im vorange-
henden Text (S. 23 — 24) beschrieben wurde; der Junge hat durchs Fenster
Xaver betranken im Bett liegen sehen wie auch die ganze Unordnung im
Zimmer.
„Sie begleitete ihn zum Flugplatz. Ein Mann mit einem Handkoffer eilte
auf das Flugzeug zu. Es war Zeit. Sie sagte: „Ich gebe dir mein Herz mit,
mein Mann, mein Geliebter!" (L.Frank. Mathilde. Berlin, 1956, S. 304)
Das erste Mal wird Mann mit der Bedeutung „eine Person männlichen
Geschlechts" gebraucht; diese Bedeutung wird aber weiter konkretisiert durch
den Kontext: es ist der Gemahl von Mathilde (siehe ... „mein Mann, mein
Geliebter").
Oben wurde gezeigt, dass die Wiederholung eines Lexems im Text als
Verflechtungsmittel teilweise durch die Wortbildung und die Verwendung
der festen Wortkomplexe erleichtert wird. Auch andere Aspekte der Texte
können durch das Zusammenspiel verschiedener Arten der Wortschatzein-
heiten zum Ausdruck gebracht werden. Neben den einfachen Lexemen spie-
len hier die festen Wortkomplexe und die Wortbildungskonstruktionen (WBK)
eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Die Funktion der festen Wortkomplexe im Text wird erörtert: in den Ar-
beiten von 1.1.Cernyseva7, A.D.Reichstein8, L.T.Kosyreva9 und teilweise
auch in den Arbeiten von W.Fleischer10. Die Wortbildung im Text wird be-
leuchtet: in den Aufsätzen von M.Schröder11, V.S.Vasunin12, E.S.Kub-
rjakova13, in einigen Arbeiten von M. D. Stepanova14 und teilweise in eini-
gen Werken, die der Grammatik15 und der Stilistik16 gewidmet sind.
Die pragmatische Wirkung wird durch folgende Faktoren hervorgerufen:
1. bildliche Übertragung;
2. okkasionelle Füllung der WBK und der festen Wortkomplexe;
3. Nominalisierungstendenzen in der Syntax.
236
5.5. ZU EINIGEN SPEZIFISCHEN FUNKTIONEN
DER WBK IM TEXT
ANMERKUNGEN
1
Zu speziellen Werken, die die Texttheorie behandeln, können folgende gezählt
werden: Москалъская О. И. Грамматика текста. — М., 1981; Новое в зарубеж-
ной лингвистике. — Вып.УШ: Лингвистика текста. — М., 1978; Studia
Grammatika XVIII. Probleme der Textgrammatik. — Berlin, 1977; Pfütze M.
Probleme der Satz- und Kontextverflechtung. — Potsdam, 1970 (u.a.m.).
2
Stepanova M. D„ Heibig G. Wortarten und das Problem der Valenz in der deut-
schen Gegenwartssprache. — 2. unveränderte Aufl. — Leipzig, 1981. — S. 52.
3
Moskalskaja 0.1. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache.—M., 1983. —
S. 46 ff.
4
Stepanova M.D., Hclbig G. Die Wortarten... — S. 22, 23.
237
5
Москалъская О.И. Текст как лингвистическое понятие// Иностр. яз. в
шк. —1978. — № 3 . — С . 17.
6
Колшанский Г.В. Функции контекста в системе языка // Zeitschrift für
Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung. —1980.—Bd. 33. —
№ 3. - S. 336,337.
7
Öernyseva I.I. Feste Wortkomplexe. — M., 1980.—Teil II; Чернышева И.И.
Коммуникативно-прагматический потенциал устойчивых словесных ком-
плексов современного немецкого языка // Сб. научных трудов / МГПИИЯ
им. М.Тореза. — Вып. 217. — С. 135 —142.
8
Райхштейн А. Д. Текстовая значимость устойчивых словесных
комплексов. — С. 76—87.
9
Козырева Л. Ф. Устойчивые фразы и контекст. — Ростов / Д., 1983.
10
Fleischer W. Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. — Leipzig,
1982. — S . 218 —328.
11
Schröder Marianne. Über textverflechtende Wortbildungselemente // Deutsch
als Fremdsprache. — Leipzig. — 1978. — № 2. — S. 85 — 93.
12
Вашунин B.C. О сверхфазовых функциях немецких композитов // Сб.
научных трудов / МГПИИЯ им. М.Тореза. — М., 1980. — Вып. 164. —
С. 25 — 32; Текстоконституирующая функция субстантивных композитов
и ее типы // Функции определительных сложных существительных в
современном немецком языке. — Куйбышев, 1982. — С. 33 — 49.
13
Кубрякова Е. С. Номинативный аспект речевой деятельности и
словообразование как его важнейший компонент//Сб. научных трудов /
МГПИИЯ им. М.Тореза. — М., 1980. — Вып. 164. — С. 40 — 47.
14
Степанова М.Д. Лексические и словообразовательные средства
организации текста (на материале немецкого языка) // Сб. научных трудов /
МГПИИЯ им. М.Тореза. — М., 1983. — Вып. 217. — С. 107—115;
Степанова М.Д., Фляйшер В. Теоретические основы словообразования в
немецком языке. — М., 1984. — С. 233 — 246.
15
Schendels E. Deutsche Grammatik. — М. 1982. — Kapitel 27.
16
Fleischer W., Michel G. Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. —
Leipzig, 1975.— Teile 5.1.З., 5.1.4. — S . 195—199.
ERGÄNZUNGEN ZU EINIGEN ABSCHNITTEN
DES LEHRBUCHES
Schlussbemerkung
Eine kurze Übersicht über die Verfahrensweisen in der Repräsentation
der Wortbedeutung verschafft einen Einblick in die interdisziplinäre Spezi-
fik der gegenwärtigen Semantikforschung. Von Interesse ist auch die Inter-
aktion von IK-Forschung in Bezug auf das Lexikon der Sprache.
ANMERKUNGEN
1
Leont'evA.A. Tätigkeit, Bewusstsein, Persönlichkeit. — Berlin, 1979. —
S. 136 f. Zitiert nach: Schippan Th. Lexikologie... — S. 67.
2
Heider (Rosch) E. «Focal» Color Areas and the Development of Color Names /
Developmental Psychology. — 1971. — № 4. — S. 447. — 455; Rosch E. Natural
Categories // Cognitive Psychology. — 1973. — № 4. — S. 328 — 350.
3
Rosch E. Human Categorization // N. Warren. Advances in Cross-Cultural Psy-
chology. — New York, 1977. — Vol. 1. — P. 1 —49. Zitiert nach: Handbuch der
Lexikologie/Hrsg. Chr. Schwarze, D. Wunderlich — Königstein / Ts, 1985. —
S. 96f.
4
Schippan Th. Lexikologie... — S. 172.
5
Dobrovol 'skij D. Prototypentheoretische Ansätze bei der Beschreibung der Idio-
matik // Nominalforschung im Deutschen. Festschrift für W.Fleischer zum 75. Ge-
burtstag / Hrsg. I. Barz, M. Schröder. — Berlin: Peter Lang. — 1997.
6
Ebenda. — S. 161.
7
Handbuch der Lexikologie / Hrsg. Chr. Schwarze, D. Wunderlich. — König-
stein/Ts, 1985. — S . 450.
8
Frei nach: Schippan Th. Lexikologie... — S. 190.
9
Schippan Th. Ebenda.
10
Schwane Chr., Wunderlich D. Handbuch... — S. 446.
11
Schwarze Chr., Wunderlich D. Ebenda. — S. 4 6 1 .
12
Lewandöwski Т/г. Linguistisches Wörterbuch. — Heidelberg; Wiesbaden, 1985. —
S. 818 f.
13
Althaus H. Р., Henne H., Wiegand H.E. Lexikon der germanistischen Lingui-
stik. — Tübingen, 1980. — S. 813.
14
Lewandöwski Th. Ebenda. — S. 819.
16*
SACHREGISTER
246
phraseologische Derivation 209 f. Schemata 14, 242
phraseologische Einheiten (Struktur, syn- Script 14, 242
taktische Modelle) 179, 180, 182, Sem (Bedeutungselement, semantisches
186, 220 Merkmal, semantische Komponente,
phraseologische Homonyme 198 Noem, semantischer Marker, Di-
phraseologische Polysemie 198 stinktor) 18 f.
phraseologische Synonymie 198 ff. semantische Derivation (Bedeutungswan-
phraseologisches System 8 del) 36,46
phraseologische Verbindungen 197 f. semantische Dominante (Grundsyn-
phraseologisierte Verbindungen 179, onym) 203 f.
213, 225, 228 semantische Felder (lexikalisch-semanti-
Phraseologismen (phraseologische Wort- sche Gruppen) 29, 30
fügungen) 180, (Definition) 220 f. semantische Netze 14, 242
Phraseosem 207 semantische Kategorien der Phraseolo-
Polyfunktionalität (der Literatursprache) gismen 198 ff.
151 semantische Klassifikation (der Phra-
Polyfunktionalität (des Wortes) 9 seologismen) 181
Polysemie (Mehrdeutigkeit) 20 f. semantische Komponente (der Bedeu-
pragmatische Einstellung der Wortbil- tung) s. Sem 18
dung 90 semantische Selbständigkeit 61
pragmatische Funktion 9 semantische Transformation (in der phra-
Präfixe der Wortarten HO f. seologischen Nomination) 178, 180
präfixal-suffixale Wortarten 112 f. semantische Valenz 35 f.
Professionalismen s. Berufslexik semantische Untergruppen der Komposi-
Proformen s. Prowörter ta und der Ableitungen 125 f.
Prototyp 240 semantischer Distinktor s. Sem 18
Prototypensemantik 240 f. semantischer Marker s. Sem 18
Prototypentheorie 241 semantisches Merkmal s. Sem 18
Prowörter 232 Semem (lexisch-semantische Variante) 25
Pseudoetymologie s. Volksetymologie signifikative Bedeutung 16, 19
Purismus 5, 54 ff., fortschrittlicher Pu- signifikative Funktion 9
rismus 54 ff., reaktionärer Purismus Similarität der Bedeutung (Bedeutungs-
57 ff. ähnlichkeit) 23
sinngleiche (absolute) phraseologische
Reaktion gegen die klassische Theorie in Synonyme 200 f.
der Wortbildung 86 Sonderlexik (Sondersprachen, Sonder-
Realisierung der Wortbildungsmodelle wortschätze, Soziolektismen, Grup-
136 f. pensprachen, gruppenspezifische
Realisierung der Wortbildungsmodelle Wortschätze, Fachwortschätze) 153,
vom Standpunkt der stilistischen As- 157, 162, 164 ff.
pekte der deutschen Sprache 137 f. Sondersprachen s. Sonderlexik
referentielle Bedeutung 19 Sonderwortschätze s. Sonderlexik
regionale Dubletten s. territoriale Dub- Soziolekt (der Jugendlichen) 158 ff., 160
letten Soziolektismen s. Sonderlexik
Restelemente und Quasimorpheme 98 sprachliches Zeichen 9
Rotwelsch s. Gaunersprache Spezialisierung der Bedeutung (Bedeu-
tungsverengung) 38 ff., 47
Sach- und Wortentlehnung 48 Sprichwörter 194 ff., 224 f.
Schriftsprache (Literatursprache) 150 f., sprichwörtliche Satzredensarten 192 ff.
164 ff., 167 Standardsprache 151
247
Standessprachen s. Jargons Umgangssprache 151 f., 164 f., 167
stilistische Synonyme 26
Stratifikation (des Wortbestandes) 150,165 Valenz 31 ff.
strukturell-semantische Klassifikation Valenzwörterbuch 34
(der Phraseologismen) 181 Variabilität des Konstituentenbestandes
strukturelle phraseologische Synonyme 220
200 Varianten (der Lexik) 150
Strukturen mit „Halbaffixen» und „Kom- Varietäten s. Erscheinungsformen der
ponenten mit hoher Frequenz» 115 — Sprache
119 verbale Phraseologismen 183
substantivische Phraseologismen 183, Verkehrssprache s. Umgangssprache
185 f. verschiedenstrukturierte phraseologische
Suffixe der Wortarten 108 — 110 Synonyme 200 f.
Synästhesie 43 virtuelles sprachliches Zeichen 10
Synonymie 23 f. Volksetymologie (Fehletymologie, Pseu-
synonymische Gruppe s. synonymische doetymologie) 15 f.
Reihe
synonymische Reihe (synonymische Wort 10, (Definition) 11
Gruppe) 25 Wortbildung als Forschungsgegenstand
synsemantische Wörter 234 der Lexikologie 84
syntagmatische Bedeutungsbezeichnun- Wortbildung als selbständiges Gebiet der
gen 31 Sprachwissenschaft 84
syntaktische Felder 29 Wortbildung in der klassischen deut-
Szene 242 schen Grammatik 83
Wortbildungsart 80 f.
Tendenz nach kommunikativer Deut- Wortbildungsbedeutung 81
lichkeit 46 Wortbildungsmodell 80 f.
Termini (Fachwörter) 154,163,166 Wortbildungsparadigma 82
territoriale Dubletten (regionale Dub- Wortentlehnungen 48
letten) 27, 171 Wortfamilie 82 f.
territoriale Synonyme 171 Wortfelder 29 f.
territoriale Tautonyme s. landschaftliche Wortmotivation 80 f.
Varianten (der Lexik) Wortnest 82 f.
textbildende Potenzen und Funktionen Wortpaare s. Paarformeln
der Phraseologismen 220 weite Bedeutung (der Phraseologismen)
textverflechtende Funktion der sich wie- 184, 220
derholenden Lexeme im Text 234
Textverflechtung 234 Zusammenbildungen 114 f.
traditionelle Klassifikation der entlehn- zwischensprachliche Analogismen s.
ten Lexik 69 zwischensprachliche Homonyme
typisierte grammatisch-stilistische Kon- zwischensprachliche Homonyme (zwi-
struktionen 217 f., 228 schensprachliche Analogismen,
„falsche Freunde des Übersetzers»)
übertragene Bedeutung 20 f. 61 f.
INHALT
Vorwort 3
0. Die Lexikologie als Bereich der Sprachwissenschaft und als Lehrfach 4
0.1. Gegenstand, Ziele und methodologische Grundlage der Lexikologie 4
0.2. Zur Entwicklung der Lexikologie als Wissenschaft 4
0.3. Die Lexikologie als Lehrfach 8
1. Das Wort im lexikalisch-semantischen System. Synchronie und Diachronie bei
der Betrachtung des Wortbestandes bzw. des Lexikons 9
1.0. Grundsätzliches zum Wort als Grundeinheit der Sprache und als
sprachliches Zeichen 9
1.1. Wesensmerkmale des Wortes und speziell des deutschen Wortes
1.1.1. Allgemeines И
1.1.2. Struktur des Wortes 11
1.1.3. Bedeutung des Wortes (Wortbedeutung) 13
1.1.3.1. Allgemeines 13
1.1.3.2. Die Motiviertheit bzw. Motivation der Wortbedeutung 14
1.1.3.3. Struktur der Wortbedeutung 16
1.1.3.4. Typen der Wortbedeutung 19
1.1.4. Bedeutungsbeziehungen im lexikalisch-semantischen System 22
1.1.4.1. Allgemeines zum Begriff der Bedeutungsbeziehungen im
lexikalisch-semantischen System 22
1.1.4.2. Paradigmatische Beziehungen im lexikalisch-
semantischen System 23
1.1.4.2.1. Synonymie (im engeren Sinne) 24
1.1.4.2.2. Bedeutungsüberordnung und -Unterordnung
(Hyperonymie und Hyponymie) 27
1.1.4.2.3. Bedeutungsgegensatz / Antonymie 27
1.1.4.2.4. Semantische Felder, lexikalisch-semantische
Gruppen > 29
1.1.4.3. Syntagmatische Bedeutungsbeziehungen der lexikalischen
Einheiten : 31
1.1.4.3.1. Allgemeines zum Begriff der syntagmatischen
Bedeutungsbeziehungen der lexikalischen
Einheiten. Valenz und Distribution, lexikalisch-
semantische Kombinierbarkeit der Wörter 31
1.1.4.3.2. Valenzwörterbuch von G. Heibig/W.Schenkel 34
249
1.1.4.3.3. Fragen der lexikalisch-semantischen
Kombinierbarkeit 35
1.2. Kommunikativ begründete System Veränderung des Wortschatzes
bzw. des Lexikons 36
1.2.1. Wortschatzerweiterung durch semantische Derivation bzw.
Bedeutungswandel 36
1.2.1.1. Allgemeines 36
1.2.1.2. Die Ursachen des Bedeutungswandels 38
1.2.1.3. Die Arten des Bedeutungswandels 39
1.2.1.4. Der Bedeutungswandel und das lexikalisch-semantische
System 46
1.3. Wortschatzerweiterang durch Übernahme aus anderen Sprachsystemen
(Entlehnung) 47
1.3.1. Allgemeines zur Art und Form lexikalischer Entlehnungen 47
1.3.2. Soziale und innersprachliche Ursachen der Entlehnung 49
1.3.3. Die Einwirkung der puristischen Tätigkeit auf den Wortbestand
des Deutschen 54
1.3.4. Elemente der Systemhaftigkeit in den Wechselbeziehungen
zwischen Stammwörtern und Entlehnungen 60
1.3.5. Lexikalische Entlehnungen in der deutschen Gegenwartssprache 66
1.3.6. Die Klassifikationen des entlehnten Wortgutes 69
2. Wortbildung 78
2.1. Grundbegriffe der synchronen Wortbildung 78
2.2. Zur Stellung der Wortbildungstheorie in der Sprachwissenschaft 83
2.3. Über die Grundlinien in der deutschen Wortbildungslehre 85
2.3.1. Die Wortbildungslehre in der deutschsprachigen Germanistik 85
2.3.1.1. Zur Geschichte der Wortbildungslehre
in der deutschsprachigen Germanistik 85
2.3.1.2. Die Reaktion gegen die klassische Theorie. Zum heutigen
Stand der Wortbildungslehre in der deutschsprachigen
Wissenschaft 86
2.3.2. Die Wortbildungslehre in der Germanistik unseres Landes 90
2.3.2.1. Zur Geschichte der Wortbildungslehre 90
2.3.2.2. Zum gegenwärtigen Stand der Wortbildungslehre 91
2.4. Methoden der Wortbildungsanalyse 92
2.4.1. Morphemanalyse 92
2.4.2. Analyse nach den unmittelbaren Konstituenten (UK) 98
2.4.3. Transformationsanalyse und ihre Grenzen 100
2.4.4. Die Modellierung in der Wortbildung 101
2.4.4.1. Die Grundwortbildungsmodelle 101
2.4.4.2. Beschreibung der Wortbildungsmodelle 103
2.4.4.3. Wortbildungsstrukturen als Varianten
der Grundmodelle 113
2.4.4.4. Zweierlei Gliederung der Ableitungen
und Zusammensetzungen 119
2.4.4.5. Das allgemeine Wortbildungsmodell der deutschen
Gegenwartssprache 119
2.5. Semantische Analyse der Wortbildungskonstruktionen (WBK) 121
2.5.1. Die Semanalyse in der Wortbildung 121
250
2.5.2. Onomasiologische Funktion der Wortbildungskonstruktionen
(weiter WBK) 123
2.5.3. Die semantische Modellierung in der Wortbildung 125
2.5.4. Das Problem der „Fächerang" 126
2.6. Die Realisierung der Wortbildungsmodelle 130
2.6.1. Innersprachliche Gesetzmäßigkeiten bei der Realisierung
der Wortbildungsmodelle. Der Begriff der Valenz. Die innere
Valenz des Wortes 130
2.6.2. Die Wirkung der außersprachlichen Faktoren bei
der Realisierung der Wortbildungsmodelle 136
2.7. WBK als Neologismen und Okkasionalismen. Dynamik
in der Wortbildung 140
2.8. Dynamische Prozesse in der synchronen Wortbildung 141
4. Phraseologie 176
4.1. Begriffsbestimmung. Ziele und Fragestellungen der phraseologischen
Forschung 176
4.1.1. Klassen fester Wortkomplexe und das Problem ihrer
Identifizierung 177
4.2. Feste Wortkomplexe der Klasse I — Phraseologismen 180
4.2.1. Definition. Grundsätzliches zur phraseologischen Nomination
aus kommunikativ-pragmatischer Sicht. Klassifikation 180
4.2.2. Klassifikation der Phraseologismen 181
4.2.3. (1) Subklasse „Phraseologische Einheiten" 181
4.2.3.1. Verbale Phraseologismen 183
4.2.3.2. Substantivische Phraseologismen 185
4.2.3.3. Adverbiale Phraseologismen 187
4.2.3.3.1. Paarformeln bzw. Wortpaare 187
4.2.3.3.2. Komparative Phraseologismen 189
4.2.4. (2) Subklasse „Festgeprägte Sätze" 192
4.2.4.1. Sprichwörtliche Satzredensarten 192
4.2.4.2. Sprichwörter 194
4.2.5. (3) Subklasse „Phraseologische Verbindungen" 197
4.2.6. Semantische Kategorien der Phraseologismen 198
4.2.6.1. Phraseologische Polysemie und Homonymie 198
251
4.2.6.2. Phraseologische Synonymie 200
4.2.6.3. Phraseologische Antonymie 203
4.2.7. Zum Problem der phraseologischen Modellierung 207
4.2.8. Phraseologische und dephraseologische Derivation 209
4.3. Feste Wortkomplexe der Klasse II — phraseologisierte Verbindungen 213
4.4. Feste Wortkomlexe der Klasse III — modellierte Bildungen 214
4.5. Feste Wortkomlexe der Klasse IV — lexikalische Einheiten 219
4.6. Kommunikativ-pragmatische Potenzen fester Wortkomplexe 220
4.6.1. Funktional-kommunikative Leistung der Klasse I —
Phraseologismen 220
4.6.2. Funktional-kommunikative Leistung fester Wortkomplexe
der Klasse II, III 225
5. Text als Medium der kommunikativ-pragmatischen Potenzen
des Wortschatzes 233
5.1. Allgemeines zur Texttheorie 233
5.2. Textverflechtende Funktion der Wortschatzeinheiten im Text 234
5.3. Die mehrdeutigen Lexeme im Text 235
5.4. Das Zusammenspiel verschiedener Arten von Wortschatzeinheiten
im Text. Die pragmatische Wirkung dieser Einheiten 236
5.5. Zu einigen spezifischen Funktionen der WBK im Text 237
5.5.1. Funktion der Verdichtung im Text 237
Ergänzungen zu einigen Abschnitten des Lehrbuches 239
Ergänzung zu 1.1.3.1. Wortbedeutung 239
1.1. Die Repräsentation der Wortbedeutung in der kognitivorientierten
lexikologischen Forschung 239
1.1.2. Die Repräsentation der Wortbedeutung in Verfahrensweisen
bzw. Modellen 240
1.1.2.1 Die Prototypensemantik 240
1.1.2.2. Die Netzwerkmodelle 241
1.1.2.3. Schemaorientierte Repräsentation 242
Sachregister 244
Учебное издание
Учебное пособие
Редактор И.Н.Рябчикова
Ответственный редактор Н.П.Галкина
Технический редактор Е. Ф. Коржуева
Компьютерная верстка: С. Л. Тельное
Корректор В.Д.Дегтярев