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Geldfluss, Realwirtschaft und Finanzmärkte


aus der Sicht verschiedener
Wirtschaftstheorien *
Bernd Senf

Im folgenden Beitrag werden verschiedene be- die zu ihrem Absatz erforderliche Nachfrage
deutende Wirtschaftstheorien miteinander in Be- schafft (in Abb. 1 als Kreislauf dargestellt). Die
ziehung gesetzt, und zwar unter zwei Aspekten: Neoklassik schien diese These mit der Funktion
• Welche Rolle messen sie dem Geld und dem des Zinses am Kapitalmarkt zu untermauern, der
Zins für die Realwirtschaft und für ihr Verhältnis immer wieder ein Gleichgewicht zwischen Sparen
zu den Finanzmärkten bei? und Investieren herbeiführe, so dass der durch
• In welcher Weise tragen sie dazu bei, die Ver- Sparen unterbrochene Kreislauf durch Investi-
selbständigung der Finanzmärkte gegenüber der tionsnachfrage wieder geschlossen werde (Abb. 2).
Realwirtschaft zu erklären bzw. zu überwinden?
Abb. 1:
1 Gesamtwirtschaftlicher Kreislauf Das Saysche
und Kreislaufstörungen Theorem eines
geschlossenen
Im Vordergrund der Betrachtung gesamtwirt- Produktions-
schaftlicher Kreislaufzusammenhänge bei Adam Einkommens-
Smith, Marx, Gesell und Keynes stand der "Pro- Kreislaufs
duktions-Einkommens-Kreislauf" der Realwirt-
schaft: Auf der einen Seite entsteht Sozialpro-
dukt (SP), auf der anderen Seite in gleicher
Höhe das entsprechende Volkseinkommen (VE),
das zur Quelle gesamtwirtschaftlicher Nachfrage
werden kann. Ob die gesamtwirtschaftliche Nach-
frage mit dem gesamtwirtschaftlichen Angebot
an Sozialprodukt übereinstimmt, hängt davon ab, Abb. 2:
ob in Höhe der gesparten Gelder an anderer Stelle Die (neo)klas-
und in gleicher Höhe zusätzliche Nachfrage ent- sische Auf-
steht. fassung vom
gesamtwirt-
schaftlichen
1.1 Das Saysche Theorem eines
Gleichgewicht
geschlossenen störungsfreien
Kreislaufs
Das Saysche Theorem des klassischen Libera-
lismus ging davon aus, dass immer genügend
Nachfrage entsteht, weil jede Produktion sich

* Aktualisierte Fassung eines Aufsatzes, der als Ergänzung zum


Kap. 9 meines Buches „Die blinden Flecken der Ökonomie“ entstand
und erstmals 2003 auf meiner Website www.bernd.senf.de erschien.
In ähnlicher Form ist er auch in meinem Buch „Der Tanz um den
Gewinn“ im Kapitel D unter der Überschrift „Börsenfieber und kol-
lektiver Wahn“ enthalten.

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1.2 Der Marxsche Grundkonflikt auf der anderen Seite des Produktions-Einkom-
von Lohnarbeit und Kapital als mens-Kreislaufs einen Nachfragemangel und eine
Krisenursache Absatzkrise hervorruft. Aber selbst wenn der Zins
die gesparten Gelder vollständig wieder in den
Demgegenüber verwies Karl Marx darauf, dass Produktions-Einkommens-Kreislauf zieht und in
der Zwang der Konkurrenz zur Kapitalakkumula- Form von Krediten weiterleitet, würde er aufgrund
tion die Durchschnittsprofitrate absinken lasse seiner inneren Dynamik auf lange Sicht verhee-
und immer wieder Krisen hervortreibe. Deren tie- rende Krisen hervortreiben (Abb. 5)
fere Wurzeln sah Marx in den kapitalistischen
Produktions- und Eigentumsverhältnissen (und
dem darin verankerten Grundkonflikt zwischen
Lohnarbeit und Kapital, dargestellt in Abb. 3).

Abb. 3:
Die Marxsche
Theorie vom
Grundwider-
spruch von
Lohnarbeit
und Kapital
als der
tieferen
Krisenursache.

Abb. 4: Durch Horten von Geld kommt es – nach


1.3 Silvio Gesell: Kreislaufstörungen Auffassung von Gesell – zu Kreislaufstörung, Wirt-
durch Horten – das Zinssystem als schaftskrise und Arbeitslosigkeit.
Krisenursache

Demgegenüber sah Silvio Gesell im Geldsy-


stem und seiner Verknüpfung mit dem Zins die
wesentliche Wurzel für Ausbeutung und Krisen.
(Anders als Marx sah er das Privateigentum an
Produktionsmitteln – mit Ausnahme des Boden-
eigentums – sowie die Marktwirtschaft als wesent-
liche Grundlagen des Wirtschaftens an.) Indem das
Geld nicht nur in der Realwirtschaft als Tausch-
mittel verwendet, sondern auch als Spekula-
tionsmittel gehortet und dem Kreislauf entzogen
werden könne, würden entweder Kreislaufstö-
rungen entstehen oder die Möglichkeit des Geld-
entzugs führe zur Entstehung eines Zinses, der zu
Lasten derjenigen gehe, die auf den Durchfluss
des Geldes (in Form von Krediten und gesamt-
wirtschaftlicher Nachfrage) angewiesen sind. In Abb. 5: Auch wenn der Zins das sonst gehortete
Abb. 4 ist zunächst der Extremfall dargestellt, Geld in den Kreislauf zieht, treibt er selbst – nach Auf-
dass alle gesparten Gelder gehortet werden, was fassung von Gesell – eine Reihe von Krisen hervor.

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Im Übrigen würden aufgrund wachsender In- flusses durch zeitweises Horten) – auf diesen
vestitionen die Renditen und damit auch der kurzen Nenner ließe sich die Sichtweise von
Zins am Kapitalmarkt absinken, so dass er die Gesell verdichten. Für Gesell sollte die Tausch-
Vorteile des Hortens immer weniger aufwiegt. mittelfunktion des Geldes absolute Priorität
Anstatt im Produktions-Einkommens-Kreislauf bekommen. Erst wenn das Geld kontinuierlich
weiter zu fließen, würde das Geld deswegen im durch den Produktions-Einkommens-Kreislauf
zunehmenden Maße gehortet – mit der Folge fließt, kann nach seiner Auffassung die Geld-
eines gesamtwirtschaftlichen Kreislaufkollapses menge überhaupt sinnvoll gesteuert und auf
(Abb. 6). Der Druck des Kapitals gegenüber der Preisstabilität hin ausgerichtet werden. Und das
Arbeit sei demnach nicht Folge des Eigentums Absinken des Zinses wäre nicht mehr mit einer
an Produktionsmitteln (wie von Marx behauptet), Wirtschaftskrise verbunden, sondern würde die
sondern des Zinssystems. Und der Zins sei Folge destruktiven Folgen des Zinssystems abbauen
der inneren Spaltung des Geldes in Tauschmittel und einen Gesundungsprozess des sozialen Or-
einerseits und Spekulationsmittel andererseits, ganismus einleiten.
die es zu überwinden gelte (Abb. 6). Marxistisch betrachtet wären mit der Über-
windung des Zinssystems der Widerspruch von
Lohnarbeit und Kapital sowie die kapitalistische
Konkurrenz – und die darin begründete Ausbeu-
tung, Krisentendenz und Entfremdung – zwar
noch nicht überwunden. Wenn aber der Druck
des Geldkapitals gegenüber der übrigen Gesell-
schaft – auch gegenüber den Unternehmerkapi-
talisten – zum dominierenden Konflikt gewor-
den ist, sollte dann nicht die Lösung dieses
Konflikts erste Priorität bekommen, ohne dass
Abb. 6: Die Lösung der Blockierung (des Geldflus- deswegen die anderen Konflikte verdrängt wer-
ses) ist die Lösung: Die Überwindung der ”monetä- den müssen?
ren Kernspaltung”.
1.3 Keynes: Gesamtwirtschaftlicher
Damit aber die Tauschmittelfunktion des Gel- Kreislaufkollaps durch
des voll zur Geltung kommt, sollte die Spekula- Nachfragemangel
tionsfunktion unterbunden werden: durch eine
Belastung (in Form einer Umlaufsicherungsge- Die Theorie von Gesell wurde allerdings so-
bühr), die die Vorteile des Hortens bzw. der Spe- wohl von der Neoklassik wie vom Marxismus der
kulation neutralisiert. Infolge einer Überwindung 1920er und 1930er Jahre ignoriert. Die reichlich
der hortungsbedingten Verknappung des Geldan- späte (und für Deutschland zu späte) Korrektur
gebots entfiele die Grundlage für die Entstehung des (neo-)klassischen Weltbildes durch John
eines Urzinses, welcher das Zinsniveau unnötig Maynard Keynes brachte es mit sich, dass ge-
überhöht. Das Geld würde auch ohne das Lock- samtwirtschaftliche Kreislaufstörungen nicht nur
mittel eines permanent überhöhten Zinses dem für möglich, sondern in reifen Volkswirtschaften
Kapitalmarkt zugeführt und aufgrund des wach- sogar für wahrscheinlich gehalten wurden. Weil
senden Geldangebots würde der Zins von selber mit wachsendem Volkseinkommen ein immer
immer weiter gegen Null absinken und schließlich größerer Teil gespart würde, dem auf Dauer kei-
um ein neues Gleichgewicht pendeln, das nur- ne entsprechend wachsenden privaten Investi-
mehr durch die Bankvermittungsgebühr und die tionen gegenüberstehen würden (Investitions-
Risikoprämie bestimmt wird. lücke), weil im Durchschnitt deren Rendite ab-
„Die Lösung (der Blockierung) ist die Lö- sinkt. Anstatt die Gelder zu niedrigen Zinsen
sung" 1 (in diesem Fall der Blockierung des Geld- anzulegen, würden sie lieber liquide gehalten,

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unter anderem für Spekulationszwecke (LS), und mehrung anzukurbeln – weil das zusätzlich ge-
somit dem Produktions-Einkommens-Kreislauf ent- schöpfte Geld gleich wieder in der "Liquiditäts-
zogen – mit der Folge eines gesamtwirtschaft- falle" verschwinden könne und damit dem Kreis-
lichen Nachfragemangels bis hin zum Kreislauf- lauf entzogen werde.
zusammenbruch, begleitet von Massenarbeits- Die Spritzen keynesianischer Politik wirkten
losigkeit (Abbildung 7). zwar konjunkturbelebend und führten aus der
wirtschaftlichen Depression heraus, trieben aber
gleichzeitig das System in die Sucht nach im-
mer mehr Geldschöpfung. Die Nebenwirkungen
schleichender Inflation und wachsender Staats-
verschuldung wurden immer mehr zum Hauptpro-
blem der westlichen Industrieländer nach dem
Zweiten Weltkrieg. Im Übrigen flossen die staat-
lichen Gelder zum erheblichen Teil in höchst
problematische Bereiche (in den USA vor allem
in die Rüstung), zum Teil aber auch in wachsen-
de Sozialausgaben des "Wohlfahrtsstaats".

Abb. 7: Bei langfristig sinkendem Zins fließt nach


Keynes zunehmend Geld aus dem Produktions-Ein-
kommens-Kreislauf ab in Liquidität für Spekulation
(Ls) – mit der Folge von Wirtschaftskrisen und Ar-
beitslosigkeit.

Während die Theorie von Keynes bezüglich


der Erklärung der Kreislaufstörung große Ähn-
lichkeit zur Theorie von Gesell aufweist, setzt
die vorgeschlagene Therapie an anderer Stelle
an: Nicht die Behebung des Lecks im Kreislauf
(wie bei Gesell), sondern das Auffüllen des un-
dicht gewordenen Kreislaufs mit Hilfe von Geld-
spritzen wurde zum Mittel der Krisenbekämp-
fung – nicht Ursachenbehebung, sondern Symp-
tombekämpfung. Damit die Geldspritzen auch
unmittelbar nachfragewirksam wurden, sollten
sie dem Staat zur Finanzierung seines Haus-
haltsdefizits gewährt werden (Abbildung 8).
Geldpolitik allein (ohne die Fiskalpolitik zusätz-
licher Staatsausgaben bei gleichzeitigem Haus-
haltsdefizit) sei nicht in der Lage, die Konjunk- Abb. 8: Die Keynessche Beschäftigungspolitik: Das
tur durch Zinssenkungen bzw. Geldmengenver- Leck im Kreislauf durch Konjunkturspritzen auffüllen.

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1.5 Milton Friedman: Das Leugnen strukturellen Kreislaufschwäche des entwickelten


einer immanenten Krise des Kapitalismus gewesen, sondern die Folge einer
Kapitalismus verfehlten Geldpolitik, die dem Wirtschaftskreis-
lauf in den USA ein Drittel der Geldmenge ent-
Die Nebenwirkungen des Keynesianismus be- zogen habe – mit entsprechenden weltweiten
reiteten in den 1970er Jahren den Boden für Kettenreaktionen. Damit leugnete Friedman ei-
die von Milton Friedman angeführte "Gegenre- ne dem Kapitalismus innewohnende (immanen-
volution" des Monetarismus, der mit Recht auf te) Tendenz zur Krise.
die längerfristigen Gefahren der Inflation und In erster Annäherung lässt sich die Kreislauf-
wachsender Staatsverschuldung hinwies und ei- betrachtung von Friedman wie in Abbildung 9
ne konsequente Antiinflationspolitik forderte. darstellen. Das als Liquidität gehaltene Geld
Ein wesentlicher Ansatzpunkt der monetaristi- geht nach dieser Auffassung dem Kreislauf nicht
schen Kritik an Keynes war die These, dass liqui- verloren, sondern fließt ihm auf Umwegen wie-
de gehaltenes Geld dem Kreislauf gar nicht auf der zu und wird entsprechend nachfragewirk-
Dauer entzogen werde, sondern sich lediglich in sam – als Konsum oder als reale Investition.
einer Art Warteposition befinde, aus der es je- Der Umweg kann allerdings über mehrere Sta-
derzeit in andere Verwendungen umsteigen kön- tionen von Vermögensumschichtungen laufen, wie
ne. Dadurch würde es auf Umwegen letztlich dies in Abbildung 10 angedeutet ist: Das liquide
doch immer wieder dem Produktions-Einkom- gehaltene Geld kann bei hinreichend attraktiven
mens-Kreislauf zugeführt, und es gäbe deshalb Erwartungen über Renditen bzw. Spekulationsge-
keine längere Kreislaufstörung – und also auch winne zum Beispiel an die Finanzmärkte (Aktien-
keine Notwendigkeit, den Kreislauf mit Geld– börsen (A), den Rentenmarkt (R), die Devisen-
spritzen zu stabilisieren. Die Wirtschaftskrise in börsen (Dev) und an den Finanzderivatemarkt
den 1930er Jahren sei gar nicht Folge einer (FD)2 oder an den Immobilienmarkt fließen und
dort jeweils entsprechende Vermögenswerte nach-
fragen. Umgekehrt können die Vermögenseigen-
tümer aus den jeweiligen Vermögenswerten aus-
steigen und sie zum Kauf anbieten, um entwe-
der in andere Vermögenswerte oder in liquides
Geld umzusteigen, was bei den einzelnen Ver-
mögenswerten unterschiedlich schnell zu reali-
sieren ist. Abbildung 10 will die Finanz- und Im-
mobilienmärkte im Verhältnis zum Produktions-
Einkommens-Kreislauf bildlich darstellen. (Die
unterschiedliche Schattierung soll den unter-
schiedlichen Grad von Liquidität andeuten.)
Durch die ständig stattfindenden Vermögens-
umschichtungen bliebe also nach monetaris-
tischer Auffassung das Geld in Fluss, und eine
bedrohliche Lücke im gesamtwirtschaftlichen
Kreislauf würde gar nicht entstehen. Also brau-
che der Staat auch gar nicht mit Konjunktur-
spritzen einzugreifen, die das System ohnehin
Abb. 9: Nach monetarischer Auffassung fließt die nur süchtig nach Geldschöpfung machen und
Liquidität über Vermögensumschichtungen wieder Inflation sowie wachsende Staatsverschuldung
in den Produktions-Einkommens-Kreislauf zurück und nach sich ziehen. Wären die Märkte erst einmal
wird nachfragewirksam, so dass gar keine Kreislauf- wieder sich selbst überlassen – ohne staatliche
störungen entstehen. Eingriffe und nach erfolgter Deregulierung und

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Abb. 10:
Die Finanz-
und
Immobilien-
märkte im
Verhältnis
zum
Produktions-
Einkommens-
Kreislauf

Privatisierung -, dann würden sie sich von selbst Während der Monetarismus und Neoliberalis-
regulieren und wieder zum Gleichgewicht ten- mus der Liberalisierung aller Märkte einschließ-
dieren – und dabei die "optimale Allokation der lich der Finanzmärkte das Wort geredet und po-
Ressourcen" bewirken. litisch den Weg geebnet haben, gibt es mittler-
Dementsprechend forderte der Monetarismus weile – insbesondere bezüglich der grenzenlo-
ein Absetzen der Geldspritzen und ein tenden- sen Liberalisierung der Finanzmärkte – warnende
zielles Zudrehen des Geldhahns, wodurch der Stimmen. Setzt man den Produktions-Einkom-
Staat mit seinen Ausgaben in die Zange geriet mens-Kreislauf, das heißt die reale Sphäre von
(Abbildung 11). Unter dem Druck vermeintlicher Produktion und Investition, ins Verhältnis zu
Sparzwänge wird insbesondere der Sozialstaat den Finanzmärkten, so zeigt sich, dass das Um-
immer mehr abgebaut. Aber auch in anderen satzvolumen an den Finanzmärkten explosiv an-
Bereichen wird der Staat Opfer einer schleichen- gewachsen ist, ungleich viel schneller als die
den Zwangsvollstreckung in Form der Verschleu- reale Produktion. Die Finanzmärkte haben sich
derung öffentlichen Vermögens. gegenüber der realen Sphäre der Produktion zu-

Abb. 11:
Die Ansatz-
punkte des
Monetarismus
und sein
Vertrauen auf
die Selbst-
regulierung
der Märkte
(einschließlich
Finanz- und
Immobilien-
märkte).

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nehmend aufgebläht und verselbständigt (Ab-


bildung 12). Der Produktions-Einkommens-Kreis-
lauf ist mittlerweile zu einer Art Wurmfortsatz
der Finanzmärkte degeneriert, die ihrerseits
immer mehr durchdrehen und von der realen
Sphäre abheben.
Was in den Augen des Neoliberalismus angeb-
lich der "optimalen Allokation der Ressourcen"
und dem weltweit wachsenden Wohlstand (min-
destens der Vermögenseigentümer) dient, deute-
ten Hans-Peter Martin und Harald Schumann als
bedrohliche "Globalisierungsfalle" und als "An-
griff auf Demokratie und Wohlstand". 3 Die Fi-
nanzmärkte erscheinen mittlerweile wie ein
großer Ballon mit einer kleinen Gondel (der
Realwirtschaft), der sich immer praller aufbläht
und sich immer weiter vom Boden der Realität
entfernt. Die Gefahr eines jähen Absturzes, eines
globalen Kollapses wird dadurch immer größer.
Während anfänglich innerhalb des großen
Ballons der globalen Finanzmärkte nur einzelne
Teilmärkte oder einzelne Regionen von der
"Boom/Bust-Folge" des Aufblähens und Platzens
von Spekulationsblasen erfasst werden – und die
Finanzmassen sich jeweils neue Teilmärkte und
Regionen suchen, droht auf längere Sicht ein Abb. 12: Die Finanzmärkte heben immer mehr vom
Totalabsturz, eine Art "Super-GAU des Weltfi- Boden der Realität ab – und ziehen die Gondel der
nanzsystems". Diese Gefahr sieht sogar George realen Produktion in gefährliche Höhen.
Soros, der weltweit erfolgreichste Spekulant der
letzten drei Jahrzehnte. festverzinslichen Wertpapieren, über die sich
die Unternehmen oder der Staat zusätzliches
2 Zur Unterscheidung von Realwirt- Kapital beschaffen. Die Betonung liegt hier auf
schaft und Finanzspekulation "Neu", das heißt es handelt sich um die Erst-
ausgabe von Wertpapieren, durch die das Geld
Um die Krisentendenzen des Weltfinanzsy- über den Kapitalmarkt zu den Unternehmen bzw.
stems besser begreifen zu können, scheint es zum Staat fließt.
mir wichtig, begrifflich zwischen "Kapitalmarkt" Im Falle von Aktienemissionen verbleibt das
einerseits und "Finanzmärkten" andererseits zu Geld als Eigenkapital in der Aktiengesellschaft,
unterscheiden, ebenso wie zwischen "Realinves- während der Aktionär einen gewissen Anteil am
titionen" und "Finanzinvestitionen". Der "Kapi- Unternehmen erhält, verbunden mit entsprechen-
talmarkt" ist derjenige Markt, an dem Gelder für dem Stimmrecht in der Hauptversammlung so-
Realinvestitionen angeboten bzw. nachgefragt wie mit Aussicht (aber nicht Garantie) auf Divi-
werden, über den sich also Ersparnisse in (Real-) dende, deren Höhe jährlich von der Hauptver-
Investitionen bzw. Realkapital verwandeln. Dies sammlung der Aktiengesellschaft zu beschließen
kann zum Beispiel in Form von Sparanlagen er- ist. Einen Anspruch auf Rückzahlung oder feste
folgen, die von den Geschäftsbanken als Inves- Verzinsung enthält die Aktie nicht. (Sie kann
titionskredite ausgeliehen werden; oder in Form allerdings an der Aktienbörse zum Verkauf ange-
der Neuemission (Neuausgabe) von Aktien oder boten und in Höhe des jeweiligen Aktienkurses –

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der sich aus dem Zusammentreffen von Angebot nächst völlig unberührt. Der Verkäufer des Wert-
und Nachfrage nach der betreffenden Aktie zu papiers könnte das ihm zugeflossene Geld sei-
einem bestimmten Zeitpunkt ergibt – in Geld nerseits für den Kauf anderer schon emittierter
umgewandelt werden.) Wertpapiere verwenden, von denen er sich mehr
Im Falle von festverzinslichen Wertpapieren verspricht, oder er könnte es auch in Wartepo-
sind für die Dauer der Laufzeit jährlich im voraus sition liquide halten.
festgelegte Zinsen zu zahlen, die sich prozentual Was an diesem Beispiel nur kurz erläutert wur-
auf den Nennwert des Wertpapiers beziehen. Mit de, deutet an, dass das Geld im Grunde beliebig
Ende der Laufzeit ist der Nennwert des Papiers lange Zeit abgekoppelt vom Produktions-Einkom-
an dessen derzeitigen Inhaber zurückzuzahlen. Das mens-Kreislauf der Realwirtschaft auf den speku-
dem Unternehmen bzw. dem Staat mit der Neu- lativen Finanzmärkten zirkulieren (oder auch zwi-
emission zufließende Geld hat nicht den Charak- schenzeitlich liquide gehalten werden) kann. Erst
ter von Eigenkapital, sondern von Fremdkapital, wenn es für den Kauf neu emittierter Wertpapie-
für das Zinsen aufgebracht werden müssen. re verwendet würde, käme es dem Produktions-
Ein festverzinsliches Wertpapier kann während Einkommens-Kreislauf als Realinvestition zugute
der Laufzeit ebenfalls an der Börse (in diesem und würde dort nachfragewirksam werden; oder
Fall am Rentenmarkt) zum Verkauf angeboten wenn es den Geschäftsbanken als Spareinlage zu-
werden, und auch hier ergibt sich der jeweilige fließt und zur Grundlage für Kreditausleihung wird.
Kurs aus dem Zusammentreffen von Angebot und Begrifflich sollten also diejenigen Geldströme,
Nachfrage nach diesem Papier zu dem betreffen- die zur Bildung von Realkapital führen, von den-
den Zeitpunkt. Der Kurs kann demnach vom Nenn- jenigen unterschieden werden, die lediglich mit
wert abweichen, und entsprechend kann sich die dem Besitzwechsel von bereits emittierten Wert-
auf den Nennwert bezogene "Nominalverzinsung" papieren – oder auch von bereits vorhandenen
von der "Realverzinsung" unterscheiden, die sich Immobilien – verbunden sind. Im ersten Fall han-
auf den jeweiligen Kurs bezieht. delt es sich um Realinvestitionen, im zweiten Fall
Für unseren Zusammenhang gesamtwirtschaft- um Finanzinvestitionen. Den ersten Bereich der
licher Kreislaufbetrachtungen scheint es mir nun Neuemissionen nennt Jörg Huffschmid "Primär-
ganz wesentlich, die Wirkungen der Neuemission markt" – und den zweiten Bereich des bloßen
von denen des bloßen Besitzwechsels der Wert- Besitzwechsels "Sekundärmarkt“. 4 Eine begriffli-
papiere zu unterscheiden. Die Neuemission führt che Unterscheidung zwischen beiden Bereichen
nämlich den betreffenden Unternehmen bzw. dem der Finanzmärkte scheint mir notwendig, um die
Staat, die die Wertpapiere ausgeben, Mittel zur grundsätzlich unterschiedlichen Wirkungen auf
Finanzierung ihrer Ausgaben zu und lässt diese den realen Produktions-Einkommens-Kreislauf zu
Ausgaben im Produktions-Einkommens-Kreislauf verdeutlichen. Denn während es im Produktions-
nachfragewirksam werden – insoweit ganz ähn- Einkommens-Kreislauf um die Funktion des Gel-
lich den Bankkrediten, mit denen zum Beispiel des als Tauschmittel geht, handelt es sich in
Investitionen finanziert werden. Ganz anders dem anderen Bereich der Finanzmärkte und der
aber verhält es sich mit dem bloßen Besitz- Liquiditätskasse für Spekulation um die Funktion
wechsel von schon emittierten Wertpapieren, die des Geldes als Spekulationsmittel, die von der
an der Aktienbörse bzw. am Rentenmarkt gehan- Tauschmittelfunktion grundverschieden ist und
delt werden und für die tagtäglich bzw. mittler- zu ihr in grundlegenden Konflikt geraten kann.
weile in jeder Sekunde die aktuellen Kurse er- Wie aber soll man diese zwei widersprüchlichen
mittelt werden. Seiten des bisherigen Geldes begreifen, wenn für
Indem nämlich ein Wertpapier an der Börse sie der gleiche Begriff verwendet wird bzw. wenn
zum aktuellen Kurs nur den Besitzer wechselt, sie begrifflich nicht deutlich voneinander unter-
fließt das Geld lediglich vom Käufer zum Ver- schieden werden?
käufer des Papiers. Die reale Sphäre des Produk- In der bisherigen Nichtunterscheidung zwischen
tions-Einkommens-Kreislaufs bleibt davon zu- Neuemissionen und dem bloßen Besitzwechsel

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von Wertpapieren im undifferenzierten Begriff Auch wenn schließlich die Opfer und Schäden
„Kapitalmarkt“ bzw. „Finanzmarkt“ scheint mir beklagt werden, die Pathologie der zugrunde lie-
ein blinder Fleck bisheriger ökonomischer Theo- genden Struktur des internationalen Finanzsy-
rien zu liegen. Der grundlegende Unterschied stems 5 wird dabei selten erkannt, geschweige
zwischen der Realwirtschaft, in der das Geld als denn auf ihre tieferen Ursachen zurückgeführt.
Tauschmittel zirkuliert, und den spekulativen Stattdessen entlädt sich der Volkszorn in den
Finanzmärkten, auf denen es als Spekulations- von Krisen geschüttelten Ländern vielfach an
mittel wirkt, werden auf diese Weise vernebelt. Objekten des Hasses (zum Beispiel an ethni-
Dabei handelt es sich um zwei grundverschie- schen oder religiösen Minderheiten).
dene Kreisläufe, die aber bisher überwiegend Die Abfolge von Börsenfieber mit Spekula-
weder begrifflich noch in der Realität klar von- tionsblasen und anschließendem Kurssturz sind
einander getrennt, sondern diffus und undurch- für mich Ausdruck und Folge eines Geldsystems,
sichtig ineinander verwoben sind. in dem der Wesenskern des Geldes in die Spal-
Die Spaltung des bisherigen Geldes in Tausch- tung geraten ist und in dem sich der Geldfluss
mittel und Spekulationsmittel treibt also nicht aufzweigt in zwei unterschiedliche, gegensätz-
nur den Zins hervor, sondern auch die Spaltung liche und unvereinbare Funktionen: Tauschmittel
der Ökonomie in Realwirtschaft und spekulative einerseits und Spekulationsmittel andererseits
Finanzmärkte. Aber es handelt sich dabei nicht zu sein – das, was ich „monetäre Kernspaltung“
um eine klare Trennung zwischen beiden Sphä- nenne. Diese Spaltung gilt es als problematisch
ren, sondern um ein Ineinandergreifen und eine zu erkennen und zu überwinden. Die Aufarbei-
vollständige Durchlässigkeit zwischen ihnen, mit tung des Werkes von Gesell und die Weiterent-
ständig drohenden Übergriffen der einen auf die wicklung und Aktualisierung seiner Gedanken
andere Sphäre, der Finanzmärkte auf die Sphäre zum Geld- und Zinssystem sowie deren Integra-
der Realwirtschaft. tion mit anderen zukunftsweisenden Vorschlägen
Mit wachsendem Alter und Entwicklungsgrad zur Reform des Geldsystems 6 scheinen mir dafür
einer kapitalistischen Ökonomie und entspre- eine wichtige Grundlage zu bilden.
chend exponentiell wachsenden Geldvermögen
entsteht so etwas wie ein wachsender monetä-
rer Stauungsdruck für das auf Vermehrung drän-
gende Geldkapital, das sich zur Befriedigung
seiner Bedürfnisse immer neue Märkte, immer Anmerkungen
neue Opfer sucht, mit all seinen Verführungs- 1 Siehe hierzu Bernd Senf: Fließendes Geld und Heilung des so-
zialen Organismus – Die Lösung der Blockierung ist die Lösung;
künsten und Lockmitteln, nach der Devise: "Und auf der Website www.berndsenf.de .
bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt" – 2 Finanzderivate sind Geldanlagen, die aus anderen Wertpapieren
offene oder strukturelle Gewalt. Und wenn der oder Vermögensanlagen abgeleitet sind, indem Wetten auf de-
ren Kursentwicklung in der Zukunft abgeschlossen werden.
Kapitalmarkt für reale Investitionen nicht mehr Siehe hierzu im einzelnen Martin/Schumann: Die Globalisierungs-
genügend Rendite abwirft, dann strömt das Geld falle, S. 63f, sowie Fred Schmid: Finanzspekulation, in: Herbert
eben immer mehr auf die Finanzmärkte und Schui / Eckardt Spoo (Hrsg.): Geld ist genug da – Reichtum in
Deutschland, 1998, S. 78 – 85.
treibt die Kurse spekulativ in die Höhe – jeder- 3 Hans-Peter Martin und Harald Schumann: Die Globalisierungs-
zeit auf dem Absprung und auf der Suche nach falle – Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Reinbek bei
etwas Besserem, ohne jede längere Bindung und Hamburg 1998.
4 Jörg Huffschmid: Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Ham-
Verpflichtung, ohne jede Rücksicht auf die Fol– burg 2002.
gen der flüchtigen finanziellen Beziehungen, 5 Siehe hierzu auch Bernd Senf: Der Wahnsinn des durchdrehen-
und ohne dass ihm die Gesellschaft bislang die den Kapitalismus, www.berndsenf.de .
6 Zum Beispiel Irving Fisher, 100%-Money, Kiel 2007, und Joseph
Verantwortung für die Folgen seines Tuns aufer- Huber / James Robertson, Vollgeldreform (Kiel 2008, in Vorbe-
legt. reitung, beides im Verlag für Sozialökonomie).

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