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soziologie heute
Wieviel Rituale brauchen wir?
kulturanthropologisch-soziologische Überlegungen von Andreas Obrecht
Weltfinanzkrise
Kommt der Steuerzahler zum Handkuss?
Schmutziges Geld?
Organisierte Kriminalität, Geldwäsche, Drogenhandel und Terrorismus
Leseraum Oberösterreich
Analyse der Leselandschaft bei SchülerInnen und Erwachsenen
Emile Durkheim
Über den Selbstmord
u
ne
Ihre Meinung ...
Unser Angebot:
Editorial
Werte Leserin, werter Leser,
Amdreas Obrecht, Soziologe und bekannter Ö1-Moderator führt Sie ein in die
Welt der Rituale und zeigt die kulturellen Unterschiede in den Gesellschaften
auf. Friedrich Schneider - weltweit einer der wenigen Experten für Geldwä-
sche und Schattenwirtschaft - kommt gleich zweimal zu Wort: zunächst in
einem soziologie heute-Interview über die derzeitige Weltfinanzkrise und
anschließend mit einem Beitrag zur organisierten Kriminalität und zum Ter-
rorismus. Der Duisburger Soziologe Hermann Strasser widmet sich in seinem
Dr. Claudia Pass / Dr. Bernhard Hofer Beitrag dem bürgerschaftlichen Engagement im Spannungsfeld zwischen
Nutzen, Anerkennung und Selbstlosigkeit.
Wir wünschen Ihnen viele interessante Lesestunden und freuen uns schon
jetzt über Ihre Anregungen und Beiträge.
soziologie heute ist das erste und bislang einzige populärwissenschaftliche Magazin für Soziolo-
gie im deutschsprachigen Raum.
soziologie heute informiert zweimonatlich über sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, analysiert
aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und bereitet die behandelten Themen auch für Laien
verständlich auf.
soziologie heute richtet sich vor allem an bildungsorientierte LeserInnen, welche gesellschaft-
liche Vorgänge und Phänomene hinterfragen wollen, mit Studium, Lehre oder Forschung
konfrontiert sind und als Meinungsführer oder kritische Konsumenten auftreten. Dazu zählen
neben StudentInnen der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften vor allem auch PädagogIn-
nen im Schul- und Erwachsenenbildungsbereich, Menschen in Sozial- und Gesundheitsberufen
sowie die in diesen Bereichen tätigen Institutionen und Organisationen.
Ein besonderes Anliegen ist dem Herausgeber die Pflege des Kontaktes mit den Nachbardiszi-
plinen. Aus diesem Grund wird soziologie heute auch immer wieder Ausflüge in Bereiche der
Kulturwissenschaft, Ethnologie, Verhaltensforschung, Psychologie, Psychoanalyse, Politologie,
Geschichte, Wirtschaftswissenschaft usw. wagen - um einfach aufzuzeigen, dass die Soziologie
letztlich ein Sammelbecken ist, in dem Erkenntnisse aller Wissenschaften vom Menschen zu-
sammenfließen.
soziologie heute präsentiert Themen, welche uns Menschen als Mitglieder einer Gesellschaft im
Wandel bewegen. In Interviews erläutern führende ExpertInnen ihre Sichtweise, in Reportagen
wird aktuellen Ereignissen und möglichen Entwicklungen nachgegangen und die Markt- und
Meinungsforschung präsentiert die neuesten Untersuchungen. Besonderer Raum wird den
Klassikern der Soziologie gewidmet. Hier erfahren Sie alles über die Wegbereiter dieser relativ
jungen Wissenschaft. Darüber hinaus widmen sich spezielle Rubriken den neuesten Publikatio-
nen, Veranstaltungen und erläutern Fachbegriffe.
soziologie heute ist allerdings auch ein Medium, welches - ganz im Sinne dieser interdisziplinä-
ren Wissenschaft - vernetzen will. Im Kleinanzeiger haben Sie die Möglichkeit, auf Ihre Produkte,
Dienstleistungen oder Treffen aufmerksam zu machen. Hier können Sie auch Kontakte knüpfen
oder neue MitarbeiterInnen gewinnen.
Mit soziologie heute begeben Sie sich auf die wohl spannendste Reise der Welt: Entdecken Sie
mit uns die Gesellschaft.
4 soziologie heute Februar 2009
Inhalt
Interview
Wieviel Rituale brauchen wir? 6
kulturanthropologisch--soziologische Überlegungen
in einem Interview mit Andreas Obrecht
Weltfinanzkrise 12
Kommt der Steuerzahler zum Handkuss?
Reportage
Helfer der Nation? 14
Bürgerschaftliches Engagement zwischen
Nutzen, Anerkennung und Selbstlosigkeit
Schmutziges Geld? 20
Markt- und
Meinungsforschung
Furchtreflexe auf die Krise 24
Hälfte der Österreicher fühlt sich nicht leistungsfähig 25
Mehrheit der Deutschen für stärkere Videoüberwachung 25
Schweizer vertrauen vor allem dem Arzt 26
Foto: Franz Patzal, pixelio
Leseraum Oberösterreich 27
Klassiker
Émile Durkheim 30
der erste Soziologieprofessor in Frankreich
Februar 2009 soziologie heute 5
Soziologie weltweit
Geisteswissenschaften gewinnen gegenüber Naturwissenschaften 34
Veranstaltungen 45
Ihr Kleinanzeiger 46
IMPRESSUM
Medieninhaber und Herausgeber: i-trans Gesellschaft für Wissenstransfer, A-4040 Linz, Aubrunnerweg 1,
Tel.: 0043 (0)732 254024, Fax: 0043 (0)732 254137, Mail: office@soziologie-heute.at, ZVR: 286123776.
Redaktion: Dr. Claudia Pass, Dr. Bernhard Hofer, Dr. Alfred Rammer; Mail: redaktion@soziologie-heute.at.
Layout: i-trans Gesellschaft für Wissenstransfer
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Aboservice: soziologie heute - Aboservice, A-4040 Linz, Aubrunnerweg 1, Tel.: 0043 (0)732 254024, Fax: 0043 (0)732 254137,
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Erscheinungsweise: 6x jährlich
Auflage: 5.000 Stück
Blattlinie: soziologie heute versteht sich als populärwissenschaftliches Informationsmedium mit dem Ziel, gesellschaftliche Entwicklungen und
Herausforderungen darzustellen und zu analysieren. soziologie heute ist parteiunabhängig und tritt für demokratische Grundrechte und Werte
ein. soziologie heute bekennt sich zu den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit bei Aufrechterhaltung der Eigenverantwortlichkeit des Staats-
bürgers, zu den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft, zur freien unternehmerischen Initiative und zum Leistungswettbewerb. soziologie
heute tritt für die Wahrung der Menschenrechte und für die Grundfreiheiten ein - wo immer diese auch bedroht sein mögen.
6 soziologie heute Februar 2009
brauchen wir ?
Wieviel
Ri t ual e
soziologie heute: Sie sind Soziologe
und Kulturanthropologe. Was macht
ein Kulturanthropologe?
Foto: A. Obrecht
Februar 2009 soziologie heute 7
Foto: A. Obrecht
che zu erlernen und konnte dann
diese Gesellschaft verstehen bzw.
beschreibend und analytisch dar-
legen. Je mehr ich aber in solchen in Teams erfolgen. Bei qualitativen dies auf Fußmärsche. Insbesondere
Forschungsgebieten war, desto eher Forschungsmethoden werden dabei im feucht-tropischen Regenwald gibt
habe ich die Auffassung gewonnen, sprachliche und kulturelle Besonder- es keine andere Möglichkeit. In Ne-
dass dem Verständnis von anderen heiten berücksichtigt. pal wiederum sind extreme Steigun-
Kulturen, wenn sie sich in wesentli- gen bzw. Pfade vorhanden. In diesen
chen Strukturen zur moderen Welt soziologie heute: Wie sieht der Ab- Regionen findet man zwischen 2.600
unterscheiden, enge Grenzen gesetzt lauf einer Feldforschung aus? und 4.000 Metern fast permanente
sind. Ich sehe diese Grenzen aller- Siedlungsstrukturen. Dies ist extrem
dings ausgesprochen positiv, weil Obrecht: Ich sehe mich mittlerweile herausfordernd. Eine Vorbereitung
wir Europäer einfach nicht alles bis nur mehr als Person, die vor Ort die ist deshalb ein absolutes Muss.
ins Letzte erkennen und verstehen Kommunikation in lokalen Teams
müssen. moderiert. Wichtig ist mir, dass die soziologie heute: Welche Themen
Fragestellung meiner Forschung sind Auftraggebern wichtig? Gibt es
soziologie heute: Was sind neuere transparent ist und von meinen Mitar- dafür ein konkretes Beispiel?
Forschungsmethoden? beiterInnen wirklich verstanden wird.
In Kenia beispielsweise kann man auf Obrecht: Das Rote Kreuz in Laos
Obrecht: Mittlerweile bin ich von exzellentes, sozialwissenschaftlich wollte die strukturelle Hilfe auswei-
diesen hergebrachten methodolo- geschultes Personal zurückgreifen. ten. Im Dreiländereck von Thailand,
gischen Vorstellungen abgegangen. In einem Land, wie der Volksrepublik Burma und Laos gibt es aber über-
Vielleicht hat dies auch damit zu tun, Laos hingegen muss man mitunter haupt keine staatliche Infrastruktur
dass ich mehr als Entwicklungssozi- aufwendige Interviewerschulungen zur Gesundheitsversorgung. Ziel war
ologe arbeite. Das Hauptaugenmerk durchführen. Im Schnitt werden zwei bei diesem Projekt die Erarbeitung
in den aktuellen Projekten ist auf bis drei Wochen vor einer Feldfor- eines Konzeptes, ob und unter wel-
die Kommunikation in lokalen For- schung eingeplant. Die Feldforschung chen Mitteln und unter Verwendung
schungsteams gerichtet. Jetzt haben dauert dann rund einen Monat pro welcher Kooperationspartner vor Ort
wir immer lokale MitarbeiterInnen, Durchgang, wobei wir immer zwei eine basale Versorgung der Bevölke-
welche die ethnischen, indigenen Feldforschungsphasen durchführen. rung mit Wasser und medizinischen
Sprachen sprechen. Dies ist vor Es ist wichtig, Ergebnisse zurückzu- Leistungen möglich ist. In diesem
folgendem Hintergrund zu sehen: spielen und in entlegenen Gebieten Projekt sind wir wochenlang Flüsse
Wenn ich eine Forschung nur in der hat die erste Feldforschungsphase abgefahren, weil die eigene Provinz-
Verkehrssprache wie Französisch eher explorativen Charakter. regierung nur teilweise über die Lage
im frankophonen Afrika oder Lao der Orte Bescheid wusste. Bei der
in Laos durchführen würde, würde soziologie heute: Wie anstrengend Kartierung stand die Anzahl der im
ich nur weniger als die Hälfte jener ist die Feldforschung in den Länder Ort lebenden Personen und die Eth-
Personen, die dort leben, erreichen. der südlichen Hemisphäre? nie, Ausmaß der Kindersterblichkeit
Frauen würden im Vergleich zu ge- und die Trinkwasserversorgung im
sellschaftlichen Eliten nur schwer Obrecht: Das kommt auf die Topo- Vordergrund. Dann versucht man ein
erreicht, da ihr Einschulungsanteil graphie bzw. Höhenlage an und auf Konzept mit lokalen NGO’s auszuar-
in patriarchalen Gesellschaften ge- die Tagesmärsche, die zurückgelegt beiten, das auch umsetzbar ist.
ringer ist. Wir führen also unsere werden sollen. Da ich großteils in
quantitativen oder qualitativen For- sehr entlegenen und unzugänglichen soziologie heute: Wie sehen indigene
schungen immer in Kooperation Gebieten unterwegs bin, wo es keinen und ethnische Kulturen uns Weiße?
mit lokalen Teams in der vor Ort motorisierten Transport und keinen
gesprochenen Sprache durch. In der Strom gibt, ist einfach viel Körper- Obrecht: Es kommt sehr auf die Ko-
Folge müssen Rückübersetzungen leistung gefragt. Oft beschränkt sich lonialgeschichte an, das heißt wie
8 soziologie heute Februar 2009
hart und entbehrungsreich und auch 40, 50 Kinder. Oft sind es Dreigene- sich durch die Annahme traditionel-
traumatisierend der europäische Ko- rationenhaushalte, und eine „Klein- ler Frauenrollen stärker zu entlasten.
lonialismus für die lokale Bevölke- familie“ begründet schon ein ganzes Es ist sicherlich schwieriger und bi-
rung war. In Namibia, das erst in den Dorf. Das sind Relikte aus einer Zeit, ographisch anstrengender, sich die
90er Jahren unabhängig wurde, gibt wo es sinnvoll war, starke Sippen zu Lebensentwürfe je nach Lebenspha-
es noch immer Ausläufer der weißen begründen. Dies ist die Vorausset- se selbst zu geben. In unserer ex-
Herrschaftskultur. Demgegenüber zung, dass sich viele Menschen mit trem individualisierten Gesellschaft
wird man als Europäer, beispielswei- der Agrarproduktion befassen. Diese erfolgt nur wenig Entlastung über
se im ostafrikanischen Sansibar, wo Systeme leben sich automatisch mit familiäre Strukturen, folglich bieten
die Herrschaftskultur arabisch war, der Modernisierung tot, weil diese klassische bzw. konservative Werte
oder in Ghana, das als erstes afri- Strukturen nicht mehr finanzierbar eine gewisse Sicherheit.
kanisches Land überhaupt friedlich sind. Aber der familiäre Zusammen-
entkolonialisiert wurde, friktionsfrei halt ist heute nach wie vor unglaub- soziologie heute: Wie gestalten sich
und freundlich aufgenommen. Im lich stark. Bhutan ist wiederum das die Beziehungen zwischen Alt und
Zentrum steht aus meiner Sicht im- einzige Land, wo man alle möglichen Jung in beiden Gesellschaftsformen?
mer die Erfahrung mit politischen Eheformen findet. Im Norden von
Herrschaftsstrukturen. Submissivi- Bhutan sind polyandrische Formen Obrecht: Das Wissen von älteren
tät ist eine andere Form des Rassis- aufgrund des kargen Bodens vor- Menschen wird in den indigenen,
mus. In Südafrika beispielsweise ist herrschend, dabei handelt es sich ethnischen Gesellschaften durchaus
das Konfliktpotential enorm hoch. um Bruderehen einer Frau, um das mehr geachtet und respektiert. Für
Bevölkerungswachstum auf effizien- den privaten bzw. halbprivaten Be-
soziologie heute: Wie gestaltet sich tem und natürlichem Weg konstant reich gilt dies meiner Ansicht nach
die Mann-Frau-Beziehung in indige- halten zu können. auch für die moderne Gesellschaft.
nen, ethnischen Kulturen? Die Erzählung älterer Menschen war
soziologie heute: Wo sind die Unter- eigentlich immer geachtet, allerdings
Obrecht: Die Beziehung zwischen schiede in den Geschlechterrollen ist die Anerkennung durch die Medi-
Mann und Frau lässt sich in allen zwischen indigenen und modernen en bzw. in der Berufswelt gegenwär-
Kulturen aus den Lebensumständen Gesellschaften? tig nicht gegeben. Die Innovatoren
bzw. Produktionsverhältnissen erklä- werden immer jünger, beispielswei-
ren. Wie sich Geschlechterbeziehun- Obrecht: In jeder traditionelleren Ge- se sind die Entwickler von Software-
gen und Ehe organisieren, ist immer sellschaft sind die Geschlechterrollen produkten zwischen 25 und 35 Jahre
eine direkte Folge des Wirtschafts- viel normativer und fixer festgelegt alt. Dies ist natürlich eine Folge der
systems inklusive Eigentumsver- als bei uns. Aber in unserer Kultur unglaublich raschen ökonomischen
hältnissen. Die großen Unterschiede vor 100 Jahren war auch ein enormer und gesellschaftlichen Veränderung,
sind Patrilinearität und Matrilineari- Zwang aus der gesellschaftlich defi- mit dem Ziel ständig neue Produkte
tät. In agrarischen Kulturen ist die nierten Geschlechterrolle. Jetzt gibt freizusetzen. Deshalb erscheint es
zentrale Ressource der Boden, die in es eine Pluralität der Lebensformen, uns auch so, dass junges Wissen viel
der Mutterlinie weiter vererbt wird. die mit ökonomischen Strukturen zu- wichtiger als altes ist. Dabei muss
In Tansania oder anderen ruralen tun hat. Aufgrund der Erwerbs- und berücksichtigt werden, ob und in
Gesellschaften des subsaharischen Beschäftigungsmöglichkeit können welchem Ausmaß das Wissen unse-
Raumes findet man wiederum große sich Frauen in der modernen Welt rer Großeltern jungen Menschen bei
polygyne Häuser, wo ein Mann bis ihre Geschlechterrollen wählen. In der Gestaltung der eigenen Biogra-
zu neun Frauen hat und in der ers- der industrialisierten Welt gibt es phie hilft.
ten Generation gibt es folglich schon aber gegenwärtig auch die Tendenz,
soziologie heute: Ist der Umgang mit
Zeit ein Unterscheidungsmerkmal
von moderner und indigener Gesell-
schaft?
extrem arm, weil sie kein Geld bzw. Dabei sind nicht die Rituale als Form
Güter haben, und dennoch ihre ma- gleich, sondern sie haben eine ähnli-
terielle Reproduktion gewährleisten che Funktion. Zum Beispiel sind hier
können. Diese Menschen würde ich Rituale in Verbindung mit dem Able-
nicht als arm bezeichnet. Unser Le- ben eines Menschen in allen Gesell-
ben richtet sich nach dem Primat der schaften zu nennen. Hier sind sinn-
Uhr, welche die Weltzeit abbildet. Es stiftende Elemente, Solidarität und
gibt in der modernen Welt kaum ei- Gemeinschaft ganz wichtig. Der Tod
nen Bereich, der nicht der Logik und ist in jeder Gesellschaft eine heikle
dem Diktat der Uhr unterworfen ist. Angelegenheit, auch wenn es ganz
In indigenen Gesellschaften gibt es klare Vorstellungen über ein Leben
keine objektive Zeit, sondern Zeit- nach dem Tod gibt.
spannen, die lang erscheinen, sind
für diese Menschen auch lang. soziologie heute: Ist auch die Geburt
Die Anforderungen an uns in der mo- mit der Taufe ein Ritual im kulturan-
dernen Welt sind enorm, wenn man thropologischen Sinne?
nicht auf Ressourcen zurückgreifen
kann. Sowohl im privaten als auch Obrecht: Bei der Geburt zeigt es
im beruflichen Bereich steigen die sich für mich schon, dass wir in ei-
Anforderungen ständig. Bei der Kin- ner zunehmend entritualisierten Ge-
dererziehung lastet ebenfalls vieles sellschaft leben. Heute gibt es schon
auf den Einzelnen. Früher war dies viele nicht getaufte Menschen. Vor
auf mehrere Personen verteilt. 30, 40 Jahren hätte ich noch gesagt,
Geburt zählt zu Ritualen. Aber heute
soziologie heute: Was versteht man gibt es rund um die Geburt sehr un-
unter Ritualen? terschiedliche Formen der sozialen
Begehensweise.
Obrecht: Es gibt in der Soziologie
Überlegungen, schon eine wieder- soziologie heute: Welche Rituale Andreas J. Obrecht
kehrende Handlung als Ritual zu be- sind in ethnischen Kulturen noch
zeichnen. Das ist aber sehr kompli- wichtig? geboren 1961; lebt in Wien; Soziologe, Kulturan-
ziert. Also, wenn ich heute allein bin thropologe, Schriftsteller. Seit 1986 Forschungen
und zum weichen Ei eine bestimmte Obrecht: Es gibt keine Kultur, wo u. a. in Afrika, Südostasien, Melanesien und der
Zeitung lese, sehe ich das noch nicht nicht das Mädchen in die Frauenrolle Karibik. 1997 Habilitation in Soziologie. Pro-
als Ritual. Nach der Ethnographie oder der Bursche in die Männerrol- jektmanager des Interdisziplinären Forschungs-
ist ein Ritual eine tradierte, mehrere le initiiert wird. Initiation ist in jeder instituts für Entwicklungszusammenarbeit
Menschen betreffende Handlungsse- Kultur anzutreffen. Wie die Initiation (IEZ) der Universität Linz; Gastprofessuren an
quenz, die sehr wohl Gemeinschaft, gestaltet wird und zu welchem Zeit- der Universität Graz. Neben wissenschaftlichen
Zugehörigkeit und Solidarität stiftet punkt sie erfolgt, ist allerdings ganz Publikationen erschienen Lyrik, Erzählungen,
und die nicht beliebig nach Wunsch verschieden. Das Erlernen und Einü- Reiseliteratur, Opernlibretti, Hörbücher und Do-
des Einzelnen abänderbar ist. Wich- ben der Erwachsenenrolle in die Ge- kumentationen für den Rundfunk.
tig ist dabei auch, dass mit Ritualen schlechterrolle findet man in jeder
Sinn gestiftet wird. Natürlich gibt es Kultur. Ethnische, indigene Gesell- Unabhängig vom Geschlecht erhält
Alltagsrituale und diese sind wichtig. schaften sind geschlechterseparierte der Mensch mit zunehmendem Alter
Wie sich beispielsweise Leute begrü- Gesellschaften. Je traditioneller eine mehr Respekt und Status.
ßen, ist eine Form von Ritualen. Bei Gesellschaft strukturiert ist, desto
uns ist dies relativ einfach. Es gibt mehr Zeit wird in der Gruppe der soziologie heute: Verlieren Rituale
aber auch Gesellschaften, wo es un- Gleichgeschlechtlichen verbracht. in modernen Gesellschaften ihre Be-
heimlich komplizierte, ritualisierte Es erfolgt auch mehr Anteilnahme deutung?
Begrüßungszeremonien gibt. Da gibt in der Gruppe der Gleichgeschlecht-
es 14, 15 verschiedene Grußformen, lichen. Die Arbeitsaufteilung erfolgt Obrecht: Gerade bei der Geburt
die Haltung drückt dabei den Status auch anhand der Geschlechterrolle. zeigt sich, dass wir immer weniger
der jeweiligen Person aus. Die Vorstellung einer Gleichheit von verbindliche Rituale haben. Durch
Mann und Frau basiert auf gesell- die Individualisierung verlieren Ritu-
soziologie heute: Welche Rituale schaftlichen Veränderungen. Eine ale in modernen Gesellschaften ihre
sind in allen Gesellschaftsformen an- Liebesheirat ist beispielsweise eine Bedeutung.
zutreffen? absolute Erfindung der Moderne, die
es in früheren Zeiten nur unter ge- soziologie heute: Ist Weihnachten
Obrecht: In der Kulturanthropolo- sellschaftlichen Eliten gegeben hat. ein Ritual im kulturanthropologi-
gie beschäftigt man sich mit den Die zwei wesentlichen Vorstellungen schen Sinne?
großen, gesellschaftstragenden Ri- in ethnischen Kulturen, über die Un-
tualen. Es gibt schon Rituale, die in gleichheit definiert wird, ist einer- Obrecht: Im christlich-katholischen,
allen Gesellschaften vorhanden sind. seits Geschlecht, andererseits Alter. alpinen Raum ist es ein jahrhunder-
10 soziologie heute Februar 2009
tealtes, tradiertes Ritual, das alle Obrecht: Jede Gesellschaft braucht Andreas Obrecht
Aspekte umfasst. Modernität bedeu- ein Minimum an Ritualen. Dies sieht Der König von
tet einerseits Individualismus, d.h. man auch an der Sanktionierung und Ozeanien
wir haben sehr viel zu entscheiden, Bestrafung. Jeder Gerichtshof ist Roman
andererseits haben wir viel weniger eine rituelle Angelegenheit mit Anklä- Brandes & Apsel,
511 Seiten, Pb
Möglichkeiten, gemeinsam zu sein ger, Verteidiger und Richter. Dadurch Euro: 29,00
und auf einer tieferen Ebene Dinge wird rituell die normative Ordnung ISBN 3-86099-519-7
auszutauschen. Aus Studien weiß wieder eingesetzt, indem beispiels-
man, dass die verbale Kontaktdauer weise jemand verurteilt wird. Dies ist
zwischen Paaren oder Kinder und ganz wichtig für die damit verbunde-
Eltern auf ein paar Minuten täglich nen Werte, wie nicht zu stehlen bzw. Im Jahr 1879 ernannte sich der bretonische
Marquis de Rays zum König von Ozeanien und
reduziert ist. Im Falle von Weihnach- nicht zu töten. Viele Bereiche sind lockte eintausend zivilisationsmüde und gut-
ten trifft dieses moderne rastlose Le- rituell abgesichert. Je heikler die gläubige SiedlerInnen in das angebliche Para-
ben mit dem Ritual zusammen. Somit Bereiche sind, desto eher sind Ritu- dies nahe Papua Neuguinea. In seinem Roman
wird das Ritual von der Modernität ale erforderlich. Bei der Religion bei- entfaltet der Autor das historische Geschehen
spielsweise sieht man in modernen und schildert spannend die realen Schrecknis-
überlagert, und deshalb verwundert se, die monatelang die Schlagzeile der europä-
es nicht, wenn beides kollidiert. Vor Gesellschaften die Brüchigkeit. Lan- ischen Presse beherrschten.
200, 300 Jahren war dieses Fest tat- ge Zeit hatten die großen Glaubens-
sächlich ein Lebensmittelpunkt. Die- gemeinschaften ein Monopol, aber
se tiefe Bedeutung ist aufgrund der die Pluralität wie durch New Age, Andreas Obrecht
Säkularisierung verloren gegangen. Schamanismus, Esoterik ermöglicht Zeitreichtum
Trotzdem wird aber heute dieses Ri- dem Einzelnen, seine eigenen religiö- - Zeitarmut
tual oft von Menschen nachgespielt, sen Ritualisierungen durchzuführen. Brandes & Apsel,
die einen anderen bzw. viel schwä- Ein ganz wesentlicher Bereich, der 400 Seiten,Pb.
cheren Bezug zu diesem Ritual ha- früher herrschaftlich verwaltet wur- Euro: 22,90
ISBN 3-86099-780-7
ben. An diesen Tagen setzt man sich de, wird somit privatisiert und un-
auch mehr mit der privaten Situation glaublich flexibel gehandhabt. Damit
auseinander, da man mehr im Priva- wird dieser Bereich aus dem gemein-
ten ist. Da kann es natürlich leichter schaftlich Verbindlichen herausge-
nommen und unterliegt somit einer Wir haben uns daran gewöhnt, Zeit als etwas
zu Konflikten kommen. Messbares, unser Leben Strukturierendes zu
gewissen persönlichen Beliebigkeit. begreifen. Der Autor beleuchtet das Phäno-
soziologie heute: Wie viel an Ritua- men Zeit aus unterschiedlichsten Blickwin-
len braucht der Mensch in der mo- mit Andreas Obrecht sprach Claudia Pass keln und führt uns auf dieser (Zeit-) Reise u. a.
dernen Welt? _________________________________ zu Gesellschaften, in denen Zeit nicht genutzt
werden muss, um erfüllt zu sein.
wko.at/ooe
Die WKO Oberösterreich fordert soziale Sicherheit für die rund 72.000 Wirtschaftstreibenden in OÖ. Davon
sind bereits über 50 Prozent Ein-Personen-Unternehmen. Und diese tragen ein besonders hohes Risiko.
Weltfinanzkrise
soziologie heute: Herr Professor
Schneider, das ursprünglich als Ge-
spenst abgetane Phänomen einer
Weltwirtschaftskrise hat sich in den
letzten Wochen und Monaten mate-
rialisiert und macht sich nun deut-
lich spürbar in den öffentlichen und
privaten Haushalten der Europäer
bemerkbar. Wie konnte es dazu kom-
men?
Schneider: Das ist auf alle Fälle eine (5) Investmentbanken, Hedgefonds
gute Makro-Entscheidung, aber nur und Private-Equity-Gesellschaften
dann auch eine gute Mikro-Entschei- müssen den gleichen Regeln unter-
dung, wenn effektive Regulierungs- worfen werden wie die Geschäfts-
maßnahmen folgen. Die Konsequenz banken.
ist, dass mit sehr hoher Wahrschein- (6) Es muss zu einer strikt symmetri-
lichkeit der Steuerzahler zum Hand- schen Formulierung in den Gehalts-
kuss kommt - in welchem Ausmaß ist verträgen der Top-Manager kommen,
allerdings noch offen. d. h. sie verlieren genauso viel, wie
sie gewinnen. Die Berechnung der
soziologie heute: Beim Bürger macht Boni-Prämien soll nach Jahresbilan-
sich offensichtlich Unmut breit und zen und nicht nach Stichtagsbilan- „Es gilt, den Markt so zu regulie-
er empfindet, dass hier mit zweier- zen erfolgen. ren, damit der Wettbewerb funk-
lei Maß gemessen wird. Während er (7) Conduit-Zweckgesellschaften und
selbst das volle Kreditrisiko zu tra- andere Konstruktionen zur Ausla- tioniert. Mehr nicht!”
gen hat, werden durch Spekulatio- gerung des Investmentbanking-Ge-
nen in Not geratene Banken aus dem schäfts aus den Bankbilanzen sollten verhalten verhindern. Sie können auch
Säckel des Steuerzahlers gestützt. so beschränkt werden, dass die ein- kein tugenhaftes Verhalten erzwingen.
gegangenen Risiken in den Bankbilan- Dennoch ist kein anderes Wirtschafts-
Schneider: Nun, als wirtschaftspoli- zen transparent werden und die Bank system bei der Suche nach Lösungen
tische Schlussfolgerung kann ich sie- den Totalverlust verkraften kann. für komplexe Probleme auch nur an-
ben Maßnahmen empfehlen: nähernd so erfolgreich wie die Markt-
(1) Die USA müssen sich an interna- soziologie heute: In Anbetracht die- wirtschaft. Das Zusammenspiel von
tionalen Vereinbarungen zur Harmo- ser Maßnahmen - ist das nicht das Freiheit, Verantwortung und Haftung
nisierung der Bankenaufsicht betei- Ende der freien Marktwirtschaft? hat trotz aller Krisen zu mehr Wohl-
ligen. Diese Vereinbarungen können stand geführt.
sich am Basel II-System orientieren, Schneider: Neugier (aber leider auch Es geht um einen Abwägungsprozess:
das staatlich zu kontrollieren ist. Gier) gehört zu den Grundlagen einer
(2) Wiedereinführung der Mindest- Wie ein Richter die gegenläufigen Argu-
marktwirtschaftlichen Ordnung. Das mente von Staatsanwalt und Verteidi-
reservenpflicht der Banken bei der Streben nach Gewinn stimuliert die
jeweiligen Zentral- oder Notenbank. ger gewichten muss, gilt es, die Kosten
(Neu-)Gier. Sie lässt Menschen nach von Markt- und Staatsversagen gegen-
(3) Europa braucht ein gemeinsames
besseren Ideen suchen. Niemand weiß einander abzuwägen. Freie Märkte
System der Finanzaufsicht. Dabei
muss jeder Staat für die Verluste sei- im Voraus, wer Erfolg haben und wer sollen durch staatliche Regulierungen
ner eigenen Banken aufkommen. scheitern wird. Deshalb ist der Weg begrenzt werden, insbesondere dort,
(4) Einführung einer Finanztransakti- in der Marktwirtschaft mit Konkur- wo Marktversagen in ökonomischer,
onssteuer (Tobin-Tax). Die Vorausset- sen und Verlusten gepflastert. Weder ökologischer und sozialer Hinsicht
zung ist jedoch, dass alle wichtigen Fi- strengere Gesetze noch schärfere auftreten kann. Es gilt zu verhindern,
nanzplätze diese auch implementieren. Kontrollen können menschliches Fehl- dass Banken und Versicherungen so
Kurssturz weltweit: Jahresveränderung der jeweiligen Banken bedeutsam sind, dass sie „too big to
Ende Oktober 2007 zu Ende Oktober 2008 fail” sind, d. h. ihr Untergang auch
andere (unbeteiligte) Firmen zerstört
und im schlimmsten Fall das Land (Is-
land!) oder gar die Weltwirtschaft mit-
reißt.
Es gilt, den Markt so zu regulieren, da-
mit der Wettbewerb funktioniert. Mehr
nicht. Das Ziel ist somit eine öko-sozia-
le Marktwirtschaft.
sprachigen Raum.
Schneider ist zudem einer der wenigen international aner-
kannten Experten für Geldwäsche und Schattenwirtschaft
14 soziologie heute Februar 2009
den Begriff der „Postdemokratie“ ernst. Das Grundeinkommen ist eine sellschaft, die ihren Reichtum allen
gebracht: „Während die demokrati- großartige Idee. Doch es ist keine ei- Mitgliedern zugänglich macht.
schen Institutionen formal weiterhin erlegende Wollmilchsau. Es gibt viele
vollkommen intakt sind (…), entwi- großartige Ideen. Das Grundeinkom- Diese „konkrete Utopie“ wirft gewiss
ckeln sich politische Verfahren und men genügt nicht. Aber es ist gleich- viele Fragen auf. Ein Grundeinkom-
die Regierungen zunehmend in eine wohl unverzichtbar. Warum? men ist nicht einfach eine Sozialtech-
Richtung zurück, die typisch war für nologie, die von Experten bedacht
vordemokratische Zeiten: Der Ein- Ein Grundeinkommen ist das Recht und umgesetzt werden mag, sondern
fluss privilegierter Eliten nimmt zu, auf ein existenzsicherndes Einkom- eine äußerst innovative Gesellschaft-
in der Folge ist das egalitäre Projekt men, das jedes Mitglied einer Ge- sidee, ein vierter, „garantistischer“
zunehmend mit der eigenen Ohn- sellschaft an diese Gesellschaft un- Weg zwischen Kapitalismus und So-
macht konfrontiert.“ Gesellschaft für abhängig von Leistung und Herkunft zialismus, genauer: zwischen Libera-
wenige, die Ohnmacht wird greifbar. beanspruchen kann. Eine Gesell- lismus, Sozialismus und Konservati-
schaft mit Grundeinkommen ist eine vismus. Sie erfordert die Demokratie
In einem Interview umschreibt sie andere Gesellschaft als die heutige. und sie erweitert, ja erneuert die
der Büchnerpreisträger Josef Wink- Sie ist eine Gesellschaft für alle. Ihre Demokratie. Ohne Experten wird das
ler: „Die Patriarchen“, er meint nicht Institutionen richten sich zuerst, so Grundeinkommen nicht kommen,
nur seinen 99jährig gestorbenen Va- die Idee, an den Menschenrechten ohne die Bürgerinnen und Bürger
ter, „unter denen wir aufgewachsen aus. Eine Grundeinkommensgesell- nie, jedenfalls nicht gut.
sind, gibt es vielleicht tatsächlich schaft ist kein Paradies, in dem Milch
nicht mehr. Es gibt Autoritäten, die und Honig fließen. Auch in ihr wird Das 21. Jahrhundert ist durch eine
viel unfassbarer sind, die ihre Macht gearbeitet, wird es Konflikte geben, verwirrende Gleichzeitigkeit von Glo-
viel heimlicher ausüben. Wir hatten Verlierer und Gewinner, wird Leis- balisierung und Individualisierung
unsere Autoritäten direkt vor Au- tung gefordert, wird es Angst geben gekennzeichnet. Das wirft erneut die
gen, sie waren da. Und so konnten und ihre Überwindung. Aber sie hat Frage nach der Möglichkeit sozialer
wir auch lernen, sie zu bekämpfen. die Armut überwunden. Etwa die Ordnung, also von Gesellschaft auf,
Ich weiss nicht, ob die Autoritäten Hälfte des gesellschaftlichen Ein- die zwischen den Einzelnen und ei-
im heutigen Gefüge der Menschen kommens wird vorgängig vor aller ner unübersichtlichen Welt vermit-
angenehmer sind. Sie sind anony- weiteren Verteilung über Arbeit oder telt. Eine wesentliche Rolle spielt da-
mer und sind deshalb auch nicht zu Vermögen allen Bürgern als Grund- bei der Wohlfahrtsstaat, der zentrale
zertrümmern. Und wir wissen nicht, recht garantiert. Eine Grundeinkom- Funktionen traditioneller Gemein-
mit welcher Wucht diese unsicht- mensgesellschaft ist eine reiche Ge- schaften, vor allem der Familie über-
baren Kräfte auf unsere Kinder ein-
schlagen. Ich habe meinen Schmerz
Univ.-Prof. Dr. Hermann Strasser PhD
noch benennen können.“ Das ist es
wohl. Wir müssen benennen können, Emeritierter Professor für Soziologie und Leiter der Forschungs-
den Schmerz, den Ohnmacht, unsere gruppe Sozialkapital an der Universität Duisburg-Essen, Forst-
Wünsche. Wir brauchen die Worte hausweg 2, D-47057 Duisburg.
zum Leben, Worte, die unsere Er- Geb. am 28.11.1941 Altenmarkt im Pongau (Österreich). Studium
fahrung und unser Begehren benen- der Nationalökonomie und Soziologie in Innsbruck, Berlin und
nen. Die Idee des Grundeinkommens New York; 1976 Habilitation Universität Klagenfurt.
scheint eines dieser Worte zu sein. 1968-1971 Teaching Assistant und Teaching Fellow, Fordham Uni-
versity, New York
1972-1977 Wiss. Mitarbeiter am Institut für Höhere Studien, Wien
Wir wollen über die Idee des Grund- 1978-2007 Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Universi-
einkommens als positive Freiheit tät Duisburg-Essen (seit 1. März 2007 emeritiert) sowie von Gast-
nachdenken. Vor fünfzig Jahren, in professuren an ausländischen Universitäten
seinem Essay „Two Forms of Liber-
Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Soziologische Theorie, Kultursoziologie und Sozial-
ty“ unterschied der Philosoph Isaiah strukturanalyse (Ungleichheit, Wandel, Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum, bürgerschaftliches
Berlin folgenreich zwischen positi- Engagement). Leiter zahlreicher Forschungsprojekte, zuletzt „Polizisten im Konflikt mit eth-
ver und negativer Freiheit, zwischen nischen Minderheiten und sozialen Randgruppen“, „Bürgerschaftliches Engagement und Al-
Freiheit zu und Freiheit von. Berlin tersdemenz“, „Kinderarmut – Kulturarbeit mit Kindern“ und „Mediation durch peer groups:
war, wie die meisten liberalen Philo- Gewaltprävention bei arabischen, russlanddeutschen und türkischen Jugendlichen“.
sophen, skeptisch gegenüber posi- Neben mehr als 200 wissenschaftlichen Aufsätzen Autor bzw. Herausgeber von 30 Büchern,
tiven Freiheiten. Sie versprechen, so zuletzt Modern Germany (2000), Globalisierungswelten (2003), Das individualisierte Ich in
seine Befürchtung, eine einzige Wahr- der modernen Gesellschaft (2004), Endstation Amerika? Sozialwissenschaftliche Innen- und
heit. Bei einem antiken griechischen Außenansichten (2005), Woran glauben? Religion zwischen Kulturkampf und Sinnsuche
(2007), „Das da draußen ist ein Zoo, und wir sind die Dompteure“: Polizisten im Konflikt mit
Dichter, Archilochos, entnahm er die ethnischen Minderheiten und sozialen Randgruppen (2008) und „Köpfe der Ruhr“ (2008).
Unterscheidung von Füchsen und
Igeln: „Der Fuchs weiß viele verschie- Geschäftsführer von V•E•R•B•A•L – Institut für professionelle Texte, Ratingen, dort Autor
dene Sachen, der Igel aber nur eine.“ bzw. Projektleiter von Personen-, Familien- und Unternehmensbiografien. Regelmäßiger Ko-
Goethe war ihm ein Fuchs, Hegel ein lumnist in führenden Tageszeitungen.
Igel. Ich schätze beide und nehme Weitere Informationen: http://www.uni-due.de/soziologie/strasser.php
nichtsdestotrotz Berlins Mahnung
16 soziologie heute Februar 2009
nahm. Wenn man dem Gedanken Dazu gehören Bildung, Wohlfahrt, Öf- die Idee der Teilhabegerechtigkeit.
folgt, dass die Gesellschaft durch ei- fentlichkeit und Kunst. Auch das Le- Hier scheint auf den ersten Blick
nen fiktiven Vertrag begründet wird gitimationssystem ist nicht bekannt die Idee des Grundeinkommens ihre
und nicht einfach als ein System genug und doch gehören Wissen- neue Heimat zu finden. Aber wir wer-
hierarchischer Herrschaft verstan- schaft und Religion weder zu Politik den sehen, dass alle vier Lager, alle
den werden kann, so stellt sich die noch zur Wirtschaft. Warum diese vier Gerechtigkeitsideen – Leistung,
Frage, wie dieser Gesellschaftsver- Unterscheidungen? Sie können uns Gleichheit, Bedarf und Teilhabe – ein
trag (Jean Jacques Rousseau, John zeigen, dass unsere soziale Ordnung Grundeinkommen befürworten kön-
Rawls) unter den neuen Bedingun- fein gefügt ist und verletzlich. Sie nen.
gen aussehen soll. Dass die Ant- können uns auch zeigen, dass jede
wort auch angesichts der aktuellen große Sozialreform auf allen Ebenen Gehen wir Schritt für Schritt vor. Be-
globalen Finanzmarktkrise die Idee bedacht werden muss. ginnen wir mit der wirtschaftlichen
des Grundeinkommens einschließen Seite des Grundeinkommens und hö-
muss, erfordert erheblichen Begrün- Wenn wir über die Idee des Grund- ren wir zunächst nicht auf die Ökono-
dungsaufwand. einkommens nachdenken, dann men. Die Frage, ob ein Grundeinkom-
erscheint sie den einen intuitiv so men dem Menschen entspricht, hat
Ich möchte mit der Begründung gerecht wie anderen ungerecht. Da der Psychoanalytiker Erich Fromm
der Komplexität unserer Wirklich- kann etwas Ordnung im Denken nicht vor vielen Jahren (1966) bejaht: „Der
keit gerecht werden. Unsere soziale schaden. Denn was wir gerecht nen- Übergang von einer Psychologie
Ordnung folgt dem Wesen des Men- nen, folgt womöglich der Ordnung des Mangels zu einer des Überflus-
schen. Wir können vier Weltverhält- von Mensch und Gesellschaft. So er- ses bedeutet einen der wichtigsten
nisse des Menschen unterscheiden: scheint Liberalen und der Mehrheit Schritte in der menschlichen Ent-
wir passen uns der Natur an, treten der Ökonomen gerecht, was der Leis- wicklung. Eine Psychologie des Man-
in wirtschaftlichen Verhältnissen im tung am Markt entspricht. Sozialis- gels erzeugt Angst, Neid und Egois-
Modus der Arbeit mit ihr und ande- ten wiederum halten für gerecht, was mus (was man auf der ganzen Welt
ren Menschen in materiellen Aus- durch den Staat via Umverteilung an am intensivsten in Bauernkulturen
tausch. Wir sind, zweitens, Willens- Gleichheit erreicht werden kann. beobachten kann). Eine Psychologie
wesen, versuchen unsere Interessen Konservativen erscheint gerecht, des Überflusses erzeugt Initiative,
strategisch durchzusetzen und tre- was in Gemeinschaften, vor allem in Glauben an das Leben und Solida-
ten in politische Verhältnisse. Zum Familien und hierarchischen Schutz- rität. Tatsache ist jedoch, dass die
dritten sind wir fühlende Wesen, wir verhältnissen an tatsächlichem Be- meisten Menschen psychologisch
kommunizieren und handeln damit darf beurteilt wird. Damit haben wir immer noch in den ökonomischen
in gemeinschaftlichen Verhältnissen. die drei hergebrachten politischen Bedingungen des Mangels befangen
Schließlich und viertens sind wir Lager und ihre Gerechtigkeitsideen sind, während die industrialisierte
Denkwesen, wir handeln sinnhaft, benannt: Leistungsgerechtigkeit, Welt im Begriff ist, in ein neues Zeit-
als Ich, und finden uns in geistigen, Verteilungsgerechtigkeit, Bedarfsge- alter des ökonomischen Überflusses
legitimativen Verhältnissen. Diese rechtigkeit. Es fehlt das vierte Lager. einzutreten. Aber wegen dieser psy-
vier Weltverhältnisse finden wir also Es ist politisch noch unklar geformt, chologischen ‚Phasenverschiebung‘
in der Gesellschaft wieder, in ihren die grüne Idee der Ökologie und die sind viele Menschen nicht einmal
hochdifferenzierten Teilsystemen mit ihr gestellte Gattungsfrage nach imstande, neue Ideen wie die eines
von Wirtschaft, Politik, Gemeinschaft dem Überleben aller kommt ihm garantierten Einkommens zu begrei-
und Legitimation. Wirtschaft und Po- nahe. Sie verweist auf die Mensch- fen, denn traditionelle Ideen werden
litik sind uns vertraut. Das Gemein- heit, politisch auf die Menschen- gewöhnlich von Gefühlen bestimmt,
schaftssystem ist weniger bekannt. rechte. Ihr Gerechtigkeitsgedanke ist die ihren Ursprung in früheren Ge-
sellschaftsformen haben.“
den, die Gleichheit zwischen den – und der Europäer. Gleichheit steht, bach seit Jahrzehnten allen Bürgern
Menschen zu befördern. Man mag so könnte man das deuten, als Sym- stellt: „Wie sehen Sie das: Sind die
einwenden, dass Gleichheit auf nied- bol für Sicherheit. wirtschaftlichen Verhältnisse – ich
rigem Niveau doch keine Gleichheit meine, was die Menschen besitzen
sei. Es sei viel sinnvoller, die Arbeits- Das Institut für Demoskopie Allens- und was sie verdienen – im Großen
marktintegration zu fördern und sei bach stellt seit 1955 die Frage: „Wür- und Ganzen gerecht oder nicht?“ 60%
es mit staatlichem Zwang. Wenn alle den Sie gerne in einem Land leben, der Mandatsträger sagten Ja, 28%
Arbeitnehmer seien, dann könnten in dem es keine Reichen und Armen Nein, der Rest wusste nicht. Bei der
sie auf dem Arbeitsmarkt mit Hilfe gibt, sondern alle möglichst gleich Bevölkerung ist es genau umgekehrt:
der Gewerkschaften für Gleichheit viel haben?“ Die Antworten der Deut- Ende 2006 sagten 56% Nein, im Som-
kämpfen. Das ist das Programm schen – bis 1989 nur der Westdeut- mer 2008 sogar 68%. Ist das schon
der „Agenda 2010“, von Hartz IV. Es schen – überraschen: 1955 wollten „Postdemokratie“ – oder schlicht
wird nach wie vor verteidigt. Karl das 49% nicht, 40% schon. Die 1960er die Abgehobenheit der Eliten, die
Lauterbach, Professor für Gesund- Jahre brachten eine Kehre: 1971 ant- Unfähigkeit zu Fühlen, was die Nicht-
heitsökonomie und sozialdemokrati- worteten 51% mit Ja und 37% nein. Beamten bewegt, was ihnen Sorge
scher, dem linken Parteiflügel zuge- Während die Ja-Antworten auch 2008 macht?
rechneter Bundestagsabgeordneter mit 47% relativ hoch waren, sank der
argumentierte in einem Beitrag un- Anteil derjenigen, die ausdrücklich Kommen wir zum dritten Gerechtig-
ter dem lustigen Titel Ein Hartz für widersprechen: nur noch 29% der keitsfeld und seiner Bedeutung für
Arme so: „Erstens wurde der Druck Deutschen wollen in einem solchen das Grundeinkom-men. Es ist die
auf Arbeitslose, Arbeit zu suchen, Land lieber nicht leben. In derselben Welt der Gemeinschaft, des Kom-
erhöht. Sie verloren schneller ihren Befragung sahen 67% der Deutschen munitarischen, die Welt von Liebe,
Lebensstandard und ihr in der Regel in der Aussage: „Der Staat sorgt für sozia-ler Integration, von Wärme
kleines Vermögen. Zweitens wurden eine Grundsicherung, damit nie- und Anerkennung, von Familie und
die Möglichkeiten des Zuverdiens- mand in Not gerät“ einen Ausdruck sozialem Engagement. Es ist die Welt
tes bei Bezug von Arbeitslosengeld sozialer Gerechtigkeit. Wir sind also des Konservativen, wie der siziliani-
erweitert. Und drittens wurde es nicht einsam in Deutschland, wenn sche Fürst in Tomasi di Lampedusas
einfacher, bei niedrigem Einkommen wir mit der Idee des Grundeinkom- Roman „Der Leopard“ durch seinen
hinzuzuverdienen. Alle drei Maßnah- mens auch die Idee der Gleichheit Neffen belehrt wurde: „Wenn alles
men haben dazu geführt, dass die verfolgen – einsam sind wir nur un- so bleiben soll, wie es ist, muss sich
Löhne im Niedriglohnbereich auf ein ter den Eliten. alles ändern.“ Hier herrscht die Ge-
Niveau gesunken sind, zu dem die rechtigkeitsidee des Bedarfs, nur die
Problemgruppen vermittelt werden 40% der Delegierten der grünen Bun- „wirklich Bedürftigen“ sollen etwas
konnten.“ Dass dieser Erfolg um den desdelegiertenkonferenz in Nürnberg bekommen. Beurteilen kann es nur
Preis der Verletzung von Gleichheit (2007) wollten ein Grundeinkommen, die Gemeinschaft, der pater famili-
und Würde erzielt wurde, könnten doch im Bundestag war noch keine as, der Stammesführer, der Chef, der
diejenigen berichten, die keine beam- Rede dafür zu hören, nur ein Abgeord- Oberbeamte. Das klingt wie eine Ka-
teten Professoren sind. Der Gerech- neter, Wolfgang Strengmann-Kuhn, rikatur des Konservativen, mag man
tigkeitswert der Gleichheit schließt bekennt sich öffentlich zur Idee. Lau- einwenden und dagegenhalten, dass
Autonomie ein. Bürgersein muss mit terbach ist mit seinem Ja zu Hartz für moderne Konservative Gemein-
Würde und Respekt verknüpft sein, IV und gegen ein Grundeinkommen schaft und die Idee der Bedarfsge-
mit Anerkennung, wie Hegel erkann- Mainstream in der Sozial-demokra- rechtigkeit kein Widerspruch ist zu
te. tie, einflussreiche, öffentlich bekann- Leistung und Gleichheit, zu Markt
te Grundeinkommensbefürworter und Staat. Gleichwohl, der Geruch
Positive Freiheit, Freiheit zu, ist mit kennt die Partei noch nicht. Die FDP Empfehlung
sozialer Demokratie, mit sozialisti- hat das Bürgergeld, eine sparsame Schweer, Th./
Strasser, H. /
schem Denken auf das engste ver- Variante des Grundein-kommens, Zdun, St.
(unter Mitarbeit von van den
knüpft. Daher war der Liberale Berlin seit 1996 als Programm, doch ver- Brink, Henning/Scherer, Na-
talie/Lillig, Marion/Celikbas,
skeptisch und befürchtete ein ande- kürzt als Wirtschaftsliberalisierungs- Güler)
rer Liberaler, der Nobelpreisträger projekt und nicht als Projekt libera- „Das da draußen ist
Friedrich August von Hayek, spiritus ler Politik grundlegender Gleichheit. ein Zoo, und wir sind
die Dompteure“
rector der Freiburger Schule, vor 50 In der CDU hat sich Die-ter Althaus, Polizisten im Konflikt mit eth-
Jahren, dass mehr als 10% Staatsquo- Thüringer Ministerpräsident, mutig nischen Minderheiten und so-
zialen Randgruppen
te Sozialismus bedeute. Das haben zur Idee des Grundeinkommens be- VS-Verlag für Sozialwissenschaf-
wir heute überall. Öffentliche Güter kannt. Aber auch er fand nicht sehr ten, 2008. 185 S. Br.
ISBN: 978-3-531-15694-1
haben für die übergroße politische viele Miteliten. Es ist ein merkwürdi- Preis: Euro 19,90
Die Polizei soll als Organ der deutschen Mehrheitsgesell-
Mehrheit ihren Schrecken verloren, ger Bruch zwischen oben und unten schaft kulturelle Selbstverständlichkeiten sichern. Gleichzei-
mehr noch, die Menschen sehen, in Deutschland in Sachen Gleichheit tig sind die Lebensweisen von ethnischen Minderheiten und
sozialen Randgruppen Ausdruck einer kulturellen Differenz,
dass sie in einer hoch arbeitsteili- und Gerechtigkeit. Ende 2006 stellte die nicht selten Be- und Entfremdung oder gar Angst hervor-
ruft und diese Menschen im Laufe ihres Lebens zu Fremden
gen, globalisierten Welt unverzicht- die Bertelsmann-Stiftung gut 1000 und Außenseitern werden lässt. Dadurch tritt die Polizei als
Repräsentantin einer Ordnungsmacht auf, die von Gruppen
bar sind. Gleichheit ist, wie Bevölke- deutschen Abgeordneten aus Län- am Rande der Gesellschaft häufig als ausgrenzend oder gar
diskriminierend erfahren wird. Die daraus resultierenden
rungsumfragen den irritierten Eliten dern, Bund und Europa, repräsenta- Konflikte im operativen Alltag von Polizeibeamten sind Ge-
genstand dieses anschaulichen und gesellschaftspolitisch
vorhalten, ein Wert der Deutschen tiv ausgewählt, die Frage, die Allens- wie sozialwissenschaftlich hoch aktuellen Buches.
Februar 2009 soziologie heute 19
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Schmutziges
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Wie bedeutend die organisierte Kri-
minalität und Geldwäsche im krimi-
nellen Umfeld in Deutschland ist,
zeigt nebenstehende Abbildung 1.
Geld
Suchtgiftdelikte mit 30% und der
illegale Waffenhandel mit 20% den
größten Anteil bei der organisierten
Kriminalität darstellen - gefolgt von
Wirtschaftsdelikten mit 15%, Eigen-
tum und Nachtleben mit je 10%. Be-
trachtet man den illegalen Drogen-
markt etwas näher, so ist folgendes
Kursprogramm 2008/2009
erhältlich unter:
0810/004 005 oder www.bfi-ooe.at
www
.bfi-o
oe.at
BFI-Ser
viceline: 0810 / 0
04 005
Zu den Überlegungen, die für die Bevölkerung derzeit noch weniger Gewicht haben, zählen u.a., wie sich das allge-
meine Zinsniveau entwickelt, oder ob man übriges Geld kurz- oder langfristig anlegen soll. Lediglich 13 Prozent der
Österreicher interessieren sich dafür, wie sich die Börsenkurse entwickeln. Die breite Bevölkerung orientiert sich bei
der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage offenkundig an anderen Signalen und Merkmalen.
Dokumentation
Zeitraum der Umfrage: 29. 9. – 11. 10 2008
Sample: 1.105 Personen, statistisch repräsentativ für die österr. Bevölkerung ab 16 Jahren; Quotaauswahl
Zahl der Interviewer: 104
65 Prozent der Befragten greifen auf Eine große Mehrheit der deutschen
mechanische Wecker, Radiowecker Bundesbürger befürwortet eine
oder Handy zurück, welche auf den stärkere Video-Überwachung öf-
individuellen Biorhythmus keine fentlicher Plätze zur Vermeidung
Rücksicht nehmen. Die 15 bis 20-Jäh- von Straftaten. 76 Prozent der Be-
rigen lassen sich zu 62 % vom Handy fragten gaben an, sie seien für ei-
wecken. nen Ausbau dieser Möglichkeit.
Sanfter geweckt wird man mit einem innovativen Wecksystem, wie dem aXbo 20 Prozent lehnten eine stärkere
Schlafphasenwecker, der auf den eigenen Biorhythmus Rücksicht nimmt. Überwachung öffentlicher Plätze
“Ein Schlafphasenwecker kann den leichten Schlaf erkennen und zum richti- mit Kameras ab.
gen Zeitpunkt wecken”, erklärt der Schlafforscher Dr. Jürgen Zulley. So wer-
den aXbo-Anwender nicht aus einer Tiefschlafphase gerissen und können Das teilte der Bundesverband Infor-
gut gelaunt und leistungsfähig in den Tag starten. mationswirtschaft, Telekommunika-
Auch die Zeitumstellung ist ein Eingriff in unseren Biorhythmus. Wie beim tion und neue Medien (BITKOM) im
Jetlag nach dem Fliegen in andere Zeitzonen verwirren wir jährlich zweimal Vorfeld der Sicherheitsmesse „SE-
unsere innere Uhr durch die Umstellung von Sommer - auf Winterzeit und CURITY Essen 2008“ mit. Grundlage
umgekehrt. Ursprünglich wurde die Zeitumstellung nach den Ölkrisen in den ist eine repräsentative Umfrage des
1970ern eingeführt, um das Tageslicht besser zu nutzen und so Energie zu Meinungsforschungsinstituts Forsa
sparen. 61 % der Österreicher erachten die Zeitumstellung nicht mehr für im Auftrag des BITKOM. Die Zustim-
wirtschaftlich sinnvoll. Lediglich 1/3 der Österreicher sehen einen persön- mung der befragten Frauen lag mit 78
lichen Nutzen in der Zeitumstellung. Ebenso werden das allgemeine Wohl- Prozent höher als bei den Männern
befinden sowie Konzentration und Leistungsfähigkeit von Verschiebungen mit 74 Prozent. Keine Unterschie-
im individuellen Biorhythmus beeinflusst. So häufen sich auch nach der Um- de zeigten sich bei den Antworten
stellung auf Winter- oder Sommerzeit die Verkehrsunfälle, wie der Schlaffor- zwischen West- und Ostdeutschen.
scher Prof. Dr. Jürgen Zulley weiß. „Intelligente Videokameras auf öf-
fentlichen Plätzen schützen auf zwei
Sample und Methodik: telefon. Repräsentativbefragung von 500 Österreichern ab 15 Jahren - April 2007. Arten: Sie dienen der Prävention von
26 soziologie heute Februar 2009
Angriffen und Anschlägen und sie helfen im Nachhinein bei der Aufklärung von Straftaten“, sagt BITKOM-Präsidi-
umsmitglied Prof. Dieter Kempf.
Intelligente Video-Sensorik kann die Sicherheit auf öffentlichen Plätzen in Deutschland nachhaltig erhöhen. Im Zen-
trum steht dabei die Bewegungsanalyse. Software wertet die Bilder von Überwachungskameras aus. Steht zum Bei-
spiel ein herrenloser Koffer für längere Zeit auf einem Bahnsteig, schlägt das System Alarm. Polizei oder Wach-
dienste werden dann automatisch informiert. Derartige Systeme sind auch in der Lage, die Gesichter von Passanten
elektronisch unkenntlich und nur in Ausnahmefällen nach Straftaten wieder sichtbar zu machen. „In Deutschland
kommen solche computergestützten Kamera-Systeme bisher aber kaum zum Einsatz“, so Kempf. „Mit dem Verzicht
auf solche Systeme vergeben wir die Chance, Deutschland sicherer zu machen. Wenn wir nur die Bilderflut vergrö-
ßern, ist niemandem wirklich geholfen.“
Um die Bevölkerung stärker mit der zunehmenden Problematik der Überwachung vertraut zu machen, melden sich
immer häufiger diverse Plattformen zu Wort. So haben die Landtagsabgeordnete der Grünen, Marie Ringler, und
der Nationalratsabgeordnete Peter Pilz im August 2008 die Aktionsplattform Überwachungsstaat http://www.ueberwa-
chungtsstaat.at ins Leben gerufen. Auf ihrer Homepage weisen sie u.a. darauf hin, dass bis 2014 die EU und die USA
zusammenwachsen sollen - zumindest was die Überwachung betrifft. „The Future Group” - eine vom deutschen
Innenminister Schäuble ins Leben gerufene Expertengruppe, rät den europäischen Regierungen zu einer Vielzahl
an drastischen Maßnahmen, welche die Freiheit und den Datenschutz der BürgerInnen bedrohen. Als Ziel stärkerer
Überwachungsmaßnahmen wird dabei das Internet klar definiert.
Seit 1983 beschäftigt sich insbesondere die ARGE DATEN - Österreichische Gesellschaft für Datenschutz http://www2.
argedaten.at - intensiv mit Fragen des Informationsrechts, des Datenschutzes, der Telekommunikation und des Einsat-
zes neuer Techniken. Der gemeinnützige Verein ist parteipolitisch unabhängig und will darauf hinwirken, daß Infor-
mationstechnik und Telekommunikation menschengerecht, gesellschaftlich verantwortbar und unter Wahrung des
Schutzes personenbezogener Daten, sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eingesetzt und weiter-
entwickelt werden. Der Verein stellt auch eigene Informationsangebote vor, die diesem Anspruch Rechnung tragen.
Die ARGE Daten versteht sich als Anwalt der Persönlichkeitsrechte. Wirksame Persönlichkeitsrechte sind der beste
Garant für eine sinnvolle und förderliche Verbreitung der Informationstechnologien - so der Verein.
Der Studiengang Digitale Medien der Hochschule Ulm hat ein interessantes Projekt durchgeführt, welche auf einfa-
che und einprägsame Weise die heute bereits üblichen Methoden der Überwachung aufzeigen. Interessierte können
sich unter http://panopti.com.onreact.com/swf/index.htm näher informieren.
Im Jahr 1990 haben sich mehr als hundert führende private ExpertInnen und Menschenrechtsorganisationen aus
über 40 Staaten zu einer weltweiten Organisation zusammengeschlossen: Privacy International. Mitglieder der Orga-
nisation sind ComputerspezialistInnen, AkademikerInnen, JuristInnen, JournalistInnen und Menschenrechtsaktivis-
tInnen. Nähere Informationen findet man unter http://www.privacyinternational.org.
Leseraum
Oberösterreich
Public Opinion analysiert
Sigrid Linecker
Obfrau der Fachgruppe OÖ
der Buch- und Medienwirtschaft
Großbuchhandlungen; letztere präfe- Der oö. Haushalt verfügt durchschnittlich über mind. 237 Bücher
rieren auch Online-Käufe. Der Markt-
anteil der Buchhandelsketten wächst
und setzt vermehrt auf den Erlebni-
scharakter. Kleinere Buchhandlungen
konzentrieren sich auf Beratung und
Nischenbereiche.
Ausgaben für Bücher kauf 231 Euro aus; Männer 194 Euro. rund 10 Hörbücher. Der typische
In den letzten 12 Monaten kauften die Im Altersgruppenvergleich geben die Hörbuch-Konsument findet sich in
OberösterreicherInnen im Schnitt 11 30- bis 49Jährigen pro Jahr rund 240 der Altersgruppe der 30- bis 49Jähri-
Bücher – Frauen und Höhergebildete Euro, die 50Jährigen und älteren rund gen und ist vorzugsweise weiblich.
noch deutlich mehr – und gaben für 218 Euro und die 16- bis 29Jährigen
eigene Bücher rund 18 Euro, für Bü- rund 173 Euro aus. In dieser Berech- Bevorzugte Themenbereiche
cher als Geschenk rund 20 Euro aus. nung wird allerdings nicht nach dem Insgesamt betrachtet bevorzugten
Sechs von zehn Befragten erhielten im Anschaffungsort (Verlag, Buchhandel, Herr und Frau Oberösterreicher vor
letzten Jahr ein oder mehrere Bücher In- oder Ausland etc.) unterschieden. allem Bücher zu Themen wie Mensch/
geschenkt. Näherungsweise hoch- Gesundheit, Krimi/Horror/Abenteuer
gerechnet ergibt dies ein Bücherge- Neue Märkte und Natur/Pflanzen/Umwelt/Garten.
samteinkaufsvolumen von rund 247 Bücher im Internet oder von der CD Entsprechend dem tradierten Rollen-
Mio. Euro im vergangenen Jahr oder lesen derzeit rund 17 Prozent der verständnis kaufen Frauen seltener
– anders ausgedrückt – 448 Euro pro OberösterreicherInnen. Der Markt Bücher zu Themen wie Technik und
oö. Privathaushalt. Auf die Ein-Perso- dürfte hier in den nächsten Jahren Wirtschaft. 42 Prozent der oö. Schüle-
nenhaushalte entfielen dabei rund 34,5 stärker anwachsen, da sich diese rInnen lesen täglich; wöchentlich rund
Mio. Euro, auf Zwei-Personenhaushal- Mediennutzung insbesondere bei 31 Prozent. Durchschnittlich wenden
te rund 63,5 Mio. Euro, auf Drei-Perso- der Altersgruppe der 16- bis 29Jähri- die SchülerInnen dafür rund 3 ½ Stun-
nenhaushalte rund 56 Mio. Euro und gen besonders bemerkbar macht. 14 den pro Woche auf. Ähnlich wie in deut-
auf Vier- und Mehrpersonenhaushalte Prozent der OberösterreicherInnen schen Studien lesen Volksschulkinder
rund 89 Mio. Euro. Im Schnitt geben haben im letzten Jahr Hörbücher in bedeutend mehr und auch häufiger als
die Frauen für den jährlichen Buchein- Anspruch genommen – im Schnitt HauptschülerInnen bzw. SchülerInnen
der Unterstufe. Bevorzugter Lesestoff
Büchergesamteinkaufsvolumen nach Altersgruppen sind Akionsgenres, Sachen zum Lachen
(Rundungsdifferenzen möglich) und Comics sowie – bei den Mädchen
– Geschichten über Freundschaft/Lie-
be/Probleme. Als Informationsquelle
dient insbesondere bei Hauptschüle-
rInnen und SchülerInnen der Unterstu-
fe neben Radio und Fernsehen v.a. das
Internet und verdrängt damit das Buch
nach hinten.
Bibliotheken
Das Land Oberösterreich ist relativ gut
mit öffentlichen Bibliotheken ausge-
stattet. Die fleißigsten Bibliotheksnut-
zerInnen sind VolksschülerInnen, v.a.
Mädchen. Während rund 65 Prozent
Februar 2009 soziologie heute 29
der SchülerInnen im letzten Jahr ih- vordringlich. Als Basis für den Er- sind gefordert, neben den bestehen-
ren Lesenachschub aus Bibliotheken werb zusätzlicher Kompetenzen für den, klassischen Bildungseinrichtun-
holten, waren es im oö. Bevölkerungs- die Bewältigung der künftigen beruf- gen auch eine Infrastruktur zu ge-
schnitt lediglich 31 Prozent. Als mög- lichen und persönlichen Herausfor- währleisten und zu fördern, welche
liche Gründe kommen hier zum Teil derungen in verschiedensten Fach- lebenslanges Lernen, Informations-
Berufs- und Ausbildungserfordernisse bereichen, welche (mittels Skripten, und Medienkompetenz ermöglicht.
in Betracht, also man kauft sich eher Büchern, neuen Medien) „erlesen“ Insbesondere den bislang Bildungs-
Bücher, weil diese für die Aus- und werden müssen, ist die Lesekompe- fernen, jene, welche aufgrund ihres
Weiterbildung notwendig sind. Weiters tenz eine wesentliche Voraussetzung Umfeldes oder auch aus eigenem Han-
dienen Bücher auch als Nachschlage- für die Teilnahme am gesellschaftli- deln von der Teilhabe/Teilnahme an
werk für Hobbies bzw. als Schmuck- chen Leben. dieser Infrastruktur ausgeschlossen
stück oder werden gesammelt. waren, ist dabei besondere Aufmerk-
Arbeiter weisen – sowohl was Le- samkeit zu schenken. Zur Erreichung
Haushaltsausstattung mit Büchern sehäufigkeit, -volumen als auch dieses Zieles sind sektorübergreifende
Man kann davon ausgehen, dass der Lese-Selbsteinstufung betrifft – die Kooperationen (z. B. Schulen– Bibli-
durchschnittliche oberösterreichi- schlechtesten Werte auf. Zudem be- otheken – Buchhandlungen – Verlage
sche Haushalt über rund 200 Bücher kunden sie auch, schwerlich passen- – Ausbildungsbetriebe – Erwachse-
verfügt (oö. Bevölkerungsbefragung: de/interessante Bücher zu finden. In nenbildungseinrichtungen – Kultur-
237 Bücher; oö. SchülerInnenbefra- Oberösterreich gibt es 240.049 Arbei- und Kunstvermittler – IT- und Medie-
gung: 191 Bücher). Die tatsächliche ter und 17.944 Lehrlinge im Arbeiter- nunternehmen etc. ) anzustreben. Auf
Anzahl dürfte noch etwas höher lie- beruf, insgesamt also 39,3 Prozent hohe Identifikationskraft und niedrige
gen, da Haushalte mit mehr als 1000 der oberösterreichischen Erwerbs- Nutzungsschwelle für die Bürger soll-
Büchern aus der Berechnung ausge- personen. Um am Arbeitsmarkt lang- te geachtet werden. Neue Lernformen
klammert wurden. fristig bestehen zu können, ist eine mit dem Fokus auf Selbstlernen mit Bü-
Höherqualifizierung durch laufende chern und neuen Medien stärken die
Abschließende Bermerkungen und Weiterbildung, durch Lebenslanges Informations- und Medienkompetenz.
Empfehlungen Lernen, notwendig. Hierzu bedarf es Den durch vorgegebene Arbeitszeiten
Insgesamt betrachtet ist es um die vermehrter und auch neuer Zugänge zeitlichen und räumlichen Begrenzun-
Lese- und Buchlandschaft in Oberös- zum Orientierungs- und Fachwissen, gen der Erwerbstätigen sollte durch
terreich gut bestellt. Sowohl bei der welches über Bücher und neue Medi- kundenorientierte Öffnungszeiten
Nachfrage nach Büchern als auch en vermittelt wird. – sowohl im Buchhandel als auch bei
beim Leseverhalten heben sich die Bibliotheken - einfühlsame und kom-
OberösterreicherInnen vom öster- In einer zunehmend alternden Gesell- petente Beratung sowie durch ein ent-
reichischen und deutschen Durch- schaft treten vermehrt gesundheitli- sprechendes Ambiente – je nach Ziel-
schnittsbürger positiv ab. Dazu che Beeinträchtigungen auf. In Öster- gruppe – entsprochen werden.
dürften nicht zuletzt die vom Land reich (für Oberösterreich konnten hier
Oberösterreich initiierte Lesekam- keine Daten ermittelt werden) gibt es Nicht nur der Umgang mit, sondern
pagne, die hohe Dichte an Schul-/öf- über 400.000 Sehbeeinträchtigte, also zuvorderst der Zugang zu Büchern
fentlichen Bibliotheken, die Aus- und Personen für welche es besonders und neuen Medien muss gefördert
Weiterbildungsbestrebungen der schwierig ist, Geschriebenes oder Ge- werden. der Spaß- und Neugierfaktor
OberösterreicherInnen sowie die drucktes zu lesen. Bislang gibt es erst sowie der Faktor Erlebnis sind wich-
zahlreichen Aktivitäten der Buchhan- wenige Bücher am Markt, welche auf tige Triebfedern auf dem Weg dorthin.
delsketten und Spezialbuchhandlun- diese Gruppe Rücksicht nehmen und Neben den bereits mit Erfolg laufenden
gen beigetragen haben. den Inhalt mit größeren Buchstaben Aktionen (One City – one Book, Lese-
und Übersichten widergeben. Hier mobil, Wissensturm Linz, Literatur am
Bemerkenswert (allerdings nicht nur sind Verlage und Buchhandlungen Fluss etc.) sind – insbesondere für die
in Oberösterreich) ist, dass Haupt- in Hinkunft vermehrt gefordert bzw. Gruppe der Wenig- bzw. Kaumleser
schülerInnen und SchülerInnen der können mit einem eigenen Zielgrup- – neue, unkonventionelle, ja atypische
Unterstufe deutlich weniger lesen als pensortiment punkten. Aktionen vorzusehen (z. B. Lesung mit
VolksschülerInnen bzw. die ab 16Jäh- anschließendem Buchverkauf in ei-
rigen OberösterreicherInnen. Zum Die zentralen Ressourcen des 21. ner Polizeistation, in öffentlichen Ver-
Vergleich: So lesen die Volksschüle- Jahrhunderts sind zweifelsohne Infor- kehrsmitteln, Buchungsmöglichkeit
rInnen im Durchschnitt 4,3 Std./Wo- mation und Wissen. Letzteres veraltet von Vorlesungen in Sportvereinen, in
che, HauptschülerInnen/SchülerIn- immer schneller und die moderne Privathaushalten oder Unternehmen,
nen der Unterstufe 3 Std./Woche, Mediengesellschaft produziert eine eine Stadt/Region schreibt ein Buch,
OberösterreicherInnen ab 16 Jahren wahre Flut an Informationen. Aller Lesungen auf öffentlichen Plätzen, in
rund 9 Stunden /Woche. Da sich die Voraussicht nach werden in Hinkunft AsylantInnenunterkünften, Hotels,
Lesekompetenz vorwiegend zwi- qualitativ hochwertige Informationen Gasthöfen, Altersheimen u. v. m.).
schen dem 8. und dem 14. Lebenjahr auch online kaum mehr kostenfrei
ausbildet erscheinen Maßnahmen verfügbar sei, sodass auch im Infor-
zur Stärkung der Lesekompetenz ge- mations- und Bildungsbereich die Ge- Die Studien sind downloadbar unter:
http://www.buchwirtschaft.at/Index.aspx?main=3&sub=3
rade für die Gruppe der Hauptschüle- fahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft 8&id=177
rInnen/SchülerInnen der Unterstufe besteht. Politik und öffentliche Hand
30 soziologie heute Februar 2009
Émile Durkheim
für Philosophie an diversen Gymnasien
tätig. Nach einem Studienaufenthalt
in Deutschland erhält er 1887 einen
Lehrauftrag für Sozialwissenschaft in
Bordeaux, wo er schließlich der erste
Professor für Soziologie an einer fran-
zösischen Universität wird.
der erste Soziologieprofessor
In Bordeaux schreibt Durkheim auch
in Frankreich seine drei wichtigsten Werke: „Über
soziale Arbeitsteilung” (1893), „Die
Regeln der soziologischen Methode”
(1895) und „Der Selbstmord” (1897).
Eine Lehrtätigkeit an der Pariser Sor-
bonne bringt ihm den Lehrstuhl für
Erziehungswissenschaft ein - 1913
umbenannt auf „Erziehungswissen-
Ein sozialer Tatbestand ist schaft und Soziologie”.
„... jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die
Am 15. November 1917 schließlich
Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuü- stirbt Émile Durkheim in Paris. Bis in
ben; oder auch, die im Bereiche einer gegebenen Gesellschaft all- die jüngste Zeit wirkt sein Denken bei
gemein auftritt, wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen zahlreichen Wissenschaftlern fort, so
unabhängiges Eigenleben besitzt.“ etwa bei Claude Lévi-Strauss, Michel
Foucault oder Pierre Bourdieu.
David Émile Durkheim
(1858 - 1917) In seinem Werk „Über die Teilung der
Arbeit” (1893) beschreibt Durkheim
grundlegende Konzepte und Theo-
rieelemente der Soziologie und geht
der Frage nach: Was prägt die mo-
derne Industriegesellschaft und was
unterscheidet sie von anderen Ge-
sellschaften? Seiner Meinung nach
ist es die Arbeitsteilung, welche zu
vermehrter Spezialisierung, gegen-
seitiger Abhängigkeit und Ergänzung
führt. Aufgrund des komplexen Aus-
maßes der Arbeitsteilung fehlt dem
Einzelnen der Überblick, was die
Entwicklung letztlich zum Gegenteil,
zum Individualismus, hinführt.
collective) jener Gesellschaft, in wel- war, der Tod oder vielleicht etwas
cher man hineingeboren wurde. Die- anderes bezweckt war. Anomie
ses - durch Erziehung im Einzelnen
verankert - äussert sich schließlich „Der Soldat, der einen sicheren Tod Während traditionelle Gesellschaften die Men-
in dessen Moralvorstellungen, in den auf sich nimmt, um vielleicht sein Re- schen - vor allem durch die Religion - erfolg-
Sitten und im Glauben. giment zu retten, will nicht sterben, reich dahin führen, ihre Wünsche und Ziele zu
und dennoch – ist er nicht ebenso kontrollieren, separieren die Industriegesell-
In seinem wohl bekanntesten Werk Urheber seines eigenen Todes wie schaften die Menschen und weichen aufgrund
über den Selbstmord (Le suicide, der Industrielle oder der Kaufmann, der erhöhten Komplexität und Arbeitsteilung
1897) nutzt Durkheim zahlreiche die den Tod suchen, um der Schande soziale Bande auf. Moderne Gesellschaften
Korrelationen zur Erklärung von eines Bankrotts zu entgehen?“ sind durch die Computertechnologie, das In-
einander abweichenden Suizidraten ternet, die zunehmende Bürokratie und durch
diverser Bevölkerungsgruppen. Er Um also klare Unterscheidungen zu die Spezialisierung am Arbeitsplatz davon be-
schafft den neuen Begriff „Anomie”, haben, bedarf es einer verbesserten sonders betroffen.
worunter er jene Situation versteht, Definition. Durkheim kommt somit
in welcher Verwirrung über soziale zur zweiten (endgültigen) Formel: Durkheim beschrieb auch die Auswirkungen
bzw. moralische Normen herrscht, „Man nennt Selbstmord jeden Todes- der Anomie auf die Ziele der Individuen und
diese unklar oder ganz einfach nicht fall, der direkt oder indirekt auf eine ihr Lebensgefühl. Dort, wo früher Ziele durch
vorhanden sind. Dieser Zustand der Handlung oder Unterlassung zurück- gesellschaftliche Einschränkungen und Moral
Anomie führt seiner Meinung nach zuführen ist, die vom Opfer selbst vorgegeben waren, sind sie nunmehr unbe-
zu abweichendem Verhalten. begangen wurde, wobei es das Er- stimmt. Wer ein Ziel verfolgen soll, welches
gebnis seines Verhaltens im voraus offensichtlich unbestimmt oder unerreichbar
In der Einleitung zu diesem Werk kannte.“ ist, verfällt in einen Zustand der ständigen
gibt Durkheim zwei Definitionen von Unzufriedenheit - dies ist nach Durkheim eine
Selbstmord: Demnach fällt der Selbstmord-Ver- Form der Anomie.
such unter dieselbe Definition, bricht
„Man bezeichnet mit Selbstmord je- die Handlung aber ab, ehe der Tod Durkheims Interesse galt den Selbst-
den Tod, der mittelbar oder unmit- kommt. morden innerhalb einer Gesellschaft
telbar auf eine Handlung oder Unter- als Ganzes. Er erfasste die kumu-
lassung zurückgeht, deren Urheber Durkheim weist eindringlich darauf lierten Selbstmordraten und bildete
das Opfer selbst ist.“ hin, dass der Selbstmord als Gegen- daraus für jede Gesellschaft, die er
stand der Soziologie nicht die Be- untersuchte, eine Selbstmordrate.
Diese erste Definition ist jedoch un- trachtung eines Einzelvorganges ist, Er stellte fest, daß sich die Selbst-
vollständig, denn sie macht keinen sondern die Soziologie die Gesamt- mordrate für eine spezifische Ge-
Unterschied zwischen einem an heit der Selbstmorde in einer gege- sellschaft (z. B. Sachsen) über die
Wahnvorstellungen Leidenden, der benen Gesellschaft und einem gege- Zeit kaum veränderte. Zwischen
sich aus einem hochgelegenen Fens- benen Zeitabschnitt betrachtet. den verschiedenen Gesellschaften
ter herausstürzt in dem Glauben, gab es jedoch große Unterschiede
sich zu ebener Erde zu befinden, und Nur so kann man feststellen, dass in ihrer Neigung zum Selbstmord.
dem Menschen, der im Besitz seiner das das gewonnene Gesamtergebnis Dies bedeutet nicht, dass die Gesell-
geistigen Kräfte sich mit vollem Wis- nicht einfach die Summe voneinan- schaft als Ganzes (kollektiv) Selbst-
sen den Tod gibt. der unabhängiger Einzelfälle dar- mord begeht, sondern, dass sich die
stellt, sondern dass dieses Ergebnis gesellschaftliche Faktoren, die den
Durkheim fragt danach, wie man wis- eine neue Tatsache schafft, die Ein- Selbstmord eines Gesellschaftsmit-
sen soll, welche Beweggründe die heitlichkeit und Besonderheit be- glieds begünstigen oder erschweren,
Handlung veranlasst hat, und ob, sitzt, also ihre eigene Natur hat. für die Gesellschaft unterscheiden.
wenn der Entschluss einmal gefasst
Für Durkheim kam als Erklärung für
diese spezifische Neigung zum Selbst-
mord nur eine holistische Erklärung
in Frage, also Gründe die in den
Strukturen jeder Gesellschaft liegen
müssen. Vorerst versuchte er sehr
gründlich, die Möglichkeit dieses
Phänomens durch Gesetze der Indi-
vidualpsychologie zu erklären. Er er-
mittelte die wichtigsten Faktoren, die
den individuellen Selbstmord bedin-
gen könnten und untersuchte dann,
ob das Auftreten dieser Faktoren mit
Foto: Public Opinion
ten, Irrsinn, Alkoholismus, rassische scher Tatbestand, denn sie ist in ihrer lässt er dem eigenen Denken mehr
Merkmale und sogar Einflüsse von Komplexität nicht durch individuelle Raum. Je umfassender und fester
Wetter und Temperatur keine Er- Merkmale herzuleiten. Die unter- der Lehrkodex einer Religionsge-
klärungskraft besaßen. In Regionen suchten Gesellschaften besitzen mit meinschaft ist, je mehr das Denken
mit erhöhtem Alkoholismus gab es der Religion ein gemeinsames Struk- und Handeln religiös bestimmt und
nicht mehr Selbstmorde als in Gebie- turelement, welches in unterschied- auch der freien Kritik entzogen sind,
ten mit geringem Alkoholismus. Das lichen Ausprägungen vorkommt. umso mehr ist die jeweilige Religion
Auftreten der Neurasthenie (griech. im Leben der Anhänger gegenwärtig
Erschöpfungszustand Stress, Über- Durkheim zeigt, dass die Religion und lenkt deren Willen auf ein ein-
arbeitung, zu wenig Schlaf etc.), war nicht die eigentliche Ursache für den ziges und gleichbleibendes Ziel. Je
in Sachsen nicht höher als in Italien Selbstmord ist, da die Inhalte der Reli- mehr eine Glaubensgemeinschaft
das Urteil dem Einzelnen überlässt,
desto mehr entfremdet sie sich sei-
nem Leben und desto weniger Zu-
sammenhalt und Vitalität zeichnet
sie aus. Je stärker nun die Glaubens-
grundlage wächst, umso mehr steigt
auch das gemeinschaftliche Zusam-
menleben, also die Integration in der
Gemeinde. Durkheim kommt somit
zum Schluss, dass der Grund für die
größere Selbstmordanfälligkeit des
Protestantismus darin zu finden ist,
dass dieser als Kirche weniger stark
integriert ist als der Katholizismus.
Am 18. November 1978 beging der Großteil duen, den gesellschaftlichen Zwän-
der Mitglieder der Sekte „Peoples Temple”
in Jonestown, im südamerikanischen gen entkommen zu können.
Guyana, Selbstmord. Rund 900 Menschen,
darunter zahlreiche Kinder, starben. Émile Durkheim
„Wenn man uns nicht in Frieden leben - ein Pionier der Soziologie
lässt, so wollen wir jedenfalls in Frieden 1898 gründete Durkheim die Zeit-
sterben“, sprach der Sektengründer Jim schrift „L‘Année Sociologique”, eine
Jones zu seinen Gefolgsleuten.
der ersten soziologischen Zeitschrif-
Nicht alle starben freiwillig; etliche Sek- ten der damaligen Zeit. Im deutschen
tenmitglieder wiesen Schusswunden auf.
Sprachraum blieb Durkheim lange
Zeit eher unbeachtet, ja aufgrund
seines angeblichen Soziologismus
und Anti-Individualismus auch un-
beliebt. Erst die Übersetzungen des
Foto: AP
deutschen Soziologen René König
trugen dazu bei, den Stellenwert
In modernen Gesellschaften ist der Die soziale Desorganisation äußert dieses soziologischen Pioniers ins
altruistische Selbstmord kaum zu sich in einer starken Erschütterung rechte Licht zu rücken. Heute sind
finden. Durkheim vergleicht nun die der sozialen Normen; es kommt zu die Ideen Emile Durkheims Grundla-
Organisationsstruktur des Militärs einem Ungleichgewicht zwischen ge für jedes Studium der Soziologie.
mit einer primitiven Gesellschaft und Wünschen und verfügbaren Mitteln.
stellt am Beispiel der französischen Nach Durkheim ist nun dieser Zu- B. J. H.
Armee fest, dass unter den Offizieren stand für viele Menschen derart un- Empfehlenswerte Werke:
der Selbstmord ziemlich verbreitet erträglich, dass sie freiwillig aus dem
ist. In der Gesellschaft des Militärs Leben scheiden. De la division du travail social: Étude sur l’organisation
des sociétés supérieures. Félix Alcan, Paris 1893. Überset-
galt die Norm, dass eine Verletzung zung: Über die Teilung der sozialen Arbeit. Dt. von Ludwig
der persönlichen Ehre manchmal nur Festzuhalten bleibt, dass nicht alle Schmidts. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1977.
durch den Freitod wieder hergestellt Selbstmorde anomisch sind. Als Les règles de la méthode sociologique. Félix Alcan, Paris
werden kann. Hier ist es also nicht anomische Selbstmorde werden vor 1895. Übersetzung: Die Regeln der soziologischen Methode.
der Befehl einer bestimmten (vorge- allem sogenannte „Ausreißer” der Dt. von René König. Luchterhand, Neuwied/Berlin 1961.
setzten) Person, sondern hier wirkt Selbstmordrate bezeichnet, also Le suicide: Étude de sociologie. Félix Alcan, Paris 1897.
das kollektive Bewußtsein in Form Abweichungen von der „normalen” Übersetzung: Der Selbstmord. Dt. von Sebastian und Hanne
der militärischen Ehre. Diese Ehre Selbstmordrate. Herkommer. Luchterhand, Neuwied/Berlin 1973.
existiert unabhängig von den persön- Les formes élémentaires de la vie religieuse. Félix Alcan,
lichen Bedürfnissen des Soldaten und Der fatalistische Selbstmord Paris 1912. Übersetzung: Die elementaren Formen des reli-
giösen Lebens. Dt. von Ludwig Schmidts. Suhrkamp, Frank-
übt auf ihn einen äußeren Zwang aus. Der fatalistische Selbstmord - von furt/M. 1981.
Durkheim lediglich in einer Fußno-
Der anomische Selbstmord te erklärt - wird typischerweise in König, Rene: Emile Durkheim zur Diskussion. München/
Wien, 1978.
Der anomische Selbstmord ist ein Gesellschaften verübt, welche jegli-
Phänomen, welches man z. B. bei In- che individuelle Handlungsfreiheit Steven Lukes: Émile Durkheim, his life and work. A histori-
dustriegesellschaften in Zeiten von und Spontaneität verbieten. Dort cal and critical study. Allen Lane, London 1973
heftigen Konjunkturschwankungen herrscht eine extreme Dichte sozia- Raymond Aron: Hauptströmungen des soziologischen Den-
feststellen kann. In jeder Gesellschaft ler Normen, also zu starke Kontrolle kens. 2. Bd.: Emile Durkheim, Vilfredo Pareto, Max Weber.
Köln: Kiepenheuer & Witsch 1971
gibt es eine allgemein anerkannte und Reglementierung, sodass sich
Werteskala, an welcher sich jeder der Einzelne gefangen fühlt und kei- Kaesler, Dirk (Hg.): Klassiker der Soziologie, 2 Bde., Mün-
Mensch entsprechend seiner Berufs- nen Ausweg mehr sieht. Nur durch chen, Beck, 1999.
position orientieren kann. Sowohl in Selbstmord glauben nun die Indivi-
Zeiten positiver als auch negativer eine Plakatwand von
Konjunktur entsteht eine Form sozia- Selbstmordattentä-
ler Desorganisation. In Zeiten der Auf- tern in Nablus
schwünge kommen Menschen zu un-
erwartetem Wohlstand und müssen
ihren neuen Platz in der Werteskala
suchen. Dabei können die Ansprüche
ins Uferlose wachsen und eine Dis-
krepanz zwischen Ansprüchen und
Wirklichkeit entstehen. Dasselbe gilt
auch für Zeiten negativer Konjunktur.
Diese Arten der sozialen Desorganisa-
tionen, die von Durkheim „Anomie“
genannt werden, lassen sich statis-
tisch in wachsenden Selbstmordraten Foto: AP
nachweisen.
34 soziologie heute Februar 2009
Soziologie
Foto: Stephanie Hofschlaeger, pixelio
weltweit
Geisteswissenschaften gewinnen gegenüber Naturwissen-
schaften an Bedeutung
Nach Ansicht führender SoziologInnen werden die Geisteswissenschaften
gegenüber den Naturwissenschaften in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
So meint etwa Bettina Hollstein, Geschäftsführerin des Max-Weber-Kollegs
für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, in einem Interview mit der
Nachrichtenagentur ddp, dass die Naturwissenschaften bisher keine Erklä-
rungen oder Lösungen etwa für die Entstehung von Globalisierungsängsten
geben konnten. „Die Menschen erwarten unter anderem von der Soziologie
Antworten auf schwierige Situationen des modernen Alltags.” Eine immer
größere Rolle werden gerade religiös motivierte Fragen in der geisteswissen-
schaftlichen Forschung spielen.
Anlässlich des 10jährigen Bestehens des Kollegs meint Hollstein: „Die Ver-
mutung, dass durch den technischen Fortschritt und eine mögliche Säkula-
risierung der Gesellschaft die Sozialwissenschaften überflüssig werden, hat
sich nicht bewahrheitet.” Gemäß dem Forschungsrating 2008 des Deutschen
Wissenschaftsrats gehört das Kolleg bundesweit zu den zehn besten For-
schungseinheiten für Soziologie.
Der Sozial- und Jugendforscher Klaus Hurrelmann von der Universität Biele-
feld http://www.uni-bielefeld.de bestätigt den engen Zusammenhang zwischen der
Gewaltanwendung von Jugendlichen und ihren familiären Vorerfahrungen.
“Nicht intakte Beziehungen der Eltern, Armut und wirtschaftliche Proble-
me durch Arbeitslosigkeit führen in Verbindung mit Regellosigkeit häufig zu
häuslicher Gewalt.” Kinder, die mit dieser täglichen Erfahrung aufwachsen,
lernen, sich später auch selbst gewalttätig durchzuboxen. “Dieser Lernme-
chanismus, einen Konflikt mit körperlicher Aggression zu lösen, ist ganz fest
eingeprägt”, so Hurrelmann. Störungen der Persönlichkeit gehen dabei mit
körperlichen und psychischen Misshandlungen einher. “Paradoxerweise
fällt ein Mensch mit diesen Vorerfahrungen bei fehlender Souveränität oder
instabilen Situationen häufig selbst in bekannte negative Muster zurück.”
Februar 2009 soziologie heute 35
Neben dem familiären Umfeld beeinflussen auch andere Faktoren die Gewalt-
bereitschaft, Hurrelmann nennt als Beispiele Mutproben in Gleichaltrigen-
gruppen oder der häufige Konsum medialer Darstellungen von Gewalt. Auf-
grund der technischen Möglichkeiten des Internets, Videoaufnahmen von
Gewalthandlungen einer breiten Masse zu zeigen, hätten spektakuläre und
extreme Formen der Gewalt in den letzten Jahren zugenommen. Das gelte
jedoch nicht für die Gewalt unter Jugendlichen allgemein: In den Statistiken
wie auch in der vermuteten Dunkelziffer sei die Gewalttätigkeit bei Jugendli-
chen im Abnehmen, so der Jugendforscher abschließend.
Die Forschungsgruppe 50+ befragte für ihre mit Unterstützung der Karstadt
Quelle Versicherungen durchgeführte Erhebung im Februar und März dieses
Jahres 3880 Menschen zwischen 50 und 70. Wie Forschungsleiter Dieter Otten
erklärte, stellt diese Generation mit 113 Prozent des Durchschnittseinkom-
mens wirtschaftlich gesehen die eigentliche Mittelschicht dar. Sie umfasst 22
Millionen Menschen und stellt mit 45 Prozent die größte Wählergruppe der
nahen Zukunft dar.
Die meisten Älteren fühlen sich zu fit für die Rente: Rund 60 Prozent möch-
ten auch nach dem 65. Lebensjahr gerne weiter arbeiten - die Hälfte davon
im angestammten Beruf; die andere Hälfte will etwas Neues anfangen. Etwa
die Hälfte treibt regelmäßig Sport. „Wer heute Anfang 70 ist – Götz George
zum Beispiel – ist einfach nicht alt, fühlt sich nicht alt und verhält sich nicht
alt – die überwiegende Mehrheit zumindest“, folgerte Otten. Die 50- bis 70-
Jährigen, darunter auch immer mehr Männer, verhielten sich betont körper-
bewusst und gesundheitsorientiert. „Sie leben länger, sie bleiben länger jung
und sind länger gesund.“
Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Jena warnte
Silke van Dyk vor einer neuen Diskriminierung. Gerade die Debarre über ak-
tive Senioren setze eine neue Norm. Viele seien aber gesundheitlich nicht in
der Lage, sie zu erfüllen, weshalb die kranken, schwerstpflegebedürftigen
Alten nicht aus den Augen verloren werden dürfen.
Beck vergleicht den Klimawandel und die Finanzkrise: Während der Klima-
wandel als ein Kollektivschicksal gesehen wird, als etwas, was jetzt durch
die Zerstörung der Natur auf alle zukommt und insofern auch ein gemein-
sames Handeln erfordert, erlaubt es die Finanzkrise - selbst wenn sie global
ist - offenbar noch eher immer einzelne Länder dafür zu verantwortlich zu
machen, ja sogar den Einzelnen selbst, der dann eben als Aktionär oder als
jemand, der seine Alterssicherung eingezahlt hat, selbst mit den Verlusten
fertig werden muss.
Jeder zweite
erfordernisse in den letzten zwanzig
Jahren. „Die heute 30-Jährigen ha-
ben jetzt schon deutlich mehr Mo-
bilitätserfahrungen als die heute 50-
Jährigen“, fasst der Koordinator des
Mobilität erhält heute zunehmend speziell für Frauen. Mobilität hemmt Universidad Autónoma de Madrid.
einen ambivalenten Charakter: Für zudem die Familienentwicklung ins-
einige eröffnet sie neue Chancen und besondere für Frauen; mobile Frauen „In Zeiten steigender beruflicher Mo-
fördert sozialen Aufstieg, für andere – nicht aber mobile Männer – bleiben bilitätserfordernisse sind Politik und
ist Mobilität der einzige Weg, Arbeits- häufiger kinderlos und auch häufiger Wirtschaft gefordert, neue Strategi-
losigkeit und sozialen Abstieg zu ver- ohne Partner. Im Gegenzug senkt El- en zu entwickeln, um die Mobilitäts-
meiden. Auf die Bedeutung von Mo- ternschaft die Mobilitätsbereitschaft bereitschaft der Europäer zu fördern
bilität als Überlebensstrategie weist von Männern und insbesondere von und gleichzeitig die negativen Kon-
Prof. Dr. Anna Giza-Poleszczuk von Frauen deutlich. sequenzen erhöhter Mobilität zu mi-
der Universität Warschau hin: „Für nimieren“, folgert Prof. Dr. Norbert
ein Viertel der Mobilen ist Mobilität Mobilität hat nicht per se negative Schneider aus den Studienergeb-
die letzte Möglichkeit zur Existenzsi- Auswirkungen auf Wohlbefinden und nissen. Der Beitrag der Arbeitgeber
cherung.“ Zufriedenheit. Es kommt darauf an, kann darin bestehen, Arbeitszeiten
in welcher Form Menschen mobil weiter zu flexibilisieren, mehr Ar-
Die Folgen der Mobilität erstrecken sind. Insbesondere Wochenend- und beit von zu Hause zu ermöglichen,
sich auf das subjektive Wohlbefin- Fernpendeln sind oft mit erheblichen sich an den Mobilitätskosten der Be-
den, die Gesundheit, die sozialen Belastungen verbunden, während die schäftigten stärker zu beteiligen und
Beziehungen und auf das Familienle- Belastung durch Umzug eher gering die Mobilitätsanforderungen für den
ben. So forciert Mobilität beispiels- ist. Daneben wird das Ausmaß der Einzelnen zu beschränken.
weise die traditionelle Aufgabentei- Belastung vor allem durch die Ar-
lung zwischen Männern und Frauen beitsbedingungen beeinflusst sowie Kontakt und Informationen:
Dipl.-Soz. Silvia Ruppenthal
bei der Kinderbetreuung. Während durch die Umstände, unter denen die Institut für Soziologie
mobile Männer verstärkt durch ihre Betroffenen mobil geworden sind. Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Tel. +49 6131 39-20320
Partnerinnen von ihren Aufgaben „Insbesondere dort, wo Mobilität als Fax +49 6131 39-25569
entbunden werden, ist dies bei mo- Zwang erlebt wird, unvorhergesehen E-Mail: silvia.ruppenthal@uni-mainz.de
bilen Frauen viel seltener der Fall. oder ungewollt eintritt, wird sie als http://www.soziologie.uni-mainz.de/familie/
Damit verschärft sich die Vereinbar- besonders belastend empfunden“, http://www.jobmob-and-famlives.eu
keit von Familie, Beruf und Mobilität betont Prof. Dr. Gerardo Meil von der
Lebenslanges Lernen
tes Interesse haben. Der derzeit aku-
te Fachkräftemangel wird uns aus de-
mografischen Gründen und aufgrund
der großen industriellen Bedeutung
Österreichs auch in Zeiten reduzier-
Wenn vom Lebenslangen Lernen Schulabschluss. Sie haben in der Re- Um das Bildungsproblem einigerma-
die Rede ist, wird die öffentliche gel wenig Chance auf Weiterbildung. ßen in den Griff zu kriegen, sind aus
Diskussion reflexartig auf die Wei- Alarmierend ist auch die steigende meiner Sicht folgende Maßnahmen
terbildung von älteren Menschen Zahl der Analphabet/innen in unse- zu setzen:
eingeschränkt. Dabei ist es unum- rem Land. Expert/innen schätzen,
gänglich, bei diesem Thema nicht dass bis zu 600.000 Österreicher/ - Zielgruppengerechte Angebote zur
nur an die Arbeitnehmer/innen innen weder lesen noch schreiben Alphabetisierung
jenseits der 50 zu denken, sondern können. Dabei handelt es sich bei - Reform der Hauptschulexternist/in-
sich der Problematik auch von der weitem nicht nur um Migranten/in- nenprüfung
anderen Seite der Alterspyramide nen, sondern um viele Menschen mit - Reform der Berufsmatura
her zu nähern. Das Lebenslange deutscher Muttersprache. Klar ist, - Angebote für Menschen mit Migrati-
Lernen beginnt nicht irgendwann dass Analphabetismus den Zugang onshintergrund jenseits von Deutsch-
während der Berufslaufbahn, son- zu Lernkarrieren verhindert. Summa kursen
dern setzt unmittelbar am Ende der summarum sehen wir uns verstärkt - Verstärkte finanzielle Weiterbildungs-
Schulausbildung an. mit dem Problem der Bildungsferne förderung für einkommensschwache
konfrontiert. Menschen
Genau dort haben wir in Österreich
ein gravierendes Problem: Neun Pro- An einer Änderung des Zustandes Dr. Christoph Jungwirth
zent der Abgänger/innen von Pflicht- muss nicht nur die Politik, sondern Geschäftsführer BFI Oberösterreich
schulen haben keinen formalen auch die heimische Wirtschaft größ-
Nationalagentur Seit 1995 sind wir Ihr Partner für die Anbahnung und Förderung von Projekten im Rahmen
der europäischen Bildungsprogramme.
in seiner besten Form Jahre 1992 wurde die Lokale Agenda 21 (LA
21) erstmals ins Leben gerufen. Die LA 21 ist
ein Aktionsprogramm, welches sich zuvor-
derst an Gemeinden richtet. Diese sollen mit
entsprechenden Prozessen zu einer nachhalti-
schen) Ökonomie gewandt, die in der sche Entwicklung sind untrennbar Bestätigung. Dabei hat Schumpeter
Aussage gipfelte: „Nichts passiert miteinander verquickt aber nicht schon 1911 auf die zentrale Rolle des
auf der Welt,…, was wir theoretisch aufeinander rückführbar und nie Wissens im Entwicklungsprozess
nicht im Griff haben (könnten)“. Heu- völlig beherrschbar bzw. kontrollier- hingewiesen, allerdings in anderer
te erleben wir, dass sich Ökonomen, bar. Schumpeter ortet zwei zentrale Weise als dies heute oft (und falsch)
Wissenschaftler und Praktiker, offen- Merkmale des (innovativen) Un- verstanden wird. Vielleicht können
bar vergriffen haben und wir – auch ternehmers: Energie des Handelns wir alle aus der Geschichte und aus
heute noch – von Schumpeter und und besondere Art der Motivation, Fehlern lernen.
seinen Ansätzen lernen sollten: gepaart mit der Freude am Neuge-
Stationäre Wirtschaft und dynami- stalten und der Notwendigkeit der _________________________________
Niccolò Machiavelli wurde am 3. Mai er jedoch von unmoralischen und Streit zum Austrag zu bringen: ent-
1469 geboren, machte sich schon schlechten Menschen umgeben ist, weder den Weg über ein rechtlich
frühzeitig mit den Werken der Klassi- darf er sich bei der Erfüllung seiner geregeltes Verfahren oder den Weg
ker vertraut und war in der Zeit von Aufgaben nicht durch moralische der Gewalt. Das erste Verfahren be-
1498 bis 1512 als für Außen- und Ver- Zwänge einschränken lassen. An ein nützen die Menschen; das zweite die
teidigungspolitik verantwortlicher gegebenes Wort braucht sich der Tiere. Da das erste nicht immer die
Staatssekretär für die Republik Flo- Herrscher nur dann zu halten, wenn Lösung bringt, muss man zuweilen
renz tätig. Nach Rückkehr der Medici es im Vorteile bringt; schadet es dem zum zweiten greifen.”
wurde er inhaftiert, gefoltert und spä- Gemeinwohl, so muss er es brechen.
ter mangels Beweisen freigelassen. Alle Mittel sind dabei recht - morali- Für Machiavelli hört das Recht an
Nach mehreren Jahren, in welchen er sche und unmoralische. Machiavelli der Staatsgrenze auf. Seiner Auffas-
sich vor allem seiner schriftstelleri- bringt hier sein Geschichtswissen sung nach gilt zwischen Staaten nicht
schen Tätigkeit widmete, wurde er in ein und verweist auf Beispiele wie Moral und Recht, sondern lediglich
seinen letzten Lebensjahren wieder List, Täuschung, Verrat, Meineid, der nackte Machtkampf - mit militäri-
vermehrt mit politischen Aufgaben Bestechung, Vertragsbruch und Ge- schen oder politischen Mitteln.
betraut. Am 21. Juni 1527 schließlich walttaten.
starb Macchiavelli im Alter von 58 Machiavelli war ein glühender Patri-
Jahren. Wenn es die äußere Not erfordere, so ot, dem es um die Einigung Italiens
dürfe der Fürst auch ohne Bedenken ging. Trotz seiner humanistisch klas-
Das posthum 1532 veröffentlichte Verbrechen begehen. Dieser Herr- sischen Bildung lehnte er im Gegen-
Buch „Il Principe” (Der Fürst) ist scher müsse die Rolle eines Men- satz zu den frühen Humanisten religi-
von seinen vier Hauptwerken wohl schen und die einer Bestie zu spielen öse und moralische Bindungen ab.
das bekannteste. Hierin beschreibt verstehen. Um seinen Rückhalt im
Machiavelli, wie ein politischer Herr- Volk zu sichern, sollte der Herrscher Seit der Veröffentlichung seines „Il
scher seine Macht gewinnen und jedoch nichts tun, wofür er gehasst Principe“ hat seine Staatslehre vie-
behaupten kann. Seine politische würde. le Kontroversen hervorgerufen. Bis
Theorie sieht in der Selbsterhaltung heute noch dient der „Machiavellis-
und Machtsteigerung des Staates „Menschen müssen entweder ge- mus“ als Rechtfertigung skrupelloser
das ausschließliche Prinzip des poli- schmeichelt oder zerschlagen werden, staatlicher Gewaltpolitik.
tischen Handelns. Machiavelli kennt Denn für ein kleines Unrecht werden
die Menschen und ihre Schwächen sie sich rächen können. Aus dem Gra-
und der Politiker muss sich dessen be heraus rächt sich niemand. Wenn Literaturhinweise
bewusst sein, dass alle Menschen man also schon jemand unrecht tut,
schlecht und die allermeisten auch so muss es derart sein, dass er sich Der Fürst, Insel-Verlag, Frankfurt a.M., ISBN 3-458-
32907-2
dumm sind. wenigstens nicht mehr rächen kann.”
Discorsi (Gedanken über Politik und Staatsführung),
So benötigt das Volk einen Herr- Zum Recht hat Machiavelli ein recht Alfred-Kroener-Verlag, ISBN 3-520-37702-0
scher, der es anführt und eine staat- zwiespältiges Verhältnis.
liche Struktur garantiert. Da dieser Carlo Schmid Machiavelli Fischer, Frankfurt 1956
Herrscher seine Aufgabe zum Woh- „Man muss sich darüber klar sein, Dirk Hoeges: Niccolò Machiavelli. Die Macht und der
le des Gemeinwesens erfüllen soll, dass es nur zwei Wege gibt, einen Schein C.H. Beck, München 2000 ISBN 3-406-45864-5
44 soziologie heute Februar 2009
Soziologische
Altruistischer Selbstmord
nach Durkheim ein Terminus für den
Selbstmord, der durch eine extrem
starke Bindung an eine Gruppe oder
Begriffe
Gemeinschaft motiviert ist. den Ver-
lust
Anomischer Selbstmord
nach Durkheim ein Terminus für den
- leicht und verständlich Selbstmord, der durch den Verlust
sozialer Normen - auch als Anomie
bezeichnet - ausgelöst wird.
Durkheim stellt der Armut den plötzli- In einer stabilen Gesellschaft besteht
chen Reichtum als Krisenfaktor gegen- ein relativ großes Gleichgewicht zwi- Internalisierung
über, und stellt fest, dass dabei gewis- schen den sozial-kulturellen Leitbildern
se Formen abweichenden Verhaltens und den allgemein akzeptierten Wegen, ein Prozess, durch den gesellschaft-
- wie z. B. der Selbstmord - zunehmen. wie diese erreicht werden können. Von liche Standards Teil der Persönlich-
Den Grund dafür sieht Durkheim im Anomie spricht man erst dann, wenn keitsstruktur werden.
beschleunigten sozialen Wandel, also diese Beziehung gestört ist. Mertons
den Zusammenbruch der überlieferten Differenzierung erlaubt eine Analyse
Normen. des abweichenden Verhaltens an ver- soziale Schichtung
schiedenen Orten - also beispielsweise
Die gleiche Sichtweise kann auch auf bei der Ober-, Mittel- und Unterklasse. Gliederung der Gesellschaft in
unterentwickelte Gesellschaften ange- Indem man weiter spezifiziert, kann Schichten. Die Mitglieder dieser
wendet werden. Es gibt eine überliefer- man letztlich auch Typologien einzel- Gesellschaft verfügen über unter-
te und akzeptierte Armut, mit der man ner Gruppen erkennen. schiedliche Mengen an knappen Be-
sich abgefunden hat. Dies ändert sich lohnungen oder Ressourcen.
erst, wenn bspw. durch die Massen- Neben den strukturellen - soziologi-
kommunikation das Bild einer anderen, schen - Formen der Anomie gibt es
eventuell komfortableren Lebenswei- auch den psychologischen Begriff der Unterschicht
se, in diese Gesellschaften eingedrun- Anomie, bei welchem die persönliche
gen ist. Aus dem Gegensatz der beiden Integration unter dem Druck bestimm- eine soziale Schicht, deren Mitglie-
Größen erwachsen dann Bedürfnisse, ter Erscheinungen zusammenbricht. der über kein Eigentum verfügen,
welche in der Folge einen Zustand der oft arbeitslos sind, kaum Macht und
Anomie in Form eines Kulturverlustes Achtung besitzen.
Februar 2009 soziologie heute 45
Veranstaltungen
16. bis 18. 4. than in previous years. Designed to be less den, zuwendenden, fürsorglichen Verwahrung
theme-led, and to encourage the widest par- von Menschen und Patienten zugeschrieben
2009 ticipation for presenters and attendees, it und galt lange Zeit als letzte Phase eines Le-
Cardiff City Hall will have streams around core areas of soci- bens oder eines Krankheitsverlaufs. Die Pflege
ological research and enquiry. While there lag zudem lange in der Verantwortung von Fa-
United Kingdom is a core team, (led by John Holmwood from milie, Angehörigen und von caritativ Tätigen
Birmingham) each stream will have its own und wurde erst spät von professionell Pflegen-
convenor(s) who will select the papers, sym- den übernommen. Die spätmoderne Gesell-
posium and panels to go into that stream and schaft hat in den letzten beiden Jahrzehnten
so our call for papers this year requires poten- die Pflege, die vorher dem Privatbereich der
tial presenters to nominate streams for their Familien oder, wenn diese überfordert waren,
BSA Annual Conference: presentations. This is somewhat similar to der Armenunterstützung zugerechnet wurde,
Conference Theme the ISA’s form of organisation. The aim is to zu einer eigenen gesellschaftlichen Aufgabe
have a sub-plenary within each stream. gemacht. Sie ist – Pflegebedürftigkeit ist kei-
Much thinking about the social sciences sees ne Krankheit – in keinem nationalstaatlichen
them as based on shared disciplinary assump- Further informations: http://www.britsoc.co.uk/ Kontext allein dem System der Krankenbe-
tions. The increasing globalisation of social handlung zugewiesen worden.
inquiry is challenging current disciplinary
formations, bringing in its train issues of the Deutsche Gesellschaft
relationship between the research activities
für Soziologie Berufsverband Deutscher Sozio-
of different ‘national’ communities of research loginnen und Soziologen e. V.
scholars, as each is drawn to address net- 12. Bundesweiter Workshop zur
works of interaction and exchanges beyond Qualitativen Bildungs- und Sozial- XV. Tagung für angewandte
the boundaries of national societies (which
forschung Soziologie 2009
are frequently the focus of national funding
bodies, if not, as some have argued, also 6. bis 7. 2. 2009 Die nächste große Verbandstagung des BDS
embedded within the conceptual apparatus Zentrum für Sozialweltforschung findet am 5. und 6. Juni 2009 an der Univer-
of disciplines). In response, there have been sität Hamburg in Kooperation mit den sozio-
calls to ‘provincialize’ the dominant European und Methodenentwicklung logischen Instituten statt. Im Mittelpunkt der
and North American constructions of social Tagung stehen Antworten auf die Frage, wel-
science in order to accommodate perspecti- Ergänzend zu den immer zahlreicher werden- che Begriffe, Konzepte, Theorien und Metho-
ves from other locations of knowledge, both den Publikationen zu qualitativen Forschungs- den der Soziologie in der außeruniversitären
spatial and ‘epistemological’. These have oc- methoden bietet der Workshop insbesondere Praxis sich bewährt haben.
curred alongside the advocacy of a new ‘uni- Nachwuchswissenschaftlerinnen (vor allem
versalistic’ critical social theory with ‘cosmo- DoktorandInnen, HabiltiandInnen und wissen-
politan intent’. schaftlichen MitarbeiterInnen) ein Forum in Gesellschaft für Soziologie der
dem sie unter fachlich kompetenter Anleitung Universität Graz
Recent studies of disciplinary social science durch bundesweit anerkannte ForscherInnen
also suggest that wider cultural values and an dem eigenen oder an fremden datenmate- Challenges and Opportunities in
socio-political changes have an important im- rial aus aktuellen Projekten arbeiten können. the Internationalisation of Higher
pact on research agendas and, in a global age, Als mögliche Textsorten kommen Interviews, Education
these are no more likely to be ‘shared’ than Aktualtexte, Gruppendiskussionsaufzeich-
disciplinary assumptions. The post second nungen, Tagebücher, Briefserien, ethnogra- Vortrag von Prof. Anne Seitz (Swinburne Uni-
world war period was marked by the growth phische Protokolle aber auch Bilder, Fotos, versity of Technology, Melbourne)
of professionalised disciplinary social science Videosequenzen, Collagen, Broschüren etc. in Zeit: Do, 20. November 2008, 19.00 Uhr (s.t.)
and the consolidation of welfare states in the Frage. Ort: Resowi-Zentrum G2, SZ 15.22 (Kleines Sit-
context of the cold war. It was also a period zungszimmer der SoWi-Fakultät)
of de-colonisation, although the colonial con- Nähere Infos: http://www.uni-magdeburg.de/zsm/
texts in which the social sciences were for-
med was not recognised and it was not until Solidarischer
recently that post-colonial critiques have be- Institut für Gesundheits- und
gun to have an impact. Ökonomien Kongress 2009
Pflegewissenschaft der Martin-
20. - 22. Februar 2009
In these contexts, the collapse of communism Luther-Universität Halle-Witten-
has both helped to usher in the current phase berg Peter-Jordan-Straße 82, BOKU, Wien
of globalisation and has altered fundamentally „Pflegebedürftig“ in der „Gesund- Vor dem Hintergrund einer lebendigen glo-
the structures of value-relevance that inform balisierungskritischen Bewegung gewinnen
social inquiry in post-communist societies, heitsgesellschaft“ vielfältige Projekte solidarischer Ökonomie an
formerly non-aligned societies and liberal 26. bis 28. 3. 2009, Halle (Saale) Kraft. Unsere Hoffnung gilt der Stärkung und
democracies alike. Although the collapse of Vernetzung aller Initiativen, die kritische The-
communism has been associated with the Die demografischen und epidemiologischen orien und praktische Projekte verbinden.
re-assertion of liberal values (and neo-liberal Veränderungen der vergangenen fünfzig Jah-
public policies of governance), it is also as- re (Hochaltrigkeit, chronische Erkrankungen) Wir wollen den Begriff „Solidarische Ökono-
sociated with a decline in the secular values haben die Zahl von Menschen mit dauerhaf- mie“ bewusst nicht eng eingrenzen um sehr
with which liberalism and modernity are con- ter Unterstützungs- bzw. Pflegebedürftigkeit unterschiedlichen Konzeptionen und Ansät-
ventionally associated and which would be in- vervielfacht und von einem seltenen zu einem zen Platz zu geben und kontroversielle Diskus-
trinsic to any claim to replace ‘national’ social Massenphänomen geführt, das zusammen sionen zu ermöglichen.
science with a ‘cosmopolitan’ social theory. mit weiteren gesellschaftlichen Veränderun-
The conference will address these problems gen (Individualisierung, Mobilität, dadurch Mehr Infos: http://www.solidarische-oekonomie.at
of global social science and their implications Begrenzung der familialen Hilfe) Langzeitbe-
for sociology. treuung und Pflege zu einer immer stärkeren
The BSA Annual Conference 2009 (and also öffentlichen Aufgabe werden lässt. Früher wur-
2010) will be organised in a different way de der Berufs-Pflege allein die Rolle der helfen-
46 soziologie heute Februar 2009
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