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Kommunikationswissenschaftliches Forschungs-Proseminar
VLZ.Nr.220391_G5, SoSe 2008
Dr. Margit Böck
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung ...........................................................................................................................3
2. Begriffsbestimmung............................................................................................................6
2.1 Was sind Jugendliche?................................................................................................ 6
2.2 Was ist „Lesen“?.......................................................................................................... 6
3. Theoretische Einordnung: Entscheidungen im Zentrum unseres Medienhandelns .............7
3.1 Medienhandeln als ökonomisches Handeln................................................................. 7
3.2 Medienhandeln als soziales Handeln........................................................................... 8
3.3 Medienhandeln als mehrstufiger Prozess (Strukturanalytische Rezeptionsforschung). 9
4. Hypothesen (Kontext).......................................................................................................10
4.1 Lesen als Fenster in der Zeit (Hypothese 1) ...............................................................10
4.2 Affektive Gratifikationen (Hypothese 2)......................................................................11
4.2.1 Die Spezifika pubertären Lesens .........................................................................11
4.2.2 Was ist Fantasie? ................................................................................................12
4.2.2.1 Empathie.......................................................................................................12
4.2.2.2 Projektion......................................................................................................12
4.2.2.3 Introjektion ....................................................................................................12
5. Forschungsverlauf und Methode ......................................................................................13
5.1 Methode .....................................................................................................................13
5.3 Datenerfassung und –auswertung ..............................................................................14
6. Ergebnisse .......................................................................................................................15
7. Überprüfung der Hypothesen ...........................................................................................17
8. Fazit .................................................................................................................................18
9. Literaturliste......................................................................................................................19
10. Anhang...........................................................................................................................22
10.1 Ergebnisse der Fragen 8, 11 und 12a im Detail ........................................................22
10.2 Fragebogen ..............................................................................................................23
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Buchlesen als „Fenster in der Zeit“ ..................................................................15
Abbildung 2: Medienzuwendung in affektiven Situationen ....................................................16
Abbildung 3: Erlebte Gratifikationen beim Buchlesen ...........................................................17
Abbildung 4: Häufigkeiten-Tabelle / Frage 8.........................................................................22
Abbildung 5: Häufigkeiten-Tabelle / Frage 11.......................................................................23
Abbildung 6: Häufigkeiten-Tabelle / Frage 12a.....................................................................23
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Dr. Margit Böck Matr. Nr. 9002037
1. Einleitung
Im Zuge der disziplinären Auseinandersetzungen mit dem Thema „Lesen und Jugendliche“
besteht Einigikeit darüber, dass Lesen in der Multi-Media-Umwelt von Jugendlichen nur eine von
vielen Möglichkeiten der Mediennutzung darstellt (vgl. Bonfadelli / Fritz 1995: 10).
„Dementsprechend ist auch der im öffentlichen Diskurs immer wieder beschworene
Gegensatz von »Buch- vs. Fernseh-Jugendlichen« in der Praxis kaum mehr aufrecht zu
halten. Während die habitualisierte Nutzung der audiovisuellen und auditiven Medien im
täglichen Rhythmus für praktisch alle Jugendlichen die Regel ist, äußern sich jedoch beim
Medium »Buch« individualisiertere Nutzungsmuster.“ (Bonfadelli /Fritz 1995: 10,
Hervorhebungen im Original)
Es ist anzunehmen, dass „in einer Zeit des akzelerierenden medialen Wandels“ (Böck 2000:
10) gerade diese sehr individualisierten Nutzungsmuster für die Existenzsicherung des
Mediums „Buch“ sorgen. Buchlesen ist ein intimer Akt, der sehr unterschiedlich gestaltet und
erlebt wird. Dadurch vermag das Buch eine Nische zu besetzen, die Konkurrenzmedien
zumindest in dieser speziellen Form (noch) verwehrt ist.
„Das (...) gerne zitierte »Gesetz von Riepl« (1913), wonach neue Medienanwendungen die
älteren nicht vollständig verdrängen“ (Riepl 1913: o.S., zitiert nach Rössler 2003: 517), trifft
zum derzeitigen Zeitpunkt also auch auf das Buch zu.
Franz et al. (1999: 81) weisen ebenfalls darauf hin, dass „Lesen nicht in Konkurrenz,
sondern in funktionaler Interdependenz mit der Nutzung anderer Medien erfolgt“.
Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Buch seine Nische verteidigen und
seinen Platz gegen audiovisuelle Medien behaupten muss. Die Ergebnisse der JIM-Studie
2007 zeigen, dass zwar 92% der Jugendlichen in ihrer Freizeit mehrmals wöchentlich
fernsehen und 84% den Computer nützen, aber nur 37% in dieser Häufigkeit Bücher lesen
(vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2007: 12).
Haas (2008: 64) warnt davor, dass Gesetz der Komplementarität als „Beruhigungspille“ oder
Sicherheit gegen jedwede Veränderung zu interpretieren: „Komplementarität meint
Fortbestand, aber auch (...) Auf- bzw. Abstieg in der Hierarchie des
Kommunikationssystems.“ (Ebd.)
Klar ist, dass Jugendlichen nur ein bestimmtes Kontingent an Freizeit zur Verfügung steht,
sodass sie – folgt man der Argumentation des Constrained-Choices-Ansatzes (vgl.
Bonfadelli / Fritz 1995: 39) – vor einer „Entscheidungssituation mit mehreren
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Wahlmöglichkeiten (z.B. verschiedene Medien)“ (ebd.) stehen, „wobei Kosten und Nutzen
der verschiedenen Alternativen so gegeneinander abgewogen werden, dass die zu
erwartenden Gratifikationen möglichst hoch sind.“ (Ebd.)1
Im Sinne einer Leseförderung, die die Freude am Lesen in den Mittelpunkt stellt (vgl. Böck
2000: 10 bzw. 220) wird es daher zunehmend wichtiger, jene Gratifikationen
herauszustreichen, die das Buch als Pluspunkte gegenüber audiovisuellen Medien für sich
beanspruchen kann.
Bonfadelli und Fritz (1995: 37) sprechen in diesem Zusammenhang von der Frage nach der
„typischen funktionsakzentuierten Nutzung“ eines spezifischen Mediums.
Inwiefern werden z.B. die Harry-Potter-Bücher gegenüber den Harry-Potter-Filmen als
überlegen empfunden?2
Hypothese 1:
Beim Lesen gelingt es Jugendlichen, sich dem internalisierten „Fremdzwang der sozialen
Zeitinstitution“ (Elias 1997: XVIII) zu entziehen.
Bücher dienen der Entschleunigung. In einer Welt, in der die Maxime „Speed kills“
handlungsbestimmend ist, nutzen Jugendliche Bücher, um die Zeit zu „verlangsamen“:
LeserInnen werden von Büchern nicht „überrollt“, sie können im Gegenteil das
Rezeptionstempo selber bestimmen, können zurückblättern etc.
1
Diese Wahlmöglichkeiten sind jedoch nicht völlig frei, sondern durch äußere Umstände, wie etwa
Lesekompetenz oder Gerätebesitz eingeschränkt, also „constrained“.
2
Die Frage “Which do you prefer reading the Harry Potter books or watching the films?” wurde in
einer Online-Diskussion behandelt. Zum Zeitpunkt der Konsultation durch die Verfasserin gaben neun
von zehn TeilnehmerInnen an, die Bücher den Filmen vorzuziehen: 27.2.2008,
http://www.answerbag.com/q_view/617966 (20.3.2008)
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Hypothese 2:
Je höher die Investition (Konzentration, Eigenleistung3, Verfügbarkeit des Mediums), desto
höher die affektive Gratifikation.
Bücher erlauben den RezipientInnen, sich stärker einzubringen, wodurch es besser gelingt
der Außenwelt zu entfliehen als das z.B. bei Fernsehserien der Fall ist. Daraus resultiert ein
größeres Maß an „Involvement“ (Krämer 2004: 662) und in Folge umfassendere affektive
Gratifikationen.
Die Relevanz der Fragestellung liegt in ihrem Potential für die Leseförderung.
„Heute leben wir in einer Schriftkultur: auch wenn wir gerne sprechen und reden, schauen und
hören, so wird doch alles, womit es uns ernst ist – Religion, Recht, Wissen – schriftlich
niedergelegt. Fast immer begegnet es uns bereits in schriftlicher Form. Wenn Gesprochenes
bedeutungsvoll sein soll, dann geht ihm Schrift als Konzept voraus und es folgt ihm Schrift als
Protokoll.“ (Haas 2008: 50)
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, herauszufinden, welche Lesemotivationen jenen
Lektürebiografien zu Grunde liegen, die ebendiesen Abschwung nicht zeigen.
Lesemotivation kann im Anschluss an das „Erwartungs-Bewertungs-Modell gesuchter und
erhaltener Gratifikationen“ (Palmgreen 1984: 56, zitiert nach Burkart 2002: 234) als Produkt
von Erwartungen und Bewertungen der RezipientInnen auf der Suche nach Gratifikationen
gesehen werden.
Wer also die Erwartungen und Bewertungen kennt, die Jugendliche in Bezug auf Bücher
entwickeln, vermag sie unter Umständen zu nutzen, um Bücher auch Nicht- oder Wenig-
Lesern schmackhaft zu machen.
3
vgl. Böck 2000: 9
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2. Begriffsbestimmung
„Obwohl es altersmäßig keine eindeutigen Kriterien gibt, wird die Jugendphase gegenüber der
Kindheit meist durch den Beginn der Pubertät (12./13. Altersjahr) relativ homogen, aber gegen
oben hin durch die Übernahme des Erwachsenenstatus (Eintritt ins Erwerbsleben,
Familiengründung etc.) weit offener (17. bis 25. Altersjahr) abgegrenzt.“ (Bonfadelli / Fritz 1995:
26)
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich aus rein forschungspraktischen Gründen auf die
Lesemotivation von Schülern und setzt die Obergrenze daher bei 18. Jahren an.
Die Forschungsfrage, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, ist deutlich enger gefasst:
Sie bezieht sich ausschließlich auf das „Buchlesen“ - und hier vor allem auf das
stimmungsorientierte Lesen, das für die LeserIn „affektive, soziale und habituelle Funktionen“
(Bonfadelli / Fritz 1995:37) erfüllt.
Nicht berücksichtigt wird jedoch der literarische Anspruch der gelesenen Bücher, ob es sich
also um sogenannte Klassiker, um „pädagogisch wertvolle“ Lektüre oder um
„Schundromane“ handelt.
Diesbezüglich orientiert sich diese Arbeit an Falschlehner (14.11.2007): „Es gibt kein
schlechtes Buch. Das einzig schlechte Buch ist das, das nicht gelesen wird.“4
4
Interview mit Gerhard Falschlehner (Geschäftsführer des Österreichischen Buchklubs der Jugend) am
14.11.2007. Selektives Transkript liegt bei der Verfasserin auf.
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Die Perspektive der vorliegenden Arbeit ist rezipientInnenzentriert (vgl. Burkart 2002: 220)
und begreift Buchlesen in Anschluss an den Nutzen- und Belohnungsansatz als „aktives und
zielorientiertes (intentionales) menschliches Handeln“ (Burkart 2002: 219), bei dem „nicht
mehr die Frage »Was machen die Medien mit den Menschen?«, sondern deren – wohl
inzwischen meist zitierte – Umkehrung »Was machen die Menschen mit den Medien?«“
(ebd.) in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses rückt.
5
Franck, Georg (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München/Wien: Hanser
6
Die gewählten Beispiele entstammen den beantworteten Fragebögen (Frage Nr. 14)
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Überwiegen hingegen Nutzen und Anreize, vermag das Buch zu bestehen („Bücher lesen ist
viel cooler als fernsehen, denn ich lese das Buch wann und wo ich bin, beim TV bin ich an
das Programm gebunden.“7)
7
siehe Fußnote 5
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So gewinnen beispielsweise Bücher ihre konkreten Inhalte erst im Prozess der Aneignung
durch die LeserInnen. In der Berücksichtigung derartiger Verarbeitungs- und
Umgangsweisen der RezipientInnen mit den Medienangeboten liegt ein wesentlicher
Unterschied zur Wirkungsforschung. (Vgl. Theunert 1994: 394)
Die beschriebenen Ansätze zeigen, dass Mediennutzung im Rahmen des Nutzen- und
Belohnungsansatzes „deutlich anders konzipiert [wird] und (...) darum auch anders
operationalisiert und gemessen werden [muss] (...). Erfasst werden müssen dabei die
medienbezogenen Absichten des Rezipienten, die hinter der Medienzuwendung stehen.“
(Bonfadelli 1994: 356)
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4. Hypothesen (Kontext)
„Bücher erfüllen für den Leser bzw. die Leserin kognitive, affektive, soziale und habituelle
Funktionen“ (Bonfadelli / Fritz 1995:37). Es würde jedoch den Rahmen dieser
Forschungsarbeit sprengen, sich gleichermaßen mit allen Gratifikationen des Buchlesens zu
beschäftigen. Im folgenden sollen die beiden eingangs erwähnten Hypothesen untersucht
werden.
8
Das zeigt sich auch immer wieder in den Antworten, z.B. „Ich komme wenig zum Lesen (wegen Schule)“ oder
„Die Schule nimmt die Zeit zum Lesen weg“
9 „Bei gedruckten Medien gilt: Der Rezipient bestimmt den Ort, die Zeit der Nutzung und das Lesetempo.“
(Haas 2008: 40)
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Durch innehalten, zurückblättern, doppelt lesen, nachsinnieren und nicht zuletzt durch das
Malen von Bildern im Kopf setzen LeserInnen ihr höchst persönliches Lesetempo und ihren
höchst persönlichen Rhythmus um – und entziehen sich somit einem äußeren Zeitdiktat.
Wenn Bücher, wie Falschlehner (1997: 6) schreibt „alternative Lebensmodelle, Gegenwelten
zum eigenen Leben“ sein können, so sind gleichermaßen alternative Zeitmodelle.
Auch die von Messner und Rosebrock postulierte These, dass Lesen ein „Refugium für das
Unerledigte“ sei, eine „Art Nische und Enklave“ (Messner / Rosenbrock 1987: 157, zitiert
nach Eggert / Garbe 2003: 133), in der „eine Befriedigung vom in sonstigen Leben unerfüllt
bleibenden Wünschen und Bedürfnissen zu finden“ (ebd.) sei, weist auf die Bedeutung der
Lektüre für den Prozess der Adoleszenz hin.
Konstituierendes Moment beider Überlegungen ist die Fantasie der Jugendlichen.
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4.2.2.1 Empathie
Unter Empathie versteht Schön (1990: 261f, zitiert nach Eggert / Garbe 2003: 130f) die
Übernahme fremder affektiver Zustände: „Während Projektion die Empfindung dessen zur
Folge hat, was wir selbst in der Position eines anderen fühlen würden, besteht Empathie in
der Empfindung jener Emotion, die die andere Person fühlt.“
4.2.2.2 Projektion
Projektion bedeutet, dass die LeserIn „in den Text Vorstellungen hinein [legt], die ihrem
Bewusstsein entstammen. Sie sieht im Buch, die Probleme, die sie selbst beschäftigen.“
(Graf 2007: 112). Das Buch fungiert für den Leser als Spiegel: „Literarische Figuren
bestätigen das Selbstbild.“ (Ebd.)
4.2.2.3 Introjektion
Introjektion bezeichnet einen umgekehrten Prozess: Die fiktionalen Figuren werden als
Identitätsangebot gesehen. „Der Leser nimmt Vorstellungen aus Büchern ins Ich hinein, so
dass sie Teil des Verhaltens und Denkens werden.“ (Ebd.)
Der bekannteste Lesemechanismus „Identifikation“ umfasst ebenfalls alle drei Begriffe (vgl.
Graf 2007: 111)
Darüber hinaus weist Graf (2007: 113) auf eine weitere Kategorie des Phantasiebegriffs hin:
Die Simulation künstlicher Welten. Das „Hineinversetzen in eine Romanhandlung expandiert
zu einer Form der Welt-Imagination“ (ebd., Hervorhebung im Original).
Narrative Texte (im Gegensatz zu Sachbüchern oder Gebrauchsanleitungen) lassen den
LeserInnen bei der Ausstattung fiktiver Welten bewusst große „Gestaltungsfreiräume“
(Charlton / Pette 1999: 108) offen, d.h. die Leserinnen „haben einen individuellen Spielraum
für Bedeutungskonstruktionen, der z.B. über das in der Alltagskommunikation als tolerierbar
angesehene Ausmaß an rhetischer Unschärfe hinausgeht.“ (Ebd.)
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„Bei aller Sorgfalt, die man theoretischen Erörterungen angedeihen lassen kann, sind
Theorien im Grunde Entscheidungen über die Bedeutung und Bedingungen von erfassbaren
Erscheinungen der sozialen Wirklichkeit.“ (Atteslander 2003: 26)
Individuelle Einstellungen und erlebte / erhoffte Gratifikationen jugendlicher Leser sind
derartige Erscheinungen. Erfassbar werden sie durch Sprache.
Zur Überprüfung der Hypothesen wurde daher die Methode der Befragung gewählt, wenn
auch im Bewusstsein der Einschränkung, dass durch Sprache „immer nur ein Ausschnitt des
Erlebbaren und Erlebten erfasst wird“ (Atteslander 2003: 127).
5.1 Methode
„Die Befragung ist die in den empirischen Sozialwissenschaften am häufigsten angewandte
Datenerhebungsmethode. Man schätzt, dass ungefähr 90% aller Daten mit dieser Methode
gewonnen werden.“ (Bortz, Döring 2006: 236) Im vorliegenden Fall wurde eine schriftliche
Befragung gewählt, da dies von den Befragten im allgemeinen als anonymer erlebt wird, was
sich günstig auf die Bereitschaft zu ehrlichen Angaben, insbesondere bei emotionalen
Themen auswirken kann (vgl. Bortz, Döring 2006: 237).
Bei der Erstellung des Erhebungsinstruments wurden geschlossene und vereinzelte offene
Fragen verwendet.
6. Ergebnisse
Die Vermutung, dass Buchlesen ein „Fenster in der Zeit“ (siehe 4.1) darstellt, konnte insofern
bestätigt werden, dass 90% der Befragten angaben, sie hätten „schon einmal ganz die Zeit
vergessen“, während sie ein Buch gelesen haben. Ebenfalls gaben 90% der SchülerInnen
an, sie hätten das Gefühl, die Zeit verginge anders (z.B. langsamer oder schneller) während
der Lektüre. 71% nutzen Bücher, wenn sie sich zurückziehen und „ihre Ruhe haben“ wollen
(siehe Abbildung 1). Damit liegt das Buch als Rückzugsmöglichkeit weit vor den
Konkurrenzmedien Fernsehen (18%) und Computerspiel (11%).
Bei den erlebten Gratifikationen steht das Hineinversetzen in die fiktiven Charaktere an
erster Stelle. 47% gaben an, sich „sehr gut“ in die Figuren hineinversetzen zu können,
weitere 47% „eher gut“. (In Tabelle 3 wurden die Kategorien „trifft sehr zu“ und „trifft eher zu“
aus Gründen der Übersichtlichkeit zu einer Kategorie zusammengefasst.)
Fast ebenso gut gelingt es den SchülerInnen, beim Lesen „Abenteuer in einer anderen Welt
zu erleben“ (30% „trifft sehr zu“, 50% „trifft eher zu“). Die Aussage „Wenn in einem Buch
etwas Schönes passiert, macht mich das glücklich“ bestätigen 83%, während 76% angaben,
beim Buchlesen manchmal „laut lachen zu müssen“. Im Gegensatz dazu bekannten sich nur
50% der Befragten dazu, auch schon einmal bei einem Buch geweint zu haben – von den
LeserInnen, die diese Frage mit „trifft sehr zu“ beantworteten, waren 90% weiblich, was die
Vermutung nahe legt, es könne sich um ein Problem der sozialen Erwünschtheit handeln.
70% haben schon einmal eine Buchfigur sehr bewundert, jedoch wären nur 46% gerne
selber so wie ihre Lieblingsfigur. 53% der SchülerInnen waren „schon einmal richtig wütend
auf eine Figur aus einem Buch“.
Letztlich erwies sich auch bei der Frage nach den affektiven Gratifikationen die
Entspannungsfunktion von Büchern als vorrangig: 70% gaben an, besser einschlafen zu
können, wenn sie am Abend im Bett lesen.
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0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
8. Fazit
Will man gezielt Leseförderung betreiben, so scheint es eine sinnvolle Strategie, die Anreize
für das individuelle Lesen von Jugendlichen nach Möglichkeit so zu setzen, dass Buchlesen
als gesellschaftlich erwünschtes „Handeln (weitgehend) überflüssig wird, d.h. dass die
Individuen das gewünschte Verhalten schon aus Eigennutz zeigen“ (Heinrich 2001: 67).
Eine Möglichkeit für Rückzug und Entspannung einerseits, sowie eine Erweiterung der
eigenen Welt um fiktionale Welten und Identitäten – das sind die vorrangigsten Nutzen, die
adoleszente LeserInnen aus der Lektüre ziehen.
Allerdings müssen Jugendliche diese „Funktionspotentiale einer Rezeptionsform“ (Böck
2000: 27) erst kennen, bevor sie selbige für sich nutzbar machen können.
Die vorliegende Befragung hat gezeigt, auf welch vielschichtige Arten LeserInnen Bücher
nützen. Offen bleibt die Frage, wie jene Gratifikationen, die für LeserInnen klar erkennbar
und gewissermaßen selbstverständlich sind, auch Nicht-LeserInnen vermittelt werden
könnten. „Es gibt Bücher für allermann [sic!] und somit ist das Lesen für jeden offen“, schrieb
ein 13-jähriger Bub auf seinen Fragebogen. Das jedoch auch jenen zu vermitteln, für die das
Lesen keine sichtbaren Gratifikationen birgt, stellt eine wachsende Herausforderung für
PädagogInnen und Erziehungsberechtigte dar.
STEP 5, SoSe 08 - 19 - Kolisch Nicole
Dr. Margit Böck Matr. Nr. 9002037
9. Literaturliste
Atteslander, Peter (2003): Methoden der empirischen Sozialforschung. 10., neu bearbeitete
und erweiterte Auflage. Berlin, New York: Walter de Gruyter
Böck, Margit (2000): Das Lesen in der neuen Medienlandschaft. Zu den Lesegewohnheiten
und Leseinteressen der 8- bis 14-Jährigen in Österreich. Innsbruck / Wien: Studien-Verlag.
Bonfadelli, Heinz / Fritz, Angela (1995): Lesen im Alltag von Jugendlichen. In: Bonfadelli,
Heinz et al. (Hrsg.): Leseerfahrungen und Lesekarrieren. Studien der Bertelsmann Stiftung
(Lesesozialisation Bd. 2). Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, S.7-214.
Bortz, Jürgen / Döring, Nicola (2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und
Sozialwissenschaftler. 4., überarbeitete Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer.
Eggert, Hartmut / Garbe, Christine (2003): Literarische Sozialisation. 2., aktualisierte Auflage.
Stuttgart: Metzler.
Elias, Norbert (1997): Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II. Frankfurt am Main:
Suhrkamp.
Falschlehner, Gerhard (1997): Vom Abenteuer des Lesens. Salzburg / Wien: Residenz-
Verlag.
Graf, Werner (2007): Lesegenese in Kindheit und Jugend. Einführung in die literarische
Sozialisation. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Just, Natascha / Latzer, Michael (2003): Ökonomische Theorien der Medien. In: Weber,
Stefan (Hrsg.): Theorien der Medien. Konstanz: UVK-Verlag, S. 81-107
Möhring, Wiebke / Schlütz, Daniela (2003): Die Befragung in der Medien- und
Kommunikationswissenschaft. Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag.
Riepl, Wolfgang (1913): Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf
die Römer. Leipzig: Teubner. Zitiert nach: Rössler, Patrick (2003): Online-Kommunikation. In:
Bentele, Günter / Brosius, Hans-Bernd / Jarren, Otfried (Hrsg.): Öffentliche Kommunikation.
Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag,
S. 504-522.
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Dr. Margit Böck Matr. Nr. 9002037
Sander, Uwe / Vollbrecht, Ralf: Wirkungen der Medien im Spiegel der Forschung – Ein
Überblick über Theorien, Konzepte und Entwicklungen der Medienforschung. In: Hiegemann,
Susanne / Swoboda, Wolfgang H. (Hrsg.): Handbuch der Medienpädagogik. Theorieansätze,
Traditionen, Praxisfelder, Forschungsperspektiven. Opladen: Leske + Budrich, S.361-386.
10. Anhang
Ich wäre gerne so, wie der Held / 17% 37% 23% 23%
die Heldin aus meinem
Lieblingsbuch.
Ich habe schon einmal eine 14% 17% 35% 35%
Buchfigur sehr bewundert.
Frage 11: Würdest du in den folgenden Situationen lieber ein Buch lesen, Fernsehen (TV)
oder Computerspielen?
Buch TV Computerspiel
Wenn ich mich entspannen will 46% 50% 7%
Frage 12a: Viele Bücher werden auch verfilmt (z.B. Harry Potter, Die Chroniken von Narnia,
Herr der Ringe). Liest du lieber die Bücher oder siehst du dir lieber die Filme an?
10.2 Fragebogen
(Querformat, daher gesondert als Dokument angefügt)