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Islamische Staatsführung

Feste Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur heutigen


Umsetzung

Dr. Jasmin Pacic

1
Inhalt
Jasmin Pačić:
Islamische Staatsführung, Feste Rahmenbedingungen und
Möglichkeiten zur heutigen Umsetzung
Wien, 2008

Univ.-Ass. Dr. Jasmin Pacic, Institut für Arbeits- und Sozialrecht,


Universität Wien
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Obersten Gerichtshof in Wien

Erstausgabe: Mai 2008


1. Auflage: 100 Stück

Veröffentlicht von:
Deutscher Informationsdienst über den Islam (DIdI) e.V.
Postfach 11 03 64, 76053 Karlsruhe
www.didi-info.de
und
Europäische Gesellschaft für Friedensforschung und Dialog
zwischen den Kulturen (EiFDiK) e.V.
www.eifdik.de

Umschlaggestaltung: Nebil Messaoudi

2
Inhalt
Inhalt
Geleitwort 7
Vorwort 11
Abkürzungsverzeichnis 6
1 Grundlagen der Islamischen Staatsführung 15
1.1 Elementare Ziele des Islamischen Staates 15
1.2 Träger des Islamischen Staates 16
1.3 Verankerung in der Scharia 18
1.4 Grundsätzliches zum Staatsoberhaupt 19
1.5 Die Teilung der Verantwortung und die Partizipation des
Volkes an der Regierung 20
1.6 Der Kalif als Staatsoberhaupt 21
1.7 Die Wahl des Kalifen 22
1.8 Die Nachfolgeregelung 26
1.9 Anforderungen an den Kalifen 28
1.10 Die Absetzung des Kalifen 29
1.11 Der Anspruch des Stammes der Quraisch auf die
Staatsführung 32
1.12 Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen 35
1.13 Grundrechte im Islamischen Staat 40
1.14 Da’wa als Staatsaufgabe 45
1.15 Staatsgrenzen/ Staatssymbole/ Sprachen 47

3
Inhalt
2 Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung 49
2.1 Die besondere Stellung des göttlichen Gesetzes 49
2.2 Das Regierungssystem 50
2.2.1 Charakteristiken des Regierungssystems 50
2.2.2 Die Regenten 51
2.2.3 Die Stellung der Provinzen 52
2.2.4 Das Kriterium der Männlichkeit für Inhaber
von Befehlsgewalt 53
2.2.5 Verantwortlichkeitsprinzip 54
2.3 Die Amtsstellung des Kalifen 56
2.4 Ministerpräsident 59
2.5 Fachassistenten / Minister und Staatsräte 61
2.6 Das Parlament (Volksvertretung) und das Prinzip der
Schūra 64
2.7 Oberster Justizrat/ Fatwa-Rat 68
2.8 Die Gouverneure (Al – Wulāt) und
Statthalter/Kantonalvorsteher 69
2.9 Die Verwaltung 73
3 Rahmenbedingungen für die Legislative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung 79
3.1 Göttlich festgelegtes Recht 79
3.2 Normsetzung durch den Kalifen 81
3.3 Die Rolle des Allgemeininteresses 82

4
Inhalt
3.4 Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften
aus den Quellen der Scharia 83
4 Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/
Judikative und Möglichkeiten einer konkreten
Umsetzung 95
5 Politikbereiche 107
5.1 Grundsätzliche Staatsziele 107
5.2 Wirtschaft, Umwelt und Soziales 107
5.3 Der persönliche Lebensbereich 121
5.4 Nichtmuslimische Staatsbürger 133
5.5 Asylrecht 138
5.6 Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit 139
5.7 Bildungspolitik 146
6 Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen
Staatsführung 149
6.1 Grundsätzliches 149
6.2 Zusammenschluss zu einer islamischen Union 150
7 Islam und Demokratie 156
7.1 Islam in einem Demokratischen Staat 156
7.2 Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat 164
8 Schlussfolgerungen 168
Literaturverzeichnis 169

5
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
arab. arabisch
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
d. h. das heißt
etc. et cetera
f. folgende/r/s
ff. fort folgende/r/s
Fn. Fußnote
Nr. Nummer
r.a. radijallahu ’anhu/a/uma/um – Allah möge
mit ihm/ihr/ihnen beiden/ihnen zufrieden
sein
s.a.w.s. sallalahu ’alajhi wa sallam – Allahs Segen
und Heil seien auf ihm
sog. sogenannte/r/s
s.w.t. suhanahu wa ta’ala – gepriesen und
erhaben ist er (dies steht nur bei der
Erwähnung von Allah)
u.a. unter anderem/und andere
usw. und so weiter
z. B. zum Beispiel

6
Geleitwort
Geleitwort
Der Islam gewinnt in Europa zunehmend an Bedeutung.
Sie wird nicht nur durch Zuwanderer aus moslemischen
Gebieten in traditionell christlich geprägte Staaten gespeist,
sondern auch durch Mitteleuropäer, die sich zum Islam
bekennen. Muslime sind in Österreich nach den Angehörigen
der römisch-katholischen Kirche bereits die drittgrößte und
Wien schon die zweitgrößte religiöse Gruppierung. Dennoch
ist das Wissen um die Grundlagen des Islam im Westen wenig
verbreitet. Es sind vor allem aktuelle Ereignisse, die mit dem
Islam in Verbindung gebracht werden, und die Diskussion
bestimmen. So der Umstand, dass sich Terrororganisationen
zur Rechtfertigung ihrer Taten auf den Islam berufen und
Selbstmordattentate weitaus überwiegend von Menschen mit
moslemischem Hintergrund verübt werden. Oder Berichte,
wonach des Ehebruchs beschuldigte muslimische Frauen zum
Tod durch Steinigung verurteilt wurden. Unverständnis hat bei
vielen auch der gewaltsame Protest gegen provokante
Aussagen zum Islam erweckt, die der Westen als Ausfluss der
Meinungsfreiheit versteht. Viele empfinden das im Iran
realisierte politische System, das sich auf Anforderungen des
Islam beruft, als Bedrohung der westlichen Demokratie. Dabei
wird übersehen, dass es auch im christlichen Abendland
Verirrungen gegeben hat und noch immer gibt, die sich auf die
christliche Lehre berufen. Ein grundlegender Unterschied
besteht jedoch diesbezüglich zwischen dem Islam und der
römisch-katholischen Kirche. Diese verfügt über ein mit
absoluter Autorität ausgestattetes Lehramt, das in den zentralen
Fragen Einheitlichkeit garantiert. Eine ähnliche verbindliche
zentrale Festlegung des aktuellen Glaubensgutes kennt der
Islam nicht. In Zweifelsfragen werden Gelehrte um Rat gefragt,
die darauf in Form von Gutachten antworten, die je nach der
Bedeutung des jeweils Befragten auch überregionale

7
Geleitwort
Bedeutung erlangen können. Es kann daher nicht erstaunen,
dass es durchaus unterschiedliche Auslegungen der heiligen
Schriften des Islam gibt, ja zudem von Sunniten und Schiiten
nicht einmal dieselben Rechtsquellen herangezogen werden.
Es bedeutet daher eine wesentliche Hilfe für Nicht-
Muslime, umfassend in die Gedankenwelt des Islam zu Fragen
der Staatsführung eingeführt zu werden. Ein solcher Versuch
setzt Vertrautheit sowohl mit westlichem Recht als auch mit
der Scharia voraus. Die meisten dieser Versuche wurden von
Nicht-Muslimen unternommen. Das Besondere an diesem
Buch ist der Umstand, dass der Autor einerseits bekennender
Moslem ist, andererseits aber seine juristische Ausbildung im
westlichen Recht erhalten hat und in diesem Rechtsbereich
auch wissenschaftlich tätig ist. Er ist daher nicht nur in der
Lage, islamische Rechtsvorstellungen in einer dem westlichen
Juristen durchaus verständlichen Weise nahe zu bringen, er
verwendet dazu auch das methodische Rüstzeug europäischer
Juristen. Während in den meisten europäischen Staaten das
Recht kodifiziert ist und sich die Auslegung damit auf als
Normen formulierte Sätze stützen kann, gelten im Islam nicht
nur der Koran, sondern auch Aussagen des Propheten und
seiner Gefährten als Rechtsquellen. Diese beschränken sich im
Hinblick auf staatsrechtliche Fragen oft nur auf sehr allgemeine
Grundsätze, die unterschiedliche Deutungen zulassen. Daher
nimmt auch Pacic für sich nur in Anspruch, dass sich seine
Vorschläge im Rahmen des Interpretationsspielraumes
bewegen und daher als mögliche Ausgestaltungen eines
islamischen Staates gelten können. Sehr fruchtbar erscheint mir
sein Ansatz, zunächst die theoretischen Grundlagen islamischer
Staatsführung herauszuarbeiten, um dann die erforderlichen
Rahmenbedingungen und Möglichkeiten ihrer konkreten
Umsetzung zu diskutieren.

8
Geleitwort
Sein Buch darf nicht als Analyse einer bestehenden
staatlichen Rechtsordnung missverstanden werden. Pacic
zeichnet vielmehr ein idealtypisches Bild eines Staates, der auf
den Grundlagen bestimmter religiöser Vorstellungen beruht. Es
ist daher nur mit einem Buch vergleichbar, das etwa
darzustellen versucht, wie ein an römisch-katholischen
Wertvorstellungen orientierter Staat aussehen könnte. Das
besondere Anliegen des Autors gilt dem Versuch zu zeigen,
dass ein islamischer Staat nicht im Widerspruch zu
grundlegenden demokratischen Vorstellungen des Westens
stehen müsste. Er entwickelt seine Gedanken bei allen
Sachproblemen, die er anspricht, also etwa bei der Frage nach
zentraler oder föderativer Ordnung, nach der Kontrolle der
Regierenden, nach der Grenze der Regelungsmacht des
Gesetzgebers, nach dem Schutz der Privatsphäre, nach der
Rolle des Islam in einem nichtislamischen demokratischen
Staat und der Rolle der Nicht-Muslime in einem islamischen
Staat zunächst auf der Basis islamischer Positionen, um dann,
ausgehend von den im Westen gegebenen Antworten zu
analysieren, wie weit sie auch in einem islamischen Staat
verwirklicht werden können. Er weist nach, dass auch das
islamischen Recht den Schutz der Grundrechte kennt,
insbesondere den Schutz vor Diskriminierungen jeglicher Art
und damit auch aus religiösen Gründen, es sei denn,
Unterschiede seien sachlich gerechtfertigt oder in der Scharia
begründet. Am Ende seiner Untersuchung kommt er zu dem für
viele wohl überraschenden Ergebnis, dass auch im islamischen
Recht wesentliche Aspekte westlicher demokratischer
Vorstellungen verwirklicht sind, so die Verantwortung des
Volkes für den Staat, die Sicherung der Freiheit und der Rechte
der Bürger und vor allem die Gleichheit vor dem Gesetz auch
für Nichtmuslime. Er verschweigt allerdings nicht, dass im
Unterschied zu den westlichen Demokratiemodellen nach
islamischer Anschauung die Herrschaft des Gesetzes auf

9
Geleitwort
göttlichen Grundsätzen beruht und insoweit den Menschen
nicht zur Disposition steht. Dennoch gestatte eine extensive
Interpretation der islamischen Rechtsquellen die Entwicklung
eines Staatskonzepts, das weitgehend mit westlichen
Demokratievorstellungen vereinbar ist.
Das Buch räumt mit vielen Fehlvorstellungen über die
Scharia auf. Es zeigt, dass der Islam – wie in manchen Staaten
auch real umgesetzt - Raum für durchaus unterschiedliche
Staatskonzepte bietet, nach Auffassung des Autors jedoch
weder für ein autoritäres Regime noch eine absolute Monarchie
oder - wohl zur Überraschung mancher - eine Theokratie. Pacic
baut auf die Anpassungsfähigkeit von Grundsätzen, die vor
rund eineinhalb Jahrtausenden formuliert wurden und zeigt
damit einen Weg auf, wie sich der Islam vor allem in Europa
entwickeln könnte.

em. Univ-Prof. Theodor Tomandl, Wien

10
Vorwort
Vorwort
Bismil-lahir-rahmanir-rahim
Mit dem Namen Allahs des All-Gnade Erweisenden, des
Allgnädigen

In jüngerer Zeit rückt das islamische Staatssystem


immer häufiger in den Mittelpunkt des medialen Interesses.
Bedingt durch Verhaltensweisen einzelner Extremisten, geraten
die Muslime und mit ihnen der Islam unter Generalverdacht,
antidemokratisch zu sein und mit fundamentalen Grundsätzen
der säkularen Rechtsordnung nicht einverstanden zu sein. Dies
führt zu erschwerter Integration, weil Intoleranz ein Gefühl der
Fremdheit und Unerwünschtheit verursacht. Dabei wird oft
übersehen, dass der Islam keine Religion der Einwanderer und
Asylanten ist, sondern eine Weltreligion, die für jeden offen ist
und zu der sich auch immer mehr, ehemals christliche, Bürger
nichtmuslimischer Staaten bekennen. Der Islam ist also nichts
Fremdes. Er ist eine Lebensweise, die jedem offen steht.
Extremistische Äußerungen von manchen Personen, die
dem muslimischen Lager zugeordnet werden, einerseits und
islamfeindliche Hetzrufe von Mitgliedern rechter oder
nationalistisch ausgerichteter Parteien andererseits, wecken das
Bedürfnis eines Dialogs zwischen den Kulturen, der häufig
auch die Diskussion über Fragen nach Vereinbarkeit von Islam
und Demokratie, über den wahren islamischen Idealstaatstypus
oder über Vorgaben des Islam in Bezug auf zentrale politische
Fragestellungen zur Folge hat. Ein Dialog erfordert aber die
Rückkehr zu den islamischen Quellen, um die islamischen
Vorgaben von traditionsbedingten oder anderen Vorstellungen
zu trennen.

11
Vorwort
In dieser Arbeit wird eine Analyse des islamischen
Staatsrechts vorgenommen, um ein Beispiel dafür zu geben,
wie ein islamischer Staat in unserer Gegenwart aufgebaut sein
könnte und was seine Anliegen wären. Da die rechtlichen
Vorgaben der Scharia im Bereich des Staatsrechts oft nicht
detailliert sind und sich in der Normierung von allgemeinen
Grundsätzen erschöpfen, wurden beispielhafte Regelungen
herausgearbeitet, die ein islamischer Staat der Gegenwart
treffen könnte und die den Scharia-Vorgaben genügen, obwohl
andere Regelungen möglich sind.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass
manche rechtliche Ableitungen für den nichtmuslimischen
Leser mitunter schwer nachvollziehbar sein könnten, weil
einige Vorschriften als rechtserheblich angesehen werden, die
für Nichtmuslime in der Regel unter die Kategorie „Moral“
fallen. Hier seinen beispielhafte Verbote im Islam angeführt,
die Nichtmuslime mitunter als moralische Verbote auffassen
würden, denen aber im Islam rechtlicher Charakter zuerkannt
wird, unabhängig davon, dass die Einhaltung dieser Verbote
nicht erzwungen werden darf, wenn keiner dadurch geschädigt
wird: das generelle Verbot zu lügen oder zu betrügen, anderen
nachzuspionieren oder Verleumdungen auszusprechen. Auf die
Relevanz innerhalb der staatlichen Rechtsordnung, die
zwangsweise Durchsetzbarkeit oder auf Rechtsfolgen auf
dieser Welt kommt es dabei überhaupt nicht an. „Rechtlich“
wird alles beurteilt, was mit der praktischen Tätigkeit zu tun
hat.
Um Verwirrungen vorzubeugen muss daher beachtet
werden, dass in diesem Buch kein heute existierendes
staatliches Recht geprüft wird, sondern das religiöse islamische
Recht mit seinen Geboten, Verboten und Empfehlungen,
unabhängig davon, ob diese korrekt oder nicht umgesetzt
werden oder ob ihnen in einem (islamischen) Staat überhaupt

12
Vorwort
staatlich-rechtliche Relevanz zuerkannt wird. Gebote und
Verbote sind daher in dieser Darstellung immer rechtlich
relevant, Empfehlungen können hingegen nicht unmittelbar
rechtserheblich sein, sie können aber anzustrebende Staatsziele
beinhalten.
Fragen der Moral im islamischen Sinne stellen sich
folglich nur dann, wenn es sich nicht um Gebote oder Verbote
handelt, sondern um erwünschtes oder verpöntes Verhalten
oder wenn staatliche Normen nicht mit den religiösen
Vorgaben übereinstimmen beziehungsweise wenn die
staatliche Norm eine islamisch rechtlich vertretbare Regelung
beinhaltet, aber zweifelhaft ist, ob die betreffende Handlung
aus religiöser Sicht tatsächlich verboten/geboten ist oder nicht -
weil es für unterschiedliche Ansichten Argumente gibt.
Vereinfacht ausgedrückt: Es ist zwischen dem zu
unterscheiden, was der Islam vorgibt und dem, was der Staat
daraus macht.
Hierdurch soll ein Beitrag zum gegenseitigen Dialog
und zur reichhaltigen und fruchtbaren Diskussion geleistet
werden, sowie Muslimen und Nichtmuslimen ein tiefer
gehender Einblick in dieses, praktisch doch so wichtige,
Rechtsgebiet eröffnet werden. Die Wichtigkeit und Aktualität
des Rechtsbereichs „islamische Staatsführung“ zeigt sich allein
daran, dass sich zahlreiche Staaten der Gegenwart als
„islamische“ Staaten bezeichnen, obwohl sie sich in Ihren
Staats- und Regierungsformen deutlich unterscheiden.
Der Inhalt dieses Buches wurde detailliert mit einem
Teil der Dozenten des Deutschen Informationsdienstes über
den Islam erörtert und geprüft, um die Scharia- Konformität
sicherzustellen. Für diese großartige Unterstützung möchte ich
mich herzlich bedanken – dschazāhum-Allahu khairan.
Was Gutes darin liegt ist von Allah (s.w.t.) und was,
unbeabsichtigt oder mangels besseren Wissens, Schlechtes

13
Vorwort
oder Falsches darin liegen sollte, ist von mir und dem
Schaytan. Allah (s.w.t.) weiß es am besten.

Wien, 19. Februar 2008


Jasmin Pačić

14
1 Grundlagen
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
1.1 Elementare Ziele des Islamischen Staates
Ein Staat kann dann als „islamisch“ bezeichnet werden,
wenn sein Staatssystem auf den zu verinnerlichenden,
absoluten Glaubensgrundlagen (’Aqida) des Islam aufbaut,
dieser somit auf der Basis des islamischen Glaubens und der
islamischen Lebensordnung steht. Davon zeugt z. B. folgender
Qur’an-Vers:
„Jenen die, wenn wir ihnen auf Erden die Oberhand gegeben haben,
das Gebet verrichten und die Sozialabgabe (Zakat) entrichten und
Gutes Gebieten und Übles verbieten (, steht Allah bei) und Allah
bestimmt den Ausgang aller Dinge.“ (Qur’an 22/41)
Aus dem obigen Qur’an-Vers lässt sich folgern, dass
die politischen Machthaber verpflichtet sind, das Gebet und die
Sozialabgabe (Zakah) im islamischen Staat aufrecht zu
erhalten, sowie sich am Guten auszurichten und alles was
Übel ist, zu untersagen. Weitere Belege:
„[…] Wenn sie aber bereuen und das Gebet verrichten und die Sozialabgabe
(Zakah) entrichten, dann gebt ihnen den Weg frei. Wahrlich Allah ist
Allvergebend, Allbarmherzig.“ (Qur’an 9/5)
„Bereuen sie aber und verrichten das Gebet und entrichten die
Sozialabgabe (Zakah), so sind sie eure Brüder im Glauben. Und wir machen
die Zeichen klar für die wissenden Leute.“(Qur’an 9/11)
Der islamische Staat ist ein solcher, der jedenfalls nach
Gerechtigkeit strebt. Die Anordnungen und normativen
Anweisungen seitens des Staates müssen sich also an der
Gerechtigkeit und Billigkeit messen lassen.1

1
Vergleiche die Fatwa von Muzammil Siddiqi, Justice: Key to Peace and
Security, 04.03.2007.

15
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
„Allah befielt euch, die anvertrauten Güter ihren Eigentümern
zurückzugeben; und wenn ihr zwischen Menschen richtet, nach
Gerechtigkeit zu richten. Wahrlich, billig ist, wozu Allah euch ermahnt.
Allah ist allhörend, allsehend.“ (Qur’an 4/58).
„O ihr, die ihr glaubt! Setzt euch für Allah ein und seid Zeugen der
Gerechtigkeit. Und der Hass gegen eine Gruppe soll euch nicht (dazu)
verleiten, anders als gerecht zu handeln. Seid gerecht, das ist der
Gottesfurcht näher. Und fürchtet Allah; wahrlich, Allah ist eures Tuns
kundig.“ (Qur’an 5/8)
Die grundsätzliche Notwendigkeit eines islamischen
Staates für Muslime ergibt sich daraus, dass der Schutz der
menschlichen Güter am besten innerhalb eines staatlich
organisierten Gebildes wahrgenommen werden kann, und
daraus, dass viele Bereiche des islamischen Rechts das
Bestehen einer organisierten staatlichen Institution
voraussetzen, wie etwa das Strafrecht.2

1.2 Träger des Islamischen Staates


Träger des islamischen Staates ist die islamische
Gemeinschaft (Umma). Die Muslime stehen durch den Islam in
einer besonderen Verbindung zueinander, die nicht durch
Nationalismus oder sonstige, zur Spaltung führende,
Strömungen aufgelöst werden darf. Der Prophet (s.a.w.s) sagte:
„Das Beispiel der Gläubigen in ihrer gegenseitigen Liebe und
Barmherzigkeit für einander ist wie das Beispiel eines Körpers: Wenn ein
Teil des Körpers Schmerz erleidet, dann leidet der ganze Körper an
Schlaflosigkeit und Fieber.“ (Buhārī Nr. 511, Muslim Nr. 2586)

2
Siehe dazu folgende Fatwa: Group of Muftis, The Establishment of The
Islamic State, 26.01.2003, http://www.islamionline.net.

16
Träger des Islamischen Staates
In einer Überlieferung heißt es, dass zwei Männer zur
Zeit des Propheten (s.a.w.s.) stritten, wobei der eine einer
Gruppe der Muslime zurief und der andere der zweiten Gruppe.
Als der Prophet (s.a.w.s.) das hörte, sagte er: „Ist es wirklich
so, dass ihr mit den Rufen Zeit der Unwissenheit (Jahiliyya)
ruft, während ich noch unter euch weile?!“ (Buhārī)
Für die Pflicht der Muslime politisch
Zusammenzuhalten sprechen z.B. folgende Überlieferungen:3
Al-Harith Al-Aš’ari berichtet, dass der Prophet (s.a.w.s.) sagte:
„Ich befehle euch fünf Dinge, die Allah mir befohlen hat: die Gemeinschaft
(Ğema’ah), Hören, Gehorchen, die Auswanderung um Allahs Willen
(Hiğrah) und Anstrengung/Mühe (ğihad) auf dem Weg Allahs, dem
Gewaltigen und Majestätischen. Wer sich also eine Handbreite von der
Gemeinschaft trennt, wirft das Joch des Islam von seinem Nacken, bis er
bereut. Und wer mit den Rufen der Rufe der Tage der Unwissenheit ruft, so
ist er von den gehorteten Haufen des Höllenfeuers!“ Es wurde gesagt:
„Selbst wenn er betet und fastet?“ Also sagte er (s.a.w.s.): „Selbst wenn er
fastet und betet. Also ruft einander mit den Rufen Allahs, die Allah euch
gab: die Muslime, die Gläubigen, Diener Allahs.“ (At-Tirmidhi Nr. 2863,
At-Tilyalasi Nr. 1161)
Huzaifa ibn Al-Yaman, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete;
Die Leute pflegten, den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm,
über die guten Dinge zu fragen, und ich pflegte, ihn über das Übel zu
fragen, weil ich befürchtete, dass dieses in mich gelangt. Ich sagte: O
Gesandter Allahs, wir befanden uns in einer Ğahiliya (Unwissenheit
während der vorislamischen Zeit) und in einem Übel zugleich, und Allah
brachte uns dieses Gute (durch den Islam). Wird es nach diesem Guten
wieder Übel geben? Und er erwiderte: Ja! Ich sagte wieder: Und wird es
nach diesem Übel wieder Gutes bringen? Er sagte: Ja! Und es wird Spuren
des Verderbens haben. Ich fragte: Und wie sehen seine Spuren des
Verderbens aus? Er sagte: Es wird Menschen geben, die die anderen führen,

3
Siehe hierzu auch folgende Fatwa von Muzammil Siddiqi, Unity Among
Muslims, 29.01.2005.

17
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
aber nicht mit meiner Sunnah und nicht mit meiner Rechtleitung; von ihnen
wirst du Dinge bejahen und andere verabscheuen. Ich fragte: Wird es nach
diesem Guten wieder Übel geben? Und er sagte: Ja! Es wird Leute geben,
die die anderen soweit bis zu den Toren des Höllenfeuers aufrufen, und wer
ihnen folgt, den werden sie ins Feuer einführen. Ich sagte: O Gesandter
Allahs, beschreibe sie uns! Und er sagte: Ja! sie gehören äußerlich zu uns
und sprechen unsere Sprache. Ich sagte: Was befiehlst du mir, falls ich so
etwas erlebe? Der Prophet sagte: Bleibe stets mit der muslimischen
Gemeinde und mit deren Imam (Staatsführer) verbunden! Ich fragte: Wie,
wenn sie weder eine Gemeinschaft noch einen Imam haben? Er sagte: Dann
verlasse all diese Gruppen, auch dann wenn du an dem Stamm eines
Baumes mit deinen Zähnen festhalten würdest, bis der Tod dich ereilt,
während du dich noch in diesem Zustand befindest! (Muslim Nr. 3434)

1.3 Verankerung in der Scharia


Das Staats- und Regierungssystem eines
funktionierenden islamischen Staates muss auf der Scharia
Allahs (s.w.t.) beruhen:
„Und richte unter ihnen nach dem, was Allah herab gesandt hat, und
folge nicht ihren Neigungen, um von dem abzukommen, was an Wahrheit
zu dir gelangt ist.“ (Qur’an 5/48)
„… Und wer nicht nach dem richtet was Allah hinabgesandt hat - das sind
Ungläubige.“ (Qur’an 5/44)
„… Wer aber nicht nach dem richtet was Allah herniedergesandt hat - das
sind die Ungerechten.“ (Qur’an 5/45)
„… und wer nicht Urteil nach dem spricht, was Allah hinabgesandt hat - das
sind fürwahr Frevler“ (Qur’an 5/47)
„Nein, bei deinem Herrn, sie werden nicht eher gläubig sein, bis sie dich
zum Richter in allem erheben, was unter ihnen strittig ist, sie sodann in
ihren Herzen keinen Zweifel mehr hegen und sich vollends ergeben.“
(Qur’an 4/65)

18
Grundsätzliches zum Staatsoberhaupt
„Aus euch soll eine Gemeinschaft werden, die zum Guten aufruft,
gebietet, was recht ist und verbietet, was verwerflich ist.“ (Qur’an
3/104).
Die Menschen sind von Allah (s.w.t.) als Statthalter auf
Erden eingesetzt worden und haben auf dieser eine
Verantwortung wahrzunehmen. Allah (s.w.t.) sagt im Qur’an:
„Und er hat von sich aus alles, was im Himmel und auf Erden ist, in euren
Dienst gestellt.“ (Qur’an 15/13)
„Und er ist es, der euch zu Nachfolgern auf Erden machte […]“ (Qur’an
6:165).
Die Verantwortung der Wahrung der Güter, die Allah
(s.w.t.) als geschützt erklärt hat, kann am besten
wahrgenommen werden, wenn die Gemeinschaft der Menschen
staatlich organisiert ist.

1.4 Grundsätzliches zum Staatsoberhaupt


An der Spitze des islamischen Staates steht ein
Vorsteher - Imam, der aus den Reihen der Muslime gewählt
wird. Der Begriff „Imam“ beinhaltet keine religiösen
Implikationen, ungeachtet der Tatsache, dass der Vorbeter
beim Gemeinschaftsgebet idR als Imam bezeichnet wird. Man
kann davon ausgehen, dass die islamische Lebensordnung
jedem Individuum seinen Teil einer gewissen Verantwortung
auferlegt und, dass die letztendliche Verantwortung für das
Wohlergehen der Gemeinschaft durch eine Einzelperson
symbolisiert wird.
`Abdullah ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete,
dass der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte:
„Wahrlich, ihr seid alle Hirten, und jeder von euch ist verantwortlich für
seine Herde: der Imam, der über Menschen eingesetzt worden ist, ist ein
Hirte, und er ist verantwortlich für seine Herde. Und der Mann ist für die
Leute in seinem Haushalt ein Hirte, und er ist verantwortlich für seine

19
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
Herde. Und die Frau ist für die Leute des Haushalts ihres Mannes und für
seine Kinder eine Hirtin, und sie ist verantwortlich für sie. Und der Diener
eines anderen ist ein Hirte in Bezug auf den Besitz seines Herrn, und er ist
verantwortlich für dessen Besitz. Wahrlich, ihr seid dann alle Hirten, und
jeder von euch ist verantwortlich für seine Herde.“ (Buhārī Nr. 7138)

1.5 Die Teilung der Verantwortung und die


Partizipation des Volkes an der Regierung
Trotz dieser grundsätzlichen Ausrichtung auf eine
Einzelperson, wird die Verantwortung für die Wahrnehmung
des Schutzes von Allahs (s.w.t.) Scharia nicht allein dem
Staatsoberhaupt auferlegt, sondern zwischen allen Muslimen
aufgeteilt. Jeder Muslim ist verpflichtet nach seinem Vermögen
an der Beratung des Staatsoberhauptes teilzunehmen und ihn
zurechtzuweisen, falls er sich von der Scharia Allahs (s.w.t.)
entfernt.
Dies geht aus einem allgemeinen Grundsatz hervor, auf
dem das gesamte islamische Staatsrecht aufbaut und an dem
sich die Ziele der gesetzlichen Handlungen messen lassen
müssen: Das Gebieten des Guten und das Verwehren des
Üblen (Al-Amr bi al-Ma’ru’f wa al-Nahy ’an al-Munkar) - das
sog. Hisba-Prinzip.
Abu Sa`id, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Tariq ibn Schihab sagte: Marwan war der erste Kalif (Staatsoberhaupt der
Muslime), der mit der Predigt am Tag des Festes vor der Verrichtung des
Gebets begann. (Als er dies einmal tat), stand ein Mann auf und sagte zu
ihm: Das Gebet soll vor der Predigt verrichtet werden. Da sagte Marwan:
Das hat man heute schon unterlassen. Darüber sagte Abu Sa`id: Dieser
Mann hat seine Aufgabe (als Gläubiger) erfüllt. Ich hörte den Gesandten
Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagen: Wer von euch etwas
Verabscheuungswürdiges sieht, der soll es mit der (Tat) seiner Hand
verändern, und wenn er das nicht vermag, dann mit den (Worten) seiner

20
Der Kalif als Staatsoberhaupt
Zunge, und wenn er (auch) das nicht vermag, dann mit dem Wunsch
seines Herzens, und das ist das wenigste am Glauben. (Muslim Nr. 70)
Hudhaifa (r.a.) berichtet, dass der Prophet (s.a.w.s.) sagte: "Bei
Allah, in dessen Händen mein Leben ist, entweder ihr gebietet das Gute und
verbietet das Üble, oder Allah wird gewiss Strafe über euch senden; und
dann werdet ihr beten, aber eure Bitten werden nicht erhört werden." (At-
Tirmidhi)
Ein weiterer zentraler Grundsatz des islamischen
Staatsrechts, sowie der islamischen Lebensweise überhaupt,
aus dem sich die Pflicht zum politischen Engagement ableiten
lässt, ist das Prinzip der gegenseitigen Konsultation:
„[…] und deren Handlungsweise eine Sache gegenseitiger
Beratung ist […].“ (Qur’an 42/38)

1.6 Der Kalif als Staatsoberhaupt


Das Staatsoberhaupt, als Vorsteher (Imam) der Bürger
des islamischen Staates, trägt – nach dem Beispiel der
Prophetengefährten Abu Bakr, ’Umar, ’Uthman und ’Alī, die
Bezeichnung „Kalif“ (khalīfat rasūl Allah,- Nachfolger des
Propheten Allahs). Die Bezeichnung kann aber divergieren. Es
kommt lediglich auf die Position des Staatsoberhauptes als
Vorsteher des islamischen Staates an (Amir ul-mu’minīn),
weswegen weder die schlichte Bezeichnung „Imam“ oder der
Titel „Sultan“ (nach dem Vorbild des islamisch-osmanischen
Herrschers), noch „Präsident“ des islamischen Staates oder
ähnliches abträglich sind.
Abu Hazim (r.a.) sagte: „Ich war mit Abu Huraira fünf Jahre lang
und hörte von ihm, wie er einmal berichtete, dass der Prophet, Allahs Segen
und Friede auf ihm, folgendes sagte: „Die Kinder Israels wurden
gewöhnlich von Propheten geführt, und jedes mal, wenn ein Prophet

21
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
dahinging, folgte ihm ein anderer Prophet. Nach mir aber wird kein
Prophet mehr kommen. Es wird vielmehr Nachfolger (Kalifen) geben
[…].“ (Buhārī Nr. 3455)

1.7 Die Wahl des Kalifen


Niemand kann zum Kalifen berufen werden, ohne von
der islamischen Gemeinschaft gewählt und angelobt worden zu
sein. Dies entspricht der Vorgehensweise der Gefährten des
Propheten (s.a.w.s.) bei der Übertragung des Kalifen-Amtes an
die vier obengenannten Prophetengefährten nach dem Tod des
Gesandten Allahs (s.a.w.s.). Die Muslime berieten sich über
die Eignung und Qualifikation der in Fragen kommenden
Kandidaten für das Amt, wählten einen Kandidaten aus und
leisteten ihm den Treueid.4
Bei der ersten Einsetzung des Kalifen durch das Volk
empfiehlt es sich zunächst eine Volksvertretung bzw. ein
Parlament zu wählen (Mağlis al-Umma/ Šūra). Die
Volksvertretung kann die Kandidaten für die Wahl des Kalifen
eingrenzen und selbst Kandidaten vorschlagen. Dem Volk
müsste jedenfalls ausreichend Zeit bis zur Wahl gewährt
werden, um sich mit den Kandidaten und ihrer Eignung für das
Amt des Kalifen vertraut zu machen, denn im Gegensatz zur
Situation bei der ersten Kalifenwahl nach dem Tod des
Propheten (s.a.w.s.), als die Gefährten des Propheten (s.a.w.s.)
sich untereinander gut kannten und von den gegenseitigen
Vorzügen gut Bescheid wussten, gibt es heute Millionen von
Muslimen, sodass sich die Kandidaten bei der Wahl des

4
Siehe dazu z. B.: Fazl, Ahmad, Die Rechtgeleiteten Kalifen, Islamische
Bibliothek.

22
Die Wahl des Kalifen
Staatsoberhauptes eines islamischen Staates dem Volk erst
vorstellen müssen.
Es dürfen keine Personen zur Kalifenwahl aufgestellt
werden, die sich selbst darum reißen und lediglich nach Macht
streben.
Abū Mūsā (r.a.) berichtet: Mit zwei Männern aus meiner
Verwandtschaft kam ich zum Propheten (s.a.w.s.). Einer der beiden sagte:
„O Gesandter Allahs, mach uns zu Befehlshabern!“ Und der andere äußerte
sich in gleicher Weise. Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wir machen
niemanden zum Befehlshaber, der sich um einen solchen Posten bemüht
und danach strebt!“ (Buhāri, Muslim).
Abdu-r-Rahman ibn Samura (r.a.) berichtete: „Der Prophet, Allahs
Segen und Friede auf ihm, sagte zu mir: „Du `Abdu-r-Rahman, verlange
nicht nach der Führerschaft, denn wenn du sie nach eigenem Verlangen
innehast, wirst du ihr ausgeliefert sein. Und wenn du mit dieser ohne
eigenes Verlangen beauftragt wirst, so wird dir dabei geholfen werden und
wenn du über etwas schwörst und siehst, dass es besser wäre, wenn du
anders handeln würdest, so leiste die Sühne für deinen Schwur und tue, was
besser ist.“ (Muslim Nr. 3120)
In der Folge können dann alle erwachsenen Mitglieder
der Gemeinschaft, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind,
in freier und gleicher Wahl die Person, die sie für das Amt des
Kalifen für am besten geeignet halten, wählen. Gibt es viele
Anwärter oder ist das Ergebnis der Wahl zu knapp zwischen
den beteiligten Personen ausgegangen, ist eine Stichwahl
sicherlich sinnvoll. Man kann aber auch die Volksvertretung
(das Parlament) oder ein besonderes Gremium verschiedener
Vertreter unterschiedlicher Disziplinen und Gebiete den
Kalifen wählen lassen. Dies würde sich vor allem aus dem
Grund empfehlen, weil sich dieses Gremium besser von den
Eigenschaften und Qualifikationen der in Frage kommenden
Personen überzeugen kann, während die Masse der Menschen
nur über Werbung zum persönlichen Favoriten gelangt.

23
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
Dadurch würden auch extrem teure und verschwenderisch
geführte Wahlkämpfe, wie sie beispielsweise in den USA bei
der Wahl des Präsidenten geführt werden, vermieden werden.
Dennoch ist eine demokratische Legitimation gegeben, weil die
Volksvertretung oder dieses besondere Gremium vom Volk
gewählt werden. Jedenfalls muss eine sorgfältige Auswahl
nach gutem Charakter, Aufrichtigkeit und Fähigkeit erfolgen.
Nach der öffentlichen Verkündung des
Wahlergebnisses wird dem gewählten Kalifen durch die
Volksvertretung5 und die hohen Repräsentanten der
Gehorsams-Eid (Bai’a) geleistet, auf dass der Vorsteher der
Muslime nach dem Buch Allahs (s.w.t) und dem Beispiel (der
Sunna) des Propheten (s.a.w.s.) in Gerechtigkeit regieren
möge.
„O meine Diener, ich habe mir selbst die Ungerechtigkeit
untersagt. Ich habe die Ungerechtigkeit unter euch für Unrecht erklärt.
Daher tut anderen keine ungerechten Dinge an.“ (Hadith Qudsi - Muslim)
„Allah befiehlt euch, die anvertrauten Güter ihren Eigentümern
zurückzugeben; und wenn ihr zwischen Menschen richtet, nach
Gerechtigkeit zu richten. Wahrlich, billig ist wozu Allah euch ermahnt.
Allah ist allhörend, allsehend.“ (Qur’an 4/58).
Durch den Eid ist der Kalifatsvertrag zwischen der
Gemeinschaft (Umma) und ihrem Vorsteher/Staatsoberhaupt
wirksam geworden.
„Wir leisteten dem Gesandten Allahs die Bai’a (Eid), auf dass wir
hören und gehorchen, im Schwierigen wie im Leichten und in dem, was uns
lieb und unlieb ist.“ (Muslim von ’Ubada ibn al-Samit)

5
Die einzelnen Muslime können dem Kalifen indirekt, somit ohne auflegen
der Hand (wie dies bei den Gefährten (r.a.) des Propheten s.a.w.s. üblich
war) den Eid leisten; anders ist es bei der großen Menschenmenge nicht
denkbar.

24
Die Wahl des Kalifen
Abdullāh ibn ’Umar sagte: „Wenn wir dem Gesandten Allahs die
Bai’a (Eid) leiteten, auf das wir hören und gehorchen, sagte er uns immer:
Wozu du im Stande bist.“ (Buhārī und Muslim)
Yazid ibn Abu `Ubaid berichtete: „Ich fragte Salama: „Für was
habt ihr dem Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, am Tag von
Hudaibiyya den Treueeid geleistet?“ Er sagte: „Für den Tod!“ (Buhārī)
`Ubada ibn As-Samit berichtete: „Der Gesandte Allahs, Allahs
Segen und Friede auf ihm, sagte zu uns in einer Versammlung: „Leistet mir
den Treueschwur, dass ihr Allah weder etwas zur Seite stellt, noch stehlt,
noch Unzucht begeht, noch eure Kinder tötet, noch Schändlichkeiten durch
eure Hände und Beine begeht und dass ihr euch bezüglich der guten Werke
nicht ungehorsam verhaltet. Wer von euch dies erfüllt, der hat seinen Lohn
von Allah zu erwarten und wer immer etwas davon begeht und dafür eine
Strafe in dieser Welt erleidet, so gilt diese als eine Sühne dafür. Begeht
einer aber eine Tat davon und wird von Allah vor der Öffentlichkeit
geschützt, so ist das Urteil bei Allah: Wenn Er will, bestraft Er ihn, und
wenn Er will, vergibt Er ihm.“ So haben wir ihm aufgrund dessen den
Treueschwur geleistet.“ (Buhārī)
Abdullah ibn ’Umar berichtet, dass er den Gesandten Allahs sagen
hörte: „Wer seine Hand aus dem Gehorsam zieht, der trifft Allah am Tage
der Auferstehung ohne Entschuldigung, und wer stirbt ohne im Nacken eine
Bai’a zu tragen, der stirbt einen Tod der Ğahiliyya (Unwissenheit).“
(Muslim).
Die Wahl und Ablegung des Eides wird von allen
erwachsenen Mitgliedern der Gemeinschaft, die im Vollbesitz
ihrer geistigen Kräfte sind, in freier und gleicher Weise
durchgeführt.
„O Prophet! Wenn gläubige Frauen zu dir kommen um dir die Bai’a
(Eid) zu leisten, dass sie Allah nichts beigesellen, nicht stehlen, keine
Unzucht begehen, ihre Kinder nicht töten, kein erlogenes Unrecht zu ihren
Händen und Beinen begehen und sich dir in nichts, was rechtens ist,
widersetzen, dann nimm ihre Bai’a entgegen.“ (Qur’an 60/12).

25
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
`Aischa (r.a.) berichtete: Diejenigen, unter den gläubigen Frauen,
die sich dazu verpflichtet hatten, die haben den rechtmäßigen Treueid
geleistet. Immer wenn die Frauen ihren Treueid darauf leisteten, sagte ihnen
der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm: Geht los! Ich nehme
euren Treueid an. Bei Allah, es geschah zu keiner Zeit, dass die Hand des
Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, beim Leisten des
Treueids, die Hand einer (fremden) Frau berührt hat. Das geschah aber nur
mündlich. `Aischa berichtete weiter: Bei Allah, der Gesandte Allahs, ließ
die Frauen keinen Treueid ablegen, außer zu dem, was Allah, der Erhabene,
ihm befahl, und bei Allah, seine Handfläche berührte keine Handfläche
einer Frau. Wenn er ihren Treueid annahm, sagte er zu ihnen: Ich habe
euren Treueid mündlich angenommen. (Muslim)

1.8 Die Nachfolgeregelung


In weiterer Folge muss nach jedem Ausscheiden eines
Kalifen aus dem Amt innerhalb kurzer Zeit, am besten
innerhalb der nächsten drei Tage und drei Nächte, ein
Nachfolger gewählt und angelobt werden, damit die Zeit der
Unsicherheit nicht lang dauert und die Muslime sich nicht
spalten und dadurch geschwächt werden.
Der Kalif ’Umar (r.a.) sagte: „Wenn ich gestorben bin, dann beratet
euch drei Tage lang. […] Der vierte Tag darf aber nicht anbrechen, ohne,
dass ein Befehlshaber über euch feststeht.“6
Der Nachfolger kann wieder auf die gleiche Art und
Weise gewählt werden, entweder direkt oder indirekt vom
Volk. In diesem Zusammenhang sei folgende Überlieferung

6
Aus ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 87;
basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

26
Die Nachfolgeregelung
des Kalifen und Gefährten des Propheten (s.a.w.s.) ’Umar (r.a.)
erwähnt:
`Abdullah ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Es
wurde `Umar gesagt: Wirst du keinen Nachfolger ernennen? Er erwiderte:
Ernenne ich einen Nachfolger, dann werde ich es so machen, weil
jemand besser als ich, und zwar Abu Bakr, einen Nachfolger ernannt hat.
Ernenne ich keinen, dann werde ich es machen, weil jemand besser als
ich, und zwar der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, es so
gemacht hat. Der Überlieferer fügte hinzu: Als `Umar den Gesandten
Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, erwähnt hatte, erkannte ich, dass er
keinen Nachfolger ernennen wird. (Muslim Nr. 3399)
Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die
Ernennung eines Nachfolgers keine verbindliche ist, sondern
ein wertender und zu berücksichtigender Vorschlag, schließlich
ersetzt die Ernennung nicht die Anerkennung durch das Volk,
die Legitimation, und die Leistung des freiwilligen Treue-
Eides. Aus der obigen Überlieferung lässt sich auch auf die
Bevorzugung der Nichterwähnung eines Nachfolgevorschlages
schließen. Zudem muss man wissen, dass Abu Bakr ’Umar
(r.a.) nicht einfach zum Nachfolger erklärt hat, sondern, dass er
zuvor prüfen ließ, ob die Mehrheit hinter ihm steht. Ebenso
erfolgte eine Frage an die Bürger, ob sie die Auswahl
anerkennen würden. Die Auswahl ersetzt(e) somit nicht die
Zustimmung des Volkes.7

7
Vergleiche z.B. die Ausführungen im Skriptum von Shehzad Saleem,
Understanding Islamic Political Directives, http://www.studying-
islam.org; vergleiche ebenso Fazl, Ahmad, Die Rechtgeleiteten Kalifen,
29 ff., Islamische Bibliothek.

27
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
1.9 Anforderungen
Anforderungen an den Kalifen
Der Kalifatsanwärter sollte folgende Bedingungen
erfüllen: erwachsen; frei; Muslim; Vollbesitz der geistigen
Kräfte; ausreichende gesundheitlicher Eignung;
Rechtschaffenheit.
Im Vordergrund steht sein religiöser Charakter; nach
dem Vorbild der Auswahl der rechtschaffenen Kalifen (r.a.)
nach dem Tode des Propheten (s.a.w.s.).
„Und Allah wird den Ungläubigen über die Gläubigen niemals
Macht gewähren.“ (Qur’an 4/141)
„Von dreien ist die Feder enthoben worden: Vom Kind, bis es
geschlechtsreif wird, vom Schlafenden, bis er aufwacht, und vom Irren bis
er zu Sinnen kommt.“ (Abū Dawūd von ’Alī ibn Abī Tālib).
„Und wahrlich, richte unter ihnen nach dem, was Allah herab
gesandt hat.“ (Qur’an 5/48).
„Wer uns betrügt ist keiner von uns.“ (Muslim).
“Möge Allah beide verfluchen, denjenigen der Schmiergeld zahlt
und denjenigen, der es annimmt.“ (Ibn Hibban).
„Und diejenigen, die gläubigen Männern und gläubigen Frauen
ungerechterweise Ungemach zufügen, laden gewiss (die Schuld) der
Verleumdung und eine offenkundige Sünde auf sich.“ (Qur’an 33/58).
Al-Hasan berichtete: „Wir statteten Ma`qil ibn Yasar einen
Krankenbesuch ab, währenddessen `Ubaidullah zu uns herein trat. Ma`qil
sagte zu ihm: „Ich will dir von einem Hadith berichten, den ich vom
Gesandten Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, gehört habe, in dem er
sagte: „Es gibt keinen Machthaber, der über ein muslimisches Volk regiert
und stirbt, nachdem er es betrogen hatte, ohne dass Allah ihm das Paradies
verwehrt.“ (Muslim)
Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Der Imam ist ein
Schutz, man kämpft hinter ihm und sucht Schutz bei ihm. Wenn er dann zur

28
Die Absetzung des Kalifen
Taqwa (Allahs Furcht) aufruft und recht handelt, bekommt er seinen Lohn
dafür. Wenn er aber anders handelt, wird er die Konsequenzen tragen
müssen. (Muslim 3428)
Es ist strittig, ob der Kalif ein Mudschtehid sein muss,
also jemand, der die Eignung und das Wissen besitzt,
selbstständig rechtliche Ableitungen aus den Quellen des
islamischen Rechts durchzuführen (Idschtihād). Die
herrschende Ansicht sieht es nicht für erforderlich an, wenn
seine Berater bzw. nahe stehenden Minister ausreichend
qualifiziert sind. Er sollte aber zumindest rechtskundig sein,
weil er sonst auch nicht wüsste, wie er die unterschiedlichen
Meinungen der islamischen Rechtsgelehrten abwägen sollte. Er
sollte auch mit den Entwicklungen und Problemen des
jeweiligen Zeitalters vertraut sein, um seine Geschäfte
verantwortungsvoll wahrnehmen zu können. Denn jemand,
dem die Probleme nicht bewusst sind, der kann sie auch nicht
lösen.

1.10 Die Absetzung


Absetzung des Kalifen
Sollte eine der Ernennungsvoraussetzungen wegfallen,
kann der Kalif abgesetzt werden. Jedenfalls ist dies durch das
Oberste Gericht möglich (Mazālim-Gericht), zudem wäre es
sinnvoll, die Klagemöglichkeit für die Absetzung des Kalifen
einem Gremium zu übertragen, das aus verdienstvollen
Gelehrten der islamischen Wissenschaften besteht; dieser sei in
Folge „Oberster Justizrat“ genannt. Auch sollte es möglich
sein, auf Beschluss der Mehrheit der Volksvertretung
(Parlament), eine Klage gegen den Kalifen, auf Überprüfung
der Eignung, einzureichen. Denn wenn eine solche Mehrheit
zustande kommt, spricht viel für das Bestehen eines ernsthaften
Verdachts gegen den Kalifen, weswegen es für das friedliche
Weiterleben besser wäre, wenn dieser Verdacht durch ein

29
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
unabhängiges Gericht überprüft wird. Niemals kann eine
Absetzung bzw. ein Vorgehen gegen den Kalifen willkürlich
oder auf eigene Initiative erfolgen, sondern erfordert das
Befassen des Gerichts mit der Angelegenheit.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Abu Dharr, was tust du bei
Statthaltern, die diese Beutegabe an sich reißen und dich ausschließen?“ Er
antwortete: „Bei dem der dich mit der Wahrheit entsandte, ich lege mein
Schwert auf die Schulter und kämpfe damit, bis ich dich erreiche.“ Der
Gesandte sprach: „Soll ich dir etwas raten, was besser für dich ist? Übe
dich in Geduld bis du auf mich triffst!“ (Ahmad, Abū Dāwūd)
Das zuständige Gericht kann über die Absetzung des
Kalifen wegen Wegfalls der Eignung bzw. wegen Begehung
offensichtlichen Unrechts gegenüber den Menschen, durch ein
Verhalten, das nicht gerechtfertigt werden kann und daher zum
Wegfall der Rechtschaffenheit als Voraussetzung führt, nach
dem Maßstab der Scharia entscheiden.
„Und wenn ihr in einer Angelegenheit streitig seid, so führt es auf
Allah und seinen Gesandten zurück.“ (Qur’an 4/59).
´Alī, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Der Prophet,
Allahs Segen und Friede auf ihm, entsandte eine Kampftruppe, setzte über
sie einen Mann aus den Ansar ein und gab den Leuten seine Anweisungen
dazu, dass sie ihm Gehorsam leisten sollen. Später wurde dieser zornig über
sie und sagte: „Seid ihr nicht vom Propheten, Allahs Segen und Friede auf
ihm, dazu verpflichtet, mir Gehorsam zu leisten?“ Die Leute sagten:
„Doch!“ Der Mann sagte: „Dann befehle ich euch Brennholz zu sammeln,
Feuer anzuzünden und in dieses hineinzutreten!“ Die Leute sammelten das
Brennholz, zündeten das Feuer, und als sie beinah dabei waren, in dieses
hineinzutreten, blieben einige von ihnen stehen, schauten sich gegenseitig
an und sagten: „Wir folgten wahrlich dem Propheten, Allahs Segen und
Friede auf ihm, um vor dem Feuer zu entfliehen. Sollen wir nun in dieses
hineintreten?“ Während dessen ging das Feuer aus, und der Zorn des
Mannes ließ nach. Als er dies dem Propheten, Allahs Segen und Friede auf
ihm, berichtete, sagte er: „Wenn sie ins Feuer gegangen wären, wären sie
nicht aus ihm herausgekommen! Gehorsam ist nur im guten Sinne.“

30
Die Absetzung des Kalifen
Das richten nach einem Gesetz, das nicht dem Gesetz
Allahs (s.w.t.) entspricht, führt nicht automatisch dazu, dass ein
muslimischer Herrscher vom Islam abfällt. Seine Anweisungen
müssen also weiterhin befolgt werden (solange sie keine Sünde
im persönlichen Bereich bedeuten würden), bis der Herrscher
rechtmäßig abgesetzt worden ist.
Ali ibn Abi Talha berichtet von Ibn Abbas, dass dieser über „Und
wer nicht nach dem richtet, was Allah herabgesandt hat – das sind die
Kafirūn. (Qur’an 5/44)“ folgendes gesagt hat: „Wer das abstreitet, was
Allah herabgesandt hat, der hat Kufr begangen, d. h. ist aus dem Islam
ausgetreten. Wer bestätigt, dass dies die Wahrheit ist, sich jedoch nicht
daran richtet, der ist ein Ungerechter (arab. dhalim) bzw. ein Unterdrücker
und ein Frevler (arab. fāsiq).“ (Tabari)
Tāwūs berichtet, dass Ibn Abbas über „Und wer nicht nach dem
richtet, was Allah herabgesandt hat – das sind die Kafirūn. (Qur’an 5/44)“
folgendes gesagt hat: „Er begeht dadurch Kufr … Jedoch ist es eine Art des
Kufr, durch den man nicht aus der Religion (des Islam) austritt.“ (Al-
Hakim; Dhahabi und Albani erklären die Überlieferung [Hadith] für gesund
[sahih])8

8
Entnommen aus Mourad, Erläuterungen des Koran (Tafsīr), Band III, 123
f. Dort heißt es schlussfolgernd:
„Diese Aussagen beinhalten also u.a. Folgendes: Wenn ein heutiger
muslimischer Herrscher in einem muslimischen Land zwar an das Gesetz
Allahs glaubt und dies auch für die Wahrheit hält, jedoch aus Schwäche
oder z.B. aufgrund von Druck einer ausländischen Macht nicht nach dem
Gesetz Allahs richtet, dann begeht er zwar eine sehr große Sünde, ist aber
immer noch Muslim.
Ein Herrscher hat eine besonders große Verantwortung, weil durch seinen
Regierungsstil das Volk entweder Nutzen hat oder leidet. Aus diesem
Grund wird wohl die Sünde, dass der muslimische Herrscher nicht nach

31
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
Unter welchen Umständen bewaffneter Aufstand und
Rebellion gegen das Staatsoberhaupt schariarechtlich zulässig
sind, ist strittig. Die Mehrheit der Gelehrten geht aber davon
aus, dass ein bewaffneter Aufstand nicht zulässig ist, solange
das Staatsoberhaupt noch als Muslim betrachtet werden kann
und nicht sichergestellt werden kann, dass die Mehrheit der
Bevölkerung nach dem Sturz ein stabiles Regime errichten
kann.9 Schließlich ist eine schlechte Ordnung besser als
Anarchie.10 Von der Frage nach dem Recht zum Aufstand ist
aber die Frage nach dem Recht zum Ungehorsam zu
unterscheiden: Der Muslim schuldet keinen Gehorsam, wenn
ihm etwas befohlen wird, was mit der Scharia unvereinbar ist.

1.11 Der Anspruch des Stammes der Quraisch auf


die Staatsführung
Teilweise wird darüber gestritten, ob der Kalif dem
Stamme der Quraisch angehören muss. Diese Diskussion
gründet u.a. auf folgenden Überlieferungen:

dem Gesetz Allahs richtet, als Kufr bezeichnet. Und Allah weiß es
besser.“
9
Vergleiche hierzu folgende Fatwas: Dr. Ahmad Sa’eed Hawwa/ Dr.
Mahmoud ’Akkam, Overthrowing an Opressive Ruler, 29.04.2003; Group
of Muftis, Rebelling against Deviated Rulers, 20.07.2002,
http://www.islamonline.net.
10
Vergleiche folgende Fatwa: Group of Muftis, Backing the US-led War on
Iraq to Remove “Dictatorship”, 20.03.2003, http://www.islamonline.net.

32
Der Anspruch des Stammes der Quraisch auf die Staatsführung
Abdullah ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete;
Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Das Kalifentum
wird immer den Quraisch gebühren, auch wenn nur zwei Personen auf der
Erde bleiben. (Muslim 3392)
Dschabir ibn Samra, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Ich
hört. dass der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Die Angelegenheit der Menschen
wird solange gut verwaltet (wörtlich: läuft ohne Komplikationen, arab.
mādian), solange über sie 12 Männer eingesetzt sind.“ Dann sprach der
Prophet (s.a.w.s.) etwas, was ich nicht hörte. Daraufhin fragte ich meinen
Vater: Was hat der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) gesagt?“, worauf er sagte:
(Der Prophet (s.a.w.s.) sagte:) „Alle sind von den Quraisch.“ (Buhari)
Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete; Der
Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: „Die Herrschaft
über die Leute (d.h. die Araber) gebührt den Quraisch: Die Muslime der
Quraisch sind den Muslimen der Quraisch unterworfen, und die
Ungläubigen der Quraisch sind den Ungläubigen der Quraisch
unterworfen.“ (Muslim Nr. 3389)
Aus diesen Überlieferungen folgt aber nicht, dass nur
die Leute aus dem Stamm der Quraisch Befehlsgewalt
innehaben dürfen, denn der Prophet (s.a.w.s.) übertrug die
Befehlsgewalt sehr oft an Personen anderer Stämme und seine
Auswahl folgte nur der Eignung (etwa Abdullah ibn Rawaha,
Usama ibn Zaid oder Zaid ibn Haritha). Zudem sind die
relevanten Überlieferungen in diesem Zusammenhang in der
Mitteilungsform gehalten und nicht im Imperativ.11 Unter
Zugrundelegung des Verhaltens der Prophetengefährten
schließt die herrschende Ansicht, dass es nicht verbindlich ist,

11
Für sich alleine begründet diese Tatsache allerdings nicht die
Unverbindlichkeit.

33
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
dass der Kalif aus dem Stamm der Quraisch ist, dies
widerspräche auch dem Grundsatz des Islam, dass lediglich die
Qualifikation und die Gottesfurcht zählt und nicht die
Verwandtschaft oder die Freundschaft.12 Ebenso wird gegen
diejenigen argumentiert, die meinen, der Kalif müsse aus der
Sippe des Propheten (s.a.w.s.) stammen, somit ein Haschimit
sein. Die ersten drei (rechtschaffenen) Kalifen Abu Bakr,
’Umar, ’Uthman gehörten nicht zur Sippe des Propheten
(s.a.w.s.) und ihnen wurde allesamt der Treue-Eid geleistet und
somit die Rechtmäßigkeit der Herrschaft durch einen Konsens
der Prophetengefährten bestätigt. Die angeführten
Überlieferungen können höchstens als Beleg für eine
Vorzugseigenschaft eines Kalifen-Kandidaten dienen.
Besonders hingewiesen sei noch auf folgende Überlieferung:
Abu Musa, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Ich trat mit zwei von meinen Vettern bei dem Propheten, Allahs Segen und
Heil auf ihm, ein. Einer von ihnen sagte: Setze uns über einige Gebiete ein,
über die Allah, der Erhabene und Ruhmreiche, dich zum Herrn gemacht
hat! Der andere sagte auch wie der erste. Da sagte der Prophet: Bei Allah,
wir geben diese Führerschaft nicht demjenigen, der danach verlangt, oder
demjenigen, der sie begehrt. (Muslim 3402)
Man kann die obigen Überlieferungen zum Anspruch
der Quraisch aber auch im Zusammenhang mit folgendem
Qur’anvers betrachten:
„[…] und deren Handlungsweise eine Sache gegenseitiger Beratung ist
[…]“ (Qur’an 42/38)

12
Vergleiche hierzu folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, How Leadership Is
Decided in Islam, 24.10.2002, http://www.islamonline.net.

34
Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen
Sieht man nämlich die diesem Qur’anvers
entspringende Aussage darin, dass das islamische System auf
gegenseitiger Konsultation beruht, sodass die Entscheidungen
im Einvernehmen, und wenn kein Konsens hergestellt werden
kann, dann auf Grundlage der Mehrheitsentscheidung getroffen
werden, erklären sich die Überlieferungen fast von selbst und
stützt die These, dass dem islamische System bindende
Mehrheitsentscheidungen immanent sind. Die Quraisch
waren nämlich der Stamm, der das meiste Ansehen unter den
Arabern genoss, sodass davon ausgegangen werden konnte,
dass ein Staatsoberhaupt aus dem Stamm der Quraisch die
Anerkennung und den Rückhalt der Mehrheit der Bevölkerung
genießen konnte. Daher ist es naheliegend, dass der Prophet
(s.a.w.s.) auf diese Tatsache hinwies, um eine stabile
Regierung zu gewährleisten.13

1.12 Begrenzung der Anordnungsbefugnis des


Kalifen
Der Kalif kann nur solche Anordnungen geben, die sich
innerhalb der Scharia bewegen.
„Und richte unter ihnen nach dem, was Allah herab gesandt hat!“ (Qur’an
5/49).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wenn der Befehl zu einer Sünde
gegeben wird, so gibt es keinen Gehorsam“ (Buhārī, Muslim, Abu Dawūd,
Tirmidhi, Nasā’i).

13
Vergleiche hierzu folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, Is It Necessary for
Caliphs to be from Quraish?, 28.11.2002.

35
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
Wo die Scharia Raum lässt, können im Interesse der
Allgemeinheit und zum Gemeinwohl verbindliche Regelungen
erlassen werden.
„Und wenn ihr unter den Menschen richtet, so richtet mit Gerechtigkeit!“
(Qur’an 4/58).
Von Zaid ibn Tabit: „Der Gesandte Gottes hat das doch auch nicht
angeordnet! ’Umar sagte: Bei Gott, es wäre zum Wohl der Menschheit!“
(Buhāri).14
Meinungsunterschiede im Kernbereich der Scharia
werden durch den Rechtsspruch des Kalifen beseitigt, der einen
solchen erlässt, wenn dies im Allgemeininteresse notwendig
ist.
„Ihr Gläubigen! Gehorcht Allah und gehorcht dem Gesandten und
denjenigen unter euch, die die Befehlsgewalt innehaben.“ (Qur’an 4/59).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „[…] Einem Befehl darf
nur Folge geleistet werden, wenn er im Einklang mit Recht und Gesetz
steht.“ (Buhāri)
„[…] und dass wir die Befehlsgewalt denjenigen, die sie innehaben
nicht streitig machen. Er sagte: ’Es sei denn, ihr seht einen offenkundigen
Kufr (Unglauben), für den ihr von Allah einen definitiven Beweis habt.’
(Al-Buhārī von ’Ubāda ibn al-Sāmit).
Sein Rechtsspruch ist für alle bindend, auch wenn es
nicht der persönlichen Überzeugung entspricht, außer es
handelt sich um offenkundiges Unrecht.
Ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete; Der
Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: „Hören und Gehorchen ist
jedem muslimischen Menschen zur Pflicht, was er mag oder hasst, solange

14
Hier ging es um die Erstellung einer Qur’anausgabe in Buchform.

36
Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen
von ihm keine sündhafte Tat verlangt wird. Wird von ihm eine sündhafte Tat
verlangt, so darf er nicht hören und gehorchen.“ (Muslim)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wem etwas an seinem
Befehlshaber (Amīr) missfällt, der soll sich in Geduld üben, denn jeder der
sich von der Herrschaft eine Handbreit loslöst und stirbt, stirbt den Tod der
Ğahilīyya (Unwissenheit).“ (Muslim von ibn Abbās).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s) sprach zudem: „Wenn der Befehl zu
einer Sünde gegeben wird, so gibt es keinen Gehorsam“ (Buhārī, Muslim,
Abu Dawūd, Tirmidhi, Nasā’i).
Der Kalif kann auch von seiner Meinung abgehen,
wenn er zur Überzeugung erlangt, dass diese nicht richtig ist.
Jeder Bürger ist daher aufgefordert, politisch an der
Meinungsbildung des Kalifen durch Beratung und
Zurechtweisung zu partizipieren.
Der Prophet (s.a.w.s) sagte: „Und wenn du einen Eid geleistet hast und
später erkennst, dass eine andere Vorgehensweise besser ist, dann tritt von
deinem Eid zurück.“ (Buhāri).
Normative Akte und Urteile wirken aber nicht zurück,
auch wenn sie für die Zukunft durch eine Änderung in der
rechtlichen Ableitung verbindlich sind, sofern dies nicht den
Quellen der Scharia entgegenläuft.
Ibn Qudāma in Al-Muānī: „Wenn sich aber sein Iğtihād
(eigenständiges rechtliches Ableiten von Vorschriften) ändert, ohne einem
Offenbarungstext oder einer Iğma (übereinstimmender Konsens aller
Rechtsgelehrten) zu widersprechen, oder sein Iğtihād dem eines Vorgängers
widerspricht, so hebt er deswegen den früheren Rechtspruch nicht auf, weil
die Gefährten dies übereinstimmend billigten (Konsens).“15
Rechtssprüche und Ideen in den Bereichen der
Glaubenslehre (’Aqīda) und der gottesdienstliche Handlungen

15
Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 217;
basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

37
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
(’Ibādāt) sind unzulässig und nicht bindend, es sei denn, es ist
durch die Scharia gerechtfertigt. Hier erfolgt eine Trennung
von Theologie und Staat. Das Oberhaupt des islamischen
Staates ist kein Geistlicher und hat keine religiösen
Vorrechte. Die Glaubenslehre ist durch das Buch Allahs
(Qur’an) und die Sunna des Gesandten Allahs (s.a.w.s.)
dargelegt. So etwas wie die Statthalterschaft der
Rechtsgelehrten (wilayat-ul faqih), wie sie nach der iranischen
Verfassung vorgesehen ist, lässt sich nicht ableiten. Die
islamischen Rechtsgelehrten (fukāha) genießen zwar einen
besonderen Status im Ansehen, dies rührt aber vom Respekt
gegenüber jeglichem Wissen her und hat nichts mit der
rechtlichen Vorrangstellung zu tun, die es nicht gibt.
Usaid ibn Hudair, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Ein Mann aus den Ansar (den Helfern) nahm den Gesandten Allahs, Allahs
Segen und Heil auf ihm, beiseite und sagte: Wirst du mich nicht mit einer
Aufgabe (d.h. der Führerschaft) beauftragen, wie du Soundso mit einer
beauftragt hast? Da sagte der Prophet: Ihr werdet nach mir sehen, dass es
für manche Menschen gewisse Vorrechte geben wird, so harrt auf Geduld,
bis ihr mir wieder (am Tage des Jüngsten Gerichts) am Becken begegnet
seid.“ (Muslim)
Eine Vorrangstellung gibt es im Islam nur durch
Frömmigkeit. Die Rechtsgelehrten im Iran sind in eine
bestimmte Hierarchie eingegliedert, an deren Spitze tatsächlich
so etwas ein geistlicher Führer steht, der den Gegensatz zum
Präsidenten, quasi als weltlichem Führer, bildet. Eine solche
Klerus-Führungsschicht widerspricht den Grundprinzipien der
islamischen Denkweise und dem Vorbild des Propheten
(s.a.w.s.) und seiner Gefährten (r.a.), die in den Kalifen
politische Führer mit herausragender Stellung aufgrund ihres
Charakters und ihrer Gottesfurcht sowie ihres Wissens,
gesehen hatten, keineswegs jedoch geistliche Führer. Selbst der
Prophet (s.a.w.s.) galt nicht als unfehlbar, wenn er als Mensch

38
Begrenzung der Anordnungsbefugnis des Kalifen
handelte und richtete, es sei denn er hatte eine direkte
Offenbarung von Allah (s.w.t.).
Umm Salama, Allahs Wohlgefallen auf ihr, berichtete, dass der
Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, in seiner Eigenschaft als
Richter16 sagte: „Ich bin nur ein Mensch, und zu mir kommen von euch
Streitparteien. Es mag vorkommen, dass manche unter euch für deren
Anliegen im Wort gewandter sind als die anderen, und somit gebe ich ein
Urteil ab, das dem entspricht, was ich gehört habe. Zu wessen Gunsten ich
dann etwas von dem Recht seines Bruders gebe, der soll es nicht annehmen

16
Hierzu ein Auszug aus Mourad/Toumi, Methodenlehre, 138 f.:
Man kann die Aussagen und Taten des Propheten (s.a.s.) in folgende
Kategorien einteilen:
1. Solche, die er als Gesandter Gottes bzw. als Rechtsgelehrter getätigt hat -
im letzteren Fall hat Allah ihn gegebenenfalls korrigiert, nämlich, falls er
einen Fehler bzgl. einer Fatwa gemacht hat: Diese Taten und Aussagen des
Propheten (s.a.s.) sind verbindlich für alle Muslime und sind Teil der
göttlichen Rechtleitung. Man muss niemanden um Erlaubnis fragen, in
diesen Taten und Aussagen dem Propheten (s.a.s.) zu folgen. Beispiele:
Gottesdienstliche Handlungen und alle anderen religiösen Fiqhhandlungen
2. Solche, die er als Führer (arab. imam) getätigt hat. Hierbei hat er als
gewöhnlicher Mensch in einer Position des Führers einer Gemeinschaft
gehandelt. Diese Taten darf man als Muslim nur dann dem Propheten
(s.a.s.) nachmachen, wenn der Führer der islamischen Gemeinschaft, in der
man ist, die Erlaubnis dazu gibt, da es sich um organisatorische
Vorgehensweisen handelt, bei denen der Prophet (s.a.s.) als oberster Führer
die Freiheit des Handelns hatte, wobei er nur an die Gesetze Allahs
gebunden war und keinem Befehlshaber untergeordnet war. Will aber ein
Muslim, der nicht der oberste Führer ist, ebenso handeln, muss er vorher die
Erlaubnis seines Führers einholen. Beispiele: Das Aussenden von Armeen,
das Verteilen von Staatsgeldern, das Einsetzen von Statthaltern usw.
3. Solche, die der Prophet (s.a.s.) als Richter tätigte. Hier gilt entsprechend
das, was unter 2. bzgl. des Führers gesagt wurde. Beispiele: Wenn der
Prophet (s.a.s.) bzgl. Streitigkeiten zwischen den Prophetengefährten
gerichtet hat aufgrund des Wissens, das er im Rahmen einer
Gerichtsverhandlung hatte.

39
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
denn ich gebe ihm damit nichts anderes als ein Stück Glut aus dem
Höllenfeuer.“ (Buhārī Nr. 7169)

1.13 Grundrechte im Islamischen Staat


Alle Bürger des islamischen Staates genießen im
Rahmen der Scharia gleiche Rechte und Pflichten. Kein
Staatsbürger darf irgendeines durch die Scharia eingeräumten
Rechts beraubt werden. Es ist verboten, bei der Wahrnehmung
sämtlicher staatlicher Angelegenheiten, diskriminierend
vorzugehen. Es dürfen keine Unterschiede bei der Hautfarbe,
Volkszugehörigkeit, Religion, Geschlecht, politischer
Zugehörigkeit, sozialem Status etc. gemacht werden, außer dies
ist sachlich gerechtfertigt und in der Scharia begründet. Es
gibt keinen Vorzug eines Menschen über einen anderen, außer
durch Frömmigkeit und gute Werke. Hierzu einige Belege:
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Der Araber hat keinen Vorrang vor
dem Nichtaraber, der Nichtaraber keinen vor dem Araber, nicht der
Hellhäutige vor dem Dunkelhäutigen, nicht der Dunkelhäutige vor dem
Hellhäutigen, außer durch die Frömmigkeit“ (Rede bei der
Abschiedspilgerfahrt).
„O ihr, die ihr glaubt, seid fest in Wahrung der Gerechtigkeit und
Zeugen für Allah, mag es auch gegen euch selbst oder gegen Eltern und
Verwandte sein. Ob Reicher oder Armer, Allah hat über beide mehr
Rechte.“ (Qur’an 4/135).
„[…] Die ganze Menschheit stammt von Adam und Adam wurde
aus Lehm geschaffen.“ (Abu Dawūd).
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Sie (die Nicht-Muslime) haben die
gleichen Rechte und die gleichen Pflichten.“ (Imam Malik in Muwatta).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Beleidigst du diesen Mann
aufgrund seiner eigenen (schwarzen) Mutter? Wahrlich du besitzt immer
noch einige Gewohnheiten aus der vorislamischen Zeit. Sie ist vorbei. Sie

40
Grundrechte im Islamischen Staat
ist vorbei. Es gibt keine besondere Tugend oder Wert des Sohnes einer
weißen Frau über den einer Schwarzen außer in der Frömmigkeit und
Rechtschaffenheit oder in ihren guten Taten und Handlungen.“ (Ahmad)
„O ihr Menschen, wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen
und zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen
möget. Wahrlich der Angesehenste von euch vor Allah ist der
Gottesfürchtigste. Wahrlich Allah ist allwissend, allkundig.“ (Qur’an
49/13).
Jeder Mensch hat im Rahmen der Rechtsordnung des
islamischen Staates und der Prinzipien der Scharia
insbesondere das Recht auf:
Leben und Schutz der körperlichen Integrität zu
Lebzeiten und nach dem Tode,
 auf Gleichheit vor dem Gesetz,
 ein gerechtes Verfahren und rechtliches Gehör,
 Schutz des Vermögens,
 Schutz der Privatsphäre,
 der persönlichen Freiheit
 und der eigenen Wohnung,
 Schutz vor ungerechtfertigter Verfolgung
 und Willkür,
 Schutz der Ehre,
 Glaubens- und Gewissensfreiheit und
 Freiheit der Meinungsäußerung,
 Protest und Auflehnung gegen Unterdrückung,
 freie Wohnsitzwahl,
 Familiengründung,
 Schutz der Abstammung,
 die Bildung von Vereinen und die Organisation
41
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
 und Abhaltung von Versammlungen,
 Zuflucht vor Ungerechtigkeit,
 Erleichterung in Härtefällen,
 freie Bewegung und Aufenthalt,
 soziale Gerechtigkeit,
 die Befriedigung menschlicher
Grundbedürfnisse,
 Erziehung und Bildung,
 freie Berufswahl und -ausübung,
 zu wählen und gewählt zu werden,
 politische Partizipation und
 Unschuldsvermutung.
Hierzu einige Belege:17
„Wenn einer jemanden tötet, (und zwar) nicht für jemand anderen
(der von diesem getötet wurde) oder (zur Strafe) für Unheil (das er) auf
Erden (angerichtet hat), so soll es so sein, als ob er die ganze Menschheit
getötet hätte, und wen einer jemanden am Leben erhält, so soll es sein, als
ob er die Menschheit am Leben erhalten hätte.“ (Qur’an 5/32).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Den Knochen eines Toten
zu brechen ist ähnlich wie den Knochen eines Lebendigen zu brechen.“
(Abu Dawūd, Ibn Mağa, Ahmad).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wer ohne Recht etwas vom
Boden wegnimmt, wird in ihm am Tag der Auferstehung bis zur tiefsten
Hölle versinken.“ (Buhārī).

17
Vergleiche auch folgende Fatwa: IOL Shari’ah Researchers, Rights of
Citizens in an Islamic State, 29.06.2002, Bezug nehmend auf einen
Artikel zu diesem Thema, veröffentlicht von: The Institute of Islamic
Information and Education, http://www.islamonline.net.

42
Grundrechte im Islamischen Staat
„Der Gesandte Gottes - Gott segne ihn und schenke ihm Heil! -
wurde gefragt: Welcher Ğihad ist am besten? Er sagte: Ein Wort der
Wahrheit bei einem despotischen Herrscher“ (Nasa’i, Tirmidhi).
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Jede Frau, die fälschlicherweise ein
Kind zu ihrem Haushalt als wahres Kind ihres Ehemannes hinzunimmt,
wird nicht als Gläubige angesehen. Ferner wird Allah einer solchen Frau
nicht erlauben, das Paradies (Ğennah) zu betreten. Jeder Mann, der
fälschlicherweise seinen Sohn ablehnt, während er ihn doch sieht, dem wird
Allah eine Grenze zwischen Sich und ihm bauen. […].“ (Abu Dawud,
Nesa’i).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Euer Blut, eure Güter und
eure Ehre sind unverletzlich […].“ (Rede bei der Abschiedspilgerfahrt)
„Und wenn einer von den Heiden dich um Schutz angeht, dann
gewähre ihm Schutz, damit er das Wort Gottes hören kann! Hierauf lass ihn
(unbehelligt) dahin gelangen, wo er in Sicherheit ist.“ (Qur’an 9/6).
„Und alle werden nach dem eingestuft, was sie getan haben.“
(Qur’an 46/19).
„Ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen
Wesen geschaffen hat, und aus ihm das ihm entsprechende andere Wesen,
und der aus ihnen beiden viele Männer und Frauen hat hervorgehen lassen.“
(Qur’an 4/1).
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Der Anwesende soll den Abwesenden
unterrichten.“ (Rede bei der Abschiedspilgerfahrt)
„Er ist es, der euch die Erde untertan gemacht hat. Geht auf ihren
Schultern umher und esst von dem, was er beschert hat.“ (Qur’an 67/15)
„War denn die Erde Gottes nicht weit genug, so dass ihr darauf
hättet auswandern können?“ (Qur’an 4/97).

43
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
Die Würde des Menschen ist geschützt und jedes
Gesetz, jede Verordnung sowie jede Anordnung im
islamischen Staat, die die Menschenwürde verletzt, ist
nichtig.18
Der islamische Staat ist weder ein totalitärer
Unterdrückerstaat, noch ein Polizeistaat. Militär und
Sicherheitsbehörden haben die Schranken der Grundrechte
beim Umgang mit Bürgern zu beachten. Die Befugnisse der
Exekutive sollten im islamischen Staat am besten per
Verordnung ausführlich geregelt sein, damit es zu keinen
Ausschreitungen kommt.
„Und in Anbetracht der Barmherzigkeit Allahs warst du
(Muhammed) mild zu ihnen; wärst du aber rau und harten Herzens
gewesen, so wären sie dir davongelaufen. Darum vergib ihnen und bitte
für sie um Verzeihung und ziehe sie in der Sache zu Rate; und wenn du dich
entschlossen hast, dann vertraue auf Allah; denn wahrlich Allah liebt
diejenigen, die auf ihn vertrauen.“ (Qur’an 3/159).
Die von der Rechtsordnung geschützten Güter sind
gleichwertig, außer in Not- und Ausnahmesituationen, dann
gehen nach der Logik Leben und körperliche Integrität sowie
Freiheit dem Vermögen, der Ehre und anderen Gütern vor. Die
Menschenwürde darf aber nicht im Kernbereich angetastet
werden. Folter und Unterdrückung, egal ob physisch oder
psychisch, sind nach der islamischen Rechtsordnung absolut
unzulässig und werden strafrechtlich auf das Strengste verfolgt.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Diejenigen, die Menschen
in der Welt peinigen, wird Gott peinigen“ (Buhari, Muslim, Abu Dawud,
Tirmidhi, Nasa’i).
Jeder Mensch hat das Recht auf Notwehr und für jeden
gilt der Grundsatz „Not erlaubt Ausnahmen“.

18
Vergleiche Art. 7 b) Kairoer Erklärung der Islamischen Menschenrechte.

44
Da’wa als Staatsaufgabe
„Und es ist keine Sünde für euch, wenn ihr etwas versehentlich tut,
sondern nur, wenn euer Herz etwas absichtlich tut“ (Qur’an 33/5).
Um Machtmissbrauch seitens der Exekutive zu
verhindern und zu ahnden, könnte z.B. im islamischen Staat ein
Beobachter direkt vom Volk gewählt werden, der die
Handlungen der Polizei, Justizwache und des Militärs
beobachtet und entsprechende Schritte zur Verfolgung von
Ungerechtigkeiten, bei den Regenten und beim zuständigen
Gericht (wenn es sich um Vorkommnisse in der Justiz
handelt), einleitet.

1.14 Da’wa als Staatsaufgabe


Es zählt zu den Hauptaufgaben des Staates die
Grundfesten des islamischen Rechts zu bewahren und die
Botschaft des Islam nach innen und nach außen zu tragen.19
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „[…] ein Prophet wurde
immer nur zu einem Volk entsandt, ich aber an die gesamte Menschheit.“
(Buhārī und Muslim).
Die islamische Lebensweise kann nur sichergestellt
werden, wenn die Bürger den Islam praktizieren und wenn
danach getrachtet wird, die islamische Gemeinschaft zu
einigen.
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wer von euch einen Platz in der Mitte
des Paradieses haben will, der soll sich an die Gemeinschaft halten. Denn
der Satan ist mit dem Einzelnen und er ist von zweien schon weiter weg.“
(Tirmidhi)

19
Vergleiche auch folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, The Obligation of
Making Da’wah, 17.10.2002.

45
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
Die Verkündung des Islam soll aber auf die beste Weise
und durch gutes Beispiel, nämlich durch die Sicherstellung der
Gerechtigkeit, erfolgen.
„[…] Der Kalif Alī (Allahs Wohlgefallen sei auf ihm) verlor einmal
seine Rüstung, welche er bei einem Christen wiederfand. Daraufhin
brachten sie die Angelegenheit vor den Richter Schuraih. Ali sagte: „Die
Rüstung ist meine, ich habe sie weder verkauft noch verschenkt.“ Daraufhin
befragte Schuraih den Christen nach dem, was der Kalif gesagt hatte. Da
sagte der Christ: „Die Rüstung ist meine. Der Befehlshaber der Mu’minun
(d.h. der Kalif) ist jedoch für mich kein Lügner.“ Schuraih wandte sich
daraufhin zu Ali und fragte ihn: „Hast du einen Beweis für deine
Behauptung?“, woraufhin Ali lachte und sagte: „Schuraih hat richtig
gerichtet, ich habe keinen Beweis.“ Daraufhin sprach der Richter dem
Christen die Rüstung zu, weil sie sich in seinen Händen befand und Ali
keinen Beweis erbracht hatte, dass die Rüstung dem Christen trotzdem nicht
gehörte. Da nahm der Christ die Rüstung und ging weg. Er ging nur einige
Schritte, kam dann zurück und sagte: „Ich bezeuge, dass dies Gesetze sind,
nach denen Propheten richten. Der Kalif bringt mich zu dem von ihm
eingesetzten Richter, der dann mir das Recht zuspricht gegen den
Kalifen! Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass
Muhammad der Gesandte Allahs ist. Die Rüstung ist deine Rüstung o Kalif
[…] ich bin dem Heer gefolgt, als du von Siffin weggingst. Da ist die
Rüstung von deinem Kamel gefallen.“ Daraufhin sagte Ali (Allahs
Wohlgefallen sei auf ihm): „Da du nun Muslim geworden bist, soll die
Rüstung dir gehören!“ (Ibn Kathir in Al-bidaya wan-nihaha [Der Anfang
und das Ende]; Tirmidhi; Hakim)
Es gibt keinen Zwang im Glauben. Die islamische
Denkweise darf den Menschen nicht aufgezwungen werden,
etwa durch strenge Sittenwächter, die weitgehende
Zwangsbefugnisse haben und die religiöse Moral mit Gewalt
durchzusetzen versuchen. Die Maxime des Islam ist vielmehr
Milde und gutes Vorbild, sowie Erleichterung für die
Menschen.

46
Staatsgrenzen/ Staatssymbole/ Sprachen
„Hätte dein Herr es gewollt, dann wären alle auf Erden Gläubige
geworden. Willst du also die Menschen dazu zwingen Gläubige zu werden?
[…]“ (Qur’an 10/99-100)
„Und durch Barmherzigkeit von Allah warst du mild zu ihnen.
Wärest du aber barsch und harten Herzens gewesen, dann wären sie
bestimmt von dir weggelaufen […]“ (Qur’an 3/159)
Abu Huraira berichtet in einer Überlieferung von Buhari: „Ein
Wüstenaraber stand auf und urinierte in der Moschee. Als die Leute nach
ihm griffen, sagte der Prophet (Allahs Segen du Heil auf ihm): „Lasst ihn
und gießt einen Eimer Wasser – oder etwas mehr – auf seinen Urin; denn
eure Aufgabe besteht darin, es den Menschen leichter zu machen, nicht es
ihnen zu erschweren.““

1.15 Staatsgrenzen/ Staatssymbole/ Sprachen


Die Grenzen des Staates, die Hauptstadt, die Flagge und
das Wappen des Staates sind durch die islamischen Quellen
nicht vorgegeben und können nach Notwendigkeit
unterschiedlich festgelegt werden. Zur Zeit des Propheten
(s.a.w.s.) wurden schwarze und weiße Fahnen benutzt. Die
Hauptstadt des geschichtlichen Kalifats wurde mehrfach
verlegt.
Die arabische Sprache ist die Sprache des Qur’an,
weswegen es empfehlenswert wäre, sie als offizielle Sprache
des Staates und als Pflichtfach in den Schulen festzulegen. Jede
Provinz (Wilāya) sollte aber zudem eine oder mehrere weitere
Amtsprachen festlegen, in der/denen auch der Unterricht
geführt werden darf, die sich nach den repräsentativen
Volkssprachen in der Provinz richten. Sprachliche
Minderheiten haben das Recht Privatschulen in ihrer Sprache
zu führen. Die Unterschiede in den Sprachen sind ein Zeichen
und eine Gnade Allahs, die es uns ermöglichen und anregen

47
Grundlagen der Islamischen Staatsführung
sollen, uns gegenseitig besser kennenzulernen. Es gibt keinen
Vorzug eines Arabers vor einem Nichtaraber oder einen
Vorzug irgendeiner Volksgruppe vor einer anderen, daher
dürfen die Sprachen und Merkmale der Volksgruppen nicht
zurückgedrängt werden, sondern müssen nebeneinander und in
Verbindung mit einander existieren. Es ist nur deswegen
sinnvoll, die arabische Sprache als offizielle
Gesamtstaatsprache zu normieren, weil es besser ist, wenn sich
die Bürger an jedem Ort des Staates verständigen können und
weil dadurch sichergestellt wird, dass alle Muslime denselben
Zugang zu den Quellen des Islam, dem Qur’an und der
Überlieferungen des Propheten (s.a.w.s.) haben, wodurch ihre
Ausbildung in ihrer Religion erleichtert wird.
„Und zu seinen Zeichen gehört die Schöpfung der Himmel und der
Erde und der Unterschied eurer Sprachen und Farben.“ (Qur’an Ar-Rum,
22)

48
2 Rahmenbedingungen
Rahmenbedingungen für das
Regierungssystem und Möglichkeiten einer
konkreten Umsetzung
2.1 Die besondere Stellung des göttlichen Gesetzes
Die Souveränität liegt weder beim Volk noch beim
Kalifen, sondern einzig und allein im Gesetz, in der Scharia.
Niemand, auch nicht der Kalif steht über dem Gesetz. Ein
solches System, das die Ausübung der Herrschaft nur nach
einem Regelwerk erlaubt, das dem Zugriff des Herrschers
weitgehend entzogen ist, nennt man Nomokratie.20
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wer in dieser unserer Angelegenheit etwas
neues hervorbringt, was nicht dazugehört, so ist es zurückzuweisen.“ (Al-
Buhārī und Muslim von Aischa).
Die Verantwortung für die Durchführung der Scharia
liegt allerdings bei der Gemeinschaft (Umma) und die
Regierung geht aus der Gemeinschaft hervor.
„Das Beispiel der Gläubigen in ihrer gegenseitigen Liebe und
Barmherzigkeit für einander ist wie das Beispiel eines Körpers: Wenn ein
Teil des Körpers Schmerz erleidet, dann leidet der ganze Körper an
Schlaflosigkeit und Fieber.“ (Buhārī Nr. 511, Muslim Nr. 2586)
Der islamische Staat ist ein menschlicher und kein
theokratischer Staat.21 Die Theokratie beruht auf dem
Gedanken der Herrschaft von Gottes Gnaden. Die Herrschaft

20
Griechisch nomos – das Gesetz und kratos - die Macht/Herrschaft, somit
in der Bedeutung: Gesetzesherrschaft. Nomokratien waren
grundsätzlich alle Staaten, die auf dem Gesetz Gottes gründeten, so auch
der jüdische Staat. Vergleiche dazu Cohn, Marcus, Wörterbuch des
Jüdischen Rechts (Neudruck 1980), - Jüdisches Staatsrecht.
21
Siehe hierzu: Fatwa von Sheikh Faysal Mawlawi, The Islamic State:
Democratic or Theocratic?, 05.06.2003, http//www.islamonline.net.

49
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
im islamischen Staat wird jedoch nach dem schon bestehenden
Gesetz, der Scharia, durchgeführt. Es werden keine göttlichen
Rechtsnormen erlassen, es gilt nur das göttliche Recht zu
interpretieren, wobei die Herrschenden nicht als unfehlbar
gelten.
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte in seiner Eigenschaft als Richter22:
„Ich bin nur ein Mensch und zu mir kommen von euch Streitparteien. Es
mag vorkommen, dass manche unter euch für deren Anliegen im Wort
gewandter sind als die anderen, und somit gebe ich ein Urteil ab, das dem
entspricht, was ich gehört habe. Zu wessen Gunsten ich dann etwas von
dem Recht seines Bruders gebe, der soll es nicht annehmen, denn ich gebe
ihm damit nichts anderes als ein Stück Glut aus dem Höllenfeuer.“ (Buhārī
Nr. 7169)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Es gibt keinen Diener, der
von Allah zum Herrscher über ein Volk gemacht wird und dann stirbt,
nachdem er es betrogen hatte, ohne dass Allah ihm das Paradies verwehrt.“
(Muslim)

2.2 Das Regierungssystem


2.2.1 Charakteristiken
Charakteristiken des Regierungssystems
Das Regierungssystem des islamischen Staates ist
einheitlich mit föderativer Ausprägung. Die Gouverneure
der Provinzen zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) und im
nachfolgenden Kalifat regierten selbstständig, doch waren sie
an Anweisungen des Propheten (s.a.w.s.) bzw. an
Rechtssprüche des Kalifen gebunden, wenn solche aufgrund

22
Vergleiche hierzu die Ausführungen in Fn. 14 aus Mourad/Toumi,
Methodenlehre, 138 f.

50
Das Regierungssystem
der allgemeinen Notwendigkeit festgelegt wurden. Es besteht
jedoch keine Notwendigkeit für eine zentrale Verwaltung. Im
Gegenteil, es ist sogar besser die Verwaltung in einem
Vielvölkerstaat dezentral zu gestalten, damit diese von den
Provinzen selbstständig durchgeführt wird, sodass die
Menschen in keinem Gebiet das Gefühl haben sollen, es werde
ihnen etwas bloß oktroyiert und ihnen die Selbstständigkeit
abgenommen; denn das kann zu Autonomiebestrebungen und
dies wieder zu Spaltung führen.

2.2.2 Die Regenten23


Regent auf Gesamtstaatsebene ist primär der Kalif. Zu
den Regenten kann auch der persönliche von ihm ernannte
bevollmächtigte Assistent (Großwesir) gerechnet werden.
Dieser sei in der Folge zur leichteren Begrifflichkeit
Ministerpräsident genannt.
Der Staat gliedert sich in Provinzen (Wilāyāt), denen
ein Gouverneur (Wālī) als Regent vorsteht und diese
wiederum in Landkreise (’Imāla), deren Vorsteher z. B. als
Statthalter bezeichnet werden könnten. Die Bezeichnungen
sind jedoch irrelevant und können auch anders lauten. Fest
steht, dass es sowohl zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.), als auch
während des Kalifats, solche Aufteilungen in Gebiete und
Untergebiete gegeben hat und dass über sie Regenten
eingesetzt wurden.

23
Vergleiche zum Klassischen islamischen Regierungssystem; Prof.
Tamara Sonn (University of South Florida), Political Authority in
Classical Islamic Thought, http://www.islamonline.net.

51
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Auf Gesamtstaatsebene ist in den Regierungsprozess
jedenfalls noch die gewählte Volksvertretung, die man als
Parlament (Mağlis asch-Schura) bezeichnet kann, als
allgemeiner Repräsentant der Bevölkerung, eingebunden,
sowie verschiedene Personen, mit Fachkenntnissen aus
diversen Wissenszweigen. Letztere können hier als Minister
(Wesire) bezeichnet werden. Diesen Ministern kann und sollten
(hierzu weiter unten) weitere Personen beigegeben werden,
hier seien sie als Staatsräte bezeichnet. Zudem wäre ein
Oberster Justizrat (näheres weiter unten) in einem
islamischen Staat der Gegenwart erforderlich. Es sollte auch
auf Provinzialebene eine Volksvertretung (mit Provinzialräten)
geben (aufgrund großer Flächen und zahlreicher Bevölkerung),
genauso wie dem Statthalter etwa ein Kantonalrat bzw.
Landkreisrat beigegeben sein sollte.
Auf die einzelnen an der Regierung Beteiligten und die
Rechtfertigung ihres Bestehens, wird weiter unten gesondert
eingegangen.

2.2.3 Die Stellung der Provinzen


Den Provinzen und Landkreisen sollte weitest
mögliche Selbstständigkeit in ihren Belangen gewährt
werden, weil der islamische Staat kein Staat ist, der unterdrückt
und die Völker Gelegenheit haben sollen, sich im Rahmen der
Scharia auf gerechtfertigte Weise unterschiedlich zu entfalten
und zu engagieren. Zudem ist es eine Bereicherung, wenn mit
Problemen auf unterschiedliche Weise ungegangen wird, weil
man so von einander lernen kann. Auch kennen die kleineren
Gebietskörperschaften ihre Angelegenheiten und
Besonderheiten wesentlich besser, als ein Vertreter auf
Gesamtstaatsebene.

52
Das Regierungssystem
Höherrangige Normen derogieren jedoch immer den
Normen niederen Ranges, der Kalif ist schließlich der
Letztverantwortliche für die Normsetzung und Wahrnehmung
der Angelegenheiten der Bevölkerung. Wäre dem nicht so,
würden sich die Provinzen immer mehr vom Gesamtstaat und
damit vom Kalifen entfernen und entfremden und die
rechtmäßige islamische Staatsführung würde zu einem
Formalkriterium degradiert. Auch Gelehrte während der Zeit
des islamischen Kalifats setzten sich für die Begrenzung der
Macht der Provinzgouverneure und die Stärkung des Kalifen
ein, so etwa Al Mawardi in seinem klassischen Werk „Al
Ahkam al-Sultaniya“ (Die Regeln der Herrschaft).

2.2.4 Das Kriterium der Männlichkeit für Inhaber von


Befehlsgewalt
Als dem Gesandten Allahs (s.a.w.s.) die Kunde kam,
dass die Perser die Tochter von Kisra über sich als Königin
eingesetzt haben, sagte er: „Ein Volk wird nicht erfolgreich
sein, wenn es über ihre Angelegenheiten eine Frau einsetzt.
(Buhāri)
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob diese
Überlieferung allgemeingültig ist oder sich lediglich auf die
konkrete Person (die Königstochter) bzw. auf die Herrschaft im
engeren Sinne bezieht.
Der Berichterstatter des obigen Hadith hat die Aussage
des Propheten (s.a.w.s.) so verstanden, dass sie allgemeingültig
ist. Aus diesem Grund nahm er auch Abstand vom Kampf auf
der Seite Aischas (r.a.), obwohl er ihre Ansicht grundsätzlich
teilte. As-San’ani sieht darin einen Beleg für das Verbot der
Übernahme öffentlicher Verantwortung durch Frauen.
Die Mehrheit der Gelehrten ist der Meinung, dass der
Inhalt der Aussage auf die Herrschaftsausübung bzw.
53
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Regentschaft beschränkt ist.24 Demzufolge dürfen Frauen
jedenfalls öffentliche Positionen besetzen, in denen es z. B. um
repräsentative Aufgaben, um Verwaltungstätigkeiten, um
Forschung, um Sicherstellung von Rechten etc. geht, denn es
gibt keine Belege aus den Quellen der Scharia, die eine
Unterscheidung (allgemein) rechtfertigen würden (dies gilt
umso mehr für die Leitung von nicht-staatlichen
Organisationen oder Unternehmen).25
Imam Tabari sagt, dass eine Frau in allen
Angelegenheiten als Verantwortliche eingesetzt werden
kann.26

2.2.5 Verantwortlichkeitsprinzip
Die Regenten sind dem Volk zur Rechenschaft
verpflichtet. Die Volksversammlung hat die Pflicht, von den
Regenten Rechenschaft zu fordern, denn sie nehmen diese
Aufgabe repräsentativ wahr; die einzelnen Bürger haben das
Recht, die Regenten zu Recht zu weisen (Fard Kifāya). Dies

24
Siehe zu diesem Themenbereich u.a. folgende Fatwas: Yusuf Al-
Qaradawi, Woman Acting as a Judge, 21.06.2007; Zienab Mostafa, Can
a Woman be a Nation’s Leader?, 07.02.2007; Yusuf Al-Qaradawi,
Women holding Public Positions, 15.08.2005; Muzammil Siddiqi,
Women in Leading Posts, 11.08.2005. Alle genannten Fatwas finden
sich auf: http://www.islamonline.net.
25
In einer Fatwa von Zienab Mostafa (Can Woman be a Nation’s Leader?,
07.02.2007) heißt es: „[…] women can obviously be the head of any
organization, whether Muslim or non-Muslim, and they can help in
every field that develops humanity. The only reservation in this regard
would be that they work in a lawful field.“, http://www.islamonline.net.
26
Vergleiche hierzu: Mourad, Samir, Fiqh II, Seite 258, DIDI.

54
Das Regierungssystem
ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz Gutes zu gebieten
und Schlechtes zu verbieten.27
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Der beste Ğihād ist ein rechtes Wort zu einem
ungerechten Herrscher.“ (Ahmad von Abu Sa’id al-Hudri).
Zur Wahrnehmung der politischen Verantwortung
können die Bürger Parteien, Gewerkschaften und Vereine
gründen. Dies kann aber aus der Verpflichtung zur
gegenseitigen Beratung abgeleitet werden.28
Zusammenschlüsse verschiedener Interessengruppen
bündeln die Stimmen ihrer Mitglieder und sorgen dafür, dass
Argumente berücksichtigt werden, die möglicherweise
unberücksichtigt blieben, wenn der Entscheidungsträger nicht
von den Auswirkungen einer normativen Maßnahme selbst
betroffen ist und daher auf manches nicht genügend Acht gibt.
Wenn ein einzelner Mensch das Recht hat, auf
Missverständnisse aufmerksam zu machen, sich für seine
Interessen zu engagieren und an der politischen
Meinungsbildung mitzuwirken, dann erst Recht eine Gruppe
von gleich gesinnten Menschen, etwa eine Partei oder eine
Gewerkschaft. Dazu bedarf es keiner staatlichen Genehmigung.
Diese Vereinigungen dürfen in einem islamischen Staat
konsequenterweise jedoch nicht gegen den Islam und die
islamischen Glaubensgrundlagen (’Aqīda) gerichtet sein.
„[…] und deren Angelegenheit in gegenseitiger Beratung steht.“ (Qur’an
42/48)
„Und berate dich mit ihnen in der Angelegenheit“ (Qur’an 3/159)

27
Vergleiche auch: Fatwa von Muzammil Siddiqi, How Leadership is
decided in Islam, 24.10.2002.
28
Siehe zur rechtsdogmatischen Begründung eingehend: Alibašić Ahmet,
Pravo na političku opoziciju: istraživanje ambivalentnog naslijeña.

55
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
2.3 Die Amtsstellung des Kalifen
Der Kalif ist derjenige, der von der islamischen
Gemeinschaft gewählt wird und dem die Ausführung der
Scharia, der Schutz der Bevölkerung und ihrer Güter und die
Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben zustehen, wozu er
auch verpflichtet ist.
’Auf ibn Mālik berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.)
sprach: „Die besten unter eueren Imamen sind jene, die ihr liebt und die
euch lieben, für die ihr betet und die für euch beten.“ (Muslim)
„Der Imam ist ein Hüter und er ist für seine Bürger
verantwortlich.“ (Buhari, Ahmad).
„Wem die Führung über die Muslime anvertraut ist, sich dann vor
ihnen verbirgt und ihre Bedürfnisse nicht beantwortet, Allah wird sich am
Tag des Gerichts vor einem solchen Herrscher verstecken indem er ihn an
seiner eigenen Armseligkeit und Bedürfnissen leiden lässt.“ (Abu Dawud).
Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete; Der
Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Der Imam ist ein
Schutzschild, man kämpft unter ihm und sucht Schutz bei ihm. Wenn er
dann zur Taqwa (Allahs Furcht) aufruft und recht handelt, bekommt er
seinen Lohn dafür. Wenn er aber anders handelt, wird er seine
Konsequenzen tragen müssen. (Muslim Nr. 3428)
Er ist verantwortlich für die Innen- und Außenpolitik, er
ist Oberbefehlshaber der Arme, erklärt Krieg und Frieden und
schließt nach dem Vorbild des Propheten29 (s.a.w.s.)
internationale (Friedens-) Verträge ab.30

29
Z.B. Vertrag von Hudaybiyya.
30
Vergleiche: Fatwa von ’Atiyya Saqr, Separating Islam and Politics,
12.05.2003.

56
Die Amtsstellung des Kalifen
Al-Buhārī berichtet über Abdullah ibn ’Umar, dass dieser sagte: „Der
Gesandte Allahs setzte bei der Schlacht von Mu’ta Zaid ibn HariŃa als
Befehlshaber ein. Dann sagte er: Wenn Zaid fällt übernimmt Ğa’far das
Kommando, sollte auch Ğa’far fallen, dann übernimmt das Kommando
Abdullah ibn Rawāha.“
Der Kalif kann in einem zeitgemäßen islamischen Staat
unter anderem den Ministerpräsidenten, den Obersten Richter
(Justizminister) und die Provinzgouverneure ernennen. Wen
auch immer der Kalif einsetzt, er muss die entsprechende
Qualifikation aufweisen und seine Einsetzung muss begründet
werden können.
Der Kalif ’Umar (r.a.) sagte: „Wer einem Mann wegen seiner
Verwandtschaft oder Freundschaft zwischen einander eine Herrschaft
überträgt, obwohl er unter den Muslimen bessere findet, so hat er Allah,
seinen Gesandten und die Gläubigen verraten.“ 31
Willkürliche oder rechtsmissbräuchliche Einsetzungen
müssen daher aufgehoben werden können. Dazu könnte man z.
B. folgende Regelung treffen:
>Gerichtsbeschluss beziehungsweise Beschluss des Obersten
Richters, Beschluss des Obersten Justizrates, 2/3 Beschluss der
Volksvertretung (begründetes Misstrauensvotum).<
Es darf unter einer einheitlichen Gemeinschaft der
Muslime nur einen Kalifen geben.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wer zu euch kommt, wenn
ihr vereint hinter einem Manne steht, und versucht euere Einheit zu spalten
oder euere Gemeinschaft zu zerstreuen, so tötet ihn.“ (Muslim)
„Wer einem Imam die Bai’a (Eid) leistet, ihm seinen Handschlag gibt
und die Furcht seines Herzens, dann soll er ihm gehorchen, so er dazu im

31
Aus: ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 97;
basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

57
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Stande ist. Wenn ein anderer kommt und ihm die Herrschaft streitig macht,
so schlagt dem anderen den Kopf ab.“ (Muslim)
Der Kalif ist, genauso wie jeder Bürger, an das Gesetz
gebunden. Er steht nicht über den Bürgern, sondern ist als ihr
Vorsteher (Imam) primus inter pares (Erster unter Gleichen).
„[…] Der Kalif Alī (Allahs Wohlgefallen sei auf ihm) verlor einmal
seine Rüstung, welche er bei einem Christen wiederfand. Daraufhin
brachten sie die Angelegenheit vor den Richter Schuraih. Ali sagte: „Die
Rüstung ist meine, ich habe sie weder verkauft noch verschenkt.“ Daraufhin
befragte Schuraih den Christen nach dem, was der Kalif gesagt hatte. Da
sagte der Christ: „Die Rüstung ist meine. Der Befehlshaber der Mu’minun
(d.h. der Kalif) ist jedoch für mich kein Lügner.“ Schuraih wandte sich
daraufhin zu Ali und fragte ihn: „Hast du einen Beweis für deine
Behauptung?“ , woraufhin Ali lachte und sagte: „Schuraih hat richtig
gerichtet, ich habe keinen Beweis.“ Daraufhin sprach der Richter dem
Christen die Rüstung zu, weil sie sich in seinen Händen befand und Ali
keinen Beweis erbracht hatte, dass die Rüstung dem Christen trotzdem nicht
gehörte. Da nahm der Christ die Rüstung und ging weg. Er ging nur einige
Schritte, kam dann zurück und sagte: „Ich bezeuge, dass dies Gesetze sind,
nach denen Propheten richten. Der Kalif bringt mich zu dem von ihm
eingesetzten Richter, der dann mir das Recht zuspricht gegen den
Kalifen! Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass
Muhammad der Gesandte Allahs ist. Die Rüstung ist deine Rüstung o Kalif
[…] ich bin dem Heer gefolgt, als du von Siffin weggingst. Da ist die
Rüstung von deinem Kamel gefallen.“ Daraufhin sagte Ali (Allahs
Wohlgefallen sei auf ihm): „Da du nun Muslim geworden bist, soll die
Rüstung dir gehören!“ (Ibn Kathir in Al-bidaya wan-nihaha [Der Anfang
und das Ende]; Tirmidhi; Hakim)
Die Amtsbezeichnung ist eine Respektsbezeichnung,
jeder Bürger hat – nach dem Vorbild der vier rechtschaffenen
Kalifen (Abu Bakr, ’Umar, ’Uthman, ’Alī) das Recht, den
Kalifen mit seinem Namen anzusprechen.
„Sprich: Ich bin doch nur ein Mensch wie ihr.“ (Qur’an 18/110).

58
Ministerpräsident
2.4 Ministerpräsident
Der Kalif kann einen bevollmächtigten Assistenten als
Ministerpräsident ernennen.32 Dies entspricht auch der Praxis
der Kalifen bzw. Sultane während des arabisch-islamischen
und osmanischen Reiches, die für eine gewisse Zeitperiode
Großwesire ernannt haben.
Dieser sollte am besten vom Vorsteher des Obersten
Justizrates bestätigt werden. Der Ministerpräsident sollte
dieselben Ernennungsvoraussetzungen erfüllen, wie der Kalif.
Er ist schließlich der persönliche Vertreter des Kalifen mit
einer Art Generalvollmacht (im Gegensatz zu dem
Fachministern, die nur über eine Vollmacht in Bezug auf ihr
Fachressort verfügen). Er muss für die Aufgabe, die ihm der
Kalif überträgt, geeignet sein. Er muss rechtskundig sein und
sollte nach Möglichkeit ein Rechtsgelehrter sein.
Die Vollmacht müsste öffentlich übertragen werden,
damit die Bürger von ihr Kenntnis erlangen. Bei der Auswahl
des Ministerpräsidenten sollte der Kalif sich an den
realpolitischen Gegebenheiten in der Volksvertretung bzw.
dem Parlament orientieren, damit eine gute Zusammenarbeit
gewährleistet ist und damit sinnvolle politische Pläne der
Mehrheit des Parlaments umgesetzt werden können.
Der Ministerpräsident hat den Kalifen über sein
Vorgehen zu informieren und ist ihm gegenüber
weisungsgebunden. Der Kalif muss seine Handlungen prüfen -
nur er ist es, dem die Gemeinschaft die Wahrnehmung ihrer
Angelegenheiten übertragen hat, daher kann er diese Vollmacht

32
Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 143;
basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

59
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
des Volkes nicht einfach weitergeben, ohne deren Einhaltung
zu kontrollieren.
Der Ministerpräsident hätte in einem islamischen Staat
der Gegenwart als Bevollmächtigter die Verantwortung für die
Regierung zu tragen und stünde dem Ministerrat vor, der sich
aus der Gesamtheit der Minister und der ihnen beigegebenen
Staatsräte zusammensetzt. Auch hätte er deren Arbeit zu
überwachen. Er hätte die Richtlinien der Politik zu bestimmen.
Innerhalb eines vom Kalifen generell bestätigten Feldes (z.B.
für den Erlass eines Gesetzes zu einem bestimmten
Problembereich zu sorgen, eventuell unter Beachtung von
bestimmten einschränkenden Kriterien) könnte der
Ministerpräsident Gesetze und Verordnungen, die den üblichen
Gesetzgebungsprozess durchlaufen, erlassen.
Al-Hākim und al-Tirmidhi berichten von Abū Sa’īd al-Hudrī, dass
dieser sagte: „Es sprach der Gesandte Allahs: Meine Assistenten unter den
Himmelsbewohnern sind Ğibrīl und Mikā’īl, unter den Erdenbewohnern
sind es Abū Bakr und ’Umar.“ Die Sahaba (Gefährten des Propheten
s.a.w.s.) fragten Abu Bakr, der ’Umar als Assistenten eingesetzt hatte sogar:
„Wir wissen nicht mehr, ist nun ’Umar der Kalif oder bist du es?“
„Und verschaffe mir aus meiner Familie einen Wesir (Helfer/Unterstützer).“
(Qur’an 20/29)
Al Mawardi spricht in seinem Werk Al-Ahkam Al-Sultaniya von
„der bevollmächtigten Assistenz“ (Wizaratu at-Tafwid), wenn der Imam
jemanden zu Hilfe zieht, der zur Leitung der Angelegenheiten nach eigener
Meinung und Rechtsansicht bevollmächtigt ist.33

33
Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 145;
basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

60
Fachassistenten / Minister und Staatsräte
2.5 Fachassistenten / Minister und Staatsräte
Als Minister (Wesire) können alle am
Regierungsprozess systematisch beteiligten Helfer des Kalifen
angesehen werden. Sie können heutzutage innerhalb der
Richtlinien des Ministerpräsidenten mit der selbstständigen
Leitung eines bestimmten anvertrauten Ressorts beauftragt
werden und wären befugt, Verwaltungsanordnungen im
Rahmen der Gesetze und koordiniert mit anderen Ressortchefs
zu erlassen. Bei Konflikten zwischen den Ressorts könnte der
Ministerpräsident entscheiden.
In einem islamischen Staat der Gegenwart wäre etwa
folgende Regelung sinnvoll:
>Die Minister sind zur fachlichen Prüfung von
Gesetzesvorschlägen durch die Volksvertretung / das Parlament verpflichtet
und berechtigt, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe zu erstellen. Sie haben
zu diesem Zeck nach Bedarf nicht-ständige Fachgremien einzurichten und
Gutachten von Experten durchführen zu lassen, auf deren Grundlage sie
ihre Entscheidungen treffen bzw. Kommissionen zur Erarbeitung von
Gesetzes- und Verordnungsvorschlägen einzusetzen. Kommissionen
müssen eingesetzt werden, wenn es sich um umfassende Gesetzes-
beziehungsweise Verordnungsvorschläge handelt, somit nicht um einzelne
einfachere Bestimmungen. <
Der Verteidigungsminister sowie der Minister für
Finanzen müssten vom Ministerpräsidenten oder direkt vom
Kalifen beauftragt werden, weil es sich bei diesen beiden
Ressorts um Kernaufgaben des Staates bzw. ihres Vorstehers
(des Kalifen) handelt und dieser dafür verantwortlich ist. Wenn
er die Befugnisse weiterleitet, dann muss das jemand sein, den
er auswählen kann, vorausgesetzt die Qualifikation ist erfüllt.
Der vom Kalifen eingesetzte Oberste Richter (Qādi al-Qudāt)
kann heute als Minister für Justiz angesehen werden. Es ist aus
der Praxis des Propheten (s.a.w.s.) und der vier rechtschaffenen
Kalifen nach dem Tod des Propheten (s.a.w.s.) zu erkennen,
dass der Prophet (s.a.w.s.) und die Kalifen (r.a.) als

61
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Oberbefehlshaber fungierten, genauso setzten sie auf eigene
Initiative Richter ein und sorgten für die Kontrolle der
Verwaltung der Finanzen bzw. beauftragten ihnen geeignet
erscheinende Personen hiermit.
Alle übrigen Minister (z. B. für Wirtschaft und Arbeit,
Gesundheit und Soziales, Inneres, Energie, Verkehr und
Infrastruktur etc.) könnten z.B. auf Vorschlag des Präsidenten
des Parlaments (Volksvertretung) ernannt werden.
Die Anzahl der Minister kann keinesfalls fix festgelegt
werden und variiert, genauso wie die Einteilung der Ressorts,
je nach Notwenigkeit.
Zur Wahrung der inneren Sicherheit müssen
Sicherheitsbehörden (Polizei) eingerichtet werden. Im
islamischen Reich entwickelten sich früh Sicherheitskräfte und
Marktaufseher (Muhtasib). Letztere kontrollierten die
Einhaltung der Marktbestimmungen, z. B. Maße und Gewichte,
Betrugsuntersuchungen etc.
Die Zwangsbefugnis wird z. B. aus folgender
Überlieferung abgeleitet, wo von einer Situation berichtet wird,
in der der Prophet (s.a.w.s.) zum Schutze des Gemeinwohls
durchgriff, und schlechte Nahrungsmittel, die unter guten lagen
um sie zu verbergen, sichtbar machte, ohne für den Durchgriff
ein Gerichtsverfahren durchzuführen:
Abu Huraira (r.a.) berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) an
einem Haufen von aufgehäuften Nahrungsmitteln vorbeikam. Er steckte
seine Hand in den Haufen und seine Finger fühlten etwas Feuchtes. Da
sagte er: „Was ist das, o du Nahrungsmittelverkäufer?“ Dieser antwortete:
„Es ist etwas Regen draufgekommen, o Gesandter Allahs.“ Da sagte Er:
„Warum hast du dieses nicht nach oben drauf getan, damit die Kunden es
sehen? Wer betrügt, der ist nicht von mir.“ (Muslim)
Die Polizei kann jedenfalls organisatorisch der zivilen
Verwaltung des Innenministers unterliegen. Dieser wäre dann
die oberste Verwaltungsinstanz in Sicherheitsfragen und für die
62
Fachassistenten / Minister und Staatsräte
Organisation und Einteilung zuständig, würde aber nicht über
die Exekutivgewalt der Polizei verfügen. Diese sollte in den
Händen des vom Kalifen ernannten Sicherheitsbeauftragten als
Polizeidirektor/Polizeichef/Polizeipräsident liegen, der direkt
dem Befehl des Kalifen untersteht. Schließlich ist der Kalif der
Oberbefehlshaber.
Der islamische Staat hat dafür zu sorgen, dass die
Organisation der Sicherheits- und Verteidigungseinrichtungen
effizient ist. Das Niveau der Ausbildung muss hoch gehalten
werden, ebenso wie die allgemeine Bildung und Moral. Die
Polizei sollte am besten so organisiert sein, dass die Provinzen
(Wilāyat) auch über einen Teil derselben direkt verfügen
können.
Als Ausgleich dafür, dass die zentralen Ministerposten
vom Kalifen vergeben werden, könnte – um Missbrauch
vorzubeugen – in einem islamischen Staat der Gegenwart
folgende Regelung getroffen werden:
>Jedem Minister kann ein vom Parlament (der Volksvertretung)
gewählter Staatsrat (für Wirtschaft, für Finanzen, etc.) beigegeben werden.
Der Staatsrat für Justiz wird direkt von der Bevölkerung gewählt [weil hier
die größten und fatalsten Missstände zu befürchten sind]. Der Staatsrat hat
die Tätigkeiten des Ministers zu überwachen und ihn zu unterstützen. Er hat
die Allgemeininteressen zu vertreten und für eine ausgewogene Diskussion
über Gesetzes- und Verordnungsentwürfe zu sorgen. Er hat auch für eine
ausgewogene Besetzung der eingesetzten Fachkommissionen und
beauftragten Gutachter, unter Berücksichtigung wichtiger
Interessenvertretungen, zu sorgen. Die Staatsräte nehmen Teil an den
Ministerratssitzungen und den Beratungen und Verhandlungen über die
Annahme oder Ablehnung bzw. das weitere Vorgehen von/bei
Gesetzesvorschlägen mit dem Kalifen oder dem Ministerpräsidenten. Der
Staatsrat für Justiz ernennt die Staatsanwälte [weil die Richter vom Kalifen
ernannt werden – dazu weiter unten]. <
Abu Sa’id al Hudri berichtet, der Prophet (s.a.w.s.) habe gesagt:
„Gott entsendet keinen Propheten und bestimmt niemanden zum Kalifen,
der nicht zweierlei Vertraute und Berater hat. Die einen beraten ihn in
aufrichtiger Weise und geben ihm wichtige Anregungen; die anderen geben

63
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
ihm schlechten Rat und verleiten ihn zu unrechtem Tun. Vor solch
schlechtem Einfluss ist nur ein Herrscher geschützt, dem Allah der
Erhabene beisteht.“ (Buhari)
Aischa (r.a.) überliefert, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte:
"Wenn Allah einem Herrscher Gutes will, so schenkt Er ihm einen
aufrichtigen Berater, der ihn erinnert, wenn er vergisst, und der ihm hilft,
wenn er sich erinnert. Und wenn ihm Allah etwas anderes will, so schenkt
er ihm einen schlimmen Berater, der ihn nicht erinnert, wenn er vergisst,
und ihm nicht hilft, wenn er sich erinnert." (Abu Dawud)

2.6 Das Parlament (Volksvertretung) und das


Prinzip der Schūra
Schūra
Das Parlament (Madschlis asch-Schūra) ist jener Kreis
von gewählten und entsandten Personen, die die Interessen und
Meinungen der Bürger vertreten und die der Kalif zur
Entscheidungsfindung konsultieren kann. Das Parlament wirkt
maßgeblich am Normsetzungsprozess mit.
„[…] und berate dich mit ihnen in der Angelegenheit. Doch wenn du dich
entschlossen hast, dann vertraue auf Allah.“ (Qur’an 2/159)
„[…] und deren Angelegenheit in gegenseitiger Beratung steht.“ (Qur’an
42/38)
„Ich habe niemanden gesehen, der sich mehr mit seinen Gefährten
beriet, als der Gesandte Allahs (s.a.w.s.).“ (At-Tirmidhi von Abu
Hureira).
Das Parlament hat das Recht von den Regenten über
alle Angelegenheiten Rechenschaft zu fordern. Maßnahmen für
die keine oder keine schlüssige Begründung geliefert werden
kann, sollten in einem islamischen Staat der Gegenwart auf
Mehrheitsbeschluss des Parlaments aufgehoben werden
können. Der betroffene Regent könnte daraufhin z. B. die
Vorlage der Sache an das (Mazālim-)Gericht verlangen, das
über die Schlüssigkeit verbindlich entscheidet. Der Regent ist
64
Das Parlament (Volksvertretung) und das Prinzip der Schūra
in seiner Politik frei, solange er im Rahmen der Scharia
handelt; bei diesem Verfahren könnte lediglich Willkür
verhindert werden. Daher wäre nicht die Richtigkeit der
Entscheidung zu überprüfen, sondern lediglich die
Schlüssigkeit der Begründung. Ebenso ist es sinnvoll zu regeln,
dass der Mehrheitsentschluss des Parlaments zur Absetzung
eines Provinz-Gouverneurs (Wālī) führen muss.
Ein Gouverneur ist kein gewähltes Organ. Spricht sich die
Mehrheit gegen ihn aus, wird er auf Widerstand stoßen, der zu einer
Lahmlegung des Systems führen kann, sodass ein Zweifel an seiner
Eignung und Legitimität entsteht.
Das Parlament könnte so eingerichtet sein, dass es aus
zwei Kammern besteht: der Repräsentantenkammer und dem
Senat. Der größte Teil der Repräsentanten sollte gewählt sein,
eine bestimmte Anzahl könnte jedoch von wichtigen und
repräsentativen Interessenvertretungen, Vereinen und
Gewerkschaften entsandt werden, um ein Forum zu bilden, das
eine ausgewogene Diskussion mit allen wirtschaftlich
relevanten Personen und Organisationen möglich macht. Der
Senat könnte aus Vertretern der Provinzen bestehen, die von
den Provinzbewohnern gewählt werden. Die Anzahl der
Senatoren pro Provinz sollte aufgrund der Gleichheit der
Nationen gleich sein. Die Aufgabe des Senates wäre es unter
anderem die Interessen der Provinzen zu vertreten. Als
Variante - wenn das Kalifat aus einer Vielzahl von Völkern
besteht - eröffnet sich z. B. folgende Möglichkeit:
>Die Repräsentantenkammer als Oberhaus besteht aus gewählten
Provinzialvertretern des Volkes, dabei bekommt jede Provinz so viele
Mandate, wie es dem Verhältnis der Bevölkerung entspricht. Die zweite
Kammer als Unterhaus besteht aus Vertretern der Interessenvertretungen. <
Die Vertreter der Interessenvertretungen sollen sogleich
im Parlament als einer Institution, die der Regierung zur
Beratung zur Verfügung steht, eingebunden sein, damit
insbesondere die Verständigung im Bereich des Wirtschafts-
65
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Handels und Arbeitsrecht leichter vorgenommen werden kann.
Entscheidungen, die auf einer Einigung mit den
wirtschaftlichen Spitzenkräften erfolgen - bzw., wenn sich die
wirtschaftlichen Spitzenkräfte (Vertreter der Arbeitnehmer und
Arbeitgeber) einigen - garantieren eine sichere Grundlage für
die Entscheidungsfindung und für das Gelingen des
Normvorhabens sowie für kollektiven Frieden und breitere
Akzeptanz, da es sich nicht um eine quasi oktroyierte
Maßnahme handelt, sondern eine, die von den Vertretern der
Wirtschaftskräfte ausgehandelt wurde. Darauf sollte unbedingt
Bedacht genommen werden. (Modell der Sozialpartnerschaft).
Jeder Staatsbürger, Mann oder Frau, Muslim oder
Nichtmuslim, hat in einem zeitgemäßen islamischen Staat das
Recht, das Parlament zu wählen und gewählt zu werden, damit
die Aufgabe erfüllt werden kann, die politischen
Angelegenheiten in gegenseitiger Beratung wahrzunehmen.
„Bringt mir aus eueren Reihen zwölf Vertreter hervor, damit sie ihrem
Stamm ein Bürge sind.“ (von Ibn Hišam über Ka’b ibn Mālik).
„Der Prophet beriet sich über seinen Auszug nach Badr. Abu Bakr teilte
ihm seine Meinung mit. Dann zog er ’Umar zu Rate und dieser teilte ihm
ebenfalls seine Meinung mit. Der Prophet rief weiter zur Beratung auf, da
sagten einige der Ansar: Ihr Volk der Ansar! Der Prophet meint doch euch.“
(Ahmad über Anas).
Angesichts der Tatsache, dass ein Parlament in der
Regel aus Vertretern von Parteien oder Listen besteht und
nicht aus Einzelkandidaten, empfiehlt es sich beim Wahlsystem
das Verhältniswahlrecht mit Koalitionszwang zu normieren:
>Das reine Verhältniswahlrecht (wie in Zentraleuropa) kann dazu führen,
dass die Parteien des Parlaments gezwungen werden, Koalitionen
einzugehen, in denen keine der stimmenstarken Parteien ihr
Regierungskonzept durchsetzen kann, die Parteien solche Koalition aber
dennoch eingehen müssen, um die (relative) Mehrheit im Parlament zu

66
Das Parlament (Volksvertretung) und das Prinzip der Schūra
erreichen und beschlussfähig zu sein. Das Mehrheitswahlrecht (wie in
Großbritannien), bei dem die im jeweiligen Wahlkreis stärkste Partei ein
Mandat erhält, die anderen hingegen leer ausgehen, hat hingegen den
Nachteil, dass Minderheits-Parteien keine Chance haben, im Parlament
(ausreichend) vertreten zu sein und die Meinung desjenigen Teils der
Bevölkerung, den diese kleinen Parteien repräsentieren daher ungehört
bleibt. Es sollte daher am besten ein System gewählt werden, bei welchem
die stimmenstärkste Partei jedenfalls eine fixe Zahl an Mandaten erhält und
die anderen Mandatsplätze im Verhältnis der tatsächlich erhaltenen
Stimmen verteilt werden. Die stimmenstärkste Partei kann aber (wenn sie
nicht mehr als die 50 % der tatsächlichen Stimmen hat) nicht alleine
entscheiden, sondern benötigt, um die Mehrheit im Parlament zu haben, die
Stimme eines Mandatars (oder einiger weniger) einer anderen Partei. Auf
diese Weise wird sichergestellt, dass das Parlament entscheidungsfähig
bleibt und die stimmenstärkste Partei ihr Konzept verwirklichen kann, aber
dennoch nicht alleine entscheiden kann, wodurch eine Machtkonzentration
vermieden wird. Die stimmenstärkste Partei braucht zwar einen
Koalitionspartner, dieser Koalitionspartner kann aber eine beliebige, also
jede im Parlament vertretene, Partei sein. Somit können immer auch kleine
Parteien Koalitionen eingehen. Dieses Modell entspricht wohl am ehesten
dem islamischen Gerechtigkeitsgedanken, dass die Stimmen aller
Volksgruppen gehört werden sollen, weil auch die kleinen Parteien im
Parlament vertreten sind und der Vorgabe, dass die Regierung und
Verwaltung effizient erfolgen soll, weil das Parlament durch die flexible
Koalitionsbildung eine innere Blockade ausschließt. Für den Fall, dass die
Wahlbeteiligung sehr gering ausfällt, kann normiert werden, dass die
Stimmen der Nichtwähler der stimmenstärksten Partei zugezählt werden
(Nichtwählerprämie). Dadurch werden die Bürger motiviert, selbst am
politischen Geschen teilzunehmen und wählen zu gehen, wenn sie
vermeiden wollen, dass ihre Stimme jemandem zu Gute kommt, den sie
nicht unterstützen wollen.<
Uneinigkeit gibt es darüber, ob ein Beschluss eines
derart konstruierten Parlaments (Ratsversammlung) bindende
Wirkung entfalten kann oder nicht. Darauf wird bei der
Gesetzgebung näher eingegangen.

67
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
2.7 Oberster Justizrat/
Justizrat/ Fatwa-
Fatwa-Rat
Das islamische Staatssystem basiert auf der
Herrschaftsausübung durch gegenseitige Beratung und
Konsultierung beziehungsweise Einbeziehung von Fachleuten.
Das Parlament kann als Organ zur allgemeinen Vertretung der
Interessen des Volkes gesehen werden und die Minister können
als Fachberater der jeweiligen Disziplinen betrachtet werden.
Es sollte aber auch ein Gremium von Personen geben, die die
islamische Rechtslehre in ihrer ursprünglichen Form kennen
und erforschen und die im Stande sind, die Anordnungen der
Regenten auf die Vereinbarkeit mit der islamischen
Rechtsordnung, der Scharia, zu prüfen. Es sollte ein Forum
geben, wo politische Maßnahmen von Vertretern
unterschiedlicher Rechtspositionen nach dem islamischen
Recht diskutiert und analysiert werden können. Insbesondere
deswegen, weil die Ableitung rechtlicher Vorschriften aus den
Quellen der Scharia eine komplexe Angelegenheit ist, die – je
nach Methode – zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.
In einem islamischen Staat hängt die Durchführbarkeit einer
politischen Maßnahme aber wesentlich von der Vereinbarkeit
mit dem islamischen Recht ab, was die Anhörung
unterschiedlicher Meinungen und Begründungen erforderlich
macht.
In diesem Sinne empfiehlt es sich einen Obersten
Justizrat einzurichten. Der Oberste Justizrat ist demnach ein
Gremium von rechtsgelehrten Männern und Frauen mit
Befähigung zum selbstständigen Iğtihād (Ableiten von
Vorschriften aus den Quellen), das maßgeblich an der
Normbildung beteiligt ist und als Oberster Fatwa-Rat (zur
Erstellung von Rechtsgutachten) fungiert, dessen
Rechtsgutachten Leitwirkung haben.

68
Die Gouverneure (Al – Wulāt) und
Statthalter/Kantonalvorsteher
Des Weiteren könnte folgende Regelung getroffen
werden:
>Die Mitglieder bestehen aus Angehörigen der islamischen
Rechtswissenschaft an den höheren Bildungseinrichtungen, die von diesen
vorgeschlagen und von der Volksvertretung der Provinz aus der Liste
gewählt und entsandt werden. Ihre Amtszeit beträgt […] Jahre. Die
Mitglieder wählen aus ihrer Mitte einen Vorsteher, der dadurch zugleich
Oberster Rechtsgutachter (Großmufti) wird. Bei den
Gesetzesbegutachtungen und freien Rechtsgutachten ist eine Abstimmung
vorzunehmen, bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des
Vorstehers. In der Veröffentlichung der Abstimmung und der Begründung
ist auch jedes Sondervotum mit Begründung auszuweisen. <

2.8 Die Gouverneure (Al – Wulāt)


Wulāt) und
Statthalter/Kantonalvorsteher
Der Gouverneur ist der Leiter einer Provinz bzw. eines
Gliedstaates des Gesamtstaates und wird direkt vom Kalifen
für eine bestimmte Zeit ernannt.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach bei der Einsetzung:
„Erleichtert es den Menschen und erschwert es ihnen nicht. Seid Frohe-
Botschafter und nicht abstoßend. Und bemüht euch!“ (Buhari).
Der Provinzialrat als Volksvertretung auf
Provinzebene sollte hierbei Vorschläge unterbreiten können.
Bei der Ernennung des Gouverneurs hat der Kalif die
realpolitischen Gegebenheiten zu beachten hat und soll einen
Gouverneur einsetzen, der einen soliden Rückhalt bei der
Bevölkerung bzw. ihren Vertretern im Provinzialrat hat.
Ein Ansatz dafür ergibt sich z. B. aus den Briefen des Propheten
(s.a.w.s.) an die Herrscher der Welt, aus denen deutlich wird, dass ihnen
ihre Macht erhalten bleiben sollte, wenn sie den Islam annehmen. Hier ein
Beispiel aus dem Brief an Heraklius: „Mit dem Namen Allahs des
Allerbarmers, des Allbarmherzigen. Von Muhammed dem Diener Allahs, an
Heraklius dem Imperator Roms. Friede sei mit dem, der der Rechtleitung
folgt. Ich lade dich zur Religion des Islam ein: Werde Muslim, dann bist du

69
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
sicher und Allah gibt dir doppelten Lohn; wenn du dich aber abwendest, so
lastet auf dir die Sünde deiner Untergebenen. O Volk der Schrift kommt
herbei zu einem Wort das gleich ist zwischen uns und euch: dass wir
niemandem dienen außer Allah und ihm nichts beigesellen und dass die
einen von und die anderen nicht zu Herren annehmen anstelle Allahs. Doch
wenn sie sich abwenden, so bezeugt, dass wir Muslime sind.“
Ein Ansatz dafür, dass der Kalif bei der Auswahl des
Gouverneurs auf die Mehrheitsverhältnisse in der Provinz
achten muss, ist zunächst der Qur’an-Vers 42/38, wonach das
System der Muslime auf gegenseitiger Konsultation beruht und
weiters auch, dass der Prophet (s.a.w.s.) angesichts der
Tatsache, dass die Quraisch der politisch angesehenste Stamm
waren und sicherlich die Anerkennung der Mehrheit der Araber
genossen, sowohl der Muslime, als auch der Nichtmuslime,
forderte, dass die Befehlsgewalt unter den Quraisch gewahrt
bleibt. Siehe zu den entsprechenden Ausführungen im ersten
Kapitel. Dies legt nahe, dass auf die Mehrheitsverhältnisse
Rücksicht genommen werden muss.
Die Vorsteher der Landkreise bzw. Statthalter der
Bezirke oder Kantone könnten direkt vom Volk auf bestimmte
Zeit gewählt und vom Gouverneur bestätigt werden.
Es erscheint nicht notwendig, diese einseitig zu ernennen, da direkt vom
Kalifen Beauftragte für größere Gebiete ausreichen, zumal die moderne
Kommunikation und Technologie einen raschen und problemlosen
Informationsaustausch über größere Gebiete zulässt und es daher möglich
ist, für Untergebiete direkt gewählte Vertreter zuzulassen, die der Kalif oder
Gouverneur auch problemlos kontrollieren kann. Ausnahmen bestehen
selbstverständlich in Krisenzeiten.
Die Übertragung der Regierungsbefugnis der Provinz
kann voll (alle Regierungstätigkeiten umfassend) oder
eingeschränkt erfolgen.
Beide Formen finden sich in den Handlungen des Propheten
(s.a.w.s.), z. B. volle Regierungsbefugnis-Übertragung an Amr ibn Hazm,

70
Die Gouverneure (Al – Wulāt) und
Statthalter/Kantonalvorsteher
eingeschränkt bei ’Alī, für die Rechtsprechung in Jemen; wie auch in den
Handlungen der nachfolgenden Kalifen: so übertrug ’Umar ibn al-Hattab
Mu’awiya ibn Abi Sufyan die volle Regierungsbefugnis während z. B. Alī
ibn Abi Talib eine Regierungsbefugnis ohne Finanz-Ressort an Abdullah
ibn ’Abbas übertrug.
Der Gouverneur regiert selbstständig und stellvertretend
für den Kalifen als Treuhänder in seiner Provinz. Der Tod oder
die Absetzung des Kalifen haben daher keinen Einfluss auf die
Amtsstellung des Gouverneurs.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Abū Dharr, du bist schwach und es
ist wahrlich eine Treuhand.“ (Muslim von Abū Dharr).
Der Prophet (s.a.w.s.) entsandte z. B. Mu’adh ibn Ğabal als Gouverneur
über den Dschanad (im Jemen); Ziad ibn Labīd als Gouverneur über
Hadramaut; Abu Mussa al-’As-Ch’ariy als Gouverneur über Zabid und
Eden.
Dem Gouverneur unterstehen die der Provinzialleitung
zugeordneten Behörden und Exekutivkräfte.
Ist die Regierungsbefugnis voll, kann sie bei
entsprechender Eignung und Erfüllung der allgemeinen
Voraussetzungen auch das Richteramt einschließen. Dann kann
der Gouverneur auch selbstständig höherrangige Richter in
seiner Provinz ernennen, die die Qualifikationen erfüllen
(heute: nach Ausschreibung) und in einer Sache selbst urteilen.
Heute ist das wohl kaum relevant, weit mehr Problemfelder
und ein größeres Aufgabenfeld anfallen, als dies bei
Gouverneuren zur Zeit des Propheten (s.a.w.s) und der
nachfolgenden Generationen der Fall war. Der Gouverneur
kann aber Rechtsfragen für ein Gericht seiner Provinz bindend
festlegen [das ist wesentlich relevanter für die heutige Zeit],
unter Heranziehung von Beratern nach den gesetzlichen
Vorschriften. Dies begründet z. B. Ibn al-Qāsim in
Mudauwana (Muhtalita) [Malikitische Rechtsschule].

71
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Heute wäre z. B. folgende Regelung möglich und
sinnvoll:
>Verbindliche Rechtsableitungen des Gouverneurs dürfen nicht
zurückwirken und gegen gesamtstaatliche Anordnungen, die sich direkt aus
den Quellen ergeben, verstoßen, außer es handelt sich um eine Sache, in der
rechtfertigender weise unterschiedliche Ableitungen möglich und juristisch
gerechtfertigt sind, sofern nicht eine notwendige Regelung des
Gesamtstaates existiert und es sich nicht um Spezifizierungen oder
Konkretisierungen oder besondere Anpassungen an bestimmte
Begebenheiten handelt; über letztere muss der Kalif informiert werden, der
die Maßnahme für nichtig erklären kann.<
Gegen sein Urteil oder ein Urteil, bei dem der
Gouverneur in die Rechtsableitung eines laufenden Prozesses
eingegriffen hat, kann Beschwerde an den (Mazālim)-
Gerichtshof geführt werden.
„Als der Gesandte Allahs Mu’az in den Jemen entsandte, sprach er
zu ihm: Wie richtest du wenn ein Rechtsstreit dir vorgetragen wird? […]“
(Abū Dawūd, Baihaqī und Ahmad).
Dem Gouverneur sollte – entsprechend dem Prinzip der
Beratung (Schura) – wie auf Gesamtstaatsebene, eine gewählte
Volksvertretung zugeordnet werden, die bei der politischen und
rechtlichen Meinungsbildung beteiligt ist und die Verwaltung
durch gewählte Vertreter in Fachressorts übernimmt.
Es empfiehlt sich in einem islamischen Staat der
Gegenwart z. B. folgende Regelung:
>Der Gouverneur ist automatisch abgesetzt, wenn die vom Kalifen
bestimmte Amtszeit abgelaufen ist. Er kann davor durch den Kalifen
abgesetzt werden, niemals jedoch grundlos und willkürlich, die
Entscheidung ist öffentlich zu begründen. Der Gouverneur kann auch durch
den Beschluss des Parlaments – außer die Mehrheit der Volksvertretung der
Provinz ist für die Beibehaltung – oder aber auf Verlangen der ¾ Mehrheit
der Volksvertretung in der Provinz abgesetzt werden. Die Absetzung hat der
Kalif durchzuführen. Der Beschluss des Parlaments kann unbegründet sein,
der Beschluss der Provinzvertretung muss hingegen begründet sein, außer
die Provinzbevölkerung stimmt selbst über dessen Absetzung ab. <

72
Die Verwaltung

2.9 Die Verwaltung


Die Verwaltung kann z. B. durch Ressorts, Behörden,
Ämter, Dienststellen und weitere Verwaltungsstellen erfolgen.
Jeder Dienstbehörde kann z. B. ein Generaldirektor/Präsident
vorstehen, jedem niederen Verwaltungsamt z. B. Direktoren
und Amtsleiter.
Es gibt hierzu keine Vorgaben.34 Die Verwaltung
gehört nicht zur Regierungsform und kann je nach
Notwendigkeit und in Abhängigkeit von Zeit und Ort
unterschiedlich gestaltet werden. Ein Beispiel dafür sind die
unterschiedlichen Ausformungen der erstmals vom Kalifen
’Umar (r.a.) für den islamischen Staat eingeführten Dīwāne
(wörtlich: Register), die der Verwaltungstätigkeit und Führung
von Verwaltungsdaten durch Schreiber dienten. Genauso wie
der Kalif ’Umar (r.a.) pflegten die späteren muslimischen
Befehlshaber nützliche Verwaltungseinrichtungen der von den
Muslimen eroberten Staaten zu übernehmen.
Um den Gegebenheiten unserer Zeit gerecht zu werden,
könnte z. B. folgende Regelung getroffen werden:
>Die Verwaltung erfolgt grundsätzlich über die Gouverneure oder in allen
Angelegenheiten die die Kantone/Landkreise im Allgemeinen betreffen und
von diesen Wahrgenommen werden oder am besten von diesen
wahrgenommen werden sollten, über die Statthalter oder kleinere Einheiten
(Gemeinden, Städte, Dörfer; deren Vorsteher direkt gewählt werden); kann
aber auch in Teilbereichen mittelbar über die Gouverneure durch den
Gesamtstaat erfolgen; dann ist der Gouverneur allerdings
weisungsgebunden.

34
Vergleiche hierzu: Prof. Dr. Mumtaz Ahmad, Islam and Democracy – The
Emerging Consenus, 05.06.2002, http://www.islamonline.net.

73
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Wo es notwendig und sinnvoll ist erfolgt die Verwaltung
unmittelbar, z. B. bei Polizeibehörden und Kriminalämtern, die nicht den
Provinzen zugeordnet sind oder bei der Verwaltung von Gesamtstaats-
Infrastruktur, eventuell bei staatlichen Allgemeinschulen. Im Bereich der
Justiz, der Finanzen und des Militärs erfolgt sie immer unmittelbar.
Die Verwaltung soll nach Möglichkeit und Effizienz von der
jeweils kleineren Einheit durchgeführt werden.
Es können auch Selbstverwaltungseinrichtungen vorgesehen
werden, die vom Staat kontrolliert werden, aber keiner Weisung unterliegen
und im Rahmen der Gesetze und Verordnungen arbeiten müssen (z. B.
Universitäten). <
Die Verwaltung sollte jedenfalls nach Möglichkeit und
Effizienz von der jeweils kleineren Einheit wahrgenommen
werden. Das sichert die weitgehende Autonomie und die
Zufriedenheit der regionalen Bevölkerung, weil die
eigenständige Erledigung von Aufgaben mehr Erfüllung bringt,
als Maßnahmen aufgetragen zu bekommen. Zudem erhielten
die Regionen in der Frühzeit des islamischen Reiches sehr
hohe Autonomie.
Die Verwaltung soll so organisiert werden, dass sie
einfach, effizient, schnell, bürgernah und möglichst
kostengünstig arbeitet und von kompetenten Beamten
durchgeführt wird.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Allah hat die Perfektion in allem
vorgeschrieben. […]“ (Muslim)
„Gott liebt es, dass derjenige von euch, der eine Arbeit tut, diese gründlich
ausführt.“ (Abū Ya’lā).
„Wenn ich euch irgendetwas zu tun befehle, so tut dies so gut ihr könnt.“
(Buhari).
Der Kalif müsste heute über ein eigenes bürokratisches
Amt verfügen, um die Anliegen die an ihn herangetragen
werden, zu bewältigen und die Ergebnisse weiterzuleiten sowie

74
Die Verwaltung
die Durchführung seiner Anordnungen sicherzustellen. Eine
leichtere Kommunikation zwischen dem Amt und dem Kalifen
wird durch eine Vertrauensperson des Kalifen ermöglicht, die
als Vorsteher des Amtes handelt und mit dem Kalifen in
ständiger Verbindung steht. Man könnte ihn Vollzugsassistent
nennen.35
Hinsichtlich des Instanzenzuges bei den Rechtsmitteln
gegen verwaltungsbehördliches Handeln kann z. B. folgende
Regelung getroffen werden, um den komplizierten
Gegebenheiten unserer Zeit und den Verschränkungen
zahlreicher Verwaltungsgebiete gerecht zu werden:
>Der Instanzenzug in der Verwaltung erfolgt von der Verwaltungsbehörde
in erster Instanz bis zum Gouverneur in letzter – maximal dritter wenn dies
absolut notwendig ist – Instanz. In bestimmten Bereichen kann ein
Instanzenzug bis zum Minister festgelegt werden (vor allem, wenn der
Gouverneur in erster Instanz entscheidet). Werden
Verwaltungsangelegenheiten in die selbstständige Verwaltung eines
Landkreises übertragen, dann ist der Statthalter letzte Instanz, ansonsten
erste oder zweite und der Gouverneur letzte Instanz, bei selbstständiger
Kommunalverwaltung ist der entsprechende Vorsteher oder Bürgermeister
letzte Instanz, bei unselbstständiger Kommunalverwaltung der Statthalter
oder der Gouverneur. Erfolgt die Verwaltung in unmittelbarer Vollziehung
durch den zuständigen Minister, so ist dieser nach einem Rechtsmittel von
der Behörde erster Instanz über eine Oberbehörde schließlich letzte –
maximal dritte – Instanz. Es ist durch Verordnung festzulegen, welche
Angelegenheiten unmittelbar vom Minister vollzogen werden und welche
von den Gouverneuren. Die Finanzverwaltung und die Organisation der
Sicherheitsbehörden erfolgt jedenfalls unmittelbar durch den Minister. Die
Instanzenzüge sind nach Möglichkeit zweigliedrig zu halten. Zweite Instanz
in im Wege der Verordnung festzulegenden Finanzsachen, jedenfalls für
Finanzstrafsachen, ist jedoch ein unabhängiges – weisungsungebundenes –
Finanzgericht. Gegen dessen Beschluss kann Beschwerde an die (Mazalim-)

35
Vergleiche ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 154;
basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

75
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Gerichte erhoben werden. Gegen Verwaltungsstrafen und verfahrensfreie
Verwaltungshandlungen (in erster Linie Zwangs- und Gewalthandlungen
der Polizei), sowie Vorgehen der Marktaufsichtsbehörde kann Beschwerde
bei einem unabhängigen Verwaltungsgericht (im letzten Fall als
Marktgericht) eingelegt werden, von dem aus eine Beschwerde an die
(Mazalim-)Gerichte erhoben werden kann. <
Die Islamische Rechtsordnung ist um Einfachheit und
Übersichtlichkeit bemüht: zu lange Instanzenzüge machen es
dem Bürger schwer zu seinem Recht zu kommen und die
Verfahren werden undurchschaubar und kompliziert, was zu
stetiger Entfernung und Entfremdung des Staates von seinen
Bürgern führt.
Die Möglichkeit einer nachprüfenden richterlichen
Kontrolle ist der islamischen Rechtsordnung eindeutig zu
entnehmen, allein schon aus der Tatsache, dass die meisten
Verwaltungssachen von Richtern durchgeführt wurden oder,
dass die Marktaufseher den Richtern zugeordnet waren. Zudem
entwickelte sich rasch die sog. Mazālim-Gerichtsbarkeit, die
eine nachprüfende Kontrolle der Gerichte und Behörden
ermöglichte, falls ein Urteil unsachlich oder willkürlich
getroffen wurde. Hierzu weiter unten im Kapitel über die
Gerichtsbarkeit.
Jeder Staatsbürger, ohne Unterschied der Religion, des
Geschlechts, der Volkszugehörigkeit oder anderer Merkmale,
kann in den Beamtenstatus aufgenommen werden und alle
Ämter bis zum Generaldirektor bzw. Minister bekleiden (Mit
Ausnahme solcher, die durch die Scharia bedingt besondere
Erfordernisse vorsehen). Es gibt diesbezügliche keine
Unterscheidung seitens der islamischen Rechtsordnung.

76
Die Verwaltung
Die Stellung der Beamten, ihre Ernennung, Laufbahn,
Absetzung, Entlohnung etc. sollte genau festgelegt werden.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wen wir für eine Aufgabe
verwenden und ihn dafür mit etwas entlohnen, so steht ihm das zu. Was er
darüber hinaus an sich nimmt, ist Unterschlagung“ (Abū Dāwūd von
Bureida)
„Jeder hat Rangstellungen für das, was er geleistet hat; und dein Herr
übersieht nicht was sie tun.“ (Qur’an 6/132).
Aischa (r.a.) berichtet: Nachdem Abu Bakr as-Siddiq zum Kalifen
gewählt worden war, sagte er: „Die Leute wissen, dass mein Beruf sehr
wohl dazu geeignet ist, meine Familie zu ernähren. Jetzt aber wurde ich mit
der Herrschaft über die Muslime betraut. Meine Familie wird sich von nun
an aus öffentlichen Geldern ernähren und ich werde ausschließlich für das
Wohl der Muslime tätig sein!“ (Buhari)
Freie Stellen in der öffentlichen Verwaltung sollten in
einem modernen islamischen Staat, wenn möglich und
sinnvoll, grundsätzlich öffentlich ausgeschrieben werden, um
der Erfordernis Rechnung zu tragen, dass öffentliche Posten
von den dafür geeignetsten Personen geführt werden sollen.
Jedem, der die geforderten Qualifikationen besitzt, steht das
Recht zu, sich auf die Stelle zu bewerben. Interne
Leitungsfunktionen sollten nach Möglichkeit durch Wahl
besetzt werden.
Das finanzielle Gebaren der Verwaltung sollte durch
einen unabhängigen Rechnungshof auf Gesamtstaatsebene
kontrolliert werden. Der Präsident könnte von der
Volksvertretung (Parlament) gewählt werden. Der
Rechnungshof müsste der Volksvertretung Bericht erstatten.
Die Volksvertretungen der Provinzen könnten ebensolche
unabhängigen Rechnungshöfe für ihre Provinz einrichten.
Um Missstände in der Verwaltung aufzudecken, seien
diese faktisch gegeben oder auf ein Ausführungsgesetz oder
eine Verordnung zurückzuführen, kann von den Bürgern eine

77
Rahmenbedingungen für das Regierungssystem und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Volksanwaltschaft gewählt werden, die bestehende
Missstände aufzeigt, die Anliegen der Bürger verfolgt und um
Gerechtigkeit bemüht ist, in dem sie (stellvertretend für die
Betroffenen) Kontakt mit den Behörden und Regenten
aufnimmt und mit diesen verhandelt. Die Behörden wären zur
Amtshilfe verpflichtet. Diesbezüglich könnte weiters folgende
Regelung getroffen werden:
>Die Volksanwaltschaft gibt Empfehlungen und kann die ihr
vorgetragenen Fälle öffentlich diskutieren. Sie ist immer dann verpflicht
einen Fall zu behandeln, wenn keine Rechtsmittel mehr ergriffen werden
können oder wenn diese aussichtslos erscheinen. Sie kann die behandelten
Fälle und Fragen auch direkt an die (Mazalim-)Gerichte des öffentlichen
Rechts weiterleiten und die Anliegen der ungerecht behandelten Bürger dort
vertreten. Die Bevölkerung kann aber jederzeit Anregungen einreichen. Es
können auch Provinzialvolksanwälte gewählt werden. Näheres ist in
gesonderten Verordnungen festzulegen. <

78
Göttlich festgelegtes Recht
3 Rahmenbedingungen für die Legislative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Umsetzung
3.1 Göttlich festgelegtes Recht
Hinsichtlich der Legislative gibt es in der islamischen
Rechtsordnung einen unumstößlichen Grundsatz: Die Befugnis
allgemeinverbindliche Gesetze zu erlassen steht als einzigem
Gesetzgeber Allah (s.w.t.) zu. Allah (s.w.t.) hat seinen
gesetzlichen Willen – die Scharia – im seinem geoffenbarten
Buch (Qur’an) und durch seinen Gesandten Muhammed
(s.a.w.s.) in dessen Handlungsweise - Sunna36 ausgedrückt.

36
Der Inhalt der Sunna wird durch Ahadith (Plural von Hadith –
Überlieferung) vermittelt. Ein Hadith besteht aus einem Text – Matn und
einer Überlieferungskette – Sanad/Isnad. Um falschen und erfundenen
Überlieferungen vorzubeugen entwickelte sich eine eigene Wissenschaft,
die die Ahadith überprüfte und kategorisierte. Man spricht von einem
Sahih Hadith, wenn der Überlieferungsweg lückenlos ist, sämtliche
Überlieferer vertrauenswürdig waren, ein gutes Erinnerungsvermögen
hatten, der Inhalt keinem anderen Hadith widerspricht und keine
versteckten Fehler vorlagen. Hierfür wurden neben dem Inhalt vor allem
die Biographien und Lebensumstände der überliefernden Sahaba
(Gefährten des Propheten s.a.w.s.) und Tabi’un (Die
Nachfolgegeneration der Prophetengefährten) bis ins Detail rekonstruiert
und überprüft. Ein Hadith ist zudem Mutawatir, wenn er in jeder
Überlieferungsgeneration von so vielen Muslimen überliefert wird, dass
es nicht möglich ist, dass diese sich auf eine Falschaussage abgesprochen
haben. Diese Ahadith sind für die Muslime absolut verbindlich. Daneben
unterscheidet man noch Hasan – das ist die Hadithgruppe unter Sahih;
bei dieser Gruppe von Hadith sind die Anforderungen an das
Erinnerungsvermögen der Überlieferer einwenig abgeschwächt; weiters
Da’if – das sind alle anderen Ahadith, unterteilt in weitere Untergruppen,
die man als schwach bezeichnen kann und die keine Verbindlichkeit
auslösen können. Nach der Anzahl der Überlieferer unterscheidet man
ebenfalls noch zwei Gruppen unter Mutawatir, nämlich Maschhur – das

79
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
„Kein Gläubiger und keine Gläubige haben, wenn Allah und sein
Gesandter eine Sache entschieden haben, in ihrer Angelegenheit noch eine
Wahl.“ (Qur’an 33/36)
„Sprich: Gehorcht Allah und seinem Gesandten.“ (Qur’an 3/32)
„Wer dem Gesandten gehorcht, der gehorcht in der Tat Allah.“ (Qur’an
4/80).
Dieses Gesetz hat für die Muslime Gültigkeit bis zum
Tage des Gerichts, weil Allahs (s.w.t.) Gesetze nur durch neue
Offenbarungen geändert werden können, es neue
Offenbarungen nachdem Tod des letzten Gesandten (s.a.w.s.)
allerdings nicht mehr gibt.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wer in unserer Angelegenheit etwas
Neues hervorbringt, was nicht dazugehört, so ist es zurückzuweisen!“
(Muslim von Aischa).
Jede Gesetzgebung und Normsetzung, die als solche in
einer Verfassung oder einem anderen Gesetz, in einem auf dem
Islam beruhenden Staat bezeichnet wird, muss sich von der
Scharia ableiten lassen und stellt entweder eine verbindlich
gemachte Interpretation bestehender Vorschriften der Scharia
dar (dann kann dies z. B. als Gesetz oder Ausführungsgesetz
bezeichnet werden) oder aber eine normative Anordnung die
notwendig ist und sich im Rahmen dessen bewegt, was von der

sind solche Ahadith, die von wenigen Gefährten überliefert wurden, aber
an sehr viele Muslime, der den Gefährten folgenden Generation,
weitergeleitet wurden und schließlich Ahad – das sind alle anderen
Ahadith, bei denen man auch von Einzelüberlieferungen spricht. Von den
sechs größten Ahadith Sammlungen, die Sahih-Ahadith beinhalten, sind
die Sammlungen von Buhari und Muslim die bekanntesten und
wichtigsten, weil in diesen Sammlungen ausschließlich Sahih-Ahadith
enthalten sind. Siehe dazu Heider, Ferid, Hadithwissenschaften (2007),
DIDI.

80
Normsetzung durch den Kalifen
Scharia erlaubt ist (diese Anordnung könnte dann, je nach
Kategorie z. B. als Verordnung, Anordnung, Richtlinie,
Anweisung (Weisung), Bescheid, Befehl bezeichnet werden).
Die Aufgabe der islamischen Gemeinschaft in einem
islamischen Staat ist es den wahrscheinlichen Willen Allahs
(s.w.t.) – den wahren Willen kennt nur er – herauszufinden
und danach zu handeln.
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wenn du zwischen ihnen richtest und die
richtige Entscheidung triffst, so bekommst du die zehnfache Belohnung.
Wenn du dich in der Rechtsableitung bemühst und die falsche Entscheidung
triffst, so erhältst du (trotzdem) eine einfache Belohnung.“ (Ahmad von
’Amr ibn al-’Ās).

3.2 Normsetzung
Normsetzung durch den Kalifen
Als Vorsteher der islamischen Gemeinschaft (Umma)
steht dem Kalifen nach herrschender Ansicht die Befugnis zu,
die Angelegenheiten des Volkes, nach seiner Überzeugung und
seinem Iğtihād (selbstständige Ableitung von
Rechtsvorschriften aus den Quellen), zu regeln; ist er nicht zum
Iğtihād befähigt, kann er einem Muğtehid37 folgen und, nach
ausführlicher Beratung und Anhörung von Fachmeinungen und
Gutachten, jede Regelung verbindlich erlassen, die seiner
Überzeugung nach am ehesten zutrifft.
„Und wenn du dich entschlossen hast, so vertraue auf Allah.“ (Qur’an
2/159)
„Die Entscheidung liegt allein bei Allah.“ (Qur’an 13/40).

37
Jemand, der zur selbstständigen Ableitung von Rechtsvorschriften aus
den rechtlich relevanten Quellen fähig ist.

81
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
Abū Dāwūd, Baihaqī und Ahmad berichten von Mu’ādh, dass der
Gesandte Allahs (s.a.w.s.) diesen bei der Entsendung nach Jemen fragte:
„Wie richtest du, wenn dir eine Rechtssache vorgebracht wird? Er
antwortete: Nach dem Buch Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es
im Buch Allahs nicht findest? Er sagte: Dann richte ich nach der Sunna
des Gesandten Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es in der Sunna
des Gesandten Allahs nicht findest? Er antwortete: Dann vollziehe ich
Iğtihād in meinem Ermessen. Der Prophet klopfte sodann mit seiner Hand
auf meine Brust und sprach: Gepriesen sei Allah, der den Gesandten des
Gesandten Allahs zu dem hinführte, was den Gesandten Allahs zufrieden
stellt.“
Der Kalif ist an seine eigenen Rechtssätze gebunden. Er
kann davon abgehen, wenn er nach Abwägung der Umstände
zu einem anderen Ergebnis kommt, doch wirken diese
Anordnungen nicht zurück sondern ex nunc für die Zukunft.
„Wir hätten nie (über ein Volk) eine Strafe verhängt, ohne vorher einen
Gesandten (zu ihm) geschickt zu haben“ (Qur’an 17/15)
„[…] Und wenn du einen Eid geleistet hast und später erkennst, dass eine
andere Vorgehensweise besser ist, dann tritt von deinem Eid zurück.“
(Buhari).

3.3 Die Rolle des Allgemeininteresses


Allgemeininteresses
Das Allgemeininteresse (Al maslaha al-mursala) ist bei
der Normsetzung stets zu beachten.38 Das Allgemeininteresse

38
Siehe hierzu das Kapitel „2.4.4 Herbeiführung einer Wohlfahrt bzw. eines
Vorteils und Abwendung eines Schadens für den Einzelnen und die
Gesellschaft“ in Mourad/Toumi, Methodenlehre (2006), 146 ff.

82
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
kann bei Bestehen eines Parlaments als Volksvertretung
symbolisch im Beschluss des Parlaments gesehen werden.
Sämtliche Bestimmungen Allahs dienen dem Wohl der Menschen, daher ist
das Gemeinwohl als aus den Primärquellen ableitbares Prinzip stets und in
jedem Bereich zu beachten. Zaid ibn Tabit berichtet: „[…] Der Gesandte
Gottes (s.a.w.s.) hat das doch auch nicht angeordnet! ’Umar sagte: „Bei
Gott, es wäre zum Wohl der Menschheit! […]“ (Buhāri).
Das darf allerdings nicht dazu führen, dass ein Gesetz
der Scharia dadurch ausgehebelt wird, dies ist nichtig.
„Und wenn du den meisten derer auf Erden gehorchst, werden sie dich
von Allahs Weg irreführen.“ (Qur’an 6/116).
Stehen aber zwei oder mehr Rechtsmeinungen zur
Verfügung, deren Argumente einander die Waage halten, sollte
jedenfalls das Allgemeininteresse (Maslaha) einer Seite mehr
Gewicht verleihen und bei mehreren Wegen sollte immer der
(für die Menschen) leichtere eingeschlagen werden, weil Allah
(s.w.t.) es den Menschen erleichtern will und nicht erschweren.
„Allah möchte es für euch leicht machen und er möchte es nicht
erschweren.“ (Qur’an 2/185)
„Allah möchte euch die Last leichter machen. Denn der Mensch ist schwach
erschaffen.“ (Qur’an 4/28).
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Macht es (den Menschen) leicht und nicht
schwer. Und überbringt frohe Kunde und schreckt nicht (die Leute) ab.“
(Buhārī).

3.4 Normsetzung durch direkte Ableitung von


Vorschriften aus den Quellen der Scharia
Bei der Normsetzung im Bereich der direkten Ableitung
von Rechtssprüchen aus den Primärquellen der Scharia sind

83
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
immer der Sinn/telos/Geist des Gesetzes (wenn sich in den
Primärquellen Anhaltspunkte dafür finden) und die
historischen Umstände sowie der Anlass bzw. die Ursache für
eine Bestimmung (’illa) zu beachten.39 Im Folgenden eine
kurze (wertende) Zusammenfassung der wichtigsten
Interpretationsregeln40:
> Zu aller erst ist aber die verbale41 (Hauptaussagen und
Nebenaussagen), sowie der telos und die systematisch logische
Interpretation (im Zusammenhang gelesen, sowohl unmittelbar als auch im
Zusammenhang mit anderen Normen der Rechtsordnung; logische
Schlussfolgerungen aus dem unmittelbaren Text) durchzuführen. Eine
authentische spezielle Interpretation eines Begriffes oder einer Anweisung
geht der allgemeinen Interpretation vor, wenn ihr nicht durch eine andere

39
Bei einer allgemeingültig formulierten Textfassung ist aber zu bedenken,
dass die Ursache einer Offenbarung den Text zwar erläutern kann, nicht
aber die Gültigkeit einschränken kann.
40
Siehe zu den Interpretationsmethoden ausführlich: Mourad, Samir/
Toumi, Said, Methodenlehre der Ermittlung rechtlicher Bestimmungen
aus den islamischen Quellen, DIDI 2006.
41
Für die verbale Interpretation ist die Kenntnis der arabischen Sprache
notwendig oder die Heranziehung von Stellungnahmen
arabischsprachiger Experten zur Bedeutung, in letzter Möglichkeit
zumindest ordentliche Lexika und andere Quellen – bis Aufklärung
gebracht wird. „Wir haben einen jeden Gesandten mit der Sprache seines
Volkes entsandt, damit er ihnen (die Sachverhalte) klar macht.“ (Qur’an
14/4). Die verbale Interpretation steht deswegen am Anfang der
Interpretation überhaupt, weil das Mittel der Anordnung ja die Sprache
selbst ist und diese vom Gesetzgeber korrekt verwendet wird, es sei denn
,es gibt einen Grund, dass der Text nicht nach dem (äußersten) Wortlaut
zu verstehen ist, weil sie z. B. im Zusammenhang mit einer anderen
Bestimmung zu sehen ist, weil ein Begriff im übertragenen Sinn
verwendet wird, weil es sich um eine allgemeine Bestimmung handelt,
bei der es denkbar ist, dass sie durch andere eingeschränkt ist, weil die
Bestimmung abrogiert wurde, etc.

84
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
Bestimmung derogiert wurde beziehungsweise werden kann – außer es
handelt sich um absolut klare Offenbarungstexte, die feststehend sind und
(ihrer Natur nach) nicht aufgehoben werden können. Ein Text darf nicht
herangezogen werden für Umstände, die nicht gleich oder gegenteilig wie
die/von denen sind, für die eine Aussage besteht. Auch bei allgemeingültig
formulierten mutawatir-Taxten muss die nicht-mutawatir aber sahih Sunna
beachtet werden; wenn diese durch keinen sahih-Hadith eingeschränkt sind,
dann ist der allgemeingültige Text zu beachten.42 In den Primärquellen –
Qur’an und sicherer Sunna gibt es keine Widersprüche, somit sind alle
Widersprüche unechte Widersprüche. Widersprüchlichkeit kann bei zwei
Qur’anversen, einem Qur’anvers und einem mutawatir überlieferten Hadith,
zwei mutawatir überlieferten Ahadith, zwei nicht mutawatir überlieferten
Ahadith und zwei Analogieschlüssen auftreten. Kein Widerspruch besteht
zwischen Qur’an und nicht-mutawatir Hadith. Besteht der Anschein auf
Widersprüchlichkeit müssen die Bestimmungen durch Auslegung in
Einklang gebracht werden, ansonsten muss es Gründe geben eine
Bestimmung der anderen vorzuziehen, ansonsten gilt die früher erlassene
Bestimmung als durch die später erlassene aufgehoben. Falls die
Reihenfolge des Erlasses unklar ist, kann man wählen oder von beiden
Abstand nehmen.
Die Iğma’ (Konsens) als Übereinstimmung aller Muğtehids
(Rechtsgelehrte mit der Befähigung zur eigenständigen Rechtsableitung –
Iğtihad) eines Zeitalters43 ist eine Rechtsquelle, sofern sich die Umstände
(und damit die Konsensgrundlage) in diesem Punkt seit dem Zeitpunkt des
Konsenses nicht geändert haben. Der Konsens steht hierarchisch unter der
Sunna, somit geht die direkte Ableitung aus bestehender Sunna und
selbstverständlich aus dem Qur’an dem vor.
Die Analogie (qijas) ist in der Hierarchie dort anzuordnen, wo die
ableitbare Bestimmung zu finden ist (etwa auf der Stufe vor der Sunna,

42
Dies ist unter den Rechtsgelehrten strittig. Die geschilderte Ansicht
entspricht der von Abu Zahra. Die Beachtlichkeit der nicht-mutawatir
Sunna gegenüber mutawatir Texten (Qur’an) sehen auch die malikitische,
schafiitische und hanbalitische Rechtschule als richtig an.
43
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Meine Gemeinschaft (umma) kommt nicht
in einem Irrtum überein.“ (Ibn Mağa, Tirmidhi, ua – der Hadith gilt
sahih laut Ibn Hağar und al-Albani).

85
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
wenn es eine Analogie aus einer qur’anischen Bestimmung ist etc.). Eine
Analogie zu einer Bestimmung aus dem Qur’an kann aber nicht gezogen
werden, wenn es eine sichere Sunna zu der gleichen Fragestellung gibt,
außer gegenteiliges ist durch allgemeine Auslegung zu begründen. Qijas
umfasst auch argumentum a maiore ad minus, a minore ad maius, a
fortiori/e, reductio ad absurdum.
Die menschliche Vernunft ist in erster Linie keine Rechtsquelle, sie
ist ein Instrument zur Ableitung aus den verschiedenen Rechtsquellen und
zur Erkenntnis.44 Dort aber, wo aus den Quellen nichts abgeleitet werden
kann und auch über das Allgemeininteresse keiner gerechtfertigten Ansicht
der Vorzug gegeben werden kann, ist mit Hilfe der Vernunft eine völlig
neue Regelung zu treffen, wenn diese die Stufe der Notwendigkeit erlangt
um allgemein verbindlich erlassen zu werden.
Das Gewohnheitsrecht ist Teil der Rechtsordnung.45 Davon ist z.
B. auch der allgemeine völkerrechtliche Konsens eines Zeitalters erfasst,
sofern er nicht im Widerspruch zur Scharia steht. Beispiele sind etwa die
Abschaffung der Sklaverei, das Verbot des Menschenhandels oder die
Behandlung von Kriegsgefangenen. (Möglicherweise kann auch der Schutz

44
Der Ansicht, dass alles was die Vernunft diktiert, als von Gott diktiert
betrachtet werden kann, kann nicht gefolgt werden. Die scheinbar ewig
gültige vernunftmäßige Ableitung und Erkenntnis ist eben nicht
allgemein und ewig gültig sondern kann nur zeitgebunden und
abänderbar aufgefasst werden. Das zeigt sich vor allem an der heutzutage
geführten Menschenrechtsdiskussion. Wenn es vor 2000 Jahren
vernünftig erschien, gewisse Verbrecher den Löwen zum Fraß
vorzuwerfen, so trifft dies heute nicht zu. Die Setzung der Vernunft als
absolute Rechtsquelle würde zur Aushebelung der göttlichen Anordnung
führen und damit zur Umgehung des gesamten islamischen
Rechtsbestandes, was dazu führt, dass als absoluter Wert etwas
angenommen werden kann, was in Wirklichkeit kein absoluter Wert ist;
dies wiederum führt zu Ungerechtigkeit und zur Entfernung von
göttlichen Prinzipien, die Gott selbst festgesetzt hat; das wiederum führt
zur Unterdrückung und Willkürherrschaft.
45
„Übe Nachsicht und gebiete entsprechend der Gewohnheit und wende
dich ab von den Unwissenden.“ (Qur’an 7/199).

86
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
des geistigen Eigentums als gewohnheitsrechtlich verpflichtend angesehen
werden.)
Die menschlichen Handlungen teilen sich in verschiedene
Kategorien: die Grundkategorien sind: Pflicht (fard, wağib), freiwillige gute
Tat (mandub), erlaubte Handlung (mubah), verpönte Handlung (makruh),
Verbot (haram). Diese können sich je nach Klassifizierung wieder in
unterschiedliche Kategorien aufteilen: wie etwa fard ’ain, fard kifaja und
wağib als Formen des Gebotes, mustahabb und sunna als Form des
Erwünschten, mufsid (fasid/verdorben und batil/ungültig), karaha tahrimijja
und karaha tanzimijja als Formen des Unerwünschten/ Verpönten und
tatsächlich Verbotenes und deswegen Verbotenes, weil es jedenfalls zu
Verbotenem führt als Formen von haram. Wenn es keinen ausdrücklichen
Beweis gibt, darf eine (nicht-gottesdienstliche) Handlung nicht als Verboten
angesehen werden.46<
Was den großen Bereich der Normsetzung angeht, für
den keine direkte Ableitung einer Lösung aus den Quellen der
Scharia möglich ist, stellt sich die Frage, ob eine
Stellungnahme des Parlaments für den Kalifen bindend ist oder
nicht.
Diejenigen, die meinen, ein Beschluss des Parlaments
(Schura) sei nicht verbindlich, berufen sich auf den Qur’anvers
3/159: „[…] und ziehe sie in der Sache zu Rate; und wenn
du dich entschlossen hast, dann vertraue auf Allah […]“ Die
Formulierung „wenn du dich entschlossen hast“ legt nahe, dass
die Meinung der Beratenden nicht verbindlich ist.
Dieser Vers richtet sich aber direkt an den Propheten
(s.a.w.s.), der unter Allahs (s.w.t.) Offenbarung handelte,
abgesehen davon muss man wissen, dass sich der Prophet

46
„Und sagt nicht aufgrund der Falschheit euerer Zeugen: Das ist erlaubt
und das ist verboten; so dass ihr eine Lüge gegen Allah erdichtet.
Wahrlich diejenigen die eine Lüge gegen Allah erdichten, haben keinen
Erfolg.“ (Qur’an 16/116).

87
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
(s.a.w.s.) tatsächlich an die Meinung der von ihm konsultierten
Personen gehalten hat.
„Ich habe niemanden gesehen, der sich mehr mit seinen Gefährten beriet,
als der Gesandte Allahs (s.a.w.s.).“ (At-Tirmidhi von Abu Huraira).
Ein anderer Qur’anvers, nämlich 42/38, ist hingegen
allgemein formuliert: „und deren
Handlungsweise/Angelegenheit eine Sache gegenseitiger
Beratung ist“ (Amruhum Schura baynahum). Das Wort ’Amr
entspricht in diesem Zusammenhang aber wohl am ehesten der
Bezeichnung allgemeine Angelegenheit, somit „System“.
Zudem geht aus dem Vers hervor, dass die Konsultation
jedenfalls vorgeschrieben ist und in dieser allgemeinen
Formulierung gibt es keine weitere Einschränkung. Man kann
also durchaus davon ausgehen, dass in Angelegenheiten, in
denen keine eindeutigen Belege aus den islamischen Quellen
für eine gewisse Lösung sprechen, jedenfalls eine Konsultation
durchzuführen ist und, dass diese bei Einvernehmen bzw.
Mehrheitsbeschluss tatsächlich bindend ist.
Fraglich ist aber dann, ob in jedem Fall das
(allgemeine) Parlament zu konsultieren ist, oder ob nicht eher
in allgemeinen Fragen die Entscheidung des Parlaments
bindend sein soll und in fachlichen Fragestellungen der
entsprechende Fachmann in der Person des Ministers des
betroffenen Ressorts eine Rolle spielen soll. Die
Unterscheidung zwischen allgemeinen Fragen und
fachspezifischen Fragen ist allerdings deswegen sinnvoll, weil
sich aus der Handlungsweise des Propheten (s.a.w.s.) ableiten
lässt, dass er zwar die Allgemeinheit konsultiert hat, bei
fachspezifischen Fragen aber der Meinung von Experten
gefolgt ist. So etwa bei der Auswahl des Lagerplatzes vor einer
Schlacht auf den Fachmann al-Hubab ibn al-Mundhir hörte, der
ihm von seinem ursprünglichen Plan abriet. Man könnte daher

88
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
entweder eine Einbeziehung der Minister in verbindliche
Entscheidungen mit fachspezifischen Implikationen vorsehen
oder aber man sorgt dafür, dass das Parlament mit
ausreichend Fachleuten diverser Disziplinen besetzt ist.
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte zu Abu Bakr und ’Umar: „Wenn ihr
euch in einer Beratungsangelegenheit einig seid, so werde ich nicht
widersprechen“ (Ahmad auf dem Weg von Ibn Āanm al-Aš’ari)
Folgende Regelung wäre in einem Islamischen Staat der
Gegenwart sinnvoll:
> In jenen Angelegenheiten, die ein staatliches Vorgehen und Tätigkeiten
nach sich ziehen und bei denen es nicht darum geht, etwas zu erlauben oder
zu verbieten und in solchen Angelegenheiten, die keine besondere
facheinschlägige Auseinandersetzung benötigen (z. B. in inneren
Angelegenheiten der Verwaltung, Organisation des Gesundheitssystems,
Bau bestimmter Anlagen, etwa Ausbau der Eisenbahn etc.) ist die Meinung
des Parlaments für den Kalifen verbindlich. Der Beschluss symbolisiert
nämlich das Allgemeininteresse. Da es sich hier um den Raum handelt, den
die Scharia offen lässt und die Anweisungen des Kalifen zum Wohle der
Menschen getätigt werden sollen, gibt es keinen Grund eine
Bindungswirkung des Parlaments zu versagen. Er kann daher nur aus
übergeordneten Interessen, die sich aus den Prinzipien der Rechtsordnung
ergeben, insbesondere ungerechtfertigter oder unverhältnismäßiger Eingriff
in die Grundrechte und wenn gewisse Ziele oder Vorhaben über anderen
stehen und dadurch unverhältnismäßig gefährdet werden (insbesondere
Sicherheitsfragen) davon abweichen. Bei letzterem kann die Einschränkung
erfolgen, dass nur dann abgewichen werden kann, wenn der zuständige
Minister sich gegen die Meinung des Parlaments ausspricht.
Bei Kompetenzfragen und Fragen über das Vorliegen eines
übergeordneten Interesses – sofern es sich nicht um ein sicherheits-
beziehungsweise militärisch-taktisches Interesse handelt – könnte z. B. ein
Vorabentscheidungsverfahren beim zuständigen (Staats-)Gerichtshof
eingerichtet werden, das innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit zu
entscheiden hätte.
Die Minister haben ein Initiativrecht für Gesetze und
Verordnungen in ihrem Ressort und sind mit der fachlichen Untersuchung
und Ausarbeitung betraut. Stimmt der Vorschlag des Ministers mit der
Mehrheit im Parlament überein, so ist dies für den Kalifen/

89
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
Ministerpräsidenten grundsätzlich bindend [ denn die Minister stehen
für die fachliche Kompetenz der Ressorts und der Beschluss der
Volksvertretung für das Allgemeininteresse ], außer es bestehen
übergeordnete Interessen, die in den Prinzipien der Rechtsordnung
begründet sind, insbesondere ungerechtfertigter oder unverhältnismäßiger
Eingriff in die Grundrechte oder es geht um die direkte Ableitung von
Rechtssprüchen aus den Primärquellen der Scharia und nicht um
Anordnungen in jenen Bereichen, die von der Scharia offen gelassen
wurden. Die Minister stehen für die fachliche Kompetenz der Ressorts und
der Beschluss der Volksvertretung für das Allgemeininteresse.
Es gibt keine außerordentlichen Gesetze, die den Kalifen oder
irgendjemanden sonst zur Normsetzung unter Ausschaltung der
Kontrollmechanismen berechtigen. <
Dadurch wird sichergestellt, dass der demokratische
Gedanke gewahrt wird und das Volk die Angelegenheiten
selbst entscheidet, und zugleich wird die Möglichkeit für den
Kalifen offen gelassen, (nach Befassung des Staatsgerichts) zu
handeln, wenn höchstrangige Prinzipien der Rechtsordnung
gewahrt werden müssen (weil der Kalif der letztendlich
Verantwortliche für die Normsetzung ist). Dieses System
vermeidet auch das Problem einfacher Demokratien, sich selbst
zu blockieren, indem Entscheidungen mangels Mehrheit nicht
sinnvoll getroffen werden (können). Hier kann der Kalif
sodann bei Notwendigkeit eine Maßnahme anordnen
beziehungsweise eine Norm beschließen und das Parlament ist
dann gezwungen sich zu einigen, wenn es damit nicht
einverstanden ist. Dies erhöht sicherlich die politische
Kompromissbereitschaft, weil es dem Parlament sicher lieber
sein wird, eine eigene (Kompromiss-)Lösung auszuhandeln, als
eine auferlegt zu bekommen.

90
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
Vereinfacht gesagt, kann also festgelegt werden, dass
der Beschluss des Parlaments in Übereinstimmung mit der
Stellungnahme des zuständigen Ministers jedenfalls bindend
sein sollte. Ohne Zustimmung des Ministers sollte der
Beschluss des Parlaments nur dann bindend sein, wenn es sich
um keine fachspezifische (komplizierte) Angelegenheit
handelt, sondern um eine allgemeine. Im Bereich der direkten
Ableitung von Rechtsvorschriften aus den Quellen der Scharia
spielt die Meinung des Parlaments nur dann eine Rolle, wenn
mehrere unterschiedliche Ableitungen möglich und
gerechtfertigt sind (Al Maslaha al Mursala). Steht etwas nach
dem Qur’an oder der Sunna eindeutig fest, kann keine
Entscheidung eines Konsultativorgans für den Kalifen bindend
sein. Das zeigte sich z. B. gleich zu Beginn des Kalifats, als
Abu Bakr (r.a.) gegen diejenigen vorging, die es nach dem Tod
des Propheten (s.a.w.s.) unterlassen haben, die Sozialabgabe
(Zakah) zu zahlen. Er konsultierte nicht die Ratsversammlung,
denn hiefür ist keine Beratung notwendig, weil die Zahlung der
Sozialabgabe nämlich Pflicht ist.
Bei der Normsetzung sollte am besten differenziert
vorgegangen werden und es sollte in vielen Bereichen die
Subsidiarität zugunsten der Provinzen bedacht werden. Im
Bereich der aus den Primärquellen direkt ableitbaren
Rechtssätze ist der Gouverneur jeder Provinz nach seinem
Iğtihād oder in Befolgung eines anderen Gelehrten
entscheidungsbefugt, solange der Kalif nicht einen Scharia-
Rechtsspruch (Hukm ’Scharri’) erlässt und den
Meinungsunterschied aufhebt. In den Bereichen, die die
Scharia offen lässt, insbesondere bei
Verwaltungsangelegenheiten, sollte von dem Primärrecht der
Provinzen zur Normsetzung ausgegangen werden.
Abū Dāwūd, Baihaqī und Ahmad berichten von Mu’ādh, dass der
Gesandte Allahs (s.a.w.s.) diesen bei der Entsendung nach Jemen fragte:

91
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
„Wie richtest du, wenn dir eine Rechtssache vorgebracht wird? Er
antwortete: Nach dem Buch Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es
im Buch Allahs nicht findest? Er sagte: Dann richte ich nach der Sunna
des Gesandten Allahs. Der Prophet fragte: Und wenn du es in der Sunna
des Gesandten Allahs nicht findest? Er antwortete: Dann vollziehe ich
Iğtihād in meinem Ermessen. Der Prophet klopfte sodann mit seiner Hand
auf meine Brust und sprach: Gepriesen sei Allah, der den Gesandten des
Gesandten Allahs zu dem hinführte, was den Gesandten Allahs zufrieden
stellt.“
Zu empfehlen wäre z. B. folgende Regelung:
> Der Gesamtstaat schreitet ein um Mindesterfordernisse
festzusetzen oder im Wege der Grundsatzgesetzgebung (z. B. Grundsätze
der Bildungspolitik, einheitliche Standards; aber keine Vorschreibung eines
bestimmten Systems – etwa Gesamtschule oder nicht) bzw. der
Gesetzgebung durch Vorschreiben mehrerer zur Auswahl stehender
Alternativen, außer eine Maßnahme bzw. ein von der Rechtsordnung
gefördertes und angestrebtes Ziel kann nur durch gesamtstaatliche
Normsetzung erreicht werden oder zumindest wesentlich besser und
effizienter erreicht werden (etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung
und Grundsicherung) sowie dann, wenn eine oder die Provinz/en
entsprechende Maßnahmen verabsäumen. Will der Kalif eine Norm
erlassen, bei der zweifelhaft ist, ob sie die Selbstständigkeit der Provinzen
stark beeinträchtigt, entscheidet das Staatsgericht über die Schlüssigkeit –
nicht jedoch über die politische Gewichtung – der
Notwendigkeitsbegründung und -abwägung des Kalifen bzw.
Ministerpräsidenten, um Willkür zu vermeiden. Der Kalif hat über diese
Grundsätze zu wachen.
Es ist den Provinzen nicht gestattet Normen für die Bereiche zu
schaffen, die unmittelbar vom Gesamtstaat verwaltet werden, mit
Ausnahme der freien Bereiche in der Judikatur. Es ist den Provinzen nicht
erlaubt selbstständig Steuern und Einnahmen zu erheben, wenn ihnen dies
nicht durch den Gesamtstaat ausdrücklich zugestanden wird. Bei der
Erlaubnis bestimmte Steuern zu erheben, die ausschließlich für eine Provinz
bzw. einen Landkreis verwendet werden, sind die Provinzen/Gliedstaaten
gleich zu behandeln, außer es besteht eine Notwendigkeit zur
Sondererlaubnis, die objektiv gerechtfertigt werden kann und die der Kalif

92
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
bestätigt. Bei Streitigkeiten entscheidet das Gericht. (Siehe hierzu weiter
unten bei den Politikbereichen)
Auch innerhalb einer Provinz ist den kleineren Einheiten die
Möglichkeit zu geben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, insbesondere
die Kommunalverwaltung.
Jeder Gesetzesakt kann vom Regenten dem Volk zur verbindlichen
Entscheidung vorgelegt werden. Ausgenommen sind die unmittelbaren
Ableitungen aus dem Kernbereich der Scharia, außer es geht darum das
Allgemeininteresse für die Gewichtung bestimmter Argumente zu
erforschen. Das Volk hat die Möglichkeit durch Bürgerinitiativen
(Unterschriftenaktionen in gewissem Mindestumfang) an der politischen
Willensbildung teilzunehmen um eine verpflichtende Befassung der
Volksvertretung und der Regenten mit einem bestimmten Thema zu
erwirken. <
Eine föderale Ausprägung ist absolut notwendig, will
man die Stabilität des Staates gewährleisten, der aus mehreren
Völkern besteht. Zudem ergibt sich der föderale Charakter aus
der (relativen) Regierungsfreiheit der Befehlshaber während
der Zeit des Propheten (s.a.w.s.) und der nachfolgenden
Kalifen.
Jede beschlossene Norm sollte am besten einem
Obersten Justizrat vorgelegt werden, der über die Vereinbarkeit
mit den Grundsätzen der Scharia entscheidet. Dieses Gremium
besteht aus islamischen Rechtsgelehrten, die in der Lage sind,
die Norm nach den islamischen Rechtsvorschriften eingehend
zu untersuchen. Der Oberste Justizrat sollte als ein Experten-
Parlament betrachtet werden, dessen Rat bei der direkten
Ableitung von Rechtsvorschriften aus den Quellen der Scharia
besondere Bedeutung besitzt – schließlich ist der Kalif in
diesem Bereich, wie weiter oben ausgeführt, nicht an die
Meinung des Parlaments als allgemeines
Volksvertretungsorgan gebunden. Passend wäre etwa folgende
Regelung:

93
Rahmenbedingungen für die Legislative und Möglichkeiten
einer konkreten Umsetzung
>Ist die Mehrheit im Justizrat der Meinung, die Norm verstößt
gegen Grundsätze der Scharia, wird sie zurückverwiesen und muss erneut
unter Berücksichtigung der Argumente des Rates behandelt werden. Es
kann ein abgeänderter Beschluss oder ein Beharrungsbeschluss gefasst
werden. Sollte ein Beharrungsbeschluss gefasst werden, ist diese
grundsätzlich verbindlich. Der Oberste Justizrat kann ihn allerdings für
nichtig erklären, wenn es sich um offenkundiges Unrecht handelt – eine
Auslegung, die den islamischen Prinzipien widerspricht und durch keine
ernsthafte und durchdachte Interpretation der Quellen und nicht unter
Berücksichtigung der teleologischen und historischen Interpretation,
erreicht werden kann, sowie dann, wenn die Maßnahme offensichtlich auf
Willkür und Unterdrückung abzielt. (Bei der ersten Überprüfung geht es um
die Richtigkeit nach Meinung des Rates, bei der zweiten Überprüfung geht
es hingegen um die schlichte Vertretbarkeit) <
Weitere beispielhafte Belege:
„[…] und dass wir die Befehlsgewalt denjenigen, die sie innehaben nicht
streitig machen. Er (der Prophet s.a.w.s.) sagte: ’Es sei denn, ihr seht einen
offenkundigen Kufr (Unglauben/Sünde), für den ihr von Allah einen
definitiven Beweis habt.’ (Al-Buhārī von ’Ubāda ibn al-Sāmit)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wer in unserer Angelegenheit etwas
Neues hervorbringt, was nicht dazugehört, so ist es zurückzuweisen!“
(Muslim von A’iša).
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wenn der Befehl zu einer Sünde
gegeben wird, so gibt es keinen Gehorsam“ (Buhārī, Muslim, Abu Dawūd,
Tirmidhi, Nasā’i).

94
4 Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/
Judikative und Möglichkeiten einer konkreten
Umsetzung
Die Judikative ist jene unabhängige, in ihrer
rechtsprechenden Tätigkeit weisungsfreie Gewalt, die über
Recht und Unrecht verbindlich entscheidet, im Bereich des
Strafrechts, des Privatrechts, sowie bei Auseinandersetzungen
zwischen dem Staat und den Bürgern.
Während des historischen Kalifats hat sich der Posten
des Obersten Richters (Qādi al-Qudāt / Wālī al-Qadā’) etabliert:
er wird vom Kalifen oder Ministerpräsidenten auf eine
bestimmte Zeit ernannt. Er muss dem Kreis der Rechtsgelehrten
angehören, der zum selbstständigen Iğtihād fähig ist. In unserer
Zeit kann man den Obersten Richter zugleich als Justizminister
mit entsprechenden Befugnissen ansehen.47 Es kann als

47
Der Oberste Richter ist als Justizminister in seinen richterlichen Aufgaben
und seinen eigentlichen inhaltlichen Tätigkeiten genauso wie alle anderen
Richter weisungsfrei, d.h. ihm kann weder das Ergebnis seiner Arbeit
noch eine verbindliche Interpretation auf eine bestimmte Art und Weise
vorgegeben werden. Die Bezeichnung Oberster Richter soll nicht den
Eindruck erwecken, dieser könnte inhaltliche Weisungen in laufenden
Prozessen erteilen oder eine bestimmte Interpretation vorschreiben.
Richter können nur in Justiz-Verwaltungsangelegenheiten oder in
organisatorischen Fragen Weisungen (seitens des Obersten Richters als
Justizminister) unterliegen, weil diese nicht die rechtsprechende Tätigkeit
berühren. Dies ist ein zentrales Merkmal rechtstaatlicher Systeme. Daher
kann auch dem Obersten Richter als Justizminister eine bestimmte
Vorgabe seitens des Ministerpräsidenten oder des Kalifen erstatten
werden, etwa für einen bestimmten Teil des Strafrechts einen
Kodifikationsvorschlag zu erstatten oder ein neues Bezirksgericht
einzurichten: er entscheidet aber über den Inhalt des Gesetzesvorschlags

95
Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Vorsteher der Mazālim-Gerichte betrachtet werden, der auch
die Befugnis besitzt, Richter einzusetzen. Die Mazālim-
Gerichte waren im islamischen Reich die zweite Instanz, an die
sich die Bürger wenden konnten, wenn in einem Verfahren ein
wesentliches Recht missachtet wurde.48 Diese Gerichte konnten
die Entscheidung der Vorinstanzen aufheben und neuerlich
entscheiden.
’Abd al-Razzāq berichtet von al-Imam al-Taurī, dass dieser sagte: „Wenn
der Richter im Widerspruch zum Buch Allahs, zur Sunna des
Gesandten Allahs oder im Widerspruch zu etwas richtet, worüber
Übereinstimmung herrscht, so muss der Richter nach ihm sein Urteil
aufheben.“49
In Bezug auf de Obersten Richter empfiehlt sich
folgende Regelung:
>Der Oberste Richter kann vom Kalifen einseitig und vom
Vorsteher des Obersten Justizrates auf begründeten Beschluss des Obersten
Justizrats abgesetzt werden – die Absetzung muss durch den Kalifen
erfolgen (nach Prüfung des Grundes), ebenso kann ihm durch eine 2/3
Mehrheit der Volksvertretung das Misstrauen ausgesprochen werden, was
den Kalifen zur Absetzung verpflichtet.<
In Vereinbarkeit mit den Prinzipien der Scharia und der
Möglichkeit und absoluten Notwendigkeit eine zweite
nachprüfende Instanz zu schaffen, bietet sich die Möglichkeit in

sowie über die Art und Weise des Gerichtssprengels und die Auswahl der
Richter für die neuen freien Posten.
48
Siehe z. B. Gerhard Conrad, Reviewed Work: Jorgen S. Nielsen, Secular
Justice in an Islamic State: Mazalim under the Bahri Mamluks, in: Die
Welt des Islam, New Ser., Bd. 29, Nr. 1/4. (1989), pp. 251-253.
49
Aus: ’Abdu-l-Qadim Zallum, Das Regierungssystem im Islam, 220;
basierend auf Taquiyyu-d-Din an-Nabhani.

96
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
einem islamischen Staat der Gegenwart z. B.: folgende
Regelung zu treffen:
>Die Mazālim–Gerichte gliedern sich in drei Gerichtshöfe: Der
Oberste Gerichtshof, der Staatsgerichtshof und der Verwaltungsgerichthof,
wobei dem Obersten Gerichtshof ein Berufungsgericht beigegeben ist. Der
Oberste Richter ernennt die Richter an den Mazālim–Gerichten. Die
Verwaltungsangelegenheiten kann er an von den Richtern gewählte
Präsidenten delegieren. Die Hälfte der Richter für den Staats- und den
Verwaltungsgerichtshof kann die Volksvertretung vorschlagen, der Oberste
Richter prüft dabei die ausreichende Qualifikation der Bewerber, die andere
Hälfte der Stellen wird ausgeschrieben und der Oberste Richter ernennt die
seiner Meinung nach geeigneten Personen und muss dies schlüssig
begründen; ist die Begründung nicht schlüssig, kann die Ernennung durch
den Vorsteher des Obersten Justizrates aufgehoben werden. Für den
Obersten Gerichtshof ist jedenfalls eine Ausschreibung notwendig.
Die Mazālim-Gerichte sind befugt, Fälle, die in ihren
Kompetenzbereich fallen, von Amts wegen wahrzunehmen.
Die Unabhängigkeit der Richter ist zu gewährleisten. Sie sind nicht
weisungsunterworfen – außer in Bereichen der Justizverwaltung –
unabsetzbar und unversetzbar, außer bei Handlungen, die offensichtliches
Unrecht darstellen oder wenn die Voraussetzungen ihrer Eignung wegfallen
(z. B. bestimmte Verurteilungen). Die Unabhängigkeit der Justiz wird von
einem weisungsfreien beauftragten Staatsanwalt beobachtet, der bei
Verfehlungen Anklage erheben kann; dieser wird vom Staatsrat für Justiz
auf Empfehlung der Volksvertretung bestellt. Niemand kann in einen
laufenden Prozess eingreifen, weder der Oberste Richter noch der Kalif, erst
Recht nicht, wenn es um einen Regenten geht bzw. gegen den Kalifen selbst.
Jeder hat das Recht auf einen öffentlichen Prozess vor einem
unabhängigen Gericht innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit, sowie auf
hinreichende Aufklärung seines Sachverhaltes unter Berücksichtigung seiner
Argumente und Untersuchung seiner Beweismittel.
Jeder hat das Recht sich vor Gericht durch einen Bevollmächtigten
vertreten zu lassen, der auch ein Honorar dafür verlangen kann
(Anwaltsvertretung). Im Strafprozess hat jeder ein Recht auf fachkundige
Rechtsberatung zur Wahrung seiner Rechte, kann er sich keinen Berater und
Vertreter leisten, wird ihm von Seiten des Staates einer zur Seite gestellt.
Der Oberste Gerichtshof ist die höchste Instanz in den Bereichen
Strafrecht und Privatrecht. Er entscheidet in Senaten (bei Stimmengleichheit

97
Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag) oder bei grundsätzlichen
Fragen und bei Abweichen von der eigenen Rechtsprechung in verstärkten
Senaten über die Auslegung der Normen und die abstrakte Festlegung –
rechtliche Ableitung, der Vorsitzende entscheidet sodann – wenn dies
vorgesehen und notwendig ist – nach Beratung mit dem Senat unter Bindung
an die Rechtsansicht, in der Sache selbst.<
Nach klassischem Fiqh (islamische Rechtswissenschaft)
ist der Richter alleine für sein Urteil vor Allah verantwortlich,
keiner der großen Rechtsgelehrten hat gefordert, dass eine
Entscheidung in Senaten getroffen wird; die Einzelentscheidung
wurde als selbstverständlich angesehen. Aus den
Geschichtsquellen ergibt sich, dass die Richter jedoch Berater
(Senate) heranziehen müssen.
Wenn der Senat jedoch gemeinschaftlich nur über die
Rechtsauslegung entscheidet, so ist die mit diesem Prinzip
vereinbar (schließlich ist auch der gesamte
Normsetzungsprozess durch verschiedene Personen und deren
Zusammenwirken bestimmt), denn es liegt letztlich
ausschließlich am Einzelrichter, die Rechtsansicht am
konkreten Fall im Einzelnen anzuwenden und zu prüfen, ob ein
rechtserheblicher Sachverhalt unter einen gesetzlichen
Tatbestand subsumiert werden kann, sowie über die
erforderlichen Feststellungen zur Würdigung der Beweismittel
zu urteilen; zudem obliegt ihm das Urteil nach allfälligem
richterlichem Ermessen - und dafür ist er allein vor Allah
verantwortlich.
>Zuständig ist der Oberste Gerichtshof für Rechtsfragen von
erheblicher Bedeutung, sofern die Gesamtstaatsordnung betroffen ist oder
Grundprinzipien und Grundrechte der Rechtsordnung. Wird eine solche
Rechtsfrage von einer Partei behauptet, ist sie dem Obersten Gerichtshof

98
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
vorzulegen, falls das Berufungsgericht die Ansicht über die Erheblichkeit
teilt. Sollte das Berufungsgericht diese ordentliche Revision nicht zulassen,
ist eine außerordentliche Revision durch die Parteien nach Fällung des
Urteils der zweiten Instanz und vor dessen Rechtskraft möglich. Der Oberste
Gerichtshof kann die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen oder
annehmen. Nimmt er die Sache an, entscheidet er im Senat über die
vorgelegten Rechtsfragen (nicht in der Sache selbst) und verweist an das
Berufungsgericht zurück, das an die Rechtsansicht des Obersten
Gerichtshofs gebunden ist (außer dies stellt offensichtliches Unrecht dar).
Bei groben Mängeln (Diskriminierung, Korruption, Mangel an rechtlichem
Gehör, unterlassen von sinnvollen Beweisprüfungen, Befangenheit, etc.)
sowie zur Wahrung grundlegender Prinzipien der Rechtsordnung im Bereich
Zivilrecht- und Strafrecht entscheidet der Gerichtshof in letzter Instanz in
der Sache selbst – nach Beratung im Senat, durch den Vorsitzenden; oder er
ordnet eine neue Verhandlung mit neuen Richtern zweiter Instanz an. Bei
Grenz- oder Vergeltungsdelikten erfolgt die Berufung direkt an den
Obersten Gerichtshof unter Umgehung des Berufungsgerichts, sofern es sich
um Körperstrafen handelt. Ermessensentscheidungen dürfen nicht revidiert
werden, es sei denn der vorliegende Mangel könnte Einfluss auf die
Entscheidung haben.
In zweiter Instanz entscheiden Berufungsgerichtshöfe als Mazālim-
Gerichte, an die generell sämtliche Fälle herangetragen werden können, die
Mängel in der rechtlichen Beurteilung oder im Verfahren aufweisen, sowie
beim Vorwurf unzureichender Würdigung der Beweismittel. Sie haben keine
Kompetenz eine Ermessensentscheidung des Richters erster Instanz zu
revidieren außer, diese steht mit dem Mangel in Verbindung; oder
Sachverhaltsfeststellungen für ungültig zu erklären, wenn der Richter erster
Instanz die Beweise ausreichend und gründlich berücksichtigt hat, außer es
liegen gröbliche Verfahrensfehler (Willkür, Befangenheit des Richters,
grobe Gemütserregung, etc.) vor.
In erster Instanz gibt es grundsätzlich zwei Arten der Gerichte:
einfache Gerichte und höhere Gerichte erster Instanz. Sie unterscheiden sich
in der Kompetenzverteilung und in der Bedeutung der Streitangelegenheiten.
Die einfachen Gerichte bilden die große Mehrheit, sie entscheiden in einem
effizienten Schnellverfahren über die Grundanliegen der Bevölkerung (z. B.
allgemeines Familienrecht, Erbrecht, Mietrecht, Fälle mit geringem
Streitwert etc.). Gegen ihr Urteil ist eine Berufung an die Gerichte zweiter
Instanz möglich. Die höheren Gerichte entscheiden in komplizierteren
Fällen, sowie bei höherem Streitwert und schwerwiegenderem Strafrecht. Es

99
Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
kann auch vorgesehen werden, dass für bestimmte Bereiche ein
Schnellverfahren (ohne tiefgreifende Beweiswürdigung) vor den einfachen
Gerichten eingerichtet wird (als eine Art Schiedsgericht), um bei
Angelegenheiten des täglichen Lebens zu einer raschen Rechtsbegutachtung
zu kommen; dieses Urteil aber nur bei Zustimmung durch beide Parteien
Rechtsgültigkeit erlangt und außer Kraft tritt bei der fristgerechten Anrufung
des ordentlichen Gerichts, dass völlig neu und in einem gründlichen
Verfahren über die Sache entscheidet. Sollten die Parteien sich dem Urteil
unterwerfen (Schiedsgericht), kann nur Berufung unter den allgemeinen
Berufungsvoraussetzungen erhoben werden. Die Entscheidungsträger bei
den Schnellgerichten und bei den einfachen Gerichten erster Instanz können
hinreichend qualifizierte rechtskundige Beamte; bei den Schnellverfahren
(Schiedsgerichte) können aber vor allem qualifizierte Imame bzw. Muftis
der regionalen Moscheen damit beauftragt werden.
Bei allgemeinen Zivilrechtsklagen hat in erster Instanz ein
schriftliches Vorverfahren stattzufinden, das dem Kläger bei Schlüssigkeit
der Klagebehauptung zu einem vorläufigen gerichtlichen Ausführungsbefehl
verhilft, der außer Kraft gesetzt wird, falls der Beklagte Einspruch erhebt.
Lässt er die Frist verstreichen hat ihn der Richter zu kontaktieren und bei
Einspruch ein Verfahren einzuleiten, bei mangelnder Reaktion anhand der
bestehenden und selbstständig gefundenen Beweismittel zu urteilen.
In erster Instanz bei den einfachen Gerichten und den
Schnellgerichten ist immer ein Einzelrichter zuständig. Bei den höheren
Gerichten und den Gerichten zweiter Instanz sind Senate zuständig, die
endgültige Entscheidung trifft aber alleinverantwortlich der Vorsitzende als
zuständiger Richter; dieser muss aber die Argumente und
Mehrheitsverhältnisse als wichtige Impulse berücksichtigen.
Je nach Notwendigkeit sind Spezialgerichte erster Instanz
einzurichten, etwa für arbeitsrechtliche Angelegenheiten oder für
Handelsrecht, Kartellrecht etc.
Es sind normative Regelungen über die Voraussetzungen und
Bedingungen der Wiedereinsetzung und der Wiederaufnahme des
Verfahrens zu treffen. <
Im Folgenden einige beispielhafte Überlieferungen des
Propheten (s.a.w.s.) zur Gerichtsbarkeit:
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wenn zwei Männer in einer
Streitsache zu dir kommen, so richte nicht für den Ersten, bis du auch den

100
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
zweiten angehört hast. Dann wirst du wissen, wie du richten musst.“
(Buhari und Muslim)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Wenn die beiden Gegner
sich zu dir setzen, so spreche erst, wenn du den Zweiten in gleicher Weise
angehört hast wie den Ersten“. (Ahmad)
Ibn `Abbas, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete:
Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Wenn den Rechtsklagen
der Leute (immer) stattgegeben würde, dann würde jeder Mensch den
anderen um sein Leben und sein Hab und Gut verklagen. Deshalb hat der
Angeklagte (das Recht), einen Eid (auf seine Unschuld) abzulegen. (Muslim)
Umm Salama, Allahs Wohlgefallen auf ihr, berichtete:
Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Ihr lasst mich
über eure Streite entscheiden. Es mag vorkommen, dass manche unter euch
für deren Anliegen im Wort mehr gewandt sind als die anderen, und somit
gebe ich ein Urteil zu ihren Gunsten demgemäß, was ich von ihnen gehört
habe. Zu wessen Gunsten ich dann das Recht seines Bruders gebe, der muss
es nicht annehmen, weil ich ihm eine Glut aus dem Höllenfeuer gebe.
(Muslim)
Amr ibn Al- `As, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Ich hörte den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagen:
Wenn ein Regierender sich bemüht, um die treffendste Entscheidung
herbeizuführen, und dabei die Richtigkeit trifft, erwirbt er zwei Löhne. Wenn
er sich aber bemüht und dabei das Ziel verfehlt, hat er doch einen Lohn.
(Muslim)
Abu Bakr, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Ich hörte den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagen: Ein
Richter darf nicht zwischen zwei Menschen richten, wenn er zornig ist.
(Muslim)
Anas, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Ein Jude schlug
zwischen zwei Steinen in seinen Händen den Kopf eines jungen Mädchens.
Es wurde dann befragt: „Wer hat das mit dir gemacht? Ist es der Soundso,
oder der Soundso?“ Als der Name des Juden erwähnt wurde, nickte es mit

101
Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
dem Kopf. Der Jude wurde dann verhaftet, und er gestand die Tat. Der
Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, ließ ihn dann abführen und seinen
Kopf gleichermaßen zwischen zwei Steinen schlagen. (Die Vergeltung
erfolgte in gerechter Weise, sowohl nach der Vorschrift der Thora, als auch
nach den göttlichen Bestimmungen des Qur’an in dem 45. Vers der 5. Sure
Al-Ma`ida, in dem auch die hiesige Vorschrift der Thora bestätigt wird)
(Buhari Nr. 2413).
Im Strafprozess gilt der Grundsatz in dubio pro reo (Im
Zweifel für den Angeklagten).
„Wendet die Grenzstrafen von den Muslimen ab, so gut ihr könnt.
Wenn er (der Beschuldigte) einen Ausweg hat, so lasst ihn ziehen. Dass dem
Imam bei Strafverzicht ein Fehler widerfährt, ist besser, als wenn es bei
einer Bestrafung geschieht.“ (Tirmidhī).
Die Straftaten teilen sich nach herrschender Ansicht in
der islamischen Rechtswissenschaft in drei Bereiche: Hudūd
(Grenzbereich), Qisās (Vergeltungsdelikte) und Ta’zīr (freier
Strafbereich).50 Die Delikte sind in einer Strafrechtskodifikation
nach dem Iğtihād des Kalifen bzw. nach dem, dem dieser folgt,
unter Wahrung der Vorschriften der Scharia und Beachtung des
Allgemeininteresses, festzulegen. Es sollten detaillierte
Regelungen zu dem materiellen Tatbestandsmerkmalen der
jeweiligen Delikte und ihren prozessualen Voraussetzungen
getroffen werden. Bei Missständen im Justizsystem bietet sich
die Möglichkeit der Aussetzung von Grenzstrafen.

50
An dieser Stelle wird auf eine ausführlichere Darlegung des islamischen
Strafrechts verzichtet. Siehe dazu z. B. Mourad, Fiqh 2, DIDI; Pacic,
Islamisches Strafrecht, DIDI 2008. Vergleiche auch folgende Fatwas: IOL
Shari’ah Researchers, Islamic Criminal Justice: Is it
barbaric?,31.03.2005; IOL Shari’ah Researchers, The Concept of
Punishment in Islam, 26.04.2006; ’Abdul-Majeed Subh, Islamic Shari’ah
knows no Diskrimination, 18.04.2006.

102
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
Im freien Strafbereich dürfen keine Strafen erlassen
werden, die nicht auf einer Notwendigkeit beruhen und bei
denen keine Interessensabwägung vorgenommen wurde – das
Verhältnismäßigkeitsprinzip ist strengstens einzuhalten. Es gibt
keine Strafe ohne Gesetz und keine Strafe ohne Schuld.
„Und keiner wird die Last eines anderen tragen“ (Qur’an 17/15)
„Und diejenigen, die gläubigen Männern und Frauen Ungemach zufügen
wegen etwas, was diese gar nicht erworben haben, laden damit Verleumdung
und offenkundige Sünde auf sich.“ (Qur’an 33/58).
Die Höhe und Härte der Strafe muss der Stufe der
Straftat und der Schuld entsprechen, die prozessualen
Voraussetzungen müssen bei härteren Strafen höher sein, außer
es geht anderes aus der Scharia hervor.51 Bei freier
Beweiswürdigung ist der Beklagte freizusprechen, wenn
Aussage gegen Aussage steht, unabhängig von der persönlichen
Glaubwürdigkeit (außer es gibt zusätzliche Beweismittel),
sofern der Beklagte den Eid leistet.
„Wenn den Menschen (Urteile nur) aufgrund ihrer Behauptungen
und Stellungnahmen gegeben würden, würdest du Leute sehen, die
behaupten andere töteten (ihre Verwandten) und besitzen ihren Reichtum.
Trotzdem muss der Angeklagte einen Schwur leisten.“ (Buhārī).
Das Prozessrecht, insbesondere das Strafprozessrecht
sollte in einem gesonderten Gesetz präzise festgelegt werden,
um einheitliche und gerechte Verfahren sicherzustellen. Es gilt
die freie Beweiswürdigung. Indizienbeweise (teilweise in
Verbindung mit dem Schwurverfahren Al-Qasama), sind

51
Vergleiche: Fatwa von IOL Shari’ah Researchers, Islamic Fixed
Penalties: Striking Balance between Causes and Results, 17.01.2002; IOL
Shari’ah Researchers, The Philosophy Behind Prescribed Penalties in
Islam, 30.04.2006.

103
Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
insofern zulässig, als sie dermaßen verdichtet sind, dass sie zur
völligen Glaubwürdigkeit ohne Zweifel beim Richter führen. Es
gibt keine Diskriminierung von Männern und Frauen bei der
Zeugenaussage. Im Zivilprozess erfolgt eine sachlich
differenzierte Gewichtung nach Lebensbereichen
(Geschäftliches, Familie, etc.), um zum absoluten Beweis zu
kommen, auf dessen Grundlage der Klage jedenfalls
stattgegeben werden muss. Die Zeugenaussagen von Mann und
Frau sind im Strafprozess gleich viel wert, außer beim Delikt
der Unzucht (Zina), wo grundsätzlich nur die Zeugenaussagen
von vier Männern akzeptiert werden.52
Für die Strafverfolgung und die öffentliche Anklage
sollten am besten vom Staatsrat für Justiz, Staatsanwälte
verschiedenen Ranges eingesetzt werden. Staatsanwälte, die die
gleichen Qualifikationen erfüllen müssen wie Richter, sind
heutzutage unverzichtbar. Die Fülle an Material kann nicht von
Richtern alleine bewältigt werden. Zudem tritt der Staatsanwalt
an die Stelle des Regenten in der Strafverfolgung und nimmt
daher eine staatliche Kernaufgabe wahr, die vom Regenten
überprüft werden können muss. Es empfiehlt sich aber für den
Staatsrat für Justiz die Staatsanwälte einzusetzen, weil der
Oberste Richter als Justizminister oder der Kalif selber die
Richter einsetzt, um Korruption und Missverhältnisse in der
Justiz zu verhindern. Der Regent muss aber die Qualifikation
des Staatsrates und der Staatsanwälte überprüfen können, da –
wie gesagt – die Strafverfolgung eine zentrale Aufgabe des
Staates ist.

52
Siehe dazu die Fatwa von Group of Muftis, Testamony of Women and
Non-Muslims, 17.02.2004, http://www.islamonline.net.

104
Normsetzung durch direkte Ableitung von Vorschriften aus
den Quellen der Scharia
Hinsichtlich der Rechtsprechung im öffentlich-
rechtlichen Bereich könnte in einem islamischen Staat der
Gegenwart z. B. folgende Regelung getroffen werden, um den
Erfordernisse der, notwendigerweise komplexen,
Verwaltungsstrukturen unserer Zeit gerecht zu werden:
>Der Staatsgerichtshof gehört mit dem Verwaltungsgerichtshof
zum öffentlich rechtlichen Teil der Mazālim-Gerichtsbarkeit. Die beiden
Gerichtshöfe stehen sich gleichberechtigt gegenüber, es gibt eine
Kompetenztrennung.
Der Staatsgerichtshof ist insbesondere zuständig für die
Normenkontrolle (Gesetzesprüfung, Verordnungsprüfung, völkerrechtliche
Verträge etc.) im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Grundordnung
(Grundgesetze des islamischen Staates) und den Grundprinzipien der Scharia
– Rechtsordnung, die Kompetenzgerichtsbarkeit und Kompetenzfeststellung
und die Wahlgerichtsbarkeit. Der Staatsgerichtshof entscheidet über die
Amtsenthebung der Regenten und Befehlshaber, die die Scharia missachten.
Er entscheidet auch über die Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter
Rechte, jedes Gericht ist in diesem Zusammenhang vorlageberechtigt, der
Verwaltungsgerichtshof ist vorlagepflichtig. Der Staatsgerichtshof kann von
sich aus tätig werden.
Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Sicherung der gesamten
öffentlichen Verwaltung zuständig. Er kontrolliert die Rechtmäßigkeit der
individuellen Verwaltungsakte und hebt den Akt bei Rechtswidrigkeit auf.
Er entscheidet nicht über freies Ermessen der Behörden oder
Tatsachenfragen, außer er ist der Ansicht es liegt Willkür vor. Bei Säumnis
der Behörde zweiter Instanz kann der Verwaltungsgerichthof angerufen
werden, bei dessen Säumnis der Oberste Richter oder der Kalif, dann erfolgt
eine Entscheidung in der Sache selbst. Das Gericht kann auf eigene Initiative
jederzeit tätig werden.
Die Gerichtshöfe entscheiden in Senaten, außer es wird eine
Entscheidung in der Sache selbst getroffen, dann entscheidet ein
Einzelrichter beziehungsweise der Vorsitzende des Senats unter Beteiligung
einer gewissen Zahl von Richtern als Berater.<
„In der Sache selbst“ wird entschieden, wenn eine
Entscheidung für einen konkreten Fall eines Bürgers erfolgt.
Gibt es eine „abstrakte Entscheidung“ oder wird nicht über das

105
Rahmenbedingungen der Rechtsprechung/ Judikative und
Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung
Recht eines einzelnen Bürgers entschieden, so ist eine
Entscheidung im Senat möglich.

106
5 Politikbereiche
5.1 Grundsätzliche Staatsziele
Von wesentlicher Bedeutung für die Staatsführung sind
auch die grundsätzlichen Zielvorgaben für diverse
Politikbereiche.53 Die Scharia lässt den Regenten einen sehr
großen Spielraum in den Politikbereichen, damit auf
Erfordernisse von Zeit und Ort eingegangen werden kann.
Dennoch gibt die islamische Rechtsordnung gewisse
Zielvorgaben vor. Oberstes Ziel ist das Gemeinwohl und die
Gerechtigkeit, es geht darum das Gute zu gebieten und zu
fördern, das Übel hingegen einzudämmen.
„Allah befiehlt euch, die anvertrauten Güter ihren Eigentümern
zurückzugeben; und wenn ihr zwischen Menschen richtet, nach
Gerechtigkeit zu richten. Wahrlich, billig ist wozu Allah euch ermahnt.
Allah ist allhörend, allsehend.“ (Qur’an 4/58).
„Jenen, die, wenn wir ihnen auf Erden die Oberhand gegeben
haben, das Gebet verrichten und die Armensteuer (Zakat) entrichten
und Gutes Gebieten und Übles verbieten (, steht Allah bei) und Allah
bestimmt den Ausgang aller Dinge.“ (Qur’an 22/41)

5.2 Wirtschaft, Umwelt und Soziales


Der Staat hat die Pflicht danach zu streben, sämtliche
Grundbedürfnisse – insbesondere Nahrung, Kleidung,
Unterkunft und medizinische Versorgung, sowie ausreichende
Bildung – jedes Menschen im Staat zu befriedigen. Die
Befriedigung darüber hinausgehender Bedürfnisse sollte so
weit als möglich auf höchstmöglichem Niveau garantiert

53
Vergleiche: Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Islam and Politics,
10.07.2004.

107
Politikbereiche
werden. Der Staat hat den Unterhalt und die Versorgung und
Betreuung hilfsbedürftiger Menschen sicherzustellen (z. B.
Waisen, Personen, die bedürftig sind und keinen
Unterhaltsverpflichteten haben oder dieser nicht leistet oder
leisten kann, Menschen mit Behinderungen etc.).
„Die sich verpflichtet haben, einen bestimmten Anteil von ihrem
Vermögen dem Bettler und Unbemittelten zu überlassen.“ (Qur’an 70/24,
25)
„Der Prophet steht den Gläubigen näher, als sie selber
(untereinander).“ (Qur’an 33/6)
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Jede Gruppe eines Volkes, die sich in
einer bestimmten islamischen Gemeinschaft aufhält und sich nicht um eine
hungrige Person unter ihnen kümmert, sollte bei Allah und seinem
Propheten nicht als praktizierender Muslim betrachtet werden“ (Ahmad).
Abu Musa Al-Asch`aryy berichtete, dass der Gesandte Allahs, Allahs Segen
und Friede auf ihm, sagte: „Löst die Fesseln des Kriegsgefangenen (bzw.
Sklaven), speist den Hungrigen und besucht den Kranken.“ (Buhari Nr.
3046)
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Ich bin für jeden Muslim geeigneter als er
selbst. Hinterlässt einer eine Schuld oder unversorgte Kinder, so obliegt es
mir (dafür zu sorgen); Hinterlässt jemand Vermögen, so gehört es den
Erben.“ (Abu Bakr und ’Umar, Abû Dâwûd und Tirmidhî)
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: “[…] Was eine Person betrifft die Arme und
bedürftige Familienmitglieder zurücklässt, so werden Allah und der
Gesandte Allahs auf sie Acht geben.“ (Buhārī).
Das Gesundheitssystem sollte nach Möglichkeit
kostenlos (dies bedeutet nicht, dass keine Beiträge von den
Einkünften an die Gesundheitsämter abgeführt werden dürfen,
sondern, dass jeder – auch bei Arbeitslosigkeit und niederem
Verdienst – die gleichen Gesundheitsansprüche hat) und jedem
Bürger zugänglich sein. Privatärztliche Dienste und
Privatkliniken sowie pharmazeutische Unternehmen müssen
erlaubt sein, weil die Ausübung ärztlicher Dienstleistungen in
dieser Form (nämlich in Form der privatärztlichen Tätigkeit)
108
Wirtschaft, Umwelt und Soziales
auch vom Propheten (s.a.w.s.) in Anspruch genommen wurde.
Der Staat müsste in diesem Fall Regelungen zur
entsprechenden Kostenrückerstattung erlassen.
Der Hadith von Anas ibn Malik, Allahs Wohlgefallen auf ihm:
Anas ibn Malik wurde nach dem Lohn des Behandelnden mit Aderlass
(Schröpfen) gefragt. Da sagte er: Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und
Heil auf ihm, ließ sich von Abu Taiba durch Aderlass behandeln. Dafür ließ
er Abu Taiba zwei Saa` (Maßeinheit für Getreide) von Essen nehmen. Der
Gesandte Allahs sprach auch mit seinem Herrn, damit er seine Steuer
herabsetzt. Der Gesandte Allahs sagte weiter: Die beste Arznei für euch ist
die Behandlung mit Aderlass (Schröpfen) oder es ist unter euren besten
Arzneien. (Muslim)
Ibn `Abbas, Allahs Wohlgefallen auf beiden, berichtete: „Der
Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, ließ sich durch Aderlass
behandeln und gab dem Behandelnden seinen Lohn.“ (Buhari)
Die Bürger haben Anspruch auf ordentliche
Gesundheitseinrichtungen mit ausreichendem
Hygienestandard.
Usama ibn Zaid (r.a.) berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) gesagt
hat: „Die Pest ist eine Strafe, welche auf das Volk Israel bzw. auf
diejenigen, die vor euch waren, herabgesandt wurde. Wenn ihr hört, dass
sie (d. h. die Pest) in einem Land ist, dann geht nicht dorthin, und wenn sie
in einem Land auftritt, während ihr dort seid, dann ergreift nicht die Flucht
von dort.“ (Muslim)
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Ein Kranker darf nicht gebracht werden um
einen sich erholenden zu besuchen.“ (Buhārī).

109
Politikbereiche
Der Staat hat die Forschung im Bereich der Medizin
nach Möglichkeit weitestgehend zu fördern.54
Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, dass der Prophet,
Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Allah hat keine Krankheit
herabkommen lassen, ohne dass Er für sie zugleich ein Heilmittel
herabkommen ließ.“ (Buhari)
Der Staat hat Vorkehrungen zum Schutz der
schwächeren Parteien zu treffen, wie z. B. Arbeitnehmer,
Konsumenten, Mieter, etc., um sie vor Übervorteilung und
Ausbeutung durch die (wirtschaftlich) stärkere Partei zu
schützen.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s) sagte: „Eure Arbeiter sind eure
Brüder. Allah der Allmächtige ordnete sie euch (zu Diensten) unter. Wer
auch immer einen unter sich (arbeiten) hat, muss ihn mit dem ernähren, was
er auch selbst isst, ihn bekleiden, womit er sich selbst kleidet und ihnen
nichts zu tun auferlegen, was sie nicht leisten können. Wenn du das tust,
dann hilf ihnen.“ (Buhārī)
„Ich bin am Tag des Gerichts der Gegner dreier Menschen. […]
und ein Mann, der einen Arbeiter beschäftigt, aber ihm nicht seinen Lohn
bezahlt.“ (Baihaqi)
Der Prophet (s.a.w.s) ordnete an, dass der Arbeiter bestimmte
Ansprüche hat, z.B. Klärung des Lohnes im Vorhinein, rechtzeitige
Bezahlung, keine unangemessenen Aufgaben. (Buhārī, Baihaqi, ‚Abdul
Razzak in Al Musannaf).
„Am Tage der Auferstehung bin ich der Gegner von Dreien: des
Mannes, der in meinem Namen etwas versprochen hat, es dann aber nicht

54
Vergleiche z. B. folgende Fatwas: Ahmad Kutty/ Muzammil Siddiqi, Stem
Cell Research in Shar’ah Perspective, 19.04.2007; Yusuf Al-Qaradawi,
How Does Islam View Genetic Engineering?, 05.12.2006; Marawan
Shahin, Infection: An Islamic Perspective, 09.03.2006.

110
Wirtschaft, Umwelt und Soziales
erfüllte; des Mannes, der einen freien Mann verkaufte und sich am Preis
bereicherte; des Mannes, der einen Lohnarbeiter einstellte und volle
Leistung bekam, aber ihm den Lohn nicht gibt.“ (Buhārī).
Der Staat soll den Arbeitsmarkt fördern und nach
Möglichkeit für genügend Arbeitsplätze sorgen.
Es spricht nichts dagegen, dass sich die Arbeitgeber und
die Arbeitnehmer zu Gewerkschaften und
Interessenvertretungen zusammenschließen, die untereinander
verbindliche Kollektivverträge (z. B. über einen Mindestlohn)
für ihre Angehörigen schließen können. Hier handelt es sich
um eine Konstruktion auf Grundlage der Vollmacht.
Die Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit haben, auf
Betriebsebene Vertreter zu wählen, die für sie Vereinbarungen
mit dem Arbeitgeber abschließen können (dies beruht auf dem
gleichen Prinzip der Vollmacht).
Um ausreichenden Schutz zu gewährleisten, können
gesetzliche Gewerkschaften eingerichtet werden, die allerdings
nicht auf Zwangsmitgliedschaft beruhen und deren Vertreter
von den Angehörigen der verschiedenen Berufszweige gewählt
werden. Die festgelegten Mindestarbeitsbedingungen und
Mindestlöhne durch Vereinbarung zwischen den
Gewerkschaften bilden dann das allgemeine Maß und die
Grenze der Angemessenheit. Hierbei handelt es sich nicht um
die nach islamischem Recht verbotene einseitige staatliche
Festsetzung von Preisen, sondern um einen Vertrag zwischen
zwei kollektiven Körperschaften, die diese Mindeststandards
aushandeln. Dieses Mindestmaß von Seiten der
Nichtmitglieder zu unterschreiten, bedürfte dann besonderer
rechtfertigender Sachverhalte.

111
Politikbereiche
Um ausreichende Stabilität des Wirtschaftssystems zu
gewährleisten, sollten bei der Normsetzung im Staat sowie in
den Provinzen die repräsentativen Vertreter der
wirtschaftlichen Kräfte (Spitzenverbände) mit einbezogen
werden und von einer Einigung unter ihnen und den
Regierungsmitgliedern sollte nicht abgewichen werden. Dies
garantiert stabile wirtschaftliche Verhältnisse, die auf Konsens
bzw. Mehrheit beruhen und dem islamischen Prinzip der
gegenseitigen Beratung entsprechen.
Zu den Vermögensrechten: Die primäre Prämisse ist
folgende: Alle Besitztümer auf Erden gehören Allah (s.w.t.).
Gott hat die Herrschaft über Himmel und Erde und was in ihnen ist.“
(Qur’an 2/120).
Er hat sie den Menschen durch die Einsetzung zum
Treuhänder auf Erden verfügbar gemacht und ihnen ein
tatsächliches Recht darauf gegeben.
„Und dass er reich macht und Besitz verleibt.“ (Qur’an 53/48).
Der Mensch ist verpflichtet, sorgsam mit den Gütern
umzugehen und auf seine Umwelt zu achten.55
Der Prophet Allahs (s.a.w.s) sagte: „Irgendwelche schädlichen Dinge von
der Straße zu räumen ist eine wohltätige Handlung.“ (Buhari)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte „Niemals pflanzt ein Muslim einen
Baum (oder eine Pflanze), von dem die Vögel, ein Mensch oder gar Tiere
essen, ohne dass für den Pflanzenden eine Belohnung aufgeschrieben wird.“
(Muslim).

55
Siehe dazu z. B. folgende Fatwa: IOL Islamic Researchers, Islam and
Environment, 05.06.2007; IOL Islamic Researchers, How Islam Cares
About the Environment, 03.06.2007.

112
Wirtschaft, Umwelt und Soziales
Der Schutz der Natur und der Lebewesen ist bei allen
staatlichen Akten zu beachten und die unbillige
Beeinträchtigung der Natur ist durch den Staat zu untersagen
und zu verhindern, genauso wie der Schutz der Lebewesen
sicherzustellen ist, wie etwa durch die strafrechtliche
Sanktionierung von Tierquälerei.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Eine Frau kam wegen ihrer
Katze ins Höllenfeuer. Sie sperrte die Katze ein, bis die Katze starb. Die
Frau gab der Katze weder Futter noch Wasser, noch erlaubte sie ihr
herumzustreunen und zu fressen, was sie finden könnte.“ (Buhārī, Muslim)
„Allah der Allmächtige verflucht denjenigen, der ein Tier brennt
um es zu kennzeichnen. (Buhārī, Muslim)
„Möge Allah denjenigen verfluchen, der ein Lebewesen als
lebendiges Ziel aussetzt.“ (Buhārī, Muslim)
„Wer war derjenige, der die zwei kleinen Vögel von ihrer Mutter
entführte und sie traurig und bekümmert machte? Gebt die zwei kleinen
Vögel ihrer Mutter zurück.“ (Abu Dawud).
Bei der Energiegewinnung ist der Staat verpflichtet,
nach Möglichkeit mit möglichst naturverträglichen und
naturfreundlichen Mitteln und Verfahren zu arbeiten.56 Die
Menschen haben das Recht, in einer sauberen und gesunden
Umgebung zu leben.
Das Eigentum an Gütern kann man grundsätzlich in
drei Kategorien gliedern: Öffentliches Eigentum, an dessen
Nutzen grundsätzlich jeder partizipieren kann, außer es besteht
ein besonderes entgegenstehendes Allgemeininteresse (z. B.
öffentliche Plätze und Anlagen), Staatseigentum, dass zur
staatlichen Nutzung bestimmt ist, und schließlich das absolut

56
Vergleiche z. B. folgende Fatwa: Nasr Farid Wasil, Islam and
Environmental Pollution, 04.06.2007.

113
Politikbereiche
geschützte Privateigentum, das auf eine durch die Scharia
erlaubte Weise erworben wurde, z. B. Kauf, Tausch,
Schenkung, Entgelt, Erbschaft, aber z. B. auch originäre
Erwerbsarten, wie die Umzäunung und Bestellung von über
drei Jahre brachliegendem Land.
„O ihr die ihr glaubt, betretet keine anderen Wohnungen als die
euren, bevor ihr nicht um Erlaubnis gebeten und ihre Bewohner gegrüßt
habt. Das ist besser für euch, wenn ihr euch ermahnen lasst. Und wenn ihr
niemanden darin findet, so tretet nicht eher ein, als bis euch die Erlaubnis
gegeben wird. Und wenn zu euch gesprochen wird: Kehrt um! Dann kehrt
um. Das ist reiner für euch. Und Allah weiß, was ihr tut.“ (Qur’an 24/27-
28).
Die Landwirtschaft ist durch den Staat zu fördern und
die Bestellung von Land durch staatliche Unterstützung auch
für jene zu ermöglichen, die bedürftig sind.
`A´ischa, Allahs Wohlgefallen auf ihr, berichtete, dass der Prophet,
Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Wer ein Land urbar macht, das
niemandem gehört, hat ein Vorrecht darauf.“ `Urwah erzählte, dass `Umar,
Allahs Wohlgefallen auf ihm, während der Amtszeit seines Kalifats nach
diesem Grundsatz in der Rechtsprechung so verfuhr. (Buhari)
Dschabir, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: „Die Leute
pflegten (die Ländereien) gegen ein Drittel, Viertel oder gegen die Hälfte
des Ertrages zu kultivieren, und der Prophet, Allahs Segen und Friede auf
ihm, sagte: „Wer ein Land hat, der soll es selbst bestellen oder einem
anderen ohne Gegenleistung geben und wenn dieser das nicht tut, so soll er
sein Land (trotzdem) behalten.“ (Buhari)
Naturgewalten, wie Flüsse und Seen, gehören nach
überzeugender Ansicht zum öffentlichen Eigentum, genauso
wie große Rohstoffvorkommen, sofern es sich um große

114
Wirtschaft, Umwelt und Soziales
natürliche Energiequellen handelt, auf welche die Menschen
allgemein angewiesen sind (z. B. Erdöl, Erdgas).57
Er ist es, der euch die Erde untertan gemacht hat; wandert also auf
ihren Wegen und genießt seine Versorgung. Und zu ihm führt die
Auferstehung.“ (Qur’an 67/15)
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Die Muslime sind Teilhaber in drei
Dingen: Wasser, Weideland und Feuer (Brennstoff/Energie)“ (Abu
Dawud 3477, sahih nach Albani)
Enteignungen des Privatbesitzes sind nicht zulässig,58
außer bei besonderem öffentlichen Interesse, das nicht anders
befriedigt werden kann, wobei sonst ein unangemessener
Schaden an der Allgemeinheit entstehen würde (letztes Mittel,
notwendig, geeignet, angemessen); vorausgesetzt dem
Betroffenen wird unverzüglich gerechter Ersatz gewährt.
Beschlagnahme des Vermögens darf nicht ungesetzlich und
ohne Gerichtsurteil erfolgen.
Der Staat sollte Vorkehrungen treffen, um
Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten in Bezug auf geistige
Leistungen zu verhindern und diese hinreichend zu schützen.
Das uneingeschränkte Herausschlagen von Profit auf
Grundlage der geistigen Arbeit eines anderen ohne dessen

57
Eine andere Ansicht ist die, dass der Staat für Rohstoffe, die zur
Energiegewinnung dienen, wie Erdöl oder Ergas 20 % (davon bzw. von
den Einnahmen dadurch) als Sozialabgabe (Zakat) an Bedürftige
abzuführen hat. Siehe etwa zu einer entsprechenden Fatwa der Al-Azhar
Universität in Kairo: New Egyptian Fatwa orders oil revenues fort he
poor, 19.06.2008,
http://www.islamonline.com/news/newsfull.php?newid=131952.
58
Dies geht aus dem absoluten Schutz des Eigentums als Grundrecht
hervor. Vergleiche zum Privatbesitz folgende Fatwa: Monzer Kahf, Islam
and Privatization, 07.05.2003.

115
Politikbereiche
Erlaubnis ist untersagt. Ausnahmen in Bezug auf Copyrights
muss es aber bei nicht gewerblicher Verwendung, insbesondere
für den persönlichen Gebrauch und für Bildungsanstalten
geben; etwa bei unerschwinglichen oder notwendig benötigten
Lernunterlagen oder Materialien zur Forschung und Lehre,
solange es sich um eine angemessene Menge handelt.59
Plagiate sind unzulässig. Marken, Muster etc., die eine Person
oder ein Unternehmen und dergleichen ausweisen, sind zu
schützen.
Unter den Rechtsgelehrten ist dies strittig. Es scheint aber
einsichtig, dass das geistige Eigentum nicht gleich behandelt werden kann,
wie körperliches Eigentum, denn sie sind wesensunterschiedlich. Wenn man
das körperliche Eigentum verkauft, ist es weg, wenn man es zerstört, ist es
weg, während das bei geistigem nicht zutrifft. Eine CD kann überspielt
werden, ein Buch gänzlich kopiert werden etc. Daher muss dem
Gerechtigkeitsgedanken der islamischen Rechtsordnung entsprechend eine
zwischen den persönlichen und den allgemeinen Interessen abwägende
Regelung getroffen werden. Zudem ist der Muslim als Käufer verpflichtet
sich an Copyrights zu halten, die im Kaufvertrag als „Bedingungen“
vereinbart werden oder die sich aus dem Gewohnheitsrecht ergeben.60
Entdeckungen und wissenschaftliche Entwicklungen
sollten innerhalb von drei Jahren in angemessener Weise
verwertet werden (eine Frist, festgesetzt werden kann, damit
der Gemeinschaft dadurch kein Schaden erwächst), außer die

59
Fatwa von Group of Muftis (Sheikh ‘Abd Al-Azeez ibn Baz/ Sheikh
Muhammad ibn Salih Al-Uthaimeen/ Dr. Mahmoud ’Akam), Copying
CDs & Computer Programs that have Copyrights, 26.03.2002.
60
Siehe z. B. die Fatwa von Muzammil Siddiqi, Is there a Copyright Law in
Islam?, 24.04.2002; Fatwa von Group of Muftis (Sheikh ‘Abd Al-Azeez
ibn Baz/ Sheikh Muhammad ibn Salih Al-Uthaimeen/ Dr. Mahmoud
’Akam), Copying CDs & Computer Programs that have Copyrights,
26.03.2002.

116
Wirtschaft, Umwelt und Soziales
Nichtverwertung ist sachlich gerechtfertigt (wie etwa:
Testphase, gewisse Unsicherheiten, etc.). Geschieht dies nicht,
könnte der Staat gegen angemessene Vergütung eine
Zwangsveröffentlichung oder -verwertung vorsehen, wenn dies
im öffentlichen Interesse liegt (z. B. Medikamente,
Heilverfahren, etc.).
„(Unwissende) Menschen sollen Wissen bei ihren Nachbarn
suchen. Wissende Menschen müssen ihre Nachbarn unterrichten, sonst wird
eine Strafe über sie kommen.“ (Tabarani)
Es ist durch den Erlass von Normen sicherzustellen,
dass die Instrumente zur Teilnahme am Wirtschaftsleben
solche sind, die den islamischen Prinzipien entsprechen.
Entsprechende Regelungen sind insbesondere im Vertragsrecht
und Gesellschaftsrecht zu erlassen.61
Die islamische Rechtsordnung garantiert Marktfreiheit, allerdings
auf dem sozialen Gerechtigkeitsgedanken aufbauend und nicht dem
kapitalistischen System folgend. Wenn z. B. Kredite an Firmen nicht auf
dem Zinssystem beruhen würden, sondern auf Beteiligungen (die auch die
Verlusttragung mit einschließen), würden die Banken weit mehr am
Schicksal der Unternehmen interessiert sein und würden die Unternehmen
nicht so leicht in Insolvenz geraten, weil sie die gewaltigen Zinsen nicht
tragen können, sondern könnten sich am Markt halten und wieder erholen.62
Mit der islamischen Rechtsordnung in keiner Weise zu
vereinbarende Handlungen sind zu untersagen, so z. B. die
Zinsnahme, die Monopolisierung, das Glücksspiel, aber auch
staatliche Festsetzung von Preisen etc. Das Geld soll im
Umlauf unter allen Bürgern sein, nicht nur in bestimmten

61
Vergleiche z. B. die Fatwa von A Group of Islamic Researchers, Civil
Laws in Shari’ah, 20.03.2002, Hussein Shihata, Do Islamic Banks Deal
in Riba?, 05.05.2004; Monzer Kahf, What is Murabahah?, 30.07.2003.
62
Siehe zu den Vorschriften des Wirtschaftsrechts nach der islamischen
Rechtsordnung: Mourad, Samir, Fiqh II, DIDI.

117
Politikbereiche
höheren Kreisen. Alle Bürger sind gleich zu behandeln.
Ausländische Investoren dürfen nicht bevorzugt werden.
Hierzu einige exemplarische Überlieferungen:
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) hat gesagt: „Wer betrügt, gehört
nicht zu uns.“ (Muslim)
„Der Prophet hat den Verkauf von Weintrauben, ehe sie schwarz
geworden sind, und von Getreide, ehe es fest geworden ist, verboten.“
(Buhârî, Muslim, Abû Dâ’ûd, Tirmidî und Nasâ’î)
„Wehe den Betrügern, die, wenn sie sich von den Leuten (etwas)
zumessen lassen, volles Maß verlangen, wenn sie aber (von sich aus) ihnen
(etwas) zumessen oder abwägen, (sie) in Schaden bringen.“ (Qur’an 88/1,2)
Der Prophet (s.a.w.s.) sprach: „Nur der Sünder hortet an.”
(Muslim)
„Gott hat das Kaufgeschäft erlaubt und die Zinsleihe verboten.“
(Qur’an 2/175)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Käufer und Verkäufer haben
das Rücktrittsrecht, solange sie sich nicht getrennt haben. Sind sie
aufrichtig und erklären sie sich eindeutig, so ist ihr Kaufgeschäft gesegnet,
täuschen und lügen sie, so ist der Segen von ihrem Geschäft genommen.“
(Buhârî, Muslim, Abû Dâ’ûd, Tirmidî und Nasâ’î).
Der islamische Staat sollte eine eigene und unabhängige
Währung drucken und prägen (etwa Dinar und Dirham), wie
dies im Kalifat üblich war. Das Geld kann aus Papiergeld und
Münzen bestehen. Strittig ist, ob eine Deckung in Gold
gegeben sein muss. Jedenfalls ist erforderlich, dass die
Währung ausreichend Deckung (in welcher Hinsicht auch
immer) findet, weil sie sonst keinen Wert hätte und nicht als
schariakonformes Tauschmittel gesehen werden könnte.
Die Sozialabgabe (Zakah), die von allen Muslimen
erhoben wird, wenn das Vermögen über der Erhebungsgrenze
liegt (Nisāb-Grenze), die Bodensteuer (Kharağ), die
Verteidigungs-Ersatz-Abgabe (Ğizya), die von den
118
Wirtschaft, Umwelt und Soziales
erwachsenen Nichtmuslimischen Männern erhoben werden
kann, wenn dies vertraglich vorgesehen ist, Fay’ (die
kampflose Kriegsbeute) und ein Fünftel der Bodenschätze und
Mineralien bzw. von deren Ertrag/Gewinn, stehen dem Staat
als dauernde Einnahmequellen zu. Diese Steuern wurden von
den rechtschaffenen Kalifen und Prophetengefährten gebilligt
und bestätigt.
„Was Gott seinem Gesandten von den Bewohnern der Städte (als
Beute) zugewiesen hat, gehört Gott und seinem Gesandten, des Weiteren
den Verwandten, den Waisen, den Armen und dem, der unterwegs ist. (Es
soll dem Gesandten vorbehalten sein und von ihm verteilt werden), damit es
nicht (als zusätzlicher Besitz) unter denen von euch umläuft, die (schon)
reich sind.“ (Qur’an 59/7).
Daneben dürfen ohne Notwendigkeit und für der Scharia
nicht entsprechende Zwecke, keine Steuer erhoben werden.63
Die notwendige Steuer ist als ein Almosen von dem
Besteuerten zu betrachten, das belohnt wird, weil sie für islam-
konforme und der Bevölkerung zu Gute kommende Zwecke
ausgegeben wird. Besteuert darf nur jenes Vermögen werden,
dass über den Betrag hinausgeht, der zur gewöhnlichen
Deckung der Bedürfnisse erforderlich ist, außergewöhnliche
Belastungen müssten entsprechend berücksichtigt werden. Das
ergibt sich schon daraus, dass für die Sozialabgabe (Zakah)
eine Erheblichkeitsschwelle besteht (Nisab).
Gerichts- und Verwaltungsgebühren sind unzulässig,
diese Leistungen des Staates müssen den Bürgern frei stehen,
wie sie ihnen zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) und der

63
Siehe dazu: Irfan Ul Haq. Herndon, Economic Doctrines of Islam: A
Study in the Doctrines of Islam and Their Implication for Poverty,
Employment and Economic Growth, http://www.islamonline.net.

119
Politikbereiche
rechtschaffenen Kalifen freigestanden sind. Die Kosten werden
durch öffentliche Mittel gedeckt.64
Aischa (r.a.) berichtet: Nachdem Abu Bakr as-Siddiq zum Kalifen
gewählt worden war, sagte er: „Die Leute wissen, dass mein Beruf sehr
wohl dazu geeignet ist, meine Familie zu ernähren. Jetzt aber wurde ich mit
der Herrschaft über die Muslime betraut. Meine Familie wird sich von nun
an aus öffentlichen Geldern ernähren und ich werde ausschließlich für das
Wohl der Muslime tätig sein!“ (Buhari)
Es könnte in einem islamischen Staat z. B. folgende
Regelung getroffen werden:
>Die Schlüssigkeit der Notwendigkeitsbegründung wird vom
Mazālim–Gericht (Staatsgericht) überprüft. Die Festsetzung von Steuern
und die Ausgabe von Geldern für Projekte oder allgemeine Ausgaben, die
nicht notwendig sind oder zweck-ungebunden sind, kann nur durch das
Volk selbst – somit durch dessen Vertreter – Parlament beschlossen werden,
weil der Staat hierfür nicht verpflichtet ist und dem Volk daher keine
entsprechende Last auferlegen darf; dies gilt auch für den Bereich der
Provinzen. Aber selbst die Volksvertretung kann nicht Geld einheben um es
maßlos für ungerechtfertigte Angelegenheiten auszugeben. Die Einhaltung
der Prinzipien wird von der Mazalim-Gerichtsbarkeit kontrolliert,
insbesondere über die Rechtfertigungsbeschreibungen zu den
Gesetzesvorhaben und über die Berichte des Rechnungshofes/ der
Rechnungshöfe. <
Zollgebühren und Gelder, die aus der Verwertung des
öffentlichen Eigentums oder des Staatseigentums hervorgehen
sowie Hinterlassenschaften, für die sich keine Erben finden,
bilden schariarechtlich ebenso Einkünfte des Staates. Dies
wurde so von den Kalifen praktiziert. Hinsichtlich der Zölle
erstmals vom Kalifen ’Umar (r.a.).
Des Weiteren empfiehlt sich folgende Regelung:

64
Siehe: Muhammad Akram Khan, The Role of Government in the
Economy, 08.08.2002, http://www.islamonline.net.

120
Der persönliche Lebensbereich
>In gesonderten Gesetzen ist festzulegen, welche Gelder von wem
(Provinz/Gesamtstaat) eingehoben und genutzt werden. Bei der Frage der
Zuweisung von Abgaben, ist der Kalif nicht an den Beschluss der
Volksversammlung gebunden, soll sich aber an die Übereinkunft des
Finanzministers und der Finanzräte oder Gouverneure halten, wenn diese
ordnungsgemäß verhandelt haben. Im Abstand von […] Jahren ist
festzulegen oder zu bestätigen, wie die gesamtstaatlichen Gelder verteilt
werden; an die jeweiligen Ressorts und je nach Bevölkerungszahl und
weitergehender Notwendigkeit an die Provinzen und die weiteren
Untergliederungen. <

5.3 Der persönliche Lebensbereich


Der persönliche Lebensbereich (insbesondere die
Wohnung) ist absolut geschützt, sowie Leben, körperliche
Integrität, Vermögen, Würde und Ehre. Den Bürgern darf in
einem islamischen Staat nicht nachspioniert werden, um
moralisch-religiöse Verfehlungen aufzudecken.
„Und spioniert nicht.“ (Qur’an 49/12)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Oh ihr, die ihr nur mit der
Zunge Muslime geworden seid und deren Glaube das Herz nicht erreicht:
Fügt den Muslimen keinen Schmerz zu, tadelt sie nicht und verfolgt nicht
ihre schwachen Stellen. Wer die schwache Stelle eines muslimischen
Bruders verfolgt, dessen schwache Stelle verfolgt Gott. Und wessen
schwache Stelle Gott verfolgt, dessen Laster wird aufgedeckt werden, selbst
wenn er ganz verborgen sein sollte.“ (Abu Dawud, Tirmidhi).
Die Muslime sollen die islamischen Empfehlungen zur
Charakterbildung und Stärkung der guten Eigenschaften im
Umgang mit einander beachten.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: Vermeidet Verdächtigung.
Verdächtigung ist die schlimmste Lüge. Folgt nicht den schlechten
Neuigkeiten, Mängeln und Fehlern euerer muslimischen Brüder. Hasst eure
muslimischen Brüder nicht. Wendet euch nicht von eueren muslimischen
Brüdern ab. O Diener Allahs! Seid einander Brüder, wie er es euch

121
Politikbereiche
befohlen hat. Ein Muslim ist dem anderen Muslim ein Bruder. Ein Muslim
muss zu seinem muslimischen Bruder gerecht sein. Ein Muslim darf ihn
nicht im Stich lassen oder ihm die Unterstützung untersagen. Ein Muslim
darf seinen muslimischen Bruder nicht bloßstellen. Was ein Muslim besitzt
ist einem anderen Muslim verboten zu benutzen (ohne Erlaubnis) oder zu
missbrauchen (ohne Berechtigung). Frömmigkeit ist hier.“ dabei zeigte er
auf seine Brust, „Frömmigkeit ist hier. Es ist für einen Muslim ein
ausreichendes Übel seinen Bruder bloßzustellen. Alles was ein Muslim
besitzt ist einem anderen Muslim verboten (sich einzumischen); sein Blut,
seine beschützten Dinge (Würde, Ehre, Familienangehörige, etc.) und sein
Reichtum oder Besitz. Wahrlich Allah schenkt euerem Körper, eurer Gestalt
oder Form keine Beachtung, sondern er betrachtet unsere Herzen, Taten
und Handlungen.“ (Muslim)
„Ein Muslim ist kein richtiger Gläubiger, bevor er für seinen
Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.“ (Buhari).
Die Familie ist der Grundstein der Gesellschaft. Als
Grundlage für die Familie besteht im Islam das Institut der
Ehe. Der Staat hat die Heirat daher zu erleichtern und zu
fördern.65
Sa`d ibn Abi Waqqas, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, lehnte es ab, dass
`Uthman ibn Maz`un im Zölibat lebt. Hätte der Prophet dies erlaubt, hätten
wir uns kastrieren lassen! (Muslim Nr. 2488)
`Abdullah Ibn Mas`ud, Allahs Wohlgefallen auf ihm
`Alkama, berichtete: Ich ging mit `Abdullah in Mina, als wir `Uthman
trafen. Da ging er mit ihm und sprach mit ihm. `Uthman sagte zu `Abdullah:
(O Abu `Abdu-r-Rahman, möchtest du, daß wir dich mit einer Jungfrau

65
Vergleiche dazu folgende Fatwas: Yusuf Al-Qaradawi, The Philosophy of
Marriage in Islam, 10.07.2007; IOL Shari’ah Researchers, The Islamic
Ruling on Marriage, 20.11.2002.

122
Der persönliche Lebensbereich
verheiraten? Sie würde einige Tage deiner Jugend in dir wachrufen!)
`Abdullah sagte: Zu der Frage, die du angesprochen hast, hat der Gesandte
Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, gesagt: „Ihr junge Leute! Wem von
euch es möglich ist zu heiraten, der soll es tun; denn dies hilft, die Blicke
(zu anderen Frauen zurückzuhalten, und die Keuschheit vor
Schändlichkeiten) zu wahren. Wer aber dies nicht zu tun vermag, der soll
fasten; denn es ist eher für ihn ein Schutz (vor sündhafter Handlung)!“
(Muslim Nr. 2485)
Jeder hat das Recht, sich gemäß seiner Überzeugung zu
äußern, außer dies widerspricht fundamentalen Grundsätzen
der Rechtsordnung (indem es auf ungerechten Schaden eines
anderen abzielt).
Frauen und Männer sind gleichwertig, jeder Teil hat
Rechte und Pflichten.66 Gesetzlich dürfen keine Unterschiede
zwischen Männern und Frauen gemacht werden, es sei denn
dies geht durch klare Beweise aus der Scharia hervor.
„Die einen von euch sind von den anderen“ (Qur’an 3/195).
„Diejenigen aber, die handeln, wie es recht ist – sei es Mann oder Frau –
und dabei gläubig sind, werden ins Paradies eingehen und nicht im
geringsten Unrecht erleiden.“ (Qur’an 4/124)
„Und die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind einer des
anderen Awliya (Beschützer/ Unterstützer/ Freunde/ Helfer); Sie gebieten
das Gute und verbieten das Böse […]“ (Qur’an 9/71)
Allah (s.w.t.) sagt: „Wahrlich die muslimischen Männer und die
muslimischen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen,
die gehorsamen Männer und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftigen
Männer und die wahrhaftigen Frauen, die geduldigen Männer und die
geduldigen Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen,

66
Siehe dazu folgende Fatwa: Yusuf Al-Qaradawi, The Response To Those
Who Deny Women Political Rights, 04.05.2005.

123
Politikbereiche
die Männer, die Almosen geben und die Frauen, die Almosen geben, die
Männer, die fasten und die Frauen, die fasten, die Männer, die ihre
Keuschheit wahren und die Frauen, die ihre Keuschheit wahren, die
Männer, die Allahs häufig mit ihren Herzen und Zungen gedenken und
die Frauen, die Allahs häufig mit ihren Herzen und Zungen gedenken –
Allah hat ihnen Vergebung und großen Lohn bereitet.“ (Qur’an 33/35)
Anas (r.a.) berichtet, dass der Prophet (s.a.w.s.) gesagt hat: „Wenn
jemand zwei Mädchen aufzieht, von ihrer Kindheit bis zum Reifealter, so
werden ich und er am Tage des Gerichts wie diese beiden sein.“ Und er
legte seine beiden Finger zusammen. (Muslim)
Die Scharia weist den Männern allerdings teilweise
höhere Verantwortung zu, den Ehemännern gegenüber ihren
Ehefrauen wie auch der kollektiven (nicht individuell)
Gesamtheit der Männer für die (kollektive) Gesamtheit der
Frauen, weswegen dies bei der Normsetzung zu beachten ist
und den Frauen keine Erschwernis aufgebürdet werden darf,
wo dies nicht notwendig ist.67 Dies erfolgte bei den religiösen
Angelegenheiten z. B. dahingehend, dass die Frauen nicht zum
Freitagsgebet müssen und, dass sie nicht fasten und beten,
wenn sie die Periode haben, sie keine Pflicht zum
Verteidigungskampf trifft usw. Dies darf aber nicht zu
unbilligen und diskriminierenden Lösungen führen. Gleiches
darf nicht ungleich und Ungleiches nicht gleich behandelt
werden, außer durch in der Scharia begründete objektive
sachliche Rechtfertigung (dann handelt es sich aber um keine
Diskriminierung).
„Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor […].“ (Qur’an
4/34).

67
Vergleiche z. B. folgende Fatwa: IOL Shari’ah Researchers, The Status
of Woman in Islam, 07.05.2007.

124
Der persönliche Lebensbereich
Männer und Frauen sind gleichermaßen und ohne
Einschränkung rechts,- handlungs- und vermögensfähig und
haben das Recht ihre Angelegenheiten persönlich zu verwalten
und durchzuführen.68
Bei allen freien Wahlen steht den Frauen wie den
Männern ein gleich gewichtetes Stimmrecht zu.69
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sprach: „Das Blut der Muslime ist
gleichwertig […]“ (Ahmad)
Umm Hani, eine Cousine des Propheten (s.a.w.s.) sagte zu ihm
nach der Eroberung von Mekka: „Ich habe zwei meiner Verschwägerten
Schutz gewährt.“ Der Prophet sagte: „O Umm Hani, wir haben demjenigen
Schutz gegeben, dem du Schutz gewährt hast.“ (Muslim)
Das Eheleben der Ehepartner soll von Zufriedenheit
und gegenseitiger Verantwortung und Fürsorge gekennzeichnet
sein.70 Die Ehegatten sind Partner und haben gewisse durch die
Scharia festgelegte Rechte und Pflichten gegenüber einander.71
Der Ehemann ist verpflichtet zur Obhut der Ehefrau und der
Familie im Rahmen der Scharia und zum Unterhalt. Er nimmt
seine Aufgaben, Pflichten und Rechte in gegenseitiger
Beratung gemäß den Prinzipien der Scharia Allahs (s.w.t.)

68
Siehe dazu z. B. die Fatwa von ’Abdul-Fattah Idrees, Women’s Work:
Ans Restrictions?, 05.02.2007; Fatwa von Ahmad Kutty, A Woman
Travelling for Conferences without a Mahram, 13.03.2004; Fatwa von
Su’ad Salih, Women Acting as TV Announcers, 18.06.2002; Fatwa von
Yusuf Al-Qaradawi, Women holding Public Positions, 15.08.2005; Yusuf
Al-Qaradawi, Woman Acting as a Judge, 21.06.2007.
69
Vergleiche: Fatwa von A Group of Islamic Researchers, Women Voting:
Any Restrictions?. 10.11.2003, http://www.islamonline.net.
70
Vergleiche: Fatwa von Taha Jabir Al’-Alawani, Marital Life should be on
Mutual Trust & Understanding, 09.11.2000.
71
Siehe dazu z.B. Fatwa von IOL Shari’ah Researchers, Husband and
Wife: mutual Righs and Obligations, 21.04.2004.

125
Politikbereiche
wahr. Die Ehefrau sorgt für ein gedeihliches Familienleben
ihrerseits und folgt dem Ehemann auf dem Weg der Scharia
Allahs in gegenseitiger Beratung und Partnerschaft und nimmt
ihre Rechte und die Verantwortung gemäß der Scharia Allahs
wahr. Dies sind Grundsätze des islamischen Familienrechts.
„Und zu seinen Zeichen gehört es, dass er euch aus euch selber
Gattinnen geschaffen hat, damit ihr bei ihnen ruhet. Und er hat Liebe und
Güte zwischen euch gemacht.“ (Qur’an 30/21).
„Und den Frauen stehen die gleichen Rechte zu, wie sie die
Männer zur gütlichen Ausübung über sie haben. Doch die Männer stehen
eine Stufe über ihnen [in Verantwortung]. Und Allah ist Allmächtig,
Allweise.“ (Qur’an 2/228)
„Und begehrt nicht das, womit Allah die einen von euch vor den
anderen ausgezeichnet hat. Die Männer sollen ihren Anteil nach ihrem
Verdienst erhalten und die Frauen sollen ihren Anteil nach ihrem Verdienst
erhalten. Und bittet Allah um seine Huld. Wahrlich Allah hat vollkommene
Kenntnis von allen Dingen.“ (Qur’an 4/32)
Der Staat muss auf die beste Weise Vorsorge treffen um
häuslicher Gewalt vorzubeugen und Sanktionen für solches
Handeln setzen.72
„Wer unter euch den festen Glauben hat, ist der, der seiner Frau
gegenüber den besten Charakter besitzt und das nachgiebigste Benehmen
erweist. (Tirmidhî; Hakim)
„Jener, der seine Frau am Tage schlägt, wie kann dieser am Abend
mit ihr (seiner Frau) in das gleiche Bett steigen?“ (Buhari, Abu Dawud,)
Es berichtet Abu Huraira (r), dass der Gesandte Allahs (s) sagte:
"Ein gläubiger Ehemann soll niemals seine gläubige Frau hassen. Wenn er

72
Vergleiche: Fatwa von Zienab Mostafa, Islamic View on Emotinal Abuse
in Marital Life, 21.12.2002; Fatwa von Jamal Badawi/ Muzammil
Siddiqi, Wife Beating in Islamic Perspective, 21.04.2004,
http://www.islamonline.net.

126
Der persönliche Lebensbereich
eine bestimmte Angewohnheit von ihr nicht mag, so mag er doch eine
andere bei ihr finden, die ihm gefällt." (Muslim)
Es berichtet Abu Huraira (r), dass der Prophet (s) sagte: "Der
vollendetste Muslim in Glaubensangelegenheiten ist derjenige, der ein
vorzügliches Benehmen hat; und die Besten unter euch sind jene, die ihre
Ehefrauen am besten behandeln." (At-Tirmidhi)
Niemand darf zur Ehe gezwungen werden, solche Ehen
sind ungültig.73
„Eine Jungfrau kam zum Propheten und berichtete ihm, dass ihr Vater sie
verheiratet habe, obwohl sie dies abgelehnt habe. Der Prophet ließ sie
wählen.“ (Abu Dawud, Ahmad).
Jeder hat das Recht zur (begründeten) Scheidung nach
den Regeln der Scharia (Talaq, Khul, gerichtliche Scheidung),
diese soll jedoch der letzt mögliche Schritt sein, nach
Durchführung eines Schlichtungsverfahrens.74
Niemand darf bei der Erbschaft nach den
Bestimmungen des Buches Allahs um etwas verkürzt werden.75
Auch in diesem Bereich hat der islamische Staat Vorkehrungen
zu treffen und das qur’anische Erbrecht zu etablieren.

73
Siehe dazu: Fatwa von A Group of Islamic Researchers, Seeking
Woman’s Consent to the Marriage, 11.08.2003.
74
Vergleiche dazu z. B.: Fatwa von The European Council for Fatwa and
Research, Can a woman divorce herself?, 29.07.2002; A Group of
Islamic Researchers, The Womans’ Right to Demand Divorce,
22.03.2003; Fatwa von Muzammil Siddiqi, Divorce: Islamic Procedure &
Rulings, 09.09.2003; IOL Shari’ah Researchers, Divorce schould be the
Final Resort, 08.09.2003; Fatwa von Group of Muftis, Ruling on triple
Divorce, 05.08.2004, http://www.islamonline.net.
75
Siehe dazu z.B. folgende Fatwa: Muzammil Siddiqi, Inheritance and Will,
20.06.2002; European Council for Fatwa and Research, Inheriting from
a Non-Muslim Relative, 04.08.2003.

127
Politikbereiche
Jedes Kind hat gegenüber Eltern, Gesellschaft und Staat
das Recht auf angemessene Versorgung und Obhut in jeglicher
Hinsicht, Bildung und Zuwendung.76
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „[…] Sei bewusst und fürchte Allah. Sei
gerecht, billig und gleich in der Behandlung deiner Kinder.“ (Buhari).
Eltern und/oder Vormund steht die Obsorge zu, nach
einer Scheidung steht der Mutter bis zur Wiederverheiratung
das größere Recht auf Erziehung zu. Der Vater ist zum
Unterhalt verpflichtet. Das Kindeswohl steht, unter Beachtung
der Werte der Scharia, im Vordergrund.77
Der Staat sollte darum bemüht sein, Männern und
Frauen ihre ihnen von der Scharia zugewiesenen Aufgaben zu
erleichtern, so dem Mann die unterhaltsrechtliche
Verantwortung für die Familie und der Frau die Wahrnehmung
ihrer mütterlichen Aufgaben. Der Staat muss etwa Maßnahmen
ergreifen, dass der Frau kein Nachteil durch die
Schwangerschaft und die Elternrolle im Berufsleben entsteht
und dass sie für diese Zeit abgesichert ist (z. B.
Kündigungsschutz), sowie, dass im Berufsleben durch
entsprechende abweichende Regelungen (z.B. Arbeitszeit)
ermöglicht wird, den familiären Notwendigkeiten
nachzukommen.
„Oh Prophet, welcher Mensch hat am meisten Anspruch auf meine gute
Behandlung? Er antwortete: Deine Mutter! Er fragte weiter: Und danach?
Er antwortete wieder: Deine Mutter! Er fragte erneut: Und danach? Er

76
Vergleiche: Fatwa von Islamic Fiqh Academy, Rights of the Child in
Islam, 30.05.3005.
77
Vergleiche z. B. folgende Fatwa: Mohamed El-Moctar El-Shinqiti,
Husband Stipulating Custody of Child in Case of Divorce, 11.02.2007;

128
Der persönliche Lebensbereich
erwiderte: Deine Mutter! Er fragte wiederum: Und danach? Er sagte: Dein
Vater.“ (Abu Bakr und 'Umar)
„und wenn sie schwanger sind, dann macht (die nötigen) Ausgaben für sie,
bis sie zur Welt gebracht haben.“ (Qur’an 65/6).
Beide Geschlechter nehmen im islamischen Staat ihre
Aufgaben im öffentlichen Leben wahr und pflegen Umgang
miteinander.78 Im privaten Bereich soll die Bevölkerung von
sich aus die religiösen Gebote und Empfehlungen der Scharia
beachten,79 insbesondere jene, wonach ein Mann und eine
Frau, die nicht verheiratet sind und nicht zu jenen gehören, die
es zu heiraten verboten ist, es vermeiden sollen sich alleine in
den privaten Bereich (wo man das Kommen einer dritten
Person nicht erwartet) zurückzuziehen, damit nicht Fitna
(Versuchung und Verführung) unter ihnen entsteht.80
Männer und Frauen sind nach der Scharia im
öffentlichen Bereich bestimmten Kleidungsvorschriften und
anderen persönlichen Vorschriften und Empfehlungen
unterworfen.81 Der Staat muss sich allerdings hüten, mit Zwang

78
Vergleiche z. B. Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Mixing between Men
and Women, 28.11.2005;. Fatwa von Zienab Mostafa, Women and Work
in Public, 28.08.2005.
79
Siehe dazu folgende Fatwas: Ahmad Kutty, Hugging the Opposite Sex,
13.11.2005; IOL Shari’ah Researchers, Looking With Desire at the
Opposite Sex, 16.11.2005; European Council for Fatwa and Research,
Talking with Members of the Opposite Sex, 10.11.2005.
80
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Ein Mann darf nicht mit einer fremden
Frau ohne einen Mahram (jemand den zu heiraten verboten ist) alleine
sein, sonst wird der Teufel der Dritte sein.“ Vergleiche: Fatwa von
Ahmad Kutty, Talking Intimately With the Opposite Sex, 13.11.2005.
81
Vergleiche z. B. folgende Fatwas: Muhammad Iqbal Nadvi, Islamic Dress
Code for Men, 21.08.2002; Ahmad Kutty, Requirements of Hijab,

129
Politikbereiche
vorzugehen. Der Prophet (s.a.w.s.) hat dies nicht getan und die
Verhältnisse der natürlichen Veranlagung zwischen Männern
und Frauen haben sich seit damals nicht geändert, sodass ein
besonderes zusätzliches Allgemeininteresse fehlt. Das Gebieten
des Guten und das Verwehren des Üblen ist eine Aufgabe jedes
einzelnen Mitglieds der islamischen Gemeinschaft und muss
überdies auf die beste Weise erfolgen. Zudem können sich
Individuen in persönlichen Ausnahmesituationen, die auch
Dauerzustände sein können, befinden, was für andere eventuell
nicht erkennbar sein kann.
Das was aber zu Schaden der Gesellschaft geht und an
dem ein übergeordnetes Allgemeininteresse besteht, wie etwa
die weitgehende Freizügigkeit im zu verbergenden
Schambereich, kann sicherlich mit staatlichen Mitteln auf die
beste Weise und abgestuft eingeschränkt werden, wenn es
öffentlichen Ärgernis erregt und zu Schaden führt. Dies kann z.
B. unabhängig davon normiert werden, dass Nichtmuslime
grundsätzlich nicht an die islamische Kleiderordnung gebunden
sind.82
Der Staat kann Institutionen und private Unternehmen
fördern, die auch im öffentlichen Bereich – Geschäftsbereich,
Arbeitsplatz – für eine ausreichende Sicherstellung der
islamischen Prinzipien sorgen.
Das zur Förderung des Guten auf die beste Weise und
zur zwangsweisen Verhinderung des Verbotenen erörterte,
muss auch bei allen anderen Angelegenheiten, in denen sich

17.10.2006; Yusuf Al-Qaradawi, Shaking Hands with Women: An


Islamic Perspective, 24.07.2003.
82
Siehe dazu: Ibrahim Salih Al-Husaini, Must Non-Muslim Women Wear
Hijab in Muslim Countries?, 06.03.2007.

130
Der persönliche Lebensbereich
der öffentliche und der private Bereich überschneiden, beachtet
werden.83
Keinesfalls dürfen Verallgemeinerungen ohne
übergeordnetes Allgemeininteresse getroffen werden, um
Sachen oder Handlungen zu verbieten, die eventuell zu
Verbotenem führen können. Es ist immer eine funktionale
Betrachtungsweise notwendig. Etwas, das nicht mit Sicherheit
zu Verbotenem führt (z. B. Musik und Musikinstrumente,
Fernsehen, Videokameras, Kunst und Photos etc) ist immer
funktional zu betrachten und hängt von der konkreten Situation
und der Absicht der Betroffenen ab und ist daher grundsätzlich
also erlaubt anzusehen.84
Es gibt nichts, was dem privaten Vergnügen, Sport und
Spiel entgegenstehen kann, solange die Pflichten
wahrgenommen werden (z. B. Gebetszeiten) und es sich nicht
um Schändliches handelt.85 Der Staat kann nur öffentliche
Auswirkungen von privaten Angelegenheiten zwangsweise
bekämpfen. In Sachen der Moral muss vor allem der Einfluss
auf und das Vorbild für Kinder beachtet werden.
Sollte es notwendig sein und im übergeordneten
Allgemeininteresse stehen, gegen verbreitete Unsitten und

83
Siehe zur Vorgehensweise des Propheten (s.a.w.s.) bei der Belehrung der
Menschen: IOL Shari’ah Researchers, The Prophet’s Methods of
Education, 23.03.2006.
84
Siehe dazu z. B. folgende Fatwas: Ahmad Kutty, Women Working in
Media, 11.08.2005; A Group of Islamic Researchers, Watching TV &
Dancing in Weddings, 14.01.2004; A Group of Islamic Researchers,
Bezug nehmend auf eine Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Singing &
Musik: Islamic View, 13.01.2004; Ahmad Kutty, Fatwa on Photography,
16.09.2003; Ahmad Kutty, Ruling on Playing Guitar, 13.08.2002.
85
Vergleiche z.B. folgende Fatwa: ’Atiyyar Saqr, Sports: Definition,
Etiquette and Ruling, 08.06.2002.

131
Politikbereiche
Handlungen vorzugehen, die öffentlichen Ärger bereiten, so
sind diese auf die beste Weise einzudämmen und zu der Sache
des Islam einladen; Die Menschen dürfen nicht zwangsweise
bedrängt werden, es darf nicht Hand angelegt werden, erst
Recht nicht durch Beamte verschiedenen Geschlechtes - außer
in gesetzlich genau festgelegten Fällen zur Verhinderung
offenkundiger Schandbarkeiten und als letztes Mittel, sowie
auf schonendste Weise ohne sich im Ton zu vergreifen; jeder
Nachteil muss verhältnismäßig und abgestuft sein.
„Und sprecht zu den Menschen auf gute Art und Weise.“ (Qur’an 2/83).
„Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung auf
und streite mit ihnen auf die beste Art, wahrlich dein Herr weiß am
besten, wer von seinem Weg abgeirrt ist; und er kennt jene am besten, die
rechtgeleitet sind.“ (Qur’an 16/125).
Die Einladung zum Islam und zu den islamischen
Geboten muss auf die schönste Art erfolgen, die Abschreckung
und Bedrängung der Menschen führt zu deren Irreleitung und
Abneigung.
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Wer in diesem Leben einen
Gläubigen ängstigt, dem droht Allah, der Allmächtige, solch eine Person am
Tag des Gerichts zu verunsichern (und zu ängstigen).“ (Tabarany)
„Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung auf und
streite mit ihnen auf die beste Art, wahrlich dein Herr weiß am besten, wer
von seinem Weg abgeirrt ist; und er kennt jene am besten, die rechtgeleitet
sind.“ (Qur’an 16/125).
Einheiten mit Zwangsbefugnissen in dieser Hinsicht
sollten auf keinen Fall eingesetzt werden. Man sieht am
Beispiel vieler muslimischer Staaten der Gegenwart, zu
welchen Missständen und Gewaltausbrüchen sowie Tyranneien
es führt.
Die Exekutivorgane haben nach den dargelegten
Grundsätzen die beste Alternative für die Hintergründe

132
Nichtmuslimische Staatsbürger
menschlichen Verhaltens anzunehmen, bevor sie einen Bürger
befragen und ermahnen.
Aggression durch die Behörden ist strengstens untersagt
und muss disziplinarrechtlich und gegebenenfalls auch
strafrechtlich verfolgt werden.86
„Keinen Schaden zufügen und keinen Schaden mit Schadenszufügung
beantworten. Wer (jemanden) Schaden zufügt, dem fügt Allah Schaden zu
[…].“ (Al-Hakim, nach Albani ein sahih Hadith).
Sie ist unter bestimmten durch Verordnung zu
spezifizierenden Gegebenheiten nur zur Bekämpfung der
Kriminalität und Gewalt und zum Schutz der Rechte der
Bürger zulässig. Die Würde und Ehre der Menschen ist in
jedem Fall zu beachten.
Die Freiheit des Einzelnen ist so wenig wie möglich
einzuschränken. Maßnahmen, die die Freiheit zu sehr
beeinträchtigen, obwohl es gute Beweise für die Unzulässigkeit
der Maßnahmen gibt, sollten vom Mazalim–Gericht
(Staatsgerichtshof) oder vom Obersten Justizrat für nichtig
erklärt und aufgehoben werden können. Das islamische
Bewusstsein der Bevölkerung und die Bildung sind hingegen
auf die bestmögliche Weise zu stärken und zu fördern.

5.4 Nichtmuslimische Staatsbürger


Die religiöse Überzeugung der Bürger ist im
islamischen Staat geschützt. Nichtmuslime dürfen ihren
Glauben frei leben.87

86
Vergleiche: Fatwa von: Yusuf Al-Qaradawi/ Muzammil Siddiqi,
Aggression Against Innocent People, 01.07.2007.

133
Politikbereiche
„Und euch euere Religion und mir meine“ (Qur’an 109/6)
„Und schmäht die nicht, die sie statt Allah anrufen, sonst würden sie aus
Groll ohne Willen Allah schmähen. Also lassen wir jedem Volk sein Tun
als wohlgefällig erscheinen.“ (Qur’an 6/108)
„Und stiftet keinen Verderb auf Erden, nachdem dort Ordnung herrscht und
ruft ihn in Furcht und Hoffnung an. Wahrlich, Allahs Barmherzigkeit ist
denen nahe, die gute Werke tun.“ (Qur’an 7/56)
„Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf Erden
sind, geglaubt. Willst du also die Menschen zwingen Gläubige zu werden?“
(Qur’an 10/99).
Die (kulturellen und religiösen) Einrichtungen der
Nichtmuslime sind staatlich geschützt.
„Es gibt keinen Zwang im Glauben“ (Qur’an 2/256)
„Willst du etwa die Menschen zwingen, Gläubige zu werden?“ (Qur’an
10/99)
„Wenn sie nun zu dir kommen, dann entscheide zwischen ihnen oder aber
wende dich von ihnen ab (und überlasse sie sich selbst!). Wenn du dich von
ihnen abwendest, können sie dir keinen Schaden zufügen, wenn du aber (als
Schiedsrichter strittige Fragen) entscheidest, dann entscheide unter ihnen
nach Gerechtigkeit!“ (Qur’an 2/42)
„Und schmäht nicht diejenigen, zu denen sie beten, statt zu Gott, damit sie
in (ihrem) Unverstand nicht (ihrerseits) in Übertretung (der göttlichen
Gebote) Gott schmähen! So haben wir jeder Gemeinschaft ihr Tun im
schönsten Licht erscheinen lassen. Hierauf werden sie zu Gott
zurückkehren.” (Qur’an 6/108).
Nichtmuslime stehen zur islamischen Gemeinschaft in
einem Vertragszustand, durch den sie die

87
Vergleiche: Fatwa von Jamal Badawi/ Muhammad Nur Abdullah,
Freedom of Belief & Minority Rights in Muslim Countries, 18.04.2006;
Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Protection of Non-Muslim’s Place of
Worship, 26.11.2006.

134
Nichtmuslimische Staatsbürger
Staatsbürgerschaft des islamischen Staates erhalten und
durch den die Gleichheit der wechselseitigen Rechte und
Pflichten begründet wird. In der islamischen Geschichte
wurde vertraglich z. B. die gleiche soziale Absicherung
festgeschrieben.
Dieser Staatsbürgerschaftsvertrag wird aufgehoben,
wenn Grundfesten des islamischen Staates gefährdet werden
(Spionage, etc. – dies gilt allerdings auch für den Muslim).
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Sie haben die gleichen Rechte und
Pflichten.“ (Malik in Muwatta).
So ist z. B. bekannt, dass die soziale Absicherung in einem Vertrag von
Halid ibn Walid mit den christlichen Bewohnern von Hira im Irak explizit
festgelegt war. Außerdem ist bekannt, dass der Kalif ’Umar (r.a.) eine Rente
aus der Staatskasse gewährte.
Es ist möglich – und wurde in der Geschichte auch so
praktiziert, – dass den nichtmuslimischen Bürgern eines
Islamischen Staates weitgehende Autonomie, nicht nur im
religiösen – das ist vorgegeben – sondern auch im rechtlichen
Bereich (mitsamt Gerichtsbarkeit) gewährt wird.
Nichtmuslimische Staatsbürger können wählen, ob sie in den
Bereichen, in denen sie Autonomie genießen, die islamische
oder ihre autonome Rechtsprechung in Anspruch nehmen
möchten.
So hatten Nichtmuslime bereits zur Zeit des Propheten
(s.a.w.s.) und der rechtschaffenen Kalifen Autonomie im
Bereich des Familienrechts und des Erbrechts und sie waren
von jenen Bereichen des islamischen Rechts ausgenommen, die
sich auf Muslime beziehen: so durften sie Schweinefleisch
essen und Alkohol trinken und damit handeln, obwohl es für
muslimische Staatsbürger verboten war (ist).
135
Politikbereiche
Es gibt keine Unterdrückung und Diskriminierung
nach dem islamischen Recht.88
Der Kalif Ali (r.a.) sagte: „[…] es ist jedoch so, dass das Blut
dessen, der durch das Dhimma-Abkommen (Staatsbürgerschaftsvertrag)
unter unserem Schutz steht, so behandelt wird, wie unser eigenes Blut, und
das für ihn zu entrichtende Blutgeld so wie das für uns zu entrichtende
Blutgeld ist.“ (Tabarani, Baihaqi)
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Sie haben die gleichen Rechte und
Pflichten.“ (Malik in Muwatta).
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Wer jemanden, mit dem ein Vertrag
geschlossen wurde, tötet, wird den Duft des Paradieses nicht riechen, und
der Duft des Paradieses ist in einer Entfernung von vierzig Jahren zu
riechen.“ (Buhari, Ahmad).
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Seht euch vor! Wer gegen einen
Vertragspartner grausam und hart ist, oder ihn in seinen Rechten
beschneidet, oder ihm mehr aufbürdet, als er ertragen kann, oder ihm gegen
seinen Willen etwas von seinem Besitz wegnimmt, gegen den werde ich
selbst am Tage des Gerichts als Kläger auftreten.“ (Abu Dawud, Baihaqi).
An dieser Stelle soll noch auf die Verteidigungs-
Ersatz-Abgabe (Ğizya) eingegangen werden, die in vielen
Darstellungen verfehlt beschrieben wird. Die Ğizya ist eine
Abgabe, die die Regenten von den nichtmuslimischen
Staatsbürgern erhoben haben, um die staatlichen Ausgaben für
den militärischen Schutz zu finanzieren. Eine Diskriminierung
ist das nicht, denn diskriminiert kann nur dort werden, wo
gleiches ungleich behandelt wird. Die Nichtmuslime waren

88
Vergleiche folgende Fatwas: IOL Shari’ah Researchers, Religious
Freedom in the Eyes of shari’ah,11.05.2006; ’Abdul-Majeed Subh,
Islamic Shari’ah knows no Diskrimination, 18.04.2006.

136
Nichtmuslimische Staatsbürger
aber nicht verpflichtet den Militärdienst zu leisten. Leisteten
sie diesen freiwillig, wurde die Steuer rückerstattet.
Der Kalif ’Ali sagte: „Die Nichtmuslime entrichten die Ğizya damit ihr Blut
wie unser Blut und ihr Besitztum wie unser Besitztum behandelt wird.“
Der Heerführer Khalid ibn al-Walid sagte: „Ich schwöre euch meine Treue,
dass ich euch für die Schutzsteuer, die von euch gesammelt wird,
vollständig beschützen werde. Wenn wir den nötigen Schutz bereitstellen
haben wir einen Anspruch auf die Schutzsteuer, anderenfalls braucht ihr sie
nicht zu bezahlen.“ (Balathuree).
Zudem wurde die Steuer nur von erwachsenen
arbeitsfähigen Männern erhoben, wobei auf soziale Härten und
Rücksicht genommen wurde und die Steuer nach Einkommen
gestaffelt war. Abgesehen davon stellt diese Steuer einen
Ausgleich dafür dar, dass die Nichtmuslime nicht verpflichtet
sind die Sozialabgabe (Zakah) zu zahlen, die die Muslime
entrichten mussten (Sozialabgabe: 2, 5 % des Jahresgewinns
oder 10 % je nach Gütern).
„Jede ältere Person, jeder arbeitsunfähige Arbeiter, jede unheilbar kranke
Person oder ein reicher, der seinen Reichtum verloren hat, erhalten
Armenhilfe von den religiösen Mitmenschen, all diese Menschen brauchen
keine Ğizya zu bezahlen. Noch dazu haben all jene für sich und für ihre zu
unterstützenden Familienmitglieder einen Anspruch auf angemessene
Unterstützung aus der islamischen Schatzkammer.“ (Abu Yusuf, Al Kharağ,
144).
Doch selbst diese Steuer, die in der beschriebenen Form
als „Ausgleichssteuer“ anzusehen ist, ist nicht verbindlich,
denn es ist möglich in einem Friedensvertrag oder eben diesem
Staatsbürgerschaftsvertrag, auf diese zu verzichten; dies ist
geschichtlich auch belegt.

137
Politikbereiche
Solch ein Vertrag existierte z. B. zwischen den Muslimen und den
Nubiern. Ibn Lahi’a sagte: ’Uthman, wie auch die Statthalter und
Befehlshaber nach seinem Tod unterschrieben diesen Vertrag und Umar ibn
Abdulaziz bestätigte diesen Vertrag.89
Nichtmuslimische Bürger des islamischen Staates sind
also vollwertige Staatsbürger des islamischen Staates.

5.5 Asyl
Asylrecht
Jeder der gerechtfertigt Asyl im islamischen Staat sucht,
soll das Recht auf Asyl haben. Der Islam ist nämlich darum
bemüht, die Menschen aus der Unterdrückung zu befreien und
die Sicherheit zu gewährleisten. Dabei spielt es keine Rolle, ob
der Staat des Asylsuchenden mit dem islamischen Staat im
Kriegszustand steht oder nicht.90
„Und wenn einer der Götzendiener bei dir Schutz sucht, dann
gewähre ihm Schutz, bis er Allahs Worte vernehmen kann; hierauf lasse ihn
den Ort seiner Sicherheit erreichen […].“ (Qur’an 9/6)
Leute die ihren Lebensmittelpunkt im islamischen
Raum haben und sich in diesem nicht nur verhältnismäßig
kurze Zeit aufhalten, sollten jedenfalls ein Bleiberecht haben,
wenn sie nicht schwererer krimineller Handlungen für schuldig
befunden worden sind oder eine Gefahr für die Öffentlichkeit
darstellen. Dies ergibt sich aus der Menschlichkeit. Alle

89
Vergleiche dazu Maulawi, Feisal, Die Prinzipien der Scharia auf denen
die Beziehungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gegründet sind.
90
Siehe zu diesem Thema folgende Fatwas: Hamid Al-Ali/ Taha Jabir Al-
Alawani, Islam’s Stance on Refugees, 01.01.2006; Faysal Mawlawi
(deutsche Schreibweise: Maulawi Feisal), Rights of Refugees in Islam,
19.06.2003.

138
Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit
Verwaltungsverfahren haben innerhalb angemessener Zeit
abgeschlossen zu sein, ansonsten erwächst den Betroffenen ein
Recht daraus, weil dies gegen die Menschenwürde verstößt und
die Menschen dem Staat nicht ausgeliefert sein sollen.
Es sollten auch die Voraussetzungen des allgemeinen
Bleiberechts detailliert geregelt werden, um Willkür unter den
Beamten auszuschließen; dabei ist das Recht auf Familie und
Familienzusammenführung zu beachten und auch das
besondere Recht eines jeden der im islamischen Land seine
Bildung absolviert hat oder in diesem aufgewachsen ist oder
mit diesem auf sonstige Weise eng verbunden ist.

5.6 Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit


Der Kalif nimmt im Rahmen der Scharia die Aufgaben
der Außenpolitik und die Wahrung der inneren Sicherheit wahr
und ernennt auch die Heerführer.
Der Kalif und der Außenminister sind für ihre
Handlungen der Volksvertretung Rechenschaft schuldig.
Die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann durch die
Polizei gewährleistet werden, die auch den Verkehr regelt und
überwacht sowie als Strafverfolgungsbehörde strafbare und
ordnungswidrige Handlungen erforscht und Gefahren abwehrt.
Die Verwaltung sollte möglichst einfach und effizient
erfolgen. Ein Teil der Polizei (bestimmte
Strafbekämpfungseinrichtungen, Spezialeinheiten, etc.) sollten
direkt dem Gesamtstaat unterliegen und direkt verwaltet
werden, ansonsten sollte die Polizei den Provinzen unterstellt
sein, sodass der Gouverneur über die Exekutive verfügen kann.
Dies kann aber auch anders geregelt werden, weil es zum
Verwaltungsbereich gehört, wo es keine Vorgaben der
islamischen Rechtsordnung gibt.

139
Politikbereiche
Die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten
muss auf der Grundlage der Rechtsordnung erfolgen und darf
nicht gegen diese verstoßen. Dem Regenten ist genügend
Spielraum zu lassen, um die beste politische Taktik
durchführen zu können, solange die Mittel nicht gegen die
islamischen Grundsätze verstoßen.
Zur Bewahrung der Sicherheit und zum Schutz des
Volkes und des Staates kann ein Nachrichtendienst /
Geheimdienst eingerichtet werden, der dem Heerführer (Amīr
der Streitkräfte) und dem Kalifen direkt untersteht.91
Der Einsatz des Nachrichtendienstes gegen die eigene
Bevölkerung ist jedoch untersagt, außer zur Abwendung von
Gefahren kriminellen Machenschaften (nach richterlicher
Genehmigung) – ohne dass jedoch diese Beweise aus
Spionagetätigkeit (Tonbänder, Aufnahmen etc.) vor Gericht
direkt Verwertung finden. Dies ergibt sich aus dem
qur’anischen Spionageverbot.
„Und spioniert nicht.“ (Qur’an 49/12)
Der Kalif und seine Vertreter haben den Islam nach
außen zu tragen und auf beste Weise zu repräsentieren. Dies
wurde weiter oben dargelegt. Sie dürfen nicht in die Fänge der
feindlichen Intrigen geraten und müssen stets auf die beste
Weise in Stärke und Standhaftigkeit sowie im Streben nach
Gerechtigkeit handeln.
Der Prophet (s.a.w.s.) sprach: „Der Imam ist ein Schutzschild, man kämpft
hinter ihm und man schützt sich durch ihn.“ (Muslim über Al-A’rağ und
Abū Hureira).

91
Ein solcher bestand zur Amtszeit des Kalifen ’Umar (r.a.). Siehe Ünal,
Halid, Die Rechtfertigung der juristischen Urteile des zweiten Kalifen
’Umar ibn al-Hattab (Diss, Köln 1985), 67.

140
Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit
Der Kalif und der von ihm Beauftragte haben das Recht
Staatsverträge verschiedener Art abzuschließen, etwa
wirtschaftliche, bildungsfördernde und kulturelle Abkommen
oder Friedensverträge. Die Muslime und der islamische Staat
sind verpflichtet, sich an die Vertragstexte zu halten, solange
der Vertragspartner keinen Vertragsbruch begeht.
„Ihr Gläubigen, haltet die Verträge ein!“ (Qur’an 5/1)
„Solange diese euch treu bleiben, haltet ihnen die Treue.“ (Qur’an
9/7)
„Greift an, aber brecht euere Verträge oder den Waffenstillstand
nicht, verstümmelt nicht und tötet kein neugeborenes Kind.“ (Muslim).
Militärpakte können die islamische Gemeinschaft nicht
verpflichten militärisch einzugreifen, wenn der Eingriff der
Scharia widersprechen würde, es sich also z. B. nicht um einen
militärischen Angriff zur Befreiung eines Volkes vor einem
schariarechtlich ungerechtfertigten Angriff oder vor
bestehender Unterdrückung und Ungerechtigkeit handelt;
ebenso sollten Pakte, die die Präsenz fremder Streitkräfte auf
islamischem Boden zulassen als nichtig betrachtet werden.92
Eine Bedingung, die gegen das Buch Allahs verstößt ist
nämlich nichtig.
Der Prophet (s.a.w.s.) sagte: „Die Muslime haben sich an ihre
Bedingungen zu halten, es sei denn, eine Bedingung verbietet das Erlaubte
oder erlaubt das Verbotene.“
Die Gesandten und Botschafter ausländischer Staaten
sind zu respektieren und unter staatlichen Schutz zu stellen. So
nach dem Vorbild des Propheten (s.a.w.s.) und seinem

92
Vergleiche: Fatwa von ’Abdul-Majeed Subh, Muslim and Non-Muslim
Armies Helping Each Other, 18.12.2002.

141
Politikbereiche
Verhalten gegenüber Botschaftern, selbst und vor allem wenn
sie seine Feinde waren.93
Kriegerische Handlungen sind zulässig, um die
Staatsbürger zu verteidigen und Angriffe abzuwenden.94
„Und was ist euch, dass ihr nicht für Allahs Sache kämpft und für die
der Schwachen – Männer, Frauen und Kinder – die sagen: „Unser Herr,
führe uns heraus aus dieser Stadt, deren Bewohner ungerecht sind und
gib uns von dir einen Beschützer und gib uns von dir einen Helfer.“
(Qur’an 4/75)
„Und kämpft gegen sie bis keine Verführung mehr besteht und bis
sämtliche Verehrung auf Allah allein gerichtet ist. Wenn sie jedoch
aufhören, dann wahrlich sieht Allah sehr wohl, was sie tun.“ (Qur’an
8/39)
„Und wenn sie dem Frieden zuneigen, so neige dich ihm zu (so
neige auch du zum Frieden) und vertraue auf Allah.“ (Qur’an 8/61)
„Darum, wenn sie sich von euch fernhalten und nicht gegen euch
kämpfen, sondern euch Frieden bieten; dann hat Allah euch keinen
Grund gegen sie gegeben.“ (Qur’an 4/90).
Aktiver Einsatz von Streitkräften ist erlaubt, um die
innerstaatliche Unterdrückung oder den offensichtlich
schariarechtlich ungerechtfertigten Angriff fremder Völker zu
beseitigen und diesen die Freiheit zu garantieren – humanitäre
Intervention.
„Und kämpft auf dem Weg Allahs gegen diejenigen, die gegen
euch kämpfen, doch übertretet nicht. Wahrlich Allah liebt nicht
diejenigen, die übertreten.“ (Qur’an 2/190)
„Und was ist euch, dass ihr nicht für Allahs Sache kämpft und für
die Schwachen – Männer, Frauen und Kinder – die sagen: „Unser Herr,

93
Fatwa von Faysal Mawlawi, Taking Hostages: Permissible?, 30.07.2007.
94
Fatwa von Muzammil Siddiqi, Jihad: Ist true Meaning and Purpose,
26.07.2007; Group of Muftis (u.a. Atiyyah Saqr/ Abdul-Majeed Subh),
Jihad in Islam: Preemptive or Defensive?, 20.03.2003.

142
Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit
führe uns heraus aus dieser Stadt, deren Bewohner ungerecht sind und gib
uns von dir einen Beschützer und gib uns von dir einen Helfer.“ (Qur’an
4/75)
„Darum, wenn sie sich von euch fernhalten und nicht gegen euch
kämpfen, sondern euch Frieden bieten; dann hat Allah euch keinen Grund
gegen sie gegeben.“ (Qur’an 4/90).
Der Krieg muss möglichst entsprechend den
Bestimmungen der Scharia geführt werden: Alten Menschen,
Kranken und Verwundeten, Kindern und Frauen darf nichts
geschehen; dasselbe gilt für Bäume und Pflanzen sowie
Gebäude und öffentliche Einrichtungen.95
Nach dem Vorbild des Propheten (s.a.w.s.) sagte Abu Bakr: „Hört
zu und gehorcht zehn Befehlen und Anweisungen: Betrügt niemanden.
Stehlt niemals von der Kriegsbeute. Brecht nie einen Treue-Eid.
Verstümmelt keinen Körper eines feindlichen Kämpfers oder Verstorbenen.
Tötet kein Kind oder kleineres. Tötet keinen älteren Mann oder Frau. Tötet
keine Frau. Fällt keine Dattelpalme und verbrennt sie auch nicht. Schneidet
oder zerstört keinen Obstbaum. Schlachtet weder Schaf, Kuh noch Kamel,
es sei denn zu eurer (nötigen) Versorgung. Ihr werdet sicher an Leuten
vorbeikommen, die sich als Mönche oder Ähnliches ausgrenzen und
isolieren, ganz für den Gottesdienst an Allah, also lasst sie in Ruhe und stört
sie nicht. […] Schreitet voran im Namen Allahs.“96
Nichtkriegerischen Aktivitäten, wie humanitärer Hilfe
und Friedenssicherung durch die Entsendung
friedenswahrender Truppen, steht jedoch nichts entgegen.
Dadurch darf das betroffene Volk jedoch keinesfalls

95
Siehe in diesem Zusammenhang folgende Fatwa: IOL Shari’ah
Researchers, War Ethics in Islam, 01.04.2004.
96
Siehe: Abdul Rahman al-Sheha, Missverständnisse über Menschenrechte
im Islam, Verlag Safir, Riadh. König Fahd Bibliothek, Seite 18.

143
Politikbereiche
unterdrückt oder seines Selbstbestimmungsrechts beraubt
werden.
Kriegsgefangene haben – entsprechend der
Handlungsweise des Propheten (s.a.w.s.) – das Recht auf
würdevolle Behandlung und ausreichend Versorgung
(Nahrung, Kleidung, Medizin).97
„Und sie geben Speise – und mag sie ihnen auch noch so lieb sein – den
Armen, der Weise und den Gefangenen: Wir speisen euch nur um Allahs
Willen. Wir begehren von euch weder Lohn noch Dank.“ (Qur’an 76/8,9).
Verletzung oder Folter wird strafrechtlich geahndet.98
Kriegsgefangene sind für Lösegeld freizulassen oder gegen
eigene in Gefangenschaft geratene auszutauschen oder zu
begnadigen; oder es ist ihnen eine Möglichkeit zu geben, sich
durch einen angemessenen Dienst an der Allgemeinheit zu
befreien (zur Zeit des Propheten (s.a.w.s.) z. B. dadurch, dass
sie Muslimen das Lesen und Schreiben beibrachten). Zur Zeit
des Propheten (s.a.w.s.) wurden keine Gefängnisse gehalten,
die Gefangenen wurden auf die muslimischen Familien verteilt
und konnten sich auf dem islamischen Gebiet frei bewegen.
Lediglich Verbrecher unter den Gefangenen dürfen zum Tode
verurteilt werden.99
„[…]Dann hernach entweder Gnade oder Lösegeld bis der Krieg
seine Lasten von euch wegnimmt.“ (Qur’an 47/4).

97
Siehe: Fatwa von Muhammad Saleh Al-Munajjid, What Islam says about
Prisoners, 30.04.2004; Fatwa von IOL Shari’ah Researchers, Islam’s
Stance on Prisoners of War, 13.07.2006.
98
Vergleiche: Fatwa von IOL Islamic Researchers, Islam’s Stance on
Torturing Captives, 08.05.2004.
99
Siehe hierzu die Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Islam’s Stance on Killing
Captives, 17.05.2004.

144
Äußere Angelegenheiten und Innere Sicherheit
Abu Musa, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, dass der Gesandte
Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Löst die Fesseln des
Kriegsgefangenen, speist den Hungrigen und besucht den Kranken!“
Familien, die durch Kriege und Unruhen getrennt
worden sind, sollte ein explizites Recht auf Zusammenführung
eingeräumt werden.
„Wer war derjenige, der die zwei kleinen Vögel von ihrer Mutter entführte
und sie traurig und bekümmert machte? Gebt die zwei kleinen Vögel ihrer
Mutter zurück.“ (Abu Dawud).
Muslime halten sich an internationale Konventionen
und an allgemeinen völkerrechtlichen Konsens, unter der
Voraussetzung der Vereinbarkeit mit der Scharia. Diese
werden als Gewohnheitsrecht (’Urf) zur Quelle der
islamischen Rechtswissenschaft.100 Ein solcher
völkerrechtlicher Konsens besteht z. B. im Hinblick auf die
Abschaffung der Sklaverei und des Menschenhandels oder in
Bezug auf die Behandlung von Kriegsgefangenen.

100
Siehe zur Rolle des Gewohnheitsrechts (’Urf) bei der Interpretation des
islamischen Rechts im Kapitel über die Rahmenbedingungen der
Legislative.

145
Politikbereiche
5.7 Bildungspolitik
Bildungspolitik
Das Streben nach Bildung ist für jeden Muslim, Mann
und Frau,101 im Rahmen seiner Möglichkeiten eine religiöse
Pflicht.102
„Sprich: Sind solche die wissen denen gleich, die nicht wissen? Allein nur
diejenigen lassen sich warnen, die verständig sind.“ (Qur’an 39/9)
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Die Suche nach Wissen ist für jeden
Muslim (männlich oder weiblich) verpflichtend.“ (Ibn Mağa)
„Wer reist um irgendwelches Wissen zu suchen, wird wie jemand
angesehen, der Ğihad für Allah unternimmt, bis er nach Hause
zurückkehrt.“ (Tirmidhi)
„Wer immer einen Weg einschlägt um Wissen zu suchen, einem solchen
Menschen wird Allah einen Weg nach Ğennah (ins Paradies) ebnen.“ (Abu
Dawūd, Tirimidhi).
Bei der Bildungspolitik sind stets die islamischen
Glaubensgrundlagen (’Aqida) zu beachten und sicherzustellen,
dass das notwendige Wissen zur Bildung einer fundierten
selbstständigen Denkweise vermittelt wird.
Die Bildungsvermittlung sollte nach Möglichkeit – in
Abhängigkeit von der Materie – vielschichtig erfolgen und darf
nicht einseitig sein. Die Menschen sollen schließlich zum
selbstständigen Nachdenken und zur eigenverantwortlichen
Entscheidung auf solider islamischer Basis angeregt werden.

101
Siehe z. B. folgende Fatwa, wonach das Studium der Medizin von
Frauen eine Kollektive Pflicht ist (fard kifayah): Muhammad Nur
Abdullah, Women Studying Medicine, 12.12.2006.
102
Siehe zu diesem Themenbereich z. B. folgende Fatwa: Ahmad Kutty,
Rules for Women Traveling Abroad to Study, 26.01.2006.

146
Bildungspolitik
Die Schulbildung sollte ein angemessenes Spektrum
von Wissenschaften und Disziplinen abdecken, wie
Naturwissenschaften (Physik, Mathematik, Chemie, etc.),
Geisteswissenschaften (Geschichte, Geografie, etc.), politische
Bildung etc. Die islamischen Wissenschaften sollten in
gewissem Umfang Pflichtfach sein.
In der Bildungspolitik und Schulorganisation sollten die
Provinzen relativ frei sein. Die Bildungspolitik sollte so
vielfältig wie möglich sein; dies fördert außerdem die
Zufriedenheit in der Provinzialbevölkerung. Der Gesamtstaat
sollte allerdings einheitliche Standards aufzustellen.
Unterrichtssprachen sollten am besten die Amtssprachen
der Provinzen sein. Die Sprache ist ein besonderes Merkmal
eines Volkes und wenn einem die Sprache verboten wird, dann
schlägt dies in Unterdrückung um und dies führt zu
Auflehnung. Es sollte allerdings eine genügende Anzahl von
Arabisch-Stunden sichergestellt werden, um eine einheitliche
Verständigung und gleichzeitig einen guten Zugang zu den
Quellen des Islam, insbesondere dem Qur’an, zu eröffnen.
Privatschulen sollten zulässig sein, müssten jedoch den
staatlichen Bildungsstandards entsprechen. Es spielt schließlich
keine Rolle woher das Wissen kommt, man muss stets danach
trachten, nützliches Wissen zu erwerben.
Es können verschiedene Schulsysteme vorgesehen
werden, um alle Bereiche und Wissenschaften abzudecken. Es
gibt absolut keine Vorgaben oder Empfehlungen seitens der
islamischen Quellen. Nach einer einheitlichen Pflichtschule
könnte z. B. die Teilung in unterschiedliche
Ausbildungsrichtungen (Handwerk, Technik, Pflege und so
weiter) erfolgen, wobei verschiedene allgemeinbildende
Schulen vorgesehen sein sollten. Es sollte am besten ein
allgemeiner Standard festgelegt werden, der zur allgemeinen
oder speziellen Studienberechtigung führt.

147
Politikbereiche
Die höheren Bildungseinrichtungen, wie Akademien
und Universitäten, sollten selbstständige Lehre und Forschung
unterhalten und ihnen sollte unter Aufsicht des Staates
weitgehende Autonomie bei der Verwaltung zukommen, damit
die Forschung und Entwicklung gut gedeiht. Der Staat sollte
die Forschung und Entwicklung so weit wie möglich
unterstützen und Wissenschaften und Wissenschaftler aller
Richtungen fördern.
Lernmittel und Bibliotheken sowie Forschungslabors
sollten vom Staat in ausreichendem Maß zur Verfügung
gestellt werden, denn der Staat als Ganzes hat die Pflicht, die
Rahmenbedingungen für die islamische Aufforderung, nach
Wissen zu suchen und sich dieses anzueignen, sicherzustellen.
Der Staat sollte daher den Zugang zu den öffentlichen
Bildungseinrichtungen kostenfrei zur Verfügung stellen und
das Studium an höheren Bildungseinrichtungen durch
bestmögliche Förderung und Unterstützung, insbesondere in
finanzieller Hinsicht, erleichtern. In dieser Hinsicht sei noch
einmal die zentrale Überlieferung zur Bildungspolitik
angeführt:
Der Gesandte Allahs (s.a.w.s.) sagte: „Die Suche nach Wissen ist
für jeden Muslim (männlich oder weiblich) verpflichtend.“ (Ibn Mağa)

148
Grundsätzliches
6 Zur Realisierbarkeit
Realisierbarkeit der Grundsätze der
islamischen Staatsführung
6.1 Grundsätzliches
Es gibt zahlreiche „muslimische“ Staaten in unserer
Zeit. Sie können als muslimisch bezeichnet werden, weil sich
die Bevölkerungsmehrheit zum Islam bekennt und die Politik
daher auch von islamischen Prinzipien beeinflusst ist. Manche
davon bezeichnet man auch als „islamisch“, weil sie
Teilgebiete ihres Rechtssystems an der Scharia ausrichten, wie
etwa der Iran, Saudi Arabien, Pakistan, Nigeria, Afghanistan,
Sudan, Katar, Kuwait, Bahrain, Jemen etc.
Angesichts einer solchen Fülle von muslimischen
Staaten stellt sich die Frage, wie realistisch es ist, dass ein
islamischer Staat, wie er in den vorangegangenen Kapiteln
beschrieben wurde, tatsächlich implementiert wird, zumal es
schwer vorstellbar ist, dass alle Staaten mit muslimischer
Bevölkerungsmehrheit ihre Identität und Autonomie aufgeben
und sich als Provinzen bzw. Gliedstaaten zu einem
gemeinsamen islamischen Staat zusammenschließen. Eine
realistische Umsetzung einer staatenübergreifenden
islamischen Staatsführung soll weiter unten behandelt werden.
Hier wird noch einmal auf das Konzept der islamischen
Gemeinschaft (Umma) eingegangen.
Eingangs (im ersten Kapitel) wurde erwähnt, dass die
Quellen der Scharia die Notwendigkeit der Einheit der
Muslime nahelegen. Die Forderung nach Einheit bezieht sich
auch auf den politischen Bereich, weil es Belege gibt, die

149
Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen
Staatsführung
beweisen, dass sich die Muslime nach der Leistung eines
Treue-Eides an ein Staatsoberhaupt unter keinen Umständen
spalten dürfen. Es darf also nur einen Kalifen geben.
Mitunter wird hingegen die Meinung vertreten, dass das
Verbot der (politischen) Spaltung lediglich für eine
geschlossene Einheit von Muslimen relevant ist, also z. B. für
alle Muslime in einem abgegrenzten Gebiet (Staat). Unter
Zugrundelegung eines solchen Verständnisses der „islamischen
Gemeinschaft“ kann man sich auch Einzelstaaten
(Nationalstaaten) vorstellen, die sich an einer dem
beschriebenen System ähnlichen Staats- und Regierungsform
ausrichten. Die Bildung islamischer Einzelstaaten erscheint
jedenfalls besser, als den Gedanken an einen Staat nach den
islamischen Prinzipien gänzlich zu verwerfen und sich an
einem System zu orientieren, das keine Wurzeln in den Quellen
der Scharia besitzt, wie etwa einer Monarchie.

6.2 Zusammenschluss zu einer islamischen Union


Ein politischer Zusammenschluss der muslimischen
Staaten ist erstrebenswert und sinnvoll, zumal dies auch zu
einem Ende der innermuslimischen Spannungen führen würde,
weil dann eine Herrschaftsform bestünde, die sich an den
Grundsätzen der islamischen Ideologie und Lebensführung
ausrichtet. Am Bespiel der Europäischen Union sieht man die
Nützlichkeit eines Zusammenschlusses von Völkern und

150
Zusammenschluss zu einer islamischen Union
Staaten mit gleichen oder ähnlichen kulturellen Wurzeln und
Grundvorstellungen.
Angesichts der unterschiedlichen politischen Systeme
in den verschiedenen muslimischen Staaten und in Anbetracht
unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen, ist aber ein
Zusammenschluss der muslimischen Staaten zu einem
islamischen Staat (in naher Zukunft) nicht zu erwarten.
Dennoch bedeutet das nicht, dass die beschriebenen
Grundsätze der islamischen Staatsführung keinen Niederschlag
in einem realisierbaren politischen System der Gegenwart
finden könnten.
Es spricht viel für eine Orientierung am Werdegang der
Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein immer
enger werdender Zusammenschluss verschiedener
eigenständiger Staaten. Auf europäischer Ebene können
lediglich in begrenzen Bereichen Regelungen festgelegt
werden, die in allem Staaten verbindlich sein sollen. Die Union
ist aber auf eine stufenweise Angleichung der
Rechtsvorschriften ausgerichtet und zielt darauf ab, ein
gemeinsames europäisches Bewusstsein zu schaffen und
Hindernisse für den Waren-, Kapital-, Personen- und
Dienstleistungsverkehr im europäischen Bereich zu beseitigen.
Nach diesem Vorbild ist eine Islamische Union
denkbar, die sich aus den muslimischen Staaten
zusammensetzt, die allesamt ihre Eigenständigkeit bewahren,
aber ihre Grenzen untereinander abschaffen, den
wirtschaftlichen Verkehr ermöglichen und eine einheitliche
Spitze in Form eines Unionsoberhauptes bilden. Das
151
Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen
Staatsführung
Unionsoberhaupt kann hier durchaus als Kalif oder Imam
bezeichnet werden. Diesem Kalifen der islamischen Union
kann die Rechtsetzungsbefugnis im Bereich der direkten
Ableitung aus den Quellen der Scharia übertragen werden,
nach den Grundsätzen wie sie bereits dargestellt wurden. So
kann ein Oberster Justizrat gebildet werden, der sich aus
Vertretern der islamischen Rechtswissenschaften aus den
verschiedenen Staaten zusammensetzt. Es kann auch ein
Oberster Unionsgerichtshof gebildet werden, der letzte Instanz
ist Fragen des zwingenden islamischen Strafrechts (somit
lediglich im Bereich der Grenz- und Vergeltungsstrafen
(Hudud- und Qisas-Delikte) sowie in Fragen des zwingenden
islamischen Privat- und Wirtschaftsrechts ist. Alle anderen
Bereiche des Strafrechts (der größte Bereich der freien Strafen
– Ta’zir-Delikte) und des Privat- sowie Wirtschaftsrechts wie
auch das Verwaltungsrecht, die sicherlich den größten Teil der
rechtlichen Vorschriften ausmachen, die in einem modernen
Staat notwendig sind, könnten nach den Vorstellungen der
Mitgliedstaaten gestaltet werden. Die Verwaltung und
Organisation des Staates der Mitgliedstaaten können von den
Mitgliedstaaten selbst nach Belieben gestaltet werden, sodass
die bisherigen Strukturen beibehalten werden können. In den
Bereichen, in denen die Scharia keine zwingenden Vorgaben
enthält, könnten Entscheidungen mit Einstimmigkeit oder
Mehrheitsbeschluss (je nach vertraglicher Festlegung zwischen
den Mitgliedstaaten) des jeweiligen Fachministerrates oder des
allgemeinen Unionsparlaments gefällt werden, die der Kalif

152
Zusammenschluss zu einer islamischen Union
dann erlässt und die in der gesamten Union verbindlich
werden.
Solch eine Union ist politisch realisierbar, weil nur die
zwingenden Normen des islamischen Rechts aus der
Autonomie der Mitgliedstaaten ausgelagert werden müssten,
während alle anderen Rechtsgebiete innerstaatliche
Angelegenheiten blieben. Man könnte dann vertraglich
festlegen, in welchen Bereichen das Unionsparlament (in
Allgemeinen Angelegenheiten) oder der Rat der jeweiligen
Fachminister aus den Mitgliedstaaten (in Fachlichen
Angelegenheiten), unter welchen Voraussetzungen tätig
werden kann und wann Stellungnahmen und Beschlüsse für
den Kalifen bildend sein sollen. Dabei kann man sich an dem
im Kapitel über die Legislative dargestellten System
orientieren.
Militärische Aktionen anordnen und völkerrechtliche
Verträge abschließen, könnte der Kalif allerdings nur, falls sich
die Befugnis aus dem zwingenden Bereich des islamischen
Rechts ergibt oder falls nur so die zwingenden Vorschriften
sichergestellt werden können (Alles was zum Erreichen der
Pflicht notwendig ist, ist selbst Pflicht). Hierzu könnte eine
eigene Unionstruppe zusammengestellt werden.
Die Staatsbürger der Mitgliedstaaten wären
gleichermaßen Unionsbürger, wodurch sich jedenfalls bei den
Muslimen das Konzept der Umma – islamischen (Gesamt-
)Gemeinschaft als Träger des islamischen Staates bzw. in
diesem Fall der „islamischen (Staats-)Union“ verwirklichen
würde. Zudem wären die Muslime in Hinblick auf die
153
Zur Realisierbarkeit der Grundsätze der islamischen
Staatsführung
zwingenden Regelungen die aus der Scharia abgeleitet werden
können, über die es aber unterschiedliche Auffassungen gibt,
einem Rechtsspruch unterworfen, der auf Grundlage der
Beratung und Akzeptanz durch ein Gremium von aus allen
Mitgliedstaaten gewählten Gelehrten des islamischen Rechts
gefällt wird.
In allen Rechtsgebieten und Politikbereichen, in denen
die Scharia nur Grundsätze vorgibt, könnte die Union nur die
Sicherstellung der Grundsätze verlangen, nicht die Umsetzung
konkreter Maßnahmen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten
wären in der Umsetzung der Grundsatzrichtlinien frei. So gibt
es z. B. die Vorgabe der Notwendigkeit der Sicherstellung der
Grundbedürfnisse der Bevölkerung, die Art der Sicherstellung
ist aber nicht vorgegeben. Ähnlich ist es beim Umweltschutz.
Ebenso gibt es im Wirtschaftsrecht teilweise detaillierte
Vorgaben (etwa zum Zins und Glückspiel), genauso wie im
Privatrecht (etwa im Bereich Familienrecht und Erbrecht),
andererseits aber auch weitgehend ungeregelte Gebiete (etwa
Bereiche des Versicherungsrechts, Arbeitsrecht, Sozialrecht,
Konsumentenschutz, Mietrecht, notwendige Anforderungen an
Produkte und Dienstleistungen etc.) Im Verwaltungsrecht bzw.
im Verwaltungssystem (z. B. Gewerberecht, Baurecht,
Verkehrsrecht, Teile des Wohn- oder Mietrechts, Polizeirecht,
Schulwesen, Marktaufsichts- und Ordnungsbehörden,
Verwaltungsverfahren etc.) sind die schariarechtlichen
Vorgaben am geringsten.

154
Zusammenschluss zu einer islamischen Union
Der Zusammenschluss der muslimischen Staaten zu
einer islamischen Union ist eine gute Möglichkeit in unserer
Zeit ein, an der islamischen Staatsführung und auf Grundlage
der islamischen Lebensordnung ausgerichtetes,
funktionierendes, spezifisch islamisches System, unter
Zugrundelegung des Allgemeinwohls, zu realisieren.
Wirtschaftlich gesehen würde solch eine Union sicherlich auch
Stabilität in die muslimischen Staaten bringen und einen
friedlichen marktwirtschaftlichen Wettbewerb mit den größten
Nationen unserer Zeit sicherstellen. Dies ist auch ein
vernünftiger Weg um Korruption, Unterdrückung und
Missbrauch des islamischen Rechts in muslimischen Staaten zu
bekämpfen und Frieden in zahlreichen Krisenregionen zu
gewährleisten. Ein Zusammenschluss der muslimischen Völker
zu einem einheitlichen Staat kann letztendlich nur dann
verwirklicht werden, wenn eine ausreichende Mehrheit der
Muslime die islamischen Lehren verinnerlicht und beginnt,
nach den islamischen Grundsätzen zu handeln und zu leben.
Dann verschwinden national-geprägte Ideologien von selbst,
weil der Wunsch nach Einheit und Gerechtigkeit auf Grundlage
des Islam von selbst zu einem Zusammenschluss der Muslime
führt.103

103
Siehe hierzu folgende Fatwa: Group of Muftis, How to get the Khilafah
(caliphate) back?, 13.02.2003; Group of Muftis, The Establishment of
the Islamic State, 26.01.2003, http://www.islamonline.net.

155
Islam und Demokratie
7 Islam und Demokratie
7.1 Islam in einem Demokratischen Staat
Muslime in demokratischen – zumeist westlichen
Staaten – sehen sich oft mit dem Problem konfrontiert, die
Frage beantworten zu müssen, ob denn der Islam mit der
Demokratie und den Menschenrechten vereinbar ist. Sie sind
bloß durch ihre Religionszugehörigkeit einem unterschwelligen
Verdacht ausgesetzt, mit den Grundfesten der demokratischen
Ordnung nicht einverstanden zu sein und diese zu missachten.
Betrachtet man die Bibel, die als zentrales Heiligtum
der Juden (Thora) und Christen (Altes und Neues Testament)
gilt, erkennt man, dass an unzähligen Stellen die Rede von der
Todesstrafe ist (z. B. für Götzendienst, Inzucht, Bestialität,
Sodomie, Ungehorsamkeitsdelikte, Vergeltungsdelikte und
vieles mehr) oder, dass vieles verboten ist, was heute als
erlaubt angesehen wird oder sogar als Menschenrecht (etwa
Homosexualität – hierzu hat die Kirche immer noch einen
kritischen und eher ablehnenden Standpunkt). Doch kommt
kaum jemand auf die Idee, das Christentum oder das Judentum
auf die Menschenrechtskonformität zu prüfen oder auf die
Vereinbarkeit mit der Demokratie oder den Grundwerten der
Verfassung, obwohl doch so viele Menschen diese Bücher, in
denen sich diverse rechtliche Anordnungen befinden, als
„heilig“ ansehen.
Der Islam ist eine Religion und als Religion nur der
Anbetung des Einen Gottes und der Gerechtigkeit verpflichtet.
Der Islam ist auch eine Lebensordnung die im persönlichen
Bereich viele Vorschriften kennt, an die sich der Gläubige
halten soll (z. B. Gebet, Fasten, Armensteuer, korrekter
Umgang und Unterstützung (mit) der Familie, dem Nachbarn,
Freunden, Bedürftigen, etc.). Leitet man aus der islamischen
Lebensordnung ein Staatskonzept ab, heißt das noch lange

156
Islam in einem Demokratischen Staat
nicht, dass dieses das demokratische System eines
nichtmuslimisch dominierten Gebietes ablösen soll.
Die Idee eines islamischen (Ideal-)Staates gefährdet
weder die Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates noch
die säkulare Gesellschaftsordnung. Genauso wenig wie die
jüdischen bzw. mosaischen Gesetze diese gefährden, die – in
ihrer Gesamtheit angewendet – wohl unzweifelhaft gegen
diverse Menschen- und Grundrechte im Sinne der derzeitigen
Fassung der UN-Menschenrechtskonvention oder der EMRK
verstoßen würden. Der islamische Staat ist ein Staat, der die
Grundrechte der Scharia schützt und durchsetzt, der die
Interessen der Bevölkerung wahrnimmt und danach trachtet,
die Angelegenheiten der Bevölkerung als Gottesdienst zum
Wohlgefallen Allahs (s.w.t.) an der durch Allah (s.w.t.) und
seinen Gesandten (s.a.w.s.) verkündeten Gerechtigkeit
auszurichten.
Es ist nicht sinnvoll darüber zu streiten ob der Islam mit
diesem oder jenem vereinbar ist. Der Islam ist ein System, an
dem sich der einzelne Muslim orientiert, das aber nichts mit
der Achtung der Gesetze eines Staates zu tun hat. Der Muslim
ist in einem islamischen Staat verpflichtet sich an
Anordnungen zu halten, die keine offenkundige Sünde im
privaten Bereich darstellen. Die Pflicht zur Gesetzestreue
ergibt sich in nicht-muslimischen Staaten aus dem
(schlüssigen) Vertragszustand, den der Muslim mit dem
jeweiligen Staat bei der Einreise oder der Annahme der
Staatsbürgerschaft schließt, aus dem sich die Bedingungen für
das Bleiberecht und für das Recht als Bürger des Staates
ergeben. Zudem strebt der Muslim immer nach geordneten
Verhältnissen in der Gesellschaft und zieht jegliche Ordnung
der Unordnung und Anarchie vor. Solange der Muslime seinen
persönlichen religiösen Geboten – also solchen, die nicht an die
Machthaber, sondern an den Einzelnen oder an die

157
Islam und Demokratie
Gemeinschaft zwecks gottesdienstlicher Handlungen gerichtet
sind, nachkommen kann, hat er sich also im Rahmen der
Rechtsordnung des jeweiligen Staates zu bewegen.104
„O ihr, die ihr glaubt, erfüllt die Verträge.“ (Qur’an 5/1)
Dass der Muslim den Islam als bevorzugtes System
ansieht, steht dem nicht entgegen, denn nach den islamischen
Prinzipien zu handeln und zu richten ist nur dort Pflicht, wo
dies möglich ist und wo die Prinzipien des islamischen Rechts
sichergestellt werden.
Es gibt zahlreiche Parteien, die sich an einem System
orientieren, das nicht dem der westeuropäischen Staaten
entspricht und dennoch besteht kein Zweifel daran, dass dieses
Gedankengut keine Gefährdung für den Staat darstellt. Es
spricht doch auch nichts dagegen, wenn jemand Anhänger der
Monarchie in einem republikanisch-demokratischen Staat ist,
solange er eben das System, in welchem er lebt, achtet und im
Einklang damit handelt.
Die Bereiche des islamischen Rechts, die mit den
Verfassungen der demokratischen Staaten unvereinbar
scheinen, stehen der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie
in einem nichtmuslimischen Staat in Wirklichkeit nicht
entgegen. Es handelt sich nämlich durchwegs um
Anordnungen, die einen „islamischen Staat“ voraussetzen.
Daher ist z. B. die Furcht unbegründet, die Muslime würden in
einem nichtmuslimischen Staat nach dem islamischen
Strafrecht streben. Auch entstehen viele Spannungen dadurch,
dass nicht auf die wahren Prinzipien des islamischen Rechts
abgestellt wird. Es gibt nach dem islamischen Recht keine

104
Vergleiche: Maulawi, Die Schariagrundlagen für das Verhältnis
zwischen Muslimen und Nichtmuslimen (2006), 92 ff.

158
Islam in einem Demokratischen Staat
Ehrenmorde, keine Zwangsverehelichungen, keine Gewalttaten
und keine Terroranschläge. Der Islam ist die Religion des
Friedens, des Friedens mit Gott, mit den Menschen und mit
sich selbst.
Die meisten Problembereiche der Muslime in nicht
muslimischen Staaten sind also solche, die in Wirklichkeit
nicht bestehen, weil sie problemlos aufgelöst werden können.
Sie werden nur von einzelnen Personen aus persönlichem
Interesse zu Problembereichen aufgebauscht. Im Folgenden
sollen beispielsweise zwei wichtige Themenbereiche im
Zusammenhang mit der politischen Partizipation in
nichtmuslimischen Staaten erörtert werden.

Wahlbeteiligung:105 Oft wird darüber gestritten, ob der Islam


verfassungswidrig sei, weil er angeblich das Wählen verbiete.
Diejenigen Gruppierungen, die es für schariarechtlich
verboten ansehen, dass Muslime in einem nichtmuslimischen
Staat an öffentlichen Wahlen teilnehmen, gehen davon aus,
dass die Wahl einer Partei eine Vollmachtübertragung mit
einschließt, sodass sich der wählende Muslim letzten Endes
damit einverstanden erklärt, dass diese Partei (oder Person)
Gesetze beschließt, obwohl bekannt ist, dass die Gesetze, die
erlassen werden, nicht auf Grundlage des islamischen
Prinzipien erlassen werden. In diesem Zusammenhang wird z.
B. folgender Vers aus dem Qur’an (Sure 5 Vers 50) als Beleg
angeführt:

105
Siehe zur Zulässigkeit der Wahlbeteiligung auch folgende Fatwas:
Group of Muftis, Voting in an Majority non-Muslim Country,
29.08.2003; European Council for Fatwa and Research, Elections in
non-Muslim Countries: Role of Muslims, 22.04.2007; Mohamed El-
Moctar El-Shinqiti, Voting for a Non-Muslim Candidate, 19.04.2007.

159
Islam und Demokratie
„Streben sie den Rechtsspruch der Unwissenheit an, was ist jedoch
besser als der Rechtsspruch Allahs für ein Volk mit Erkenntnis?“
In Wirklichkeit geht es aber nicht darum, jemandem
eine Vollmacht zu erteilen, dass er irgendwelche Gesetze nach
seinem Gutdünken beschließen kann, schließlich ist ein
demokratischer Staat nicht vergleichbar mit einer absoluten
Monarchie. Nur weil man eine Partei gewählt hat, werden
einem nicht die verfassungsgemäßen Rechte aberkannt, sich
mit Entscheidungen der/des Gewählten nicht zufrieden zu
geben und dagegen politisch vorzugehen (Demonstrationen,
Streiks und dergleichen). Eine Vollmacht würde bedeuten, dass
man sich das Handeln der Gewählten zurechnen lassen muss.
Das widerspricht allerdings dem Konzept der Wahl in
demokratischen Staaten. Es geht darum eine Partei oder
allgemein jemanden zu unterstützen, von dem/der man erhofft,
dass er/sie gerechtere und bessere Regelungen treffen wird, als
jemand anders. Es ist ein allgemeines Prinzip im Islam, dass
man bei mehreren schlechten Varianten das kleinere Übel
wählen soll. Mit „schlechten Varianten“ ist nur gemeint, dass
es keine Partei gibt, die dem islamischen Idealkonzept
entspricht, sodass die Muslime diese wählen könnten.
Bei der Wahlbeteiligung der Muslime geht es also nur
darum, jemanden zu unterstützen, der dem Islam und den
Muslimen freundlich gegenübersteht. Aus diesem Grund ist es
völlig legitim, an Wahlen in demokratischen
nichtmuslimischen Staaten teilzunehmen und auch
106
nichtmuslimische Parteien zu wählen. Hier sei auch

106
Was für die militärische Unterstützung eines nichtmuslimischen Staates
gilt, muss umso mehr für die bloße Wahlunterstützung gelten. Hierzu ein
Beispiel aus Mourad, Einführung in das Verhältnis zwischen Muslimen
und Nichtmuslimen, 125: Der Abbasidische Kalif Abu Dscha’far al-
Masur schickte im Jahr 756 nach Christus eine Einheit von 4000

160
Islam in einem Demokratischen Staat
folgender Qur’anvers, der im Zusammenhang mit der
Auseinandersetzung der christlichen Byzantiner mit den
Götzendienern offenbart wurde, als Beleg angeführt:
„Die Byzantiner sind geschlagen worden am tiefsten Ort der Erde,
und sie werden nach ihrer Niederlage siegen, in einigen Jahren. Allah
gehört der Befehl vorher und nachher. Und an diesem Tag werden die
Muslime sich freuen über die Hilfe Gottes" (Qur’an 30/2-4)
Mitarbeit in Parteien oder in der Regierung:107 Als „Partei“
bezeichnet man gemeinhin einen Zusammenschluss politisch
Gleichgesinnter. Die Parteibildung ist ohne Frage im
islamischen System erlaubt und ergibt sich eigentlich schon aus
der Verpflichtung guten Rat zu leisten und das Gute zu
gebieten sowie das Übel anzuprangern – dies kann am besten
durch gemeinschaftliches Handeln erreicht werden. So heißt es
im Qur’an Sure 2 Vers 104:
„Möge aus euch eine Gruppe entstehen, die zum Guten aufruft, das
Rechte gebietet und das Unrecht anprangert, und dies sind fürwahr die
Erfolgreichen.“

Soldaten zur Unterstützung des chinesischen Kaisers Su Tsung, welche


eine Revolution beendete und den chinesischen Kaiser in seiner Autorität
festigte. In diesem Zusammenhang führt Mourad aus: „Es besteht wohl
kein Zweifel daran, daß es besser für die Muslime ist, ein Nachbarland zu
haben, dessen Regierung in Freundschaft und Dankbarkeit dem
islamischen Staat verbunden ist, so daß es sich nicht entgegenstellt, wenn
die Muslime in ihrem Land zum Islam einladen. Ein solches Verhältnis
ist viel besser als eine Situation, in der eine neue Regierung an die Macht
kommt, die möglicherweise das Volk aus Fanatismus zum Kampf gegen
die Muslime aufwiegelt.“
107
Siehe zur Zulässigkeit u.a. folgende Fatwas: Muzammil Siddiqi, Muslims
Participating in the US Local Councils, 01.10.2003; Yusuf Al-Qaradawi,
Muslims’ Participation in the US Political Life, 04.11.2003; Taha Jabir
Al’-Alawani, Muslim Participation in the Political Scene in the US,
31.10.2006.

161
Islam und Demokratie
Das zentrale Argument derjenigen, die es als verboten
ansehen, sich einer politischen Partei in nichtmuslimischen
Gesellschaften anzuschließen, ist, dass der Beitritt voraussetzt,
dass man mit den ideologischen Grundlagen der jeweiligen
Partei und ihrer Mitglieder einverstanden ist. Da die
ideologischen Grundlagen nichtmuslimischer Parteien aber
nicht mit denen des Islam übereinstimmen, dürfe sich ein
Muslim keiner Partei anschließen. Die Ansicht wird z. B. mit
folgendem Qur’anvers begründet:
„Und helft einander zur Frömmigkeit und Gottesfurcht, aber nicht
zur Sünde und Übertretung! Und fürchtet Allah! Allah ist wahrlich schwer
im Strafen!“ (Qur’an Sure7 5 Vers 2)
Dafür, dass der Beitritt zu einer Partei doch als erlaubt
angesehen werden kann, spricht allerdings, dass abseits von
Definitionen des Wortes „Partei“, allgemein bekannt ist, dass
die Mitgliedschaft in einer Partei nicht bedeutet, dass man mit
allem einverstanden sein muss, was die Mehrheit der Partei für
richtig hält. Oft genug hört man in den Nachrichten von
Politikern, die sich von Aussagen ihrer Parteifreunde
distanzieren, weil diese nicht ihrer persönlichen Ansicht
entsprechen. Die Mitgliedschaft in einer nichtmuslimischen
Partei bedeutet nicht, dass der Muslim seine islamisch-
ideologische Grundlage verwirft und sich eine andere aneignet,
sondern kann auch bedeuten, dass der Muslim diese Partei als
die wohltätigste in Bezug auf die Muslime und den Islam hält
und diese daher unterstützt, weil es keine muslimischen
Parteien oder keine anderen Parteien gibt, die den
Anforderungen des Islam an das „Gebieten des Guten und
Verwehren des Übels“ genügen.
Ein gutes Argument dafür, dass es erlaubt ist sich im
politischen System eines nichtmuslimischen Staates
einzubringen, ist das Verhalten des Propheten Yūsuf (Josef) der
– wie der Qur’an berichtet – als gläubiger Muslim einen
hochrangigen Posten im Staatssystem des ägyptischen Pharao
162
Islam in einem Demokratischen Staat
bekleidete und dadurch sein Volk (seine
Religionsgemeinschaft) unterstützte, indem er für Nahrung
sorgte, als die Dürre eintraf und sie zu verhungern drohten.
Daraus kann gefolgert werden, dass die Muslime
verpflichtet sind, sich in ein System, das nicht auf der Basis des
Islam beruht, nach Möglichkeit einzubringen, um nach
Gerechtigkeit zu streben und für das Wohl der Menschen zu
sorgen. Selbst die Tätigkeit eines Muslims als Richter in einem
säkularen Staat wird von den Rechtsgelehrten für zulässig
erachtet, weil es erstrebenswert ist, faire und gerechte Richter
zu haben und innerhalb der Möglichkeiten der jeweiligen
Rechtsordnung nach Gerechtigkeit zu streben.108
Einzig und allein das Argument, dass die Arbeit in der
Regierung oder in politischen Gremien (etwa im Gemeinderat,
Stadtrat, Parlament) bzw. das politische Engagement das Eine
sind, die Mitgliedschaft in einer Parte aber etwas Anderes ist,
weil man nicht unbedingt Mitglied einer Partei sein muss, um
politisch sinnvolle Arbeit zu leisten, bleibt unwiderlegt
bestehen. Allerdings ist es auch absolut unproblematisch, wenn
man der Meinung ist, dass man einer Partei besser nicht
beitreten sollte, schließlich macht es das Wesen einer
Demokratie aus, dass man nicht gezwungen wird einer Gruppe
beizutreten, sondern, dass man die freie Wahl hat. Auch besteht
die Möglichkeit, eine Partei zu gründen, die auf Grundlage des
Islam im Rahmen, den die Gesetze des jeweiligen Staates
bieten, das aus islamischer Sicht Gute gebieten und gegen das
Übel vorgehen.

108
Siehe dazu die Fatwa von: Ahmad Kutty/ Mohamed El-Moctar El
Shinqiti, Working as a Judge in an Seculae Country, 22.05.2007,
http://www.islamonline.net.

163
Islam und Demokratie
Allein die Tatsache, dass der Islam Parteien zulässt,
zeugt von der Vereinbarkeit mit demokratischen Werten. Ob
ein Muslim einer Partei beitreten möchte oder nicht, bleibt
schließlich seinem Gewissen überlassen, denn letzten Endes ist
politisches Engagement auch als „Parteiloser“ durchaus
möglich. Es finden sich immer wieder parteilose Minister in
den Regierungen von Europas Staaten.
Schlussfolgernd kann also gesagt werden, dass der
Islam in keiner Weise die Demokratie gefährdet, baut doch die
islamische Staatsordnung, wie sie im Kalifat der
Prophetengefährten (Abu Bakr, ’Umar, ’Uthman und Alī)
praktiziert wurde, auf demokratischen Grundsätzen auf,
nämlich auf der Wahl, der Meinungsfreiheit und der
Beteiligung des Volkes an der Regierung.

7.2 Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat


Von der Frage, ob der Islam mit der Demokratie
vereinbar ist, ist die Frage strikt zu trennen, ob ein islamischer
Staat ein demokratisches System haben sollte oder überhaupt
haben kann. Bei der ersten Frage, die oben behandelt wurde,
geht es darum, ob die Muslime nach den Vorgaben des Islam in
einem demokratischen System leben und sich an diesem
ausrichten sowie sich in diesem politisch betätigen und ihre
Religion innerhalb dieses Systems vollends praktizieren
können. Dies ist zu bejahen, weil viele Bereiche des
islamischen Rechts an einen islamischen Staat anknüpfen und
die Adressaten dieser Normen somit nicht die einzelnen
Bürger, sondern die Regenten sind. Bei der zweiten Frage geht
es aber darum, ob einem von Muslimen errichteten Staat, der
den islamischen Prinzipien verpflichtet ist und auf die
Sicherung der islamischen Lebensordnung ausgerichtet ist, ein

164
Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat
demokratisches System zugrunde liegen kann und wenn dies
möglich ist, ob dies erstrebenswert wäre.109
Die bisherige Darstellung in diesem Buch vermittelt
dem Leser sicherlich den Eindruck, dass ein islamischer Staat
wohl keine klassische Demokratie ist oder sein kann. Dazu ist
zunächst zu sagen, dass die Demokratie keine einheitliche
Ausformung besitzt. Die demokratischen Konzepte
unterscheiden sich von Land zu Land. Manche von ihnen
betonen die Stellung des Einzelnen, des Präsidenten, auf
besondere Weise, andere degradieren das Staatsoberhaupt zu
einer reinen Repräsentationsfigur.
Versteht man unter Demokratie, dass die
Verantwortung für den Staat beim Volk liegt, dass die
Interessen des Volkes gewahrt und sichergestellt werden, dass
die Freiheit und die Rechte der Bevölkerung gesichert sind und
dass alle vor dem Gesetz gleich sind, so ist diese Art der
Demokratie in einem islamischen Staat sicherlich
verwirklicht.110 Verbindet man mit Demokratie allerdings die
Vorstellung, dass der Wille des Volkes in der Form des
Mehrheitsbeschlusses der Repräsentanten des Volkes
(Parlament) jedenfalls verbindlich ist, unabhängig davon,
welchen Inhalt er aufweist, so kann dies nicht mit dem
beschriebenen Staatskonzept in Einklang gebracht werden.
„Und wenn du den meisten derer auf Erden gehorchst, werden sie
dich von Allahs Weg irreführen.“ (Qur’an 6/116).

109
Vergleiche hierzu: Prof. Dr. Mumtaz Ahmad, Islam and Democracy –
The Emerging Consenus, 05.06.2002, http://www.islamonline.net.
110
Vergleiche: Fatwa von Yusuf Al-Qaradawi, Shura and Democracy,
04.02.2002.

165
Islam und Demokratie
Für das Konzept einer islamischen Demokratie spricht
der Qur’anvers 42/38, der das allgemeine Prinzip normiert,
dass das System der Muslime auf gegenseitiger Konsultation
beruht: „und deren System eine Sache gegenseitiger
Konsultation ist“ (Amruhum Schūrā baynahum).111
Durch extensive Interpretation dieses Verses und unter
Zugrundelegung der Handlungsweise des Propheten (s.a.w.s.)
sowie seiner Nachfolger, die Entscheidungen nach der
Konsultation auch tatsächlich auf Grundlage der gütlichen
Einigung getroffen haben, und zudem durch die Sicherstellung,
dass das Parlament mit fähigen und qualifizierten Personen
besetzt wird, kann erreicht werden, dass das Parlament ein
umfassendes Recht auf Konsultation hat und dass der
Beschluss des Parlaments für das Staatsoberhaupt verbindlich
ist. So könnte man zu einer Form der Demokratie gelangen.112
Allerdings funktioniert das nur, wenn die Vorgaben des
Islam bei der Normsetzung beachtet werden, denn ein Staat
wäre kein islamischer Staat, wenn zwingende Anordnungen der
Scharia, über die es keinen rechtlichen Zweifel gibt und die
nicht strittig sind, durch den Beschluss des Parlaments beseitigt
werden könnten.113 Über die Sicherstellung solcherart
zwingender islamischer Vorgaben hätte das Staatsoberhaupt
des Staates zu wachen.

111
Vergleiche z.B. die Ausführungen im Skriptum von Shehzad Saleem,
Understanding Islamic Political Directives, http://www.studying-
islam.org.
112
Vergleiche: Azizah Y. Al-Hibri, Islamic Constitutionalism and the
Concept of Democracy, in Case Western Reserve Journal of International
Law (1992)
113
Vergleiche: Fatwa von Sheikh Faysal Mawlawi, How Islam Views
Pluralism & Demokracy, 30.07.2002.

166
Ein Demokratischer Staat als Islamischer Staat
Nun entspricht es nicht der westlichen
Demokratievorstellung, dass es ein Gesetz gibt, das
unabhängig vom Willen des Volkes existiert und anwendbar
sein soll. Daher lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass bei
entsprechender Interpretation der relevanten islamischen
Quellen eine Art „islamisch demokratischer Staat“
geschaffen werden kann, die angesprochene Demokratie aber
eine Demokratie eigener Art (sui generis) wäre.114
Aber es ist ja auch nicht gesagt, dass die Demokratie
westlicher Prägung ein um jeden Preis erstrebenswertes Ziel
ist. Schließlich ist diese kein perfektes System. Wäre sie das,
gäbe es keine gravierenden gesellschaftlichen Konflikte in
Staaten mit mehreren größeren ethnischen Gruppen und gäbe
es auch ein durchwegs einheitliches Demokratiemodell. Eines
der zentralen Kritikpunkte an dem klassischen Modell der
Demokratie ist etwa, dass das Parlament nicht (mehr) die Stätte
gegenseitiger Beratung und Gespräche ist und kaum die
Möglichkeit besteht, dass ein Abgeordneter einen anderen
aufgrund seiner Argumente überzeugt: der Fraktionszwang
zählt zur Praxis des heutigen Parlamentarismus.115 Letzen
Endes werden im Parlament in der Regel nur Beschlüsse
gefasst, die abseits der Öffentlichkeit im kleinen Kreis (z. B.
von den Parteiführern) verhandelt wurden. In diesem
Zusammenhang sei an ein Zitat von Churchill erinnert:
„Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - außer all den
anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." -
Winston Churchill, in einer Rede im Unterhaus, 11. November 1947.

114
Vergleiche: Fatwa von Ahmad Kutty, Islam & Democracy: Compatible?,
26.05.2004; Fatwa von Ja’far Sheikh Idris, Shura and Demokracy: A
Conceptual Analysis, 11.04.2004.
115
Klaus Stüwe und Gregor Weber [Hrsg.], Antike und Moderne
Demokratie – Ausgewählte Texte, 370, Reclam.

167
Schlussfolgerungen
8 Schlussfolgerungen
Das islamische Recht kennt kein einheitliches
Staatssystem, sondern lässt viele Bereiche des Staatsrechts
offen, damit diese, je nach Anforderungen von Ort und Zeit
und je nach gegebenen Umständen, unterschiedlich geregelt
werden können.
Dennoch lassen sich bestimmte Prinzipien aus den
Quellen ableiten, die keinen Rechtfertigungsspielraum für
jedwede Staatsform zulassen. So finden Monarchie – vor allem
in Form der absoluten Monarchie – und Theokratie in der
Scharia absolut keine Grundlage. Bei extensiver Interpretation
der islamischen Quellen lässt sich ein demokratisches
Staatskonzept eigener Prägung ableiten, das aber von den
Demokratie-Vorstellungen westlicher demokratischer Staaten
abweicht.
Für eine spezifisch islamische Staatsführung ist
allerdings keine schlichte Demokratie geeignet, sondern ein
gänzlich eigenes System.
Dieses spezifisch islamische Staatssystem ist eine
rechts- und sozialstaatliche Nomokratie
(Gesetzesherrschaft), die auf göttlichen Grundsätzen
beruht. Es handelt sich um keine Theokratie, sondern um
ein Staatssystem menschlicher Prägung. Die spezifisch
islamische Staatsführung ist in ihrem Stil auf,
verantwortliche und unabhängiger Kontrolle
unterworfene, Individuen ausgerichtet und steht (dennoch)
auf fester demokratischer Basis.

Alles Lob und Dank gebührt Allah dem Herrn der Welten

168
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