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Karl-Heinz Weidenhammer
Selbstmord oder Mord?
Das Todesermittlungsverfahren:
Baader / Ensslin / Raspe

InAllHi
CIP- Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
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I

VORBEMERKUNG
Weidenhammer, Karl-Heinz:

Selbstmord oder Mord? d, Todes- Diese Dokumentation mag der interessierten Leserin
ermittlungsverfahren: und dem interessierten Leser die Möglichkeit verschaf-
Baader, Ensslin, Raspel fen, sich selbst darüber zu informieren, ob es den Parla-
Karl-Heinz Weidenhammer ments- und Justizorganen der Bundesrepublik
Kiel: Neuer Malik Verlag, 1988
Deutschland gelungen ist, eine über jeden Zweifel
·
ISBN 3-89029-033-7

••
erhabene Untersuchung der Todesfälle und der Körper-
verletzung im Hochsicherheitstrakt in der Vollzugsan-
··
••
stalt Stuttgart-Stammheim vom Herbst 1977vorzulegen
··
• oder ob Zweifel angebracht sind.
Der von der Bundesregierung bei Gelegenheit einge-
setzte Krisenstab, in dem Vertreter des Rüstungskapi-
tals tonangebend sind, hat die günstige Gelegenheit
genutzt, um sich bei der "Bekämpfung des Terroris-
mus" Regierungsfunktionen anzueignen. So kommt es,
daß bis zum heutigen Tag der in der Verfassung der
Bundesrepublik Deutschland nicht vorgesehene Kri-
senstab die Auffassung verbreitet, die Täuschung eige-
ner Staatsorgane sei ein nicht zu beanstander Realakt.
Aus dieser staatlich geschützten Dunkelzone werden
• Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland
• ~_ ••••_ ••••- a .., bei der Aufklärung dieser Sache in die Irre geleitet oder
INT. INSTITUUT auch die Europäische Kommission für Menschenrechte
SOC. GESCHIEDENIS über die Tatsache der Isolationsfolter - so Amnesty
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international - über die wahren Todesumstände der
politischen Gefangenen aus der RAF in Stammheim
hinweggetäuscht.
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~ .. " - -~,""~·T'r,;;,. .-~ Seit über einem Jahrzehnt erscheinen die Ermitt-
lungsorgane der Bundesrepublik Deutschland bei ihren
Aufklärungsaktivitäten in dieser Sache wie gelähmt,
fast so, als könnten sie sich nicht aus eigener Kraft aus
© 1988 by NEUER MALIK VERLAG Kiel der Umklammerung des Krisenstabes befreien.
Alle Rechte vorbehalten Angesichts dieser Aufklärungs- und Ermittlungspa-
Satz: Utesch Satztechnik GmbH, Harnburg
Druck: Clausen & Bosse, Leck
ralyse in Europa/West wünschte ich als ehemaliger Ver-
Printed in Germany teidiger und Autor, der UN-Menschenrechtsausschuß
ISBN: 3-89029-033-7 möge kraft seines Ansehens und seiner Autorität
5
internationale Untersuchungskommission beauftragen,
den Tod der politischen Gefangen aus der RAF Andreas
r
Baader, Gudrun Ensslin und Jan-earl Raspe und die
Körperverletzungen der Überlebenden Irmgard Möller
_ die sich noch immer in Isolationshaft befindet - zu
untersuchen, um das Ausmaß der durch die Bundesre-
publik Deutschland bewirkten Menschenrechtsverlet-
TEIL I
zung festzustellen.
Karl-Heinz Weidenhammer, im Oktober 1988 CHRONOLOGIE
EINER GEISELNAHME

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- •I
Am 5. September 1977 entführen unbekannte Täter in
Köln den Arbeitgeberpräsidenten der Bundesrepublik
r men.5 Zusammen mit dem Radio- und Fernsehgerät
wird bei Andreas Baader noch in dieser Nacht durch
Deutschland, Dr. Hanns Martin Schleyer, und töten Amtsinspektor Hauk der Plattenspieler aus seiner Zelle
seine Leibgarde. Daraufhin wird den politischen Gefan- entfernt, dann in die Besucherzelle verbracht und von
genen der RAF (Rote Armee Fraktion) Andreas Baader, Beamten des baden-württembergischen Landeskrimi-
Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller der nalamtes durchsucht und überprüft.6
Haftstatus von Untersuchungsgefangenen aberkannt. Da der Plattenspieler später als sog. "Waffenver-
44 Tage werden sie in Stammheim interniert und wie steck " herhalten sollte, dokumentieren wir an dieser
Geiseln behandelt. Am 18. Oktober findet man sie ent- Stelle das weitere Schicksal des Plattenspielers nach
weder tot oder schwerverletzt in ihren Einzelzellen. den amtlichen Ermittlungen, wie sie das baden-würt-
Was war geschehen? tembergische Justizministerium in einem Schreiben an
den Untersuchungsausschuß des baden-württembergi-
schen Landtages darstellt. Das Schreiben vom 10.1.78
5. September, Montag an den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses
(UA),Dr. Rudolf Schieler, hat den folgenden Wortlaut:?
Tagsüber ist noch alles ruhig. Alle Häftlinge in der
Abteilung III des Hochsicherheitstrakts in der Vollzugs-
anstalt Stuttgart-Stammheim verhalten sich wie Betr.: Untersuchungsausschuß des Landtags von Baden-
gewohnt. Zeichen eines Ausbruchsverhaltens gibt es Württemberg ,:Vorfälle in der Vollzugsanstalt Stuttgart-
nicht. Trotzdem läßt Bundeskanzler Helmut Schmidt, Stammheim"
der nach Bekanntwerden der Schleyer-Entführung in hier: Plattenspieler des Gefangenen Andreas Baader
"Staatsnotwehr" alles an sich gerissen hat,l noch in der Anl.: 0 (20 Mehrfertigungen)
Nacht vom 5. zum 6. September die Haftzellen auf Ver-
stecke durchsuchen. Die Häftlinge werden so verlegt, Sehr geehrter Herr Vorsitzender!
daß Leerzellen zwischen Andreas Baader und Jan-Carl Im Anschluß an die Aussage von Oberstaatsanwalt Widera,
Raspe sowie zwischen Gudrun Ensslin und Irmgard die dieser vor dem Untersuchungsausschuß zum Verlauf
Möller entstehen. So will man mögliche Klopfkontakte der Zellendurchsuchung am 5.16. Sept. 1977 erstattet hat
ausschließen.2 (vgl. Protokoll der 10. Sitzung des Untersuchungsaus-
Vor der Zellendurchsuchung werden die Häftlinge in schusses S. 172f), ist die Leitung der Vollzugsanstalt Stutt-
andere Zellen verbracht.3 Die Zellentüren werden gart um Bericht gebeten worden, welche Maßnahmen sei-
geöffnet. Danach werden die Häftlinge auf die beab- nerzeit von den zuständigen Vollzugsbediensteten bezüg-
sichtigte körperliche Durchsuchung hingewiesen. lich des Plattenspielers des Gefangenen Baader getroffen
Dann müssen sie sich völlig entkleiden. Während sie worden sind.
einzeln nackt dastehen, wird ihre Kleidung durchsucht. Nach dem inzwischen vorliegenden Bericht der Vollzugs-
Dann dürfen sie sich wieder ankleiden und werden in anstalt wurde der Plattenspieler des Gefangenen Baader
die ebenfalls durchsuchten Zellen zurückgebracht.4 zusammen mit einem Rundfunkgerät und einem Fernseh-
Den Eintragungen im Kontrollbuch der Nachtwache gerät am 5. September 1977 durch Amtsinspektor Hauk

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zufolge werden ihnen Radio und Fernseher abgenom- aus der Zelle des Gefangenen in die Zelle 712 (Besucher-

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zelle) verbracht. Dort wurden die genannten Geräte von
Beamten des Landeskriminalamtes durchsucht und über-
prüft. Welche Untersuchungen im einzelnen vorgenommen
I auf diese Verfügung entfernte Hauptsekretär Miesterfeldt
am 11. Sept. 1977 den Plattenspieler wieder aus der Zelle
des Gefangenen Baader und verbrachte das Gerät erneut
worden sind, ist der Leitung der Vollzugsanstalt nicht in die Zelle 712. Nachdem wegen der bestehenden Kon-
bekannt geworden. Bis zur Wiederaushändigung des Plat- taktsperre die Disziplinarverfügung vom 6. Sept. 1977
tenspielers an den Gefangenen Baader verblieb das Gerät bezüglich der Wegnahme der Plattenspieler durch Verfü-
in der verschlossenen Zelle 712. Zu dieser Zelle hatten nur gung des Vorsitzenden des Strafsenats vom 21. Sept. 1977
die Bediensteten der Vollzugsanstalt, nicht aber Gefangene ausgesetzt worden war, gab Amtsinspektor Bubeck den
Zutritt. Nach den Feststellungen der Anstaltsleitung sind in Plattenspieler am 22. Sept. 1977 dem Gefangenen Baader
der fraglichen Zeit außer Amtsinspektor Hauk und Hauptse- in dessen Zelle zurück. Nach den Feststellungen der
kretär Miesterfeldt keine weiteren Bediensteten mit den Anstaltsleitung sind in der Zeit vom 11. bis 21. Sept. 1977
genannten Geräten in Berührung gekommen. keine anderen Bediensteten als Amtsinspektor Bubeck und
Hauptsekretär Miesterfeldt mit dem in der verschlossenen
Wie dem Bericht der Vollzugsanstalt weiter zu entnehmen Zelle 712 lagernden Plattenspieler in Berührung ge-
kommen.
ist, ging dort am 7. Sept. 1977 die Verfügung des Vorsitzen-
den des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart Die vorstehend erwähnten Verfügungen des Vorsitzen-
vom 6. Sept. 1977 ein, derzufolge u.a. "die Maßnahme der den des Strafsenats vom 6. und 21. Sept. 1977 hat das
Anstaltsleitung, den Angeklagten im Hinblick auf die Entfüh- Justizministerium dem Untersuchungsausschuß mit
rung von Dr. Schleyer Rundfunk- und Fernsehgeräte weg- Schreiben vom 10. Nov. 1977 vorgelegt (Anlagen S. 67 bis
zunehmen", gebilligt wurde. Nachdem bei dem Vorsitzen- 76). Hinzuweisen ist ferner auf den bei den Ermittlungsak-
den des Strafsenats, Richter am Oberlandesgericht Dr. ten der Staatsanwaltschaft Stuttgart befindlichen Durchsu-
Foth, wegen des Plattenspielers fernmündlich Rückfrage chungsbericht des Landeskriminalamts Baden-Württem-
gehalten worden war, händigte Hauptsekretär Miesterfeldt berg vom 5. Sept. 1977, demzufolge in der Zelle 719, also
das Gerät dem Gefangenen Baader am 7. Sept. 1977 wie- dem Haftraum des Gefangenen Baader, zwei Lautsprecher
der aus. Die von der Vollzugsanstalt in Fotokopie vorge- und ein Verstärker vorläufig sichergestellt wurden, sowie
auf den diese Geräte betreffenden, ebenfalls bei den Ermitt-
legte Abschrift der Verfügung des Vorsitzenden des Straf-
senats vom 6. Sept. 1977 weist in diesem Zusammenhang lungsakten befindlichen Untersuchungsbericht des Inge-
nieurs Nabroth vom Landeskriminalamt Baden-Württem-
folgenden handschriftlichen Vermerk auf:
"Auf telefonische Anfrage erklärt Dr. Foth, daß Platten- berg vom 8. Sept. 1977. Diese Ermittlungsvorgänge liegen
spieler auszuhändigen sind. Bu. 7.9.77" dem Untersuchungsausschuß in Ablichtung vor. Über die
Bei der am 7. September 1977 erfolgten Rückgabe des Wegnahme bzw. Zurückgabe des Plattenspielers des
Plattenspielers war die - ebenfalls am 6. Sept. 1977 ergan- Gefangenen Baader sind nach Angaben von Amtsinspektor
gene - Disziplinarverfügung des Vorsitzenden des Strafse- Bubeck seitens der Vollzugsbediensteten keine schriftli-
nats, die den Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe auf chen Aufzeichnungen gefertigt worden.
die Dauer von drei Wochen den Einzelhör- und -fernseh- Mit vorzüglicher Hochachtung
rundfunkempfang untersagte und für diese Zeit unter ande-
rem auch die Wegnahme der Plattenspieler anordnet, Professor Dr. Engler
zunächst offenbar unberücksichtigt geblieben. Im Hinblick

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Die Zellendurchsuchung endet am Morgen des 6. Sep- September 1977 durchsuchten Zellen enthielt ein Ver-
tembers um 02.45 UhI.8 steck, in dem die Waffen mit an Sicherheit grenzender
Irmgard Möller versteckt in ihrer Zelle noch vor der Wahrscheinlichkeit von Baader und Raspe aufbewahrt
Kontrolle Kopfhörer und den Radio-Anschluß; die Plat- wurden. ,,12
tenspieler bekommen die Häftlinge in den folgenden Auf Weisung von Generalbundesanwalt Rebmann
Tagen wieder zurück.9 Noch besteht offiziell keine werden weitere Zellen durchsucht. In den Zellen von
Kenntnis darüber, daß die unbekannten Schleyer-Ent- Irmgard Möller, Ingrid Schubert (München-Stadel-
führer ihrerseits die Freilassung der politischen Gefan- heim), Werner Hoppe, Wolfgang Beer und Helmut Pohl
genen in Stammheim und andernorts fordern. Dennoch (Hamburg), die von je zwei Beamten des Landeskrimi-
befürchtet man schon zu diesem Zeitpunkt, daß die nalamtes durchsucht werden, finden sich keine beweis-
Freilassung der Häftlinge erzwungen werden könnte. erheblichen Gegenstände.13
Deshalb ersucht am Dienstag, dem 6. September, das Zeitweise sind während der Durchsuchung Anstalts-
Bundeskriminalamt mit Fernschreiben das Landeskri- leiter Nusser, sein Stellvertreter Schreitmüller und Bun-
minalamt Baden-Württemberg dringendst, das baden- desanwalt Widera anwesend. 14
württembergische Justizministerium zu veranlassen, Angeblicher Zweck der Durchsuchung ist es, bela-
jegliche Kommunikation der Gefangenen sowie alle stende Schriftstücke aus der Privat- und Prozeßpost
Besuche und Telefonate der Verteidiger zu unterbin- (Verteidigerpost) der Häftlinge aufzuspüren, um end-
den. Ein inhaltlich ähnliches Fernschreiben richtet der lich die von der Bundesanwaltschaft behauptete "Kom-
Bundesminister der Justiz einen Tag später an den munikation mit den Entführern" 15 beweisen zu können.
Generalbundesanwalt. Dieser leitet das Fernschreiben Bei dieser Gelegenheit werden alle Zellen durchsucht-
an das baden-württembergische Justizministerium wei- mit Ausnahme der Zellen NI. 715 und 71616 - gerade
ter, mit der Aufforderung, entsprechend zu verfahren. jene, in denen nach dem Tod der Häftlinge Waffenver-
Von dort erhält der Anstaltsleiter in Stammheim alle stecke gefunden werden. 17
notwendigen Anweisungen10, denen er widerspruchs- Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat diese mysteriöse
los nachkommt. Selektion bei den Zellen durchsuchungen aufzuklären
Die Häftlinge, die von allen Stellen als" terroristische versucht. In einem späteren Aktenvermerk vom 24.
Gewalttäter" bezeichnet werden, wissen jedenfalls Oktober 1977 heißt es dazu, die Bundesanwaltschaft
nicht, warum sie in der Nacht vom 5. zum 6. September habe die Durchsuchung nur derjenigen Zellen angeord-
unsanft aus dem Schlaf gerissen werden, weshalb man net, die von Baader-Meinhof-Häftlingen belegt seien.
sie aus ihren Einzelzellen zerrt und in andere Einzelzel- Die übrigen Zellen seien längere Zeit nicht mehr belegt
len für die Dauer der Durchsuchung verlegtY gewesen. Deshalb seien sie nicht durchsucht worden.
Sie haben keine konkrete Vorstellung, welchen Es habe außerdem keine rechtliche Handhabe zur
Anlaß sie für diese Maßnahmen gegeben haben könn- Durchsuchung dieser Zellen gegeben.18
ten. Selbst die zur Zellendurchsuchung abkommandier-
ten Beamten des Landeskriminalamts vermerken nach
dem Abschluß ihrer Durchsuchungen in den Zellen von
Andreas Baader (719), Gudrun Ensslin (720) und Jan-
earl Raspe (718) lakonisch: "Fazit: Keine der am 5.16.
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Aktenvermerk vom 24.10. 1977 In Wirklichkeit aber wird diese Aussparung der Zellen
KHK Ring (LKA Baden-Württemberg) erklärt auf fernmünd- Nr. 715 und 716 von der Untersuchung durch die Bun-
liche Anfrage, desanwaltschaft organisiert. Die Durchsuchungstätig-
a) weshalb am 5.16. Sept. 1977 nicht alle Zellen des VII. keiten dürfen sogar erst beginnen, als der Vertreter der
Stocks der VA Stuttgart durchsucht und Bundesanwaltschaft im 7. Stock erscheint und die
b) nach welchen Kriterien die nicht durchsuchten Zellen Durchsuchungskräfte anleitet. 20
ausgeschieden worden seien: Am Ende dieser mysteriösen Aktion müssen die
Die Bundesanwaltschaft habe die Durchsuchung derje- Durchsuchungskräfte selbst einräumen, daß der ange-
nigen Zellen angeordnet, die von Baader-Meinhof-Häft- gebene Durchsuchungszweck nicht erreicht werden
Iingen belegt seien. Zweck der Durchsuchung sei gewe- konnte.
sen, Hinweise auf die Schleyer-Entführung zu finden. In dem Durchsuchungsbericht heißt es, daß "die
Im Verlauf der Durchsuchung habe die Anstaltsleitung Sicherstellung aller Papiere zur Untersuchung auf
darauf hingewiesen, daß erst vor kurzem einige Baader- latente Schriften" 21 bezweckt war. Gemeint waren
Meinhof-Häftlinge nach einem Krawall in andere Vollzugs- Unterlagen, die auf eine Verbindung zu den Schleyer-
anstalten verschubt worden seien. Die Zellen, die von die- Entführern hinweisen sollten. Solche Unterlagen wer-
sen Häftlingen bis zu ihrer Verschubung belegt gewesen den jedoch nicht gefunden. Beschlagnahmt werden
seien, habe man daher in die Durchsuchung mit einbezo- lediglich in Baaders Zelle eine gewöhnliche Kaffee-
gen. Der Zeitraum zwischen Verschubung und der kanne sowie eine Glühbirne, die die Anstaltsleitung als
Schleyer-Entführung sei noch so kurz gewesen, daß das überflüssig ansieht.
Auffinden von Hinweisen noch denkbar gewesen sei. Obwohl die Bundesanwaltschaft außer diesen
Die übrigen Zellen seien längere Zeit nicht mehr belegt Gegenständen nichts findet, gelingt es Generalbundes-
gewesen. Deshalb seien sie nicht durchsucht worden. Das anwalt Rebmann als Mitglied des Krisenstabes ein paar
habe gar nicht zur Debatte gestanden. Es habe auch keine Tage später, das Bundesverfassungsgericht davon zu
rechtliche Handhabe für die Durchsuchung dieser Zellen überzeugen, daß "nach den bisherigen Erkenntnissen
vorgelegen. ( ... ) der Informationsfluß, der die inhaftierten terroristi-
So viel er wisse, habe Herr Widera von der Bundesanwalt- schen Gewalttäter mit den noch in Freiheit befindlichen
schaft inzwischen erklärt, die Durchsuchungsanordnung Tätern verbindet, einen hohen Entwicklungsstand "
habe sich lediglich auf diejenigen drei Zellen erstreckt, die aufweise, ja, sogar eine Notstandslage bestehe.22 Die
zum Zeitpunkt der Durchsuchung von den Häftlingen Baa- vermeintliche Notstandslage entsteht, als das Kom-
der, Ensslin und Raspe belegt gewesen seien (weil diese mando "siegfried hausner" die Freilassung von 11 poli-
drei Häftlinge nämlich befreit werden sollten), nicht aber auf tischen Gefangenen im Austausch gegen Schleyer for-
die übrigen Zellen des VII. Stocks.
dert.
Wegen dieser Äußerung müsse er - Ring - nunmehr eine Der Literatur können wir entnehmen, daß Bundes-
dienstliche Äußerung abgeben, weshalb überhaupt mehr kanzler Helmut Schmidt am Abend des 6. September
als drei Zellen durchsucht worden seien. die Freilassungsforderungen der Schleyer-Entführer
(Christ) gelesen hat, danach in das Büro des Oppositionsführers
Staatsanwalt 19 Helmut Kohl geeilt ist, um mit ihm die weitere Vorge-
hensweise abzustimmen.23

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Bundeskanzler Schmidt, der sich zur "Frontgenera- Mitglieder der "Kleinen Lage" sind: Bundeskanzler
tion,,24rechnet und als Offizier während der Nazidik- Schmidt, Bundesaußenminister Genscher, Bundesin-
tatur durch die Zeit des Militarismus und Faschismus nenminister Maihofer, Bundesjustizminister Vogel,
geprägt ist, tritt dem Gedanken nach einer friedlichen Bundesverteidigungsminister Leber, Bundeswirt-
und politischen Konfliktlösung erst gar nicht näher. schaftsminister Graf Lambsdorff, Staatsminister
Konsequenterweise bleibt er auch entschlossen im Wischnewski, Innenminister Hirsch (NRW), der Präsi-
"Wertehimmel der Frontgeneration" und gewinnt Hel- dent des Bundeskriminalamtes Herold, Generalbun-
mut Kohl dafür, in die listenreichen und "exotischen desanwalt Rebmann, die Staatssekretäre Bölling, Erkel,
Vorschläge" und Aktivitäten des Krisenstabes einzu- Fröhlich, Ruhnau und Schüler. 26
willigen. Jedenfalls kann er Kohl für seine Vorschläge
gewinnen. Sie beschließen gemeinsam, einen Geisel- über Rundfunk und Fernsehen meldet sich noch am
austausch um j eden Preis zu vermeiden. 25Damit ist das Montagabend Bundeskanzler Schmidt als Krisenmana-
Schicksal Schleyers besiegelt. ger27zu Wort und erklärt unter anderem:
Nach dieser Absprache beschließt das Bundeskabi- "Jedermann weiß, daß es eine absolute Sicherheit
nett unter der Teilnahme der im Bundestag vertretenen nicht gibt. Aber diese Einsicht kann nicht die staatlichen
Partei -und Fraktionsvorsitzenden, der Repräsentanten Organe davon abhalten und hat sie bisher nicht davon
der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein- abgehalten, mit allen verfügbaren Mitteln gegen den
Westfalen und Hamburg, der Vorsitzenden der Konfe- Terrorismus Front zu machen ( ... ),,28
renzen der Innen- und Justizminister sowie des Vor- Jahre später wird bekannt, daß westdeutsche Versi-
standsvorsitzenden der Daimler- Benz AG und des Vize- cherungs- und Industriekonzerne im "Kampf gegen
präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Indu- den Terrorismus" und auch sonst den mit Generalvoll-
strie auf Initiative von Bundeskanzler Schmidt fol- macht ausgestatteten Privatdetektiv Werner Mauss
gendes: zusammen mit dem Bundeskriminalamt und den
a) Alle Gefangenen aus der Guerilla oder andere poli- Geheimdiensten zur Privatfahndung abkommandie-
tische Gefangene, die vom Staatsschutz in irgendeinen ren.29 Unter Aufsicht der CIA werden Strafverfolgung
Zusammenhang mit der Guerilla gebracht werden, und Fahndung quasi monopolisiert. 30
sofort total zu isolieren - wie es bereits nach der Tötung So kommt es, daß ein Spitzenvertreter der Gewerk-
des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback in der schaften, dem im Normalzustand die Verbesserung der
Zeit vom 7. bis 10. April 1977 in Stammheim der Fall Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Werktätigen
war; obliegt, dem Bundeskanzler bei der Strafverfolgung
b) die 11 Gefangenen, deren Freilassung gefordert öffentlich Gefolgschaft leistet; in der ARD-Tagesschau
wird, auf keinen Fall freizulassen; ergreift um 20 Uhr der DGB-Vorsitzende Vetter das
c) für weitere Entscheidungsfindungen zwei Gremien Wort: "Terror und Mord ( ... ) in unserer Tagespraxis ( ...
zu bilden: Den "Großen Politischen Beraterkreis " zur muß) mit allen Mitteln zu Leibe gegangen werden
Vereinheitlichung von Politik und Wirtschaft und die ( ... )."31
"Kleine Lage" , der sogenannte "Kleine Krisenstab" zur Um 21 Uhr erscheint Bundespräsident Kar! Carstens
Vorstrukturierung des "Großen Politischen Berater- auf dem Bildschirm: ,,(... ) Jetzt ist es so, daß die in den
kreises. " Gefängnissen einsitzenden Terroristen die Möglichkeit

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haben, von dort aus Terroranschläge vorzubereiten und Württemberg vor dem Bundesverfassungsgericht
zu lenken. Diese Möglichkeit muß unter allen Umstän- äußern, steht der Verrechtlichung der Kontaktsperre
den unterbunden werden, dazu muß der Kontakt der nichts mehr im Wege - eine Entwicklung, die das Bun-
Häftlinge untereinander und der Kontakt der Häftlinge desverfassungsgericht zu diesem Zeitpunkt noch hätte
mit der Außenwelt einschließlich der Verteidiger einge- verhindern können.
schränkt und schärfer überwacht werden. '132
Die Befugnisse des Bundespräsidenten beschränken
sich bei innenpolitischen Tätigkeiten auf die Ernen-
nung oder Entlassung von Bundesbeamten und Solda-
6. September, Dienstag
ten, gelegentlich auch auf Begnadigungsakte. An diesem Tag wird den Häftlingen zum ersten Mal die
Es ist nicht vorgesehen, daß er sich in die verfassungs- Möglichkeit der Kommunikation nach außen und unter-
rechtlich garantierte Unabhängigkeit der Justiz ein- einander genommen. Auch werden ihnen, wie bereits
mischt, um sich in einer Strafsache als Haftrichter aufzu- beschrieben, die eigenen Radio- und Fernsehgeräte
führen. Er setzt sich also vor Millionenpublikum dem abgenommen.35 Ferner wird ihnen untersagt:
Eindruck aus, er überschreite die Grenzen der verfas- _ jeglicher Besuchs- und Schriftverkehr, einschließlich
sungsrechtlichen Gewaltenteilung und treibe Miß- des schriftlichen und mündlichen Verkehrs mit den
brauch mit öffentlich-rechtlicher Gewalt. Verteidigern;
- jeglicher Telefon- und Telegrammverkehr,
Bundeskanzler Schmidt regt noch in der Nacht der _ jeglicher Empfang von Fernseh- und Rundfunksen-
Schleyer-Entführung Generalbundesanwalt Rebmann dungen,
"zu wildem Denken" an.33 Das Ergebnis solchen Den- _ jeglicher Empfang von Zeitungen, Zeitschriften und
kens stellt Generalbundesanwalt Rebmann vor den Büchern,
höchsten Richtern so dar: _ jeglicher Paketverkehr mit Einschluß von Wäschepa-
"Nach der Entführung von Hanns-Martin Schleyer keten,
hat die für die Justizvollzugsanstalten in Stuttgart- - jegliche übergabe von Gegenständen zur Aushändi-
Stammheim, Heilbronn und Pforzheim zuständige Lan- gung an die Gefangenen,
desjustizverwaltung des Landes Baden -Württemberg - jegliche übermittlung von Nachrichten durch
durch mündliche Weisung an die Vorstände dieser Anstaltsbedienstete an außenstehendes und von
Justizvollzugsanstalten verfügt, daß die wegen terrori- außenstehendem Personal,
stischer Gewalttaten in Untersuchungshaft einsitzen- - jegliche Verbindung der Gefangenen untereinander,
den Personen zum gegenwärtigen Zeitpunkt - läng- a) durch Zurufen. Wer sich dennoch durch Zurufen ver-
stens bis zur Beendigung der Entführung - von nieman- ständigen will, wenn er sich auf dem Gang vor den
dem, auch nicht von ihren Verteidigern aufgesucht wer- Zellen befindet, läuft Gefahr, in Zukunft nicht mehr
den dürfen. Diese Maßnahmen wurden nach Abstim- aus der Zelle gelassen zu werden,
mung mit mir und mit meiner Billigung angeordnet. "34 b) durch Aktentausch,
c) durch Büchertausch oder Tausch anderer Gegen-
Da sich später in diesem Sinne auch der Bundesjustiz- stände. Aus diesen Gründen dürfen auch die bisher
minister und der Justizminister des Landes Baden- gemeinschaftlich benutzten Gegenstände, die sich in
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Zelle 726, auf dem Gang sowie in der Sport- und nicht in der Lage, sonst hätte er solche Indizien aufge-
Lebensmittelzelle befinden, nicht mehr benutzt wer- führt.
den; sie werden, soweit sie sich zur Zeit noch auf dem Tatsächlich gab es weder Beweise noch Hinweise auf
Gang befinden, in eine leere Zelle verbracht. eine beabsichtigte Flucht, denn die Häftlinge waren
der gemeinsame Einkauf der Gefangenen, hermetisch von der Außenwelt abgeschnitten. Auf-
die gemeinsame Benützung von Toilettengegenstän- grund dieser Umstände mußte sich Haftrichter Foth mit
den im Bad, einer vagen Mutmaßung begnügen.
die Teilnahme am allgemeinen Büchertausch.36
Die hier wiedergebene Verfügung ist unterzeichnet
von dem stellvertretenden Anstaltsleiter und Sicher- 7. September, Mittwoch
heitsbeauftragten Schreitmüller. Dieser handelt am 6.
September noch auf mündliche oder fermündliche Der Autor, gewählter Verteidiger von Jan-Carl Raspe
Anordnung von oben; denn erst am 4. Oktober kleidet und Günter Sonnenberg, versucht zunächst zu Günter
er diese Kontaktsperrepraktiken in die Fassung einer Sonnenberg vorzudringen. Die Anstaltsleitung in
justizförmigen Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung. 37 Hohenasperg verwehrt ohne Angabe von Gründen die
Über diese Verfügung hinaus werden nach dem 6. Sep- Kontaktaufnahme.
tember mehr als dreimal wöchentlich die Zellen kon- Bei einem Anruf im Justizministerium in Stuttgart
trolliert, nämlich nunmehr jeden Tag.3a wird dazu erklärt, gegenwärtig sei weder mit Günter
Noch am selben Tag ergeht ein Beschluß des Haft- Sonnenberg in Hohenasperg noch mit Jan-Carl Raspe
richters Foth, in dem die Maßnahmen gegen die Häft- in Stammheim eine Kontaktaufnahme möglich, auch
linge ohne Einschränkung gebilligt werden. Hierin nicht fernmündlich. Verteidigerbesuche könnten nicht
heißt es: "Die Entführung von Dr. Schleyer steht mög- stattfinden. Auf Weisung von Generalbundesanwalt
licherweise in Zusammenhang mit dem Versuch, die Rebmann habe Ministerialdirigent Reuschenbach ver-
Angeklagten der Haft zu entziehen. Um deren etwaige fügt, daß bis auf weiteres keine Verteidigerbesuche
Mitwirkung an solchem Tun zu hindern, ist es erforder- stattfinden dürfen. Diese Verfügung sei ergangen, so
lich, sie von den laufenden Informationen durch Funk, fährt der Sprecher fort, "da die besonderen Ereignisse
Fernsehen und Presse abzuschneiden. Dem gleichen besondere Maßnahmen verlangen." Auf Nachfrage,
Zweck - der Verhinderung von Absprachen unter den auf welcher Rechtsgrundlage diese Maßnahme beruhe,
Angeklagten in Bezug auf ein etwaiges Entkommen aus räumt der Sprecher heiter ein, daß das Ministerium
der Haft - dient die vorläufige Aussetzung von wisse, daß es keine spezialgesetzliche Grundlage
Umschluß und Zusammenschluß. "39 gebe.40
Zu diesem Zeitpunkt seiner Entscheidung existiert
die "Maßnahme der Anstaltsleitung" überhaupt noch Am Mittwoch, dem 7. September, diskutiert die CSU-
nicht auf dem Papier. Unbeschadet dieser formalen Landesgruppe, wie man Erpresserversuchen künftig
Voraussetzung fehlt in dem Beschluß auch jeglicher standhalten könne: "etwa durch Erschießung der
Hinweis darauf, auf welche Umstände die Möglichkeit gefangenen Terroristen in halbstündigem Abstand,
der "Mitwirkung" der Häftlinge bei der Schleyer-Ent- solange, bis ein Entführter freigelassen wird. ,,41
führung gestützt wird. Hierzu war Haftrichter Foth auch
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8. September, Donnerstag in Ihren Berichterstattungen nichts zu tun, was die


Anstrengungen der Sicherheitsorgane des Bundes in
Der Vorsitzende des 2. Strafsenats des Oberlandesge- irgendeiner Weise beeinträchtigen und dazu beitragen
richts Stuttgart, Foth, zugleich Haftrichter, schreibt an könnte, die Gefahrenlage zu verschärfen. ,,47
das Justizministerium, um eine Aufhebung des ange- Der Deutsche Presserat schließt sich noch am glei-
ordneten Besuchsverbotes für die betroffenen Verteidi- chen Tag dieser Aufforderung an. Bundespresseamt
ger zu erreichen. Dies lehnt das Justizministerium ab.42 und Presserat verweisen die Redaktionen darauf, sich in
Zweifelsfällen vor einer Veröffentlichung mit dem Pres-
Die Aufhetzung der Öffentlichkeit wird verstärkt. sereferat des Bundesinnenministeriums in Verbindung
Der Journalist Enno von Löwenstern macht sich in der zu setzen. Die Presse folgt gehorsamst. Die Nachrich-
"Welt" zum Sprecher staatlicher Tötungsphantasien: tensperre beginnt zu wirken. Die "Verschwiegenheit
"Der Ruf nach der Todestrafe wird laut, sogar der Ruf wird ... wie anderswo die Waffe jener, die eine Gewalt-
nach dem Standrecht oder der Erschießung von verhaf- lösung wünschen. ,,48
teten Terroristen im Austausch gegen die Ermordung
von Geiseln. ,,43
CSU-Landesgruppenmitglied Walter Becher fragt
öffentlich, "ob man sich nicht tatsächlich mit den Terro-
9. September, Freitag
risten im Krieg befindet und ob der Staat auf Geisel- Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes, Kuhn,
nahme und Geiselerschießung mit gleichen Mitteln ant- wendet sich in einem Schreiben an das Justizministe-
worten müsse. Bei weiterer Eskalation des Terrors sollte rium, um eine Aufhebung des angeordneten Besuchs-
dann auch etwa mit den Häftlingen von Stammheim verbots für die betroffenen Verteidiger zu erreichen.
kurzer Prozeß gemacht werden. ,,44 Das Ministerium antwortet nicht mehr.49
CSU-Landesgruppenvorsitzender Friedrich Zimmer- Obwohl über den Antrag der Bundesanwaltschaft an
mann äußert sich folgendermaßen: den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes auf
"Wenn die Herausforderung des deutschen Rechts- Erlaß einer Kontaktsperre noch nicht entschieden ist,
staats solche Dimensionen erreiche, dann müsse man ersucht das Bundesinnenministerium über das Bundes-
eben das bislang Undenkbare denken. ,,45 kriminalamt die Landesjustizverwaltung, jede Kommu-
nikation zwischen den Häftlingen und ihren Verteidi-
In der Fernsehsendung "Frühschoppen" erinnert der gern zu unterbinden. Dabei ergibt sich die Situation,
Schweizer Journalist Rene Alleman vor Millionen daß der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes
Zuschauern an die Folterpraktiken in Südamerika: einen Kontaktsperrebescheid erläßt, von dem Verteidi-
"überall dort, wo man zur Folter gegriffen hat, ist der gerbesuche ausdrücklich ausgenommen sind.
Terrorismus verschwunden. ,,46 Auch in Westberlin und in Frankfurt am Main wei-
Der Chef des Bundespresse- und Informationsamtes, gern sich die Gerichte, eine Verteidiger-Besuchssperre
Klaus Bölling, erklärt den Chefredakteuren der west- anzuordnen.
deutschen Fernseh- und Rundfunkanstalten und den Die meisten Anstaltsleitungen und Justizministerien
Presseagenturen: "Ich darf Sie aus Gründen, die ich setzen sich jedoch offen über die betreffenden Entschei-
Ihnen nicht weiter zu erläutern brauche, darum bitten, dungen hinweg. Selbst der höchste Haftrichter der Bun-
22 23

________________ J- _
desrepublik Deutschland, Kuhn, muß feststellen, daß er,
"da er ja nicht mit einer Gruppe von Justizbeamten
gegen die Anstalt vorgehen könne" , seine haftrichterli-
che Verfügung gegen die Verteidiger-Besuchssperre
,
:

Fritz Weiß gibt später bei seiner Vernehmung an, an


diesem Tag" um 19.30 Uhr, bekam der Häftling Baader
vom Sanitäter eine Spritze. Hierzu mußte die Zelle
geöffnet werden. ,,55Wer war dieser Sanitäter?
nicht durchsetzen kann. 50

In den folgenden Tagen herrschen nach den Aufzeich- 12. September, Montag
nungen der Anstalt in der Hochsicherheitsabteilung III
endlich Sicherheit und Ordnung. Jeder Häftling ist to- Am 12. September will Andreas Baader einen für die
talisoliert. Bemerkenswerterweise finden sich auch in Repressionsmaßnahmen Verantwortlichen sprechen.56
dieser und der folgenden Kontaktsperrezeit keinerlei Am folgenden Tag wird sein Antrag, die Anordnung des
persönliche Aufzeichnungen der Häftlinge über den baden-württembergischen Justizministeriums aufzu-
Alltag in der Totalisolation, auch nicht über besondere heben, mit Beschluß des 4. Strafsenats des Oberlandes-
Ereignisse. überraschend ist dies deswegen, weil es gerichts Stuttgart als unzulässig verworfen. 57 Danach
geradezu zu deren Gewohnheit geworden ist, alle bleiben Verteidigerbesuche weiterhin untersagt.
wahrnehmbaren Vorgänge, die die Isolationshaftbedin- Die gerichtlich bestätigte Nachrichtensperre verei-
gungen betreffen, zu notieren und von Anfang an mit telt, daß den Häftlingen zu Ohren kommt, was politische
Datum und Uhrzeit zu versehen. Spitzen kräfte und Springers "Welt" über sie verbreiten
Trotzdem wird weder in der Zelle Andreas Baaders dürfen; NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD)
noch in der von Jan-Carl Raspe auch nur eine einzige bekundet Sympathie für weitergehende Repressalien:
Aufzeichnung gefunden werden, die als Chronik der "Die Terroristen müssen wissen, daß die Tötung von
Kontaktsperre dienen könnte. Links vom Zellenein- Hanns-Martin Schleyer auf das Schicksal der inhaftier-
gang bei Jan-Carl Raspe liegen später lediglich zwei ten Gewalttäter, die die Entführer mit ihrer schändli-
Blatt Kohlepapier am Boden, die eine Schreib tätigkeit chen Tat befreien wollen, schwer zurückschlagen
des Benutzers signalisieren.51 müßte."58
In der folgenden Zeit ereignen sich alle bedeutsamen Der Historiker Golo Mann äußert in der "Welt" den
Ereignisse in der Nacht. (Die Darstellung beschränkt Gedanken über die Anwendung von Art. 18 des Grund-
sich auf Angaben der Anstalt.) Andreas Baader erhält gesetzes und meint:
mehrfach nach Mitternacht Medikamente52 und wäh- "Verlieren sie - die Terroristen - alle ihre Grund-
rend und nach der Beendigung des Hungerstreiks Sprit- rechte, könnte der blutige Spuk des Terrors gebannt
zen.53 Krankenblätter der Anstalt werden nicht vorge- werden, ohne daß er sein nächstes Ziel, die Auflösung
legt. des Staates, erreicht hätte. "59
So bekommt Andreas Baader etwa in der Nacht vom
11. zum 12. September eine" Spritze vom Sani "54in der In der Nacht vom 12. zum 13. September notiert der
Zelle. Diese Spritze ist nach den Feststellungen des Wachhabende Peter Kastropp entgegen seiner späteren
baden -württembergischen Untersuchungsausschusses Aussage vor der Kriminalpolizei, "bei meinen Diensten
nicht ärztlich verordnet. Dennoch wird sie vom Sanitä- habe ich keine Besonderheiten bei den BM -Häftlingen
ter verabreicht. Der zur Nachtwache eingeteilte Beamte bemerkt,,60, ins Kontrollbuch:

24 25

___ ...--1 _
"Gegen 18.00 Uhr an Baader Medikamente durch H.
Walter ausgegeben ( ... )
21.15 Uhr verlangte Baader Direktor Nusser zu spre-
r Betr.: Entführung H. M. SCHLEYER;
hier: Befragung des U-Gefangenen Andreas BMDER

chen ( ... ) Baader wurde gegen 22.25 Uhr durch H. Wal- Beim Eintreffen in der JVA Stuttgart-Stammheim, gegen
ter gespritzt (Zelle geöffnet) ( ... ) 07.45 teilte der Anstaltsleiter (Herr NUSSER) mit, daß BM-
23.50 Uhr Baader bekam nochmals eine Spritze (Zelle DER gegen Abend dringend um ein Gespräch mit einem
geöffnet). Dann keine Vorkommnisse mehr, außer daß Verantwortlichen gebeten habe, bevor eine nicht wieder
gegen 2.15 Uhr Baader verlangte, daß man ihn um 8.00 gutzumachende Entscheidung getroffen werde.
Uhr wecken soll. "61 Die Befragung wurde deshalb bis zum Eintreffen des
Auch diese beiden Spritzen sind nach den Feststel- Avisierten (BA LÖCHNER) zurückgestellt.
lungen des baden-württembergischen Untersuchungs-
ausschusses ebensowenig ärztlich verordnet, wie dieje- Gegen 09.00 Uhr wurde uns beiden in einem Besuchszim-
nige am Tag ZUVOr.62 mer des 7. Stockwerkes Andreas BMDER vorgeführt.
Im übrigen ist ein Sanitäts bediensteter namens H. Nachdem er vergeblich versucht hatte, seinerseits Informa-
Walter aktenmäßig nicht bekannt. Wer ist also dieser H. tionen zu erlangen, erklärte er zwei Fragen erörtern zu
Walter und welche Art von Spritzen verabreichte er? wollen:

1. Wenn ein Austausch erfolge, dann könne die Bundesre-


13. September, Dienstag gierung damit rechnen, daß die Freigelassenen nicht in
die Bundesrepublik zurückkehrten. Die Wiederauffül-
Statt der Bundesregierung übernimmt BKA-Chef lung des (terroristischen) Potentials sei nicht beabsich-
Herold die Verhandlungen mit den Häftlingen. In sei- tig't. Er könne insoweit jedoch nur für diejenigen spre-
nem Auftrag erscheint erstmals der Erste Kriminal- chen, die in Stamm heim inhaftiert seien oder dort inhaf-
hauptkommissar (BKAI Abt. TE) Klaus gemeinsam mit tiert gewesen seien. Diese Versicherung gelte auch
Bundesanwalt Löchner in Stammheim. Der BKA-Mann nicht für den Fall, daß das Urteil aufgehoben werden
erklärt, sein Auftrag sei es, die 11 Gefangenen, die für sollte oder eine signifikante politische Veränderung ein-
die Austauschaktion benannt worden waren, aufzusu- treten sollte.
chen und ihnen Fragebögen vorzulegen. Dabei gehe es Die Bundesregierung habe nur die Wahl, die Gefan-
um die Frage, ob die Häftlinge bereit seien, sich ausflie- genen umzubringen oder sie irgendwann zu entlassen.
gen zu lassen, und ob sie ein Zielland benennen Ihr Ausfliegen würde eine Entspannung für längere Zeit
könnten.63 bedeuten.
Gegen 9 Uhr trifft BKA-Mann Klaus Andreas Baader 2. Es liege im Interesse der Bundesregierung, eine weitere
im Besucherzimmer des 7. Stockwerks. über den Eskalation zu vermeiden. Sie möge sich daher um ein
Gesprächsverlauf verfaßt er später einen Vermerk: Aufnahmeland für diejenigen Gefangenen bemühen,
deren Freilassung gefordert werde.

26 27
Hier habe ich mich eingeschaltet und BAADER nach
I
!

Fragebogen
Erläuterung des Auftrages den Fragebogen vorgelegt. 1. Sind Sie bereit, sich ausfliegen zu lassen?
Er lehnte die Beantwortung der Frage zwei zunächst mit Anwort: ja
dem Bemerken ab, keine Informationen liefern zu wol- 2. In einer Erklärung der Entführer vom 12.9.1977 wird
len, ließ sich dann aber doch wenigstens zur schriftli- gesagt: "Die möglichen Zielländer können der Bundes-
chen Fixierung seiner Forderung überreden. regierung nur von den Gefangenen selbst genannt
Im Verlaufe des weiteren Gesprächs fügte er alterna- werden".
tiv die Aufnahmeländer Vietnam und Algerien ein. Können Sie dieses Flugziel nennen?
Antwort: Algerien/Vietnam.
Nach Beendigung der Befragungsaktion ließ er mich zu Wir meinen, dass die Bundesregierung die Länder, die in
sich bitten und ergänzte die möglichen Aufnahmeländer Frage kommen, um die Aufnahme ersuchen muss.
um Libyen, VR Jemen und Irak. Dabei betonte er, daß ja.
ihm die Reihenfolge wichtig sei. Unterschrift: Baader
Datum: 13.9.
BAADER schien nervös und durch den Informations- Vollzugsanstalt: Stamm heim
mangel verunsichert zu sein.
Ich hatte den Eindruck, daß die Entführung SCHLEY- (Nachtrag:) Libyen/ VR Jemen/Irak
ER's und die daran geknüpften Bedingungen mit den
Gefangenen, zumindest im Detail, nicht abgestimmt
worden waren. Fragebogen
1. Sind Sie bereit, sich ausfliegen zu lassen?
(Klaus) EKHK64 Antwort: Ja
2. In einer Erklärung der Entführer vom 12.9.1977 wird
gesagt: "Die möglichen Zielländer können der Bundes-
Ferner läßt Klaus Gudrun Ensslin vorführen, der er regierung nur von den Gefangenen selbst genannt
ebenfalls den Fragebogen übergibt. Die Häftlinge Ve- werden."
rena Becker, lan-earl Raspe und Irmgard Möller sucht Können Sie dieses Flugziel nennen?
er einzeln in Gegenwart von Oberverwalter Bubeck in Anwort: ja - nach einer gemeinsamen besprechung aller
ihren Zellen auf. Anschließend teilt ihm Andreas Baa- gefangenen, deren auslieferung bzw. austausch das
der mit, die Bundesregierung habe nur die Wahl, die kommando fordert, und 1/ od. mehrere gespräche mit
Gefangenen umzubringen oder sie irgendwann zu ent- anwalt otto schily
lassen.65 Unterschrift: Gudrun Ensslin
Die von Klaus vorgelegten Fragebögen sind wie folgt Datum: 13.9.1977
beantwortet: Vollzugsanstalt: Stammheim

(aUf einem Beiblatt:) Anwalt Otto Schily

28 29
Fragebogen
1. Sind Sie bereit, sich ausfliegen zu lassen?
r Fragebogen
1. Sie Sie bereit, sich ausfliegen zu lassen?
Antwort: ich verlange, mit den anderen Gefangenen um Antwort: ja
die es geht zu reden - um die genauen Bedingungen zu 2. In einer Erklärung der Entführer vom 12.9.1977 wird
besprechen dann bin ich pe reit - gesagt: "Die möglichen Zielländer können der Bundes-
2. In einer Erklärung der Entführer vom 12.9.1977 wird regierung nur von den Gefangenen selbst genannt
gesagt: "Die möglichen Zielländer können der Bundes- werden".
regierung nur von den Gefangenen selbst genannt Können Sie dieses Flugziel nennen?
werden." Antwort: Nein
Können Sie dieses Flugziel nennen? Unterschrift: Verena Becker
Antwort: auch das ist ne Frage, die erst mit den anderen Datum: 13.9.77
festzulegen ist. Vollzugsanstalt: Stammheim66
Unterschrift: Irmgard Möller
Datum: 13.9.77
Vollzugsanstalt: Stamm heim Noch in Anwesenheit des BKA-Mannes EKHK Klaus
wird angeordnet, daß die Häftlinge so unterzubringen
sind, daß ihre Zellen nicht unmittelbar nebeneinander
Fragebogen liegen. Das ist jedoch bei Andreas Baader und lan-earl
1. Sind Sie bereit, sich ausfliegen zu lassen? Raspe der Fall; ihre Zellen 719 und 718 befinden sich
Antwort: Ja direkt nebeneinander.
2. In einer Erklärung der Entführer vom 12.9.1977 wird Andreas Baader wird auf Zelle 715 verlegt. Irmgard
gesagt: "Die möglichen Zielländer können der Bundes- Möller auf Zelle 725. Als Grund wird "Kontaktsperre"
regierung nur von den Gefangenen selbst genannt angegeben.67
werden." Da Andreas Baader aus seiner alten Zelle 719 sein
Können Sie dieses Flugziel nennen? Kaffeegeschirr, den Kaffee und das Filterpapier haben
Antwort: will, bittet er Obersekretär Peter Grossmann, ihm diese
Ich mache die Beantwortung der Frage davon abhängig Gegenstände zu holen.68 Dieser schildert die folgenden
mit den Gefangenen, deren Freilassung gefordert wird, Ereignisse später so:
sprechen zu können - hier in Stamm heim sofort und mit ,,(... ) bin ich selbst in diese Zelle gegangen, um diese
den anderen telefonisch; die Gefangenen die freigelas- Gegenstände zu holen. In meiner Begleitung war
sen werden sollen, werden die Frage beantworten, Regierungsdirektor Schreitmüller. Wir suchten beide
wenn sie ausgeflogen werden. die Dinge in der Zelle zusammen. Dabei entdeckte ich
Unterschrift: Jan Raspe dann auch in Augenhöhe auf dem Bücherregal das Fil-
Datum: 13.9.77 terpapier, das dort waagrecht abgelegt war. Beim Her-
Vollzugsanstalt: Stammheim ausnehmen der Packung fiel mir auf, daß diese relativ
schwer war. Ich hielt sie etwas schräg, worauf einige
Filtertüten herausrutschten. Dahinter kam eine Minox-
Kamera zum Vorschein. Außerdem war in dieser

30 31
Melitta-Packung noch ein kleiner schwarzer verschlos-
sener Plastikbehälter, der dem Aussehen nach ein
r 15. September, Donnerstag
Minox-Film für diese Kamera gewesen sein dürfte. Ich Bundeskanzler Schmidt wendet sich in seiner Regie-
übergab diese Sachen Herrn Schreitmüller. ,,69 rungserklärung gegen die öffentliche Ankündigung
Die Zelle 719 war zu Beginn der Kontaktsperre von einer Geisel-Liquidierung: "Uns erreichen vielerlei
Beamten des baden-württembergischen Landeskrimi- Ratschläge bis hin zu dem Vorschlag von Repressionen
nalamtes durchsucht und überprüft worden. Sie ist bis und Repressalien, die sich gegen das Leben einsitzen-
dahin täglich von Bediensteten der Anstalt durchsucht der Terroristen richten. Ich will meine Überzeugung
und überprüft worden. Die Gegenstände in den Zellen dazu nicht verhehlen: Androhen kann man nur, was
sind derart gründlich durchsucht worden, daß ein man tatsächlich ausführen darf. ,,76
Durchsuchungsbeamter vorschlägt, die vorhandenen
Eier aufzuschlagen, um nach verborgenen Schriftstük- In der Nacht vom 15. zum 16. September heißt es im
ken zu suchen.7o Dabei werden keine Entdeckungen Kontrollbuch:
gemacht. Die Behauptung der Bundesanwaltschaft, die "Um 19.30 Uhr verlangte Baader Hustensaft.
Ende 1976 in die Vollzugsanstalt eingeschmuggelte Um 23.05 Uhr bei Baader und Raspe Medikamente
Minox-Kamera sei am 13. September 1977 "durch durch Sani ausgehändigt.
Zufall" aufgefunden worden, ist deshalb unglaubhaft. Um 00.30 Uhr fiel die Schallmauer bei Zelle 718
Wurde sie nicht bereits während des Prozesses ent- (Raspe) um. Baader nahm sofort Rufkontakt auf. Wort-
deckt? laut: ,He, Jan, verstehst du mich, da kommen sie und
stellen das Ding wieder auf.'
In der Nacht vom 13. zum 14. September gibt es Vor- 01.40 Uhr Baader eine Dolviran ausgehändigt. ,,77
kommnisse.71 Seit dieser Nacht werden an den stähler-
nen Zellentüren, die mit Spion, Essenklappe, zwei
Sicherheitsschlössern und Luftschlitzen versehen sind,
noch zusätzlich zur Schallisolierung von außen "Kon-
16. September, Freitag
taktsperrepolster " befestigt. 72 Diese Konstruktion wird Auf Initiative von Bundeskanzler Schmidt und anderer
in dieser Zeit von 16.00 Uhr bis 7.30 Uhr angebracht und Kabinettsmitglieder wie auch Teilnehmern des "Gro-
tagsüber wieder entfernt. 73 Die Häftlinge dürfen sich ßen Politischen Beraterkreises " gibt die Evangelische
weder sehen noch sprechen.74 Kirche in Deutschland (EKD)eine Erklärung ab:
"Auf der einen Seite hat der Staat die Aufgabe, Leben
In der Nacht vom 14. zum 15. September verzeichnet zu schützen, auf der anderen Seite ist zu fragen, ob die
das Kontrollbuch den Eintrag: Erfüllung der Forderungen nicht zu weiteren Mordtaten
,,0.25 Uhr Baader eine Dolviran ausgehändigt. Keine führt. Auf diese Frage gibt es keine prinzipiell richtige
Vorkommnisse. ,,75 oder falsche Antwort. Hier sind die Verantwortlichen
vor letzte Gewissensentscheidungen gestellt. Wir versi-
chern sie in dieser Situation unserer Bereitschaft, ihre
Entscheidungen mit Vertrauen aufzunehmen und rufen
dazu auf, auch die Folgen gemeinsam zu tragen. ,,78
32 33
Mit dem Bundeskriminalamt

sungsmodalitäten.
verhandelt das Kom-
mando "siegfried hausnerl/ inzwischen über die Freilas-
Sobald die Maschine mit den Gefan-
genen sicher gelandet und die Mitreisenden, Payot und
r Grundgesetzes
Grundgesetzes
schafft. 83
1/
aufheben sollte.1/ Im Artikel 102 des
heißt es, "die Todesstrafe ist abge-

Pfarrer Niemöller, zurück seien, werde Schleyer inner-


halb von 48 Stunden freigelassen. Er werde die Mög-
lichkeit erhalten, sich unmittelbar nach der Freilassung
21. September, Mittwoch
telefonisch bei seiner Familie zu melden.79 Die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofs-
konferenz in Fulda gibt eine ähnliche Erklärung wie die
In der Nacht vom 16. zum 17. September heißt es im EKD ab. Die vorangegangene Diskussion faßt Vorsit-
Kontrollbuch: zender Kardinal Höffner so zusammen, daß der Staat als
,,21.50 Uhr Baader verlangte 1 Dolviran, und man soll letzte Notwehr zu dem Mittel der Todesstrafe greifen
das Radio leiser machen. (Es ist völlig unklar, was für ein dürfe und schloß nicht aus, daß die katholischen
Radio hier gemeint ist. - Der Autor) Bischöfe die Wiedereinführung der Todesstrafe billigen
23.00 Uhr Mit Sani (an) Baader Medikamente ausge- könnten. Einerseits müsse beachtet werden, daß keiner
geben. Keine Vorkommnisse! Sehr ruhig.1/8G menschlichen Institution die Entscheidung über Leben
und Tod zustehe. Andrerseits werde in kirchlichen
In der Nacht vom 17. zum 18. September ist im Kontroll- Überlieferungen die Todesstrafe nicht völlig abgelehnt.
buch folgendes vermerkt: Auch Papst Pius XII. habe vor 20 Jahren dieses Strafmaß
,,18.00 Uhr, 18.34 Uhr, 21.05 Uhr Hauptsicherung ein- als letzte Möglichkeit nicht ausschließen wollen.84
geschaltet.
20.55 Uhr Optipyren mit Innenwache ausgehändigt Egon Franke (SPD), Minister des Inneren, bringt in der
an Baader. Kabinettssitzung wieder das Thema Todesstrafe zur
22.55 Uhr mit Sani und Innenwache Medikamente an Sprache: "Nicht allgemeine, aber doch für Terroristen
Baader ausgehändigt. Sonst keine Vorkommnisse. 1/81 ( ... ) das beschreibt die Stimmung in der Bevölkerung.
Die sind dann weg. 1/85
In der Nacht vom 18. zum 19. September wird im Kon-
trollbuch vermerkt:
"Um 23.00 Uhr an Baader Medikamente durch Sani
ausgehändigt. Keine Vorkommnisse. Sehr ruhig! 1/82
22. September, Donnerstag
Der CSU-Rechtsexperte Spranger hält die Einführung
der Todesstrafe für ein Gebot der Gerechtigkeit gegen-
19. September, Montag über den Opfern des Terrors.86

Am Montag, dem 19. September, erklärt Alfred Seidel,


Bayerischer Innenminister (CSU), um 20.15 Uhr in der
Fernsehsendung "Panoramal/, "daß es meine persönli-
che Überzeugung ist, daß man den Artikel 102 des

34 35
23. September, Freitag
Am Tage dringen Sicherheitsorgane in die Wohnung
von Rechtsanwalt Hans Heinz Heldmann, dem Vertei-
r In der Nacht vom 20. zum 21. September heißt es dort:
"Um 23.07 Uhr an Baader und Raspe Medikamente
durch den Sani ausgehändigt. Sehr ruhig! "90

diger Andreas Baaders, ein, um sie zu durchsuchen. In der Nacht vom 21. zum 22. September eine geringfü-
Über solcherlei Praktiken berichtet später der "Köl- gige Variation:
ner Stadt Anzeiger": "Um 23.05 Uhr an Baader und Raspe Medikamente
"Fahndung total. Ist niemand anwesend, wird diese ausgehändigt. Keine Vorkommnisse! Sehr ruhig! ,,91
Wohnung mit Nachschlüssel geöffnet. Nach Durchsu-
chung läßt die Polizei Zettel zurück: 'Sehr geehrter In der folgenden Nacht, der Nacht vom 22. zum 23.
Wohnungsinhaber, aufgrund gesicherter Beweise ( ... ) September, notiert der Wachhabende:
hat die Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der zum ,,20.20 Uhr Baader verlangt Optipyrin.
Wohnkomplex gehörenden Wohnungen gern. § 183 23.05 Uhr Baader und Raspe erhalten vom Sani Medi-
StPO (Durchsuchung bei Unverdächtigen) angeordnet kamente.
( ... ) ist daher unerläßlich, auch Ihre Wohnung zu 23.10 Uhr Frau Schmitz wurde durch E-Klappe
durchsuchen. Wir bedauern, in Ihre Privatsphäre einzu- (Essens-Klappe, der Verf.) angesprochen, da Sch,
dringen. Hochachtungsvoll ( ... )' schlief, wurde Glühbirne aus Zelle geholt. "92
Die Polizei dazu: ,Vorratsfahndung'''87
Der stellvertretende CDU/CSU-Chef Dregger ver- In der Nacht vom 23. zum 24. September heißt es im
langt: Kontrollbuch:
"Ausschaltung von Anwälten, die zur Terrorszene "Medikamente ausgegeben an Raspe gegen 23.15
gehören. Kürzere Prozesse. Keine Zwangsernährung Uhr. An Baader um 23.25 Uhr. 1 Dolviran an Baader
für Terroristen bei klarem Verstand. Sicherungsver- ausgegeben um 2.15 Uhr. Sonst keine Vorkomm-
wahrung für Terroristen schon nach der ersten Verurtei- nisse. "93
lung ( ... ) der Verfassungsschutz muß V-Leute in die
Terrorszene einschleusen ( ... )"88 In der Nacht vom 24. zum 25. September wird notiert:
,,22.30 Uhr Medikamente ausgegeben an Baader und
In der Sicherheitsabteilung III der JVA Stammheim Raspe. "94
herrschen unterdessen weiterhin Sicherheit und Ord-
nung: In der Nacht vom 25. zum 26. September wird im Kon-
trollbuch vermerkt:
In der Nacht vom 19. zum 20. September wird im Nacht- ,,23.00 Uhr Medikamente an Raspe und Baader aus-
kontrollbuch aufgezeichnet: gegeben. ,,95
"Um 23.05 Uhr an Baader und Raspe Medikamente
durch den Sani ausgehändigt. Keine Vorkommnisse. ,,89

36 37
26. September, Montag ten lassen müssen, Verbrechen hätten, wenn die Regie-
rung mit der Opposition Schritt gehalten hätte, verhindert
Beginn des Hungerstreiks. Irmgard Möller berichtet: werden können.
"Zum Selbstmordkomplott ist folgendes zu sagen: Nach
der Ermordung von Ulrike haben wir über Selbstmord Diese Methode, jahrelang angewandt, hat Unbehagen,
diskutiert, und daß es sich dabei um eine CIA-Methode Mißtrauen, Angst vermehrt, ohne Terrorismus zu vermin-
handelt, Morde als Selbstmorde darzustellen. Keiner dern; zu dessen Bekämpfung erscheint sie untauglich.
hatte die Absicht des Selbstmordes; das widerspricht
unserer Politik. Das letzte Mal über Selbstmord haben Am 25.8.72 hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes
wir am 26. September, dem Beginn des Hungerstreiks, einen Rechtsanwalt mit der Begründung aus der Verteidi-
gesprochen. Wir haben den Hungerstreik angefangen, gung ausgeschlossen, er müsse einen Kassiber aus einer
obwohl uns bekannt war, daß er nicht so schnell öffent- Justizvollzugsanstalt herausgeschmuggelt haben; das sei
lich werden könne. Wir wollten dem Krisenstab signali- anzunehmen, weil die Interessen von Anwalt und Mandan-
sieren: Wir sind entschlossen zu kämpfen! Außerdem ten grundsätzlich gleichgerichtet seien. Damals empörten
wollten wir eine Änderung der Haftbedingungen. Seit sich noch die Anwaltschaft, die Richter des Kammerge-
dem 15. September waren Maßnahmen ergriffen wor- richts Berlin und die Öffentlichkeit (statt vieler Müller-Mei-
den, uns zum Selbstmord zu provozieren oder auch ningen in der SZ vom 30.8.72: ,Diese Sache darf man nicht
einem vorgetäuschten Selbstmord eine Motivation auf sich beruhen lassen. ')
unterzuschieben. Für uns war klar, Selbstmord ist nicht
Sache. Wir sind entschlossen zu kämpfen. Niemand Auch der Bundesminister der Justiz trat in seiner Stellung-
drohte mit Selbstmord ( ... ) ,,96 nahme vom 8.12.1972 an das Bundesverfassungsgericht
einer solchen Auffassung entgegen. Das Bundesverfas-
Die Humanistische Union veröffentlicht an diesem Tag sungsgericht verwarf die Entscheidung des 3. Senats als
eine Erklärung, in der sie eindringlich vor dem geplan- verfassungswidrig. Inzwischen hat die ständige Wiederho-
ten Sondergesetz für die Unterbindung von Verteidi- lung der bisher ganz unbewiesenen Behauptung von inter-
gerbesuchen warnt: essierter Seite, Anwälte seien potentiell stets Komplizen
ihrer Mandanten, ihre Wirkung getan .... dafür, daß Vertei-
diger in ihrer anwaltlichen Berufsausübung mit den Gewalt-
Darüber scheinen Regierung und Opposition einig, daß verbrechern konspirieren, hat auch das (gesetzwidrige)
jeder Terroranschlag mindestens mit Verschärfung von 2jährige heimliche Belauschen der Verteidigergespräche in
Gesetzen, mit Verkürzung bürgerlicher Freiheitsrechte, Stuttgart-Stammheim zugestandenermaßen nicht den
besonders aber der Freiheit der Strafverteidigung zu beant- Schatten eines Beweises erbracht. Das bloße zeitliche
worten sei. So wird der freiheitliche Rechtsstaat durch die Zusammentreffen der Schleyer-Entführung mit dem
staatliche Reaktion auf jede Gewalttat immer mehr demon- Abbruch des Hungerstreiks ist umso weniger ein Beweis,
tiert - worauf vermutlich auch die Terroristen hinaus wollen. als es offenkundig unmöglich ist, ein so perfekt organisier-
Vom Tempo abgesehen, gibt es in der Richtung keinen tes Verbrechen aus der Gefangenschaft zu planen und zu
Unterschied. Die Opposition möchte nur stets größere dirigieren.
Schritte, wodurch die Regierungsparteien sich dann vorhal- Da außerdem ein tatsächlicher Verdacht gegen einen

38 39
Rechtsanwalt zu dessen Ausschluß aus der Verteidigung
führen soll, ist es durch nichts gerechtfertigt, den Kernbe-
r Raspe verlangt zuerst, den Kontakt der Gefangenen
untereinander wieder zu erlauben. Klaus meint dazu,
reich freier Strafverteidigung zu zerstören. Die Abgeordne- daß die Totalisolation nur dann beendet werden könne,
ten werden aufgerufen, kein Gesetz ohne jede Rechtstatsa- wenn zuvor die Häftlinge eine Botschaft an die Entfüh-
chenforschung ,mit heißer Nadel zu nähen.' Man darf nicht, rer richteten, mit der Aufforderung, die Entführungsak-
nur um vielleicht die geängstigte Bevölkerung zu tion zu beenden. Sodann läßt er sich die neu installierte
beschwichtigen, einen ganzen Berufsstand von gesetzes- Vorrichtung zur Unterbindung der akustischen Kon-
wegen als Begünstiger von Verbrechen diffamieren. takte zwischen den Gefangenen zeigen.
Wenn weiterhin jeder Terroranschlag eine Beschneidung
der Verteidigerbefugnisse zur Folge hat, ist das Ende der über dieses Gespräch verfaßt er am 28.9.1977 folgen-
freien Advokatur nicht mehr weit. den Vermerk:
Humanistische Union
gez. Dr. Charlotte Maack
Vorsitzende97 Betr.: Entführung Hanns Martin SCHLEYER;
hier: Gespräch mit Jan-Carl Raspe

An diesem Tag erscheint der Sicherheits berater des US- 1. Am 27.09.77 gegen 15.30 Uhr, teilte die JVA Stuttgart-
Präsidenten Carter, Zbigniew Brzezinski, in Bonn. Mit Stammheim (BUBECK) tel. mit, daß RASPE vor einer
Bundeskanzler Helmut Schmidt hat er eine mehrstün- halben Stunde um den Besuch des Bundesanwalts
dige Unterredung. Er steht dabei rückhaltlos hinter der Löchner und des Unterzeichners gebeten habe. Er habe
Politik des Bundeskanzlers bei der "Bekämpfung des geäußert, er wolle eine Mitteilung machen und ein
Terrorismus" und leistet für seinen Präsidenten "tätige Schriftstück übergeben. PR ordnete an, die Dienstreise
Hilfe ". Zuvor hat er in London und Paris Station ge- sofort mit einem Hubschrauber anzutreten. BA Löchner
macht.98 informierte mich bei meiner Ankunft in Stammheim um
18.30 Uhr tel. darüber, daß er nur dann zu kommen
In der Nacht vom 26. zum 27. September trägt der beabsichtige, wenn dies unumgänglich sei.
Wachhabende ins Kontrollbuch ein:
,,23.00 Uhr Medikamente an Baader und Raspe aus- 2. RASPE wurde mir um 18.45 Uhr im Besucherzimmer
gegeben. 1199 vorgeführt. In Gegenwart des Amtsinspektors HAUK
erklärte er folgendes:
Im Hinblick auf die Frage 2 (Frage nach dem Zielort in
27. September, Dienstag dem am 13.09.77 vorgelegten Fragebogen) habe er
eine Ergänzung anzubringen. Er könne die Liste der
BKA-Mann Klaus fordert Jan-Carl Raspe auf, Länder bisher genannten Aufnahmeländer um einige erweitern.
anzugeben, in die er ausgeliefert werden will. Das Dann überreichte RASPE mir ein Schriftstück im DIN A 4
Gespräch zwischen beiden findet in Gegenwart von -Format mit einer vorbereiteten maschinenschriftlichen
Amtsinspektor Hauk ab 18.45 Uhr im Besuchszimmer Erklärung folgenden Inhalts:
statt.

40 ~ 41
"Für den Fall, daß die Bundesregierung wirklich den
Austausch versucht und vorausgesetzt, die bereits
genannten Länder - Algerien, Libyen, Vietnam, Irak,
Südjemen - lehnen die Aufnahme ab,
r
I
Zum Schluß meinte Raspe, die Aufnahme in einem
der genannten Länder hänge von der Intensität ab, mit
der sich die Bundesregierung ernsthaft darum bemühe.

nennen wir noch eine Reihe weiterer Länder: 3. Die Anstaltsbediensteten zeigten mir nach dem
- Angola Gespräch mit RASPE die neu installierte Vorrichtung zur
- Mozambique Unterbindung der akustischen Kontakte zwischen den
- Guinea-Bissau Gefangenen durch die mit Lüftungsschlitzen versehe-
- Äthiopien nen Zellentüren. Die Türen werden nach dem Einschluß
27.9.77 Raspe" von außen mit Holzplatten abgedeckt, an deren oberem
Ende eine Schaumgummiauflage zur Abdichtung der
Raspe wurde verlegen, als ich im Hinblick auf den Luftschlitze angebracht worden ist.
Gebrauch des Fürwortes "wir" und die Aufzählung der
von Baader genannten 5 Aufnahmeländer vorhielt, daß 4. AP Boeden und BA Löchner wurden von mir fernmünd-
man sich wohl untereinander verständigt habe. lich voraus über das Ergebnis des Besuchs unterrichtet.
Er unterzeichnete das Original und eine Kopie des Das LKA Stuttgart (KR Textor) erhielt ebenfalls von mei-
Schriftstückes und übergab mir beide mit der Bitte, sie nem Besuch bei RASPE und der Tatsache Kenntnis,
an den Krisenstab weiterzuleiten. daß vier weitere Aufnahmeländer genannt worden
seien.
Auf meine Frage, ob er noch etwas zu sagen habe,
fuhr er fort: (Klaus) EKHK100
Die lange Dauer (der Entführungsaktion) lasse auf die
Absicht einer "polizeilichen Lösung" schließen. Damit In der Nacht vom 27. zum 28. September vermerkt der
wäre eine "politische Katastrophe" programmiert, näm- Wachhabende im Kontrollbuch:
lich "tote Gefangene". ,,18.50 Uhr Baader verlangt nach einer Optipyrin
(ausgehändigt)
Im übrigen sei die Isolation z.Zt. nach außen total. Es 23.00 Uhr Medikamentenausgabe durch den Sani-
sei nicht einzusehen, warum man nicht wenigstens die täter.
Gefangenen innerhalb der Anstalt miteinander kommu- 23.55 Uhr Baader verlangt nach einer Optipyrin (aus-
nizieren lasse, zumal die Isolation offenbar gesetzlich gegeben). ,,101
legitimiert und damit auf eine andere Ebene gehoben
werden solle.
Wenn keine Entscheidung getroffen werde, dann
könne dieser Zustand möglicherweise noch drei Monate
29. September, Donnerstag
dauern. Daraufhin gab ich ihm als meine persönliche Zahlreiche Juristinnen und Juristen aus der BRD und
Auffassung zu bedenken, daß dem durch eine Botschaft Dänemark appellieren an den Bundespräsidenten
der Gefangenen, die Entführungsaktion zu beenden, wegen der Gefahr, daß die minimalsten Menschen-
abgeholfen werden könne. rechte durch das Gesetz zur Änderung des Gerichtsver-
42 43
fassungsgesetzes (Kontaktsperregesetz) beseitigt wer-
den. Sie verlangen deshalb, es nicht auszufertigen und
nicht verkünden zu lassen:
r ten und die Stellung der Strafverteidiger
werden.
in Frage gestellt

Nach § 31 der geplanten Änderung des Einführungsgeset-


zes zum Gerichtsverfassungsgesetz können Gefangene
APPELL schon dann durch Beschluß der Justizbehörden von jedwe-
dem Kontakt ausgeschlossen werden, wenn gegen sie ein
Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Haftbefehl wegen Betätigung für eine terroristische Vereini-
gung besteht.
Die Unterzeichner erklären: "Besteht eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder
in der Bundesrepublik steht die Verabschiedung eines Freiheit einer Person und begründen bestimmte Tatsachen
Gesetzes unmittelbar bevor, durch das unter bestimmten den Verdacht, daß die Gefahr von einer terroristischen Ver-
Bedingungen "jedwede Verbindung von Gefangenen einigung ausgeht, so kann die Feststellung getroffen wer-
untereinander und mit der Außenwelt ohne jede Aus- den, daß es zur Abwehr dieser Gefahr erforderlich ist, jed-
nahme" unterbrochen werden kann. Dieses Gesetz soll das wede Verbindung von Gefangenen untereinander und mit
rechtswidrige Besuchsverbot von Rechtsanwälten bei der Außenwelt zeitweilig zu unterbrechen." (§31 EGGVG)
wegen des Vorwurfs der "terroristischen Vereinigung" Das Recht, diese Feststellung zu treffen, soll nicht bei
(§ 129a StGB) Angeklagten oder Verurteilten legalisieren. den Gerichten, sondern bei der Exekutive (Bundes- oder
Das Besuchsverbot wurde bisher unter Berufung auf einen Landesregierung) liegen. (§ 32). Die gerichtliche Überprü-
"rechtfertigenden Notstand", der angeblich seit dem 5.9.77, fung braucht erst nach einer Woche zu erfolgen (§ 34). Die
dem Tag der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Maßnahme ist auf 30 Tage begrenzt, kann aber wiederholt
Hanns-Martin Schleyer besteht, durchgeführt. Das bisher werden (§ 35).
beispiellose Besuchsverbot soll jetzt nach bereits dreiwö- Wir stellen fest:
chiger Praktizierung noch in dieser Woche, in der das - diese Rechtskonstruktion . (Außerkraftsetzung von
Gesetz erstmalig als Entwurf veröffentlicht wurde, verab- Grundrechten durch Feststellung und Beschluß der
schiedet werden. Exekutive mit sofortiger Vollziehbarkeit) findet eine for-
Dieses in Presse und Medien einmütig als "ungewöhn- male Entsprechung nur noch in den Gesetzen zur Rege-
lich" bezeichnete Blitzverfahren der Gesetzgebung hat uns lung des Notstandes oder des Spannungsfalles;
alarmiert. Wir sehen uns dadurch veranlaßt, auf die Tatsa- - das Gesetz sieht im Gegensatz zum geltenden Recht die
che hinzuweisen, daß dieses Vorgehen eine abwägende kollektive Regelung des Haftstatuts einer Gruppe von
und gründliche Diskussion unmöglich macht und damit eine Gefangenen vor und nimmt damit Abschied von der
öffentlich vorgebrachte Opposition erst gar nicht zustande grundlegenden Erfordernis einer Begründung im Einzel-
kommen läßt. Unser dringender Appell an Sie, Herr Bun- fall;
despräsident, soll deutlich machen, daß wir dieses Vorge- - die Regelung stellt einen Einbruch der Exekutivgewalt in
hen ablehnen. Die vielfältigen Bemühungen, zur Bekämp- einen bisher allein der Justiz unterstellten Bereich dar;
fung des Terrorismus neue Gesetze zu schaffen, lassen in - der Entwurf stellt die Einführung eines Ausnahmerechts
diesem Fall die Gefahr am deutlichsten werden, daß grund- bezüglich der Haftbedingungen einer bestimmten
legende Menschenrechte von Angeklagten und Verurteil- Gruppe von Gefangenen dar;

44 45
- ein solches Gesetz entspricht weder dem Grundgesetz
noch den Menschenrechten.
r
I
keine Möglichkeit haben, eine Überprüfung der Rechtmä-
ßigkeit ihrer Inhaftierung zu erreichen. Dies entspricht
einem Internierungsstatus, der bürgerkriegs- oder kriegs-
Die Verweigerung jedweden Kontaktes der Häflinge unter- ähnliche Verhältnisse im Bereich der Justiz voraussetzt.
einander und nach außen geht zudem über die bisherigen Was im Fall der unter dem Verdacht an der Ermordung von
restriktiven Haftbedingungen der wegen § 129a StGB Jürgen Ponto beteiligt gewesen zu sein Verhafteten Eleo-
Angeklagten oder Verurteilten weit hinaus und schafft ein nore Poensgen exemplifiziert werden kann, ist in der Ver-
neu es Haftstatut. Eine unter Umständen mehrmonatige längerung für ganze Gruppen von Menschen im Rahmen
absolute Isolation, dazu auch noch von Untersuchungshäft- von Fahndungsaktionen denkbar: Inhaftierung ohne Mög-
lingen, läßt keinerlei unabhängige Kontrolle der Haftbedin- lichkeit der rechtlichen Gegenwehr, d.h. Internierung.
gungen mehr zu und liefert den Häftling damit jeder mögli-
chen Willkür aus. Eine solche vollständige Außerkraftset- Wir wenden uns an Sie, Herr Bundespräsident, weil die
zung der minimalsten Menschenrechte kann auch denen Schaffung der gesetzlichen Möglichkeiten der Außerkraft-
gegenüber nicht hingenommen werden, gegen die der setzung grundlegender Menschenrechte gegen welche
schwere Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereini- Personengruppe auch immer in einem Blitzverfahren der
gung erhoben oder durch Urteil bestätigt worden ist. Ihre Gesetzgebung, das jede Möglichkeit der Stellungnahme
geistige und körperliche Unversehrtheit darf nicht zur und Diskussion der nationalen und internationalen Öffent-
Disposition der Exekutive gestellt werden. lichkeit ausschließt, in der BRD nicht Wirklichkeit werden
Die in diesem Gesetz enthaltene Beschränkung der darf. Die Aufmerksamkeit der durch dieses Vorhaben beun-
Rechte der Anwälte und die pauschale Verdächtigung aller ruhigten und alarmierten nationalen und internationalen
Anwälte, die in Verfahren wegen des Vorwurfs des § 129 a Öffentlichkeit ist auch auf Sie gerichtet als Repräsentant
StGB verteidigen oder Verurteilte betreuen, ist eine grobe dieses Staates und seiner demokratischen Grundlagen.
Infragestellung der unabhängigen und gesetzlich beson-
ders privilegierten Positionen der Strafverteidiger. Dieser 29. September 1977
Umstand wiegt umso schwerer, als sich die in der öffentli-
chen Diskussion zu diesem Thema gegen eine Reihe von Rechtsanwalt Hartrnut Scharmer, Hamburg
Anwälten erhobenen Vorwürfe des schwerwiegenden straf- Rechtsanwälte Helmut und Manfred Böddeling, Hamburg
würdigen Mißbrauchs ihrer Stellung bisher in keinem Rechtsanwalt Wolf-Dieter Reinhard, Hamburg
ordentlichen Strafverfahren bestätigt haben. Wir wenden Rechtsreferendarin Annette Voges, Hamburg
uns sowohl gegen die unterschiedslose Anwendung eines Rechtsreferendarin Friderike Heuer, Hamburg
solchen Besuchsverbotes bzw. dessen gesetzliche Veran- Rechtsanwalt Heldmann, Darmstadt
kerung, als auch gegen seine Anwendung bzw. gesetzliche Rechtsanwalt Conradis, Duisburg
Verankerung ohne beweiskräftige und nachprüfbare Rechtsanwältin Gebauer, Hamburg
Grundlage in jedem einzelnen Fall. Rechtsanwalt (GESCHWÄRZT), München
Rechtsanwalt (GESCHWÄRZT), Hamburg
Der vorliegende Entwurf läßt eine Situation zu, in der unter Verein "Demokratischer Rechtsanwälte", Dänemark102
dem Verdacht des Verstoßes gegen den § 129 a StGB
Verhaftete über die Zeit von mehreren Monaten hinweg,

46 47
Irmgard Möller berichtet später über diesen Tag:
"Am 29. September hatte Andreas die Initiative
ergriffen, damit jemand vom Bundeskanzleramt
komme. Am selben Tag sagte Andreas zu Jan, er habe
das mit dem Bundeskanzleramt angeleiert. Das BKA
r
[
wicklung in der Bundesrepublik und auf die Haflsitua-
tion seiner Mandanten einging.107

In der Sicherheitsabteilung III der JVA Stuttgart-


Stammheim signalisiert das Kontrollbuch weiterhin
konnte die Dimension der Sache nicht erfassen. Es war Ruhe und Ordnung; der Wachhabende notiert in der
unklar, ob der Bundesregierung die politischen Impli- Nacht vom 29. zum 30. September:
kationen einer Freilassung klar waren. Es war die ,,20.00 Uhr Baader verlangt eine Optipyrin (ausge-
Bedingung dafür, daß überhaupt jemand vom Bundes- händigt)
kanzleramt kam, daß die Regierung bereit war, uns 23.00 Uhr Medikamentenausgabe durch Sani an Baa-
auszutauschen. ,,103 der und Raspe.
2.15 Uhr 1 Dolviran an Baader abgegeben." 108
In Stammheim untersuchen in Gegenwart von Anstalts-
arzt Dr. Henck die Professoren Müller und Schröder aus In der Nacht vom 30. September zum 1. Oktober heißt
Stuttgart Irmgard Möller und Andreas Baader.104 es:
"18.10 Uhr Baader verlangt eine Optipyrin (ausge-
händigt)
30. September, Freitag 20.25 Uhr bis 20.39 Uhr wurde Baader von H. Listner
in der Zelle gespritzt (Zellentüre wurde geöffnet) s.
Unter dem Vorwand, Nachrichten und Verbindungen Meldung!
zwischen Guerilla und Häftlingen der RAF zu unterbin- 23.00 Uhr Medikamente an Baader ausgegeben." 109
den, wird die Kontrolle und Schutzfunktion der verblie-
benen Verteidiger für das Leben der Häftlinge aufgeho- Diese Spritze ist nach den Feststellungen des baden-
ben. Sie werden kaltgestellt. Rechtsanwalt Arndt Mül- württembergischen Untersuchungsausschusses ärzt-
ler aus Stuttgart wird wegen Verdachts der Unterstüt- lich nicht verordnet. 110 Dennoch wird sie vom Sanitäter
zung einer terroristischen Vereinigung auf Antrag der Listner verabreicht.
Bundesanwaltschaft festgenommen und nach Haftbe- Wer hat also Listner veranlaßt, diese Spritze ohne
fehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes ärztliche Verordnung zu verabreichen?
inhaftiert. 105 Welcher Art ist diese Spritze und was sollte mit ihr
Nun ist auch Gudrun Ensslin ohne ortsansässigen bezweckt werden?
Verteidiger, genau wie Irmgard Möller, deren Verteidi-
ger Armin Newerla bereits zuvor festgenommen und
inhaftiert worden ist. 106 1. Oktober, Samstag
An diesem Tag wird nach fast drei Monaten Aufent-
halt in Frankreich auch Rechtsanwalt Klaus Croissant in Die "Welt" meldet: "Bundestagspräsident Kai-Uwe von
Paris verhaftet, nachdem er in verschiedenen Zeitun- Hassel trat für eine ernsthafte Diskussion ein über die
gen und dem französischen Fernsehen Interviews gege- Einführung der Todesstrafe für Menschenraub, Entfüh-
ben hatte, in denen er kritisch auf die politische Ent- rung und Terrorismus. 11111

48 49
In der Nacht vom 1. zum 2. Oktober heißt es im Nacht-
kontrollbuch:
,,23.10 Uhr Medikamente an Raspe und Baader aus-
gegeben.
r
, Der Anstaltsleiter wird erneut fernmündlich angewie-
sen, die betroffenen Häftlinge Andreas Baader, Gudrun
Ensslin, Irmgard Möller und Jan-earl Raspe von jegli-
chem Kontakt sowohl mit der Außenwelt einschließlich
2.25 Uhr 1 Dolviran an Baader ausgegeben."" 112 der Verteidiger als auch untereinander fernzuhalten.
Der Anstaltsleiter wird wiederholt angewiesen, die
Kontaktsperre zu organisieren.114
2. Oktober, Sonntag Volker SpeiteI, zuletzt Bürogehilfe im Stuttgarter Büro
Das Kontaktsperregesetz tritt in Kraft. Damit ist die der Rechtsanwälte Arndt Müller und Armin Newerla,
Staatsnotwehr gesetzlich verankert. Konkret besagt das läßt sich von der Polizei im "Skandinavien -Express"
Gesetz, daß ein Häftling, dessen Freilassung gefordert von Kopenhagen nach Hamburg kurz hinter der Staats-
wird, totalisoliert werden kann. grenze in Puttgarden festnehmen.
Danach können der Bundesminister der Justiz oder Bei seiner Vernehmung gibt er das "Geheimnis" des
eine Landesregierung folgende "Feststellung" treffen: 7. Stocks preis: In den Häftlingszellen befinden sich
Schußwaffen. Von nun an wird ihn die Bundesanwalt-
schaft als Kronzeugen benutzen.
(§ 31) Besteht eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib
oder Freiheit einer Person, begründen bestimmte Tatsa- In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober werden mehrere
chen den Verdacht, daß die Gefahr von einer terroristischen Ereignisse im Kontrollbuch festgehalten:
Vereinigung ausgeht, und ist es zur Abwehr dieser Gefahr ,,19.30 Uhr Baader verlangt Optipyrin.
geboten, jedwede Verbindung von Gefangenen unterein- 19.45 Uhr Sicherung von 715 (Baader) fliegt zweimal
ander und mit der Außenwelt einschließlich des schriftlichen heraus.
und mündlichen Verkehrs mit dem Verteidiger zu unterbre- 21.00 Uhr Baader verlangt Optipyrin (wurde ausge-
chen, so kann eine entsprechende Feststellung getroffen händigt)
werden. Die Feststellung darf sich nur auf Gefangene 22.50 Uhr Baader verlangt 1 Dolantinspritze, die ihm
beziehen, die wegen einer Straftat nach § 129 a des Straf- gegen 23.20 Uhr verabreicht wurde. Siehe Meldung.
gesetzbuches oder wegen einer der in dieser Vorschrift Springer. "115
bezeichneten Straftaten rechtskräftig verurteilt sind oder Eine solche Spritze ist ärztlich verordnet. Nach den
gegen die ein Haftbefehl wegen des Verdachts einer sol- Feststellungen des Untersuchungsausschusses wird
chen Straftat besteht; das gleiche gilt für solche Gefange- Andreas Baader am 2. Oktober eine Ampulle Dolantin
nen, die wegen einer anderen Straftat in Haft sind und spezial verordnet. 116 Welche Wirkung hat diese Spritze?
gegen die der dringende Verdacht besteht, daß sie diese Wer verordnete diese Spritze? Wo sind die im Kontroll-
Tat im Zusammenhang mit einer Tat nach § 129 a des Straf- buch vermerkten "Meldungen " verblieben?
gesetzbuches begangen haben. Die Feststellung ist auf In der Nacht vom 3. zum 4. Oktober wird im Kontroll-
bestimmte Gefangene oder Gruppen von Gefangenen zu buch vermerkt:
beschränken, wenn dies zur Abwehr der Gefahr ausreicht 23.10 Uhr Medikamente an Baader und Raspe ausge-
( ... ).113 geben.

50 51
1.35 Uhr Baader verlangt
digt). ,,117
Optipyrin (ausgehän- r In der Nacht vom 4. zum 5. Oktober vermerkt der Wacb-
habende im Kontrollbuch:
,,19.30 Uhr Baader verlangt Optipyrin und Brand-
salbe (ihm sei kochendes Wasser über den Fuß gelau-
4. Oktober, Dienstag fen), ausgehändigt.
23.05 Uhr Medikamente an Baader und Raspe ausge-
Das Bundesverfassungsgericht verwirft den Antrag geben. ,,125
Gudrun Ensslins auf einstweilige Anordnung, ihr Ver-
teidigerbesuche zuzulassen.118 Irmgard Möller hält in ihrem Bericht der Ereignisse u. a.
Die Vollzugsanstalt regelt - wie mit dem Justizmini- fest, daß ab diesem Tag nachts der Strom abgeschaltet
sterium besprochen - die Kontaktsperre in allen Einzel- wird. 126
heiten durch eine Hausverfügung.119

Andreas Baader wird von Zelle 715 in die Zelle 719


verlegt. Vor der Verlegung wird er durchsucht und muß
sich dafür völlig entkleiden. Einer der beteiligten 5. Oktober, Mittwoch
Durchsuchungsbeamten beschreibt später diesen Vor-
gang gegenüber der Kriminalpolizei folgendermaßen:
,,(... ) Von den Beamten meiner Gruppe wurde die Die Verteidigung erhält vom Oberlandesgericht Stutt-
Zelle des Baader geöffnet, Baader wurde selbst aufge- gart die Nachricht, daß der Vorsitzende mit Verfügung
fordert, die Zelle zu verlassen und wurde in eine andere vom 5. Oktober 1977 die Zustellung des Strafurteils an
total leere Zelle verbracht. Dort mußte er sich ausziehen die Angeklagten in den nächsten Tagen angeordnet
und bekam neue Wäsche. Ihm wurde ebenfalls eine hat, was auch geschieht.127
neue Matratze ausgehändigt. Nach diesen Maßnahmen In diesem über 300 Seiten starken Urteil wird den
wurde Baader in diese Zelle eingeschlossen ... " 120 Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und J an-
Als Grund für die Zellenverlegung wird angeführt: Carl Raspe u.a. die Bildung einer kriminellen Vereini-
"Fund der Minox und Verlegung von 715 nach 719 auf gung zur Last gelegt.
ärztliche Anordnung. ,,121
Diese ärztliche Anordnung befindet sich nicht in den Richter Bertsch am Amtsgericht Stuttgart-Bad Cann-
Akten. statt wird von Anstaltsleiter Nusser angerufen, der ihm
Jan-Carl Raspe wird von Zelle 718 auf Zelle 716 ver- mitteilt, Raspe wolle einen Antrag nach den §§ 23 ff.
legt. Auch er wird vor der Verlegung durchsucht und EGGVG (Antrag auf gerichtliche Entscheidung) stellen.
muß sich völlig entkleiden.122 Als Grund wird ange- Nachmittags im Vernehmungszimmer der Anstalt
führt: "Kontaktsperre". 123 wird Raspe vorgeführt, und in Gegenwart von Oberver-
walter Bubeck und dem Urkundsbeamten wird der
Irmgard Möller wird von Professor Schröder vom Bür- Antrag auf Aufhebung der Kontaktsperremaßnahmen
gerhospital / Stuttgart nach untersucht. 124 protokolliert.

52 53
Richter Bertsch wird mitgeteilt, daß auch Andreas Baa-
der einen solchen Antrag stellen und einen Richter spre-
chen wolle. Baader wird dann ebenfalls vorgeführt.
Auch sein Antrag wird in Gegenwart von Bubeck proto-
r unterbrechung auch für den Gefangenen Z. angeordnet
hat. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. ,,132
Der Antrag auf einstweilige Anordnung zur Durch-
führung eines Verteidigerbesuches wird mit der
kolliert und dann an das Oberlandesgericht Stuttgart Begründung zurückgewiesen:
weitergeleitet. 128 "Würde diese Verbindung (zwischen den unter dem
Verdacht terroristischer Gewalttaten Inhaftierten und
Am Nachmittag wird Richter Heinz am Amtsgericht Verteidigern) durch Außervollzugsetzung der einstwei-
Stuttgart/Bad Cannstatt zur Anstalt gerufen, weil auch ligen Besuchsverbote wiederhergestellt werden, so
Gudrun Ensslin einen Antrag nach den § § 23 ff. EGGVG bestünde die ernsthafte Gefahr, daß den Entführern Dr.
stellen wolle. Ihm wird Gudrun Ensslin vorgeführt. Im Schleyers und anderen terroristischen Gewalttätern aus
Vernehmungszimmer übergibt Gudrun Ensslin im Bei- den Vollzugsanstalten heraus unterstützende Hinweise
sein des Urkundsbeamten und des Oberverwalters oder Weisungen zugespielt würden, welche das Leben
Bubeck einen handgeschriebenen Brief. Der Antrag der Geisel zusätzlich gefährden, die Bemühungen der
wird entgegengenommen und an das Oberlandesge- Behörden um eine Lösung des Entführungsfalles verei-
richt Stuttgart weitergeleitet. 129 teln oder erheblich erschweren und eine Bedrohung
von Leib und Leben weiterer Personen bewirken
Anstaltsarzt Dr. Henck führt ein letztes Gespräch mit könnten. ,,133
Irmgard Möller in Anwesenheit von Professor Müller,
der die Gefangene untersucht. 130
6. Oktober, Donnerstag
Der Bundespräsident läßt den in- und ausländischen
Appellanten mitteilen, er sei zur Auffassung gelangt, Richter Heinz wird erneut in die Vollzugsanstalt Stutt-
daß verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Kon- gart-Stammheim gerufen und nimmt dort den Antrag
taktsperregesetz nicht bestünden und er dieses Gesetz nach den §§ 23 ff. EGGVG von Irmgard Möller ent-
habe ausfertigen und verkünden lassen.131 gegen.134

Das Bundesverfassungsgericht läßt auf Antrag des Bun- Schreitmüller will Jan-Carl Raspe in eine "Beruhi-
desjustizministers die Kontaktsperre auch für Häftlinge gungszelle " bringen lassen.135 Dr. Heck tritt dem entge-
gelten, die nicht wegen Mitgliedschaft in einer krimi- gen. Er führt das letzte Gespräch mit Jan-Carl Raspe.136
nellen Vereinigung (§ 129 StGB) verurteilt worden sind Er unterrichtet die Anstaltsleitung davon, daß nach sei-
und konstruiert: nem Gesamteindruck davon ausgegangen werden
"Das beigezogene Urteil (Freiheitsstrafe von 15 Jah- muß, daß sich Raspe "in einem ausgeprägten depressi-
ren wegen versuchten Mordes) kann den dringenden ven Verstimmungszustand" befinde und "suicidale
Verdacht rechtfertigen, Z. habe die Tat im Zusammen- Absichten" habe anklingen lassen.137
hang mit einem Vergehen nach § 129 StGB begangen.
( ... ) Diese nicht näher überprüfbare Annahme hat dazu Tatsächlich sei Baader erst an diesem Tag in die Zelle
geführt, daß der Bundesminister für Justiz ( ... ) Kontakt- 719 verlegt worden - entgegen der Darstellung der
54 55
Anstaltsleitung -, damit er, wie die Bundesregierung
später der Menschenrechtskommission erklärt, "wegen
einer Myalgie der Rückenmuskulatur besser gymnasti-
sche übungen betreiben und ein Rudergerät benutzen"
r
i "Kurz vor dem Hungerstreik hatte ich einen
geschwollenen Hals. Ich sagte dem Anstaltsarzt
Bescheid. Dieser sagte Schröder Bescheid, daß er mich
untersuchen soll. Andreas sprach über wahnsinnige
könne.13B In welcher Zelle ist er vom 4. bis zum 6. Okto- Kopfschmerzen. Als ich ihm sagte: ,Morgen kommt
ber dann aber wirklich gewesen? Schröder', sagte er: ,Sorge dafür, daß er auch zu mir
kommt.'
Als beschämend bezeichnet die Vereinigung Demokra- Auffälligerweise hörten drei bis vier Tage nach
tischer Juristen (VDJ) die Haltung der großen Mehrheit Beginn des Hungerstreiks die Schmerzen auf.
der Bundestagsparteien bei der Verabschiedung des Sämtliche Maßnahmen seit dem 5. (Verfügung von
Kontaktsperregesetzes. Nach einer Konferenz in Mainz Nusser: kein gemeinsamer Einkauf, kein Berühren von
erklärt die Vereinigung, schon die Art und Weise des gemeinsamen Gegenständen, Sperre des Obsteinkaufs,
Zustandekommens dieses Gesetzes habe jegliche Sperre der Zulagen) bedeuteten, daß wir unmittelbar
demokratische Beteiligung betroffener Bevölkerungs- auf das Anstaltsessen festgelegt wurden. Wir wurden
kreise ausgeschlossen, um einem künstlich gezüchte- mit der Nase in das Anstaltsessen gezwungen. Da b/eka-
ten Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Sofortmaßnah- men wir die Assoziation nach Vergiftung. Ich hatte seit
men zum Nachteil sachlicher Besonnenheit gerecht zu dem 13. das Essen reingenommen (in die Zelle), aber
werden. Die VDJ wende sich gegen die rechtspoliti- nichts mehr gegessen, und ich gehe davon aus, daß die
schen Tendenzen, die sich in den Bundestagsparteien anderen das auch gemacht haben. ,,142
mehr und mehr durchsetzen. Die VDJ halte die Kontakt-
sperre insofern mit der Menschenrechtskonvention für Am selben Tag richtet Andreas Baader gegen diese
unvereinbar, als die Möglichkeit, sich bei der Verhaf- Anstaltsverfügung an Haftrichter Foth eine Beschwerde
tung mit einem Rechtsanwalt seiner Wahl in Verbin- mit Zusatzschreiben. Dieser Beschwerde wird nicht ab-
dung zu setzen zu den grundlegenden Bedingungen geholfen.
eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens gehöre.139
Beschwerde

7. Oktober, Freitag gegen die verfügung schreitmüllers, die nach dem einkauf-
denn wir können nach der totalisolation weder verwandte
Heute werden nach einer Meldung der Anstalt den noch anwälte darüber informieren, dass unsere konten bei
Häftlingen "die Verfügungen der Anstaltsleitung - der anstalt leer sind - auch noch den zusatzeinkauf von
betreffend die Untersagung der Obsteinkäufe " ausge- obst, den der haftrichter angeordnet hat, verbietet.
händigt.14o Nach wenigen Minuten läutet Andreas Baa- die behauptung, unser gesundheitszustand hätte sich so
der und wirft einem Bewacher die gerade ausgehän- gebessert, dass obst nicht ,mehr erforderlich' ist, ist falsch.
digte Verfügung vor die Füße.141 nach den feststellungen der ärzte dr. müller, schröder und
Irmgard Möller erklärt später vor dem baden-würt- rasch und wahrscheinlich des anstaltsarztes henk, soweit
tembergischen Untersuchungsausschuß: er zu feststellungen in der lage ist, hat sich der zustand
zwischen der ersten untersuchung - nach der der zusatz-

56 57
einkauf genehmigt wurde- und der zweiten rasch b.z.w. der
letzten von müller und schröder vor kurzem, verschlechtert,
weil die haftbedingungen kaum gelockert worden sind. wie
man weiss, sind sie inzwischen - im 6. jahr der untersu-
r Während am 10. Oktober das Zusatzscbreiben mit der
Beschwerde beim Oberlandesgericht eingeht, gelangt
in die Verfahrens akte nur das Zusatzschreiben, die
Beschwerde hingegen in die Hände des Generalbun-
chungshaft extrem verschärft worden, tatsächlich sind sie desanwaltes. Erst nach Jahren händigt er sie aus.
unmenschlicher als am ersten tag: Die Verfügung der Anstalt vom 7. Okt. findet sich
1. wir sind total von jeder sozialen interaktion - auch mit nicht bei den Akten.
rechtsanwälten - abgeschnitten.
2. die anstalt hat eine konstruktion ersonnen, die von 16 Die Süddeutsche Zeitung zitiert in einem Artikel auf der
uhr bis 7.30 die zellen auch schall isoliert. Titelseite den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß:
3. wir haben weder radios, noch zeitungen oder zeitschrif- "Man sollte einmal die, die für die Freiheit des Volkes
ten und wir können keine bücher mehr bestellen - auch angeblich kämpften, dem Volk überlassen, dann brau-
nicht in der anstaltsbibliothek. chen die Polizei und die Justiz sich nicht mehr darum zu
4. der einkauf ist praktisch gestrichen. kümmern. ,,144
5. die bewegung im freien ist von 130 minuten auf 30
minuten reduziert worden.
demgegenüber von gleichbehandlung zu sprechen, ent- 8. Oktober, Samstag
spricht dem sadismus der massnahmen selbst.
Baader Der stellvertretende Anstaltsleiter und Sicherheitsbe-
auftragte der Anstalt, Schreitmüller, geht in Urlaub.145
Er wird erst nach dem Tod der Häftlinge wieder zum
zusatz zu der beschwerde vom 7.10. Dienst erscheinen.
aus dem zusammenhang aller massnahmen seit 6
wochen und ein paar bemerkungen der beamten, lässt Für die zum Nichtaustausch entschlossene Bundesre-
sich der schluß ziehen, dass die administration oder der gierung setzt in diesen Tagen BKA-Chef Herold die
staatsschutz, der - wie ein beamter sagt - jetzt perma- Scheinverhandlungen mit den Häftlingen fort:
nent im 7. stock ist- die hoffnung haben, hier einen oder
mehrere selbstmorde zu provozieren, sie jedenfalls
plausibel erscheinen zu lassen. BN-Bad Godesberg, den 8.10.
ich stelle dazu fest: keiner von uns - das war in den paar Vermerk
worten die wir vor zwei wochen an der tür wechseln Betreff
konnten und der diskussion seit jahren klar - hat die Entführung Hanns Martin SCHLEYER;
absicht, sich umzubringen. sollten wir - wieder ein hier
beamter - hier ,tot aufgefunden werden' sind wir in der Gespräch mit Andreas BAADER
guten tradition justizieller und politischer massnahmen
dieses verfahrens getötet worden. Gegen 14.00 Uhr teilte die JVA Stamm heim (BUBECK)
Andreas Baader telefonisch mit, daß BAADER um den Besuch des Unter-
7.10.19 Uhr143 zeichners bis 16.00 Uhr gebeten habe. Auf Anordnung des

58 59
Herrn Präsidenten flog ich gegen 15.00 Uhr mit einem BGS-
Hubschrauber nach Stuttgart-Stammheim.
Um 17.45 Uhr wurde mir BAADER im Besucherzimmer
des 7. Stockwerks der Haftanstalt vorgeführt. Er fragte
zunächst, ob ich ihm etwas zu sagen habe. Als ich ver-
r
,
außen - Kenntnis erlangt und dies zum Anlaß für seine
Erklärung genommen hat.
gez.
, (Klaus) EKHK

neinte, gab er nervös und unzusammenhängend folgende


Erklärung ab: 9. Oktober, Sonntag
Wenn das "jämmerliche Spiel" und die "Potenzierung der
Isolation seit 6 Wochen" nicht bald ein Ende finde, dann Vermerk:
würden die Gefangenen entscheiden. Das "polizeiliche Kal- Betr.: Entführung Hanns Martin SCHLEYER;
kül werde nicht aufgehen". Die Sicherheitsorgane würden hier: Erklärung der U-Gefangenen Gudrun ENSSLIN
dann mit einer "Dialektik der politischen Entwicklung kon-
frontiert" werden, die sie zu "betrogenen Betrügern" Am heutigen Sonntag, gegen 09.30 Uhr, erhielt ich telefo-
mache. nisch Kenntnis davon, daß Gudrun ENSSLIN um 07.55 Uhr
Die Gefangenen beabsichtigten nicht, die gegenwärtige meinen Besuch erbeten habe. Weisungsgemäß begab ich
Situation länger hinzunehmen. Die Bundesregierung werde mich mit einem Dienst-Pkw zur JVA Stuttgart-Stammheim.
künftig nicht mehr über die Gefangenen verfügen können." Dort wurde mir um 14.30 Uhr im Besucherzimmer des 7.
Als ich daraufhin fragend einwarf, in welcher Welt er Stocks Gudrun ENSSLIN vorgeführt. Sie brachte den hand-
eigentlich lebe und ob das nicht irreale Vorstellungen seien, schriftlich konzipierten Text einer Erklärung mit und bat
erwiderte BAADER: darum, diesen wörtlich aufzunehmen und dem Krisenstab
Dies sei eine Drohung. Es werde sich um eine "irreversi- zu übermitteln. Die maschinenschriftliche Aufnahme, die
ble Entscheidung" der Gefangenen "in Stunden oder eigenhändige Niederschrift und die Unterzeichnung lehnte
Tagen" handeln. sie ab. Sie forderte jedoch, daß der anwesende Beamte der
BAADER stand anschließend auf und verließ das Besu- JVA, Herr BUBECK, den von ihr verlesenen Text mit-
cherzimmer. Auf dem Flur blieb er stehen, wandte sich noch schreibt und dem Anstaltsleiter übermittelt. Die Erklärung
einmal an mich und sagte, falls die Bundesregierung die hat folgenden Wortlaut:
Gefangenen auszufliegen beabsichtige, dann wollten sie "Wenn diese Bestialität hier, die ja auch nach Schleyers
nicht irgendwo hingebracht, sondern an den Verhandlun- Todnicht beendet sein wird, andauert - die Repressalien im
gen über Zielort und Modalitäten beteiligt werden. sechsten Jahr in der V-Haft und Isolation - und da geht es
Ich gewann bei dem etwa 7 Minuten dauernden um Stunden, Tage, das heißt nicht mal ne Woche - dann
Gespräch den Eindruck, daß BAADER infolge der Isolation werden wir, die Gefangenen in Stammheim, Schmidts Ent-
und der Ungewißheit mit den Nerven am Ende ist. Mit der scheidung aus der Hand nehmen indem wir entscheiden
von ihm genannten Entscheidung der Gefangenen kann und zwar wie es jetzt noch möglich ist, als Entscheidung
nach Sachlage nur ihre Selbsttötung gemeint sein. Ob dies über uns.
ernst gemeint ist und ob die Gefangenen sich darüber Das ist eine Tatsache die die Regierung angeht weil sie
haben verständigen können, ist nicht sicher. verantwortlich ist für die Tatsache die sie begründen - die
Es ist nicht auszuschließen, daß BAADER von dem letz- fünfeinhalb Jahre Folter und Mord, den Schauprozeß, die
ten Lebenszeichen SCHLEYERS - etwa durch Zuruf von totale elektronische Überwachung, die Tortur durch Drogen

60 61
und Isolation - dieses ganze jämmerliche Ritual, um unse-
ren Willen und unser Bewußtsein zu brechen. Verantwort-
lich auch für den Exzess dieser unmenschlichen Konzep-
tion seit sechs Wochen: die perfekte soziale und Geräusch-
isolation und die Masse der Schikanen und Quälereien, die
r Armee, wäre: Die Haftbefehle aufzuheben, in einem der
Länder, die wir zuerst genannt haben, eine Aufenthalts-
genehmigung zu erreichen und die Organisation und die
Mittel für einen undramatischen Transfer (etwa über
Interflug) zu erübrigen.
uns fertigmachen sollen. Es kann keine Drohung sein - sie 4. Darüber ob wir überhaupt bereit sind von der Bundesre-
wäre paradox. Aber ich denke, die Konsequenz bedeutet gierung Geld anzunehmen, wie das Kommando fordert,
zwangsläufig Eskalation und damit das, wovon in der Bun- werden sich die elf Gefangenen nur gemeinsam klar
desrepublik, wenn man den Begriff korrekt verwendet, bis- werden.
her nicht die Rede sein konnte: Terrorismus. 5. Falls die Kolportage richtig ist: Eine Pressekonferenz in
Und es bedeutet auch - das heißt das ist die Prämisse der Aden oder wo immer wäre unwahrscheinlich - es gibt
Entscheidung - das, was die Regierung immer auch ent- zwei weniger spektakuläre Möglichkeiten, um dem Kom-
scheiden kann, für uns gar nicht mehr die Bedeutung haben mando zu signalisieren, daß die Bundesregierung eine
kann, von der sie ausgeht. Die Alternative, um nochmal Aufenthaltsgenehmigung erreicht hat und sich um eine
daran zu erinnern, wäre: Auslieferung nicht bemüht - weder durch politischen
1. Schleyer wird freigelassen, wenn wir die Aufenthaltser- noch durch ökonomischen Druck, wie etwa im Sommer
laubnis und die Gewissheit haben, daß die Bundesregie- 75 in der Volksrepublik Jemen, wo ihr (Euch - der Verf.)
rung keine Versuche - egal welche - unternehmen wird, ja, wenn ich da richtig informiert bin der Versuch, die
die Auslieferung zu erreichen im Zusammenhang aller Gefangenen zurückzukaufen immerhin noch ein Fünftel
Delikte aller möglicherweise freizulassenden Gefange- der Summe wert war, das ihren humanitären Anliegen
nen vor der Befreiung. Gewicht verleihen sollte. "
2. Die Regierung kann davon ausgehen, daß wir, das heißt
die Gruppe um deren Befreiung es geht, nicht in die Auf meine Frage, welcher Art die Entscheidung sei, die sie
Bundesrepublik zurückkommen, weder legal noch il- (die Gefangenen) dem Kanzler abnehmen wollten, erwi-
legal. derte Frau ENSSLlN, das ginge ja wohl aus der Erklärung
3. Wenn die Bundesregierung bereit ist, eine Flugzeugbe- unmißverständlich hervor. Nach den Umständen ist anzu-
satzung zur Verfügung zu stellen und das Land um nehmen, daß die Selbsttötung gemeint ist. Den Vorschlag,
Aufnahme zu ersuchen, wissen wir mit absoluter Sicher- daß sich in gewissen Zeitabständen mehrere Gefangene
heit ein Land, das uns aufnimmt, es kann sein, daß es nacheinander selbst umbringen sollten, um die Hunger-
nicht unter den bisher genannten ist und wir werden es streikforderungen durchzusetzen, hat ENSSLIN 1975
nennen, wenn wir im Flugzeug sitzen, obwohl wir der schon einmal in einem bei der RA'in BECKER gefundenen
Ansicht sind, dass der sicherste Weg für "Leib und Kassiber gemacht. Hinsichtlich ihrer eigenen Person ist die
Leben Schleyers " (so die Formel, nach der wir seit sechs Ernsthaftigkeit dieser Ankündigung nicht auszuschließen.
Wochen Haftbedingungen unterworfen sind, die brutaler Bei den Mitgefangenen ist die Realisierung weniger wahr-
sind, als der tote Trakt in Köln-Ossendorf, das heißt scheinlich - zumal als Alternative zur Freilassung.
tödlich) - die den israelischen Staat beziehungsweise Frau ENSSLIN gab zu, von meinem gestrigen Gespräch
die israelische Armee sicher noch weniger verpflichten mit BMDER erfahren zu haben. Sie machte einen ruhigen
als den westdeutschen Staat beziehungsweise seine und gefaßten Eindruck.

62 63
Nach Mitteilung der Anstaltsbediensteten ist die ggw.
Isolation der betroffenen Gefangenen keineswegs total. Sie
können z.B. Radiosendungen aus den darunterliegenden
Zellen durch die geöffneten Fenster mithören, wenn die
Geräte laut genug eingestellt sind. Auch besteht tagsüber
eine Verständigungsmöglichkeit untereinander mittels
r
!

I
.... diger Hund sei immer damit
Im Zusammenhang noch sagte
besserichals
Wort aus dem Buch "Prediger Salomo".
(Klaus) EKHK.146
zu ein toter Löwe,
RASPE, ein
ein leben-

Zuruf durch die Zellentüren. Die Vorrichtungen zur Abdich- BN-Bad Godesberg, 9.10.1977
tung der Zellentüren können nur nachts angebracht TE
werden.
(Klaus) EKHK Vermerk:

Betr.: Entführung Hanns Martin SCHLEYER


BN-Bad Godesberg, 09.10.1977 hier: Erklärung der U-Gefangenen Irmgard MÖLLER
Vermerk:
Betr.: Entführung Hanns Martin SCHLEYER, Anläßlich meines heutigen Aufenthalts in der JVA Stuttgart-
hier: Gespräch mit Jan Carl RASPE Stammheim auf Wunsch Gudrun ENSSLI Ns verlangte mich
auch Irmgard MÖLLER zu sprechen. Sie wurde mir um
Nach dem Gespräch mit Gudrun ENSSLIN äußerte auch 15.25 Uhr im Besucherzimmer des 7. Stockwerks vorge-
RASPE den Wunsch, mir gegenüber eine Erklärung abge- führt und gab wörtlich folgende - von ihr schriftlich vorberei-
ben zu wollen. Im Besucherzimmer des 7. Stocks um 15.15 tete - Erklärung ab:
Uhr vorgeführt, sagt er sinngemäß folgendes:
Er wolle nachdrücklich an seine Warnung vom 27.09.77 "Ich stel/e nur fest, daß wir entschlossen sind, die Barbarei
erinnern, daß die politische Katastrophe die toten Gefange- dieser Maßnahmen gegen uns, von denen gesagt wird, sie
nen und nicht die befreiten sein werden. Das gehe die gingen bis hin zu der erbärmlichen schal/schluckenden
Bundesregierung insofern an, als sie verantwortlich für die Konstruktion, mit der unsere Zel/en abgedichtet sind, auf
jetzigen Haftbedingungen sei, die darauf abzielten, die die Initiative des Krisenstabs zurück, nicht länger ertragen
Gefangenen als verschiebbare Figuren zu behandeln. Die werden.
Gefangenen würden der Bundesregierung, falls dort keine Ich bin seit über 5 Jahren gefangen und war in dieser Zeit
falle, die Entscheidung abnehmen. 3 Jahre in Trakten und totaler Einzelisolation und 2 Jahre in
Auf meine Frage, ob die Gefangenen sich selbst zu töten Kleingruppenisolation - seit ich in Stammheim bin, wirdjede
beabsichtigen, etwa so wie Ulrike MEINHOF dies getan Lebensäußerung überwacht, solange noch Verteidiger
habe, erwiderte RASPE: zugelassen waren, auch die Verteidigergespräche - al/es
Ich weiß nicht!
Maßnahmen, die für sich grausam und erniedrigend sind:
Nach einigem Nachdenken fügte er hinzu: Folter nach der Definition der UNO, von Amnesty Interna-
Es gebe ja auch das Mittel des Hungerstreiks und des tional und der Menschenrechtskovention. Vor 2 1/2 Jahren
Durststreiks. Nach 7 Tagen Durststreik sei der Tod unaus- haben die Gutachter festgestellt, daß ich durch die Isola-
weichlich, da nützten keine medizinischen Mätzchen mehr tions-Haft krank geworden bin. Seitdem sind die Haftbedin-
etwas.
gungen nicht etwa gelockert, sondern verschärft worden.

64 65
Seit 6 Wochen durch ein perfektes soziales und akusti-
sches Vakuum, in dem Menschen nicht überleben können.
Gleichzeitig ist die Kalorien-Zufuhr auf die Hälfte herab-
gesetzt worden. Die Essensausgabe wird so arrangiert, daß
r Gegen 10 Uhr wünscht Gudrun Ensslin Staatssekretär
Schüler und Bundesminister Wischnewski zu sprechen.
Als EKHK Klaus vom BKA seinen Besuch ankündigt,
erklärt sie, keinen Polizisten sprechen zu wollen, son-
wir nur die Wahl haben entweder zu hungern oder das dern einen Politiker.
Anstaltsessen, dem mit absoluter Sicherheit nach den Fest-
stellungen der Gefangenen (aus der RAF) im 7. Stock Dro- BKA-Präsident Herold weist Klaus an, Gudrun Ensslin
gen zugesetzt werden, anzunehmen. Es ist uns verboten eine Erklärung zu überbringen, wonach Staatssekretär
worden, Gegenstände auch nur zu berühren, die ein ande- Schüler ein Gespräch zwar nicht grundsätzlich ablehne,
rer Gefangener oder überhaupt jemand, außer dem Perso- aber nur dann mit ihr führen wolle, wenn sie den
nal, das die Tortur hier überwacht, in der Hand gehabt Gesprächsgegenstand vorher mitteile.
haben kann.
Ich kann mir weder Bücher noch Papier noch Zeitungen
und Zeitschriften beschaffen und die Radios sind uns weg- 13. Oktober, Donnerstag
genommen worden .••
BN-Bad Godesberg, den 13.10.1977
Zu dem geforderten Austausch der Gefangenen hatte Frau Vermerk
MÖLLER nichts vorzutragen. Betreff
Entführung Hanns Martin Schleyer;
(Klaus) EKHK147 hier
Gespräch mit Gudrun ENSSLIN am 13.10.1977

10. Oktober, Montag 1. Am 12.10.1977, gegen 10.00 Uhr, ließ die Gefangene
ENSSLIN übermitteln, daß sie den Staatssekretär
Anstaltsarzt Dr. Henck führt das letzte Gespräch mit SCHÜLER zu sprechen wünsche. Sie nehme an, daß
Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Beide äußern den dieser bei den Entscheidungsabläufen eine maßgebli-
Verdacht, daß der Anstaltskost Mittel beigefügt sind, che Rolle spiele.
die die Psyche beeinflussen.147a Gegen Mittag erklärte sie, falls Staatssekretär Schüler
Die Nacht vom 11. zum 12. Oktober verläuft ruhig. verhindert sei, wolle sie ein Gespräch mit Bundesmini-
ster Wischnewski führen.
Auf die Ankündigung meines Besuchs hin (gegen
12. Oktober, Mittwoch 17.30 Uhr) erklärte sie gegenüber dem Amtsinspektor
Bubeck, sie wolle keinen Polizisten, sondern einen Poli-
Bei den Häftlingen Gudrun Ensslin, Irmgard Möller, tiker sprechen.
Jan-earl Raspe und Andreas Baader findet eine augen- 2. Gegen 19.00 Uhr erhielt ich von PR den Auftrag, der
fachärztliche Untersuchung durch Professor Schrader Gefangenen Gudrun ENSSLIN eine Mitteilung zu über-
vom Katharinenhospital/Stuttgart statt, 148 bringen, wonach Staatssekretär Schüler ein Gespräch
nicht grundsätzlich ablehne. Dies sei jedoch nur sinnvoll,

66 67
wenn sie den Gesprächsgegenstand vorher mitteile und
dieser über den Inhalt ihrer Erklärung vom 9.10.1977 mir
gegenüber hinausgehe.
r Meine anschließende Frage, ob sie Herrn Staatsse-
kretär Schüler noch sprechen wolle oder nicht, beant-
wortete sie zunächst mit "unter diesen Umständen,
Ich begab mich am gleichen Abend mit dem Dienst- nein".
Pkw nach Stuttgart-Stammheim. Sie zögerte schließlich und bat darum, ihre Mitgefan-
3. Heute, am 13.10.1977, gegen 09.00 Uhr, las ich Frau genen zu informieren. Diese könnten sich dann auch
ENSSLIN im Besucherzimmer des 7. Stockwerks der gleich dazu äußern und brauchten nicht erst wieder- wie
JVA Stamm heim in Gegenwart eines Anstaltsbeamten am Wochenende - nach mir telefonieren zu lassen.
(Miesterfeldt) den vorformulierten Text der Mitteilung Auf dem Rückweg in ihre Zelle versuchte die Gefan-
vor. Sie schrieb wörtlich mit und sagte nach einiger gene ENSSLIN durch Zuruf mit BAADER Kontakt aufzu-
Überlegung: nehmen. Das gelang nur deshalb nicht, weil dieser noch
"Das heißt doch nichts anderes, als daß Schüler mich schlief.
gar nicht sprechen will. Ihr Chef (gemeint war PR Dr. 4. Herr Präsident Dr. Herold wurde von mir gegen 09.30
Herold) hat, wie ich das sehe, in Bonn ja nun wohl die Uhr fernmündlich unterrichtet. Er ordnete an, die ande-
Entscheidungsgewalt in der Hand. " ren Gefangenen nicht zu informieren und zurückzu-
Auf meine Frage, wie sie zu diesem Schluß komme, kehren.
erwiderte Frau ENSSLlN, es gäbe gar keinen anderen Der Anstaltsleiter, Herr Nusser, erhielt vom wesentli-
Gesprächsgegenstand. Daraufhin habe ich ihr gesagt, chen Ergebnis des Gesprächs mit der Gefangenen
ich könne mir durchaus Alternativen zu dem Inhalt ihrer ENSSLIN Kenntnis.
Erklärung vorstellen. Ich sei allerdings nicht ermächtigt, (Klaus) EKHK
diese mit ihr zu erörtern.
Ihre Antwort war: BN-Bad Godesberg, den 13.10.1977
"Die zwei Möglichkeiten, die es gibt, sind in der Erklä- Vermerk:
rung vom 9. 10., soweit überhaupt etwas gesagt werden Betr.: Entführung Hanns Martin Schleyer
kann, vollständig erfaßt. " hier: Telefonat mit der Gefangenen Gudrun Ensslin
Ich erklärte ihr, daß sie mir eine unmißverständliche
Antwort auf die Mitteilung des Staatssekretärs geben Nach vorangegangener Absprache mit dem Leiter der JVA
möge. Sie dachte nach und bat mich, folgenden Text Stammheim, Herrn Nusser, übermittelte die Gefangene
wörtlich aufzunehmen: Ensslin um 16.20 Uhr fernmündlich folgende Nachricht:
"Die Mitteilung geht, so ich sie richtig verstehe, von
einem absurden Kalkül aus, dem nämlich, es könnte "Na gut, wenn wir sagen, wir wollen mit Ihnen oder
Widersprüche zwischen den Gefangenen und dem Wischnewski reden, denn das ist - vielleicht gegen alle
Kommando geben. Erfahrung -
Das ist natürlich Quatsch. " 1. die Frage nach einer Differenz zwischen Politik und Poli-
So wie ich sie verstanden habe, wollte sie damit zei, in der andere Möglichkeiten enthalten sind, als die
sagen, es handele sich um einen Versuch, die Gefange- der Eskalation - der Rationalität aller Politiker, die dazu
nen und die Entführer zu spalten und gegeneinander verurteilt sind, Polizisten zu werden und einer Polizei,
auszuspielen. die so frei ist, die Politik zu machen.

68 69
2. Es geht also darum, dem Staatssekretär - und natürlich Kurmann und der katholische Anstaltsgeistliche Peter
nur, wenn daran gedacht wird - zu erklären, was es Rieder gleichzeitig durch die Kontaktsperre. Auftrags-
bedeutet, uns - diese 11 Gefangenen - frei zu lassen. gemäß testen sie in ökumenischer Eintracht die psycho-
Daß keiner von uns auf die Idee käme, mit einem logische Belastbarkeit von Andreas Baader. Der katho-
Polizisten darüber zu reden - zu dem mir nichts einfällt lische Anstaltsgeistliche berichtet seinem Bischof
als die tödlichen Arrangements der Transporte verletzter Moser, der mit Bundesjustizminister Vogel persönlich
Gefangener, schließlich die Schlinge am Fenster - wis- bekannt ist. 151
sen Sie seit 6 Jahren. Er könnte es nicht verstehen und
also auch nicht verständlich kolportieren. Anstaltsarzt Dr. Henck ist ab heute dienstunfähig er-
3. Wenn also geredet werden soll und ganz im Gegensatz krankt. 152
zu der Unart, die über Sie bekannt geworden ist: Mit Schon unmittelbar vor dem Tode Ulrike Meinhofs und
Ihnen ist es sinnvoll, in den sauren Apfel zu beißen, nur Siegfried Hausners war Dr. Henck nicht im Dienst. Hat
mit Andreas zu reden. " er die künftigen Ereignisse vorausgesehen? Wollte er
die weitere Verantwortung für die medikamentöse
(Klaus) EKHK.149 Behandlung der Häftlinge nicht mehr übernehmen?

In der Nacht vom 13. zum 14. Oktober notiert der Wach-
Bundesjustizminister Vogel beantragt wegen bevorste- habende ins Kontrollbuch:
henden Fristablaufs beim Bundesgerichtshof in Karls- "20.40 Uhr Baader verlangt Spritze.
ruhe die Bestätigung der von ihm am 2. Oktober kraft 21.05 Spritze vom Sani erhalten (Zelle geöffnet)
Gesetzes angeordneten Kontaktsperre für insgesamt 70 22.15 Uhr Baader und Raspe verlangen ihre Medika-
Häftlinge im Bundesgebiet und Westberlin. mente.
Dieser Antrag wird damit begründet, daß die Gefah- 22.50 Uhr Medikamente durch Sani ausgehän-
renlage fortbestehe, die wegen der Schleyer-Entfüh- digt." 153
rung entstanden iSt.150 Für diese Nacht sind ärztlich verordnet:
Da die verhängte Kontaktsperre innerhalb von zwei 1 Ampulle Depot-Impletol,
Wochen vom Bundesgerichtshof bestätigt werden muß, 20ptipyrin-Zäpfchen,
um weiterhin wirksam zu sein, ist dieser Antrag sehr 1 Tablette Adalin und
eilig. 1 Tablette Dolviran.154
Die Kontaktsperre gilt seit dem 2. Oktober, also muß Der Wachhabende Peter Busch, Assistent z.A. bei sei-
der Bundesgerichtshof entweder bis Ende der Woche ner späteren Vernehmung durch die Kripo:
über den Antrag positiv entschieden haben, oder die "Bei meinem letzen Nachtdienst klingelte Baader
Kontaktsperre wird hinfällig. und verlangte durch die Sprechanlage von seiner Zelle
aus eine Spritze gegen Schmerzen am Rücken ... Ich
In die Scheinverhandlungen werden Geistliche einge- setzte mich deshalb mit dem Wachhabenden in Verbin-
schaltet: dung, der den Sanitäter entsprechend unterrichtete. Ich
An diesem Tag dringen um 15.40 Uhr mit Billigung glaube, es war gegen 21.20 Uhr, als der Sanitäter
der Anstaltsleitung der evangelische Oberpfarrer Erwin zusammen mit zwei Beamten der Nachtposten A und B
70 71
bei mir auf dem Stockwerk erschienen. Wir begaben
uns nun zur Zelle Baader, wo der Sanitäter Baader eine
Spritze in den Rücken gab. Der ganze Vorgang dauerte
10 bis 15 Minuten ... In dieser Nacht wurde die Zellen-
tür des Baader mit dem Notschlüssel aus dem Blechka-
r
I ".
.Seit zwei Monaten etwa hatte ich mit diesen Leuten
nichts mehr zu tun. Herr Dr. Henck hat sich die Betreu-
ung dieser Leute vorbehalten. Seit vergangenem Frei-
tag ist Dr. Henck krank, so daß ich seither der einzige
angestellte Arzt hier bin. ,,158
sten im Wachtmeisterzimmer des 7. Stockwerks geöff- Sanitäts-Nachtdienst hat Sanitäter Jost, der aber zu
net. Der Schlüsselkasten ist nicht verplombt. den Spritzen nicht befragt wird. Einer der begleitenden
Wie bereits angeführt, wird ein Alarm ausgelöst, Nachtposten, Baumgärtner, der als Dienstanfänger
wenn der Blechkasten geöffnet wird. erstmals Nachtdienst hat, sagt, er sei gegen 23.00 Uhr
Die Beamten, die sich im Stockwerk auskennen, wis- mit Jost und einem Kollegen namens Schneider 11in den
sen jedoch, daß die Auslösung des Alarms durch einen 7. Stock gefahren, um Medikamente auszugeben. Es
Knopfdruck unterbunden werden kann. Wenn ich in seien dann nacheinander die Zellentüren von Baader
der Nacht den Notschlüssel herausnahm, hat der Sani- und Raspe geöffnet und dabei die Schaumstoffverklei-
täter diesen Knopf gedrückt, damit kein Alarm ertönt dung entfernt worden.159 Er berichtigt sich unmittelbar
und die Leute aufwachen. Zuvor wurde von uns der und erklärt, es seien nur die Essensklappen geöffnet
Wachhabende entsprechend verständigt ... " worden. Dieser Widerspruch erklärt sich möglicher-
Bei dieser späteren Befragung berichtet Assistent weise daraus, daß der Kriminalpolizei verborgen blei-
Busch weiter, daß eine Verständigung über die Rufan- ben sollte, wie sich nach Vorschrift die Medikamenten-
lage möglich war, obwohl das Mikrofon in der Zelle 719 ausgabe gegen 23.00 in der Regel gestaltet: Die Zellen-
mit Knetmasse abgedeckt war. Er habe über die Gegen- türen dürfen nicht geöffnet werden, die Medikamen-
sprechanlage die Stimme Baaders, wenn auch mit tenausgabe erfolgt durch die Essensklappe.159a Der
geringer Lautstärke, wahrnehmen können.155 neue Brauch, auch nachts und morgens die Zellen türen
zu öffnen, um die Medikamentenausgabe durchzufüh-
Im Sanitätsdienst der Anstalt sind 9 Männer und 3 ren, konditioniert die Häftlinge. Andreas Baader ist
Frauen beschäftigt.156 Von den Männern sind nur 6 nicht überrascht, wenn seine Zelle gegen 23.00 Uhr
bekannt. Keiner von ihnen hatte in dieser Nacht Dienst. geöffnet wird. Da er in den Rücken gespritzt wird, muß
Wer ist der Sanitäter, der Andreas Baader die Spritze es ihm plausibel erscheinen, wenn dazu die Zelle geöff-
verabreicht hat? net wird. So ist es auch im Kontrollbuch vermerkt.
Anstaltsarzt Dr. Henck ist an diesem Tag dienstunfä- Schneider 11wurde dazu nicht vernommen. Gibt es
hig erkrankt. Wer aber, wenn nicht er, hat diese Spritze überhaupt einen Schneider II? Oder hat ein Unbekann-
verordnet? ter ohne ärztliche Verordnung Andreas Baader eine
Grundsätzlich werden Medikamente nur auf ärztli- Ampulle verabreicht?
che Verordnung durch Sanitäts beamte ausgegeben Das palästinensische Kommando "Martyr Halimeh"
oder verabreicht. 151 Hat etwa der stellvertretende entführt eine Lufthansa-Maschine auf dem Flug von
Anstaltsarzt Dr. Majerowicz Andreas Baader eine Mallorca nach Frankfurt. Es unterstützt die Forderung
Ampulle Depot-Impletol und andere Medikamente ver- des Kommandos "siegfried hausner" nach Freilassung
ordnet? der 11 Gefangenen.
Majerowicz gibt später bei der Kripo zu Protokoll:
72 73
14. Oktober, Freitag
Bundeskanzler Schmidt nimmt wegen der Flugzeug-
entführung engen Kontakt mit dem britischen Premier-
r 15. Oktober, Samstag
Der Krisenstab setzt die Häftlinge erstmals von der
Flugzeugentführung in Kenntnis. BKA-Chef Herold
minister James Callaghan auf, der" sehr hilfreich ist. 160
1/ beauftragt Klaus, die Häftlinge zu befragen, ob sie
bereit seien, sich im Austausch nach Somalia ausfliegen
Nach einer Meldung der "Weltl/verlangt Zimmermann zu lassen. Gegen 16.00 Uhr fliegt Klaus mit dem Hub-
(CSU): "Primäre Aufgabe des Staates sei es, das Leben schrauber des Bundesgrenzschutzes nach Stuttgart. In
Schleyers zu retten und ihm so rasch wie möglich die der Zeit von 18.15 Uhr bis 18.40 Uhr legt er den Häftlin-
Freiheit zu verschaffen. Dann müsse sich der Staat auf gen im Beisein des Anstaltsbeamten Götz Fragebogen
die Ergreifung der Täter konzentrieren. Es würde als vor. 163
Schwäche ausgelegt, wenn die 11 inhaftierten deut- Der ebenfalls in einer geschlossenen Hochsicher-
schen Terroristen ... ohne Sanktionen die Freiheit be- heitsabteilung in Hohenasperg eingesperrte Günter
kämen ... 1/161 Sonnenberg lehnt es rundweg ab, mit einem BKA-
Mann zu sprechen.
Der Verteidiger von Jan-Carl Raspe ist angesichts die- Die Häftlinge in Stammheim verlangen erneut eine
ser Drohungen um das Leben der Häftlinge äußerst Gesprächszusage von Schüler oder Wischnewski.
besorgt. Der Versuch, Anstaltsarzt Dr. Henck um 18.05 Die Bundesregierung setzt ihre Scheinverhandlun-
Uhr telefonisch zu erreichen, schlägt fehl. gen mit den Häftligen nach der Flugzeugentführung
Es kommt nur ein Telefonat mit Anstaltsleiter Nusser fort. BKA-Chef Herold setzt erneut Klaus in Marsch, der
zustande. Dieser teilt mit, Dr. Henck sei nicht im Hause. das Flugziel der Häftlinge ermitteln soll. Klaus fertigt
Angesichts der heutigen Zeitungsmeldungen, die radi- darüber einen Aktenvermerk an, ohne dabei Ort und
kale Sanktionen gegen das Leben der Häftlinge Datum anzugeben.
befürchten lassen, beruft sich der Verteidiger ebenfalls Die Häftlinge werden veranlaßt, die vorgelegten
auf rechtfertigenden Notstand und verlangt ein soforti- Erklärungen zu unterschreiben.
ges Verteidigergespräch mit Raspe. Nusser lehnt dies
unter Hinweis auf die Kontaktsperre ab. Auf die Frage,
ob die Häftlinge überhaupt noch am Leben seien, Vermerk:
erklärt er ironisch: "Aber selbstverständlich. 1/ Betr.: Entführung Hanns Martin SCHLEYER/Flugzeug LH
Auf die Frage, ob weitere, der Verteidigung noch 181 durch "Kommando Martyr Halimeh"
unbekannte Repressalien gegen die Häftlinge zu hier: Befragung der Gefangenen in der JVA Stuttgart-
erwarten sind, entgegnet er nur mit: "Keine Auskunft! 1/
Stammheim und des SONNENBERG in der JVA Hohen-
asperg
Im Nachtkontrollbuch vom 14. zum 15. Oktober findet
sich folgende Eintragung: Auftragsgemäß flog ich mit dem BGS-Hubschrauber gegen
,,23.00 Uhr Arzneimittelausgabe durch Sani an Baa- 16.00 Uhr nach Stuttgart. In der Zeit von 18.15 - 18.40 Uhr
der und Raspe. Baader wollte aufgrund der angespann- legte ich den Gefangenen
ten Lage Lichtverlängerung! 1/162 Gudrun Ensslin

74 75
Andreas Baader
Jan-Carl Raspe
Irmgard Möller
und
Verena Becker
r
.
politische Dimension des Gefangenenaustausches zu erör-
terno Er kehrte nach dem Verlassen des Besucherraumes
noch einmal zurück und bat, seinen Gesprächswunsch
unter allen Umständen weiterzuleiten.
BAADER wirkte weiterhin nervös und unsicher.
im Beisein eines Anstaltsbeamten (GÖTZ) Fragebogen mit Keiner der Gefangenen stellte die zu erwartende Frage,
folgendem Text vor: welche Bewandtnis es mit dem Kommando "Martyr Hali-
"Die Entführer haben durch das Kommando "Martyr Hali- meh" habe.
meh" vom 13. 10. Vietnam, Süd-Jemen und Somalia als Daraus kann geschlossen werden, daß sie über die Tat-
Zielländergenannt sache der Flugzeugentführung informiert waren.
Vietnam und Süd-Jemen haben die Aufnahme von Terro- Der Gefangene Günter SONNENBERG wurde aus zeitli-
risten bereits strikt abgelehnt. Somalia wird im Augenblick chen Gründen (Rückflug 19.00 Uhr) von einem Beamten
befragt der LPD 02 Stuttgart (KOK RASS) befragt.
Sind Sie bereit, sich nach Somalia ausfliegen zu lassen?" Dieser hatte bis 19.30 Uhr Bedenkzeit erbeten, das Wort
Die Gefangenen unterzeichneten die Schriftstücke und ,Jerroristen" im Text gestrichen und als Antwort folgendes
antworteten wie folgt: handschriftlich hinzugefügt:
ENSSLlN: "Ja." "Ich muß erst vorher mit mindestens zwei Genossen, die
BAADER: "Nur, wenn das Kommando tatsächlich Soma- ebenfalls freigegeben werden sollen, reden können, bevor
lia genannt hat." ich etwas dazu sage. Das ist eine Forderung. "
RASPE: ,,1. Die endgültige Entscheidung mache ich von Der Wortlaut wurde wunschgemäß fernmündlich voraus
einer gemeinsamen Besprechung aller Gefangenen, die an Herrn Präsident DA. HEROLD durchgegeben.
freigelassen werden sollen, abhängig und 2. Bin ich unter (Klaus) EKHK164
diesem Vorbehalt bereit."
MÖLLER: "Ja, unter der Voraussetzung, daß die BRD-
Regierung unsere Auslieferung von dort nicht betreibt." Die Häftlinge unterschreiben tatsächlich einzeln und
BECKER: "Ja" nacheinander diese vorbereiteten Erklärungen erst,165
als ihnen der Krisenstab zum Schein grundsätzliche
Der Gefangene Baader zögerte mit seiner Antwort unter Zustimmung zu ihren Geiselaustausch-Bedingungen
Hinweis darauf, daß ihm die Aufnahmebereitschaft der VR vom 9.10. signalisiert. Dabei knüpfen sie - bis auf zwei
Vietnam bekannt sei. Er ziehe es vor, dorthin ausgeflogen Ausnahmen166 - noch Bedingungen an ihre Einwilli-
zu werden. Jetzt könne er es ja sagen, daß einer ihrer gung zum Austausch.16t
Anwälte auf dem diplomatischen Kanal die Zusicherung der
Vietnamesen für die Aufnahme erhalten habe - allerdings Fern von Stammheim hat unterdessen Schleyers Fami-
nicht im Zusammenhang mit einer Geiselnahmeaktion. lie nach Absprache mit dem Krisenstab mit den Entfüh-
Wenn die Gefangenen in Somalia zurückgekauft werden rern eine Regelung getroffen, welche über den Geisel-
sollten, dann könnten sie ja gleich hierbleiben. austausch hinaus noch die Zahlung von 15 Millionen
BAADER erklärte weiter, daß er größten Wert auf ein Dollar zu Händen der Entführer vorsieht. Mit Hilfe des
Gespräch mit Staatssekretär Schüler lege, um mit ihm die Kernforschungsinstituts Karlsruhe soll das Geld radio-

76 77
I
aktiv verseucht werden.168 Den in Frankfurt a.M. ver-
einbarten Übergabetermin läßt Herold scheitern, so daß
16. Oktober, Sonntag
in neuen Absprachen mit den Entführern vereinbart Das Bundesverfassungsgericht lehnt den Antrag auf
wird, das (verseuchte) Lösegeld den Häftlingen mitzu- Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab, den der Sohn
geben.169 von Hanns Martin Schleyer, Hanns Eberhard Schleyer,
gegen die Bundesregierung und gegen die Landesre-
Nachtkontrollbuch vom 15. zum 16. Oktober: gierungen gestellt hat. Das Gericht macht deutlich, daß
"HerrKlausvomBKA war von 18.10Uhrbis 18.45Uhr eine Verpflichtung des Staates nicht bestehe, die
bei den Gefangenen Baader, Raspe, Ensslin, Möller und namentlich benannten 11 Häftlinge freizulassen. Zwar
Becker. Auch Herr Amtsinspektor Götz war anwesend. verpflichte Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1
Gegen 23.00 Uhr Medikamente an Baader und Raspe Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes den Staat, jedes
ausgehändigt (durch Sani)" .170 menschliche Leben zu schützen. Diese umfassende
Schutzpflicht gebiete dem Staat, sich schützend und
In der Nacht beobachtet aus seiner Zelle 619, die unter fördernd vor dieses Leben zu stellen, was vor allem
der Andreas Baaders liegt, der Strafgefangene W. zwi- heiße, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten
schen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr von seinem Zellenfenster anderer zu bewahren. An diesem Gebot hätten sich alle
aus, daß im Innenhof drei Fahrzeuge anhalten. Wegen staatlichen Organe je nach ihren besonderen Aufgaben
des herrschenden Nebels kann er nur das rote Glimmen auszurichten, weil das menschliche Leben als Höchst-
mehrerer Rücklichter wahrnehmen. Motoren und wert verlange, daß diese Schutzpflicht besonders ernst
Beleuchtung werden ausgeschaltet. Dabei kann er genommen werde. Aber auf welche Weise die staatli-
nicht beobachten, ob Personen aussteigen, auch kann chen Organe ihre Verpflichtung erfüllen wollen, sei von
er nicht hören, ob Fahrzeugtüren geschlossen werden. ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung zu ent-
Er bleibt am Zellenfenster stehen und sieht, wie diese scheiden ... Die Eigenart des Schutzes gegen lebensbe-
Fahrzeuge wieder nach 1/2 Stunde starten, wenden und drohende terroristische Erpressungen sei dadurch
sich mit eingeschalteter Beleuchtung in Richtung Aus- gekennzeichnet, daß die gebotenen Maßnahmen "der
gang entfernen. Bei der Abfahrt stellt er fest, daß es sich Vielfalt singulärer Lagen" angepaßt sein müssen ...
bei den Fahrzeugen um drei Personenkraftwagen der Darüberhinaus könne eine solche Festlegung der jewei-
Marke "Mercedes" handelt. Die Fahrzeuge sind nicht ligen Maßnahmen insbesondere deshalb nicht durch das
mit "Blaulichtern" versehen. Er ist sich deshalb sicher, Verfasssungsgericht erfolgen, weil dann die Reaktion
daß in dieser Nacht Zivilfahrzeuge in den Innenhof der des Staates für Terroristen von vornherein kalkulierbar
Anstalt gefahren sind. 171 wäre. In Kurzum, der Antrag konnte keinen Erfolg
haben, weil die Regierungsspitze ihre Souveränität an
gesetzlich nicht vorgesehene Krisenstäbe abgetreten
hatte, die an ihrer Statt parlamentarisch unkontrolliert
nach militärisch-politischen und Geheimdienstmaßstä-
ben aus unterschiedlichsten Lageeinschätzungen her-
aus handelten und deshalb keine staatlichen Schutz-
pflichten zu erfüllen vermochten.

78 79


,

I
I
Nachtkontrollbuch vom 16. zum 17. Oktober: genannt. Wer Andreas Baader die Blitzspritze ärztlich
"Baader bekam gegen 21.30 Uhr eine Spritze. verordnet und welcher Sanitäter sie ihm verabreicht
Zelle 719 mußte geöffnet werden. hat, bleibt offen.
23.00 Uhr Medikamente an Baader und Raspe ausge-
händigt. Grötz, Obersekretär.173
Später berichtet Grötz der Kripo:
"In der Nacht vom 16. zum 17. Oktober habe ich als
17. Oktober, Montag
Wachhabender in der Vollzugsanstalt Stammheim Als Justizhauptsekretär Willi Stapf gegen 7.00 Uhr zum
Nachtdienst verrichtet. Ich saß hierbei in der Torwache. Dienst erscheint, wird er bereits gegen 8.30 Uhr wieder
Als besondere Vorkommnisse wurden mir am 16. Okto- nach Hause geschickt, da angeblich ein Beamter zuviel
ber um 21.30 Uhr im Nachtdienstbuch vermerkt, daß um da war und er somit Gelegenheit bekommen sollte,
21.30 Uhr die Zelle von Baader in der Abteilung III einen seiner vielen freien Tage abzufeiern. 177
geöffnet wurde. Baader erhielt vom Sanitätsbeamten Vollzugsdienstleiter GelIert hat für diesen Tag und
eine Spritze ... 174 Als Grötz befragt wird, ob die Aussage Abt.III für den Frühdienst die Beamten Zieker, für den
eines Häftlings zutreffe, wonach zwischen 2 Uhr und 3 Mitteldienst Miesterfeldt, StolI, Stapf, Hermann und
Uhr früh drei Fahrzeuge des Fabrikats Mercedes in den Giebler eingeteilt.178 Für den Spätdienst ist Weiß und
Innenhof gefahren seien, erklärt er, daß das nicht der für den Nachtdienst Springer vorgesehen, "eine einge-
Fall sei. Vielmehr habe die Polizei gegen 4.30 Uhr einen schworene Gruppe von Bediensteten, die kamerad-
Häftling abgeholt, um diesen zur Verschubung nach schaftlich eng zusammenhalten." 179
Hamburg zu bringen.175 Namentlich nicht erwähnt sind in der Dienstplanauf-
Justizobersekretär Blaschko erklärt das Zustande- stellung die Beamtinnen, die in der Abt. III Dienst ver-
kommen der Spritze, eine Ampulle Depot-Impletol für richten. Später heißt es als Erklärung, daß weibliche
Andreas Baader, später so: Beamte namentlich nicht benannt würden ... 180
"Kurz vor 21.30 Uhr hat Herr Baader über die Rufan- Bei seiner späteren polizeilichen Vernehmung ver-
lage angerufen und verlangte eine Spritze. Dann rief ich liert Vollzugsdienstleiter GelIert kein Wort über die
den Revierbeamten an, der mir sagte, ich solle bei Baa- Gründe für die spontane Dienstplangestaltung und
der zurückfragen, für was er die Spritze brauche. Baa- auch nicht darüber, weshalb "ein Beamter zuviel"
der sagte, er habe Schulterschmerzen. Der Sanitäter gewesen sei; er wird dazu von der Kripo erst gar nicht
kam dann gegen 21.30 Uhr mit der Spritze. Zusammen befragt. 181
mit dem Sanitäter und zwei Mann von der Innenwache
gingen wir nach Rücksprache mit dem Wachhabenden Der Verteidiger von Jan-earl Raspe (der Autor) ver-
in den Flügel hinein ... Ich öffnete dann die Zellen tür sucht ab 9.00 Uhr, fernmündlich zum Senatsvorsitzen-
von Baader. Den Schlüssel entnahm ich dem Schlüssel- den Foth durchzudringen. Wiederholte Versuche der
kasten in der Kabine. Ich forderte den Herrn Baader auf, Kontaktaufnahme schlagen fehl. Die Befürchtungen
zur Verabreichung der Spritze die Zelle zu verlassen. Er verdichten sich immer mehr, daß die haftrichterlichen
bekam die Spritze vor der Zelle auf einem Stuhl sit- Machtbefugnisse den Händen des Vorsitzenden Foth
zend ... " 176 entgleiten.
Der Name des Sanitäters wird in den Akten nicht

80 81
I
BKA-Chef Herold beauftragt Klaus, mit Hegelau vom vom 15.10.1977 weitergeleitet habe. Herr Min.Dir. Dr.
Bundeskanzleramt nach Stammheim zu fahren, um an HEGELAU sei in Vertretung von Herrn StS SCHÜLER
dem Gespräch mit Andreas Baader teilzunehmen. Das zu ihm gekommen. BAADER entgegnete, daß er eigent-
Gespräch findet im Beisein von Bubeck statt und dauert lich Herrn StS SCHÜLER selbst habe sprechen wollen.
von 14.20 Uhr bis 15.25 Uhr. BAADER nahm dann doch zögernd Platz und begann in
Der von BKA-Klaus später gefertigte Bericht trägt den seiner hastigen und undeutlichen Sprechweise seine
Betreff: "Entführung Schleyer / LH-Flug 181." In Vorstellungen zu erläutern. Er war im Vergleich zu den
Abstimmung mit Bundesanwaltschaft, Landeskriminal- vorausgegangenen Gesprächen relativ ruhig und ge-
amt und Justizvollzugsanstalt treffen Klaus und Hege- faßt.
lau gegen 14.00 Uhr in Stammheim ein. Gegen 14.20 3. BAADER erklärte während des bis 15.25 Uhr dauernden
Uhr wird ihnen Andreas Baader im Besucherzimmer Besuches sinngemäß folgendes:
vorgeführt. Der wirkliche Inhalt dieses Gesprächs ist in
den Akten aber nicht vollständig vermerkt. (Im Gegen- Es sei eigentlich zu spät für dieses Gespräch. Die
satz zu allen anderen trägt dieser Bericht kein Ausstel- Möglichkeiten der Einflußnahme sei inzwischen ver-
lungsdatum.) säumt worden. Die RAF habe diese Form des Terroris-
Bericht mus bis jetzt abgelehnt. (Anmerkung: Gemeint war die
Flugzeugentführung, obgleich diese nicht ausdrücklich
Betr. Entführung SCHLEYER/LH-Flug 181 erwähnt wurde.)
Es gebe 2 Linien des Kampfes gegen den Staat. Die
1. Am 17.10.1977, gegen 09.45 Uhr, informierte mich Herr Bundesregierung habe durch ihre Haltung dieser extre-
Ministerial-Dirigent Dr. HEGELAU tel. darüber, daß er im men Form zum Durchbruch verholfen.
Auftrage von Herrn StS. SCHÜLER das von den Gefan-
genen ENSSLIN und BAADER gewünschte Gespräch Auf die Frage des Herrn Dr. HEGELAU, wo denn
mit BAADER führen wolle. seiner Meinung nach der Terrorismus anfange, fuhr
Um 11.00 Uhr brachte ich gem. Weisung des Herrn BAADER fort:
Präsidenten Dr. HEROLD Herrn Dr. HEGELAU mit
einem Dienst-PKW nach Stuttgart-Stammheim. Die Bei dieser Form terroristischer Gewalt gegen Zivili-
Bundesanwaltschaft (Vorzimmer BA KAUL), das LKA sten. Sie sei nicht Sache der RAF, die langfristig eine
(KOR TEXTOR) und die JVA (Herr NUSSER) wurden gewisse Form politischer Organisation angestrebt habe.
von mir fernmündlich unterrichtet. Das sei in ihren Schriften nachzulesen.
Demgegenüber was jetzt laufe, habe die RAF eine
2. Gegen 14.00 Uhr meldeten wir uns bei dem Anstaltslei- gemäßigte Politik verfolgt.
ter, Herrn NUSSER. Nach einer kurzen Besprechung Auf meine Frage, ob er das nach den 8 Toten der
wurde uns gegen 14.20 Uhr der Gefangene BAADER im letzten Monate ernst meine, erwiderte BAADER:
Besucherzimmer des 7. Stockwerks vorgeführt. Die Brutalität sei vom Staat provoziert worden.
Der Amtsinspektor BUBECK war als aufsichtsführen- Die "Maschine" gegen die Bundesanwaltschaft z.B.
der Anstaltsbeamter anwesend. Ich sagte dem Gefan- sei von Leuten der sogenannten 2., 3. oder 4. Genera-
genen BAADER, daß ich seine Bitte um ein Gespräch tion installiert worden.

82 83

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I
Auch die SCHLEYER-Entführer und andere, nach mus sei nicht die Politik der RAF. Die Freilassung der 10
denen gefahndet werde, seien ihnen (Anm. den RAF- Gefangenen jedenfalls bedeute keine Eskalation der
Gefangenen) persönlich gar nicht mehr bekannt. Wenn Formen bewaffneter Gewalt. Insoweit werde das Volk
das BKA behaupte, die Aktionen würden aus dem belogen.
Gefängnis gesteuert, so treffe das allenfalls für den ideo-
logischen Bereich zu. Meine Frage, weshalb er von 10 und nicht von 11
Der bewaffnete Kampf habe sich internationalisiert. freizulassenden Gefangenen spreche, beantwortete
Jetzt bestimmten möglicherweise die Japaner oder die BAADER mit dem Hinweis auf Günter SONNERBERG,
Palästinenser das Geschehen. Er wisse jetzt zu wenig den er, wegen seiner Hirnverletzung kretinisiert, nicht
darüber. Er könne jetzt nur wiederholen, daß die Gefan- mehr dazurechne.181a
genen im Falle einer Freilassung nicht in die Bundesre- BAADER äußerte sich zwischendurch ausführlich
publik zurückkehren würden. Sie würden allerdings über die Entstehung der RAF im Zusammenhang mit
ihren Kampf gegen diesen Staat "im Kontext aller inter- dem Vietnam-Krieg und der angeblichen Rolle der Bun-
nationalen Befreiungsbewegungen fortsetzen, und zwar desregierung darin.
mit Kampagnen". Es sei absurd, anzunehmen, sie wür-
den als internationale Terroristen weiterkämpfen. Der Abschließend erklärte BAADER, die RAF habe sicher
internationale Terrorismus sei keine Perspektive für die Fehler gemacht. Dennoch bekenne er sich zu allen ihren
RAF. bisherigen Aktionen. Zwischen dem Staat und den
Gefangenen gebe es z.Zt. "einen minimalen Berüh-
Auf die Frage von Herrn Dr. HEGELAU, welchen Ein- rungspunkt des Interesses".
fluß er - etwa als Symbolfigur - noch habe, antwortete Gudrun ENSSLIN habe dazu schon alles gesagt. Frei-
BAADER: gelassene Gefangene seien im Verhältnis zu toten
Er sehe zwei Möglichkeiten, einmal die weitere Bruta- Gefangenen auch für die Bundesregierung das kleinere
lisierung und zum anderen einen "geregelten Kampf" - Übel. Sterben müßten sie (die Gefangenen) so oder so.
im Gegensatz zum "totalen Krieg". Er wisse "ein paar
Dinge", bei deren Kenntnis der Bundesregierung die Daß BAADER zu diesem Zeitpunkt ernsthaft an eine
Haare zu Berge stehen würden. (Anm.: Gemeint waren Selbsttötung dachte, war nicht im mindesten erkennbar.
allem Anschein nach Waffen bzw. geplante Gewaltakte. Dr. HEGELAU versicherte ihm, daß er Herrn Staatsse-
Insoweit ist auf die Parallele in der RAF-Erklärung vom kretär SCHÜLER über das Gespräch berichten werde.
3.9.77 zum mißglückten Anschlag auf die Bundesan-
waltschaft hinzuweisen.) 4. Nachdem der Gefangene wieder in seine Zelle zurück-
gebracht worden war, telefonierte Herr Dr. HEGELAU
Er sei der Überzeugung, daß noch eine Einflußmög- mit dem Bundeskanzleramt. Anschließend unterrichte-
lichkeit - zumindest auf die Gruppen in der BRD - ten wir den Anstaltsleiter, Herrn NUSSER, über das
bestehe. Man könne noch versuchen, eine Entwicklung wesentliche Ergebnis des Gesprächs mit BAADER.
zum Terrorismus hier zu verhindern, obwohl es "Strö- Gegen 16.00 Uhr fuhren wir mit dem Dienst-PKW
mungen anderer Art" gebe. Das sei letztlich der Grund nach Bonn zurück.
für seinen Gesprächswunsch gewesen. Der Terroris-

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••
1
5. Inzwischen ist bekanntgeworden, daß BAADER und einzuschalten. Er ruft deshalb Bischof Helmut Frenz an
RASPE im Besitz von Schußwaffen waren. Diese Tatsa- und bittet ihn, im Kanzleramt oder im Justizministerium
che begründet den Verdacht, daß sich hinter dem vorzusprechen. Frenz fährt zum Ministerium und
Wunsch der Gefangenen nach einem Gespräch zwi- erklärt sein Anliegen. Stundenlang wartet der "Amne-
schen Staatssekretär SCHÜLER und BAADER die sty" -Vertreter in einem Vorzimmer. Schließlich emp-
Absicht einer Geiselnahme verbarg. Möglicherweise fängt ihn irgendein Vertreter des Justizministeriums.
erschien ihm MinDirig Dr. HEGELAU als Geisel nicht Der Empfang ist kalt. Es heißt, der Besuch von "Amne-
geeignet. sty International" komme zu spät. "Den Herren" -
gemeint sind die Verteidiger- sei es zu spät eingefallen,
Im Zusammenhang mit der Selbsttötung des RAF- AI einzuschalten. Das Gespräch dauert deshalb nur
Kaders erscheint ferner folgender Umstand bemerkens- kurz und bleibt ohne jedes Ergebnis.
wert: Unerklärlich bleibt, weshalb die Intervention von
Die Anstaltsbeamten erwähnten nach unserem Amnesty International zu spät gekommen sein soll -
Besuch beiläufig, daß die Anstaltsgeistlichen sich um denn noch leben die Häftlinge ...
Gespräche mit den Gefangenen bemüht hätten, aber Wie später die italienische Presse meldet, ist auch
abgewiesen worden seien. Später habe Gudrun ENSS- eine Initiative von Gudrun Ensslins Westberliner Ver-
L1N dann doch um ihren Besuch gebeten, der noch teidiger Otto Schily gescheitert, auf Aufforderung des
ausstehe. Lufthansa-Anwaltes seine Mandantin und Andreas
Baader in Stammheim zu besuchen, um die Situation zu
(Klaus) EKHK182 "entblockieren" .184a

Die Anstaltsgeistlichen Kurmann und Rieder gehen


Nach Beendigung des Gesprächs zwischen Baader, etwa um 15.40 Uhr in die Abt. III. Sie haben erfahren,
Hegelau und Klaus läßt sich Hegelau ein Ferngespräch daß Gudrun Ensslin ein Gespräch wünscht. Den Geistli-
mit dem Bundeskanzleramt vermitteln. Während er auf chen erklärt sie, daß in ihrer Zelle eine Mappe mit der
das Gespräch wartet, zeigt ihm Bubeck die Abt. III.Dort Aufschrift "Anwalt" liegt, in der sich drei beschriebene
erläutert er ihm, welche Möglichkeiten die Gefangenen Blätter befinden, die dem Chef des Bundeskanzleramts
hätten, sich von Zelle zu Zelle zuzurufen.183 zugestellt werden sollen, für den Fall, daß sie hingerich-
Der Besuch von BKA-Klaus und seiner Begleiter wird tet werde. Dann sollen die Geistlichen dafür sorgen, daß
nicht mehr in die Besucherkarte der Anstalt eingetra- diese Schriftstücke - darunter auch ein Brief an Bundes-
gen 184 und auch nicht mehr kontrolliert. kanzler Helmut Schmidt - 185 nicht in die Hände der
Bundesanwaltschaft fallen. 186
Die Versuche der Verteidiger, nochmals mit dem Stutt- Auf die Frage, ob sie glaube, daß sie jemand hinrich-
garter Senat Kontakt aufzunehmen, scheitern. Der Vor- ten will, erwidert sie: "Nicht irgendwie von hier aus
sitzende Foth ist weiterhin unerreichbar. dem Haus. Die Aktion kommt von außerhalb. Wenn wir
Als letzte Möglichkeit versucht Andreas Baaders Ver- hier nicht rauskommen, geschehen schreckliche
teidiger Hans Heinz Heldmann, die internationale Dinge. ,,187
Gefangenenhilfsorganisation "Amnesty International"
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I
Anschließend besprechen sich die beiden Geistli- den zu sein. Und wenn die Briefe tatsächlich existierten,
chen. Pfarrer Rieder verständigt im Beisein von Pfarrer ist es erlaubt anzunehmen, daß Stuttgart die letzte
Kurmann telefonisch Bischof Moser, der gute persönli- Anklage blockiert hat ... " 191
che Verbindungen zu Bundesjustizminister Vogel
habe.188 Danach warten beide auf den versprochenen Außerhalb der Anstalt richtet sich die Aufmerksamkeit
Rückruf des Bischofs. Als dieser endlich erfolgt, erfah- der westdeutschen Bevölkerung ganz auf das Geisel-
ren sie, daß Vogel die Schriftstücke der Gefangenen im drama. In den Medien wird eine rasche Endlösung ge-
Falle ihres Todes zuverlässig an die Adressaten weiter- fordert:
leiten läßt. 189 Der Historiker Golo Mann um 20.15 Uhr in "Pano-
rama":
Gegen 21.00 Uhr sieht der Untersuchungsgefangene H. "Der Moment kann kommen, in dem manjene wegen
aus seiner Zelle 315, von wo aus er in die Diensträume Mordes verurteilten Terroristen, die man in sicherem
der Dienstaufsichtsleitung sehen kann, daß sich dort Gewahrsam hat, in Geiseln wird verwandeln müssen, in
ihm unbekannte Zivilisten aufhalten. Er zählt drei Per- dem man sie den Gesetzen des Friedens entzieht und
sonen, von denen eine telefoniert. Ob es Regierungs- unter Kriegsrecht stellt. Ob dieser Moment nach den
mitglieder sind, weiß er nicht. Kölner Verbrechen schon gegeben war, will ich nicht
Zwischen 21.00 Uhr und 21.30 Uhr gehen dann vom entscheiden. Ich bin ja nur ein Privatmann und habe
Dienstaufsichtsraum im Erdgeschoß diese Personen nichts zu entscheiden,· was zu entscheiden Sache der
zum Lastenaufzug und fahren in den 2. Stock. Von dort Exekutive ist. ,,192
gehen sie in Bau I, in dessen 7. Stock sich die RAF- Die Springerzeitung "Die Welt" übernimmt unkri-
Häftlinge befinden. Nach 10 bis 15 Minuten kommen tisch einen Kommentar aus der Sicht des "positiven
sie in Begleitung einer weiteren Person zurück, wobei Verfassungsschutzes" :
sich der beobachtende Häftling nicht sicher ist, ob es "Inzwischen hat CSU-Schwätzer vom Dienst, Fried-
Andreas Baader war und ob es sich um einen zusätzli- rich Zimmermann, offen und öffentlich gesagt: Erste
chen Vollzugsbeamten handelt. Die Gruppe erscheint Aufgabe des Staates sei es, Schleyers Leben zu retten,
dann in den Räumen der Dienstaufsicht. Dort sitzt danach müsse man sich auf die Ergreifung der Täter
bereits ein Beamter und telefoniert vom Schreibtisch konzentrieren. Abgesehen davon, daß Zimmermann
aus. Dieser Beamte übergibt jetzt einer der hinzuge- ungeachtet der Nachrichtensperre, auch freimütig aus-
kommenen Personen den Telefonhörer.19o plauderte, die Polizei habe über Täter und Ausführung
Ist es Andreas Baader, der telefoniert? des Schleyer- Kidnapping detaillierte Klarheit (eine
Die italienische Zeitung "La Repubblica" berichtet Dummheit, über die noch zu reden sein wird), hat er die
darüber: "Baader wollte gerade mit dem Koordinator schon seit Tagen erkennbare CSU-Linie klar beschrie-
aller Bundesgeheimdienste sprechen, dem Staatssekre- ben: Freilassung der elf RAF-Häftlinge gegen Schleyer;
tär im Kanzleramt, Schüler ... und dann mit Minister danach eine Art von Notstandsproklamation, um den
Wischnewski, der damit beauftragt war, Verhandlun- Terrorismus und was nach Ansicht der christlichen Poli-
gen um politische Aspekte zu führen. Die Befürchtun- tiker alles dazugehört, zu bekämpfen. Der neue erpres-
gen der Gefangenen und vielleicht der Wunsch nach serische Druck der deutsch-arabischen Entführer und
einem Komprorniß scheinen also in Bonn ignoriert wor- das Ausscheren der CSU aus der bisherigen gemeinsa-
89
88
I
men Linie zielen also, was das Ergebnis angeht, in die Sanitäter Kölz, der gegen 23.00 Uhr mit dem Medika-
gleiche Richtung. ,,193 mentenkasten im Fahrstuhl zum 7. Stock fährt, wird von
der Innenwache, Zecha und Anderson, begleitet. Als sie
In der Vollzugsanstalt werden inzwischen die Vorberei- bei Springer und Frede an der Aufsichtskabine eintref-
tungen zur letzten Nacht getroffen: fen, berichtet er, daß Springer von seinem Vorgänger
Im Nachtkontrollbuch vom 17. zum 18. Oktober wird die Schlüssel zum Gefängnistrakt der RAF-Häftlinge
eingetragen: übernommen habe. Vor dem Betreten habe Springer
,,23.00 Uhr Medikamentenausgabe an Baader und den Wachhabenden unterrichtet, daß sie zur Medika-
Raspe. Sonst keine Vorkommnisse! mentenausgabe in den kurzen Flügel gehen würden.
Springer, Assistent zur Anstellung. ,,194 Bei dem Öffnen der Gittertür wird sonst die Alarman-
Sanitäter Kölz gibt Arzneien aus, die im Medikamen- lage ausgelöst. In diesem Fall sei aber nur leises Klin-
tenbuch vermerkt werden.195 In das Nachtkontrollbuch geln hörbar gewesen. Das sei der "Normalfall" , weil
trägt Springer die genaue Bezeichnung der verabreich- vom Wachhabenden oder anderer Stelle die Alarman-
ten Medikamente nicht ein. lage entsprechend gesteuert werde.z03
Das gesondert geführte Medikamentenbuch wird Um 23.00 Uhr betritt Springer, nachdem er den Wach-
später nicht vorgelegt. habenden in der Torwache, GelIert, verständigt hat, mit
Justizassistent z. A. Springer verrichtet seinen" Son- den vorgenannten Personen die Sicherheitszone der
derdienst" im 7. Stock in der Wachtmeisterkabine, in Abteilung III.
der eine Gegensprechanlage zu den Einzelzellen instal- Die Vorgänge bei der Medikamentenausgabe schil-
liert ist. 196 dern Springer und Kölz in einem wesentlichen Punkt
Würde jemand bei eingeschalteter Fernsehüberwa- gegensätzlich:
chung den Sicherheitsbereich vor den Einzelzellen SPRINGER: "Baader hat also seine Hand durch die
betreten, so würde bei ihm in der Aufsichtskabine des 7. Zellenklappe gestreckt. Aus diesem Grund muß auch er
Stockwerks die Alarmglocke ertönen. über den Moni- gestanden haben. "Z04
tor kann er ständig diese Sicherheitszone einsehen, KÖLZ: "Als ich an die geöffnete Klappe trat, rief ich:
ebenso der Wachhabende an der Torwache. 197 Als Auf- "Sani!". Baader saß neben der Schamwand in der Nähe
sichtsbeamter ist er verpflichtet, mindestens stündlich der Tür auf dem Fußboden. "Z05
einmal mit dem Wachhabenden Kontakt aufzunehmen, Die vom Sanitäter verabreichten Medikamente trägt
wobei jeder Anruf schriftlich festgehalten wird.19B Springer nicht mehr ins Nachtkontrollbuch ein.
Die Vollzugsbeamtin Renate Frede, die auch in der Sanitäter Kölz geht nach der Medikamentenausgabe
Todesnacht von Ulrike Meinhof vom 8. zum 9. Mai 1976 mit seinen Kollegen vom 7. Stockwerk aus wieder
- damals selbst z.A.- mit einem nur zur Probe angestell- zurück zur Innenwache ins Erdgeschoß.
ten Assistenten ihren "Sonderdienst " versah 199, hält Vollzugsbeamtin Frede begibt sich nach der Medika-
sich schon einige Zeit in der Aufsichtskabine von Sprin- mentenausgabe mit Springer und der Innenwache
ger auf. zoo Dort sind beide allein.z01 erneut zu Springer in die Aufsichtskabine, wo beide bis
Gegen 22.45 Uhr - so gibt Springer an - habe sich kurz nach 23.00 Uhr bleiben.z06 Danach will sie allein in
Raspe über die Gegensprechanlage bei ihm gemeldet, ihr Dienstzimmer auf demselben Stockwerk zurückge-
um nach Medikamenten zu fragen. zoz kehrt sein und keine auffälligen Beobachtungen

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I
gemacht haben. Lebend habe sie die Häftlinge Baader 23.50 Uhr (MEZ) (OZ: 1.50 Uhr) in Mogadischu:
und Raspe letztmals während dieser Medikamenten- Einer der Entführer funkt aus dem Cockpit der Luft-
ausgabe gesehen.207 hansa-Maschine "Landshut" :
Nachts hört ein Häftling (Zelle 623) störende Geräu- "Also los! Die Gefangenen sollen einzeln auf das
sche, die von der über ihm befindlichen Zelle 723 aus- Flugzeug zugehen, sie sollen von somalischen Vertre-
gehen. Diese Zelle steht offiziell leer. Der Häftling aber tern durchsucht werden.
denkt, Andreas Baader sei dort untergebracht. Etwa 10 Weiterhin soll das Flugzeug, das die Genossen bringt,
Minuten vor Mitternacht hört er auch die Toilettenspü- den Flugplatz sofort nach unserer Aufforderung verlas-
lung. Zuvor - so denkt er weiter - habe der Zellenin- sen, hier abhauen ... Der Befehlshaber der Einheit
sasse über ihm Sport getrieben, wobei er sich später ,Martyr Halimeh' wird einen der Genossen auffordern,
fragt, weshalb einer, der sich umbringen will, noch an unser Flugzeug zu kommen zur Identifizierung, um
Sport treibe. Er habe schon häufiger dieses Geräusch der anderen Genossen sicher zu sein. ,,213
gehört und sich darüber beschwert. Aufklärung sei ihm Die Auslandspresse berichtet: "Andreas Baader hat
aber nicht gegeben worden.208 vom Kontrollturm in Mogadischu gesprochen, hat ihnen
Die Zelle Nr. 723 war nach den Angaben der Anstalt (den Luftpiraten) versichert, daß der Austausch gegen
zuletzt von Helmut Pohl belegt. Dieser war bekanntlich sie bald stattfinden werde. Als die Austauschaktion
bereits vor der Kontaktsperre am 12. August nach Ham- begonnen hatte, fingen deutsche Scharfschützen gegen
burg verschubt worden.209 die Luftpiraten zu schießen an ... ,,214
Es bleibt ungeklärt, wer in den vergangenen Tagen Wenn Andreas Baader tatsächlich in Mogadischu
oder Nächten und auch in dieser Nacht in der Zelle 723 war, hätte er dann rechtzeitig zum Frühstück um 7.30
Aktivitäten entfaltet hat. Nach dem Zellenplan ist die Uhr oder zur Selbsttötung zu einem noch früheren Zeit-
Zelle 723 seit dem 12. August eine Leerzelle.210 punkt in Stammheim erscheinen können, um seine dor-
Da auf Weisung der Bundesanwaltschaft nur von tige Anwesenheit vorzutäuschen?
RAF-Häftlingen belegte Zellen durchsucht werden dür- Wie dem Funkspruchprotokoll zu entnehmen ist,
fen211,bleibt unaufgeklärt, wer sich in Zelle 723 aufge- gehen die Entführer zutreffend davon aus, daß die Ent-
halten hat. Wer ist der Unbekannte? fernung nach Stuttgart oder Frankfurt a. M. rund 3.200
nautische Meilen beträgt und dafür eine reguläre flug-
Außerhalb der Haftanstalt erreichen die Deutsche zeit von mindestens 7 Stunden anzusetzen ist. Danach
Presse Agentur (dpa) mysteriöse Telefonanrufe: hätte es von der Beendigung der Militäraktion in Moga-
Peter Martell, dpa-Redakteur in Lübeck, erhält schon dischu von Helmut Schmidts letztem "Okay" um 23.50
gegen 23.00 Uhr einen Anruf, wonach Andreas Baader Uhr (MEz)214a bis zur Landung auf einem der beiden
und Gudrun Ensslin tot sein sollen. Der anonyme Anru- Flughäfen - wenn alles klappt - mindestens bis mor-
fer vereitelt durch Auflegen eine Tonbandaufnahme. gens 6.50 Uhr gedauert. Dies gilt unter zivilen Bedin-
Später erfährt Martell von seinem Chef des Landesbü- gungen.
ros Nord, Möhl, daß noch weitere Anrufe bei der dpa Bei Ausschöpfung aller militärischen Möglichkeiten
eingegangen seien. Eine Zusammenstellung dieser hätte Andreas Baader aber tatsächlich noch bis zur Aus-
Anrufe sei geplant mit der Absicht, sie der Staatsschutz- gabe des Frühstücks zwischen 7.00 Uhr und 7.40 Uhr
abteilung Hamburg zu übergeben.212 wieder in seiner Zelle sein können.

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I
Da sich unter den 86 Geiseln im Flugzeug auch zwei dem Vertreter des Bundeskanzleramtes, das an diesem
Amerikaner befinden,215sind von nun auch offiziell die Tag geführt wird, erfährt der Krisenstab endgültig und
USA in die Sache verwickelt. mit Gewißheit, daß die Entführer sowohl Baader als
Im "State Department" wird daher eine Arbeits- auch die anderen Häftlinge nicht persönlich kennen.22o
gruppe gebildet, die den Verlauf stündlich im "opera- Also kann der Krisenstab gefahrlos Doubles in Moga-
tion center" verfolgt und ständig Informationen mit dem dischu einsetzen und Andreas Baader in der Zelle be-
in Bonn gebildeten Krisenstab austauscht. lassen.
US-Präsident Carter setzt den somalischen Regie- Filme sind von den Häftlingen, deren Freilassung
rungschef Siad Barre diplomatisch unter Druck. Zudem gefordert wird, bereits gefertigt.
hat das Pentagon schon eine Spezialtruppe (die spätere Für diese Möglichkeit spricht auch das Verhalten der
"Delta-force") geschaffen, die dazu ausgebildet ist, US-Behörden. Wischnewski reist mit einer Boeing der
Angriffe und terroristische Aktionen im Ausland zu ent- Bundeswehr nach Vietnam. Bei einer Zwischenlandung
wickeln.216 auf dem US-Stützpunkt Guam sieht er sich plötzlich von
US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski erklärt, GIs mit MP im Anschlag umzingelt. Die US-Dienststelle
" ... daß die USA bereit sind, für den Fall einer Flug- in Anchorage meldet Guam fälschlich, daß
zeugentführung jede notwendige Initiative zu er- Wischnewski mit 11 terroristischen Häftlingen an Bord
greifen. ,,217 landen werde. Dabei kann es sich nur um Personen
Auch für die Durchführung der GSG 9-Aktion leisten handeln, die die Identität der Häftlinge vortäuschen
die USA praktische Hilfe. Beim Hearing des US-Senats sollen. Alle Häftlinge befinden sich nämlich in Stamm-
"An Act to Combat International Terrorism" erklärt US- heim. Sowohl Irmgard Möller als auch die Vollzugsbe-
Außenminister Vance im Januar 1978: "Während der amten, die die Häftlinge schon seit langem kennen,
Entführung haben wir die Richtlinien für den Schutz bemerken ihre Anwesenheit.
und die Befreiung der Geiseln geliefert. ,,218 Um 17 Uhr und 18 Uhr hört Irmgard Möller deutlich
Dabei sind die USA auf NATO-Strukturen wie das die Stimme von Andreas Baader.222Und auch um 23 Uhr
NATO-Generalsekretariat in Brüssel, das Action Com- bei der Medikamentenausgabe.223 Außerdem weiß sie,
mittee (AC:-46) und auf weitere Stäbe nicht notwendig daß Andreas Baader keinen Schritt ohne die Mitgefan-
angewiesen. Der neueste Jäger-Typ fliegt wesentlich genen macht, weil er befürchtet, "daß sie ihn dann um-
schneller als eine Lufthansa-Maschine, außerdem küm- legen. ,,224
mert sich die US-Truppe im "Kampf gegen den interna-
tionalen Terrorismus" weder um Durchflugrechte noch Justizsekretär Anderson, der gemeinsam mit Justizse-
um Identifizierungsgebote, Landeerlaubnis oder son- kretär Zecha Außendienst in Bau I versieht, macht bei
stige internationale Luftfahrtbestimmungen.219 seiner Kontrolle im 7. Stock keine besonderen Beobach-
tungen: "In der gesamten Abteilung war es toten-
Von der Möglichkeit Andreas Baader zum Zwecke der still.,,225Plötzlich vernimmt er um 1.30 Uhr von außen
direkten Kontaktaufnahme mit den Entführern nach einen dumpfen Knall.226
Mogadischu zu fliegen, macht der Krisenstab jedoch Auch Zecha macht zunächst keine besonderen Beob-
keinen Gebrauch. achtungen, wird aber ebenfalls in der Zeit zwischen
Aus dem Gespräch zwischen Baader und Hegelau, 1.30 Uhr und 2.00 Uhr früh in der Wachtmeisterkabine

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I
im Erdgeschoß durch einen dumpfen Knall er- Der eingeteilte Aufsichtsbeamte, Oberwachtmeister
schreckt. 227 Ernst Lödel bekundet später: "Gegen 6.45 Uhr waren
Beide unternehmen nach dieser Wahrnehmung wir mit der Frühstücksausgabe fertig. Danach setzte ich
jedoch nichts. mich an das Aufsichtspult in der Kabine, um die Rap-
Vollzugsdienstleiter Horst GelIert, von 18.00 Uhr bis portzettel zu vervollständigen. Nach etwa 10 Minuten,
6.30 Uhr Wachhabender am Haupttor, ist für den Ablauf also gegen 6.55 Uhr, hörte ich plötzlich einen Knall, der
des Nachtdienstes verantwortlich. Mit ihm sind in die- sich wie ein Schuß anhörte. Ich stand daraufhin auf und
ser Nacht acht Beamte und eine Beamtin im Dienst: ging ans Fenster, von dem aus ich einen Teil der Haftan-
zwei Beamte führen Außenkontrollgänge durch, ein stalt und den Parkplatz überschauen kann. leh dachte
Beamter ist Wachhabender in der Torwache, zwei mir, daß sich wie schon vorgekommen, wieder einmal
Beamte versehen Aufsich tsdienst im Bau 1.,die die Sani- ein Schuß aus einer Maschinenpistole der Polizei gelöst
täter bei den Medikamentenausgaben zur Abt. III hat. Auf die Uhr hatte ich dabei nicht geschaut. Der
begleiten und durchschnittlich zweimal, nämlich vor Knall bzw. den Schuß hörte ich aber bestimmt in der Zeit
und nach Mitternacht, Kontakt mit den Beamten im 7. zwischen 6.45 Uhr und 6.55 Uhr, wobei der Vorfall
Stock aufnehmen. Dabei müssen sie sich beim Wachha- näher an 6.55 Uhr gewesen sein dürfte ... Ich habe nur
benden am Haupttor telefonisch melden. einen Schuß gehört. ,,230
Ferner verrichten ein Beamter und eine Beamtin in
Abt. III den Aufsichtsdienst. Um 7.15 Uhr finden sich auch die Vollzugsbediensteten
Ein Beamter versieht im Jugendbau Aufsichtsdienst, Miesterfeldt, Stapf, Stall, Griesinger und Hermann zum
ein Sanitäter hält sich überwiegend im Krankenrevier Dienst in der Abteilung III ein. Die "Kontaktsperrepol-
auf. ster" vor den Zellentüren werden entfernt. Miesterfeldt
Der Wachhabende am Haupttor ist verpflichtet, min- öffnet die Sicherheitsschlösser aller vier Zellen. Um 7.41
destens stündlich einmal mit dem Aufsichtsbeamten Uhr schließt Stall in Anwesenheit von Stapf das normale
des 7. Stockwerks telefonisch Verbindung aufzuneh- Türschloß an der Zellentür Raspes (716) auf. Sie sehen
men, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Raspe sitzend auf seiner Liege. An seiner linken Schä-
Jeder Anruf wird schriftlich festgehalten.228 delseite rinnt Blut herunter. Er gibt kaum noch Lebens-
Gegen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr meldet einer der Außen- zeichen von sich und ist schwer verletzt.231 Er wird mit
posten dem Wachhabenden am Haupttor, GelIert, daß einem Notarztwagen abtransportiert.
außerhalb des Anstaltsbereichs Leute wahrzunehmen Nach dem Abtransport Raspes wird um 8.07 Uhr die
sind, die laut sprechen. Er ist beunruhigt und verstän- Zelle Andreas Baaders (719) aufgeschlossen und geöff-
digt deshalb die Sonderpolizeiwache Stammheim, die net. Baader liegt tot in einer Blutlache auf dem Boden.232
ihn später zurückruft und berichtet, es habe sich um Danach wird Gudrun Ensslins Zelle geöffnet (720).
junge Leute gehandelt, die überprüft worden seien. Es Die Gefangene hängt tot am Fenstergitter.233
sei alles in Ordnung. 229 Um 8.10 Uhr öffnet Justizassistent Z.A.Hermann die
Die zwei Außenposten und die Beamten der Sonder- Zelle von Irmgard Möller (725). Sie liegt auf ihrer
polizeiwache werden zu diesen Vorgängen auch später Matratze blutend aus mehreren Stichverletzungen in
nicht vernommen; auch wird nicht geprüft, was sie der Brust. Auch sie wird sofort mit einem Notarztwagen
schriftlich vermerkt haben. abtransportiert. 234
96 97
I
Um 8.15 Uhr teilt Oberverwalter Bubeck der Einsatz-
zentrale des Landes-Kriminalamtes (LKA)Baden-Würt-
temberg mit, daß die in Stammheim "einsitzenden BM-
Häftlinge ... Selbstmord verübt" hätten, "Ensslin und
Baader seien bereits verstorben" .235
Um 8.20 Uhr veranlaßt Staatsanwalt Kässer unter
Hinweis auf die fortbestehende Nachrichtensperre, daß TEIL 11
das LKA mit der Sachbearbeitung beauftragt wird.
Gleich danach wird von der Einsatzleitung des LKA
der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Horst
Herold, eingeschaltet. Ihm wird die Einhaltung der
DAS
Nachrichtensperre bestätigt und "die Lage" mitge-
teilt. 236
TODESERMITTLUNGS-
Um 8.58 Uhr läßt der baden-württembergische Justiz- VERFAHREN
minister Traugott Bender über den Südwestfunk ver-
lautbaren, daß Andreas Baader, Gudrun Ensslin und
Jan-Carl Raspe Selbstmord verübt hätten.237
Jahre später wird Kriminaloberrat (KOR) Günter
Textor, Leiter der Sonderkommission Stammheim des
LKA, dem "Stern" mitteilen: "Von der Staatsanwalt-
schaft haben wir keine entsprechenden, über Selbst-
mord hinausgehenden Ermittlungsaufträge be-
kommen. ,,238

An diesem Tag erscheint die Frankfurter Allgemeine


(FAZ) mit einem Leitartikel ihres Mitherausgebers
Reißmüller: "Der Staat muß sein rechtliches und morali-
sches Verhältnis zu den Terroristen, wie er es bisher
gesehen und praktiziert hat, in Frage stellen, überprü-
fen; er muß sich Einwänden, neuen Gedanken dazu
öffnen. Das Tabu ist fortzuräumen, welches - verant-
wortlich geführte - Debatten darüber bisher verhindert,
das Tabu, von dem sich viele Politiker aus allen Parteien
zu einer doppelten geistigen Buchführung zwingen las-
sen: Das eine sagen, dazu aber anders denken, was man
um keinen Preis sagt, höchstens seinem besten Freund
andeutet ... Wäre es nicht an der Zeit, über ein Notrecht
gegen Terroristen nachzudenken? ,,239
98

_________ J.- _
!
1. Die Feststellung des Gegen 11 Uhr wird über Rundfunk mitgeteilt, daß in
Baden-Württemberg in dieser Sache bis 15.00 Uhr
Todeszeitpunkts wird Nachrichtensperre verhängt worden sei.
Erst um 14.30 Uhr gelingt es, telefonisch Kontakt mit
vereitelt Generalstaatsanwalt Erwin Schüle herzustellen, der die
Teilnahme der Verteidiger an der Leichenschau aus
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart eröffnet nach § 87 Ir "polizeilichen Gründen" erst für den Nachmittag ab
der Strafprozeßordnung das Todesermittlungsverfah- 16.00 Uhr zusagt und den Verwahrungsort des inzwi-
ren und beantragt beim Amtsgericht die richterliche schen verstorbenen Jan-Carl Raspe mitteilt. Dieser
Leichenöffnung der Untersuchungsgefangenen. habe, so Schüle, im Katharinen-Hospital Stuttgart noch
Nach den gesetzlichen Vorschriften ist immer dann in gelebt, sei aber kurz nach seiner Einlieferung verstor-
dieser Weise zu verfahren, wenn Anhaltspunkte dafür ben. Er habe "dieses Mal" vor, international renom-
vorhanden sind, daß jemand nicht eines natürlichen mierte Sachverständige zu bestellen, "um alle Zweifel
Todes gestorben ist oder wenn eine Straftat als Todesur- zu zerstreuen. "
sache nicht ausgeschlossen werden kann. Darüber hin- Die baden-württembergischen Behörden unterlassen
aus in dem Fall, wenn damit zu rechnen ist, daß die es, die Angehörigen der Häftlinge zu unterrichten.
Feststellungen später angezweifelt werden (Nr. 33 der Diese werden durch die Medien von der Todesnach-
Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren). richt überrascht.
Der Verteidiger von Jan-Carl Raspe, besorgt wegen Um 14.00 Uhr erklärt für die Bundesregierung Presse-
der Ereignisse in Mogadischu, versucht ab 8.50 Uhr zur sprecher Klaus Bölling, die Häftlinge hätten sich das
Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim fernmündlich Leben genommen, Jan-Carl Raspe sei inzwischen ver-
durchzudringen, um Kontakt mit seinem Mandanten storben. Auch Bundespräsident Karl Carstens stellt im
herzustellen, was mißlingt. Dort ertönt entweder das Fernsehen den Tod der Häftlinge als Selbstmord dar.
Besetztzeichen oder es nimmt niemand den Hörer ab. Die bestellten Gutachter aus Baden-Württemberg
Unerreichbar sind Anstaltsleiter Nusser und Stellver- reisen noch am Morgen des 18. Oktober an, werden
treter Schreitmüller, ebenso Anstaltsarzt Dr. Henck. aber an der ordnungsgemäßen Aufnahme ihrer
Um 9.00 Uhr läßt der angerufene zuständige Haftrich- gerichtsmedizinischen Tätigkeit gehindert. In ihrem
ter, Senatsvorsitzender Foth, bestellen, er sei in einer Gutachten zur Todeszeit monieren die Professoren Mal-
Sitzung. lach und Rauschke gemeinsam:
Um 9.30 Uhr schlägt ein weiterer Versuch, mit dem
baden-württembergischen Justizministerium Telefon- Die Untersuchungsgefangenen Ensslin und Baader waren
kontakt herzustellen, ebenfalls fehl. Deshalb stellt der in den Morgenstunden des 18. Oktober 1977 - Gudrun
Verteidiger beim Justizministerium telegraphische Ensslin erhängt, Andreas Baader erschossen - in ihren
Anträge, wonach die Sicherstellung aller Beweise, die Zellen aufgefunden worden. Von der Position beider Lei-
Leichenschau und die Obduktion in seiner Gegenwart chen in den Zellen konnten sich die Unterzeichnenden zwi-
zu geschehen haben. schen 9.00 Uhr und 10.00 Uhr durch einen Blick von der
Alle Versuche, herauszufinden, in welchem Kranken- Zellentür aus überzeugen, zur Untersuchung finden wir
haus sich Jan-Carl Raspe befindet, scheitern ebenfalls. indes erst ab 17.00 Uhr Gelegenheit ( ... )

100 101
Als oberste Begrenzungen, also zu welchem frühest-
möglichen Zeitpunkt der Tod eingetreten sein könnte, kom-
r Welche" polizeilichen Gründe" es waren, die die Arbeit
der Gutachter blockierten, ist nicht ersichtlich. Es ist bis
men folgende Zeitpunkte bzw. Zeitspannen in Betracht; für heute undurchsichtig geblieben, weshalb angeordnet
1. Gudrun Ensslin der 18.10.1977 zwischen 1.15 Uhr und wurde, die gerichtsmedizinische Untersuchung der Lei-
1.25 Uhr chen auf einen so späten Zeitpunkt zu verschieben, und
2. Andreas Baader der 18.10.1977 zwischen 0.15 Uhr bis wer diese Anordnung getroffen hat. Generalstaatsan-
0.30 Uhr und 2.15 Uhr walt Schüle beruft sich dem Autor gegenüber ebenfalls
Eine exaktere Zeitbestimmung wäre zu erwarten gewe- auf "polizeiliche Gründe", ohne sie zu benennen.
sen, wenn den Untersuchern bereits nach ihrem Eintreffen Niemand vermochte bis heute Anhaltspunkte für das
am Fundort am Morgen des 18.10.1977 Gelegenheit zur Vorliegen solcher Gründe zu geben. Maßgebende, der
Untersuchung gegeben worden wäre. Aufklärung der Todesursache dienende Gründe kön-
nen auch nicht gefunden werden. War es deshalb eine
Maßnahme, die auf geheimdienstlicher Einflußnahme
Weiter führen die Gutachter aus: beruht?
Für die Durchführung der Leichenschau gilt absoluter
Beschleunigungsgrundsatz, um die möglichst präzise
Hat man die Absicht, in den Naturwissenschaften einen Feststellung des Todeszeitpunkts zu gewährleisten.
bestimmten Punkt festzulegen, so wird man sich möglichst Hätte Mallach am Morgen des 18. Oktober, als es noch
vieler Parameter bedienen, um mit seinen Meßdaten dem möglich gewesen wäre, die Muskeln der Toten mecha-
wahren Punkt nahezukommen. Dies wäre, bezogen auf die nisch oder mittels elektrischen Stroms erregt und die
Bestimmung der Todeszeit, sonach sinnvoll, wenn man Pupillen mit pharmakologischen Substanzen gereizt,
sich der sechs genannten Parameter bedienen könnte; dies wäre anhand der Reaktionen eine präzisere Todeszeit-
würde bedeuten, daß der Gerichtsarzt zum möglichstfrühen bestimmung möglich gewesen. Mit diesen Methoden
Zeitpunkt nach dem Auffinden einer Leiche zur Untersu- läßt sich nämlich die Todeszeit oft bis auf ein oder zwei
chung gerufen wird. Bezogen auf die konkreten Fälle Enss- Stunden einengen.2
lin und Baader bedeutet dies, daß diese Untersuchungen Nach Beginn der Leichenschau um 17.00 Uhr war es
unmittelbar nach dem Eintreffen der beiden Unterzeichnen- dazu aber zu spät.
den am Fundort der Leichen, - jedenfalls am 18.10.1977 An diesem Tag kommandiert BKA-Chef Herold über
vor 10.00 Uhr - hätten durchgeführt werden müssen: da sie die Einsatzzentrale des baden-württembergischen LKA
aber aus polizeilichen Gründen auf die Zeit zwischen 17.00 den Verfassungsschutz3 an das von vornherein erklärte
Uhr und 20.00 Uhr verschoben werden mußten, gingen Ziel der Ermittlungen: Selbstmord.
kostbare Parameter verloren .••1 Günter Textor, Kriminaloberrat (KOR)und Leiter der
Sonderkommission Stammheim verfährt wie befohlen:
,,Vonder Staatsanwaltschaft haben wir keine entspre-
chenden, über Selbstmord hinausgehenden Ermitt-
lungsaufträge bekommen."4
Aufgrund dieser Beschränkung des Ermittlungsauf-
trags und aufgrund der Behinderung der Untersuchun-
102 103
gen der Gerichtsmediziner sind zwei konträre Exper-
tenversionen entstanden: Mallach und Rauschke gehen
r 2. Die Untersuchung der
Zellen
in ihrem Gutachten von einem frühestmöglichen Todes-
zeitpunkt bei Andreas Baader um 0.15 Uhr aus. Die
beiden ausländischen sachverständigen Beobachter Als Richterin Rebsam-Bender zur Leichenschau um 15
Hartmann aus Zürich und Andre aus Brüssel aber kom- Uhr auf Stockwerk 7 eintrifft, ist nicht sie Herrin des
men zu dem Ergebnis, der frühestmögliche Todeszeit- Verfahrens, sondern der Krisenstab.
punkt liege noch vor Mitternacht oder um Mitternacht Von der Polizei sind zahlreiche Beamte anwesend,
herum. darunter Kriminaloberrat Textor, andere Anwesende
Der Zeitpunkt des Todeseintritts hatte von Anfang an können nicht namhaft gemacht werden, weil sie nicht
eine zentrale Bedeutung. Die Staatsanwaltschaft wollte ins Protokoll aufgenommen worden sind. Vertreten sind
von Anbeginn davon ausgehen, daß die Häftlinge aus Anstaltsleiter Nusser und sein Stellvetreter Schreitmül-
"Verzweiflung und Resignation ••5 über den mißglück- ler. Erschienen sind auch Oberstaatsanwalt Kässer und
ten Geiselaustausch in Mogadischu eine Selbsttötungs- Erster Staatsanwalt Hermann - der spätere Anstaltslei-
verabredung getroffen hätten. ter- sowie Ministerialdirigent Reuschenbach und Mini-
Diese Annahme könnte durch die Feststellung des sterialrat Keck vom Justizministerium Baden-Württem-
frühestmöglichen Todeszeitpunkts erschüttert werden. berg.
Es war bekannt, daß die erste Meldung von der Befrei- Als Sachverständige und Gerichtsärzte wirken Pro-
ung der Lufthansa-Maschine am 18.10.1977 um 0.40 fessor Rauschke, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin
Uhr gesendet wurde. der Stadt Stuttgart sowie Professor Mallach, Leiter des
Nach den insoweit übereinstimmenden Feststellun- Instituts für Gerichtliche Medizin der Universität Tü-
gen beider Expertengruppen lag der frühestmögliche bingen.
Todeszeitpunkt bei Andreas Baader aber vor diesem Als sachverständige Beobachter nehmen Professor
Sendungszeitpunkt. Hartmann, Direktor des Instituts für Gerichtliche Medi-
Ist dies der Grund dafür, daß die Untersuchungen der zin der Universität Zürich und Professor Holczabek,
Gerichtsmediziner, die die möglichst genaue Feststel- Vorstand des Instituts für Gerichtliche Medizin der Uni-
lung des Todeszeitpunkts betreffen, entscheidend versität Wien, ferner ab 17.55 Uhr Professor Andre,
erschwert worden sind, indem sie die Untersuchungen Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin der Uni-
erst so spät beginnen konnten? versität Lüttichl Belgien, teil.
Und ist es ein Hinweis dafür, daß die "polizeilichen Von der Anwaltschaft sind anwesend:
Gründe für den Aufschub nicht benannt worden sind, Rechtsanwalt Hans Heinz Heldmann, Darmstadt, ab
weil nämlich solche Gründe nicht bestanden? 15.45 Uhr,
Rechtsanwalt Otto Schily, Westberlin, ab 16.00 Uhr,
Rechtsanwalt Karl-Heinz Weidenhammer, Frankfurt
a.M., ab 16 Uhr,
Rechtsanwältin Jutta Bahr-Jendges, Bremen, gegen
18.00 Uhr.6
Zum Zeitpunkt des Eintreffens der Anwälte waren die

104 105

_ J- _
! ..•

Haftzellen nicht mehr im ursprünglichen Zustand, die ~-E ~


Spuren verändert und die Möglichkeit der genauen ~.:i
'"

Feststellung des Todeszeitpunkts bei Andreas Baader


und Gudrun Ensslin vereitelt, wie anschließend darge- rr
stellt wird.
Die Verteidiger haben die Möglichkeit, die Zellen der
Häftlinge, den Umschlußraum und die Tür zum Trep-
penflur im 7. Stockwerk zu besichtigen. Die in sich
geschlossene Hochsicherheitsabteilung III beschreibt
die Kriminalpolizei wie folgt:

Kriminalpolizei
- Inspektion 1-
rl ( I
Stuttgart, den 27.10.1977 'H ; ,

Stu/Sr. 3N '111
~ I
di'1' I
" j' I

Betr.: Beschreibung des BM-Zellentraktes, der sich im 7.


Stockwerk des kurzen Flügels der Vollzugsanstalt S.-
Stammheim befindet
r.:
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Am Mittwoch, dem 26.10.1977, befaßte sich KM Stumm mit "o "

~ i/
C9
;> ,
der allgemeinen Beschreibung des BM-Zellentraktes.
~I s"
Wenn man aus dem Personenaufzug im 7. Stockwerk des "
iU

kurzen Flügels heraustritt, kommt man zuerst in einen gro-


"'-.,. -
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~
rl
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lJ
)!;
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ßen Vorraum. Vom Aufzug aus gesehen rechts, in der Mitte Vl
S
::> ,/ ~
des Vorraumes, befindet sich die Beamtenkabine, von der
aus das gesamte 7. Stockwerk überwacht wird. Links und
rechts dieser Kabine sind jeweils ein Besucherraum, abge-
zl t ~ UEM / aU1o+sneqsE18
trennt durch Glasbausteine. Gegenüber der Kabine befin- (
det sich eine Glasbauwand, die dann diesen Trakt zu dem
Hof der JVA S-Stammheim abgrenzt. Wenn man vor der
Glaskabine steht, gelangt man nach links in den sogenann-
ten langen Flügel, in dem sich weibliche Gefangene aufhal-
ten. Dieser Gefängnistrakt ist durch ein weißes starkes
Gitter von dem Vorraum abgetrennt. Lageplan7:

106 107

_ J..- _
I
Rechts von der Glaskabine befindet sich eine Glasbau- vollends zu der Glaskanzel führt. In dem zweiten Flur befin-
wand, die den kurzen Flügel von der Vorhalle abtrennt. den sich auf der rechten Seite noch drei Türen. Die erste
läßt sich nach innen zu der Teeküche öffnen, die zweite
In den kurzen Flügel gelangt man durch eine große Holz- Türe - hierbei handelt es sich wiederum um eine übliche
türe, die links angeschlagen ist und sich nach außen öffnen Zellentüre - läßt sich in die Hauskammer öffnen, und die
läßt. dritte Türe läßt sich wie die zweite nach außen in die eigent-
liche Glaskanzel öffnen. In die Glaskanzel kommen aller-
Nachdem man durch diese Türe getreten ist, beginnt der dings nur Personen durch den ausgebauten Dienstraum,
kurze Flügel, der mit einem kleinen Vorraum anfängt. Die- der unmittelbar vor der Glaskanzel auf der rechten Seite
ser Vorraum ist allgemein nicht zugänglich für BM-Häft- liegt.
linge. Links des kleinen Vorraumes ist ein großer Siche- Gegenüber der dritten Türe befindet sich noch eine Holz-
rungskasten angebracht. Rechts des Sicherungskastens türe, die dann in den linken Flur führt. Dieser Teil des linken
befindet sich ein großer Minimax-Feuerlöscher. Anschlie- Flures wird allerdings auch, wenn er auf diese Weise betre-
ßend daran folgt eine blaue Türe mit normaler Verschlie- ten wird, als Schleuse bezeichnet; denn er befindet sich
ßung, die sich nach innen öffnen läßt. Hinter dieser Türe unmittelbar neben der Glaskanzel auf der linken Seite von
befindet sich der Effektenraum und der Telefonschaltka- ihr.
sten und Verstärkerkasten. In diesen Raum hatten die Häft-
linge nur im Beisein eines Kontrollorganes Zutritt. Wenn man nun von dem kleinen Vorraum aus wieder, nicht
Rechts des kleinen Vorraumes befindet sich nochmals die rechte, sondern die linke Gittertüre benützt, die sich -
ein Sicherungskasten, der ausschließlich für den BM-Zel- wie schon angegeben - nach außen in den kleinen Flur-
lentrakt zuständig ist. raum öffnen läßt, so gelangt man in den sogenannten
Ebenfalls auf der rechten Seite des Vorraumes ist noch Rechtsanwaltflur.
eine Toilette, die ebenfalls nur ausschließlich von Im Rechtsanwaltflur befinden sich auf der linken Wand-
Bediensteten benützt werden kann und darf. seite vier Zellen, die sich nach außen öffnen lassen. Diese
Anschließend kommt gegenüber dem schon beschriebe- Zellen wurden im einzelnen schon beschrieben und diese
nen Vorraumeingang eine weiße Gittervorrichtung, die dienen für Rechtsanwaltbesuche.
rechts und links einen Eingang, ebenfalls aus Gitter, vor- Anschließend daran kommt man an eine Holztüre, die
weist. Diese Gittertüren lassen sich nach außen, d.h. also in sich in den Rechtsanwaltflur öffnen läßt. Die Türe ist rechts
den Vorraum, öffnen, die rechte Gittertüre ist rechts ange- angeschlagen. Nach Betreten durch diese Türe ist man in
schlagen, die linke Gittertüre ist links angeschlagen. der schon näher bezeichneten Schleuse, die ja - wie schon
angegeben - auch vom rechten Flur aus betreten werden
Wenn man nun durch den rechten Gittertüreneingang in kann ..
den eigentlichen BM- Trakt eintritt, kommt man auf einen Links dieser Schleuse befinden sich noch 2 Zellen, die
Flur, der zur Glaskanzel des BM-Traktes führt. Dieser Flur eine - hier handelt es sich um die Zelle Nr. 713 - diente als
ist wiederum in 2 kleinere Flure eingeteilt, wovon die erste Trimm-Dich-Raum, die Zelle 714 als sogenannter "Freß"-
Türe, von der Abgitterung aus gerechnet, in die Umkleide- Raum. Auf der rechten Seite der Schleuse befindet sich
kabine und in den Duschraum führt. Anschließend kommt außer der schon genannten Zugangstüre die Glaskanzel.
ein Durchgang in den zweiten kleineren Flur, der dann Zwischen der rechten Türe und der Glaskanzel befindet

108 109

_ J- _
I
sich eine ITT-Gegensprechanlage, mit der man in die Glas- Betr.: Beschreibung der Feuertreppe, die im kurzen Flügel
kanzel, mit den Beamten, Verbindung aufnehmen kann, im 7. Stockwerk endet.
aber auch vor zu der eigentlichen Kontrollkanzel im großen
Vorraum. Am Ende dieser Schleuse ist eine grüne schwere Am Mittwoch, dem 26.10.1977, nahm KM Stumm das Trep-
Vergitterung angebracht. In diese Vergitterung ist eine penhaus, welches im 7. Stockwerk des kurzen Flügels
ebenso schwere Gittertüre eingelassen, die links ange- endet, in Augenschein.
schlagen ist und sich nach außen in die Schleuse öffnen
läßt. Das Gitter schließt auch mit der Glaskanzel ab, die Vom 6. Stock des kurzen Flügels aus kann die Feuertreppe
dann vollends nach rechts verläuft und somit die gesamte betreten werden. Die Treppenhaustüre ist einmal abge-
Breite des kurzen Flügels abtrennt. Wenn man durch dieses schlossen, das zweite Oberschloß ist nicht betätigt. Die
grüne Gitter eintritt, hat man den gesamten kurzen Flügel Feuertreppe führt vom 7. Stockwerk aus bis in das Erdge-
vor sich, in dem sich vier BM-Häftlinge: Raspe, Baader, schoß hinunter, wird allerdings nicht betreten, d.h., daß sie
Ensslin und Möller befanden. nur im Ernstfall benützt wird. Für die normalen Gefangenen
Auf der linken Seite diese Zellentrakts befinden sich die besteht hierher kein Zutritt.
Zellen 715, 716, dann kommt ein Abstand und das Treppen-
haus, anschließend kommt die Zelle 718 sowie die Zelle Wie die Türe im 7. Stockwerk von der Treppenhausseite
719. Somit ist man an die Stirnseite des kurzen Flügels aus zeigt, besitzt sie hier zwei Schlösser, wie die Türe vom
gelangt, der wiederum mit einem schweren grünen Gitter 6. Stockwerk. An der linken oberen Ecke des Türrahmens
abgetrennt ist. Von dem kurzen Flügel aus gesehen hinter ist ein neuverlegtes Leitungskabel zu erkennen. Vermutl.
dem Gitter befindet sich eine Glasbauwand. Auf der rechten handelt es sich hier um die elektrische Sicherung dieser
Seite des kurzen Flügels - von der Glasbauwand wieder Treppenhaustüre im 7. Stock. Das Treppenhaus selbst ver-
zurück zu dem Glaskasten, in dem sich die Beamten auf- läuft quadratisch, und immer an den Außenwänden ist die
hielten - folgen die Zellen 720, 721 , 722, 723, 724, 725 und Treppe nach unten bzw. nach oben verlaufend angebracht.
726. Anschließend folgt, wie schon angegeben, der Glas- In der Mitte dieser Treppe befindet sich ein Schacht, der mit
kasten. Seilen gesichert ist. Ansonsten sind in dem Treppenhaus
bzw. Treppenraum keine Besonderheiten zu erkennen.
Stumm, KMB
Zu erwähnen ist noch, daß, außer den besonderen Schließ-
verhältnissen der Türe im 7. Stock, diese Türe noch grau
gestrichen ist, im Gegensatz zu den übrigen Treppenhaus-
Kriminalpolizei türen, die mit einem Drahtglas eingelegt und grün gestri-
- Inspektion 1- chen sind. Hinter jeder dieser Türen, ebenso hinter der Türe
im 7. Stockwerk, befindet sich der Feuerwehrkasten.
Stuttgart, 27.10.1977
Stu/Be Wie Herr Fleischer 11, der Assistent der JVA S-Stammheim
ist, berichtet, wird dieser Treppenhausaufgang abends
jedesmal von innen und von außen kontrolliert, ob die
Schließverhältnisse in Ordnung sind. Zusätzlich wird von

110 111

_ J- _
dem kontrollierenden Beamten das obere zweite Schloß an
I nigem Schmutz bedeckt ist, weniger das linke. Die
der Türe verschlossen und dieser Schlüssel wieder separat Schuhe sind beiderseits nicht bis oben geschnürt,
beim diensthabenden Beamten deponiert. Das heißt also, jedoch mit der Schleife der Schnürbänder ver-
daß man so gegen 16.00.Uhr oder 17.00.Uhr - um diese schlossen. 10
Zeit werden die Treppenhaustüren nochmals verschlossen Dem sachverständigen Beobachter Holczabek und
- nicht mehr mit dem gängigen Schlüssel in das Treppen- Rechtsanwalt Heldmann fällt auf, daß an diesen Schuh-
haus oder aus dem Treppenhaus herausgelangen kann, sohlen ein intensiver Belag mit hellem, feinkörnigem
sondern extra vom diensthabenden Beamten den Zusatz- Sand haftet. Beide fordern eine mineralogische Analyse
schlüssei anfordern muß. Wenn dies der Fall ist, wird dar- dieser Fremdkörper. Der Gerichtsmediziner Mallach
über ein gesonderter Vermerk gemacht, damit dann jeder- reagiert nicht. Er unterläßt es sogar, die Feststellung der
zeit Kontrolle vorhanden ist, ob das Treppenhaus benützt Fußsohlenanhaftung ins Protokoll zu nehmen. 11
wurde oder nicht. Eine nähere Untersuchung ergibt, daß auf der Streck-
seite des rechten Daumens und an der Innenkante des
Stumm, KM9 unteren Bereichs des rechten Zeigefingers deutlich
Blutspritzer zu sehen sind, sämtlich mit uhrzeigerförmi-
gen Ausläufern. Auf der Vorderseite des Unterarms
Gegen 16.00 Uhr betreten die Richterin, die Gerichts- trägt die Haut einige kleine schwärzliche Partikel. Nun
mediziner und die Anwälte die Zelle Andreas Baaders. wird der Grad der Totenstarre festgestellt. Nach Über-
Unmittelbar vor dem Zelleneingang stößt man auf eine windung der Totenstarre wird eine gut markstück-
Spanische Wand. Links von der stählernen Zellenein- große, matte Schwärzung der Haut am Endgelenk des
gangstür befindet sich ein Waschbecken, dahinter eine Daumens zur Zeigefingermitte hin und an der Beuge-
Toilettenschüssel. Auf der Ablage über dem Waschbek- seite des Zeigefingers in Höhe des Mittelgliedes
ken liegen zahlreiche Gegenstände. Im Anschluß an die bemerkt. Ferner werden weitere Blutspritzer auf der
Toilettenschüssel befindet sich an der linken Wand ein Streckseite des Daumens, an der Schwimmhaut zwi-
Heizkörper. In der Mitte dieser Wand steht bis zur schen Daumen und Zeigefinger, in der Beugefalte des
Decke reichend ein Regal, das mit Büchern gefüllt ist. Daumengrundgelenks hin und an der Handinnenfläche
An der rechten Wand, vom Eingang her gesehen, befin- des 3. und 4. Mittelhandknochens gefunden.
det sich die Schlafstelle. Die Zelle hat zwei Zellenfen-
ster, die mit grünem Spieltischfilz verhängt sind. An der Um 17.55 Uhr wird die Zelle von Gudrun Ensslin betre-
Decke war eine Neonleuchte angebracht. Um 17.15 Uhr ten. Unmittelbar nach der Eingangstür ist an der Wand
beträgt die Zellentemperatur 24°C. ein Waschbecken angebracht. Darüber befindet sich
Andreas Baaders Leiche liegt fast in der Raummitte. ein kleiner Spiegel. An der Decke ist eine Neonleuchte
Im Blutlachenbereich neben der linken Kopfseite des befestigt. Die Zelle hat Toilettenschüssel und Wasch-
Toten liegt eine Handfeuerwaffe. In der Kopfschwarte becken. Die spätere Überprüfung des einzigen Zimmer-
der Mittelliniengegend zeigen sich zwei Lochdefekte, spiegels, der über dem Waschbecken angebracht ist,
einer im unteren Hinterhauptbereich und der andere ergibt, daß der Spiegel mit durchgehenden Schrauben
hinter der Stirn-Haar-Grenze. Ferner wird festgestellt, von außen festgemacht ist. Zugang zu den Konter-
daß das rechte Hosenbein auf der Vorderfläche mit kör- schrauben hatten allerdings die Häftlinge nicht; denn

112 113

_____________ J-- _
der Raum, in dem sich die Zugangsschrauben befinden,
I Maschenhohlräume. Hinter dem Gitterstab zwischen
ist wiederum verschlossen. Hierbei handelt es sich um dem 15. und 16. Maschengitter von rechts (in Aufsicht
den Abwasser- und Versorgungsraum. Hinter diesem gesehen) sind 2 doppeladrige Elektro- bzw. Radiokabel
Spiegel wurde von den Gefangenen eine optische geschlungen, die sämtlich mit Isolierung überzogen
überwachung vermutet. 12 sind. Die Leiche hängt gradlinig nach unten. Um 19.55
Der Zellenraum hat 2 Fenster. Ein Fenster liegt Uhr beträgt die Raumtemperatur 17,60 C. Durch ein
gegenüber von der Eingangstür, das zweite Fenster "Versehen" wird die Prüfung der Totenstarre nicht ins
weiter nach links versetzt, entsprechend dem eckigen Protokoll aufgenommen. Beim Versuch, die Leiche aus
Verlauf der Wand. Beide Fenster sind mit je einer Woll- ihrer ursprünglichen Lage abzuhängen, reißen die
decke verhängt. Die Wolldecken sind jeweils von oben Kabel an der Stelle, an der sie durch das Wellgitter des
rechts und links mit Stecknadeln befestigt. Unter dem Zellfensters geschlungen waren.13
Fenster gegenüber der Eingangstür steht ein Anstalts-
stuhl. Die Stuhllehne ist zur Außenwand gerichtet, über Aus der Zelle sind zu diesem Zeitpunkt bereits diverse
dem linken Vorderteil der Lehne hängt das untere Ende schriftliche Aufzeichnungen, darunter ein Brief an Bun-
der Wolldecke. Der genaue Stand des Stuhls wird durch deskanzler Helmut Schmidtl4, entfernt, ebenso der
Einkreisung der Beine am Boden genau markiert. Dann Inhalt des roten Aktendeckels mit der Aufschrift
wird der Stuhl weggetragen. "Anwalt". Diese Urkunden geraten in den Besitz von
Auf der Sitzfläche des Stuhls sieht man haar- und Generalbundesanwalt Rebmann, der auf Weisung von
faserähnliche Auflagerungen, ferner etwas weißlichen Bundesjustizminister Vogel tätig ist. Vogel erfährt
Schmutz. Der rechtseitige Nagel wird gelöst, die Woll- durch den katholischen Bischof Georg Moser von der
decke fällt nach links. Sichtbar wird die bei geöffnetem Existenz dieser Urkunden. 15 Der evangelische Anstalts-
Fenster am Fensterrost hängende Leiche. Die Leiche pfarrer Kurmann, der am 17. Oktober noch mit Gudrun
hängt frei. Ensslin gesprochen hatte, erklärt dazu, nach Abfassung
Vom Boden bestehen folgende Abstände: Linke des Briefes an die Familie Ensslin am 18. 10. 1977 habe
Großzehe (bei Spitzfußhaltung im Sprunggelenk) 20,5 sein katholischer Kollege in seinem Beisein Bischof
cm und Fersenkante 30 cm. Rechte Großzehenspitze bei Moser angerufen, um ihn zu unterrichten. Dieser habe
gestrecktem Sprunggelenk 20,5 cm und Fersenkante 31 gute persönliche Verbindungen zu Bundesjustizmini-
cm. ster Vogel. Vogel habe Moser durch Rückruf verstän-
Die Leiche hängt nicht ganz in der Fenstermitte, son- digt, daß er, wenn die Schriftstücke gefunden seien,
dern in der Aufsicht betrachtet etwas weiter nach dafür sorgen wolle, daß sie den Adressaten zugestellt
rechts. Die Fensteröffnung ist nach außen ins Freie würden.16
abgeschlossen durch ein feinmaschiges Drahtnetz und Die Beschlagnahme dieser Urkunden begründet
nach innen durch ein Wellgitter. Das Wellgitter hat eine Generalbundesanwalt Rebmann später so: Sie seien für
Größe von oben nach unten von 54 cm und in querer das Todesermittlungsverfahren ohne "besondere
Richtung 47 cm. Es besteht aus 3,4 mm starken weiß Bedeutung" .17 Er benötige sie für ein weiteres Verfah-
lackierten Metallstäben. Die Gitterrnaschen sind von ren "gegen Unbekannt", das er eingeleitet habe, weil
nicht ganz einheitlicher Größe, die Größe beträgt im für die Häftlinge Waffen in die Zellen geschmuggelt
Mittel 9,5 qmm. In querer Richtung bestehen 35 worden seien. Dies rechtfertige den Verdacht eines

114 115

_ J-- _
,
Vergehens nach der Strafvorschrift § 129 a StGB, wel-
che die Bildung oder Unterstützung einer terroristi-
3. Die Ergebnisse der
schen Vereinigung unter Strafe stellt. Nachtobduktionen
Die Bundesanwaltschaft wird ferner beim Ermitt-
lungsrichter des Bundesgerichtshofes einen Beschlag- Inzwischen erhebt sich wegen der Vorgänge in Stamm-
nahmebeschluß erwirken und die Herausgabe der in heim internationaler Protest. Die internationale Öffent-
Gudrun Ensslins Zelle gefundenen Gegenstände ver- lichkeit verlangt die Einsetzung einer internationalen
langen: Untersuchungskommission. Das Sekretariat der "Inter-
"1orangefarbener Aktendeckel mit diversen schriftli- nationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung
chen Aufzeichnungen und des Todes von Ulrike Meinhof" verlangt von Justizmini-
1 roter Aktendeckel mit Aufschrift "Anwalt", enthal- ster Bender die Teilnahme neutraler Pathologen an der
tend zahlreiche schriftliche Aufzeichnungen. ,,18 Obduktion der Leichen.22
Erster Staatsanwalt Hermann wird diese Urkunden Auch Amnesty International (AI)drängt öffentlich auf
an Generalbundsanwalt Rebmann übersenden, weil sie Mitwirkung. 23
angeblich für das Todesermittlungsverfahren "ohne Plötzlich haben es die angerufenen Stellen eilig. Noch
besondere Bedeutung" seien.19 am 18. Oktober 1977 findet von 21.50 Uhr bis zum frü-
hen Morgen des nächsten Tages um 4.30 Uhr auf dem
Am Abend wird die Zelle von Jan-Carl Raspe geöffnet. Bergfriedhof in Tübingen die Obduktion der Leichen
Sie ist etwa 20 m auf derselben Traktseite von der Zelle Andreas Baaders, Gudrun Ensslins und Jan-Carl Raspes
Andreas Baaders entfernt. Das Fenster ist geschlossen. statt. 24
Quer zum Fenster steht eine Liege. Darauf befindet sich Erster Obduzent ist Rauschke, Zweitobduzent Mal-
eine Decke, die blutverschmiert ist. Rechts über dem lach, denen drei Sektionsgehilfen assistieren. Anwe-
Kopfende der Liege an der Wand ist ein deutlicher Blut- send sind auch die drei ausländischen sachverständi-
spritzer sichtbar. Auf der Liege befinden sich ein bis gen Beobachter Andre, Hartmann und Holczabek, der
zwei Patronen und ein Magazin. Links zum Zellenein- später die Befragung durch den baden-württembergi-
gang liegen 2 Blatt Kohlepapier auf dem Boden.2o schen Untersuchungsausschuß und die Unterzeich-
Die Waffe war inzwischen von den Beamten Götz und nung offizieller Erklärungen ablehnen wird.25
Miesterfeldt auf den Schreibtisch des Anstaltsleiters
Nusser gelegt worden. Anschließend nahm KORTextor Als erste wird Gudrun Ensslin obduziert.
diese Waffe an sich.21
Wäre sie nicht vom Fundort beseitigt worden, hätten
sich aus ihrer Auffindungslage wertvolle Hinweise über Die Anwesenden stellten fest, daß es sich bei der auf dem
den tatsächlichen Geschehensablauf ergeben können. Sektionstisch liegenden Leiche um die von

Gudrun Ensslin

116 117
,
handelt, die von Herrn Rechtsanwalt Schily verteidigt und im gegenwärtigen Fall nicht vorhanden. Nach den bis-
vertreten worden ist und u.a. Herrn Dr. Heldmann, ( ... ) und herigen Feststellungen spricht auch nichts dagegen,
dem Ersten Obduzenten persönlich bekannt war. daß die vorgefundene Erhängungssituation von eigener
Es wurde mit der Leichenschau und Leichenöffnung be- Hand bewerkstelligt werden konnte. Mithin spricht
gonnen ... nichts gegen eine Selbsttötung durch Erhängung, vor-
behaltlich einer noch durchzuführenden Rekonstruk-
tion.
C. Vorläufiges Gutachten
111.Auf Anordnung des Staatsanwalts wurden Schenkel-
I. Die Obduktion der Leiche von Gudrun Ensslin hat alle venenblut zur Alkoholbestimmung und Herzblut, Ma-
typischen Zeichen des Erhängungstodes ergeben mit geninhalt und Urin sowie Dünndarminhalt für chemisch-
Totenflecken an Füßen, Beinen, Händen, Armen und toxikologische Untersuchungen auf Betäubungsmittel
Kinn, mit Erhängungsstrangmarke am Hals in der Form und ähnliches entnommen, ferner Abstriche von
der sogenannten typischen Erhängung (Aufhängepunkt Scheide und Mastdarm, Leichenblut zur Bestimmung
oberhalb vom Nacken und Verknotung in der vorderen der Blutgruppenformel und Proben aus verschiedenen
Mittellinie des Halses), mäßiger Vergrößerung des Geweben und inneren Organen für feingewebliche Un-
Gehirns, einzelnen Erstickungsblutungen unter dem tersuchungen.
Bindehautüberzug des rechten Augenoberlides und Es wurde verabredet, daß die Blutalkoholbestimmung
-Unterlides, Blutungen unter der Herzinnenhaut mäßi- und die chemisch-toxikologischen Untersuchungen in
ger Milzentspeicherung und flüssigem Zustand des Blu- Tübingen und die weiteren Untersuchungen in Stuttgart
tes in (unleserlich) len Gefäßabschnitten, ferner mit durchgeführt werden.
Speichelabrinnspur vom Mund aus abwärts, Einklem-
mung der Zungenspitze zwischen Oberkiefer und Unter- IV. Zu Einzelfragen bleibt eine abschließende Stellung-
kiefer, Abbruch der Hörner des Kehlkopfknorpels und nahme vorbehalten.
Blutungen unter der harten Rückenmarkshaut in Höhe
des dritten Halswirbelkörpers. V. Ende der Sektion am 19.10.77 um 0.30 Uhr.

11. Weitere Gewalteinwirkungsspuren waren eine Weich- (Unterschriften)


teilblutung am Rande der linken Daumenmaus, Haut-
blutergüsse an beiden Kniescheiben besonders rechts,
quergerichtete Hautkratzer unterhalb der linken Brust Um 0.30 Uhr wird als nächster Andreas Baader obdu-
und ein kleiner Bluterguß im Bereich des Mittelgelenks ziert:
des linken Mittelfingers. Diese Gewalteinwirkungsspu-
ren sind nicht auf eine Einwirkung von fremder Hand
verdächtig. Diejenigen Gewalteinwirkungsspuren, die
man in den äußerst seltenen Fällen einer Erhängung
von fremder Hand zu erwarten hätte wie Weichteilbluter-
güsse an den Armen infolge kräftigen Zupackens waren

- 118 119
r
Unter den Anwesenden stellen Rechtsanwalt Dr. Held- 111.Eine Verletzung des Hirnstamms, wie sie bei Baader
mann, Rechtsanwalt Schily und der erste Obduzent fest, festgestellt wurde, führt augenblicklich zur Bewußtlosig-
daß es sich bei der auf dem Sektionstisch liegenden Leiche keit und Handlungsunfähigkeit und alsbald zum Tod.
um die von
IV. Außer dem Kopfdurchschuß waren keine weiteren
Andreas Baader Gewalteinwirkungsspuren nachweisbar.

handelt. V. Für die Rekonstruktion des Schußablaufs können ver-


schiedene Körperabmessungen von Bedeutung sein,
Inzwischen war auch anwesend KHM Lipp von der Krimi- die auf dem vorgedruckten Fragebogen festgehalten
nalpolizei der LPD Stuttgart 11... sind. Der Fragebogen wird diesem Sektionsprotokoll in
Ablichtung als Anlage beigefügt.

C. Vorläufiges Gutachten VI. Auf Anordnung des Staatsanwalts wurden Schenkel-


venenblut zur Alkoholbestimmung und Herzblut, Ma-
I. Die Obduktion hat - bei völlig gesunden inneren Orga- geninhalt und Urin zur Untersuchung auf Betäubungs-
nen und bei Fehlen einer ins Gewicht fallenden Abma- mittel und ähnliches entnommen. Diese Untersuchun-
gerung - einen einzelnen Schädeldurchschuß ergeben gen werden in Tübingen durchgeführt. Ferner wurden
mit Einschußöffnung im Nacken oberhalb der Nacken- Gewebeproben aus verschiedenen inneren Organen für
Haar-Grenze, nach vorne ansteigendem Schußkanal etwaige feingewebliche Untersuchungen und Blut zur
mit Verlauf durch Kleinhirn, Hirnstamm und andere Hirn- Bestimmung der Blutgruppenformel entnommen; diese
regionen und mit Ausschußöffnung oberhalb der Stirn- Untersuchungen finden in Stuttgart statt.
Haar-Grenze. Die Obduktion hat ferner eindeutig erge-
ben, daß es sich bei der Einschußöffnung oberhalb der Vll.Ende der Sektion: 3.00 Uhr
Nacken-Haar-Grenze um einen absoluten Nahschuß
mit aufgesetzter Waffenmündung gehandelt hat.
Schließlich muß hervorgehoben werden, daß die rechte Name: Andreas Baader
Hand des Toten am Daumen eine natrium-rhodizanat-
positive Stelle sowie an Daumen und Zeigefinger Blut- Check-Liste bei Schußverletzungen (Teil I)
spritzer aufgewiesen hat.
1. Abstand der Bezugspunkte von der Sohlenebene
11. Schußverletzungen und Schußspuren im gegenwärti- (SE)
gen Fall sprechen für eine Beibringung von eigener Scheitel (SCH): 178 cm
Hand. Da die endgültige Beurteilung der Mitverwertung Schulterpunkt (SP): 156 cm
aller technischen Befunde bedarf, bleibt eine endgültige Brustwarze (BW): 133 cm
Stellungnahme vorbehalten. Nabel (N): 107 cm
Hüfte (H): 102 cm
Schritt (SR): 85 cm

120 121
r
2. Allgemeine Körpermaße Die Herren Rechtsanwälte Dr. Heldmann und Schily und
Abstand BW - BW 22,5 cm der erste Obduzent stellen fest, daß es sich bei der auf dem
Abstand SP - SP: 37 cm Sektionstisch liegenden Leiche um die von
Brustumfang in Höhe der BW: 84 cm
Brustkorbhöhe in Höhe der BW: 17 cm Jan-Carl Raspe
Brustkorbbreite in Höhe der BW: 27,5 cm
Beckenumfang in Höhe der H: 74 cm handelt.
Beckenhöhe in Höhe der H: 15 cm
Beckenbreite in Höhe der H: 27 cm Daraufhin beginnen die Obduzenten mit Leichenschau und
Leichenöffnung ...
3. Maße bei Kopfschüssen
Kopfumfang (Hutmaß): 57 cm
Abstand Schläfe - Schläfe: 13 cm C. Vorläufiges Gutachten
Abstand Stirn - Hinterhaupt: 20 cm
Abstand Kinn - Scheitel: 25 cm I. In Bestätigung der klinischen Feststellungen und der
im Katharinenhospital angefertigten Röntgenbilder
4. Maße bei möglicher Verletzung durch eigene Hand haben Leichenschau und Leichenöffnung bei Jan-Carl
bzw. deren Ausschluß Raspe einen einzelnen Kopfdurchschuß ergeben in
SP - Zeigefingerspitzen (ZFS): links ca. 78 cm; rechts Richtung von rechts nach links.
ca. 83 cm
SP - Ellenbogen (EB): links 35 cm; rechts 35 cm 11. Obgleich die Schußöffnungen der Kopfschwarte
EB - Handgelenk (HG): links 27 cm; rechts 25 cm bereits herausgeschnitten waren, hat die Gesamtheit
HG - Daumenfalte (DF): links 10 cm; rechts 9 cm der Sektionsbefunde den Nachweis erbracht, daß die
HG - ZFS: links 20 cm; rechts 20 cm Einschußöffnung an der rechten und die Ausschußöff-
nung an der linken Schädelseite gelegen haben. Fer-
ner fand sich an der rechten Schädelseite in den
Der Obduktionsbericht wird weder von den beiden Weichteilen Pulverschmauch in einer Menge, die nur
Obduzenten noch von dem Richter und dem Urkunds- einer Schmauchhöhle entsprochen haben kann. Folg-
beamten unterzeichnet. lich ist davon auszugehen, daß es sich bei dem Schä-
deidurchschuß von rechts nach links um einen absolu-
Um 3.00 Uhr nachts wird schließlich lan-earl Raspe als ten Nahschuß gehandelt hat.
letzter obduziert:
111. Der Tod ist eingetreten infolge Hirnverletzung. Zwi-
schen Tod und Schädeldurchschuß besteht ursächli-
cher Zusammenhang.

122 123
, Name: Jan Carl Raspe
IV. Ein Schädeldurchschuß von rechts nach links mit Ein-
schußöffnung im Sinne eines absoluten Nahschusses
spricht für Selbstbeibringung sofern es sich um einen Check-Liste bei Schußverletzungen (Teil 1)
Rechtshänder handelt.
1. Abstand der Bezugspunkte von der Sohlenebene
V. Leichenschau und Leichenöffnung ergaben keinerlei (SE)
zusätzliche Gewalteinwirkungen (außer Spritzenna- Scheitel (SCH): 179 cm
deleinstichen im Krankenhaus zu therapeutischen Schulterpunkt (SP): 152 cm
Zwecken). Brustwarze (BW): 133 cm
Nabel (N): 111 cm
VI. Der Staatsanwalt ordnete eine Blutalkoholbestimmung Hüfte (H): 103 cm
und chemisch-toxikologische Untersuchungen auf Schritt (SR): 89 cm
Betäubungsmittel u.a. an. Es wurden Schenkelvenen-
blut und Herzblut, Mageninhalt und Urin sowie Ge- 2. Allgemeine Körpermaße
Abstand BW - BW: 21 cm
websproben aus verschiedenen inneren Organen für
Abstand SP - SP: 42 cm
die entsprechenden Untersuchungen entnommen, die
im Institut für Rechtsmedizin der Universität Tübingen Brustumfang in Höhe der BW 83 cm
Brustkorbhöhe in Höhe der BW: 17 cm
durchgeführt werden.
Brustkorbbreite in Höhe der BW: 28,5 cm
VII. Der Staatsanwalt ordnete ferner die Bestimmung der Beckenumfang in Höhe der H: 75 cm
Beckenhöhe in Höhe der H: 15 cm
Blutgruppenformel an und Möglichkeiten für feinge-
Beckenbreite in Höhe der H: 29,5 cm
webliche Untersuchungen. Dementsprechend wurden
der Leiche von Raspe Leichenblut und Gewebsproben
aus verschiedenen inneren Organen entnommen. 3. Maße bei Kopfschüssen
Kopfumfang (Hutmaß): 56 cm
VIII. Ende der Sektion: 4.30 Uhr. Abstand Schläfe - Schläfe: 13 cm
Abstand Stirn - Hinterhaupt: 19 cm
Abstand Kinn - Scheitel: 23,5 cm

4. Maße bei möglicher Verletzung durch eigene Hand


bzw. deren Ausschluß
SP - Zeigefingerspitzen (ZFS): links ca. 79 cm; rechts
ca 82 cm
SP - Ellenbogen (EB): links 37 cm; rechts 37 cm
EB - Handgelenk (HG): links 27 cm; rechts 26 cm
HG - Daumenfalte (DF): links 8,5 cm; rechts 9 cm
HG - ZFS: links 19,5 cm; rechts 21 cm

- 124

-
125
r
4. Die Kommission für Die Delegation bleibt untätig und tritt unverrichteter
Menschenrechte beim Dinge die Heimreise an. Später teilte ihr die Bundesre-
gierung lapidar mit, daß gegen die Beschwerdeführer
vor dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart
Europäischen in der Zeit vom 21. Mai bis 28. April 1977 an insgesamt
Gerichtshof kann nicht 192 Verhandlungstagen eine Hauptverhandlung statt-
gefunden habe und am 28. April 1977 das Urteil verkün-
tätig werden det worden sei. Dieses Urteil sei nicht rechtskräftig, weil
die in Untersuchungshaft befindlichen Beschwerdefüh-
Als am 19. und 20. Oktober 1977 zwei Delegierte der rer Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt hätten.
Europäischen Kommission für Menschenrechte auf- Auch ende mit dem Tod derselben das Revisionsver-
grund der anhängigen Beschwerden gegen die BRD- fahren.29
Regierung wegen Verstoßes gegen das Folterverbot die Obwohl die Bundesregierung in ihrer eigenen Dar-
Einzelzellen in der Abteilung III des Hochsicherheits- stellung einerseits erklärte, daß die Häftlinge nicht
trakts der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim einse- rechtskräftig verurteilt seien, bezeichnet sie diese
hen wollen,25awar der Tod der politischen Gefangenen andrerseits fortgesetzt als "inhaftierte Terroristen" -
Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-earl Raspe entgegen ihrer in anderen Fällen hochgehaltenen
aus der RAF bereits eingetreten. Selbst ihre Leichen gesetzlichen Unschuldsvermutung, so wie sie diese
waren schon entfernt26. Die mit mehreren Stichverlet- etwa im Flick-Spendenprozeß so konsequent und ent-
zungen in der Brust überlebende Zeugin Irmgard Möl- schieden aufrechterhalten hat. Gegenüber den politi-
ler wurde zu dieser Zeit in einer abgeschirmten Abtei- schen Gefangenen wirkt diese gesetzliche Unschulds-
lung der Intensivstation der Universität Tübingen ärzt- vermutung für die Bundesregierung offensichtlich aber
lich behandelt. Für sie bestand wegen Herzbeutelver- nicht. Diese Unschuldsvermutung gilt aber sowohl
letzung Lebensgefahr. Ihre Verletzung wird als Vor- gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschen-
wand für die Fortsetzung der Kontaktsperre benutzt. rechtskonvention als auch im binnenstaatlichen Recht,
Auch nach Besserung ihres Zustandes werden Außen- wo diese Vermutung im Rechtsstaatsprinzip wurzelt.3o
weltkontakte nicht zugelassen. Weder ihrer Verteidige- Auch in Art. 11, Allgemeine Erklärung der Menschen-
rin noch der Delegation der Kommission wird der rechte, ist die Unschuldsvermutung eines Angeklagten
Zugang zu ihr gestattet.27 verankert: "Jeder Mensch, der einer strafbaren Hand-
Unbeachtet von den Aufklärungsaktivitäten der lung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzu-
Kommission bleibt der Tod der ebenfalls zur totalisolier- sehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfah-
ten Häftlingsgruppe in Stammheim gehörenden und ren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraus-
zuvor ins Männergefängnis nach München-Stadelheim setzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz
gebrachten Ingrid Schubert.28 Obwohl ihr Tod genauso nachgewiesen ist. "31
rätselhaft ist wie der von Baader, Ensslin und Raspe, In ihrer Entscheidung vom 8.7.1978 hat die Kommis-
kann hierauf die Kommission ihre Ermittlungen nicht sion des EGH die Individualbeschwerden der politi-
erstrecken, weil Ingrid Schubert keine Beschwerde schen Gefangenen aufgrund der unwahren Angaben
wegen Verletzung der Menschenrechte erhoben hatte. der Bundesregierung für unzulässig erklärt.
126 127
,
Die Kommission hätte anders entschieden, wenn sie Schon der ehemalige Militärjurist im Hitlerregime,
den tatsächlichen Sachverhalt gekannt hätte.32 Eduard Dreher, war es, der in seinem vielgelesenen
Ohnehin war das Urteil des Oberlandesgerichts Stutt- Kommentar bereits 1976 auf die Möglichkeit hinwies,
gart, in dem alle Angeklagten zu lebenslanger Frei- daß auch staatliche Organe im "übergesetzlichen Not-
heitsstrafe verurteilt worden sind, äußerst fragwürdig. stand" nach § 34 Strafgesetzbuch handeln können: "So
Es beruht auf zahlreichen Verfahrensverstößen und auf bei der Freilassung von Gefangenen zur Rettung von
einer mangelhaften Beweiswürdigung. Gegen keinen Geiseln. "35a
der Angeklagten konnte ein sicherer Tatnachweis Die permanente Möglichkeit, sich an dieser pauscha-
geführt werden. len Exekutivermächtigung35b nach Belieben ungestört
Mit dem Tod der Angeklagten konnte das zweifel- von parlamentarischen Kontrollen bedienen zu kön-
hafte Urteil nicht durch die Revision überprüft werden. nen36, wird vor der Kommission verhehlt.
Die Kommission, der der Schutz der Menschenrechte
in Europa (West) anvertraut ist und zu deren Grün-
dungszwecken als wesentlichstes Ziel der Schutz und 5. Exkurs: Der
die Fortentwicklung der Menschenrechte und der
Grundfreiheiten gehört,33 mußte nunmehr ohne die "übergesetzliche
Mithilfe der Häftlinge ihre Nachforschungen betreiben.
Die Aufklärung war nun entscheidend erschwert; die
Notstand und der Il

Kommission konnte befürchten, daß der Tod der


Beschwerdeführer durch Behandlungsmethoden der
"internationale Kampf
Bundesregierung eingetreten ist, die die Häftlinge in
ihrer Beschwerdeschrift gerügt hatten.34
gegen den
Bereits am 11. August 1977 hatten die Beschwerde- Terrorismus Il
führer, vertreten durch die Rechtsanwälte Pieter Bakker
Schut aus den Niederlanden für Andreas Baader, Jean- Mit dieser pauschalen Exekutivermächtigung eröffnet
Jaques de Felice aus Frankreich für Gudrun Ensslin und sich ein weites Anwendungsfeld - als primitive Norm zu
Michel Graindorge aus Belgien für Jan-earl Raspe die Staatsstreichzwecken ebenso wie zur Unterbindung
fortwährende Verletzung der Europäischen Menschen- jeglichen Kontakts politischer Gefangener untereinan-
rechtskonvention beanstandet und der Bundesregie- der und zur Außenwelt. 37
rung Isolationsfolter, Aufhetzung der öffentlichen Mei- Selbst Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böcken-
nung, Nichtbeachtung der Unschuldsvermutung, Ver- förde nennt das Rechtsgebäude des" übergesetzlichen "
sagung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung indivi- oder "rechtfertigenden" Notstandes in bezug auf seine
dueller und kollektiver internationaler Menschenrechte Funktion als Legitimationsgrundlage staatlichen Han-
vorgeworfen.35 Gegen solch schwerwiegende Vorwürfe delns eine "offene Generalermächtigung" , die noch
kann sich der Staat leicht wehren. Aufgrund seiner über das Ermächtigungsgesetz von 1933 hinausgeht.38
Staatsgewalt ist ihm die Möglichkeit gegeben, alle Noch vor der Entscheidung der Menschenrechtskom-
seine Maßnahmen damit zu rechtfertigen, daß ein soge- mission über die Beschwerden der Häftlinge erklärt
nannter "Notstand" vorgelegen habe.

128 129

••
Bundesjustizminister Vogel, der am 2. Oktober 1977 auf
, Rechte und Grundfreiheiten der Bürger garantierten.
der Grundlage einer gerade in Kraft getretenen Ände- Aufgrund dieses Artikels schlug die Regierung damals
rung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfas- die revolutionäre Bewegung nieder, und Hindenburg
sungsgesetz die Unterbrechung jedweder Verbindung stützte sich auf diesen Artikel, als er am 30. Januar 1933
der Inhaftierten untereinander und mit der Außenwelt Hitler die Macht übergab.
einschließlich des schriftlichen und mündlichen Ver- Ein Beispiel jüngeren Datums läßt sich aus der RAF-
kehrs mit den Verteidigern (gemäß § 31, 32 des Einfüh- Prozeßgeschichte anführen:
rungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz) ange- Die Vorschrift des § 34 Strafgesetzbuch regelt den
ordnet hatte39 in einem Interview mit dem italienischen rechtfertigenden Notstand im Interessenkonflikt unter
Fernsehen auf die Frage, ob die Schleyer-Entführung Bürgern. Als die Bundesregierung am 5. September
von den Zellen aus gelenkt worden sei: 1977 mit der Anordnung der Kontakt- und Nachrichten-
"Nein. Das haben wir seinerzeit schon nicht ange- sperre gegen die RAF-Häftlinge für diesen Fall de facto
nommen, und es hat sich keine Bestätigung dafür eine Notstandsdiktatur errichtet, geschieht dies unter
gefunden. Natürlich hat man immer wieder die Forde- der Machtdemonstration zweier NATO-Manöver
rung gestellt, daß etwas geschieht, damit man frei wird. (Hilex/Wintex), in denen ein einheitliches Krisenmana-
Ich kann auch nicht ausschließen, daß bei dem einen gement und der Notstandsmechanismus erprobt
oder anderen Gespräch kleinere Hinweise gegeben werden.
wurden, die für eine solche Unternehmung von Bedeu- Hatte angesichts einer solchen Konstellation der
tung sein könnten, Hinweise auf eine konspirative baden-württembergische Justizminister Traugott Ben-
Wohnung, Hinweise auf Waffen und Material. Aber der bei seiner Vorladung ins US-Hauptquartier Heidel-
eine Planung oder überhaupt eine Steuerung im Detail berg im August 1977 reelle Chancen, unter Hinweis auf
aus der Zelle heraus, dafür gibt es keine Beweise. ,,40 die Zuständigkeit des Landes Baden-Württemberg
Demnach gab es für die nach der Schleyer-Entfüh- gegenüber dem US-Kommando die Abgabe der Befug-
rung vom 5. September 1977 praktizierte Totalisolation nisse, die Leitung und Kontrolle der Vollzugsanstalt
der Häftlinge - von der französischen Tageszeitung Le Stuttgart-Stammheim betreffend, zu verweigern?
Monde als "Gegengeiselnahme" bezeichnet,41 von der Dazu ist Justizminister Bender nicht mehr zu be-
Bundesregierung dagegen verharmlosend als Kontakt- fragen.
sperre propagiert - keinen Rechtfertigunsgrund.
Trotzdem wurde den politischen Gefangenen unter Nach Beginn der Kontakt- und Nachrichtensperre
Berufung auf den sogenannten "Notstand" über Nacht schalteten sich die NATO-Chefs mit dem Präsidenten
erneut der für sie geltende Haftstatus als Untersu- der USA an der Spitze, das Bundeskriminalamt und die
chungsgefangene aberkannt. Im "Ausnahmezustand " Geheimdienste in die Leitung und Verwaltung der Voll-
wurden sie von da ab als vogelfreie Geiseln interniert. zugsanstalt Stuttgart-Stammheim ein.42 Die bis dahin
In der deutschen Geschichte hat es immer Beispiele real existierende Anstaltsleitung für die Sicherheitsab-
staatlichen Machtmißbrauchs durch das Instrument teilung III, der Sicherheitsbeauftragte der Anstalt und
"Notstand " gegeben. Bekanntlich gab Art. 48 der Wei- stellvertretende Anstaltsleiter42a Schreitmüller geht tat-
marer Verfassung dem Staatsoberhaupt die Möglich- sächlich in Urlaub und Bundeskanzler Schmidt greift in
keit, Verfassungsbestimmungen aufzuheben, die die Aufgaben des Oberverwalters Bubeck in der Hoch-

130 131

--- ~-------------
sicherheitsabteilung III hinein, um energisch die Frei-
, in den USA allein durch Ladendiebstähle entstehen,
lassung der Häftlinge zu vereiteln. übertreffen die Summen, die durch Terrorismus welt-
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" kennzeich- weit bis jetzt entstanden sind. Angesichts anderer drän-
net dies treffend in der folgenden Weise: gender Probleme weltweit kann man vielleicht verste-
"Als er sich selbst offiziell zum obersten Krisenmana- hen, warum manche Regierungsbeamte den Terroris-
ger ernannte, ahnte Helmut Schmidt noch nicht, daß er mus als zwar lästiges, aber geringes übel empfinden" .45
zugleich als Regierungschef abdankte" .43 Die Spitze des Rüstungskapitals, die früher teilweise
Die USA, die 1975 in der Schlußakte der Konferenz im "Freundeskreis des Reichsführers SS" organisiert
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war46, hatte in den vergangenen Jahren mit den Projek-
die völkerrechtlich verbindlichen Prinzipien der Nicht- ten "Innere Sicherheit" und "Terrorbekämpfung"
einmischung in innerstaatliche Zuständigkeiten eines bereits kräftig Steuergelder eingezogen und ihre Profite
Teilnehmerstaates unterschrieben haben, mischten lehrbuchmäßig potenziert: Hatte die BRD für die
sich unter dem Vorwand der "Bekämpfung des interna- "Innere Sicherheit" für das Bundeskriminalamt im
tionalen Terrorismus" in die inneren Zuständigkeiten Jahre 1969 22,4 Millionen DM ausgezahlt, so waren es
der BRDein und verletzten dabei nicht nur die Europäi- 1975 = 136,8 Millionen DM. Der Verfassungsschutz
sche Menschenrechtskonvention, sondern auch den erhielt 1969 noch 29,9 Millionen DM, aber 1975 wurden
Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politi- endlich für die Sicherheit 76,9 Millionen DM aufge-
schen Rechte, der in Artikel 14 Ziff. 3 b) das Bestehen bracht und nachdem der Bundesgrenzschutz 1969 mit
einer Verteidigung nach Wahl voraussetzt.44 Diese Vor- 314,4 Millionen DM Steuergeldern auskam, waren es
aussetzung wird gerade durch die praktizierte staatli- 1975 = 758,3 Millionen DM47, die zur Auszahlung in die
che Unterbrechung jedweder Verbindung der politi- Rüstungskassen gelangten. Dabei sind die Steuergel-
schen Gefangenen untereinander und mit der Außen- der für die Praktiken des Bundesnachrichtendienstes
welt beseitigt. und des Militärischen Abschirmdienstes noch nicht ein-
überdies verletzt die bei der "Bekämpfung des inter- mal mitgezählt.
nationalen Terrorismus" angewandte Behandlungsme- Angesichts der Bereitstellung immenser Steuermittel
thode der Totalisolation Art. 7 dieses Internationalen für die "Bekämpfung des Terrorismus" muß der Bedarf
Paktes, der Folter von politischen Gefangenen ver- der hohen Kosten in besonderer Weise begründet und
bietet. gerechtfertigt werden. Dies geschieht dadurch, daß das
Selbst vor dem US-Senatsausschuß bleibt das Miß- Bestehen einer nur durch "Notstandsmaßnahmen " zu
verhältnis von tatsächlicher Bedrohung durch die inter- beseitigenden Zwangs- und Bedrohungslage in der
nationalen Befreiungsbewegungen und dem inszenier- Vorstellung der Bevölkerung erzeugt wird, die der
ten Aufmarsch der NATO-Streitkräfte zu Lande, zu Wirklichkeit nicht oder nicht in diesem Umfang ent-
Wasser und in der Luft auffällig: "Im Vergleich mit dem spricht: Ein Beispiel für psychologische Kriegsführung.
Ausmaß an Gewaltanwendungen weltweit", heißt es Sowohl in der BRD als auch in den USA sind es die
da, "ist der Anteil an terroristischen Gewalttaten win- Rüstungsmonopole, die, wie es eine Arbeit der für das
zig. In den letzten Jahren haben Terroristen weltweit US-Kriegsministerium tätigen Rand Corporation zeigt,
weniger Menschen ermordet, als jedes Jahr allein in den Bedrohungsbedarf selbst bestimmen, für den sie zu
den USA ermordet werden, die jährlichen Verluste, die produzieren gedenken.48

132 133

-- ~--------------
r
Daher werden die Regierungen in die Rolle einer Auf- "Liberalisierung" verlangen und überhaupt über-
tragszentrale gedrängt, in der die Monopole selbst kom- spannte Erwartungen an den Sozialstaat richten. Die-
mandieren: Sie erfinden Bedrohungsbedarf und sorgen sem gesellschaftlichen Prozeß soll mit dem Konzept der
für die Auftragserfüllung auf Kosten der Steuerzahler. "Inneren Sicherheit" begegnet werden, wobei die
Dafür haben beispielsweise die Public-Relations- Regierung die Gedanken des im Naziregime hochge-
Abteilungen in den USA ein Gefahrenfrüherkennungs- achteten Rechtslehrers Carl Schmitt wiederaufleben
system entwickelt, dem nicht die geringste soziale läßt:
Spannung in ihrem Einflußbereich entgeht, um recht- "Diese Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung
zeitig marktgerechte ideologische Feindbilder gezielt führt in kritischen Situationen dazu, daß der Staat den
und emotional unter die Steuerzahler zu bringen. ,inneren Feind' bestimmt. "S1
Solche Feindbilder werden auch in der "Bekämpfung Schon lange vor dem Tod der RAF-Häftlinge war die-
des internationalen Terrorismus" erzeugt. Dabei finden ser "innere Feind" bestimmt worden: die Terroristen.
auch extrem radikale Vorstellungen Beachtung.
Sogar vor dem US-Senatsausschuß durfte der Vertre- Seit 1972 sterben in den Haftanstalten der BRD immer
ter der Rand Corporation unwidersprochen zur Terroris- wieder prominente politische Häftlinge, die die Bewe-
musbekämpfung folgendes ausführen: gung des bewaffneten Widerstandes verkörpern und
"Man kann mit dem Terrorismus nicht einfacher deshalb als besonders gefährlich gelten. Gerade ihre
Schluß machen als mit Mord und Krieg. Bessere Sicher- spätere Entlassung aus der Haftanstalt nach Verbüßung
heitsvorkehrungen könnten bestimmt terroristische ihrer Strafe hätte ein besonderes Sicherheitsrisiko für
Angriffe verhindern. ,,49 die Regierung bedeutet, weil nicht zu erwarten war, daß
Der damalige Bundeskanzler Schmidt bediente sich bei ihnen der Strafzweck der Resozialisierung nach
einer anderen Methode: Er machte die relativ kleine Haftende erreicht worden wäre. Deshalb ist immer wie-
Gruppe der RAF für alle Probleme und sozialen Span- der der Verdacht irregulären staatlichen Handeins auf-
nungen in der BRD verantwortlich und schaffte auf gekommen. Angehörige und Anwälte haben vergeb-
diese Weise ein Feindbild, das falsch gezeichnet ist und lich alle Versuche unternommen, die wahren Todesum-
von der wahren Problematik ablenken soll. stände aufzuklären. Ergebnis dieser Bemühungen war
Propagandistisch verschleiert er die Ursache der nicht die schonungslose Aufhellung, sondern die straf-
Krise in der BRD beispielhaft in seiner Neujahrsanspra- rechtliche Verfolgung derjenigen, die sich um Aufklä-
che 1973, in der er an erster Stelle seiner Bilanz "die rung bemühen: Die fassungslosen Angehörigen, ihre
terroristischen Kommunisten der Baader-Meinhof- Freunde und Bekannten, auch die Rechtsanwälte wer-
Gruppe, die uns beunruhigt haben"so als Urheber für den zum Verfolgungsobjekt.s2
die bestehenden sozialen Probleme bezeichnete, ganz Am Beginn dieser nebulösen, nie vollständig aufge-
so, als seien sie für Wirtschaftskrise, Massenarbeitslo- klärten Todesfälle steht der Fall des Untersuchungsge-
sigkeit, Kurzarbeit und rapide Zunahme der Sozialhil- fangenen Holger Meins.
feempfänger verantwortlich. Während eines Hungerstreiks gegen die Isolations-
Er macht sogar die steuerzahlenden Massen mitver- folter geriet 1974 in der Justizvollzugsanstalt Wittlich
antwortlich, die den Gürtel nicht enger schnallen wol- Holger Meins, nachdem ihn der Anstaltsarzt durch
len, ein "Zuviel" an Reformen und ein "übermaß" an Wasserentzug und Zwangsernährung von diesem Vor-
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haben abbringen wollte, in eine kritische Situation. Auf 1976 meldete die Deutsche Presseagentur: "Ulrike
Drängen der Verteidiger faßte das Oberlandesgericht Meinhof hat sich erhängt. ,,57
Stuttgart einen Beschluß, wonach Meins nach Stamm- Die Schwester Ulrike Meinhofs legte diesen Fall auf-
heim zu verlegen sei. Der Beschluß konnte angeblich grund der bisherigen Erfahrungen mit den Behörden
nicht rechtzeitig ausgeführt werden, weil die Bundes- der BRD, der Internationalen Untersuchungskommis-
anwaltschaft noch" umfangreiche Vorbereitungen und sion vor, die zu folgendem Ergebnis kommt:
Sicherheitsvorkehrungen"53 treffen wollte. Das Ober- "Die Behauptung der staatlichen Behörden, Ulrike
landesgericht lehnte die Hinzuziehung von Vertrauen- Meinhof habe sich durch Erhängen selbst getötet, ist
särzten ab. Ein Notarzt wird nicht gerufen und Holger nicht bewiesen, und die Ergebnisse der Untersuchun-
Meins stirbt im November 1974. gen der Kommission legen nahe, daß sich Urlike Mein-
Ein herbeigerufener Arzt kann nur noch seinen Tod hof nicht selbst erhängen konnte. Die Ergebnisse der
feststellen. Bei einer Körperlänge von 1,84 m wog er nur Untersuchung legen vielmehr den Schluß nahe, daß
noch 39 kg. Er starb durch langsames Verhungern, so Ulrike Meinhof tot war, als man sie aufhängte, und daß
seine Anwälte. Die Staatsanwaltschaft, mit der Sache es beunruhigende Indizien gibt, die auf ein Eingreifen
befaßt, erklärte hingegen, "daß Holger Meins auch eines Dritten im Zusammenhang mit diesem Tod hin-
durch eine Klinikeinweisung in den letzten Tagen nicht weisen.
mehr zu retten gewesen wäre ... ,,54 Die Kommission kann keine sichere Aussage über die
Gegenüber dem Spiegel äußerte sich Bundesjustiz- Todesumstände von Ulrike Meinhof machen. Trotzdem
minister Vogel zu dem Fall: "Auch das Grundrecht auf ist der Verdacht gerechtfertigt, angesichts der Tatsache,
Leben gilt nicht absolut. ,,55 daß die Geheimdienste - neben dem Gefängnisperso-
nal - Zugang zu den Zellen des 7. Stocks, und zwar
1975 beteiligte sich Siegfried Hausner an einer RAF- durch einen getrennten und geheimen Eingang
Aktion zur Befreiung der Gefangenen und besetzte die hatten. "58
Botschaft in Stockholm. Nach Erstürmung der Botschaft
durch eine Sonderpolizeieinheit wurde er durch Alle hier aufgeführten Fälle sind bis heute nicht ganz
Gewehrkolbenschläge schwer verletzt und erlitt meh- aufgeklärt worden.
rere Schädelbrüche. Obwohl transportunfähig, wird er Als nun auch der Tod der RAF-Häftlinge in der Voll-
aus dem schwedischen Krankenhaus nicht in eine Spe- zugsanstalt Stuttgart-Stammheim gemeldet wird, wird
zialklinik, sondern nach Stammheim gebracht, wo es im In - und Ausland der Verdacht irregulären staatlichen
weit und breit keine Intensivstation gibt. Anwälte wer- HandeIns wach und· deutlich artikuliert.59 Sind die Vor-
den nicht vorgelassen. Dort erliegt er den Brandverlet- gänge in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim ein
zungen und mehreren Schädelbrüchen, so die Anwälte. weiteres Glied in der Todeskette?
Die Staatsanwaltschaft, die den Fall auf Anzeige der Nur kurze Zeit zuvor haben zahlreiche Spitzenpoliti-
Anwälte untersucht, lehnt die Einleitung eines Ermitt- ker und prominente Persönlichkeiten sich in der Öffent-
lungsverfahrens ab, "weil keine zureichenden tatsäch- lichkeit und auch nichtöffentlich zu den Fragen der
lichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer strafbaren Bewältigung des Terrorismusproblems g.eäußert und
Handlung" vorliegen.56 dabei unmißverständlich radikale Lösungen befür-
wortet.

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Generalbundesanwalt Rebmann verlangt im Krisen- gart-Stammheim stellte kurz darauf, im April 1978, das
stab die Wiedereinführung der Todesstrafe für Terrori- Todesermittlungsverfahren ein, beide unbeeindruckt
sten50 und eine über den Instanzenweg zu treffende von der Tatsache, daß die wichtigsten kriminaltechni-
Regelung. Außer Rebmann treten weitere Politiker für schen und gerichtsmedizinischen Untersuchungen
außerparlamentarische, justiziell unkontrollierte, unbü- noch ausstanden.
rokratische, unverzügliche und irreversible Maßnah-
men ein. Vor Millionenpublikum fordert als erster der
Historiker Golo Mann im Fernsehen den Staat auf, falls Staatsanwaltschaft
noch nicht geschehen, die Terroristen selbst als Geiseln Stuttgart
zu nehmen und unter Kriegsrecht zu stellen51, was Ver-
teidigungsminister Leber als bemerkenswert bezeich- Stuttgart, den 18. April 1978
net. Im Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zei-
- 9 Js 3627/77-
tung verlangt der Mitherausgeber Reißmüller, daß über
ein Notwehrrecht gegen Terroristen nachgedacht
werde.52 1. Das Ermittlungsverfahren wegen des Todes von
Auch Ministerpräsident Strauß scheut sich nicht vor-
zuschlagen, einen nach dem anderen aus dem Gefäng- Andreas Baader,
nis rauszulassen und dann in einem "Ausnahmezu- Gudrun Ensslin und
stand die Jagd zu eröffnen: "Oder alle Stunde einen
11
Jan-Carl Raspe,
erschießen. ,,53
In der Regierungserklärung von 1975 hatte Bundes- 2. die Anzeigesache wegen des Verdachts eines versuch-
kanzler Schmidt bereits Wendungen gefunden, wie: ten Tötungsdelikts zum Nachteil von Irmgard Möller
" ... mit allen Mitteln ... , diese Gruppe zu tilgen ... ,
härtestes Durchgreifen des Staates, der sich in einer werden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Verteidigungsposition nicht scheuen kann, selbst zu Die Kosten trägt die Staatskasse.
töten ... "64
Gründe:

I.

6. Die Einstellung des 1. Am 18. Oktober 1977 um 7.41 Uhr fanden Beamte der
Vollzugsanstalt Stuttgart bei der Frühstücksausgabe
Todesermittlungs- den Untersuchungsgefangenen Jan-Carl Raspe in sei-
ner Zelle ohne Bewußtsein mit einer Verletzung am Kopf
verfahrens auf seiner Matratze sitzend vor. Neben seiner rechten
Hand lag eine Pistole. Raspe wurde unverzüglich mit
Im Februar 1978 schloß der baden-württembergische einem Notarztwagen in das Katharinenhospital Stuttgart
Untersuchungs ausschuß seine Untersuchungen zu den gebracht, wo er um 9.40 Uhr im Operationssaal starb.
Toden in Stammheim ab. Die Staatsanwaltschaft Stutt- Um 8.07 Uhr öffneten Vollzugsbeamte die Zelle des

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Untersuchungsgefangenen Andreas Baader. Sie steil- 11.

ten fest, daß Baader tot auf dem Boden lag. Im Bereich 1. Die umfassend und in enger Zusammenarbeit mit Bun-
des Kopfes befand sich eine Blutlache, links von ihm lag deskriminalamt, Landeskriminalamt Baden-Württem-
eine Pistole. berg, Landespolizeidirektion Stuttgart 11 und der Landes-
Die Untersuchungsgefangene Gudrun Ensslin wurde polizeidirektion Tübingen geführten intensiven Ermitt-
bei der anschließenden Überprüfung ihrer Zelle eben- lungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart erbrachten
falls tot aufgefunden; sie hing mit einem Elektrokabel um nach Erstattung zahlreicher Gutachten und Vernehmun-
den Hals am Gitter ihres Zellenfensters. gen einer Vielzahl von Zeugen keinerlei Anhaltspunkte
für eine strafrechtlich relevante Verursachung des
Die Untersuchungsgefangene Irmgard Möller wurde Todes der Gefangenen Baader, Ensslin und Raspe
bei Öffnung ihrer Zelle um 8.10 Uhr auf ihrer Matratze sowie der Verletzungen der Gefangenen Möller durch
liegend mit mehreren Stichverletzungen im Bereich der Dritte. Hingegen ist nach dem Ergebnis dieser Ermittlun-
linken Brust vorgefunden. Etwa 1/2 m rechts von ihr lag gen nicht zweifelhaft, daß sich die Gefangenen selbst
ein blutverschmiertes anstaltseigenes Besteckmesser. getötet bzw. verletzt haben.
lrmgard Möller wurde unverzüglich mit einem Notarzt-
wagen in das Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart 2. Die richterliche Leichenschau der am Auffindeort belas-
gefahren und nach ärztlicher Erstversorgung mit einem senen Leichen von Baader und Ensslin sowie die
Hubschrauber in die Chirurgische Universitätsklinik gerichtsmedizinische Untersuchung der im 7. Stock der
Tübingen verlegt, wo sie wegen ihrer - nicht lebensge- Vollzugsanstalt Stuttgart gelegenen Zellen von Baader,
fährlichen - Verletzungen operiert wurde. Ensslin, Raspe und Möller führten unter Aufsicht der
zuständigen Richterin des Amtsgerichts Stuttgart-Bad
2. Gegen Baader, Ensslin und Raspe hatte der 2. Senat Cannstatt Professor Dr. med. Joachim Rauschke, Leiter
des Oberlandesgerichts Stuttgart durch nicht rechts- des Instituts für Rechtsmedizin am Gesundheitsamt der
kräftig gewordenes Urteil vom 28. April 1977 (2 StE 1/74) Landeshauptstadt Stuttgart, und Professor Dr. med.
wegen mehrfachen Mordes, vielfachen Mordversuchs, Hans Joachim Mallach, Direktor des Instituts für Gericht-
Bildung einer kriminellen Vereinigung u.a. jeweils liche Medizin an der Universität Tübingen, am 18. Okto-
lebenslange Freiheitsstrafen ausgesprochen. In dieser ber 1977 ab 15.45 Uhr durch. Mit dem Beginn der Unter-
Strafsache befanden sich jene drei Gefangenen in suchung wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stutt-
Untersuchungshaft. In der Vollzugsanstalt Stuttgart gart durch Anordnung des Gerichts bis zu diesem Zeit-
wurde die Untersuchungshaft bei Gudrun Ensslin seit punkt gewartet, um den hinzugezogenen international
28. April 1974, bei Andreas Baader seit 7. November anerkannten ausländischen Gerichtsmedizinern die
1974 und bei Jan-Carl Raspe seit 11. November 1974 Anwesenheit zu ermöglichen. Als Beobachter der Lei-
vollzogen. chenschau und der gerichtsmedizinischen Zeilenunter-
lrmgard Möller wurde am 3. Januar 1977 in die Voll- suchungen waren Professor Dr. med. Hans-Peter Hart-
zugsanstalt Stuttgart verlegt. Gegen sie ist ein Strafver- mann, Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin der
fahren vor dem Landgericht Heidelberg wegen Mordes Universität Zürich/Schweiz, und Professor Dr. med. Wil-
u.a. anhängig (4 Ks 1/77), in dem gegen sie Haftbefehl helm Holczabek, Vorstand des Instituts für Gerichtliche
besteht. Medizin der Universität Wien/Österreich, von Beginn an

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r
sowie ab 18.00 Uhr außerdem Professor Dr. med. a) Baader hatte - bei völlig gesunden inneren Organen und
Armand Andre, Direktor des Instituts für Gerichtliche Fehlen sonstiger Verletzungsspuren - einen einzelnen
Medizin der Universität Lüttich/Belgien, zugegen. Schädeldurchschuß mit Einschußöffnung im Nacken
oberhalb der Nackenhaargrenze mit nach vorn anstei-
Die in der Nacht vom 18./19. Oktober 1977 auf dem gendem und insbesondere durch den Hirnstamm füh-
Bergfriedhof Tübingen durchgeführten richterlichen Lei- rendem Schußkanal sowie mit Ausschußöffnung ober-
chenöffnungen bei Baader, Ensslin und Raspe nahmen halb der Stirnhaargrenze, der augenblicklich zur
ebenfalls die beiden deutschen Gerichtsmediziner vor, Bewußtlosigkeit und alsbald zum Tod geführt hatte. Es
wobei die drei genannten ausländischen Sachverständi- handelte sich um einen sogenannten absoluten Nah-
gen wieder als Beobachter teilnahmen. schuß mit aufgesetzter Waffenmündung. Die Beschaf-
fenheit der Mündung der Pistole, die links neben dem
Einige frühere Verteidiger der verstorbenen Gefange- Kopf Baaders in seiner Zelle aufgefunden wurde,
nen sowie eine Verteidigerin der Gefangenen Möller stimmte mit dem Erscheinungsbild der Eintrittsöffnung
machten zeitweise von der ihnen angebotenen Möglich- des Projektils im Nacken Baaders vollständig überein.
keit Gebrauch, während aller obengenannter Untersu- Kriminaltechnische Untersuchungen ergaben außer-
chungen anwesend zu sein. dem, daß das tödliche Geschoß-wie auch die übrigen in
Baaders Zelle vorgefundenen verschossenen Projektile
Sämtliche gerichtsmedizinischen Sachverständigen - aus dieser Pistole abgefeuert worden war. Bei ihr han-
kamen zu übereinstimmenden Befunden und Ergebnis- delte es sich demnach um die Tatwaffe.
sen. Diese wurden von den beiden deutschen Obduzen-
ten schriftlich festgehalten. Die ausländischen beobach- Für die Selbstbeibringung des tödlichen Schusses
tenden Gerichtsmediziner erhielten von den Unterlagen sprechen hauptsächlich die an der rechten Hand Baa-
Ablichtungen und brachten danach keine Änderungs- ders festgestellten Blutspritzer, die im Uhrzeigersinn
wünsche vor. Außerdem wurden die gerichtsmedizini- ausgestrahlt sind und dem aus der Einschußwunde aus-
schen Erkenntnisse von den Professoren Rauschke, spritzenden Blut entsprochen haben. Daraus ist zu ent-
Mallach, Hartmann und Andre vor dem Untersuchungs- nehmen, daß sich die rechte Hand Baaders bei der
ausschuß des Landtags von Baden-Württemberg, der Schußabgabe ganz nahe bei der Einschußöffnung
u.a. wegen der auch diesem Ermittlungsverfahren befand. Darauf lassen auch die an der rechten Hand
zugrunde liegenden Vorfälle eingesetzt worden war, in vorgefundenen Substanzen schließen, bei denen es
öffentlicher Sitzung mündlich vorgetragen und ergänzt. sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit um Schmauch-
ablagerungen handelt.
3. Danach und unter Einbeziehung der übrigen Ermitt-
lungsergebnisse, insbesondere der weiteren umfangrei- Ein weiteres Indiz für eine Selbstabfeuerung durch
chen und breit angelegten wissenschaftlichen Untersu- Baader ist der von hinten nach vorn ansteigende Schuß-
chungen und der zahlreichen Zeugenvernehmungen, kanal, wenn man berücksichtigt, daß - wie die gerichts-
ergibt sich im wesentlichen folgendes: medizinischen und die kriminaltechnischen Untersu-
chungen ergeben haben - der tödliche Schuß Baader in
sitzender Haltung getroffen hat.

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I

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!
Der Umstand, daß Baader den Einschuß nicht an der b) Die Leiche Gudrun Ensslins wies alle nach den Erfah-
Schädelseite, sondern im Nacken hatte, spricht nicht rungen der Gerichtsmedizin typischen Zeichen des
gegen eine Selbstbeibringung. Wie die gerichtsmedizini- Erhängungstodes auf: Totenflecken an Füßen, Beinen,
sche Literatur ergibt, ist dies zwar eine atypische, gleich- Händen, Armen und Kinn; Strang marke am Hals;
wohl aber eine bekannte Form der Selbsttötung. Sie wird mäßige Vergrößerung des Gehirns; einzelne Erstik-
beispielsweise dadurch möglich, daß mit der einen Hand kungsblutungen unter dem Bindehautüberzug des rech-
die Laufmündung im Nacken gestützt wird. Da nur an der ten Augenoberlids und -unterlids; Blutungen unter der
rechten Hand Baaders Blutspritzer und Schmauchsub- Herzinnenhaut; mäßige Milzentspeicherung; flüssiger
stanzen gefunden worden sind, liegt der Schluß nahe, Zustand des Blutes in allen Gefäßabschnitten, fadenför-
daß sich diese Hand näher am Geschoßeinschlag mige Speichelabrinnspur vom Mund aus abwärts; einge-
befand und der Linkshänder Baader demnach mit der klemmte Zungenspitze zwischen Ober- und Unterkiefer;
("stärkeren") linken Hand den Abzug bediente, während Abbruch der Hörner des Kehlkopfknorpels und Blutung
er mit der ("schwächeren") rechten Hand die Laufmün- unter der Harten Rückenmarkshaut in Höhe des dritten
dung der Pistole an seinen Nacken führte. Halswirbelkörpers.
Angesichts der erzielten Befunde ist eine Vortäu-
schung der Selbsttötung Baaders in der geschilderten Bei den darüberhinaus festgestellten frischen Quet-
Weise durch einen Dritten nicht denkbar. Der hypotheti- schungen und Blutungen an der linken Hand und an den
sche Täter hätte, um die festgestellten Spuren an der Kniescheiben ist den gerichtsmedizinischen Sachver-
rechten Hand Baaders entstehen zu lassen, diese Hand ständigen zufolge anzunehmen, daß sie im Verlauf der
vor der Schußabgabe um den Pistolenlauf legen müs- bei Erhängen und Ersticken auftretenden charakteristi-
sen. Das erscheint nur bei einem wehrlosen Opfer vor- schen unkontrollierten Bewegungen in der Agonie durch
stellbar. Es gibt jedoch keine Anzeigen für eine Wehrlo- Anstoßen an die genau auf Höhe des Knies befindliche
sigkeit Baaders unmittelbar vor seinem Tod. Im Schlaf Lehne des bei der Leiche vorgefundenen Stuhls bzw. an
kann er nicht überrascht worden sein, da ihn der tödliche die in Höhe der linken Hand befindliche untere Fenster-
Schuß frei sitzend getroffen hat. Wäre er unmittelbar vor kante entstanden sind.
seinem Tod festgehalten oder gefesselt worden, hätten
für die Obduzenten unübersehbare Spuren zurückblei- Für ein Erhängen durch eigene Hand spricht die Ver-
ben müssen; dasselbe gilt für den Fall einer Betäubung knotung des Kabels vorn am Hals und auch, daß die
durch äußere Gewalteinwirkung, wie etwa durch einen langen Haare der Toten nicht zwischen Halshaut und
Schlag auf den Kopf. Solche Spuren waren jedoch nicht Kabel eingeklemmt waren.
vorhanden. Die chemisch-toxikologischen und che-
misch-pharmakologischen Untersuchungen haben kei- Nach dem Obduktionsergebnis ist die festgestellte
nerlei Hinweise dafür erbracht, daß Baader kurz vor Strangfurche am Hals Gudrun Ensslins zu Lebzeiten
Eintritt seines Todes durch irgendwelche Mittel in einen entstanden. Die Speichelabrinnspur ist ebenfalls ein
wehrlosen, bewußtseinsgestörten oder bewußtlosen typisches Zeichen für Erhängen zu Lebzeiten. Daraus ist
Zustand versetzt worden wäre. Er stand auch nicht unter zu entnehmen, daß Gudrun Ensslin nicht als Tote in die
Alkoholeinfluß. Schlinge gehängt worden ist.

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Irgendwelche Spuren von Gewalteinwirkung, insbe-


sondere Kampfspuren, die für Erhängen durch Dritte
charakteristisch wären, sowie Griffspuren, die durch
, Tübingen, der die Gefangene operierte, über der Herz-
gegend vier Stichverletzungen fest. Zwei davon waren
etwa 2 cm tief, die anderen beiden etwa 4 cm tief. Alle
Anpacken und Hochheben des Körpers als äußere oder wiesen den gleichen parallelen Richtungsverlauf von
innere Blutungen hätten entstehen müssen, waren an links oben nach rechts unten auf. An der Beugefläche
der Leiche nicht festzustellen. der Handgelenke hatte Irmgard Möller jeweils oberfläch-
liche Schnittverletzungen.
Auch Gudrun Ensslin war kurz vor ihrem Tod nicht
durch irgendwelche chemischen Mittel in einen Zustand Die Gefangene sollte als Zeugin zu den Vorfällen in
der Bewußtseinsstörung oder der Bewußtlosigkeit ver- der Nacht vom 18. Oktober 1977 gehört werden. Bei der
setzt worden und stand ebenfalls nicht unter Alkoholein- für den 21. Oktober 1977 in der Universitätsklinik Tübin-
fluß. gen angesetzen Vernehmung durch den Staatsanwalt
weigerte sie sich, Angaben zu machen. Die für den 10.
c) Bei Jan-Carl Raspe wurde ein Schläfendurchschuß von Januar 1978 in der Vollzugsanstalt Stuttgart vorgese-
rechts nach links festgestellt, der als sogenannter abso- hene richterliche Vernehmung durch den Haftrichter des
luter Nahschuß mit aufgesetzter Waffe abgefeuert wor- Amtsgerichts Stuttgart kam nicht zustande. Einerseits
den war und schließlich zum Tod führte. Diese Verwen- lehnte es die Gefangene ab, ohne Beisein eines Anwalts
dungsart einer Faustfeuerwaffe ist als für eine Selbsttö- Angaben zu machen. Andererseits war Rechtsanwalt
tung klassisch zu bezeichnen. Nach dem Ergebnis der Dr. Heldmann - Verteidiger in der gegen Irmgard Möller
gerichtsmedizinischen und kriminaltechnischen Unter- anhängigen Strafsache - nicht bereit, sich der üblichen
suchung muß Raspe den Schuß aus der neben ihm Durchsuchung zu unterziehen, weshalb er nicht in die
aufgefundenen Pistole in der sitzenden Haltung abge- Vollzugsanstalt eingelassen werden konnte.
feuert haben, in der er auf seiner Matratze entdeckt
wurde. Am 16. Januar 1978 gab Irmgard Möller vor dem
Untersuchungsausschuß des Landtags von Baden-
Außer der Schußverletzung wurden bei Raspe keine Württemberg in öffentlicher Sitzung u.a. an, sie wisse
Spuren äußerer Gewalteinwirkung festgestellt. Dies nicht, woher ihre Verletzungen stammten. Sie selbst
hätte aber der Fall sein müssen, wenn er unmittelbar vor habe sie sich nicht beigefügt. Sie sei in den frühen Mor-
Abgabe des Schusses von Dritten festgehalten worden genstunden des 18. Oktober 1977 eingeschlafen. Als
wäre. Irgendwelche Substanzen, die für eine kurze Zeit letztes bewußt Wahrgenommenes erinnere sie sich
vor der Schußverletzung vorhandene Bewußtseinsstö- dann an ein starkes Rauschen im Kopf. Sie sei wieder zu
rung oder Bewußtlosigkeit bzw. eine alkoholische Beein- Bewußtsein gekommen, als man ihr außerhalb ihrer
flussung Raspes sprechen könnten, wurden in seinem Zelle die Augenlider hochgezogen habe. Dann sei sie
Körper nicht gefunden. "wieder weg" gewesen.

d) Bei Irmgard Möller stellte Professor Dr. med. Hoffmei- Demgegenüber besteht nach den von Professor Dr.
ster, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Thorax-, Herz- Hoffmeister erhobenen Befunden und nach dem Gut-
und Gefäßchirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik achten, das Professor Dr. Rauschke gegenüber dem

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I
Untersuchungsausschuß mündlich erstattet hat, eine Tiefe der Stichverletzung keines größeren Drucks mehr
Reihe von Anhaltspunkten, die eindeutig für Selbstbei- bedurft, um den Herzbeutel zu durchbohren und eine
bringung der Verletzungen sprechen. tödliche Blutung hervorzurufen. Weshalb ein zur Tötung
entschlossener Dritter die Stichbewegung abgestoppt
Dabei sind besonders folgende Punkte hervorzu- haben sollte, wäre nicht verständlich.
heben:
Für die Selbstbeibringung der Verletzungen spricht
Der von Irmgard Möller als einzige Bekleidung ihres schließlich auch, daß an den Händen und Fingern Irm-
Oberkörpers getragene Pullover war zwar auf der Vor- gard Möllers keine Verletzungen irgendwelcher Art
derseite von Blut durchtränkt, jedoch nicht beschädigt; gefunden wurden, die als Abwehrverletzungen gedeutet
ein mit Tötungsabsicht Angreifender hätte auf die Klei- werden könnten.
dung seines Opfers erfahrungsgemäß keine Rücksicht
genommen. Eine durch einen Dritten vorgenommene Vortäu-
schung eines Selbsttötungsversuchs wäre angesichts
Die Stichverletzungen verliefen genau parallel und der übrigen Feststellungen nur denkbar, wenn Irmgard
befanden sich auf einer eng umgrenzten Fläche; beruh- Möller kurze Zeit vor den Verletzungshandlungen
ten sie auf dem Angriff durch einen Dritten, so wären betäubt worden wäre. Dafür ergaben sich jedoch - wie
unregelmäßige Stichrichtungen und eine wesentlich grö- erwähnt - keinerlei Hinweise.
ßere Streuung der Verletzungen zu erwarten gewesen,
es sei denn, die Gefangene hätte sich nicht bei Bewußt- Schließlich ist die Behauptung Irmgard Möllers, sie sei
sein befunden. Insoweit konnten aber keinerlei Stoffe erst außerhalb ihrer Zelle wieder zu Bewußtsein gekom-
festgestellt werden, die geeignet gewesen wären, einen men, also bei ihrem Auffinden in der Zelle bewußtlos
Bewußtseinsverlust hervorzurufen. Es lag auch bei ihr gewesen, durch die Angaben des erfahrenen Sanitäters
keine alkoholische Beeinflussung vor. Soukop widerlegt, der als erster die Zelle betreten hatte.
Der Zeuge hatte versucht, der Gefangenen in die Pupil-
Die Verlaufsrichtung der Stichwunden von links oben len zu schauen, was ihm jedoch mißlungen war, weil sie
nach rechts unten spricht ebenfalls für Selbstbeibrin- die Augen zugekniffen hatte. Auch der kurz darauf ein-
gung. Sämtliche am Oberkörper und an den Handgelen- getroffene Anstaltsarzt Dr. Majerowicz gab an, er habe
ken festgestellten Verletzungen lagen in Reichweite der keine Bewußtlosigkeit bei Irmgard Möller festgestellt.
Gefangenen.
4. Sowohl die erwähnten Schußwaffen als auch eine wei-
Von besonderer Bedeutung ist, daß die gefährlichste, tere, die später in der Vollzugsanstalt Stuttgart in einer
eine etwa 4 cm tiefe Stichverletzung trotz größerer Klin- Zelle gefunden wurde, in welcher der terroristische
gen länge des zur Tat benutzten Messers im Vorderblatt Gewalttäter Helmut Pohl bis August 1977 verwahrt wor-
des Herzbeutels endete, ohne den Herzbeutel selbst zu den war, stammen höchstwahrscheinlich aus Terrori-
verletzen. Im Gegensatz zu dem Widerstand, der von stenkreisen.
den äußeren Körperpartien (Haut, Bindegewebe) aus-
gegangen war, hätte es nämlich nach der erreichten

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a) Bei der neben Raspe aufgefundenen Selbstladepistole Schußwaffe handelt es sich um einen Revolver "Colt
Heckler & Koch, HK 4, Kaliber 9 mm, war die vom Werk detectiv special", Kaliber .38 spezial. Bei ihm war die
angebrachte Waffennummer entfernt und durch offen- Waffennummer am Rahmen und am Kern entfernt, auf
bar nachträglich aufgeschlagene Ziffern ersetzt worden, der Innenseite der Deckplatte aber noch vorhanden. Der
die anschließend wiederum unkenntlich gemacht wur- Revolver war im August oder September 1975 von dem
den. Die Griffschalen fehlten. Mit den dadurch verringer- Waffensammler Philipp Müller in Rheinach/ Schweiz an
ten Ausmaßen paßte die Waffe in den als Versteck ange- den wegen terroristischer Gewalttaten zur Festnahme
legten Hohlraum, der hinter einer Sockelleiste in der ausgeschriebenen Clemens Wagner verkauft worden.
Zelle Raspes entdeckt wurde.
Die von Baader und Raspe zur Selbsttötung benutz-
Die Pistole HK 4 ist eine Schußwaffe mit austauschba- ten Pistolen standen demnach in der Verfügungsgewalt
ren Systemen. Der als terroristischer Gewalttäter der terroristischen Gefangenen, also nicht dritter Per-
gesuchte Christian Klar hatte am 27. Oktober 1976 in sonen.
Aosta/ltalien eine solche Waffe gekauft, allerdings ohne
das System 9 mm. Dieses System wurde am 10. Novem- Die Prüfung, auf welche Weise die genannten Schuß-
ber 1976 bei der Waffenhandlung Mayer in Basel/ waffen samt Munition und Magazinen sowie die außer-
Schweiz zusammen mit einem US-Karabiner gekauft, dem in verschiedenen Zellen im 7. Stock der Vollzugsan-
wobei der Käufer einen falschen Bundespersonalaus- stalt Stuttgart entdeckten Sprengstoffpäckchen in die
weis vorlegte. Der US-Karabiner wurde anläßlich der Hände der dort einsitzenden Gefangenen gelangt sind,
Festnahme der inzwischen wegen terroristischer ist Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens wegen des
Gewalttaten angeklagten Siegfried Haag und Roland Verdachts eines Vergehens nach § 129 a StGB, das bei
Mayer am 30. November 1976 in deren Pkw sicherge- der Bundesanwaltschaft anhängig ist (1 BJs 149/77).
stellt.
5. Welche Beweggründe die Gefangenen zu der Selbsttö-
b) Die neben der Leiche Baaders sichergestellte Selbstla- tung bzw. zu dem Selbsttötungsversuch gebracht
depistole Kaliber 7,65 mm wurde bei der Firma Fegyver haben, kann offen bleiben. Jedoch liegt es nahe, daß
in Ungarn hergestellt. Sie trug bei ihrem Auffinden keine Verzweiflung und Resignation die Motive gewesen sind,
zur weiteren Identifizierung geeigneten Kennzeichen. nachdem die Lufthansa-Maschine "Landshut" samt
Auch bei ihr fehlten die Griffschalen. Mit den dadurch Passagieren und Besatzung, die von den Terroristen am
geschaffenen Abmessungen paßte sie sowohl in das in 13. Oktober 1977 zum Zweck der Freipressung u.a. der
der Zelle Baaders aufgefundene Versteck, das in glei- Gefangenen Baader, Ensslin, Raspe und Möller entführt
cher Weise wie dasjenige angelgt war, das in der Zelle worden war, in Mogadischu in der Nacht zum 18. Okto-
Raspes festgestellt wurde, als auch in eine mit Büro- ber 1977 hatte befreit werden können. Damit mußte die
klammern hergestellte Haltevorrichtung, die im Platten- Hoffnung der Gefangenen auf Freilassung zerstört sein,
spieler Baaders entdeckt wurde. auch wenn sich der am 5. September 1977 entführte
Arbeitgeberpräsident Dr. Schleyer noch in der Gewalt
c) Bei der im Zuge kriminaltechnischer Untersuchungen in seiner Entführer befand.
einer weiteren Zelle des ,Jerroristentrakts" gefundenen

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r
Die Ermittlungen haben nämlich ergeben, daß die von mehreren wissenschaftlichen Methoden angestell-
Gefangenen trotz der angeordneten Kontaktsperre ten Untersuchungen ist der Tod bei Andreas Baader
Kenntnis vom Verlauf der beiden Entführungsverbre- frühestens im Zeitraum zwischen 0.15 Uhr und 2.15 Uhr
chen gehabt haben müssen. am 18. Oktober 1977 sowie bei Gudrun Ensslin frühe-
stens im Zeitraumzwischen 1.15 Uhr und 1.25 Uhr des-
Die Gefangene Möller hatte die Möglichkeit, den selben Tages eingetreten. Aus dem Gutachten von Pro-
jeweils bis in die Abendstunden verbreiteten Anstalts- fessor Dr. med. PeiHer, Direktor des Instituts für Hirnfor-
funk und damit auch die Nachrichten in ihrer Zelle abzu- schung der Universität Tübingen, ist zu entnehmen, daß
hören, weil dort die Abtrennung der Zuleitung so unzurei- bei Raspe zwischen dem Eintritt seines Todes am 18.
chend erfolgt war, daß die Gefangene den bei ihr vorge- Oktober 1977 um 9.40 Uhr und dem Zeitpunkt seiner
fundenen Ohrhörer wieder an das anstaltseigene Netz Schußverletzung wahrscheinlich mehr als zwei Stunden
anschließen und den Anstaltsfunk empfangen konnte. liegen.

In der Zelle Raspes wurde ein betriebsbereites batte- Hinsichtlich der Gefangenen Möller fehlt es an
riebetriebenes Transistorradiogerät entdeckt, bei dem Erkenntnissen, die eine nähere Bestimmung des Zeit-
das 1. Programm des Süddeutschen Rundfunks einge- punkts ihrer Verletzungen erlauben könnten.
stellt war. Die erste Meldung von der erfolgreichen
Befreiung der Lufthansa-Maschine in Mogadischu ver- Die übrigen Untersuchungen im Rahmen des Ermitt-
breitete das gemeinsame Hörfunkprogramm der ARD- lungsverfahrens haben nicht zu einer näheren Eingren-
Sender am 18. Oktober 1977 um 0.40 Uhr. zung des Todes- bzw. Verletzungszeitpunkts geführt.
Insbesondere haben weder Vollzugsbedienstete noch
Da es den Gefangenen gelungen war, unter Verwen- Insassen der Vollzugsanstalt Stuttgart, die in großer Zahl
dung des anstaltseigenen Stromnetzes und der in ihren gehört wurden, Wahrnehmungen gemacht, die insoweit
Zellen verbliebenen elektrischen Geräte heimlich eine von Bedeutung wären. Beispielsweise konnte in der
gut funktionierende Gegensprechanlage zwischen ihren außerhalb des ,;rerroristentrakts" auf dem Flur des 7.
Zellen aufzubauen, war Raspe in der Lage, seinen Mit- Stocks der Vollzugsanstalt befindlichen Aufsichtskabine
gefangenen auch über die Befreiungsaktion in Mogadi- wegen der Vermeidung von Rufkontakten zwischen den
schu zu berichten. Gefangenen an den Zellentüren angebrachten beson-
deren Schallisolierungen ein in den Zellen abgefeuerter
Die Annahme, daß die Gefangenen sodann ihren - Schuß nicht gehört werden. Dies hat ein Versuch erge-
nach dem Ermittlungsergebnis wahrscheinlich schon ben, der im Rahmen der Nachforschungen des Untersu-
früher für den Fall des Mißlingens der Freipressungsver- chungsausschusses durchgeführt worden ist.
suche gemeinsam gefaßten - Entschluß zur Selbsttö-
tung in die Tat umsetzten, ist mit dem Ergebnis der
111.
medizinischen Gutachten, die über den Todeszeitpunkt
bei Baader und Ensslin sowie über den Verletzungszeit- Nach alledem war das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2
punkt bei Raspe erstattet worden sind, vereinbar. Nach StPO einzustellen, weil die Gefangenen Baader, Ensslin
den von Professor Dr. Mallach unter Zugrundelegung und Raspe sich selbst getötet haben, die Gefangene

152 153

__ J- IIIII
r
Möller sich selbst verletzt hat und eine strafrechtlich
relevante Beteiligung Dritter nicht vorliegt.

(Christ)
Staatsanwalt

TEIL 111

DIE ERGEBNISSE DES


BADEN-
WÜRTTEMBERGISCHEN
UNTERSUCHUNGS-
AUSSCHUSSES

Eine kritische Würdigung

154

__ J-- _
,..-- r

1. Ermittlungen nur in der und Raspe in den Besitz von Schußwaffen gelangen
konnten, auf "gesicherte Erkenntnisse" der Bundesan-
Richtung " Selbstmord 11
waltschaft gestützt und den Waffenbesitz nicht be-
wiesen.
Die zeitweise parallel mit der Sachaufklärung befaßten Die Staatsanwaltschaft wiederum bezieht ihr Prü-
Organe der Regierung Filbinger beschränkten ihre fungsergebnis zum Waffenbesitz auf ein anhängiges
Ermittlungstätigkeit von Anbeginn auf die Beglaubi- Ermittlungsverfahren nach § 129 a StGB, das bei der
gung der inzwischen zum Dogma herangereiften Bundesanwaltschaft anhängig gewesen ist. Eigene
Selbstmordtheorie. Ermittlungen stellt sie nicht an.2
Die in den Krisenstäben von politischen Spitzenbe-
amten entfalteten Tötungsphantasien vermochten
weder die Staatsanwaltschaft noch den baden-würt- 2. Wurden die
tembergischen Untersuchungsausschuß zu Ermitt-
lungstätigkeiten zu bewegen, eine strafrechtlich rele- Gefangenen betäubt
vante Beteiligung Dritter festzustellen.
Der baden-württembergische Untersuchungsaus- oder unter Drogen
schuß wertete sogar die vom Generalbundesanwalt
"gesicherte Erkenntnis" verbreitete Waffentransport-
als
gesetzt?
version als Tatsache, obwohl noch keine gerichtsver- Die Feststellung der Staatsanwaltschaft, die chemisch-
wertbaren Beweise vorlagen. toxikologischen und chemisch -pharmakologischen
Der baden-württembergische Untersuchungsaus- Untersuchungen hätten keinerlei Hinweise darauf
schuß, so läßt sich mutmaßen, ließ sich nicht von der ihm erbracht, daß die Häftlinge vor ihrem Tod oder vor den
verfassungsrechtlich gebotenen Aufklärungsverpflich- empfangenen Verletzungen durch "irgendwelche Mit-
tung leiten (Art. 27 Abs. 2 der baden-württembergi- tel" in einen wehrlosen, bewußtseinsgestörten Zustand
schen Landesverfassung), sondern folgte willig den versetzt worden wären, wird nicht bewiesen.
Organen des Krisenstabs. Die Staatsanwaltschaft läßt lediglich chemisch-toxi-
Diese Organe hatten, wenn überhaupt, eine einge- kologische Untersuchungen durchführen, die der Neu-
schränkte Aussagegenehmigung und durften über Vor- ropathologe Peiffer vornimmt und der zu überraschen-
gänge im Krisenstab keine Aussagen machen. Bundes- den Diagnosen kommt.
justizminister Vogel verfügte Aussagebeschränkungen
für Staatssekretär Erkel und Generalbundesanwalt
Rebmann, soweit Vorgänge betroffen wurden, die Ver- Gutachten v. 9.2.1978
handlungen des Krisenstabs mit den Entführern und betreffend Andreas Baader:
den Häftlingen berührten. Ministerpräsident Filbinger
und sein Kabinettskollege Schieß durften sich in ... Zum anderen fanden sich über das gesamte Gehirn
Schweigen hüllen.1 verstreut geringfügige Ansammlungen weißer, rundkerni-
Der baden-württembergische Untersuchungsaus- ger Blutzellen (kleine Lymphozyten) in der Wand kleinerer
schuß hat die Frage, wie die Gefangenen Andreas Baa-

156 157

~ -
..- r
Venen. Diese Veränderungen sind wiederum mit Sicherheit durch Giftbeibringung oder durch die Haftbedingun-
älter als die Schußverletzung und stehen mit dieser in kei- gen entstanden sind. Bei allen drei Toten müßte wegen
nerlei ursächlichem Zusammenhang. Mit Wahrscheinlich- der fehlenden Kampfspuren in den Zellen und infolge
keit handelt es sich hierbei um Begleiterscheinungen eines von Irmgard Möllers Bericht davon ausgegangen wer-
möglicherweise bereits im Abklingen befindlichen Infektes. den, daß sie in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober
Die Veränderungen erreichen nicht einen Grad, der die 1977 betäubt wurden. Am Beispiel Gudrun Ensslins
Diagnose einer Enzephalitis (Hirnhautentzündung) recht- wird diese Hypothese auch von Prof. Hartmann vor dem
fertigen würde.3 Untersuchungsausschuß erörtert: "Tatsächlich kann
man mit flüchtigen Stoffen jemand bewußtlos machen
und dann kann man ihn aufhängen, während er noch
Gutachten v. 30.1.1978 zu Gudrun Ensslin: unter dem Einfluß dieser flüchtigen Stoffe steht. Weil
man bei der Erhängung sofort stirbt, muß auch beim
... Pathologisch am Zentralnervensystem ist das Vorkom- Toten dieser flüchtige Stoff noch vorhanden sein ...6
men einiger entzündlicher Zellansammlungen um einzelne Wäre Gudrun Ensslin also bewußtlos in der Kabel-
Hirngefäße. Der Grad dieser entzündlichen Veränderungen schlinge aufgehängt worden, so hätten sich möglicher-
ist aber nicht so groß, daß von einer Hirnhautentzündung im weise auch die für ihre Verletzungen angeblich kausa-
eigentlichen Sinne (Enzephalitis) gesprochen werden len Muskelkrämpfe nicht eingestellt, so daß die Verlet-
könnte. Die weichen Hirnhäute sind auch frei von entspre- zungen zumindest teilweise Abwehrverletzungen vor
chenden entzündlichen Veränderungen. Mit Wahrschein- ihrer Bewußtlosigkeit gewesen sein könnten.
lichkeit handelt es sich um eine Begleitentzündung bei Hartmann fährt fort: "Ich kann nicht beurteilen, ob
einem kurz zurückliegenden Infekt oder bei einem entzünd- sämtliche in Frage kommenden flüchtigen Stoffe durch
lichen Prozeß an einem sonstigen Körperorgan.4 die Analysemethoden von Herrn Mallach erfaßt worden
sind ...7
Die Äußerung ist entlarvend, weil in dem von Mallach
Gutachten v. 10.2.1978 zu Jan-Carl Raspe: unterschriebenen toxikologischen Gutachten vom 30.
November 1977 zu lesen steht:
... Geringfügige Ansammlungen von kleinen Blutkörper- "Mit den an gewandten Methoden werden folgende
chen (Lymphocyten) an einzelnen Hirngefäßen können Substanzgruppen nicht erfaßt: Anorganische Verbin-
nicht als Reaktion auf die Schußverletzung gedeutet wer- dungen, tierische und pflanzliche Giftstoffe, die meisten
den, entsprechen vielmehr den Folgen einer möglicher- Pflanzenschutzmittel und Schädlingsbekämpfungsmit-
weise vor kurzem abgeklungenen Infektion im Organismus. tel sowie viele als Pharmaka nicht verwendete organi-
Zeichen einer akuten oder älteren Vergiftung ergaben sich sche Verbindungen ... 8
ebensowenig wie Anhaltspunkte für eine durch Mangeler- Nachdem Hartmann in seinem mündlichen Bericht
nährung zu erklärende Hirngewebsschädigung.5 flüchtige Stoffe und Schlaf- bzw. Betäubungsmittel aus-
geschieden hat, fährt er fort:
"Aber ich gebe Ihnen recht, es gibt soundsoviele
Ähnliche Symptome sind bei Ulrike Meinhof festgestellt Gifte, daß man, wenn man nicht gerichtet auf ein
worden. Bis heute ist unaufgeklärt, ob diese Symptome bestimmtes Gift sucht, unter Umständen eines über-

158 159
,
sieht, vor allem die komplizierten organischen Gifte. diese Klagen der Gefangenen, das von Henck und Foth
Nehmen sie Digitalis oder nehmen sie Insulin. Wenn bewahrt wird, und abgesehen von dem damals geplan-
man darauf nicht gerichtet untersucht, wird man es ten und erörtertem Einsatz englischer und israelischer
nicht finden. ,,9 "Wahrheitsdrogen " gegen die Gefangenen,12 gibt es
Entsprechend wertlos ist der von Mallach vorgelegte einen medizinischen Befund in den Todesermittlungs-
toxikologische Befund, nach dem sich keine Anhalts- akten, der infolge des Fehlens eines abschließenden
punkte für das Vorhandensein von Betäubungsmitteln gerichtsmedizinischen Gutachtens nirgends berück-
bei allen drei Toten und Irmgard Möller gefunden sichtigt wird.
hätten. Der Tübinger Neuropathologe Prof. Peiffer fand bei
der histologischen Untersuchung des Gehirns von
Nach der Aussage des Anstaltsarztes Dr. Henck vor der Andreas Baader gewisse "Veränderungen" : "Mit
Staatsanwaltschaft vom 19.10.1977 haben Andreas Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um Begleit-
Baader und Gudrun Ensslin mit ihm am 10. Oktober erscheinungen eines möglicherweise bereits im Abklin-
1977 gesprochen: gen befindlichen Infektes. Die Veränderungen errei-
"Beide erklärten mir übereinstimmend, daß der chen nicht einen Grad, der die Diagnose einer Enzepha-
Anstaltskost die Psyche beeinflussende Stoffe beige- litis (Hirnentzündung) rechtfertigen würde. ,,13
mischt seien, so wie dies durch Amerikaner in Vietnam Peiffer sagt nichts über eine mögliche Ursache dieser
erfolgt sei. ,,10 Infektion, etwa über die Art der Bakterien und Viren,
Merkwürdig ist, daß Henck in seiner Aussage vor die sie ausgelöst haben könnten. Auch die Tatsache,
dem öffentlich tagenden Untersuchungsausschuß daß Peiffer keine Anhaltspunkte für eine "toxische
mehrfach auf die Tatsache der Übereinstimmung in den Schädigung" des Gehirns fand, sagt angesichts dessen
Worten Andreas Baaders und Gudrun Ensslins an die- nicht viel, daß er nicht angibt, welche Gifte er mittels der
sem Tage zu sprechen kommt, es dabei aber sorgfältig von ihm angewandten Methoden erfassen konnte. 14
vermeidet, den oben angegebenen Inhalt der überein- Bei der Untersuchung des Gehirns von Gudrun Enss-
stimmenden Worte beider anzugeben. lin findet Prof. Peiffer wiederum "entzündliche Zellan-
Auch der Haftrichter Foth hat in seiner Aussage vor sammlungen um einzelne Hirngefäße. Der Grad dieser
dem Untersuchungsausschuß den Inhalt einer entzündlichen Veränderungen ist aber nicht so groß,
Beschwerde von Andreas Baader an ihn vom 7. Oktober daß von einer Hirnhautentzündung im eigentlichen
1977 (siehe S. 57f.) nicht wiedergegeben, obwohl die Sinne (Enzephalitis) gesprochen werden könnte ... ,,15
Beilage sowohl im vorläufigen Bericht der Landesregie- Man erinnert sich angesichts dieser Befunde an die
rung, als auch im Bericht des Untersuchungsausschus- Klagen der Gefangenen über Kopfschmerzen, von
ses abgedruckt wurde. 11 denen Irmgard Möller berichtet hat, und an die z.T.
Durch Irmgard Möllers Bericht ist bekannt, daß dieser enormen Mengen an Schmerzmitteln, die die Gefange-
Brief an Foth, der sich auf den kurz zuvor von der nen während der Kontaktsperre konsumierten.
Anstaltsleitung gesperrten zusätzlichen Obsteinkauf Schließlich findet sich auch in Peiffers Gutachten
der Gefangenen bezog, von der Vergiftung der Gefan- über lan-earl Raspes Gehirn der Satz: "Geringfügige
genen durch dem Essen beigemischte Drogen sprach. Ansammlungen von kleinen Blutkörperchen (Lympho-
Abgesehen von dem auffälligen Schweigen über cyten) an einzelnen Hirngefäßen '" entsprechen viel-

160 161

11Ioo....-
,
mehr den Folgen einer möglicherweise vor kurzem nicht mehr ausgemacht werden können. Die Schießge-
abgeklungenen Infektion im Organismus. ,,16 räte ... waren mit einem ebenfalls aus den USA stam-
Die merkwürdige Übereinstimmung der Krankheits- menden Betäubungsmittel munitioniert, das gerade
bilder der Gehirne der drei Toten hat den Untersu- ausreichte, den Getroffenen für fünf oder zehn Minuten
chungsausschuß, dem die Gutachten Peiffers bekannt in Tiefschlaf zu versetzen: "17
sein konnten, nicht dazu bewogen, Prof. Peiffer als Zeu- Auch ist dieser Fall aus Großbritannien bekannt: Der
gen zu der Frage einer möglichen Ursache dieser Infek- Exilbulgare G. Markov wartet in der Londoner City auf
tionen zu hören und auch nicht dazu, die Ärzte Müller seinen Bus. Dabei wird er leicht am Bein mit einem
und Schröder, die während der Kontaktsperre die Schirm angestoßen. Kurze Zeit später fühlt er sich hun-
Gefangenen wegen ihrer Kopfschmerzen behandelten, deelend. An seiner Wade entdeckt er nur einen kleinen
als Zeugen zu laden und mit Peiffers Ergebnissen zu roten Pickel, dem er keine Bedeutung beimißt. Am
konfrontieren. nächsten Tag wird er mit hohem Fieber ins Hospital
Daß auch die Staatsanwaltschaft von dieser merkwür- eingeliefert, wo er über den" Schuß" in sein Bein phan-
dig übereinstimmenden Erkrankung der drei Toten tasiert, dann stirbt er einen Tag darauf. Die Ärzteschaft
schweigt, versteht sich schon von selbst. diagnostiziert natürliche Blutvergiftung. Gewebepro-
Die Frage ist, warum bei den chemisch-toxikologi- ben, auch die mit dem Blutpickel, werden an ein chemi-
schen Untersuchungen keine spezielleren Techniken sches Labor geschickt. Dort machen die Wissenschaftler
angewendet wurden, die positive Befunde ermöglicht eine sensationelle Entdeckung. Sie finden ein steckna-
hätten. delkopfgroßes Kügelchen, gerade eineinhalb Millime-
Um einen Vergiftungsverdacht auszuschließen, hätte ter klein und mit Öffnungen versehen. In dieses Metall-
auch gründlicher untersucht werden müssen. Die kügelchen passen 0,2 Milligramm hinein.
Obduzenten haben hierauf weder Arterienblut, Glas- Für eine tödliche Blausäuredosis werden immerhin 60
körperflüssigkeit beider Augen, des Gehirns, der Milligramm benötigt. Trotz eifrigen Forschens wird kei-
Lunge, der Haut, Nägel, Haare oder Fettgewebe unter- nes der bekannten Gifte gefunden. Nun beginnt die
sucht. Suche nach Biogiften. Das wahrscheinlichste verwen-
Dabei hätten sie wissen müssen, daß die CIA und ihre dete Gift heißt Rizin, kommt in Rizinussamen vor und ist
befreundeten Dienste seit Jahren auf der Jagd nach doppelt so giftig wie Kobragift. Dennoch ist es in den
seltenen Biogiften sind, die einen Nachweis unmöglich Gewebsproben nicht nachzuweisen.1B
machen sollen. Der Spiegel schreibt in einer fiktiven Das Beispiel zeigt, daß sogar ein tödliches Gift, von
Geschichte über einen Mossad-Einsatz (israelischer dessen Vorhandensein man weiß und dessen geheim-
Geheimdienst): "Das Sichtinstrument, das jedes der dienstliche Anwendung anzunehmen ist, nur aufgrund
drei Kommando-Mitglieder bei sich führte, hatte es in sehr spezieller und langwieriger Untersuchungen nach-
sich: es war mit einer kleinen Pistole kombiniert - ein gewiesen oder gar nicht gefunden werden kann. Und
Gerät, das vom US-Geheimdienst CIA konstruiert und dieses gilt - nach Hartmann - sogar für so bekannte
in den USA breits heftig diskutiert wurde. Denn das Stoffe wie Digitalis und Insulin.
Ding mit dem Namen ,Nondiscernible Microbioinocula- Stolz berichtet auch Robert H. Kuppermann, Wissen-
tar' verschießt giftige und pharmakologisch präparierte schaftler bei der US-Behörde für Rüstungskontrolle und
Pfeile, die angeblich später in den Körpern der Opfer Abrüstung, vor dem US-Senatsausschuß, wie es gelang,
162 163

- ~
I
unbemerkt die Wasserversorgung in North Miami mit
einem bestimmten Insektizid zu vergiften. 19
3. Der" Erhängungstod H

Der renommierte Kriminalkommissar LR. und freie Gudrun Ensslins


Journalist Sepp Beranek urteilt:
"Der Verdacht, daß Baader, Ensslin, Raspe und Möl- a) Die "typischen " Zeichen eines Erhängungstodes
ler vor ihren ,Selbst Morden' mit Gas betäubt wurden,
ist immer noch nicht ausgeräumt. Solche Gase werden Nach dem Obduktionsprotokoll vom 19.10.1977 wies
heutzutage von Hoteldieben, vornehmlich in den gro- die Leiche Gudrun Ensslins außer den Verletzungen
ßen Badeorten an der Riviera, benützt, um Hotelgäste durch das Strangwerkzeug folgende Gewalteinwir-
im Schlaf zu betäuben, um dann ungestört in Kleidern, kungsspuren auf:
Schränken und Koffern nach Beute zu suchen ... 20 "Oberhalb vom Nasenhöcker eine linsengroße fast
In diesem Zusammenhang erscheint auch die runde Abschilferung der Hautdeckschicht mit scharfer
Beschwerde mit Zusatzschreiben vom 7. Oktober 1977, Begrenzung, Einblutungen in der Umgebung nicht er-
die Andreas Baader an Haftrichter Foth sandte, in kennbar. ..22
einem anderen Licht.21 Ferner: "Unterhalb vom rechten Mundwinkel eine
Wozu hat der stellvertretende Anstaltsleiter und runde Hauteintrocknung mit 3 mm Durchmesser, unter-
Sicherheitsbeauftragte Schreitmüller den Zusatzein- halb davon eine Eintrocknung von 1 mm Durch-
kauf von Obst und den gesamten Einkauf wirklich messer. ..23
untersagt? Sollten die Häftlinge nur noch von Anstalts- Aus dieser Beschreibung wird nicht erkennbar, daß
verpflegung ernährt werden? die braunrote Farbe dieser "Eintrocknungen" sie als
Blutspuren zu erkennen geben.
Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, weder bei "Hinter der Stirn-Haar-Grenze ein Querfinger rechts
Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-earl Raspe noch neben der Mittellinie eine knapp pfennigstückgroße
Irmgard Möller hätten die chemisch-toxikologischen ganz oberflächliche Hautabschürfung .... An der linken
und chemisch-pharmakologischen Untersuchungen Brustseite 8 cm unterhalb der queren Linie durch die
Hinweise dafür erbracht, daß die Häftlinge vor Eintritt Brustwarzen und 6 cm neben der Mittellinie quer
ihres Todes oder ihrer Verletzungen durch "irgendwel- gerichtet zwei streifenförmige oberflächliche kaum
che Mittel" in einen wehrlosen, bewußtseinsgestörten tastbare jedoch eingeblutete Hautdefekte, der obere
oder bewußtlosen Zustand versetzt worden wären, wird mit einer Länge von 12 mm und der untere, 5 mm tiefer
nicht bewiesen. liegende, von 11 mm .... Unterhalb derbeiden Handge-
Vielmehr ist nach den Indizien nicht auszuschließen, lenke auf der Beugeseite am Beginn der Daumenmaus
daß die Häftlinge vor Eintritt des Todes oder ihrer Ver- eine im Rand der Daumenmaus verlaufende 3 cm lange
letzungen durch irgendwelche Mittel in einen verteidi- rotblaue Verfärbung von 3 - 4 mm Breite, im Unterhaut-
gungsunfähigen Zustand versetzt worden sind. gewebe frischrotes Blut, nicht bis in die Muskelhaut und
in den Muskel hineinreichend .... Über der linken Knie-
scheibe eine linsengroße leicht vorgewölbte blaurote
Einblutung, im Unterhautgewebe Blutung von 3 mm
Schichtdicke. An der rechten Kniescheibe eine gut

164 165

-- -
I
,
pfennigstückgroße leicht vorgewölbte dunkelblaue "Am Rücken oben etwa vom ersten Brustwirbelkör-
Einblutung, im Unterhautgewebe eine 8 bis 10 mm per abwärts quergerichtet eine fast regelmäßige Gitter-
dicke Blutansammlung, nicht auswischbar. In der zeichnung, quere Ausdehnung 19 cm und von oben
Umgebung auf insgesamt fünfmarkstückgroßer Fläche nach unten 11 bis 12 cm .... Keine erkennbaren Einblu-
kleinere und flachere Einblutungen. Keine Beschädi- tungen in diesem Bereich. "30
gung der Hauptdeckschicht. ,,24 Vor dem Untersuchungsausschuß sagt Hartmann
Nicht - wie behauptet - im Obduktionsprotokoll, son- lediglich etwas über diese Gitterzeichnung:
dem im "Vorläufigen Gutachten" taucht dann noch "Das ist unseres Erachtens eine Erscheinung nach
eine weitere Verletzung auf: "ein kleiner Bluterguß im dem Tod."31
Bereich des Mittelgelenks des linken Mittelfingers" 25, Wenn es also auch richtig sein sollte, daß die von
bei dem nicht gesagt wird, ob er an der Außen- oder Mallach und Rauschke im Obduktions bericht erwähn-
Innenseite der Hand oder an der Seite des Mittelfingers ten Blutungen und Kratzer während der Erstickungs-
gesichtet wurde. krämpfe entstanden sind, so bleibt ungeklärt, wie die
Von diesem Bluterguß, der Blutung an der linken von ihnen im "Vorläufigen Gutachten" nicht erwähnten
Daumenmaus, den Blutergüssen an beiden Knieschei- Gewalteinwirkungsspuren am rechten Mundwinkel, an
ben und den Hautkratzem unter der linken Brust wird der Kopfhaut, an der Nase, an der linken Leiste und am
nun sofort und ohne weiteres gesagt: Rücken in der Höhe des Nackens entstanden sind. Dazu
"Diese Gewalteinwirkungsspuren sind nicht auf eine schweigt der Obduktionsbericht einschließlich des
Einwirkung von fremder Hand verdächtig. ,,26 "Vorläufigen Gutachtens".
Die mündlich gegebene Begründung wird im Unter- Vor dem Untersuchungsausschuß hat sich Prof. Hart-
suchungsbericht so zusammengefaßt: mann zur Entstehung der "vereinzelte(n) Kratzer" in
"Im vorliegenden Fall ist anzunehmen, daß die fest- der Leistengegend und unterhalb der linken Brust ge-
gestellten Blutungen, die sämtlich frisch gewesen sind, äußert:
und die Kratzer im Verlauf eines derartigen, während "Das sind ganz diskrete Hautkratzer ohne Unterblu-
der Erstickung aufgetretenen Krampfes entstanden tung bei Einschnitt in die Weichteile. ,,32
sind. ,,27 Da die Kratzer an der linken Leiste im Obduktionsbe-
Weder im Obduktionsprotokoll, noch im anschließen- richt verschwiegen werden, kann Hartmanns Aussage
den "Vorläufigen Gutachten" werden zwei andere Ver- hier nur mit den schon zitierten Ausführungen des
letzungen registriert, deren erste von den Professoren Obduktionsberichtes über die Kratzer unter der linken
Hartmann und Andre vor dem Untersuchungsausschuß Brust konfrontiert werden. Dort heißt es ausdrücklich,
erwähnt werden. Andre spricht von "zwei bis drei klei- sie seien "eingeblutete Hautdefekte ".33
nere(n) Kratzverletzungen im Bereich der Oberschen- Und was die Frage angeht, wie die erwähnten Kratzer
kel" ,28Hartmann von "vereinzelten Kratzer(n), nämlich zustande gekommen sind, so widerspricht Hartmanns
in der Leistengegend ... ,,29 Aussage vor dem Untersuchungsausschuß wiederum
Schließlich fehlt jeder schriftliche oder mündliche den Ausführungen des Untersuchungsberichtes. Denn
Hinweis auf eine von Rechtsanwalt Heldmann bei der während Hartmann sagt: "Ich muß sagen, wir zweifeln
Obduktion gesehene weitere Verletzung im Nackenbe- sogar etwas daran, daß diese Kratzer (an Leiste und
reich. Im Obduktionsprotokoll heißt es nur: Brustkorb) ganz frisch sind. Sie können ohne weiteres

166 167

•••
!
etwas früher zustande gekommen sein. Es ist zweifellos zung an Gudrun Ensslins Schienbeinen gesprochen, die
möglich, wenn es einen nur etwas juckt, daß man einen beim Krampfen gegen die Sitzfläche des vor ihr stehen-
solchen Kratzer hat" ,34heißt es im Untersuchungsbe- den Stuhls hätten schlagen müssen.
richt, wie schon zitiert, daß die festgestellten Blutungen
"sämtlich frisch gewesen sind", also auch die von Hart- Auch ist es sachlich nicht richtig, daß das Auftreten von
mann geleugnete Einblutung unter den Kratzern am Totenflecken an den Füßen, Beinen, Händen, Armen
Brustkorb. Und von den Kratzern selbst wird angenom- und am Kinn ein" typisches Zeichen des Erhängungsto-
men, daß sie "im Verlauf eines derartigen, während der des" 38 ist. Vielmehr handelt es sich um Zeichen der
Erstickung aufgetretenen Krampfes" entstanden und Blutsenkung ("Hypostase"), die auch dann auftreten,
also doch "ganz frisch" gewesen sind. wenn man etwa einen Verstorbenen bald nach seinem
Es mag sein, daß der Untersuchungsbericht wider Tode aufhängt. Auch eine "mäßige Vergrößerung des
Erwarten die Auffassung der Gerichtsmediziner nicht Gehirns" oder eine "mäßige Milzentspeicherung" 39
korrekt oder nicht vollständig wiedergibt. Hartmanns sind in keiner Weise pathognomonisch für vitales
Behauptung: "Als Abwehrverletzungen sind sie (die Erhängen. Dasselbe gilt für die "Erhängungsstrang-
Kratzer) völlig ausgeschlossen ,,35steht jedenfalls völlig marke am Hals"40, die auch bei Aufhängung einer Lei-
unbegründet da und die harmlose Erklärung der Haut- che kurz nach dem Tode entstehen kann.
kratzer, die er gibt, wirft die Frage auf, warum die Besei- Nimmt man aber dennoch an, daß der Tod bei Gudrun
tigung eines Juckreizes durch jeweils zwei Beklei- Ensslin durch Erhängen eintrat, so stellt sich immer
dungsstücke hindurch blutunterlaufene Kratzspuren noch die Frage, ob Selbsttötung vorlag oder nicht.
hinterlassen sollte. Diese Frage kann nur durch eine Erklärung der klei-
Schließlich fehlt für die Verletzungen an Kopfhaut, neren Verletzungen beantwortet werden, die entweder
Nase und Nacken jede Erklärung durch die Gerichts- nicht erfolgt ist oder ohne Vorlage der bei der Leichen-
mediziner. Es ist vielmehr völlig unerfindlich, mit wel- schau gemachten Lichtbilder nicht überprüft werden
cher Berechtigung Rauschke vor dem Untersuchungs- kann.
ausschuß sagen konnte: Von den Untersuchungsmethoden, die nicht ange-
"Vielmehr waren alle die festgestellten Blutergüsse, wandt, und den Spuren, die nicht gesichert wurden,
blaue Flecken usw. an den Stellen, an denen man seien hier nur einige genannt. Der Histamintest, der
anschlägt, wenn es etwa zu krampfenden Bewegungen erlaubt, festzustellen, ob eine Strangmarke vital oder
der Gliedmaßen kommt. ,,36 postmortal entstanden ist, wurde, wie bei Ulrike Mein-
Andre sagte vor dem Untersuchungsausschuß sogar hof, nicht angewandt.
aus: Obwohl nach dem Spurensicherungsbericht ein
"Bei der Autopsie wurde keine weitere Verletzung "Mikrospurenabzug von der Erhängungsfurche am
festgestellt, außer diesen Quetschungen und Blutungen Hals der Leiche" , ein "Mikrospurenabzug von der lin-
an Hand und Kniescheiben. "37 ken und der rechten Hand" und als Spur Nr. 25 "Finger-
Auch haben sich Blutergüsse dort, wo man sie nach nagelabschnitte der Toten ,,41 gesichert wurden, hat
der angenommenen Lage von Körper und Stuhl hätte man nie wieder etwas von ihrer Untersuchung und
erwarten müssen, gerade nicht gefunden. Jedenfalls deren Ergebnissen gehört. Das gilt auch für die zwei im
wird im Obduktionsbericht nirgends von einer Verlet- Knoten des Kabels befindlichen Haare.

168 169

~ ----------------------------~--------------------------------
I
Alle diese Spuren "stehen einer weiteren Untersu- Der Sanitätsbeamte Soukop hat vor dem Untersu-
chung zur Verfügung", heißt es im Spurenauswertebe- chungsausschuß über seinen Aufenthalt in Ensslins
richt.42 D.h. sie wurden bisher nicht untersucht. Zelle ausgesagt:
Eines der wichtigsten Versäumnisse der gerichtsme- "Ich bin gar nicht hingegangen, ich habe mich nicht
dizinischen Untersuchungen ergibt sich daraus, daß nir- vom Tod der Ensslin überzeugt. Ich habe das dem Arzt
gends gesagt wird, ob die Speichelabrinnspur gesichert überlassen ... ,,44
wurde, die ebenso wie viele andere Spuren von einem Der Arzt, Dr. Majerowicz, hat bei seiner ersten poli-
Täter vorgetäuscht werden könnte. Deshalb wäre der zeilichen Vernehmung am 18. Oktober über seine Fest-
Nachweis von Speichel nach der Jod-Stärke-Methode, stellungen an der Leiche zwar einerseits ausgesagt:
der Nachweis der Blutgruppe und damit die Prüfung "Berührt habe ich sie nicht ... "45.
der Identität der Toten und der Quelle des mutmaßli- Andererseits heißt es aber in der zweiten Verneh-
chen Speichels erforderlich gewesen. mungsniederschrift vom 26. Oktober:
All dies ist ebensowenig geschehen, wie einige "Die Körperwärme habe ich durch Anfassen einer
zunächst offenbar geplante kriminaltechnische Unter- Hand festgestellt. Die Hand war abgekühlt, aber nicht
suchungen, z.B. die Herkunftsbestimmung der immer- kalt. ,,46
hin gesicherten Spur 14, des Nagels rechts von der Ähnlich sagt Majerowicz dann vor dem Untersu-
Decke (was geschah mit den übrigen Nägeln?), die chungsausschuß aus: "Ich habe bloß mit der Hand Tem-
Untersuchung des Mikrospurenabzugs vom Boden der peratur (gemessen). ,,47
Zelle auf Fremdmaterial und des Mikrospurenabzugs Möglicherweise hat er dabei auch festgestellt, was er
von der Essensklappe43, durch die bisher unbekannte in seiner zweiten Aussage so beschreibt: "Die Extre-
Stoffe in die Zelle gekommen sein könnten. mitäten und der Körper waren in einem tief gelockerten
Es fehlt ferner die Beantwortung der Frage, ob die an Zustand. Ganz bestimmt lagen keine Anzeichen für
der Decke gesicherten Haare tatsächlich Haare von eine Starre vor. ,,48
Gudrun Ensslin sind oder nicht. Fragen über Fragen. Aber nach seiner ersten Aussage am 18. Oktober hat
er diese Wahrnehmung nur optisch gemacht:
Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, die Leiche "Berührt habe ich sie nicht, erkannte aber eine
Gudrun Ensslins habe typische Zeichen des Erhän- Cyanose und stellte fest, daß der Körper völlig ent-
gungstodes aufgewiesen und die festgestellten Verlet- krampft hing .... Weitere Maßnahmen habe ich auch in
zungen sprächen für Erhängung durch eigene Hand, ist dieser Zelle nicht getroffen, habe nichts verändert und
also nicht bewiesen. nichts berührt. ,,49
Was an dieser Aussage interessiert, ist nicht so sehr
der Widerspruch zu den beiden späteren Aussagen hin-
b) Der Stuhl und der "Expertenstreit" sichtlich des Anfassens der Leiche, als vielmehr die dar-
Im Bericht über die Auffindung Gudrun Ensslins am aus folgende Unzuverlässigkeit der Beteuerung Maje-
Morgen des 18. Oktober 1977, der sich im Untersu- rowiczs, daß er "nichts verändert und nichts berührt"
chungsbericht des Landtags findet, wird der Stuhl, auf habe.
dem Gudrun Ensslin vor ihrer Erhängung gestanden Immerhin gibt er im unmittelbar vorhergehenden
haben soll, nicht erwähnt. Satz implizit zu, daß er die Decke, die die am Fenster

170 171

~ J-- _
~

hängende Leiche, mit Ausnahme der Füße, verdeckte,


, "Einer der Bediensteten, nach meiner Erinnerung ein
beiseite geschoben habe, um dahinter zu sehen: Sanitätsbeamter ... ging in die Zelle und schaute hinter
"Ich habe dann etwas hinter die Bettdecke geschaut die Decke und sagte hierauf, Frau Ensslin sei tot, sie
und sofort erkannt, daß die Frau tot sein muß .••50 habe sich erhängt. ••54
Merkwürdig ist, daß sich in den polizeilichen Aussa- Dies stimmt mit Miesterfeldts polizeilicher Verneh-
gen der Zeugen, die sich über die Auffindung Gudrun mung vom 18. Oktober überein:
Ensslins geäußert haben, keine Erwähnung des Stuhls "Einer der Sanitäter hob die Decke etwas an und
findet, der nach dem Leichenschaubericht der Gerichts- sagte: ,Da ist nichts mehr zu machen,"'55
mediziner vor der Leiche stand und in der späteren Da der Sanitäter Listner, wie er am 19. Oktober vor
Rekonstruktion des Erhängungsvorgangs eine so wich- der Kriminalpolizei angibt, "gar nicht in die Zelle der
tige Rolle spielt. Ensslin gesehen" hat,56 wird jener Sanitäter, wie Mie-
Im Leichenschaubericht heißt es über diesen Stuhl: sterfeldt auch am 7. November vor dem Untersuchungs-
"Die Stuhllehne ist zur Außenwand gerichtet, über ausschuß erklärt hat, der Krankenpflegehelfer Soukop
dem linken Vorderteil der Lehne hängt das untere Ende gewesen sein.
der Wolldecke .••51 Also stehen die Aussagen Bucherts, Münzings und
Wer also, wie Dr. Majerowicz, die Decke zurückge- Miesterfeldts gegen Soukops oben zitierte Aussage, die
schlagen haben muß, um dahinter zu sehen und eine mit seiner polizeilichen Vernehmung vom 25. Oktober
Hand der Toten zu ergreifen, der könnte sehr leicht übereinstimmt:
auch mit dem Stuhl in Berührung gekommen sein. "Die Vorderseite der Beine und Füße zeigte in Rich-
Freilich bestreitet das Majerowicz in seiner ersten tung Türe. Als ich dies sah, verließ ich sofort wieder die
Aussage ebenso wie die Tatsache, daß er den Körper Zelle. Dr. Majerowicz, der soeben den Tod Baaders fest-
der Toten berührt hat. gestellt hatte, kam nun in die Zelle der Ensslin .••57
Noch unsicherer wird die Sachlage durch die Aus-
sage des Vollzugsbeamten Münzing, der über den Es wird sich wohl nicht mehr klären lassen, ob Soukop
Krankenpflegehelfer Soukop, entgegen dessen eigener die Decke vor der Leiche Gudrun Ensslins zurückge-
Aussage vor dem Untersuchungsausschuß, sagt: schlagen hat, um dahinter zu sehen. Und da keiner, der
"Er hat den Vorhang zur Seite getan und einen Blick in der Zelle oder an ihrer Türe sich aufhaltenden Perso-
dahinter geworfen. Dann hat er gesagt: Die ist tot. ••52 nen den Stuhl vor der Decke erwähnt, ist wahrschein-
Das stimmt überein mit der Aussage Miesterfeldts vor lich auch nicht mehr zu klären, ob er bei der Besichti-
dem Untersuchungsausschuß: gung und Berührung der Leiche berührt oder verscho-
"Dann ist der Kollege Soukop, der Sanitäter, in die ben worden ist. Es scheint allen so gegangen zu sein wie
Zelle und hat die Decke ein bißchen abgehoben .••53 dem Regierungsrat Buchert, der vor der Polizei aus-
Wenn diese Aussagen stimmen, dann hat, entgegen sagte:
seiner eigenen Aussage, auch Soukop die vor Gudrun "Auf irgendwelche Möbelstücke in der Zelle, die in
Ensslin hängende Decke angefaßt und dabei mögli- der Nähe des Fundorts der Frau Ensslin gestanden
cherweise auch den davorstehenden Stuhl berührt. haben könnten, habe ich nicht geachtet. ..58
Auch der zur Anstaltsleitung gehörende Regierungs- Dann ist aber auch nicht auszuschließen, daß in der
rat Buchert sagt am 25. Oktober vor der Kriminalpolizei: Aufregung der Auffindungssituation der Stuhl verscho-

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ben wurde und zwar beispielsweise in Richtung auf die henbleibt. Ich war der Meinung, man sollte diesen Stuhl
dahinter am Fenster hängende Leiche zu, wodurch die entfernen und abdecken, weil sich auf der Sitzfläche
Wahrscheinlichkeit der Selbstmordversion gestiegen Spuren zeigten: Mörtel, Haare, Fasern usw., und ich
wäre. Angst hatte, daß man diese Spuren zerstören könnte.
Denn je weiter der Stuhl von der hängenden Leiche Außerdem habe ich das Argument vertreten, daß, für
entfernt ist, desto unwahrscheinlicher ist es, daß er den Fall, ein anderer wäre beteiligt, dieser andere an
infolge der Todeskrämpfe des Körpers ins Zelleninnere dem Stuhl unter Umständen Fingerabdrücke hinterlas-
verschoben wurde. sen haben könnte. Wir waren also verschiedener Mei-
Schließlich wäre der Selbstmord sogar unmöglich, nung, und schließlich habe ich gesagt: Ich bin hier der
wenn sich gar kein Stuhl vor der Leiche befunden hätte, Gerichtsarzt, es kann also nur einer das Sagen haben,
was nach den Aussagen von fünf Zeugen der Auffin- wir können nicht alle durcheinander reden; ich bin jetzt
dung immerhin möglich ist. der Meinung, daß der Stuhl wegkommt und daß der
Jedenfalls kann der Stuhl nicht zum Beginn des Stuhl durch einen identischen Anstaltsstuhl ersetzt
Erhängungsvorganges dort gestanden haben, wo er am wird, der genau den gleichen Stand hat wie vorher. Das
späten Nachmittag von den Gerichtsmedizinern aufge- ist dann auch geschehen. ,,61
funden wurde. Denn von dem Anlegen der am Fenster- Leider erfährt man aus diesem Bericht nichts über die
gitter befestigten Schlinge um den Hals sagt Hartmann Argumente des Professors Holczabek, der für das Ver-
vor dem Untersuchungsausschuß: bleiben des Stuhls eingetreten sein soll. Aber vielleicht
"Es ist ohne weiteres möglich, das zu tun, allerdings hat man hier einen der Gründe erfahren, warum Prof.
nicht mit dem Stuhl in der Position, wie er gefunden Holczabek, nachdem ihm klar gemacht worden war,
wurde, sondern der Stuhl muß näher am Fenster sein. wer in Stuttgart der Gerichtsarzt war und das Sagen
Das hat uns beunruhigt. Wir haben uns deshalb gesagt, hatte, nach seiner Rückkehr nach Wien keinerlei Mitar-
der Stuhl muß verschoben worden sein. ,,59 beit und Mitverantwortung im Todesermittlungsverfah-
Wegen der oben dokumentierten Unsicherheit hin- ren mehr übernommen hat.
sichtlich einer Verschiebung des Stuhls bei der Auffin- Wenn die Sicherung der Spuren am Stuhl wirklich der
dung der Leiche ist es also eine vorgebliche Genauig- Grund für die Differenz der beiden Gerichtsmediziner
keit, von der der Untersuchungsbericht zu berichten gewesen sein sollte, so wäre dies jedenfalls insofern
weiß: verwunderlich, als diese Spuren wohl von Prof. Holcza-
"Der genaue Stand des Stuhls wird durch Einkrei- bek entdeckt wurden.
sung der Beine am Boden genau markiert. ,,60 Mallach sagt vor dem Untersuchungsausschuß aus:
Aber auch der an dieser Stelle im Untersuchungsbe- "Ich glaube, Herr Kollege Holczabek hat darauf hin-
richt verschwiegene Expertenstreit ist ganz und gar ver- gewiesen, daß auf dem Stuhl Fasern, kleine Textilfasern
geblich gewesen. Man erfährt über diesen Streit etwas gewesen sind ... ,,62
aus den Protokollen des Ausschusses. Während die von Holczabek entdeckten Sandanhaf-
Rauschke sagt aus: tungen an den Schuhsohlen von Andreas Baader mit
"So ist zum Beispiel in dem noch zu schildernden Fall keinem Wort in dem von Rauschke diktierten Leichen-
Ensslin im Bereich der Leiche ein Stuhl festgestellt wor- schaubericht erwähnt werden, scheint es Holczabek
den. Prof. Holczabek wünschte, daß dieser Stuhl ste- gelungen zu sein, für die Registrierung der Spuren am

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Stuhl zu sorgen. Denn es heißt im Leichenschaubericht: Todesursache bei Gudrun Ensslin Ermittelnder je um
"Auf der Sitzfläche des Stuhls sieht man haar- und ihn kümmerte, obwohl er am 19. Oktober 1977 einen
faserähnliche Auflagerungen, ferner etwas weißlichen Streit zweier Professoren der Gerichtsmedizin auslöste.
Schmutz. ,,63
Zwar scheint entgegen dem Wunsch des die Untersu-
chung führenden Gerichtsarztes eine Überprüfung des c) Das Erhängungswerkzeug
Stuhls auf Griffspuren nie stattgefunden zu haben;
jedenfalls sagt der Spurensicherungsbericht nichts Nach dem Leichenschaubericht von Mallach und
davon. Aber er registriert als "Spur 12: Mikrospurenab- Rauschke hing die Leiche Gudruns an "zwei doppelad-
zug vom Stuhl, der unmittelbar bei der Leiche stand. ,,64 rige(n) Elektro- bzw. Radiokabel(n). ,,67 Über die Her-
Und ferner wird angegeben, was mit diesem Mikrospu- kunft dieses Kabels wird hier nichts gesagt, doch heißt
renabzug geschehen soll: "Untersuchung auf Fremd- es im Untersuchungsbericht unter "Feststellung der To-
spuren. ,,65 desursachen ":
Wer nun glaubt, eine Untersuchung dieser Mikrospu- "Tatwerkzeug war ein zweiadriges, kunststoffisolier-
ren, deren Sicherung den Streit der Experten nach tes Elektrokabel, das ursprünglich an beiden Enden mit
Rauschke auslöste und die ihm so am Herzen lag, daß er Steckern versehen war. Diese Stecker, die nebst einer
"Angst hatte, daß man diese Spuren zerstören könnte", Schere auf dem Zellenboden vorgefunden wurden,
hätte stattgefunden, der sieht sich getäuscht. Denn im waren deshalb vom Kabel abgetrennt worden, weil das
Spurenauswertebericht vom 28. Februar 1978 (eine Kabel andernfalls nicht durch die engen Maschen des
Woche nach Auflösung des Untersuchungsausschus- Fenstergitters hätte durchgezogen werden können. ,,68
ses), den der Kriminalhauptkommissar Ziegler unter- Nun wäre die Herkunft des Strangwerkzeuges für
schrieben hat, heißt es trocken: sich noch kein Indiz für die Entscheidung der Frage, ob
"Die Spuren 12 (Mikrospurenabzug vom Stuhl, der Mord oder Selbstmord vorliegt. Denn ein vorhandenes
Verf.) und 13 (Mikrospurenabzugvom Boden, derVerf.) Elektrokabel kann von Gudrun Ensslin oder einem
sind asserviert. Ihre weitere Untersuchung kann nur mit anderen zurechtgeschnitten und am Gitter des rechten
einem zielbegründenden Untersuchungsersuchen vor- Fensters ihrer Zelle befestigt worden sein.
genommen werden. ,,66 Seltsam ist allerdings, daß man aus dem Leichen-
Mit anderen Worten, dieser Kriminalbeamte will vor schauprotokoll zwar genau erfährt, auf welcher Breite,
einer Untersuchung des Mikrospurenabzugs vom Stuhl wenn auch nicht in Zentimetern ausgedrückt, das Kabel
wissen, woraufhin untersucht werden soll und scheint durch das Gitter geschlungen war: "Hinter dem Gitter-
eine bloße Feststellung des gesicherten Materials nicht stab zwischen dem 15. und 16. Maschengitter von rechts
für der Mühe wert zu halten. aus (in Aufsicht gesehen) ... ,,69 und diese Angabe ist
Weder die Staatsanwaltschaft, noch der Gerichtsarzt, zumindest für denjenigen eindeutig, der Gelegenheit
der in Stuttgart das Sagen hatte, scheinen sich mit hat, die Zelle 720 zu betreten und, solange das Gitter
einem "Untersuchungsersuchen " an die Kriminalpoli- nicht verändert wird, dort an Ort und Stelle der Angabe
zei gewandt zu haben. Der Mikrospurenabzug befindet nachzugehen.
sich wohl noch heute ununtersucht beim Landeskrimi- Aber was fehlt ist die Angabe der Höhe des Aufhän-
nalamt Baden-Württemberg, ohne daß sich ein mit der gepunkts, so daß man also z.B. nicht nachprüfen kann,
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wie hoch Gudrun Ensslin stehen mußte, um diesen stößt, wobei er allerdings, trotz seines relativ geringen
Punkt zu erreichen, für den Fall, daß sie Selbstmord Gewichtes, nicht umgestürzt sein kann.
begehen wollte. Eine zweite Periode der großen Belastung wäre nach
Auch kann deshalb niemand nachprüfen, wie nahe der Rekonstruktion der Gerichtsmediziner dann einge-
sich im Falle des Mordes oder Selbstmordes der Ver- treten, wenn der Körper Gudrun Ensslins sich in schwe-
knotungspunkt des Kabels unterhalb des Kinns vor und ren Krämpfen so heftig bewegt, daß sie gegen den
nach dem Erhängungsvorgang am Aufhängepunkt schon weggeschobenen Stuhl so kräftig stößt, daß sich
befunden haben muß bzw. wie groß die mögliche Fall- u.a. an ihrer rechten Kniescheibe im Unterhautgewebe
höhe bei schon verknotetem Kabel war. eine 8 bis 10 mm dicke Blutansammlung und weitere
Der Umfang der Schlinge und des Halses sind dem kleinere und flachere Einblutungen bilden und ihre
Spurenauswertebericht vom 28. Februar 1978 (eine Hände so gegen die Fensterkante schlagen, daß sie u.a.
Woche nach Auflösung des Untersuchungsausschus- an der linken Hand Blutergüsse davonträgt.
ses) bzw. dem Obduktionsprotokoll zu entnehmen. Bei diesen nach der Rekonstruktion der Gerichtsme-
Damit könnte man, wenn man die Höhe des Aufhän- diziner (oder jedenfalls derjenigen, die vor dem Unter-
gungspunktes kennt, überprüfen, ob der Verknotungs- suchungsausschuß ausgesagt haben) wohl stärksten
punkt für den Fall, daß Gudrun Ensslin auf dem Belastungen des Erhängungswerkzeugs müßte es, wie
erwähnten Anstaltsstuhl steht, sich in einer Höhe befin- nach dem Augenschein der Auffindung der Leiche
det, der sowohl der Höhe des Kinns entspricht als auch anzunehmen, gehalten haben und nicht gerissen sein.
bei schon geknoteter Schlinge im Abstand vom Aufhän- Aber, so heißt es im Spurenauswertebericht:
gepunkt mit der vorgefundenen Schlingenlänge über- "Beim Versuch, die Leiche aus ihrer ursprünglichen
einstimmt. Lage abzuhängen, rissen die Kabel an der Stelle, an der
Was immer die Ergebnisse einer solchen Nachprü- sie durch das Wellgitter des Zellenfensters geschlungen
fung des Erhängungswerkzeugs wären, sie ist nicht waren. ,,70
möglich, solange man die Höhe des Aufhängungspunk- Es ist kaum anzunehmen, daß diejenigen, die den
tes (und die Stuhlhöhe) nicht kennt. Versuch machten, die Leiche abzuhängen, das (dop-
peltgelegte) Kabel (bzw. die beiden parallelen Kabel-
Bei all diesen überlegungen ist bisher allerdings noch stücke) schwerer belasteten, als es in den beiden
nicht in Frage gestellt, ob das genannte Elektrokabel für Hauptbelastungsphasen durch das Körpergewicht und
eine Erhängung von eigener Hand überhaupt geeignet die Bewegungen geschehen sein müßte, wenn die
ist. Das muß aber nach dem Spurenauswertebericht Gerichtsmediziner recht hätten.
bezweifelt werden. Das Reißen der Kabel muß allerdings den Verdacht
Fragt man nach dem Zeitpunkt der größten Belastung aufkommen lassen, es sei für eine Erhängung von eige-
des vorhandenen Elektrokabels, so müßte der bei einem ner Hand und deren Folgen zu schwach, habe aber für
Selbstmord wohl dann vorliegen, wenn Gudrun Ensslin, die Aufhängung der schon toten oder auch nur bewußt-
wie es die Rekonstruktion der Gerichtsmediziner vor- losen Ensslin durch andere eine ausreichende Reißfe-
sieht, mit ihrem Gewicht von 49 kg vom Stuhl herunter stigkeit gehabt.
in die Schlinge springt und dabei den Stuhl, ohne sich Es mochte sein, daß sich bei der späteren Obduktion
irgendwo anders halten zu können, mit den Füßen weg- zumindest Anhaltspunkte dafür finden würden, daß
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Gudrun Ensslin lebend in die Schlinge gekommen ist Man erwartet eine Untersuchung der Schnittstellen
und damit eine der möglichen Alternativen zum Selbst- des Kabels an Kupferlitze und Kunststoffisolierung, um
mord, Aufhängung der Leiche kurz nach dem Tod, aus- herauszufinden, ob sich die Feinstruktur der Scheren-
zuschließen wäre. schneiden an dem geschnittenen Material wiederfin-
Aber was den genannten Verdacht bestärken muß, den läßt, oder eine ähnliche Untersuchung, vielleicht
das ist das gänzliche Schweigen aller vor dem Untersu- auch eine chemische Analyse der Kunststoffummante-
chungsausschuß aussagender Gerichtsmediziner, des lungen des Strangwerkzeuges und der noch vorhande-
Untersuchungsausschusses und erst recht des Einstel- nen Reststücke des Lautsprecherkabels - jedenfalls
lungsbescheides der Staatsanwaltschaft über das eine kriminaltechnische Untersuchung in einem Labo-
Durchreißen der Kabel. ratorium, die eine eindeutige Zuordnung des Strangka-
Man muß den Eindruck gewinnen, als hätten die bels zu den abgeschnittenen Kabelenden der Lautspre-
Gerichtsmediziner einen peinlichen Vorfall, bei dem sie cher ermöglicht hätte.
nach Andren zugegen waren, verschwiegen, oder als Statt dessen heißt es im Spurensicherungsbericht, der
sei der Kriminalbeamte Ziegler oder sonst ein Kriminal- drei Monate nach der Auffindung der Leiche Ensslins
techniker u.a. auch deshalb nicht vor den Ausschuß erstellt wurde: "Von dem Untersuchungsvorgang, ob
geladen worden, weil dies eine Gegenüberstellung mit mit der Spur Nr.l (Schere) die Spuren 2 (abgeschnitte-
den Gerichtsmedizinern und ihrer Version des Selbst- ner Kabelstecker, Endstück des Erhängungswerk-
mordes hätte bedeuten können. zeugs, der Verf.), 3 (abgeschnittener Kabelstecker, Ver-
Der Vorfall wird jedenfalls im Spurenauswertebericht wendung wie 2, der Verf.) und 7 (Schnittstellen von den
nur erwähnt, um ein anderes Malheur der Ermittler, das Kabelenden, an denen vermutlich das Erhängungs-
eine Folge des Kabelrisses ist, zu erklären: werkzeug von den Boxen abgetrennt wurde, der Verf.)
"Weder die weichplastische Masse der Kabelumman- gesetzt worden sind, wurde aus zeitlichen Gründen hier
telung, noch die gerissenen Kupferlitzen bilden an der abgesehen. Sollte der Vorgang für notwendig erachtet
Bruchstelle Paßstücke, so daß eine eindeutige Zuord- werden, bitte ich (Kriminalhauptkommissar Ziegler, der
nung der Kabelstücke nicht möglich ist. ••72 Verf.) um einen staatsanwaltlichen Auftrag .••74
Je nach Zuordnung der vier Kabelstücke ergeben sich Dieser Auftrag ist nie erteilt worden. Denn im Spuren-
dadurch unterschiedliche Gesamtkabellängen, jeweils auswertebericht vom 28. Februar heißt es einfach: "Wie
für die beiden parallel liegenden Kabel. Ihre Belastbar- aus dem Lichtbild Nr. 83 der Zellenaufnahmen zu erse-
keit anhand der in der Zelle angeblich vorhandenen hen ist, waren die beiden Lautsprecherboxen der Enss-
und gesicherten gleichartigen Vergleichskabel ist, nach lin untereinander (? - d. Verf.) mit einem grünfarbenen
den vorliegenden Unterlagen, experimentell nie über- Elektrokabel verbunden, wie es, zumindest dem äuße-
prüft worden. ren Anschein nach, auch das Erhängungswerkzeug
Aber eben das Vorhandensein solcher gleichartiger darstellt. ••75
Vergleichskabel ist ebenfalls nicht sicher. Im Spurensi- Nur durch den äußeren Anschein und nicht durch
cherungsbericht vom 16. Januar 1978 heißt es: "Spur eine kriminaltechnische Untersuchung ist es bis heute
Nr.l: kleine Schere, links neben der Liege. Untersu- also entschieden, daß das Erhängungswerkzeug und
chung ob mit ihr das Erhängungswerkzeug abgeschnit- die fehlenden Lautsprecherkabel identisch sind.
ten worden ist. ••73 Freilich konnte sowohl Gudrun Ensslin als auch ein

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,
anderer die Lautsprecherkabel abschneiden und als Auf der einen Seite stehen die Aussagen der Ge-
Strangwerkzeug benutzen. Im Falle der Übereinstim- richtsmediziner.
mung der Schnittstellen untereinander und mit der vor- Prof. Rauschke antwortet auf die Frage, ob der
gefundenen Schere wäre also die Alternative Mord oder "Genickschuß " mit dieser Waffe nur denkbar sei, wenn
Selbstmord nicht entschieden. Fände sich aber eine der Abzug nach oben zeigt: "Ja, das ist richtig. ,,76Auch
Abweichung von Restkabeln und Strangkabeln, etwa Prof. Mallach hat den tödlichen Schuß so dargestellt,
im mikroskopischen Bereich, so wäre dies ein sicheres daß das Griffstück der Waffe nach oben wies.77 Ebenso
Indiz für Fremdeinwirkung, wenn etwa das zunächst hat Prof. Hartmann bei seiner Demonstration vor dem
benutzte Lautsprecherkabel schon einmal gerissen und Ausschuß vorgeführt, wie die Pistole "umgekehrt"
durch ein dem äußeren Anschein nach gleichartiges gegriffen und mit dem Daumen der linken Hand eines
ersetzt worden wäre. Hätte die Staatsanwaltschaft auf Linkshänders (wie Andreas Baader, der Verf.) abgefeu-
den Verdacht des Mordes hin ermittelt, so hätte sie ert werden konnte, während die schwächere rechte
veranlaßt, daß diese Möglichkeit durch die kriminal- Hand die Laufmündung führte: " ... Sie sehen das, das
technische Untersuchung ausgeschlossen worden ergibt ungefähr den Kanal, den Sie gefunden haben. ,,78
wäre. So seien auch die Beschmauchung und die Blutsprit-
zer an der rechten Hand zu erklären.
Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, die Leiche Auf der anderen Seite stehen die Ergebnisse der Spu-
Gudrun Ensslins habe typische Zeichen des Erhän- ren auswertung durch die Kriminalpolizei. Ihnen
gungstodes aufgewiesen und die Verletzungs- wie zufolge soll Andreas Baader die Waffe mit dem Griff
Erhängungsart spreche für Erhängung durch eigene nach unten gehalten und mit der rechten Hand abge-
Hand, ist nicht bewiesen. feuert haben. Das soll sich aus der Beschmauchung der
rechten Hand und aus der Lage der Hülse des tödlichen
Es ist daher nicht auszuschließen, daß Gudrun Ensslin Geschosses ergeben, die nur auf der rechten Seite der
durch tatbeteiligte Dritte lebend oder tot erhängt wor- Waffe ausgeworfen werden kann und sich rechts neben
den ist. dem Toten befunden haben soll.79
Der Widerspruch zwischen diesen beiden einander
ausschließenden Untersuchungsergebnissen wird in
4. Der Tod Andreas keinerlei abschließenden Gutachten über die Todesur-
sache aufgeklärt. Tatsache ist, daß weder in den Proto-
Baaders kollen des Untersuchungsausschusses noch in den
Akten des Todesermittlungsverfahrens ein solches
a) Die Haltung der Waffe und die Blutspritzer an der abschließendes Gutachten existiert.
Hand Obwohl Prof. Rauschke vor dem Untersuchungs aus-
schuß am 2. November 1977 erklärt, daß bislang "eine
Über die Haltung der Pistole FEG bei der Abfeuerung Rekonstruktion des Hergangs und der Körperhaltung",
des Schusses, der den Schädel von Andreas Baader von bei der auch "alle Befunde der Kriminaltechnik" mit-
hinten nach vorn durchschlug und ihn tötete, gibt es verwertet werden müßten, noch nicht möglich war,
widersprechende Untersuchungs ergebnisse. geben die Professoren Andre und Hartmann am 23.

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Januar 1978 im wesentlichen dieselbe Darstellung wie b) Was geschah mit Spur 6?
Mallach und Rauschke fast drei Monate vorher.
Die im "Vorläufigen Gutachten" von Mallach und Ein weiterer Widerspruch zwischen den Annahmen der
Rauschke angekündigte "endgültige Stellungnahme" Gerichtsmediziner und den Ergebnissen der Spuren-
wurde offenbar nie abgegeben, auch nachdem der Spu- auswertung durch die Kriminalpolizei besteht hinsicht-
renauswertebericht am 28. Februar, also nachdem der lich des tödlichen Geschosses.
Untersuchungsausschuß seine Tätigkeit be endet hatte, Prof. Mallach hat am 2. November 1977 vor dem
schließlich vorlag. Untersuchungsausschuß berichtet, daß es in der Fen-
Staatsanwalt Christ, der den Einstellungsbescheid im sterwand von Andreas Baaders Zelle (neben einem dort
Todesermittlungverfahren am 18. April 1978 unter- steckenden Geschoß, das angeblich von einem der bei-
schrieb, hat den Widerspruch der Ermittlungsergeb- den Schüsse stammen soll, die vor dem tödlichen Schuß
nisse offenbar bemerkt. Er hält sich zwar an die Darstel- abgegeben wurden) "im Wandputz eine kleine Auf-
lung von Hartmann und spricht von einem "oben lie- schlagsteIle mit einem Abpraller"80 gegeben habe.
genden Abzug" der Waffe, die mit der linken Hand Das dazugehörige Projektil habe rechts neben der
abgefeuert wurde, will diese Rekonstruktion aber nur Leiche etwa in Höhe des Brustkorbes gelegen. "Wir
"beispielsweise" gelten lassen und sich somit die sind der Meinung, daß es das Geschoß war, das durch
andere Möglichkeit offen halten. Damit umgeht er aber den Kopf bis vor in die Wand gegangen ist, von dort
die Befunde der Ermittler und damit deren eklatanten reflektiert wurde und auf den Boden zu liegen kam."81
Widerspruch. Denn wenn die Hülse des tödlichen Prof. Andre erklärt am 23.1.1978 vor dem Ausschuß:
Geschosses rechts von der Leiche liegt, muß sie mit dem "Man hat (am 19. Oktober 1977, der Verf.) festgestellt,
Griff und Abzug nach unten abgefeuert worden sein. daß dem Körper gegenüber in der Wand ein Aufprall
Bei dieser Haltung der Waffe und entsprechend der erfolgt war in der Mauer und hat dort Fragmente, Teile
Hände des Schießenden sind aber die Beschmauchung gefunden, die nach Eliminierung der anderen
und insbesondere die Blutspritzer, die im Spurenaus- Geschosse den Schluß nahelegten, daß es sich hierbei
wertebericht nicht erwähnt werden, in ihrer Lage auf um das Geschoß handeln mußte, das den Schädel
der rechten Hand eines Linkshänders nicht zu erklären. durchschlagen hatte. "82
Und umgekehrt ist die von Hartmann vorgeführte Nimmt man an, daß hier nur infolge der Schwierigkei-
Hand- und Pistolenhaltung nicht mit der behaupteten ten einer übersetzung aus dem Französischen der Ein-
Lage der Hülse des tödlichen Geschosses vereinbar, die druck erzeugt wird, als ob das tödliche Geschoß in Frag-
er darum auch nicht erwähnt. Die naheliegende mente zerteilt worden sei, so müssen die genannten
Annahme, daß eine zweite Person in der Zelle war, die Fragmente Teile des Wandputzes sein, die von dem
sowohl die Blutspritzer an der rechten Hand von danebensteckenden Geschoß herstammen können,
Andreas Baader verursachte, als auch die Lage der und es ergibt sich dann insofern kein Widerspruch zur
Hülse des tödlichen Geschosses beinflußte, wurde von Aussage von Mallach, der das tödliche Geschoß unzer-
der Staatsanwaltschaft nicht einmal als eine mögliche teilt mehr als zwei Meter entfernt in Höhe von Andreas
Hypothese berücksichtigt. Baaders Brustkorb gesehen haben will.
Beide Gerichtsmediziner berichten aber übereinstim -
mend von einem "Aufprall" bzw. einer "Einschlag-

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stelle" oder "Aufschlagstelle " des tödlichen Geschos- suchungsausschusses und in den Akten des Todeser-
ses in der Fensterwand. mittlungsverfahrens überhaupt keine serologischen
Vergleicht man damit die Spurenauswertung der Kri- und histologischen Gutachten, die jenes Stuttgarter
minalpolizei, so heißt es dort: "In der Zelle 719 konnten, Institut übernommen hatte?
nach Absuchen von Boden, Wand und Decke nur die Warum haben die Ergebnisse dieser Stuttgarter
unter Spur 5 und 7 bezeichneten Schußdefekte (Auf- Untersuchungen keinen Niederschlag in einer "end-
schlagstellen) vorgefunden werden. ,,83 gültigen Stellungnahme" der beiden verantwortlichen
Spur 5 ist aber das in der Fensterwand steckende Gerichtsmediziner gefunden, in der auch der Wider-
Geschoß eines der nichttödlichen Schüsse, Spur 7 der spruch in den genannten Annahmen der Gerichtsmedi-
Einschuß in die Liegenmatratze und das dazugehörige ziner zu den Ergebnissen der Spurenauswertung aufge-
zweite nichttödliche Geschoß. klärt wurde?
Somit gibt es also die von Andre und Mallach Darüber werden wir weiter unten noch zu berichten
erkannte Aufschlagstelle des tödlichen Geschosses gar haben.
nicht. Entsprechend heißt es über das tödliche Geschoß
im Spurenauswertebericht: "Das abgefeuerte Geschoß
drang nur noch mit schwacher Restenergie aus dem c) Pulverschmauch oder kein Pulverschmauch?
Schädel und blieb im unmittelbaren Bereich der Leiche
liegen. "84 Zur Rekonstruktion von Waffen- und Körperhaltung bei
Somit kann es erst recht nicht" bis vor in die Wand" Andreas Baaders tödlichem Nackenschuß wurde schon
gegangen sein und von dort "reflektiert" worden und mehrfach und mit entgegengesetztem Ergebnis von der
mehr als zwei Meter wieder zurückgeflogen sein, wie Annahme Gebrauch gemacht, es gebe an der rechten
Mallach annimmt. Hand des Toten Pulverschmauch zu sehen.
Was veranlaßte aber Mallach und Andre zu ihrer Im Bericht über die Leichenschau, der von Mallach
Annahme, das tödliche Geschoß habe die Fensterwand und Rauschke unterschrieben und von Rauschke dik-
erreicht? Es ist offenbar die Spur 6, die im Spurensiche- tiert wurde, heißt es zwar: "Die Gelenke an den Fingern
rungsbericht registriert wird, bei der Spurenauswer- der rechten Hand totenstarr, Totenstarre mit festerem
tung aber nicht mehr vorkommt und von keinem der Druck überwindbar, nach Überwindung der Toten-
Gerichtsmediziner und Kriminalbeamten, weder in den starre Feststellung einer gut markstückgroßen matten
Protokollen des Untersuchungsausschusses noch in den Schwärzung der Haut am Endgelenk des Daumens zur
Todesermittlungsakten der Staatsanwaltschaft jemals Zeigefingerseite hin und an der Beugeseite des Zeige-
wieder erwähnt wird. fingers in Höhe des Mittelgliedes. ,,86 Aber von Pulver-
Im Spurensicherungsbericht heißt es: "Spur NT. 6: schmauch ist hier nicht die Rede.
Gewebeteil oder Blut an der Wand (befindet sich beim Auch in seiner Aussage vor dem Untersuchungsaus-
Gerichtsmedizinischen Institut der Stadt Stuttgart). ,,85 schuß ist Rauschke vorsichtig: "An der linken Hand
Die Stelle, an der sich Spur 6 befindet, liegt nur eine haben wir keine '" Schmauchspuren - oder sagen wir
Handbreit neben der Einschußstelle von Spur 5. Was vorsichtig: keine auf Schmauchspuren verdächtigen
ergab die Untersuchung der Spur 6 im Institut des Prof. Verfärbungen - festgestellt. ,,87
Rauschke? Warum gibt es in den Protokollen des Unter- Mallach ist noch vorsichtiger und stellt auch die Farbe
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in Frage: "Und es ist hier am Daumengrundgelenk eine Andreas Baader aus Pulverschmauchablagerungen
... Ich würde sagen, eine Schwärzung oder eine Grau- bestehen, so ist die Antwort die, daß in Tübingen vor der
tönung - fleckförmig größere Grautönung, wie man sie Obduktion der Toten angeblich ein Test durchgeführt
sieht, wenn Pulverschmauch austritt und die Haut wurde.
geschwärzt wird. Legen sie mich bitte nicht fest mit dem Nach Rauschke hat ein Assistent des Instituts für
Ausdruck ,schwarz'. Auch schwarz hat ja Nuancen.//88 Gerichtliche Medizin der Universität Tübingen an den
Nach dieser Verminderung der Schwärzung zur "schwärzlichen Auflagerungen der Haut// eine Reak-
Grautönung kann eine weitere Nuancierung nicht tion durchgeführt und dabei "im Sinne von Pulver-
überraschen. Die findet sich bei Prof. Andre am schmauch eine positive Reaktion erzielt. //91 Dies wird
23.1.1978: Er nennt" ... die bläulichen Ausfärbungen, die "natriumrhodizanat-positive Reaktion// sein, von
die wir an der rechten Hand festgestellt haben, sowie der der Obduktionsbericht spricht.92
die Pulverablagerungen oder der Pulverschmauch, der Seltsam ist nur, daß jener Assistent in den drei
festgestellt worden ist, auch an der rechten Hand. //89 Obduktionsberichten vom 19.10.1977 nicht als anwe-
Sieht es hier so aus, als gäbe es jene Verfärbung noch send genannt wird. Erst am 22.12.1977 werden die Pro-
zusätzlich zum Pulverschmauch, so ist der Pulver- tokolle dahingehend ergänzt, daß auch der Diplomphy-
schmauch selbst keineswegs gesichert. Prof. Hartmann siker Dr. rer. nat. König vom schon genannten Institut an
sagt am selben Tag: "Man müßte das bei der Pistole, die der Obduktion teilgenommen habe.
verwendet worden ist, noch überprüfen. Wir haben Welchen Verläßlichkeitsgrad die Natriumrhodizanat-
nichts gesehen, wir haben keine Resultate darüber Probe hat, ist nicht bekannt. Doch wurde anscheinend
gesehen. Aber im Prinzip geht bei Pistolen der vor der Obduktion vom Kriminalbeamten Habel Haut-
Schmauch vor allem vorne heraus ... //90 gewebe des rechten Daumens und Zeigefingers und ein
Nun hat nach den Unterlagen des Untersuchungsaus- Abklatsch mit 10%iger Essigsäure beider Hände von
schusses und den Akten des Todesermittlungsverfah- Andreas Baader gesichert, "zur Untersuchung auf
rens keine solche Überprüfung stattgefunden, die erge- Schmauchantragungen zur Bestimmung der Schuß-
ben hätte, wo, außer an der Mündung des Laufs, die hand.//93
Pistole FEG beim Schuß Pulverschmauch entläßt. Offenbar ist der von Dr. König durchgeführte Test
Aber selbst, wenn das feststünde, müßte noch die nicht ausreichend für die Zwecke der Gerichtsmedizin.
verwendete Munition überprüft werden. Denn seit die Denn die Untersuchungen, die das BKA an dem Filter-
Tage des Schwarzpulvers vorbei sind, entwickelt die papier mit dem Essigsäureabklatsch von Andreas Baa-
heute verwendete Munition in der Regel keinen sicht- ders Händen anstellt, bringen das überraschende
baren Pulverschmauch mehr. Aber auch eine solche Ergebnis, daß selbst durch eine mikroskopische
Überprüfung der in der Waffe noch vorhandenen Muni- Betrachtung "keine als Schuß spuren anzusehenden
tion hat nach allen vorhandenen Unterlagen nicht statt- Anhaftungen erkennbar// waren.94 Auch eine mikro-
gefunden. skopische Betrachtung des Hautteils aus dem rechten
Daumen-Zeigefinger-Bereich ließ "keine als Pulver-
Fragt man sich, warum die Gerichtsmediziner trotz die- schmauch anzusehenden Anhaftungen erkennbar//
ser zahlreichen Ungewißheiten dennoch davon ausge- werden:95
hen, daß jene Verfärbungen der rechten Hand von Freilich stammt dieses zweite Gutachten des BKAerst

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......-
,-

vom 15. Juni 1978, wird also erst zwei Monate nach Randring, der Außendurchmesser der Laufmündung
Einstellung des Todesermittlungsverfahrens erstattet, dem rötlichen Hof zwischen mittlerem roten Ring und
und fast acht Monate, nachdem jene Verfärbung der zentralem Lochdefekt. ,,99
Haut an Andreas Baaders rechter Hand von den Staatsanwalt Christ ist mit einer einfachen Entspre-
Gerichtsmedizinern zuerst als Pulverschmauch angese- chung, wie sie in den beiden Gutachten festgestellt
hen worden war. wird, nicht zufrieden. Er konstatiert eine" vollständige"
Selbst wenn die am Filterpapier von der rechten Hand Übereinstimmung:
nachweisbaren Blei- und Bariumspuren, die, wie der "Die Beschaffenheit der Mündung der Pistole '"
Gutachter des BKA selbst sagt, "auch anderer Herkunft stimmt mit dem Erscheinungsbild des Projektils im Nak-
sein" können96 und die an der Haut vorhandenen Blei- ken Baaders vollständig überein. "
und Bariumspuren als ein "nicht zwingend(er)" Hin- Für die Schußentfernungsbestimmung ist außer der
weis97 auf Pulverschmauchanhaftungen aufgefaßt wer- sogenannten Prägemarke die Frage des Vorhanden-
den, - selbst dann ist durch diese zwei Gutachten des seins einer Schmauchhöhle von Belang, die nach dem
BKA erwiesen, daß es an Andreas Baaders rechter Hand Gutachten an der Unterseite des Hautteils erkennbar
keinen sichtbaren Pulverschmauch gab und die vorhan- war.
dene Verfärbung also anderer Herkunft sein muß. "Erfahrungsgemäß entstehen Prägemarke und
Schmauchhöhle nur dann bei einem Schuß, wenn die-
ser mit aufgesetzter oder aufgepreßter Waffe abgefeu-
d) Die Frage der Schußentiernung ert wurde. 11100
Ein letztes Beispiel für die Aussagekraft von Gutachten Und dies stimmt gut mit den Annahmen der Obdu-
des in der Kriminaltechnik angeblich an führender zenten Mallach und Rauschke überein.
Stelle stehenden BKA liegt im Gutachten vom 21. Aber das Gutachten berichtet auch von einem ganz
Februar 1978 vor, dem Tage nach der letzten Sitzung abweichenden Untersuchungsergebnis, das, für sich
des Untersuchungsausschusses. Hier sollte aus einem allein genommen, ausreichen würde, die Gesamtheit
Hautteil mit der Einschußverletzung vom Hinterkopf der übrigen Ermittlungsergebnisse aufzuwiegen und
der Leiche Andreas Baaders die Schußentfernung die Beweislast für die Ermordung von Andreas Baader
bestimmt werden. zu tragen.
Im Gutachten heißt es: Auf dem Wege der Röntgenfluoreszenzanalyse
"Auf der Hautoberseite ist die Verletzung von einer wurde nämlich die auf der Haut vorhandene Bleimenge
Prägemarke umgeben, deren Konturen dem Mün- gemessen, aus der sich, bei Vorhandensein der Ergeb-
dungsprofil der vorbezeichneten Pistole (FEG KaI. 7,65 nisse einer Vergleichsbeschießung von Haut mit der
mm, der Verf.) entsprechen. ,,98 angenommenen Tatwaffe und Tatmunition, die Entfer-
Detaillierter hatte es im Obduktionsprotokoll ge- nung des Tatschusses bestimmen läßt. Das Maß für die
heißen: Bestimmung der Bleimenge ist dabei die Impulsrate,
"An dieser Verletzung wird die in der Zelle von Baa- gemessen in Imp/sec. Das Ergebnis der Vergleichsbe-
der gefundene Pistole, speziell die Waffenmündung, schießung aus verschiedenen Entfernungen, von aufge-
angehalten. Es entsprechen der Außendurchmesser des setzter Mündung bis zu einem Abstand von 70 cm
Mündungsteils der Waffe dem äußersten rötlichen lautet:

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11Io.....- •••
r ..-

"Wiees bei gleichartigen Untersuchungen häufig der verfahren wie dem vorliegenden, in dem nur Professo-
Fall ist, nehmen die Impulsraten mit wachsender Entfer- ren der Gerichtsmedizin, Kriminalbeamte der Mord-
nung ab. Vergleichsweise müßte der Tatschuß aus einer kommission und wissenschaftliche Mitarbeiter des BKA
Entfernung zwischen 30 cm und 40 cm abgefeuert wor- mit der Leiche bzw. Hautteilen in Berührung gekom-
den sein. ,,101 men sind, würden Pulverschmauchspuren vom Nacken
Dieses Ergebnis würde bedeuten, daß, angesichts des getöteten Andreas Baader verschleppt. Das dürfte
aller in seiner Zelle vorgefundenen Umstände, Andreas selbst dann nicht einfach sein, wenn man achtlos mit
Baader sich nicht selbst erschossen haben kann. den Spuren umgeht.
Statt der bei aufgesetzter Waffe zu erwartenden Im Lehrbuch "Gerichtliche Medizin" von B. Mueller,
Impulsrate von 74.000 Imp/sec finden sich an Haut und Berlin 1975, heißt es in einem Beitrag von Prof. Sellier,
Haaren aus dem Einschußbereich nur 14.300 Imp/sec, Bonn: "Die Beschmauchung sitzt ziemlich fest auf der
die der genannten Entfernung zwischen 30 und 40 cm Haut ( ... ) Längerer Transport einer Leiche, Anfassen
entsprechen. Nimmt man nur die auf der Oberseite der der Schußhand, Stecken der Hände in die Taschen
Haut gemessene Impulsrate, so ergeben sich sogar nur ändern einen ursprünglich positiven Antimon- bzw.
12.400 Imp/sec, während die Unterseite die mehr als Blei-Befund nicht. Selbst nach längerer Liegezeit einer
dreifach stärkeren Bleispuren in dem unter der Ober- Leiche im Grabe können noch verwertbare Befunde
haut gelegenen Gewebe aufweist: 38.500 Imp/sec. erhoben werden (z.B.Fall Blomer in Münster: Exhumie-
Man fragt sich natürlich, wie das Gutachten die für rung nach etwa 1 1/2 Jahren, Feststellung von Nah-
die Selbstmord version vernichtende Schlußfolgerung schußzeichen seitens des BKA)...104
vermeidet und zu dem Ergebnis kommt: Was die Verringerung der anzunehmenden Impuls-
"Der Tatschuß wurde mit aufgesetzter oder aufge- rate von 74.000 Imp/sec betrifft, so kann anhand der im
preßter Waffe abgefeuert, da die Einschußverletzung Gutachten gemachten Angaben die Hypothese der Pul-
die hierfür charakteristischen Kennzeichen, Präge- verschmauchverschleppung auch nicht dahingehend
marke und Schmauchhöhle, aufweist. ,,102 überprüft werden, ob sie auf beiden Seiten des Hautteils
Was ist aus dem dieser Version widersprechenden vorgekommen sein soll. Denn zwar wird, wie zitiert, die
Untersuchungsergebnis geworden, nach welchen, ent- Impulsrate an der Unterseite des Hautteils von Andreas
sprechend der Stärke der Bleispuren eine Entfernung Baader mit 38.500 Imp/sec angegeben, es fehlt aber der
von 30 bis 40 cm zwischen Haut und Laufmündung entsprechende Wert der Vergleichsbeschießung.
bestanden hat?
Das Gutachten sagt über dieses Ergebnis: "Da dies
jedoch aufgrund der übrigen Befunde (=Prägemarke e) Der Sand an Baaders Schuhen
und Schmauchhöhle) mit Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, muß eine Verschleppung von Pulver- Die Ungenauigkeiten, mit denen die Untersuchungen
schmauchspuren stattgefunden haben .••103 durchgeführt wurden und die ihre Ergebnisse in eini-
Was der Gutachter Dr. Hoffmann hier dem Leser sei- gen Fällen völlig wertlos machen, soll noch an zwei
nes Gutachtens zur Schußentfernungsbestimmung weiteren Beispielen aufgezeigt werden.
zumutet, das ist die ohne weitere Erklärung gemachte Zu den bekanntesten Details der gerichtlichen Lei-
Unterstellung, in einem so heiklen Todesermittlungs- chenschau am späten Nachmittag des 18. Oktober

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~
r I

gehört der von Prof. Holczabek entdeckte Sand an den Anhaftungen an den Schuhen und der Kehrproben vom
Schuhsohlen von Andreas Baaders Schuhen, der die Dach wird nun so eingeleitet:
Frage auslösen mußte, wo Baader, der sich gewöhnlich "Bei der Bewertung der Ergebnisse war zu berück-
barfuß, in Socken oder Turnschuhen bewegte, Gele- sichtigen, daß zwischen der Sicherstellung der Schuhe
genheit hatte, so massive Sandanhaftungen an den Soh- und der Sicherung des Vergleichsmaterials etwa drei
1en seiner in der Todesnacht getragenen festen Schuhe Monate verstrichen und daß - laut Spurensicherungs-
zu erhalten. Denn der Dachboden der Vollzugsanstalt bericht der LPD Stuttgart 11 (der in den Todesermitt-
soll nach allem, was man davon weiß, asphaltiert gewe- lungsakten nicht vorhanden ist, der Verf.) - in dieser
sen sein. Zeitspanne mehrere hundert Personen den Bereich
Die Schuhe mit dem ominösen Sand sind dann auch betreten haben, in dem die Vergleichsproben entnom-
auf Holczabeks Wunsch asserviert und untersucht wor- men wurden. Ob in dieser Zeit der Freigang auch gerei-
den, obwohl von alle dem in Rauschkes Leichenschau- nigt wurde, war dem Anschreiben nicht zu ent-
protokoll nichts zu lesen steht und obwohl dieser Sand nehmen. "108
in den Sitzungen des Untersuchungsausschusses kein Unter diesen Umständen mußte die Vergleichsunter-
Interesse mehr fand. suchung natürlich zur Farce werden, und man hätte
Der Journalist Karl-Heinz Janssen hat daraufhin in erwarten können, daß der BKA-Gutachter Dr. Demmel-
der "Zeit" Zweifel an der Existenz des Sandes angemel- mayer wegen der allzu großen Unsicherheitsfaktoren
det, denn in seinem Report über die Vorfälle von seine Untersuchung einstellt.
Stammheim spricht er von dem" angeblichen Sand. ,,105 Statt dessen fährt er unverdrossen fort:
Die Untersuchung der asservierten Schuhe dauerte "Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen führte
länger als ein halbes Jahr. Vom 8. Mai 1978 datiert ein die Vergleichsuntersuchung der vorliegenden Proben
Gutachten des BKA über die "zahlreiche(n) Schmutz an- zu dem Befund, daß - trotz einigen Unterschieden in
haftungen" 106 an den Sohlen der Schuhe. Aus dem einzelnen Bestandteilen - eine Herkunft der Bodenan-
Schreiben wird nicht genau ersichtlich, wann die haftungen an den Schuhen des Baaders aus dem Ent-
Schuhe und ein Stück Klebefolie vom Boden der Zelle nahmebereich der Vergleichsproben nicht auszuschlie-
719 mit Vergleichsmaterial aus dem Bereich der Füße ßen ist. ,,109
der Leiche an das BKA eingesandt worden sind, doch Das Ergebnis der Vergleichsuntersuchung des Faser-
scheint dies im Januar 1978 geschehen zu sein. schrnutzes lautet sehr ähnlich: "Auch wenn berücksich-
Jedenfalls wurden "auf Anforderung" des BKA am tigt werden muß, daß es sich sowohl beim Spuren gut als
26.1.78 weitere "fünfzehn Klebebandabzüge und zwei auch beim Vergleichsmaterial um Faserschmutz han-
Kehrproben vom Boden eines Freiganges im 8. Stock- delt, der entweder nur aus einem kleinen Bereich
werk der JVA Stuttgart-Stammheim", wo die Gefange- (Zelle) oder aber zeitlich sehr viel später (Freigang)
nen des 7. Stockes ihren Hofgang haben, übersandt. "Es gesichert wurde, kann aufgrund der gegebenen Über-
sollte geprüft werden, inwieweit die Anhaftungen an einstimmung gesagt werden, daß der Faserschmutz von
den Schuhen von Andreas Baader den Schmutzproben den Schuhen Anderas Baaders durchaus aus dem Ent-
aus der Zelle 719 bzw. dem Freigang zugeordnet wer- nahmebereich des Vergleichsmaterials stammen
den können. " 107 kann. ,,110
Das Ergebnis der Vergleichsuntersuchungen der Wenn hier auf die, trotz der ungünstigen Vergleichs-

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~
r I

bedingungen dennoch vorhandenen partiellen über- den Kehrproben vom Dach "nicht auszuschließen" ist,
einstimmungen beim Faserschmutz hingewiesen wird, das ist das ganz magere Ergebnis einer Untersuchung,
so wird man fragen müssen, warum nicht umgekehrt die ohne die Klärung der Frage auszukommen glaubt, ob
aus den vorhandenen Nichtübereinstimmungen der die in beiden zu vergleichenden Sandmengen angeblich
Schluß gezogen wurde, daß der Faserschmutz an den anzutreffenden hellen, durchscheinenden Partikel, auf
Schuhen möglicherweise nicht aus dem Dachbereich die sich die übereinstimmung reduziert, chemisch die
stammt, zumal selbst die übereinstimmung sich nur auf gleiche Zusammensetzung haben oder nicht.
Fasermaterial "in gleicher Art" 111 bezieht und von den Aber selbst das Wenige, was als Ergebnis der Unter-
"überwiegend" 112 vorhandenen übereinstimmenden suchung drei Wochen nach Einstellung des Todeser-
Einzelfasern an anderer Stelle des Gutachtens gesagt mittlungsverfahrens vorliegt, ist nur möglich geworden,
wird: nachdem das BKA Wiesbaden Vergleichsproben vom
"Die einzeln liegenden Faserbruchstücke sind spu- Dach der Vollzugsanstalt in Stuttgart eigens anfordern
renkundlich als unspezifisch ubiquitäre Faserver- mußte, weil man es bei der dortigen Staatsanwaltschaft
schmutzungen anzusprechen. Sie lassen demnach offenbar nicht für nötig befand, die Herkunft des Sandes
keine Aussage hinsichtlich eines bestimmten Sachver- an Andreas Baaders Schuhen zu klären.
haltes zu. ,,113
Abgesehen davon, daß eine übereinstimmung der
Fasern an Schuhen und Zellenboden und Dach ganz 5. Der Tod lan-earl
uninterssant ist, so ist bei der angeblich auch vorhande-
nen Artgleichheit von Fasern an Schuhen und Dachbo- Raspes
den wohl eher umgekehrt zur Schlußfolgerung des BKA
davon auszugehen, daß die Fasern auf dem Dach aus a) Der Pulverschmauch
den Zellen von Gefangenen stammen und insofern
ebenfalls ganz unintersessant sind. Bevor an drei Beispielen die Mängel der Untersuchung
Einzig die erst nach drei Monaten gesicherten und der Todesursache bei lan-earl Raspe gezeigt werden,
nach mehr als drei weiteren Monaten untersuchten ist anzumerken, daß auch das Nichtvorhandensein von
"Bodenanhaftungen" wären für die Frage interessant, Beschmauchung und Blutspritzern die Gerichtsmedizi-
ob Andreas Baader sie vom Dachboden haben könnte ner nicht davon abhalten kann, eine Hand, an der diese
oder nicht. Spuren fehlen, zur Schußhand eines Selbstmörders zu
über die Menge des auf dem Asphaltdach vorhande- erklären.
nen Sandes wird keine Aussage gemacht, vermutlich Während Andre und Hartmann sich über das Nicht-
wäre sie auch wegen der inzwischen verstrichenen Zeit vorhandensein von Pulverschmauch und Blutspritzern
unergiebig. an Raspes Händen ebenso einig sind, wie über die mög-
Daß eine übereinstimmung des Sandes an den Schu- liche Ursache dafür: die Behandlung des Schwerver-
hen von Andreas Baader, oder wie es im Gutachten letzten im Krankenhaus und eine dort vielleicht vorge-
heißt, des "Bodenmaterial(s) mit meist hellen, durch- nommene Waschung oder ein Abwischen der Hände,
scheinenden Partikeln und dunklen, feinkörnigen Par- erklären sie gleichzeitig, daß solche Spuren gar nicht
tikeln, die zu größeren Teilen agglomeriert sind", 114 mit entstanden sein müssen.

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~ -
......-

Andre: "Man hätte möglicherweise Pulver- oder Blut- b) Sitzen oder Liegen?
spuren finden können. Das kann man aber nicht mit
Sicherheit annehmen. Es muß nicht so sein." 115 Bei der Diskussion der verschiedenen Aussagen über
Hartmann: "Es braucht aber nicht, vor allem bei der die Lage der Pistole HK 4 ist bisher immer unterstellt
modernen Munition nicht, sehr viel Schmauch zu worden, daß Jan-Carl Raspe bei Schußabgabe gesessen
geben, so daß eine Beschmauchung und allenfalls Blut- habe und zwar etwa in der Position, in der er am Morgen
spritzer nicht vorhanden sein müssen. ,<116 des 18. Oktober auch aufgefunden wurde.
Der naheliegende Gedanke, zumindest die Entwick- Das ist aber keineswegs gewiß, da sich auch hier
lung von Schmauch mit der vorhandenen Waffe und widersprechende Ergebnisse der Untersuchungen fin-
Munition experimentell zu überprüfen, wird zwar von den. Einig sind sich die Beobachter am Morgen des 18.
Hartmann geäußert, hat aber nach allen vorliegenden Oktober offenbar darin, daß Raspe bei seiner Auffin-
Unterlagen in der Bundesrepublik nicht zu praktischen dung auf seiner Liege saß.
Konsequenzen geführt: Aber in der Aussage von Prof. Rauschke, der den
"Ich würde auch sagen, hier wären Waffenversuche verletzten Gefangenen nicht mehr auf der Liege gese-
wichtig, um zu sehen, ob es überhaupt zu einer hen hat, heißt es: "Nach den Blutspuren an dem Bett-
Beschmauchung bei einer Schußabgabe kommt, wenn zeug und an der Schaumgummimatratze ist der Schuß
die Waffe gewöhnlich gehalten wird." 117 von Raspe offenbar bei liegender Körperhaltung abge-
Solange diese Versuche ausstehen, wird man auch geben worden. ,,119
aus dem Vorhandensein von Blei-und Bariumspuren an Im Bericht über die Rekonstruktion der Schußbahn
zwei von acht Stellen des Hautteils von Jan-Carl Raspes durch die Kriminalpolizei (Spurenauswertebericht vom
rechter Hand keine sicheren Schlüsse ziehen können. 28. Februar 1978, eine Woche nach Auflösung des
Denn auch hier teilt das BKAin seinem Gutachten vor- Untersuchungsausschusses) heißt es über den Ort der
sichtshalber mit, daß diese Spuren" auch anderer Her- Abgabe des tödlichen Schusses:
kunft sein können" und sich "keine zusätzlichen Hin- "Es ergibt sich ( ... ) eine Höhe von 60 cm in Liegen-
weise auf Pulverschmauchanhaftungen fanden. ,,118 mitte, Abstand zur Kopfwand 40 cm ( ... ) Rekonstruk-
Dieses Gutachten stammt vom 20. Juni 1978, d.h. es tion ( ... ) ergibt, daß Raspe sich vermutlich in sitzender
ist vier Monate nach Auflösung des Untersuchungsaus- Position den Schädeldurchschuß beigebracht hat.
schusses und zwei Monate nach Einstellung des Todes- Danach dürfte er zuerst nach hinten an die Zellenwand
ermittlungsverfahrens erstattet worden. gefallen und dann nach unten auf die Decken gesunken
Die von Hartmann für wichtig gehaltenen Versuche sein." 120
haben bis heute nicht stattgefunden. Diese nach unten gesunkene Position dürfte die sein,
in der Jan-Carl Raspe aufgefunden wurde, der nach den
Aussagen der Vollzugsbeamten saß. Und von dieser
Position scheint Rauschke angenommen zu haben, daß
sie auch bei der Schußabgabe eingenommen wurde.
Rauschke spricht von "liegender Körperhaltung".
Da die übergänge zwischen Sitzen und Liegen flie-
ßend sind und da wir keine Angaben über die Höhe der

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Liege haben, müssen wir auf eine Beantwortung der können auch von hier aus keine Rückschlüsse auf sei-
Frage verzichten, ob Raspe bei Schußabgabe gesessen nen Bewußtseinszustand und damit auf seine Todesart
oder gelegen hat. Da aber der Ort der Schußabgabe gezogen werden.
nach der kriminaltechnischen Untersuchung 40 cm von Mit Sicherheit ist aber nach den Ergebnissen der kri-
der Kopfwand entfernt ist und lan-Carl Raspe an diese minaltechnischen Untersuchung die Darstellung der
Wand zurückgesunken ist, muß der Kopf sich bei Staatsanwaltschaft Stuttgart falsch, in der es heißt:
Schußabgabe beträchtlich höher als bei der Auffindung "Nach dem Ergebnis der gerichtsmedizinischen und
befunden haben, denn der Schwerverletzte konnte sich kriminaltechnischen Untersuchungen muß Raspe den
nach der Schußabgabe nicht mehr zurücksetzen. Da wir Schuß aus der neben ihm aufgefundenen Pistole in der
aber weder die Liegenhöhe noch die Höhe des Blut- sitzenden Haltung abgefeuert haben, in der er auf sei-
flecks kennen, können wir nicht entscheiden, ob die 60 ner Matratze entdeckt wurde." 122
cm auf Liegenmitte, die als Höhenangabe für den tödli-
chen Schuß genannt werden, einer möglichen Körper-
haltung von Raspe entsprechen, oder ob sein Körper zur c) Der Winkel hinter der Liege
Kopfwand hin verschoben worden sein muß, um dann in
die Auffindungslage zu geraten. Nach dem Untersuchungsbericht konnte sich "in dem
Mit anderen Worten, wir wissen wegen der Lücken- spitzen Winkel des Dreiecks, das vom Bett Raspes und
haftigkeit der Angaben nicht, ob es ein sicheres Indiz für den beiden Außenwänden der Zelle gebildet wurde,
Fremdeinwirkung bei oder nach Abgabe des tödlichen aus räumlichen Gründen keine andere Person in Kopf-
Schusses gibt. Und deshalb ist es keine bloße terminolo- nähe Raspes aufhalten. ,,123
gische Frage, ob man die Körperposition bei Schußab- Wäre diese Behauptung zutreffend, so wäre schon
gabe nun sitzen oder liegen nennt. durch die räumliche Lage des Gefangenen jede Fremd-
Auch aus einem anderen Grund ist die Frage von einwirkung ausgeschlossen.
Bedeutung. Er ergibt sich aus Hartmanns Aussage über Dieses anscheinend schlagende Argument wird aller-
die Schußabgabe: dings im Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft
"Raspe mußte sitzen. Sitzen tut man im allgemeinen nicht mehr gebraucht, - vermutlich weil der Staatsan-
nur, wenn man bei Bewußtsein ist, oder dann hätte man walt Christ sich inzwischen mit den erst nach Auflösung
ihn aufgerichtet. Das wäre bei einem Bewußtlosen mög- des Untersuchungsausschusses vorliegenden Spuren-
lich. ,,121 auswerteberichten näher beschäftigt hat.
Wenn lan-Carl Raspe bei Schußabgabe also eine Hal- Die im Untersuchungsbericht bezogene Position in
tung seines Körpers eingenommen hätte, die nur bei dieser Frage scheint von den Gerichtsmedizinern zu
Anspannung seiner Muskeln möglich war, so spräche stammen. Rauschke behauptet am 2. November 1977
das insoweit für Selbstmord, während umgekehrt ein vor dem Untersuchungsausschuß, "daß rechts neben
von einem anderen gehaltener bewußtloser Körper bei dem Schädel von Raspe praktisch kein Raum gegeben
einer bestimmten Sitzposition zwar mehrere, aber nicht war, in dem sich etwa eine andere Person hätte aufhal-
beliebige Kopfhöhen zuläßt. ten können. ,,124
Da wir keine Angaben über den genauen Ort auf der Wenig später heißt es sogar in Rauschkes Aussage:
Liege, wo Raspe gesessen oder gelegen hat, haben, "Zwischen der rechten Hand und der Außenmauer war
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kein Platz, weil die Schaumgummimatratze nach mei- wand nicht" praktisch kein Raum", sondern ca. 65 - 70
ner Erinnerung ganz an der Wand lag oder fast ganz." 125 cm (je nach Liegenbreite von 90 oder 100cm) liegen und
Diese Darstellung ist im Untersuchungsbericht aller- die rechte Liegenkante auf der von der kriminaltechni-
dings schon abgeschwächt. Denn dort ist von einem schen Untersuchung angegebenen Schußhöhe ca. 20
Dreieck die Rede, das vom Bett Raspes und den beiden cm von der rechten Außenwand entfernt ist. Es steht
Außenwänden der Zelle gebildet wird. Mit anderen also zwar ein beschränkter, aber dennoch völlig ausrei-
Worten, hier ist der fünfeckige Grundriß der Zelle chender Raum für eine zweite Person zur Verfügung,
berücksichtigt, der Rauschke gar nicht aufgefallen zu um Raspe eine Pistole an die rechte Schläfe zu setzen
sein scheint. Denn er sagt vor dem Ausschuß über die und sie abzufeuern. Das scheint auch dem Staatsanwalt
Zelle: "Das Zimmer hat einen rechteckigen Grundriß. Christ aufgegangen zu sein, der darum von jenem
Man betritt die Zelle durch eine Tür. An der gegenüber- Argument schweigt.
liegenden Schmalwand befand sich die Liege ... ,,126
Diese "gegenüberliegende Schmalwand" sind viel-
mehr die zwei Außenwände der Zelle, die einen Winkel d) Die Pistole in der Hand?
von 90 Grad und mit der querstehenden Liege, wie im
Untersuchungsbericht, ein rechtwinkliges Dreieck bil- In jedem Lehrbuch der Rechtsmedizin steht zu lesen,
den, dessen rechter Basiswinkel ein spitzer Winkel ist. daß die Pistole in der Hand eines durch Kopfschuß
Dort befindet sich auch das Kopfende von Raspes Liege, Erschossenen ein Indiz für seine Ermordung und nicht
und so erklärt sich auch die Darstellung des Untersu- für Selbstmord ist. Denn die schwere Gehirnverletzung,
chungsberichts. etwa bei einem Schläfendurchschuß, und der Rückstoß
Korrekt ist die Angabe von Prof. Hartmann, die der Faustfeuerwaffe, vor allem bei einem relativ großen
sowohl Rauschkes Darstellung als auch dem Untersu- Kaliber wie 9 mm, lassen in aller Regel die Pistole aus
chungsbericht widerspricht: der Hand des Opfers fallen, wenn es sich den Kopfschuß
"Ein Mensch, der diesen Schuß dem auf dem Bett selbst beigebracht hat. Man findet dann die Waffe
sitzenden Raspe beibringen will, muß hinter dem Bett neben dem Körper des Erschossenen. Dagegen wird zur
stehen, zwischen Bett und Wand. Und dieser Platz ist Vortäuschung eines Selbstmordes dem Ermordeten die
außerordentlich beschränkt. ,,127 Waffe gelegentlich in die Hand gelegt.
Das ist zwar wahr, aber es geht uns um die von Diese gerichtsmedizinische Binsenweisheit ist wohl
Rauschke stammende Behauptung des Untersuchungs- der Grund dafür, daß in der Einstellungsverfügung des
berichts, daß sich in diesem beschränkten Raum "keine Todesermittlungsverfahrens über die Auffindung Jan-
andere Person" hätte aufhalten können. Carl Raspes am Morgen des 18. Oktober 1977 zu lesen
Berücksichtigt man nämlich die vermutliche Liegen- steht: "Neben seiner rechten Hand lag eine Pistole. "128
breite, den Abstand der Liege von der Basis des durch Denn eine in der Hand liegende Pistole hätte wohl zu
die Außenwände und die Verbindung ihrer Endpunkte leicht die Assoziation "Mord" ausgelöst.
gebildeten Dreiecks und den Abstand von 40 cm von Im Untersuchungsbericht des Landtages Baden-
der Kopfwand, so kommt man zu dem Ergebnis, daß Württemberg heißt es noch: "Die genaue Lage der
zwischen dem Schädel Jan-Carl Raspes, wenn er in der Pistole ist ungeklärt." 129 Dabei ist aber unzweifelhaft,
Mitte der Liege sitzt oder liegt, und der rechten Außen- daß sich die Pistole rechts neben dem rechten Ober-

202 203

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schenkel von Jan-Carl Raspe befand und die Unklar- Und wenig später antwortet derselbe Zeuge auf die
heit betrifft nur die Frage, ob sie unter der rechten Frage Schielers, "wo die Waffe gelegen hat, bevor man
Hand auf der Matratze oder auf seiner rechten Hand ge- sie wegnahm ... " sogar mit: "Das weiß ich nicht. "134
legen hat, wie ein Beamter (Listner) vor dem Ausschuß Diese widersprüchlichen Angaben stammen von dem
angab. einzigen Zeugen, der die Version der Staatsanwalt-
Vergleicht man alle vor dem Ausschuß gemachten schaft, die Waffe habe neben der rechten Hand Jan-
Zeugenaussagen, so muß man zu dem Schluß kommen, Carl Raspes gelegen, bestätigt.
daß Listners Aussage auf einem Versprecher beruht
und im übrigen für die Frage, ob die Pistole in oder Sieht man sich die Aussagen der übrigen vier Zeugen
neben Raspes rechter Hand lag, ganz irrelevant ist. an, so gibt es bei der polizeilichen Vernehmung eine
Denn Listner sagt zweimal deutlich, daß die Pistole in Aussage, die beide Versionen enthält und eine, die
Raspes Hand lagl30. diese Frage offen läßt.
Die erste Aussage stammt von dem Sanitätsbeamten
Schon am 18. 10. 1977 haben sich bei der polizeilichen Jost: "Dagegen kann ich mich noch genau an eine
Vernehmung fünf Beamte zur Lage der Pistole geäu- Schußwaffe (Handfeuerwaffe) erinnern, die Raspe in
ßert. Die Pistole ist beim ersten Öffnen der Zelle der Hand gehabt hatte ... " Trotz dieser genauen Erin-
durch Stoll und Stapf nach deren Aussage vor dem nerung fährt der Zeuge fort: " ... es kann aber auch sein,
Untersuchungsausschuß nicht gesehen worden, da daß die Handfeuerwaffe nur in der Nähe von Raspes
diese die Zelle von Raspe dabei nicht betreten, sondern Hand auf der Matratze gelegen war. ,,135 Die zweite Ver-
nur von der Tür aus hineinsehen 131, von wo aus die etwa sion ist für Jost offenbar die unwahrscheinlichere. Den-
vier Meter entfernt hinter dem rechten Bein des noch läßt sich durch diese Aussage ebensowenig etwas
Schwerverletzten liegende Pistole offenbar nicht sicht- über die Lage der Pistole entscheiden wie durch die von
bar war.132 Münzing, der offenbar bewußt eine genauere Angabe
Dennoch gibt Stoll bei seiner polizeilichen Ver- vermeidet und nur sagt: "Neben ihm (Raspe, der Verf.)
nehmung am 18.10. als einziger der fünf Beamten an: rechts auf dem Bett lag eine Pistole ... ,,136
"Ich hatte den Eindruck, daß Raspe noch atmete. Ne- Vor dem Ausschuß hat Jost dann ausgesagt: "Die
ben der rechten Hand lag auf der Matratze eine Pi- Hand (Raspes, der Verf.) war nicht geschlossen. Meiner
stole." 134 Ansicht nach lag die Waffe noch zur Hälfte in der Hand.
Nach der Formulierung dieser Aussage müßte er Ob er sie umkrampft hatte oder sonstwie hielt, weiß ich
diese Beobachtung schon beim ersten Öffnen der Zelle nicht mit Sicherheit. ,,137
von der Tür aus selbst gemacht haben, - obwohl Stoll Jetzt sieht es so aus, als ob das frühere "in der Nähe"
das nicht ausdrücklich sagt -, bevor die Sanitäter List- nur so viel bedeuten soll wie "noch zur Hälfte", wobei
ner und Jost die Zelle nach der zweiten Öffnung betre- zu bedenken ist, daß man auch eine liegende Waffe in
ten. Das widerspricht aber seiner Äußerung vor dem der Regel nur an einem Teil, dem Griff, umfaßt hält.
Untersuchungsausschuß. Auf die Frage Schielers: Münzing dagegen behält seine Zurückhaltung vor
"Haben Sie beim ersten Betreten der Zelle die Waffe dem Ausschuß bei, indem er sagt: "Ich kann nur sagen,
gesehen?" antwortet StolI: "Nein, die habe ich nicht daß sie (die Pistole, der Verf.) rechts neben ihm auf dem
gesehen. " Bett war ( ... ). ,,138

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Die beiden verbleibenden Aussagen vor der Krimi- etwa (er zeigt es). Am Abzug war kein Finger mehr ...
nalpolizei sind dagegen eindeutig. Der Sanitätsbeamte sondern die (Pistole, der Verf.) lag mehr oder weniger
Listner, der beim zweiten Öffnen als erster die Zelle lose in der geschlossenen Hand." (... ) Schieler: "Raspe
betrat, sagt aus: " ... da sich in der rechten Hand des hatte also die Pistole nach Ihrer Erinnerung praktisch in
Verletzten eine Schußwaffe befand ... Die Waffe war der geschlossenen Hand?" Götz: "Ja, nicht fest, denn
nicht fest umschlossen, sondern lag lediglich im Bereich ich konnte sie ganz leicht aus der Hand nehmen." 142
der rechten Hand, die wiederum auf der Matratze Und etwas später sagt Götz: " ... Beim Herausziehen fiel
neben dem rechten Oberschenkel lag ... ,,139 Die Worte die Hand dann etwas zur Seite." ( ... ) Schieler: "Wie
"im Bereich der rechten Hand, die wiederum auf der haben Sie denn die Pistole angefaßt?" Götz: "Mit dem
Matratze ... lag" sollen wohl das" in derrechten Hand" Taschentuch." Schieler: "Am Lauf vorne?" Götz: "Ja,
des vorher zitierten Satzes erläutern, und zwar im sel- der war frei. "
ben Sinne, wie es in der Aussage von Götz geschieht: Man kann daran zweifeln, daß die Frage, ob die
die Waffe lag in dem Sinne "in" der Hand, daß diese mit Pistole in oder neben der rechten Hand Raspes lag,
halbgeschlossenen Fingern um die Waffe bzw. deren wirklich entscheidend ist für die Alternative Mord oder
Griff herum auf der Matratze lag. Selbstmord. Denn zwar sollte man nach aller Wahr-
Vor dem Untersuchungsausschuß hat Listner ausge- scheinlichkeit erwarten, daß die 9mm-Pistole nach dem
sagt: "Dann wurde festgestellt - das habe ich gesehen- Schuß Raspe aus der Hand und auf den Boden rechts
daß in der rechten Hand des Raspe eine Pistole, eine neben die Matratze gefallen wäre, wenn er sich selbst
Schußwaffe gelegen ist." Schieler: "An der rechten erschosssen hätte.
Hand?" Diese Frage zielt offenbar in die Richtung der Aber man kann auch nicht völlig ausschließen, daß
Version der Staatsanwaltschaft. Aber Listner antwortet: sie bei einem selbstmörderischen Schuß irgendwie
"In der rechten Hand." Schieler: "Hatte er die Waffe neben ihm auf der Matratze zu liegen gekommen wäre
noch in der Hand?" Listner: "Die Hand war offen. Die und daß die rechte Hand Raspes nicht, wie man eigent-
Waffe lag auf der Hand." 140 lich annehmen müßte, kraftlos von der Schläfenhöhe
Derjenige Zeuge, dessen Aussage in dieser Frage am nach unten fallen, sondern dann zufällig auf dem Griff
glaubwürdigsten ist, weil er die Waffe nicht nur selbst der jetzt neben seinem rechten Oberschenkel liegen-
gesehen, sondern auch angefaßt und weggenommen den Pistole ruhen würde.
hat, ist Götz, der vor der Kriminalpolizei aussagt: Woran man aber nach Prüfung und Vergleich aller
"Die rechte Hand, die eine Pistole umfaßte, lag neben Zeugenaussagen nicht zweifeln kann, das ist, daß
dem rechten Oberschenkel auf dem Bett auf. Der Hand- weder die Lage der Pistole im Verhältnis zur rechten
rücken zeigte nach oben. Die Hand umfaßte den Griff Hand "ungeklärt " ist, noch daran, daß die Behauptung
der Pistole. Der Lauf zeigte zum Oberschenkel hin. Da der Staatsanwaltschaft falsch ist, nach welcher die
Raspe noch atmete, nahm ich ihm sofort die Pistole aus Pistole "neben" der rechten Hand lag.
seiner Hand." 141
Vor dem Ausschuß hat Götz seine Angaben auf Befra- Unter den sechs erst nach Abschluß der staatsanwaltli-
gen noch präzisiert. Schieler: "Hat Herr Raspe die chen Ermittlungen fertiggestellter Gutachten findet
Pistole in der Hand gehabt?" Götz: "Ja, hat er - der sich auch eines vom 20. Juni 1978, in dem nach dem
Handrücken lag noch oben auf dem Bett neben ihm, so Spurensicherungsbericht143 durch das BKA die Schuß-

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entfernung zwischen Waffenmündung und Geschoß- Mitglied der sogenannten "Haag-Mayer-Bande"
einschlag in der Seitenwand von Jan-Carl Raspes Regal gekauft wurde und die in Zelle 723 aufgefundene dritte
festgestellt werden sollte, das aber dem Dr. Hoffmann Waffe, die allerdings keine Tatwaffe ist, von Clemens
nur dazu diente, festzustellen: "Das Fehlen von Pulver- Wagner gekauft wurde, glaubt der Untersuchungsaus-
schmauchspuren (am Geschoß, der VerL) läßt sich schuß daraus Schlüsse ziehen zu dürfen:
durch eine Abfilterung des Pulverschmauchs durch ein "Der Schluß, daß auch die neben Baader aufgefun-
in der Schußlinie befindliches Objekt erklären und steht dene Pistole von Terroristen beschafft wurde, liegt
im Einklang mit der Annahme, daß der Schuß, der die daher nahe. ,,148
Regalseitenwand traf, zuvor durch den Kopf des Raspe Dieser naheliegende Schluß ist natürlich alles andere
gegangen ist. ,,144 als zwingend. Denn selbst wenn bewiesen wäre, daß
Daß es, trotz Ankündigung145 keine "abschließende Klar, Wagner und jener unbekannte Dritte jene Waffen-
Stellungnahme" der beiden verantwortlichen Gerichts- käufe getätigt hätten, wäre damit nicht bewiesen, daß
mediziner gibt, in der die Ergebnisse der Rekonstruktio- sie die Waffen für die Gefangenen des 7. Stocks
nen vom 19. Oktober 1977 und der kriminaltechnischen "beschafft" haben, seien dies nun zwei oder drei Hand-
Untersuchung verarbeitet wurden, ist schon mehrfach feuerwaffen. Und selbst wenn erwiesen wäre, daß jene
erwähnt worden. Der Geist, in dem die Untersuchungen drei Waffen durch "Terroristenkreise" in den 7. Stock
geführt wurden, ist aus einer bedauernden Bemerkung gelangt wären, wäre damit keineswegs bewiesen, daß
Prof. Hartmanns erkennbar, in der er über die vergebli- zwei dieser Waffen den Gefangenen am 18. Oktober
che Suche nach den für den Selbstmord im Regelfalle 1977 als Selbstmordinstrumente gedient haben.
beweisenden Blutspuren an den Händen Raspes Genauso wenig überzeugend ist der konfuse Schluß,
spricht: den Staatsanwalt Christ aus der angeblichen Tatsache
"Schön wäre es gewesen, wenn wir es für den Beweis zieht, daß die genannten "Terroristen" zwei oder drei
der Selbsthandlung gefunden hätten ... 146 Waffen gekauft und Gefangene des 7. Stocks sie alle
Aber weder diese Blutspritzer noch andere Beweise drei in ihren Zellen versteckt haben:
für Selbstmord wurden gefunden. "Die von Baader und Raspe zur Selbsttötung benutz-
ten Pistolen standen demnach in der Verfügungsgewalt
der terroristischen Gefangenen, also nicht dritter Per-
6. Die Waffentheorie sonen. "149
Hier wird aus der nicht bewiesenen Tatsache der
a) Die Herkunft der Waffen Waffenverstecke geschlossen, daß nur die beiden Toten
aus den Zellen 716 und 719 Zugang zu diesen Waffen
Dem Untersuchungsbericht zufolge sind die "Feststel- hatten und sich damit selbst töteten.
lungen" des Untersuchungsausschusses zur Herkunft Dabei wird aus den Verhandlungen des Untersu-
der Tatwaffen neben den Gutachten der Gerichtsmedi- chungsausschusses hinreichend klar, daß die Gefange-
ziner die zweite Säule der offiziellen Selbstmordver- nen weder Einfluß darauf hatten, in welche Zelle sie
sion.147 Da die Kriminalpolizei behauptet, nachweisen verlegt würden, noch wann und wie lange sie ihre Plat-
zu können, daß die neben Jan-Carl Raspe aufgefun- tenspieler behielten, von denen einer als Waffenver-
dene Waffe HK 4 teils von Christian Klar, teils von einem steck für die FEG gedient haben soll.
208 209
Somit standen die beiden Tatwaffen, selbst dann, gegen seinen Willen am 13. September 1977 verlegt
wenn sie im 7. Stock vor dem 18. Oktober vorhanden wurde.
gewesen sein sollten, den beiden Gefangenen nur dann Andererseits soll sich die Waffe schon am 5.16. Sep-
zur Verfügung, wenn sie durch die Anstaltsleitung oder tember in Baaders Plattenspieler befunden haben, der
sonstige Staatsdiener dazu in die Lage versetzt wurden. in diesem Zeitraum dem Vollzugsbeamten Bubeck
Sowohl die angeblichen Waffenverstecke mit und zufolge und nach Angaben des Justizministeriums
ohne Inhalt, als auch Sprengstoff mit und ohne Zünder (Engler-Brief) zweimal von Beamten des LKA Baden-
wurden schließlich nur in Zellen gefunden, die die Württemberg durchsucht wurde. 150
Gefangenen Wochen oder gar Monate lang nicht betre- Obwohl die Frage, ob der Plattenspieler durchsucht
ten konnten. Da aber weder die Verstecke im 7. Stock, wurde, nach dem Untersuchungsbericht "nicht zwei-
noch der Zeuge, der dafür gesorgt haben soll, daß Waf- felsfrei geklärt" ist/51 geht der Untersuchungsausschuß
fen und Sprengstoff in den 7. Stock gelangt sind, für davon aus, daß sich in diesem Plattenspieler" zu diesem
eine unabhängige Untersuchung zur Verfügung stehen Zeitpunkt (6.9.77) mutmaßlich die am 18. Oktober 1977
und da die als Waffen- und Sprengstofftransporteure in der Zelle Baaders aufgefundene Pistole befand" .152
angeklagten Rechtsanwälte Müller und Newerla durch Da Andreas Baader der Plattenspieler nach dem 6.9. für
einen Kronzeugen beschuldigt worden sind und dieser zwei Wochen abgenommen wurde, und er ihn erst in
Taten nicht wirklich überführt sind, müssen wir von den der Zelle 715 wieder erhielt, müssen die Ermittler
genannten angeblichen Beweismitteln absehen und annehmen, daß er die Pistole zumindest nach seiner
einen anderen Weg einschlagen. Rückverlegung am 4. Oktober in Zelle 719, in der er am
18. Oktober tot aufgefunden wurde, im Plattenspieler
verborgen hielt. Denn bei den täglichen Kontrollen
b) Der "nichtdurchsuchte" Plattenspieler während der Kontaktsperre hätte die Pistole wohl
gefunden werden müssen, wenn sie nicht in dem dann
Vor der Pistole FEG, die der Zeuge Volker Speitel für nicht mehr kontrollierten Plattenspieler versteckt
die Gefangenen des 7. Stocks besorgt haben will, gibt gewesen wäre.
die Kriminalpolizei keinen Verkaufsweg an. Der Zeuge Andererseits bedeutet die zitierte Annahme, daß
Speitel hat sich geweigert, diejenigen zu nennen, von Andreas Baaders Plattenspieler am 5.16.9. entgegen
denen er sie erhalten haben will, und wegen des Feh- den Angaben des Justizministeriums nicht kontrolliert
lens einer Herstellerbezeichnung, was auf illegale Ein- und mitsamt der Waffe am 23. September wieder an
fuhr der Waffe hinweist, und der Unkenntlichmachung Baader zurückgegeben wurde, wodurch sich allerdings
der Waffennummer ist es unmöglich, den Verkaufsweg die Annahme des Untersuchungsausschusses, es gebe
der Waffe zu rekonstruieren. in Zelle 715 ein Waffenversteck, erübrigt.
Es bleibt darum nur der Ausweg, nachzuprüfen, ob Umgekehrt wäre die für die Selbstmordhypothese
Andreas Baader diese Waffe am 18. Oktober überhaupt unverzichtbare Hilfshypothese möglicherweise sofort
zur Verfügung gehabt haben kann. erledigt, wenn der Mann (oder jedenfalls einer der
Die Antwort, die darauf gegeben wurde, ist zweifach. Männer) vor dem Untersuchungs ausschuß befragt wor-
Einerseits soll sich die Waffe in einem Wandversteck den wäre, der für diese Durchsuchung am 5.16. Septem-
der Zelle 715 befunden haben, in die Andreas Baader ber zuständig war. Hätte dieser allerdings ausgesagt,

210 211


daß er diese Durchsuchung auch wirklich vorgenom- Pohl von Elbwehr will aber am 5./6.9. auch ein Radio-
men hat, so wäre die Selbstmordthese zusammengebro- gerät in Baaders Zelle sichergestellt und der Anstaltslei -
chen. Denn angesichts des Fehlens jedes Wandverstek- tung übergeben haben. Da die Radiogeräte der Gefan-
kes in der Todeszelle 719 bleibt keine andere überzeu- genen zu diesem Zeitpunkt schon aus den Zellen ent-
gende Versteckmöglichkeit. fernt waren, hätte dieses Radio im Durchsuchungsbe-
Hätte der Verantwortliche allerdings ausgesagt, daß richt genannt werden müssen, was aber nicht der Fall
er den Plattenspieler nicht durchsucht hat, so hätte die ist.
Selbstmordthese zwar weiter bestehen können, es wäre Auch die Frage, wieso dies nicht geschah, wurde vom
aber die Frage laut geworden, warum bei dieser gründ- Untersuchungsausschuß dem verantwortlichen Ein-
lichen Durchsuchung der Zellen nach Schriftstücken, satzleiter, dem KHK Ring vom LKA, nicht gestellt und
bei der von einem Durchsuchungsbeamten auch der ebensowenig seinem Stellvertreter, KK Schmidt vom
Vorschlag gemacht wurde, die vorhandenen Eier aufzu- LKA,der die Durchsuchungsberichte zu fertigen hatte.
schlagen, um dort nach Schriftstücken zu suchen, 153 ein Ring erwähnt in seiner Vernehmnung vom 20. Okto-
so großes und für Schriftstücke und andere Gegen- ber auch den Plattenspieler von Andreas Baader und
stände geeignetes Versteck, wie der Plattenspieler, behauptet, er habe ihn der Anstaltsleitung mit der Bitte
nicht durchsucht wurde, obwohl sowohl der Leiter der übergeben, seine Überprüfung zu veranlassen.155 Hier
Durchsuchungsaktion, OStA Widera, als auch der Ein- hätte Ring das Gewicht des Plattenspielers auffallen
satzleiter der Polizei, KHK Ring, darin einig waren, daß müssen. Er ist relativ leicht, mit Pistole wäre er unver-
der Plattenspieler durchsucht würde. hältnismäßig schwer gewesen. Die Unklarheit hinsicht-
Die verantwortlichen Polizeibeamten sind nach einem lich der Frage, ob Andreas Baaders Plattenspieler am 5./
Aktenvermerk vom 6.9.77 KK Schmidt und der KHM 6.9. durchsucht wurde, hätte also durch eine Befragung
Rainer Pohl Edler von Elbwehr vom LKAsowie der KHM der Zeugen Pohl von Elbwehr, Ring, Röck und Schmidt
Röck von der LPD Stuttgart 11.Innerhalb der Zelle 719 beseitigt werden können. Warum ist sie nicht erfolgt?
hatte Pohl von Elbwehr "den Bereich rechts vom Ein-
gang, in dem sich das Bett, Bücher auf dem Boden sowie
ein Schallplattenreg (unleserlich) befanden" zu durch- Noch am 14. November 1977 führen SchieIer und der
suchen. 154 Es ist demnach völlig unverständlich, warum die Untersuchung der Polizei führende Kriminaloberrat
dieser Beamte vor dem Untersuchungsausschuß nicht Textor vom LKABaden -Württemberg folgenden Dialog
befragt wurde, ob er Andreas Baaders Plattenspieler am im Untersuchungsausschuß:
5./6.9. durchsuchte, wenn der Ausschuß an der Aufklä- Schieler: " ... Eine Waffe war ja mutmaßlich in einem
rung der Todesfälle interessiert war. Plattenspieler versteckt, ich sage mutmaßlich. Haben
Bei seiner Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft Sie dieses Versteck auch gesehen?"
am 20. Oktober wurde dieser Beamte nach der vorlie- Textor: "Gesehen, ja. Das ist also auch nur eine hypo-
genden Vernehmungsniederschrift nicht danach thetische Annahme. ,,156
~i befragt, ob er den Plattenspieler durchsucht hat. Da zu Aber diese hypothetische Annahme wird im Laufe
~! diesem Zeitpunkt die Version, der Plattenspieler sei der Zeit zum Faktum. Und in der Tat sieht man nicht,
Andreas Baaders Waffenversteck, noch nicht bestand, wie die staatliche Selbstmordversion ohne diese
ist das nicht weiter auffällig. Annahme bestehen könnte.

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c) Eine Prophezeiung des BKA tragen, also auch den in der Waffe vorgefundenen Lauf
des Kalibers 9 mm kurz. Die Nummer dieses Laufs
Wir wissen bisher nicht, wie die zweite Tatwaffe, die HK stimmt überein mit der Nummer eines am 2.11.1976 von
4, in Jan-Carl Raspes Hand geriet. Da die Waffe einen einem Großhändler an eine Basler Waffenhandlung
auswechselbaren Lauf hat, ist die Frage nach ihrer Her- gelieferten 9 mm K Austauschlaufs, der am 10.11.1976
kunft zweimal zu stellen. an einen Mann verkauft worden sein soll.
Beide Fragen glaubt die Kriminalpolizei beantworten Dieser Mann kaufte am selben Tag noch eine andere
zu können. Das ist in beiden Fällen nicht überzeugend, Waffe, die bei der Festnahme von Siegfried Haag und
im Falle der Waffe selbst aber ist der Nachweis ihrer Roland Mayer am 30.11.1976 in deren PKW gefunden
Identität mit einer von Christian Klar am 27. Oktober worden sein soll. Der Verkäufer dieser zweiten Waffe
1976 in Aosta/Italien gekauften Waffe sogar unmöglich. bestreitet, daß der Käufer am 10.11.76 einen Austausch-
Die Nummer der Waffe war bei ihrer Auffindung über- lauf kaufte, ein anderer Verkäufer behauptet dies aber.
schlagen bzw. spanabhebend entfernt. Genauer gesagt Der Widerspruch zwischen beiden Aussagen ist bisher
geschahen die Bearbeitungen zur Unkenntlichma- unaufgelöst. Der Verkäufer, der den Lauf am 10.11.76
chung der Waffennummer an zwei Stellen. An diesen verkauft haben soll, bestreitet dies, obwohl er selbst
zwei Stellen ist heute das Metall der Waffe durch wei- eine Rechnung jenes Großhändlers beigebracht hat, auf
tere Bearbeitung von Seiten des BKA entfernt und ver- der sich die Nummer des in Raspes Zelle gefundenen
ätzt. Es wird also auch in Zukunft unmöglich sein, die Laufs befindet. Der Verkäufer braucht von dieser Über-
werkseitig angebrachte Waffennummer festzustellen einstimmung nichts zu wissen, und auch nichts davon,
und die überschlagene Waffennummer nach Art und welche Bedeutung die Identität der Laufnummern für
Größe zu identifizieren. die Polizei hat. Er geht davon aus, daß die Nummer auf
Der Zeuge Speitel hat behauptet, die Waffennummer der Verkaufsrechnung des Großhändlers zu einem
mit Schlagstempeln überschlagen zu haben, die in anderen Lauf gehört, als es der ist, den er am 10.11.76
einem Depot bei Stuttgart nach seinen Angaben gefun- verkauft haben soll. Der Verkäufer bestreitet vielmehr,
den wurden. Da aber die Stellen der Waffe, wo sich die am 10.11.76 einen Lauf verkauft zu haben.
Überschlagungen befunden haben sollen, vernichtet Das einzige Mittel, die bei Jan-Carl Raspe aufgefun-
sind, läßt sich durch Vergleich mit den aufgefundenen dene Pistole auf "Terroristenkreise " zurückführen zu
Schlagstempeln diese Behauptung weder bestätigen können, ist der genannte Austauschlauf.
noch widerlegen. Nun ist es auffallend, daß die Nummer der Waffe an
Immerhin ist es bemerkenswert, daß das BKA bisher zwei Stellen so sorgfältig unkenntlich gemacht wurde,
nicht behauptet hat, die ehemals vorhandenen Über- während sie an einer dritten Stelle, dem Lauf, sofort als
schlagungen stimmten mit den aufgefundenen Schlag- Waffe mit nachweisbarem Verkaufswegs erkennbar
stempeln überein. wird. Wer immer die Waffennummer überschlagen hat,
Die Behauptung, daß die bei Jan-Carl Raspe vorge- der mußte damit rechnen, daß der Waffenverkäufer
fundene Waffe identisch ist mit der von Christian Klar über die Laufnummer bekannt werden würde. Die
am 27. Oktober 1976 gekauften, kann sich also nicht auf Überschlagung von zwei Nummern wird allerdings
Identität der Waffennummer stützen. dann zu einem sinnlosen Akt, wenn die Verhinderung
Jede HK 4 ist dazu geeignet, vier passende Läufe zu jeder Identifizierung beabsichtigt war. Nun findet sich
214 215
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aber die zur Identifizierung des Käufers geeignete Erkenntnisse des BKAin dieser Angelegenheit zusam-
Nummer an einem leicht und mit bloßen Händen aus- men. Diese Erkenntnis selbst und ihre Kombination
wechselbaren Teil der Gesamtwaffe. Man kann also dürften wesentlich älter sein als März 1977.
schließen, daß derjenige, der von irgendeiner Pistole Von dem Kauf der HK 4 in Aosta konnte das BKAz. B.
HK 4, deren Herkunft unbekannt bleiben mußte, bewei- wissen, seit am 13.12.1976 in Wien ein Revolver sicher-
sen wollte, daß sie von "Terroristenkreisen" gekauft gestellt wurde, der aus demselben Kauf stammen soll
worden sei, in die Waffe nur einen Teil einzusetzen wie die HK 4, spätestens aber nachdem Christian Klar
brauchte, der seinerseits aus einem Kauf eines "Terrori- die beiden angeblich von ihm gekauften Waffen nicht
sten" stammte. über den ihm zur Auflage gemachten Grenzübergang
Ob und wann diese Manipulation stattgefunden hat, ausführte, also seit dem 31.12.1976.
wissen wir nicht. Aber wir wissen, daß sie stattgefunden Von dem Kauf des Laufes in Basel hatte das BKA
haben kann. Kenntnis, seit nach der Festnahme von Haag und Mayer
Wer immer von jener Laufnummer auf der Rechnung am 31.11.76 nach dem Käufer des bei ihnen angeblich
des Großhändlers jenes Basler Waffenhändlers und von gefundenen Gewehrs gefahndet wurde, also seit den
dem Kauf am 10.11.1976 wußte, konnte, wenn er außer- ersten Tagen des Dezember 1976.
dem von dem Kauf Christian Klars in Aosta wußte, dafür Nun sollen aber die zweite und dritte Waffe, d.h. die
sorgen, daß ein Lauf mit der bekannten Nummer in eine HK 4 und der Colt, nach den Aussagen von Volker
HK 4 eingebaut wurde. Beide Waffenteile waren für Speitel nach Mitte Februar 1977 und vor Ende des RAF-
denjenigen als zusammengehörig zu betrachten, der sie Prozesses am 28. April 1977in die Vollzugsanstalt trans-
beide mit Christian Klar in Verbindung bringen will. portiert worden sein. Zu dieser Zeit war dem BKA (und
Das ist für den Waffenkörper durch den Kauf in Aosta allen Sicherheitsbehörden) nach seinen eigenen Anga-
entschieden, für den Lauf aber dadurch sehr nahege- ben der Kauf von Waffe und Lauf HK 4 längst bekannt.
legt, daß einer der beiden Basler Waffenverkäufer Chri- Und jenes kleine Stück Metall, das die Verbindung
stian Klar schon am 10.11.76 als Kunden seines Hauses zwischen der bei Jan-Carl Raspe gefundenen Waffe
erkannt haben will. Zwar gibt er an, Christian Klar sei und den "Terroristen" herstellte, konnte mit seiner
nicht selbst Käufer jenes Laufs gewesen. Aber daß diese Nummer seit Anfang November 1976 von jedem Inter-
Verbindung dennoch vom BKAhergestellt wurde, geht essenten in jenem Baseler Waffengeschäft gekauft
aus dem Vermerk des BKA-Beamten Schelitzki vom 23. werden.
März 1977 hervor, in dem es heißt: "Am 27.10.1976 Es genügte aber zur Herstellung des genannten
verkaufte ... Salval ... eine Pistole ,Heckler und Koch' Zusammenhangs auch die Kenntnis der Nummer des
... Nr. 19477 an Klar, Christian ... Am 10.11.1976 ver- Laufs in dem Geschäft, in dem Chriatian Klar Kunde
kaufte die Fa. Mayer AG.... ein Gewehr und ein Wech- gewesen sein soll. Jedenfalls hat der BKA-Beamte
selsystem 9 mm kurz für die Pistole ,Heckler und Koch', Schelitzki, anscheinend ohne Waffe und Lauf je gese-
Modell 4 ... Zur Vervollständigung (der von Klar in hen zu haben, spätestens im März 1977 jene Zusam-
Aosta gekauften Pistole - der Verf.) fehlte lediglich das mensetzung im Geiste vorweggenommen und schrift-
System 9 mm kurz. Ein solches System wurde am lich festgehalten, die seit dem 18. Oktober 1977 an der
10.11.1976 ... in Basel erworben ...157 bei Jan-Carl Raspe aufgefundenen Waffe festgestellt
Dieser Vermerk des BKA-Beamten Schelitzki faßt die wurde.

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d) Die Wandlung eines Colt gefundenen Waffen durch die Kriminalpolizei chemo-
technisch oder sonstwie sichtbar gemacht werden.
Die letzte im 7. Stock der Vollzugsanstalt Stammheim Auch zeigt der Revolver keinerlei Spuren einer chemo-
aufgefundene Waffe ist ein Revolver Colt Detective technischen Bearbeitung, wie diejenigen versichern,
Special. Das ist allerdings nicht einmal sicher. Denn als die ihn gesehen haben. Von welchem Colt spricht also
Generalbundesanwalt Rebmann am 12. Januar 1978 Wittmann, wenn er die Nummer F 41 530 angibt?
seine Pressekonferenz über die Geständnisse des Vol- In einem Gutachten des BKAvom 12. Dezember 1977
ker Speitel hält, wurde diese dritte Waffe am nächsten heißt es dagegen: "Die Waffennummer wurde am Rah-
Tag von der "Süddeutschen Zeitung" auf Seite 1 als men und am Kran spanabhebend und durch Unter-
"Trommelrevolver des Typs Smith und Wesson" be- schlagungen entfernt. Auf der Innenseite der Deck-
zeichnet. platte wurde die Waffennummer nicht verändert." 160
Nun könnte man hier an Unkenntnis und Sorglosig- Dasselbe hatte das BKAWiesbaden schon am 29.11.77
keit eines Journalisten denken. Merkwürdigerweise an das BKA Bonn gemeldet.161
findet sich aber eine solche Bezeichnung der Waffe Nimmt man an, daß diese Darstellung korrekt ist, so
auch in einem offiziellen Dokument, dem Untersu- hat man einen ParalleUall zur HK 4. Auch beim Colt ist
chungsbericht, der erst nach dem 20. Februar 1978 fer- die Waffennummer an zwei Stellen sorgfältig entfernt,
tiggestellt wurde und also nicht Quelle für die "Süd- während sie an der dritten Stelle völlig erhalten ist.
deutsche Zeitung" gewesen sein kann. Dort heißt es in Unter dem Gesichtspunkt der Verbergung des Waffen-
einem "Verzeichnis der Verstecke": ,,723 ... Pistole verkäufers handelt es sich auch hier bei der Bearbei-
Smith und Wesson, vernickelt" .158 tung der Waffe um einen sinnlosen Akt.
In demselben amtlichen Dokument findet sich aber Daß aber auch hier eine Rückführung der Waffe auf
auch die Beschreibung der Waffe als verchromter ihren Käufer möglicherweise gar nicht verhindert wer-
Revolver der Marke Colt, ohne daß der Widerspruch den sollte, folgt wiederum daraus, daß die Waffennum-
beider Beschreibungen in allen drei angegebenen Waf- mer sich an einem leicht auswechselbaren Waffenteil
fenmerkmalen die Verfasser des Untersuchungsbe- befindet. Man braucht nur zwei Schrauben mit einem
richts zu stören scheint. Schraubenzieher zu lösen und kann dann die nicht
Es steht also nicht einmal fest, was angeblich am 18. mehr als fünfmarkgroße Deckplatte austauschen. Die
Oktober 1977 in Zelle 723 gefunden wurde. Der Ein- Möglichkeit wird umso interessanter, als nach den Aus-
fachheit halber gehen wir im folgenden davon aus, daß sagen SpeiteIs ein zweiter Revolver in einem Stuttgarter
es ein Colt war. Depot vorhanden war, der dasselbe Kaliber wie der
Aber welcher Colt? Auch hier gibt es zwei Versionen. angeblich aus der Zelle 723 stammende Revolver hatte,
Einerseits weiß der BKA-Beamte Wittmann am aber, wie die Untersuchungen des BKAzeigte, nicht mit
6.12.1977 zu berichten: "Durch chemotechnische Bear- ihm identisch war.
beitung konnte die Nummer der Waffe F 41 530, die Merkwürdig ist auch die Tatsache, daß nach einem
ursprünglich ausgeschlagen war, sichtbar gemacht Gutachten des BKAdie auf dem Revolver noch vorhan-
werden. ,,159 dene Überschlagung durch Schlagstempel nicht mit
Nun konnte nach den Akten des Todesermittlungs- den von Speitel in einem Versteck aufgefundenen
verfahrens keine der Herstellernummern der drei Schlagstempeln übereinstimmt.
218 219
Es stellt sich hiermit zum dritten Mal die Frage, wel- polizei, auf ein Ersuchen des BKAhin, seit Mai 1976von
ches die in Zelle 723 angeblich aufgefundene Waffe ist. einem Colt und anderen Waffen wußte, die Wagner bei
Die Beantwortung dieser Frage durch das BKA ist Müller gekauft haben soll, und dies ist nur möglich,
eindeutig. Der Revolver mit der angegebenen Nummer wenn ein Händler befragt wurde, bei dem die Nummer
wurde nach seinen Ermittlungen von Clemens Wagner einer der an Müller verkauften Waffen registriert ist.
im Sommer 1975 bei einem Schweizer Waffensammler Zwar muß dies nicht derselbe Händler sein, wie derje-
namens Philipp Müller gekauft. nige, der Müller einen Colt Revolver verkauft haben
Geht man dieser Auskunft nach, so findet man zahl- soll, aber es ist schwer vorzustellen, daß das BKA sich
reiche Widersprüche, deren geringste die sind, daß der seit Mai 1976 mit jener Unsicherheit abgefunden haben
Verkäufer die Waffe einmal mit vier und ein anderes soll, die ihm durch das Auftauchen von zwei alternati-
Mal mit drei weiteren Waffen an Clemens Wagner ver- ven Nummern für jenen Colt bekannt wurde. Schließ-
kauft haben will, daß der PKWWagners einmal weinrot lich handelte es sich um eine mögliche Tatwaffe für
und einmal gelb gewesen sein soll, daß der Verkauf "Terroristen an deren Verkaufsweg und den daran
1/,

einmal im August und einmal im Juli stattgefunden möglicherweise beteiligten Mittelsmännern das BKA
haben soll. Vor allem aber werden von der Schweizer seit Jahren ein gesteigertes Interesse nehmen mußte.
Polizei im Mai 1976 alternativ zwei Waffennummern für Also wird das BKA den ihm spätestens seit Mai 1976
den Colt angegeben, obwohl eine davon vierstellig ist bekannten Händler nach der Nummer und dem Kauf-
und also nicht in Frage kommt. datum des Colt, den er an Müller verkauft haben soll,
Im Februar 1978 zieht Müller dann jene Angabe, die gefragt haben bzw. ihn hat fragen lassen. Das heißt aber
wohl auch von ihm stammt, als irrtümlich zurück. Inzwi- auch, daß dem BKA(und anderen Sicherheits behörden)
schen hatte sich nämlich herausgestellt, daß die Num- etwa seit Mai 1976 die Nummer eines Colt bekannt sein
mer auf der Deckplatte des Revolvers aus dem 7. Stock mußte, die mit der seit November 1977 von der Krimi-
und jene fünfstellige Nummer, die im Mai 1976 von der nalpolizei genannten Waffennummer übereinstimmt.
Schweizer Polizei genannt worden war, nicht überein- Die auswechselbare Deckplatte, mit der seit fast
stimmten. Obwohl die Frage, welches die Nummer des einem Jahr bekannten Nummer der angeblich gefunde-
von Müller bei einem Waffenhändler angeblich gekauf- nen Waffe ist hier wiederum jenes kleine Stück Metall,
ten Revolvers war, durch Rückfrage bei diesem Verkäu- das beweisen soll, daß sie "höchstwahrscheinlich aus
fer hätte beantwortet werden können, findet sich in den Terroristenkreisen stammt.
1/

Akten des Todesermittlungsverfahrens keine Zeugen- Waffenbeschaffer Volker Speitel hat nach eigener
befragung dieses Händlers. Dagegen gibt es genaue Darstellung bereits lange vor seiner erwarteten "Fest-
Angaben (Verkaufsdatum, Nummer des Lieferscheins) nahmel/ am 2. Oktober 1977 über Mittelsmänner der
über den Verkauf eines Colt mit der genannten Num- BRD-Sicherheitsbehörden, die gegen ihn wegen seiner
mer vom Großhändler an den Händler. Beteiligung an der Aktion gegen die deutsche Botschaft
Mit anderen Worten, es ist bisher nicht aufgeklärt, in Stockholm ermittelten, "wissen wollen, welche
wann Müller welche Waffe bei seinem Händler kaufte, Chancen er habe, wenn er ... zurückkehre ... ? 1/162
an deren Nummer er sich dann später nicht mehr erin- Dabei sei es unter anderem in Basel, Brüssel und in
nern kann. Frankfurt a. M. zu Kontaktaufnahmen und Gesprächen
Dagegen steht fest, daß die Schweizerische Kriminal- gekommen. 163

220 221

11:

L ~ _
11'
,-

Inzwischen hat der Verfassungsschutz Volker Spei- Augen oder Händen der Geheimdienste in den 7. Stock
tels Interesse, Waffen und Sprengstoff "aus Terroristen- gelangten. Verfassungsschutz und BND praktizierten
kreisen " in den 7. Stock zu schmuggeln, längst für seine bekann tlich seit März 1975unkontrolliert im 7. StoCk.166
Ziele genutzt. Im Behördengewahrsam gibt Speitel sein
Wissen preis.164
7. Die
Am 4. Oktober 1977 wird Andreas Baader von Zelle 715
nach Zelle 719 und Jan-Carl Raspe von Zelle 718 auf "Gegensprechanlage 11

Zelle 716 verlegt.


In der Abt. III beginnt eine immer verzweifelter wer- Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, den Häftlin-
dende Suche nach den Waffen und dem Sprengstoff, die gen sei es gelungen, unter Verwendung des anstaltsei-
sich umso stürmischer entwickelt, je mehr die Justizver- genen Stromnetzes und der in ihren Zellen verbliebe-
waltung vom Vorhandensein dieser Gegenstände über- nen elektrischen Geräte heimlich eine gut funktionie-
zeugt ist. Aber selbst tägliche und gründliche Zellen- rende Gegensprechanlage zwischen ihren Zellen auf-
durchsuchungen, bei denen ein Beamter vorschlägt, die zubauen und Raspe sei mittels Transistorradio in der
vorhandenen Eier aufzuschlagen, um darin nach Hin- Lage gewesen, seinen Mitgefangenen über die Befrei-
weisen zu suchen, bleiben ergebnislos. ungsaktion in Mogadischu zu berichten, ist auch durch
Hätten die Beamten der Justizverwaltung oder des die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht bewie-
LKA die Waffen in den Verstecken in den Fensterwän- sen worden.
den der Zellen 715 und 716 bei ihren Durchsuchungen Weder aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
zu Beginn oder während der Kontaktsperre gefunden, noch aus dem Untersuchungsbericht ergibt sich, wer
dann hätte möglicherweise die Sache einen anderen nach dem Tod der Häftlinge in Raspes Zelle 716 "ein
Verlauf genommen, und die Häftlinge wären noch am betriebsbereites batteriebetriebenes Transistorradio
Leben. So aber wird die Aussparung der beiden Zellen entdeckt" hat. Der unbekannte Entdecker will das auf
bei der Durchsuchungstätigkeit von der Bundesanwalt- das" 1. Programm der Süddeutschen Rundfunks" ein-
schaft organisiert (siehe Teil I). gestellte Radio in einer Zelle entdeckt haben, die wäh-
Erst nach dem Tod der Häftlinge wird in Zelle 715, in rend der Kontaktsperre täglich erfolglos durchsucht
der Andreas Baader bis zum 4. Oktober gewesen ist, ein worden ist. 167
Waffenversteck in der Fensterwand gefunden, und in Bemerkenswert ist ferner die Feststellung, die Häft-
Zelle 716, in die Jan-Carl Raspe nach dem 4. Oktober linge hätten zum Zwecke der Herstellung eines "fern-
verlegt worden ist, kommt ebenfalls ein Waffenversteck meldetechnischen Kommunikationssystems ,,168 von
in der Fensterwand zum Vorschein. 165 Zelle 718 oder 719 "eine Kabelverbindung zwischen
Die Darstellung der Staatsanwaltschaft, die gefunde- dem anstaltseigenen Rundfunknetz und einem wei-
nen Waffen stammten "höchstwahrscheinlich aus Ter- teren Netz hergestellt" .169
roristenkreisen" , ist also nicht bewiesen. Das ist offensichtlich selbst dem von der Staatsan-
Sämtliche Indizien weisen dagegen darauf hin, daß waltschaft bestellten Gutachter der Oberpostdirektion
die" aus Terroristenkreisen " stammenden Waffen mit an Stuttgart, Dipl.-Ing. Otto Bohner, nicht nachvollziehbar
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter den gewesen.

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In seinem Gutachten heißt es: "Abgesehen von den
beschriebenen Rundfunk- und Stromleitungen, die aus
dem Bereich der Räume 715 bis 726 herausführen,
konnten keine von den Zellen aus erreichbare Draht-
verbindungen festgestellt werden." 170
,
Da die Häftlinge außerdem weder über Kenntnisse,
Fähigkeiten oder Fertigkeiten in Elektrotechnik noch
über ein Lötgerät verfügten,172 wäre aufzuklären, wer
nach dem Tod der Häftlinge rund 16 m Dioden- oder
Kupferkabel trotz bestehender Kontaktsperre in die
Dieser Sachverständige macht interessante Beobach- Zellen und den Flur verbracht hat.
tungen. In Baaders Zelle 719 findet er "einige Meter Da Irmgard Möller die Möglichkeit hatte, sich mittels
vieradriges Diodenkabel " vor, und in Gudrun Ensslins Ohrhörer am Anstaltsfunk zu beteiligen,173 was mit
Zelle 720 überraschen ihn weitere 3 m lange Diodenka- ihren eigenen Angaben übereinstimmt, und sich die
bel. In der Zelle Irmgard Möllers mißt er insgesamt 5,50 Häftlinge durch Zurufe von Zelle zu Zelle verständig-
m an vorgefundenem Kabel ab. Der Entdecker dieser ten, wäre die Einrichtung eines "fernmeldetechnischen
Kabelfunde ist unbekannt. Kommunikationssystems " überflüssig gewesen.
Die strengen Eingangskontrollen in der Vollzugsan- Aber selbst dann, wenn ihnen jemand bei der Produk-
stalt gegenüber Verteidigern und Privatbesuchern tion eines "fernmeldetechnischen Kommunikationssy-
schließen einen Kabeltransport von etwa 10m in den 7. stems" geholfen hätte, es wäre nur "eine Verständi-
Stock aus. Daß sogar rund 10 m Diodenkabel unbe- gung bei dieser Anordnung durch Klopfen oder Kratzen
merkt vor täglichen Zellenkontrollen versteckt werden an der Hörmuschel möglich" gewesen.174
konnten, ist unglaubhaft. Damit scheidet das "fernmeldetechnische Kommuni-
Als abwegig erscheint auch die Feststellung, die kationssystem" oder die "gut funktionierende Gegen-
Häftlinge hätten im Umschlußraum vor den Zellen von sprechanlage" zur Anwendung als Mittel der Nachrich-
716 bis 718 weitere ca. 6 m Kupferkabel verlegt. tenübertragung aus.
Der Transport dieser ca. 6 m Kupferkabel durch Ver- Die behauptete Selbsttötungsverabredung ist
teidiger oder Privatbesucher durch die Kontrollschleuse dadurch widerlegt.
der Vollzugsanstalt in den 7. Stock ist ausgeschlossen.
Ferner ist unter der optischen Überwachung durch
Vollzugsorgane während des Aufenthalts der Häftlinge
im Umschlußraum vom Wachraum (Glaskabine) aus,
ausgeschlossen, unbemerkt Verkabelungsarbeiten
auszuführen. Zudem macht der Betonfußboden solche
handwerklichen Tätigkeiten ohne Bohrwerkzeuge un-
möglich.
Dipl.-Ing. Bohner: " ... nicht zu überwindende
Schwierigkeiten, das Kabel vom Flur in die Zellen zu
führen ... "171
Warum sollten die Häftlinge bei nicht zu überwinden-
den Schwierigkeiten, das Kabel vom Flur in die Zellen
zu führen, dann erst mit der Flurverkabelung begonnen
haben?

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TEIL IV

1977-1988

WIE DIE
ERMITTLUNGEN
VERSCHLEPPT WERDEN

ODER

DIE WAHRHEIT
IST IMMER KONKRET

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1. Die Einstellungsbe- bergische Justizleben so spielt, zum vereinbarten Abho-


lungstermin sind die zuständigen Justizbeamten uner-
gründung und die reichbar und nur die unzuständigen im Hause.
Die Staatsanwaltschaft erneuert ihre Zusage für
Aktenlage Januar 1979, wobei sie nur Akteneinsicht in ihren Räu-
men gewährt oder auf der Herstellung von Mehrferti-
Gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwalt- gungen besteht. Von einem Teil der Ermittlungsakten
schaft Stuttgart im Todesermittlungsverfahren legt die können angeblich keine Mehrfertigungen hergestellt
Mutter von Jan-Carl Raspe Beschwerde ein. Bemängelt werden. Im Frühjahr 1979 ist es dann soweit, die ersten
wird, daß die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf eine Aktenteile werden angeliefert.
Tatbeteiligung Dritter nicht ermittelt habe.
Die Ermittlungsorgane hatten weder den Bekundun- Aber schon das oberflächliche Studium des Aktenmate-
gen der überlebenden Zeugin Irmgard Möller Glauben rials deckt die immensen Widersprüche auf, die zwi-
geschenkt noch solche politischen Spitzenkräfte aus schen der Einstellungsbegründung und den Darstellun-
dem Krisenstab vernommen, wie jene in Person des gen in den Akten bestehen. Diese Widersprüche wer-
baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbin- den der Staatsanwaltschaft mitgeteilt.
ger, der unmißverständlich erklärt hatte, daß" diese Kri-
minellen ... im Interesse unserer Gesellschaft rasch
Die Staatsanwaltschaft wird darauf hingewiesen, daß
unschädlich gemacht werden" müßten. 1 Im Zusam- nach ihrer Einstellungsbegründung die Pistole Heckler
menhang mit der Tatsache, daß eine Gruppe hoher & Koch (HK) 4 neben Jan-Carl Raspes rechter Hand lag.
Beamter einen Plan durchgespielt hatte, wonach Häft- Dagegen haben die Zeugen Götz, Listner und Jost vor
linge exekutiert werden sollten,2 ist die Nichteinver- dem baden-württembergischen Untersuchungs aus-
nahme dieser Zeugen durch die Staatsanwaltschaft ein schuß bekundet, die Pistole habe in seiner Hand gele-
Beweis, daß einseitig ermittelt wurde. gen. Nach gängiger Lehrbuchmeinung der Gerichtsme-
In der Ablehnungsbegründung zur Beschwerde heißt dizin ist die Aufprallgeschwindig keit einer 9-mm-Waffe
es, die Ermittlungen hätten sich auch auf die Frage zu berücksichtigen, deren Gewicht es unmöglich
erstreckt, ob eine strafrechtlich relevante Beteiligung macht, daß die Waffe nach Schußabgabe in der Hand
Dritter am Tod von Jan-Carl Raspe in Betracht komme verbleibt; Gewicht der Pistole 480 g, Gewicht des
(was im Widerspruch zu KOR Textors Erklärung gegen- Magazins 40 g.4
über dem" Stern" steht, er habe keine über Selbstmord
hinausgehenden Ermittlungsaufträge bekommen).3 Die Staatsanwaltschaft hatte darüber hinaus die Mög-
Nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten sei lichkeit, aus den von der Kripo gefertigten Skizzen und
die Staatsanwaltschaft aber zu dem Ergebnis gekom- Lichtbildern zu erkennen, daß sich hinter der Liege in
men, daß das auszuschließen sei. Raspes Zellenraum ein Winkel befindet, weil der Zel-
lengrundriß fünfeckig ist. Danach ist zwar ein
. Fünf Monate nach der Einstellung des Todesermitt- beschränkter, aber für eine Person völlig ausreichender
lungsverfahrens sagt die Staatsanwaltschaft für Ende Raum zum Stehen vorhanden. Daher könnte von dort
1978 Akteneinsicht zu. Aber, wie das baden-württem-
aus ein Täter den tödlichen Schuß abgegeben haben.
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Denn nach der Darstellung von Hartmann vor dem Aus- schußöffnung befand. Darauf lassen auch die an der
schuß: "Ein Mensch, der diesen Schuß dem auf dem rechten Hand vorgefundenen Substanzen schließen,
Bett sitzenden Raspe beibringen will, muß hinter dem bei denen es sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit
Bett stehen, zwischen Bett und Wand ... "5 hätte diese um Schmauchablagerungen handelt."7
Möglichkeit der Aufklärung bedurft. Die Staatsanwalt- In dem erwähnten BKA-Gutachten heißt es hinge-
schaft hat in dieser Richtung keine Sachaufklärung be- gen: "Auf Abb. 1 ist das Hautteil in natürlicher Größe
trieben. gezeigt. Mikroskopisch waren auf dem Hautteil keine
als Pulverschmauch anzusehenden Anhaftungen
Ebenso untätig hat sie sich verhalten, als es um die erkennbar. An zehn Stellen des Hautteils, deren Lage
Frage ging, woher Gudrun Ensslins Verletzungen auf Abb. 1 durch numerierte Punkte gekennzeichnet ist,
stammten. Es gibt eine Reihe von Verletzungen, für die wurden Proben entnommen und mittels Emissionsspek-
es keine Erklärung gibt, so oberhalb des Nasenhöckers, tralanalyse untersucht. Hierbei ließen sich an der Stelle
unterhalb des rechten Mundwinkels, hinter der Stirn- 9 Blei-und Bariumspuren und an den Stellen 1und 2 nur
haargrenze, an der linken Brustseite, unterhalb der bei- Bleispuren nachweisen. Diese Spuren können als Hin-
den Handgelenke, über der linken Kniescheibe, am lin- weis auf Pulverschmauchanhaftungen angesehen wer-
ken Mittelfinger, am Oberschenkel, in der Leistenge- den, der jedoch nicht zwingend ist, da es sich bei Blei
gend und im Nackenbereich usw. und Barium um häufig in der Natur vorkommende che-
Zweifel an der Selbstaufhängung sind schon deshalb mische Elemente handelt, die auch anderer Herkunft
angebracht, weil beim Versuch, die Leiche aus ihrer sein können, und da sich keine zusätzlichen Hinweise
ursprünglichen Lage abzuhängen, die Kabel an der auf Pulverschmauchanhaftungen fanden ... "8
Stelle, an der sie durch das Zellengitter geschlungen Die Vorlage dieser entsprechenden Lichtbilder hätte
waren, gerissen sind. Offensichtlich war das Erhän- der Staatsanwaltschaft zwingend geboten erscheinen
gungswerkzeug für einen Sprung nicht geeignet. müssen.
Hat die Staatsanwaltschaft jemals versucht, im Expe-
riment nachzuuntersuchen, ob ein Hängewerkzeug Die Staatsanwaltschaft wurde daraufhin erinnert, daß
dieser Größe einen vergleichbaren Sprung überhaupt auch eine Untersuchung eines Hautteils von dem rech-
aushält? Keineswegs. ten Daumen und rechten Zeigefinger bei Raspe eben-
falls keine als Pulverschmauch anzusehenden Anhaf-
Die Staatsanwaltschaft wird darauf hingewiesen, daß tungen nachweist. (BKA-Gutachten v. 20.6.78)9
sie das 2. Gutachten des BKA vom 15.6.19786 in ihrer Denn wenn sich weder an der rechten Hand Andreas
Einstellungsbegründung nicht berücksichtigt hat. Dort Baaders noch an der von lan-earl Raspe Pulver-
heißt es (S. 5): "Für eine Selbstbeibringung des tödli- schmauch feststellen läßt, ist eine weitere Sachaufklä-
chen Schusses sprechen hauptsächlich die an der rech- rung über die tatsächliche Haltung der Todeswaffen
ten Hand Baaders festgestellten Blutspritzer, die im erforderlich. Vor allem drängt nach Aufklärung, wie
Uhrzeigersinn ausgestrahlt sind und dem aus der Ein- sich Andreas Baader aus einer Entfernung von 30-40 cm
schußwunde ausgespritzten Blut entsprochen haben. zwischen Haut und Laufmündung nach der Stärke der
Daraus ist zu entnehmen, daß sich die rechte Hand gemessenen Bleispuren (BKA-Gutachten v. 21.2.78, S.
Baaders bei der Schußabgabe ganz nahe bei der Ein- 4)10 selbst erschießen konnte.

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Da sich in den Ermittlungsakten keine Hinweise finden, Die Staatsanwaltschaft antwortet postwendend und
daß das Erhängungswerkszeug - das Kabel- auf Ver- teilt unter anderem mit, Akteneinsicht sei bereits
gleichsspuren etwa mit Kabelenden des Plattenspielers gewährt worden, eine Übersendung sei nicht möglich
durch elektronenrastermikroskopische Untersuchun- und sie - die Staatsanwaltschaft - habe zu keiner Zeit
gen untersucht worden ist, wird um Aufhellung ersucht. Lichtbilder veröffentlicht, die im Rahmen des vorliegen-
den Ermittlungsverfahrens gefertigt seien. Im übrigen
Bei Gudrun Ensslin findet sich in den Akten kein Hin- bestehe kein Anlaß, die Ermittlungen wieder aufzu-
weis darauf, daß Histamintest oder Mikrospurenabzug nehmen.ll
gemacht worden seien, die erlaubt hätten, festzustellen,
ob die Strangmarke und Erhängungsfurche am Hals
vital oder postmortal entstanden sind. Auch die Her- 2. Die fehlenden
kunft des Speichels auf der Abrinnspur sei ausweislich
der vorgelegten Beweismittel unerklärlich. Fingerab druckgutachten
Es wird auch vergeblich gebeten, Asservatenschau bei Die bei Andreas Baader und Jan-earl Raspe aufgefun-
Plattenspieler, Geschoßhülsen, Kleidungsstücken und denen Schußwaffen sind zum Zwecke der Untersu-
Erhängungswerkszeug zu gestatten. chung auf daktyloskopische Spuren zur kriminaltechni-
schen Untersuchung dem BKA übersandt worden.
Schließlich wird die Staatsanwaltschaft noch auf diesen Obwohl keiner der Häftlinge bei seinem Auffinden
Umstand hingewiesen: Nach den Ermittlungsakten sei Handschuhe trug, finden sich auf den Waffen zunächst
hinsichtlich des Todes von Andreas Baader das tödliche keine Fingerabdrücke.
Geschoß in seinen Schädel eingedrungen, habe diesen Das BKA telext an das LKA, daß sich auswertbare
durchschlagen und sei nach Auffassung der Gerichts- daktyloskopische Spuren weder bei der Besichtigung
mediziner sodann auf die gegenüberliegende Wand unter besonderen Lichtverhältnissen noch bei der Spu-
geprallt (Spur 6) und von dort wieder zurückgeprallt, rensuche mit Hilfe von Haftpulver hätten erkennbar
rechts neben die Leiche. machen lassen.12 Ein offizielles Gutachten wird von der
Aber nach Auffassung der Kripo sei das Geschoß mit Staatsanwaltschaft weder angemahnt noch sonst ver-
schwacher Restenergie aus dem Schädel gedrungen mißt.
und im unmittelbaren Bereich der Leiche liegenge- Die Daktyloskopie ist in der Lage, mit chemischen
blieben. Mitteln, 'wie der Anwendung von sublimierenden Jod-
Die Staatsanwaltschaft wird in diesem Punkt ersucht, dämpfen, auch Fingerspuren in Form von Schweißabla-
mitzuteilen, welche dieser beiden Darstellungen den gerungen sichtbar zu machen. Überdies gibt es photo-
Tatsachen entspricht und ob Rauschke inzwischen auf- chemische Verfahren, mit denen ebenso Papillarli-
tragsgemäß beim Gerichtsmedizinischen Institut der nienab- und -eindrücke auch unter ungünstigsten Vor-
Stadt Stuttgart ein histologisches und serologisches aussetzungen sichtbar gemacht werden können.
Gutachten aus den gesicherten Gewebeteilen und dem Dieses kriminaltechnische Gutachten ist bislang noch
Blut erstattet habe. immer nicht zu den Akten gelangt.
(Dabei hat gerade das BKA eines der modernsten
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I Klassifizierungssysteme entwickelt; der "Spiegel"
schreibt: "Aus dem daktyloskopischen Archiv des Bun-
deskriminalamts, das mit Hilfe eines neuentwickelten
nach ihrem Verbleib in den Räumen der Staatsanwalt-
schaft nicht auszuschließen ist, zeigen Veröffentlichun-
gen von "Stern" 45/1980 und "Quick" 46/80, die auf
Klassifizierungssystems die vorhandenen 18 Millionen bemerkenswerte Art und Weise in den Besitz zahlreicher
Abdrücke im Computer speichern kann; Grundlage ist lichtbilder gelangten. Die Staatsanwaltschaft hatte
eine Formel zur Beschreibung des jeweiligen Abdrucks, gegen Unbekannt (!) am 14.9.81 ein Ermittlungsverfah-
die pro Fingerspur bis zu 100 Buchstaben, Ziffern und ren wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstge-
Zeichen umfaßt. "13) heimnisses § 170 Abs 2 StPO eingeleitet und eingestellt.
Auch das Fingerabdruckgutachten über Abdrücke In den Einstellungsgründen heißt es unter anderem:
auf Gudrun Ensslins Hängewerkzeug fehlt, obwohl "In der Illustrierten ,Stern' ... und ,Quick' wurden
auch sie unverwechselbare Abdrücke ihrer Fingerkup- lichtbilder aus dem Ermittlungsverfahren wegen des
pen hätte hinterlassen müssen. Todes von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-
Damit fehlt bis heute auch ein kriminaltechnischer Carl Raspe sowie der Anzeigesache wegen des Ver-
Beweis dafür, daß die Häftlinge selbst mit den Waffen dachts eines versuchten Tötungsdelikts von Irmgard
oder Hängewerkzeug in Berührung gekommen sind. Möller ... veröffentlicht, die von Beamten der Landes-
Der Beweis könnte aber durch das oben erwähnte Fin- polizeidirektion Stuttgart 11 (Baader, Ensslin und Raspe)
gerabdruckgutachten angetreten werden. bzw. der Landespolizeidirektion Tübingen (Möller) auf-
genommen worden waren. Es besteht der Verdacht, daß
Im Oktober 1979 werden Rechtsanwälte, die Mehrferti- die Lichtbilder den Illustrierten durch eine Straftat
gungen der in den Ermittlungsakten enthaltenen licht- zugespielt wurden.
bilder und Skizzen begehren, wie folgt beschieden: Die Ermittlungen des Landeskriminalamts Baden-
" ... Auf Ihre Beschwerde ... habe ich die Sachbe- Württemberg haben ergeben, daß vom gesamten Nega-
handlung von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Kässer im tivmaterial, das im Verfahren 9 Js 3627/77 angefertigt
Wege der Dienstaufsicht überprüft. Ich teile seine wurde, mindestens 15Abzüge und darüber hinaus noch
Ansicht, wonach gewichtige Gründe entgegenstehen, eine unbekannte Anzahl von auszugsweisen Fertigun-
Ihnen Mehrfertigungen der in den Ermittlungsakten gen hergestellt wurden, so daß von einer Gesamtzahl
enthaltenen lichtbilder und Skizzen zu überlassen. von insgesamt zwischen 20.000 und 30.000 Abzügen
Dadurch würden diese Unterlagen nicht nur Ihnen - auszugehen ist. Die genaue Anzahl der gefertigten
und aus Gründen der Gleichbehandlung den übrigen Lichtbildmappen sowie deren Verteilung waren nicht
Rechtsanwälten - sondern auch anderen Personen, z. B. mehr festzustellen, weil bei den beteiligten Polizei-
dem Büropersonal zugänglich. Aus diesem Grunde und dienststellen hierüber keine Unterlagen vorhanden
nicht zuletzt weil auch einige lichtbilder und Skizzen sind. Es ließ sich auch nicht mehr klären, welche Perso-
Details aus dem sicherheitsrelevanten Bereich der Voll- nen im einzelnen an der Herstellung der Bilder beteiligt
zugsanstalt Stuttgart enthalten, kann der Gefahr eines waren. Die Lichtbildmappen wurden zum Teil in Nacht-
Mißbrauchs der Unterlagen nur wirksam begegnet wer- arbeit, an Wochenenden und an Feiertagen erstellt,
den, wenn sie zur Einsicht bei der Staatsanwaltschaft wobei auch Kräfte anderer Dienststellen (z. B. des
Stuttgart verbleiben ... " 14 Landesamts für Verfassungsschutz und der Wasser-
Daß die Gefahr des Mißbrauchs der Lichtbilder auch schutzpolizei) zugezogen waren.

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Bei dieser Sachlage läßt sich nicht mehr aufklären, chungsausschuß wiederholen und die auch so in der
wer auf welche Weise die Lichtbilder den beiden Illu- Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft steht:
strierten zugespielt hat. Christ. Staatsanwalt." 15 Andreas Baader als Linkshänder hat seine Pistole mit
dem Griff nach oben mit der rechten Hand an den Nak-
Manfred Bissinger schreibt: "Nach meinen Schätzun- ken gehalten und mit dem linken Daumen abgedrückt.
gen, die ich in Gesprächen mit hohen BND-Leuten Nach dem Schuß sei das Blut an die rechte Hand
überprüfen konnte, arbeiten gut fünf Prozent aller gespritzt. Ein eindeutiger Selbstmord.18
Redakteure für irgendeinen der Dienste, sei es der BND, Was die Ärzte nicht wissen, stellen die Experten der
sei es der Verfassungsschutz oder gar irgendein auslän- Kriposonderkommission am Tatort fest: Die Patronen-
discher Verein. Wen wundert da, daß die Dienste lan- hülse liegt rechts von der Leiche. Baaders Waffe, eine
cieren können, was sie gedruckt haben wollen, daß sie ungarische FEG, Kaliber 7,65 wirft die Hülsen nach
verhindern können, was die Öffentlichkeit nicht wissen rechts heraus. Fazit der Kriminalisten: Andreas Baader
soll. Einfluß auf die Geheimdienste hat niemand, nicht hat seine Pistole normal mit dem Griffnach unten gehal-
einmal die Regierung weiß wirklich, was geschieht (wie ten, mit der linken Hand den Lauf an den Hinterkopf
jüngst in der Industriespenden-Affäre wieder be- gehalten und mit der rechten abgedrückt. Das wäre
wiesen). ,,16 eine Erklärung dafür, daß die Hülse rechts liegt.
Weshalb aber haftet dann Blut an der rechten Hand
und nicht an der linken?

3. Kann sich ein Mensch Ein wichtiges kriminaltechnisches Gutachten bleibt


den in- und ausländischen Gerichtsmedizinern ebenso
aus 30 Zentimeter unbekannt wie dem parlamentarischen Untersu-
chungsausschuß, die beide die Selbstmordthese favori-
Entfernung von hinten sieren.
erschießen? Am 21. Februar 1978 - als der Ausschuß seine Tätigkeit
beendet - wird beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden
Nach der Leichenschau und der Eilobduktion der Lei-
che Andreas Baaders im Sektionsraum der Leichenhalle ein Gutachten zur Schußentfernungsbestimmung19
erstellt, das eine Woche später bei der Staatsanwalt-
auf dem Bergfriedhof in Tübingen kommen die Obdu- schaft in Stuttgart eingeht. Der BKA-Experte Hoffmann
zenten zu diesem Ergebnis: hatte die Nackenhaut mit dem Einschußloch von
"Die Obduktion hat ... ergeben, daß es sich bei der Andreas Baader auf Schmauchspuren untersucht. Nach
Einschußöffnung oberhalb der Nacken-Haar-Grenze den gemessenen Schmauchablagerungen (Barium und
um einen absoluten Nahschuß mit aufgesetzter Waffen-
Blei) kann festgestellt werden, aus welcher Entfernung
mündung gehandelt hat. Schließlich muß hervorgeho- ein Schuß abgefeuert wurde. Je mehr Schmauch, umso
ben werden, daß die rechte Hand des Toten am Daumen
näher die Schußabgabe .
. . . und Zeigefinger Blutspritzer aufgewiesen hat." 17 Mit der sogenannten Röntgenfluoreszenz-Analyse
Ihre Schlußfolgerung, die sie später vor dem Untersu- maß der Experte eine Schmauchablagerung von 14300

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Impulsen pro Sekunde. Ferner wurde mit der Pistole
und der verwendeten Munition in einer Testreihe aus
verschiedenen Entfernungen auf Schweinehaut
geschossen, die in ihren Eigenschaften der menschli-
Pulverrückstand sich auf und unter der Haut fest. Und er
kann nicht ohne weiteres verschleppt werden. Der
größte Teil fliegt unter die Haut rein, wo er sich sehr fest
ablagert. ..
chen Haut ähnlich ist. Das Ergebnis: "Vergleichsweise Die dänische Polizei unternahm es dann, in der tech-
müßte der Tatschuß aus einer zwischen 30 Zentimeter nischen Abteilung des Kopenhagener Hauptquartiers
und 40 Zentimeter gelegenen Entfernung abgefeuert eine Schußprobe durchzuführen. Gegen ein Stück Stoff
worden sein ...20 wurden zahlreiche Testschüsse mit einer 7,65 mm
Mit diesem Ergebnis kam der Gutachter in eine ver- Pistole mit und ohne Schalldämpfer abgefeuert. Dabei
zwickte Lage. Sowohl von den Gerichtsmedizinern als zeigte sich folgendes: Der kreisförmige Pulverrück-
auch von ihm selbst wurden auf der Hautprobe der stand wurde viel dunkler, wenn kein Schalldämpfer
Leiche alle Merkmale eines aufgesetzten Schusses fest- verwendet wurde.
gestellt. Wie war, so sein Gedanke, das Unvereinbare zu Dazu erklärt Kriminaltechniker G. Martens: "Der ver-
vereinbaren? Für die sich widersprechenden Ergeb- wendete Schalldämpfer hat Gummikränze auf der
nisse fand er dann diese Erklärung: Innenseite des Rohres, das einen geringeren Diameter
"Da dies jedoch aufgrund der übrigen Befunde mit hat als das Diameter des Geschosses, so daß eine Menge
Sicherheit ausgeschlossen werden kann, muß eine Ver- von dem Pulverrückstand zurückgehalten wird ...
schleppung von Schmauchspuren stattgefunden Ein Berührungsschuß mit Schalldämpfer sieht daher
haben. ,,21 aus, als wäre er aus größerer Entfernung abgefeuert
Diese These ist unhaltbar, denn dann müßten drei worden. Damit erklärt sich alles. Der dänische Pulver-
Viertel des Schmauchs verschwunden sein. rückstands-Experte Erik Mörch:
"Wir müssen die Möglichkeit vor Augen haben, daß
Der dänische Schußwaffenexperte, Chemie-Ingenieur Andreas Baader durch eine Pistole mit Schalldämpfer
bei der Kripo, Erik Mörch, hat anhand der vorliegenden getötet wurde ...
Gutachten den Fall untersucht. Nach den kriminaltech- Erik Mörch sagt dazu:
nischen Untersuchungen finde man keinen Beweis, daß "Wenn ich keinen Pulverrückstand auf der Hand
Andreas Baader die Pistole abgefeuert hat. Es gebe eines Selbstmörders feststellen kann, geht die Kripo
noch nicht einmal einen Hinweis. Nach seiner Auffas- immer auf Jagd nach einem Täter. ,,22
sung, die sich an dem gemessenen Pulverschmauch des In seinem Lehrbuch" Gerichtliche Medizin" erläutert
BKA-Gutachtens orientiert, habe der Schußabstand 30- der Bonner Gerichtsmediziner und Schießexperte Karl
40 cm betragen. Weil keine Pulverrückstände auf sei- Sellier, "Die Beschmauchung sitzt ziemlich fest auf der
nen Händen waren und keine Fingerabdrücke, konnte Haut. Längerer Transport einer Leiche, Anfassen der
er die Pistole nicht abgefeuert haben. Schußhand, Stecken der Hände in die Taschen ändern
Und zur Frage der Verschleppung von Pulver- einen ursprünglich positiven Antimon- bzw. Blei-
schmauch: Befund nicht. ..23
In der technischen Abteilung des Kopenhagener Poli- Dann ist dieser aufgesetzte Schuß nach den gemesse-
zeihauptquartiers sagt der dänische Kriminalassistent nen Schmauchspuren nur so zu erklären: Bei der Schuß-
G. Martens: "Nach einem Berührungsschuß brennt der abgabe wurde auf den Lauf der Pistole ein Schalldämp-

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--- .,......-

fer gesteckt. Ein Schalldämpfer wurde in Andreas Baa- 4. Das Abhandenkommen


ders Zelle nicht gefunden.
Die Staatsanwaltschaft hat diesen Widerspruch nicht
aufgeklärt. Dieser Widerspruch ist Grund genug für ein
der Spur 6
Wiederaufnahmeverfahren. Ungeklärt blieb auch ein weiterer Expertenstreit. In
Baaders Zelle waren drei Projektile gefunden worden.
Auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Heimann Eins steckte in einer Matratze, eins im Putz der Mauer
(Die Grünen) dazu im Herbst 1980 antwortete der neben dem Zellenfenster, das dritte, und tödliche, lag
Justizminister des Landes Baden- Württemberg: links neben der Leiche vor dem Bett.
"Das Gutachten des Bundeskriminalamts ... über die Die Kripo stellte fest, Baader habe, um einen Kampf
Schußentfernungsbestimmung bei Andreas Baader ist vorzutäuschen, zuerst in sein Bett und dann sitzend vom
nicht widersprüchlich. Der Sachverständige führt zwar Fußboden aus, in die gegenüberliegende Wand gefeu-
zunächst aus, bei Vergleichsversuchen seien Bleianhaf- ert, ehe er sich selbst erschoß. Im Spurenauswertungs-
tungen in einer Größenordnung festgestellt worden, bericht wird der tödliche Schuß so beschrieben: "Das
demzufolge der Tatschuß aus einer Größenordnung abgefeuerte Geschoß drang nur noch mit schwacher
zwischen 30 cm und 40 cm abgefeuert worden sein Restenergie aus dem Schädel und blieb im unmittelba-
müßte. Dies könne jedoch aufgrund der übrigen ren Bereich der Leiche liegen. "26
Befunde mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Es Die Gerichtsmediziner hingegen stellten in Baaders
müsse eine Verschleppung von Pulverschmauchspuren Zelle etwas anderes fest. Neben der Kugel in der Wand
stattgefunden haben ... ,,24 (Kripo-Spur 5) fanden sie eine Einbuchtung "mit Gewe-
Fazit: Andreas Baader habe sich als Linkshänder mit beteil oder Blut." Diese Spur, die auch die Kripo fand,
der rechten Hand aus einer Entfernung von 30 cm bis 40 bekam die NI. 6.27 Das Fazit der Gerichtsmediziner:
cm erschossen und den Tatschuß "mit aufgesetzter oder Nach Verlassen von Baaders Schädel sei das tödliche
aufgepreßter Waffe abgefeuert, da die Einschußverlet- Geschoß auf die gegenüberliegende Wand geflogen,
zung die hierfür charakteristischen Kennzeichen, Prä- sei abgeprallt und dann zwischen Bett und Leiche ge-
gemarke und Schmauchhöhle, aufweist. ,,25 kullert.
Die Staatsanwaltschaft wird erst 1981 auf Initiative
Anstatt durch ein weiteres Sachverständigen-Gutach- des "Spiegel" die Ermittlungen wiederaufnehmen, um
ten festzustellen, ob sich dieser Widerspruch aus der den Verbleib der Spur 6 festzustellen.
Benutzung eines Schalldämpfers erklären lasse, wie-
derholt das Justizministerium stereotyp den Formel- Der von der Staatsanwaltschaft Stuttgart in Sachen
Komprorniß des BKA. Todesermittlungsverfahren dargebotene Sachstand hat
Im übrigen vereitelt das Justizministerium mit der sich dann, den Bereich wissenschaftlicher Kriminologie
Billigung staatsanwaltschaftlichen Nichtstuns die Wie- wie gesetzlicher Verfahrensordnung still verlassend
deraufnahme der Ermittlungen. und von kritischer Öffentlichkeit unbemerkt, unter dem
Beifall zahlreicher kriminalistischer und juristischer
Analphabeten auf eine ausgedehnte staatlich
geschützte Dunkelzone zubewegt.
240 241
I

_____________ -1-- _
I Eine solche, in tiefste Verdunkelung führende
Schleichspur, scheint jene, der die Stuttgarter Kripo die
Zahl 6 zuordnete, weil sie am 18.10.1977 unmittelbar
neben der Kripo-Spur-Nr. 5, der Kugel in der Zellen-
wand Baaders, sichergestellt werden konnte, und zwar
als eine Einbuchtung in der Zellenwand lImit Gewebe-
r
dele sich um Untersuchungen in Zusammenarbeit mit
dem Institut für Rechtsmedizin der Freien Universität
Berlin.
Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses,
Schieler, freundlich: "Können Sie etwas darüber sagen,
auf was diese Untersuchungen zielen, oder wollen Sie
teilen oder Blut", die nach Darstellung des Gerichtsme- das nicht sagen?"
diziners Prof. Rauschke das tödliche Geschoß darstellte. Der Professor Rauschke, liebenswürdig: "Nein, das
Dieses Geschoß sei, so der Professor, nach Verlassen möchte ich nicht sagen."
von Baaders Schädel an die gegenüberliegende Zellen- Schieler, verständnisvoll bestätigend: "Das möchten
wand geflogen, von dort abgeprallt und zwischen Bett Sie jetzt nicht sagen, bis wann werden die Untersu-
und Leiche gekullert. chungsergebnisse vorliegen?"
Nach dem Sachverständigengutachten des BKA Rauschke, erneut liebenswürdig: "In ein bis zwei
"müßte der Tatschuß aus einer zwischen 30 und 40 cm Wochen wird das Gutachten schriftlich bei der Staats-
gelegenen Entfernung abgefeuert worden sein" . anwaltschaft und dann auch beim Justizministerium
Da Rauschke wie die anderen Gerichtsmediziner und beim Ausschuß eingegangen sein. ,,29
zweifelsfrei am Einschußloch Merkmale eines aufge- Am 23.1.1978 erschien dieser Professor zum dritten
setzten Nackenschusses feststellte, versuchte der BKA- Mal vor dem Ausschuß, allerdings ohne das zugesagte
Sachverständige diesen offenkundigen Widerspruch Gutachten, was indessen weder dem Vorsitzenden
damit zu erklären, Pulverschmauch sei "verschleppt " noch anderen Organen des Untersuchungsausschusses
worden, was allerdings nach Wissenschaft und Lehre nach dem Protokoll auffiel und auch sonst ihr Untersu-
unmöglich ist. chungsinteresse nicht sichtbar berührte.
Der Spur 6 mußte daher entscheidende Bedeutung Ende 1979 verbot die Staatsanwaltschaft Stuttgart
zukommen, weil mit diesem Beweismittel Blut- und dem Professor ein bereits vereinbartes "Spiegel"-
Gewebsübereinstimmung mit den der Leiche entnom- Gespräch über das Schicksal der Blut- und Gewebspro-
menen Gewebs- und Blutproben hätte nachgewiesen ben. Man habe sich entschlossen, über Detailfragen
und das Schicksal des tödlichen Schusses in vollem keine Angaben mehr zu machen.
Umfang hätte aufgeklärt werden können. Am 5.1.1980 schrieb der Professor dem Autor u.a.:
"In acht bis vierzehn Tagen", erklärte am 2.11.1977 "Als Strafverteidiger werden Sie gewiß Verständnis
der mit den serologischen und histologischen Untersu- dafür haben, daß sich aus Ihrer Eigenschaft als gesetzli-
chungen beauftragte Prof. Rauschke vor dem Untersu- cher Vertreter von Frau Charlotte Raspe für mich als
chungsausschuß, könnten seine Arbeiten" abgeschlos- einen der vom Amtsgericht und von der Staatsanwalt-
sen" sein.28 schaft beauftragten Sachverständigen nicht die Berech-
Gegen Jahresende 1977 drängte der damalige Aus- tigung herleiten läßt, Untersuchungsbefunde bekannt
schußvorsitzende den Professor zur Auftragserfüllung, zu geben, über die allein der Auftraggeber als Geheim-
wonach derselbe umgehend Trost spendete: Es seien nisherr verfügen kann, da sie in seinem Auftrag erarbei-
noch Untersuchungen im Gange, worüber er deshalb im tet worden sind. Ich möchte Sie höflichst bitten, sich an
Augenblick darüber noch nichts sagen möchte. Es han- die Staatsanwaltschaft Stuttgart ... zu wenden ... ,,30

242 243

___ 1- _
I So geschah es. Die Untersuchungs befunde wurden Anfang an unter Ausschöpfung aller relevanten Ermitt-
von der Staatsanwaltschaft Stuttgart begehrt. In einem lungsmöglichkeiten die Ermittlungen durchgeführt und
Antwortschreiben vom 22.2.1980 verheißt die Staatsan- sämtliche Spuren verfolgt ... ,,32
waltschaft: "Über die in Ihrem Schreiben genannten Im Rahmen des "peinlich genauen" Untersuchungs-
Untersuchungsergebnisse befinden sich noch keine verfahrens stand auch die baden-württembergische
schriftlichen Unterlagen bei den Ermittlungsakten. Ihre Landesregierung dieser Verlautbarung in nichts nach.
Übersendung durch das Institut der Rechtsmedizin Am 10.12.1980 erklärte Justizminister Dr. Eyrich auf
beim Gesundheitsamt der Landeshauptstadt Stuttgart Anfrage u.a.:
ist jedoch angekündigt. .. ,,31 "Nach den Erkenntnissen der Landesregierung
Eine unter dem 18.3.1980 vom Autor gefertigte haben Staatsanwaltschaft und Polizei die Ermittlungen
Dienstaufsichtsbeschwerde wegen jahrelanger Ver- von Anfang an unter Ausschöpfung aller relevanten
schleppungstätigkeit und Unterdrückung der histologi- Erkenntnismöglichkeiten durchgeführt und sämtliche
schen und serologischen Untersuchungsbefunde und Spuren verfolgt ... Die Landesregierung billigt die Ver-
erwiesener Unfähigkeit staatsanwaltlicher Organe wird fahrensweise und Stellungnahme der Staatsanwalt-
am 14.4.1980 mit der Begründung zurückgewiesen, zu schaft ... "33
Maßnahmen der Dienstaufsicht bestehe "kein Anlaß" . Ein Schelm, der denkt, Landes- und Bundeshoheiten
Am 25.11.1980 versichert das Organ der Staatsan- hätten den Text der Verlautbarungen abgesprochen, ja
waltschaft, Christ, dem Autor fernmündlich, ihm lägen sich sogar auf gemeinsame semantische Voraussetzun-
die begehrten Untersuchungsergebnisse nunmehr bald gen geeinigt.
vor, sie seien aber noch nicht eingetroffen. Sobald sie Auf weiteres Drängen schließlich verstand sich die
vorlägen, stünde der Herausgabe nichts entgegen. Staatsanwaltschaft Stuttgart plötzlich, das Unerhörte zu
Nach den Bekundungen der Geheimnisherren steht melden: Die als "Gewebeteil oder Blut" an der Zellen-
also zweifelsfrei fest, daß Untersuchungen stattgefun- wand von Baader gesicherten Beweismittel (Spur 6)
den haben und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu seien verschwunden.
einem Ergebnis führten. Fraglich ist nur, ob im Ergebnis
die der Zellenwand entnommenen Blut- und Gewebs-
proben der Spur 6 mit jenen von Baaders Leiche wie Vermerk vom 19. Januar 1981
gewünscht übereinstimmten oder nicht. In letzterem
Fall wäre keine Blut- oder Gewebeidentität der Spur 6 I. Im Ordner IX der Ermittlungsakten ist auf BI. 5 im Spu-
etwa mit Blut- und Gewebeproben der Leiche Andreas rensicherungsbericht Nr. 12 - betreffend die Zelle 719
Baader ein unübersehbares Indiz für Mord. (Baader) - unter anderem folgendes aufgeführt:
Inzwischen erschien Stern 45/1980, zahlreiche Unter- Spur Nr. 6: Gewebeteil oder Blut an der Wand (befindet
suchungslumpereien aufdeckend, nicht ohne öffentli- sich zur Untersuchung beim Gerichtsmedizinischen
ches Echo. Auf diesbezügliche Abgeordnetenanfrage Institut der Stadt Stuttgart).
antwortete für die Bundesregierung der parlamentari-
sche Staatssekretär Dr. de With am 20.11.1980 u.a.: 11. Ich habe heute den Leiter des Gerichtsmedizinischen
"Nach den der Bundesregierung vorliegenden Infor- Instituts beim Gesundheitsamt der Landeshauptstadt
mationen haben Staatsanwaltschaft und Polizei von Stuttgart, Herrn Professor Dr. Rauschke, fernmündlich

244 245

"

~ ---------------------~ j
! befragt, bis wann ich mit der Vorlage des Untersu-
chungsbefundes rechnen könne. Professor Dr.
r
behaupteten Widerspruch Kripo/med. Gutachter: Wenn
ein Geschoß den Schädel knochen durchschlage und
Rauschke hat daraufhin geantwortet, er habe das Gewe- aus dem Schädel austrete, habe es noch so viel Reste-
beteil nicht bekommen. Eine Untersuchung sei deshalb nergie, daß es weiterfliege und nicht "abtropfe".
nicht möglich. (Christ) Staatsanwalt34

111.
Ich habe daraufhin bei Herrn KHK Ziegler vom Kriminalt-
echnischen Institut der Landespolizeidirektion Stuttgart Unter dem 25.2.1981 schrieb Staatsanwalt Christ an den
II angerufen. Er hat mir auf Befragung mitgeteilt, er habe Autor:
das Gewebeteil der Spur 6 Herrn Professor Dr. "Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Weidenhammer,
Rauschke am 18. Oktober 1977 im Verlauf der Besichti- ... wegen des Abhandenkommens des Gewebeteils der
gung der Zelle Baaders zur Untersuchung übergeben. Spur 6 habe ich gegen Herrn Professor Rauschke kein
Es sei das erste Beweismittel gewesen, das er Herrn Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil zureichende tat-
Professor Rauschke übergeben habe. Deshalb könne er sächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straf-
sich daran so genau erinnern. Herr Professor Rauschke tat nicht ersichtlich sind. Hochachtungsvoll. Christ.
habe das Asservat selbst mitgenommen. Staatsanwalt. ,,35
Einige Monate später habe er Herrn Professor Bekanntlich werden trotz öffentlicher Proteste gegen
Rauschke anläßlich einer Obduktion in anderer Sache keinen der am Verschwinden der Spur 6 Beteiligten
gefragt, was die Untersuchung des Gewebeteils erge- straf- oder auch dienstrechtliche Maßnahmen ergriffen.
ben habe. Herr Professor Rauschke habe erwidert, das Ihnen wird kein Haar gekrümmt, obwohl, wenn es denn
Gewebeteil sei bisher noch nicht untersucht worden. herauskäme, auch in der Bundesrepublik mit bis zu 5
Nach seiner - KHK Zieglers - Erinnerung habe Herr Jahren Freiheitsstrafe bedroht wird, wer Beweismittel
Professor Rauschke dazu erläutert, er müsse es weg- unterdrückt - wegen Strafvereitelung im Amt, § 258
schicken (möglicherweise nach Erlangen) oder er StGB.
müsse zur Untersuchung noch jemanden beiziehen. Monate später gibt der Petitionsausschuß des baden-
KHK Ziegler ist sich jedenfalls sicher gewesen, das württembergischen Landtags dazu eine Beschlußemp-
Gewebeteil der Spur 6 Herrn Professor Rauschke über- fehlung ab, nach der weder vorsätzliches Handeln der
geben zu haben. Beteiligten einen Verwahrungsbruch erkennen lasse
IV. Ich habe daraufhin Herrn Professor Rauschke die unter noch sonst eine dienstliche Verfehlung nachzuweisen
Ziffer 111wiedergegebene Äußerung von Herrn Ziegler sei. Schließlich handele es sich um einen auf Unacht-
mitgeteilt. Er hat Überprüfung und Rückruf zugesagt. samkeit beruhenden Verlust, "eine bedauerliche
V. Nach Mitteilung von Herrn Professor Rauschke befindet Panne" , wie ein Vertreter des Justizministeriums
sich das Asservat Spur 6 nicht in seinem Institut. Alle meint.36 Die Petition von Frau Raspe, die die Klärung
sonstigen Asservate (Abstriche u.ä.) seien noch vorhan- der wirklichen Vorgänge in Stammheim bezweckte,
den. Es gebe auch keine Hinweise wie Schriftverkehr wird mit der Stellungnahme der Regierung für erledigt
u.a. dafür, daß das Gewebeteil der Spur 6 seinem Institut erklärt.
übergeben worden sei.
Prof. Rauschke zu dem im Zusammenhang mit Spur 6

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-----~-------- 247
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I

Im Oktober 1983 erklärt das Justizministerium auf Schon im Januar 1984 hatte der Vertreter der Landesre-
Anfrage der GRÜNEN, daß zwar die Spur 6 als "Delle gierung im Ständigen Ausschuß des baden-württem-
mit Gewebefetzen an der ... Wand" in Baaders Zelle bergischen Landtages erklärt: "Aber selbst wenn diese
von den Ermittlungsbehörden festgehalten worden sei Spur vorläge, könnte sie in keiner Weise das Ergebnis
und daß zwar zwei der gerichtsmedizinischen Sachver- der Selbsttötung von Andreas Baader tangieren. ,,39
ständigen vor dem baden-württembergischen Untersu- Die Unterdrückung dieser Spur beweist aber wohl
chungsausschuß eine "kleine Aufschlagstelle im Wand- eher das Gegenteil.
putz" o.ä. ausgemacht hätten, aber das sei noch lange
keine Beschädigung des Wandputzes. Auch die Licht-
bildaufnahme zur Spur 6 lasse eine Eindellung in der
Wandfläche, die als Abprallmarke eines Geschosses 5. Konnten die Häftlinge in
gedeutet werden könnte, nicht erkennen.
Vielmehr sei nach dem kriminaltechnisch gesicher- den Besitz von Waffen
ten Spurenbefund davon auszugehen, daß das tödliche
Geschoß nach Durchdringung des Schädels nicht mehr gelangen?
mit hinreichender Restenergie weitergeflogen sei, um
a) Die Waffenschmuggelversion
an der Wand eine feststellbare Abprallmarke, Delle o.ä.
zu hinterlassen. Unter den gegebenen Umständen
könne jedenfalls auch nicht ausgeschlossen werden, Die tragende Säule der behördlichen Selbstmordver-
daß das als Spur 6 gesicherte "Gewebeteil oder Blut" sion besteht in der unbewiesenen Behauptung, die
durch Wegspritzen bei der tödlichen Schußverletzung Häftlinge hätten sich durch Schmuggeltransporte in
an der Wand angetragen worden sei.37 den Besitz von Waffen gebracht. Die Staatsanwaltschaft
hat zu Beweiszwecken in dieser Richtung bekanntlich
Unter Anwendung solcher wirklichkeitsfremden
keine eigenen Ermittlungstätigkeiten entfaltet, sondern
Logik ist auch nicht auszuschließen, daß "Gewebeteil
auf ein anhängiges Ermittlungsverfahren wegen § 129 a
oder Blut" infolge einer Unachtsamkeit Baaders bei der StGB der Bundesanwaltschaft verwiesen. In diesem
Naßrasur an der Wand angetragen worden ist.
Verfahren ebenso wie vor dem baden-württembergi-
Weitere Sachaufklärung ist daher zunächst von der
schen Untersuchungs ausschuß wird als einziges Indiz
Inaugenscheinnahme des von Spur 6 gefertigten licht-
bildes Nr. 61 zu erwarten. für den behaupteten Waffenbesitz der Häftlinge die
Im Sommer 1984 wird die Staatsanwaltschaft um Ver- "gesicherte Erkenntnis" der Bundesanwaltschaft ange-
führt, die sich auf die zu dieser Zeit weder der Staatsan-
vollständigung der Akteneinsicht und um Mehrferti-
waltschaft noch dem baden-württembergischen Unter-
gung des Lichtbildes Nr. 61 ersucht. Im September ant-
wortet die Staatsanwaltschaft: " ... wie ich Ihnen ... suchungsausschuß bekannte Aussage von Volker Spei-
tel stützt. Beide lassen es ohne nachprüfbare Beweistat-
mitgeteilt habe, stehen Ihnen die Beweismittel zur
sache dabei bewenden, die Häftlinge seien in Waffen-
Besichtigung in den Räumen der Staatsanwaltschaft
besitz gewesen.
Stuttgart zur Verfügung. Das von der Spur 6 gefertigte
Lichtbild Nr. 61 ... kann ich Ihnen daher nicht über-
senden ... "38

248 249

___ 1- _
Wie aber hätten die Häftlinge Waffen oder Sprengstoff ihrer Untersuchung und Durchsuchung in den Haftzel-
in die Sicherheitsabteilung IIIschmuggeln können? Wie len bei Gudrun Ensslin (720), Andreas Baader (719) und
wäre der Transportweg gewesen? lan-earl Raspe (718):
Nicht selten wird das Waffen- oder Sprengstoff- "Fazit: Keine der am 5.16. September 1977 durch-
schmuggelthema in Zusammenhang mit der Tatsache suchten Zellen enthielt ein Versteck, in dem die Waffen
gebracht, daß die Häftlinge immerhin ordnungswidrig mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von
in den Besitz einer Minox gelangt waren,40 was auch Baader und Raspe aufbewahrt wurden. ,,42
nicht zu bestreiten ist, und sich so - unter Umgehung Gleichzeitig wurden auf Parallelanweisung des
der strengen Kontrollen - auf demselben Transportweg Generalbundesanwaltes die Zellen der Häftlinge Irm-
auch hätten Waffen und Sprengstoff schmuggeln lassen gard Möller, Ingrid Schubert, Werner Hoppe, Wolfgang
können. Beerund H. Pohl (723) vonje zweiLKA-Beamten durch-
Der Besitz einer Waffe in der in sich abgeschlossenen sucht, ohne daß Gegenstände sichergestellt oder
Sicherheits abteilung III hat nur dann einen Sinn, wenn beschlagnahmt worden sind.43
mit der Waffe und dem Sprengstoff ein gewaltsamer Die Zelle von Ingrid Schubert stand seit dem 19.
Ausbruch geplant war. Das konnte, wenn überhaupt, August 1977 leer, die Zelle von Hoppe (724) seit dem 13.
weder bei Alarmstufe 1 noch bei der Kontaktsperre August, ebenso Zelle 725 von Beer und die 723 von
sinnvoll sein. Poh1.44(Wolfgang Beer ist seit 12.8.1977 in Hamburg,
Die Häftlinge mußten vernünftigerweise davon aus- Ingrid Schubert seit 18.8.1977 in M.-Stadelheim.)
gehen, daß ihre Freilassung über einen Geiselaustausch Der guten Ordnung halber muß allerdings erwähnt
und nicht über einen gewaltsamen Ausbruch in Stamm- werden, daß die Zellendurchsuchung bei den Häftlin-
heim erfolgt, der angesichts des Festungscharakters gen doch nicht ganz ohne Fundsachen ablief; bei
und der Hochsicherheitsmaßnahmen bei Alarmstufe 1 Andreas Baader (719) wurde eine Kaffeekanne sowie
erfolglos sein mußte. eine betriebsbereite Birne vorgefunden und zu Unter-
suchungszwecken eingezogen45 - Schriftstücke, über
Obwohl keiner der Häftlinge in der in sich abgeschlos- die von Generalbundesanwalt Rebmann behauptete
senen Hochsicherheitsabteilung III auch nur den Ver- "Kommunikation der Inhaftierten mit den Entfüh-
such einer Selbstbefreiung unternommen hatte, veran- rern "46über ihre Verteidiger werden nicht gefunden,
laßte Bundeskanzler H. Schmidt, der inzwischen in obwohl die "Sicherstellung aller Papiere zur Untersu-
Staatsnotwehr de facto die Leitung der Sicherheitsab- chung auf latente Schriften47 ein unbestimmter Zweck
teilung III übernommen hatte, daß noch in der Nacht der angeordneten Durchsuchungsmaßnahme war.
vom 5.16. September 1977 die Haftzellen der Häftlinge Obwohl der Generalbundesanwalt diese Behauptung
auf "Verstecke" durchsucht wurden. Noch immer hat er weder glaubhaft machen noch beweisen konnte, zog er
keinerlei Beweis, daß die Häftlinge im Hochsicherheits- für die Bundesregierung, ohne einen Sachbeweis für
trakt ein "terroristisches Hauptquartier" sind41 oder seine Behauptungen zu besitzen, mit einer polemischen
sonst mit dieser Entführung im strafrechtlichen Sinne zu Streitschrift vor das Bundesverfassungsgericht, um
tun haben. "über die Anwendung des Grundgedankens" der
Die in Durchgriffsverwaltung tätigen LKA-Bedienste- Staats notwehr Verteidigerbesuche unterbinden zu
ten vermerken - wie bereits erwähnt - zum Abschluß lassen:

250 251

~
L ____ J- _
P"""'"""

"Nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer steht fest. Hätte er tatsächlich beabsichtigt, ein Waffen-
hat die für die Justizvollzugsanstalten in Stuttgart- versteck anzulegen, dann in Zelle 718. Dort wurde aber
Stammheim, Heilbronn und Pforzheim zuständige Lan- nichts gefunden. Raspe war vorher niemals in Zelle 716
desjustizverwaltung des Landes Baden-Württemberg untergebracht. Fest steht aber, daß die Zelle 716 vom 26.
durch mündliche Weisung an die Vorstände dieser Juni bis zum 3. Oktober leer gestanden hat, oder präzi-
Justizvollzugsanstalten verfügt, daß die wegen terrori- ser ausgedrückt: nicht von Gefangenen aus der RAF
stischer Gewalttaten in Untersuchungshaft einsitzen- belegt war.
den Personen zum gegenwärtigen Zeitpunkt - läng-
stens bis zur Beendigung der Entführung - von nieman - In der Zelle von Andreas Baader (719) werden neben
dem, auch nicht von ihren Verteidigern aufgesucht wer- dem berühmten Plattenspielerversteck, auf das wir
den dürfen. Diese Maßnahmen wurden nach Abstim- noch zurückkommen werden, nach dem 18. Oktober
mung mit mir und mit meiner Billigung angeordnet. ,,48 "vier 9-mm-Pistolenpatronen unterhalb des 3 cm star-
Von da an waren die Häftlinge totalisoliert. ken Estrichbodens, ca. 10 cm von der Wand entfernt
gefunden ... ,,51Mit der bei ihm aufgefundenen ungari-
Da späterhin, nach dem 18. Oktober, noch zahlreiche- schen FEG lassen sich solche Patronen nicht verschie-
in diesem Zusammenhang aber unwesentliche - Ver- ßen, ihr Lauf hat 7,65 mm Kaliber.
stecke gefunden werden, sollen hier nur diese von Andreas Baader war zunächst vom 25. Juni bis zum
Interesse sein, die mit den am 18. Oktober aufgefunde- 13. September 1977 in der Zelle 719, wurde am 13.
nen Waffen bei Andreas Baader und Jan-earl Raspe zu September wegen "Kontaktsperre"52 bis zum 4. Okto-
tun haben, oder wo sich exakt nachweisen läßt, daß der ber in die Zelle 715 verlegt und vom 4. Oktober bis zum
Zellenfund mit dem Häftling nichts zu tun haben kann. 18. Oktober wieder in die Zelle 719.
Deswegen soll anhand der Zellenfunde die Dramatur- Wenn die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme
gie der Zellenverlegung nachgestellt werden. gegenüber der Kommission für Menschenrechte
In Raspes Zelle 718 wurde am 5.16. September 1977 erklärt, Andreas Baader sei "auf eigenen Wunsch" am
keine Waffe und auch kein Versteck dieser Waffe 6. Oktober in die Zelle 719 verlegt worden,53 so hat sie
gefunden. Nach seinem Tod soll sich in der Zelle 716, in den tatsächlichen Zellenverlegungsplan ebenso ver-
der sich Raspe am 18. Oktober befand, ein "mutmaßli- heimlicht (Baader wurde am 4. Oktober in Zelle 719
ches Versteck in der Fensterwand,,49 befunden haben, verlegt und das auch nicht auf eigenen Wunsch) wie die
in dem er die Waffe versteckt haben soll. An der Waffe täglichen Zellenkontrollen, bei denen weder Waffen
sind aber nicht einmal Mörtelspuren oder andere ver- noch Sprengstoff gefunden wurden, 54 was den Ver-
dächtige Spuren gefunden worden. dacht der Irreführung nahelegt.
Nach dem Zellenbelegungsplan war Raspe vom 25. So verhält es sich auch mit den fragwürdigen Erklä-
Juni bis zum 4. Oktober 1977 in der Zelle 718 unterge- rungen gegenüber der Kommission, "kriminaltechni-
bracht,50 wo aber überraschenderweise keine Funde sehe Untersuchungen hätten ergeben, ... präparierte
gemacht werden, obwohl er sich monatelang darin auf- Verstecke, wie ausgekleidete, für Waffen geeignete
gehalten hat. Erst am 4. Oktober wird er erstmals "wg und mit Gips verschlossene Hohlräume, die der Größe
Rückverlegung" auf die Zelle 716 verbracht. Daß er der gefundenen Waffe entsprachen, aber auch eine
nicht wissen konnte, in Zelle 716 verlegt zu werden, weitere Feuerwaffe, Patronen und Sprengstoff in den

252 253

L ••
von den Beschwerdeführern benutzten Zellen ... ,,55 einem unteren Stockwerk am 17.10.1977 aus dieser
seien gefunden worden. Zelle Geräusche gehört haben will.59
Warum soll Andreas Baader in einer Zelle, von der er
gar nicht wissen konnte, daß er in sie verlegt wird (719), Als der Generalbundesanwalt am 12. Januar 1978 vor
Patronen des Kalibers 9 mm versteckt haben, die aus dem baden-württembergischen Untersuchungsaus-
den Beständen des rheinland-pfälzischen Innenmini- schuß verbreitete, er habe "gesicherte Erkenntnisse",
steriums56 stammen, wo er doch zur Selbsttötung eine wonach Waffen und Sprengstoff von den Anwälten
Waffe mit 7,65 mm Kaliber benutzt haben soll, deren durch die Kontrollen im Mehrzweckgebäude via präpa-
Lauf offensichtlich nicht zu der gefundenen Munition rierter Handakten in den 7. Stock transportiert worden
paßt? seien, war noch kein Kontrollbeamter vernommen wor-
den. Knapp 90% der später vor dem OLG Stuttgart in
Ein bemerkenswertes Besitzverhältnis hat auch die der Strafsache gegen die Rechtsanwälte Müller und
mutmaßliche Smith & Wesson, respektive der mutmaß- Newerla Vernommenen aus dem Mehrzweckgebäude,
liche Colt Detectiv Special- die baden-württembergi- 30 von 34, schlossen kategorisch aus, daß Rechtsan-
schen Untersuchungs organe gehen zunächst von einer wälte Akten oder auch nur Blattsammlungen bei den
Smith & Wesson aus,57später einigt man sich auf einen Kontrollen in den Händen behalten durften. Auch die
Colt Detectiv Special, möglicherweise, weil dieser bes- übrigen 4 Beamten schlossen aus, daß ihnen Präparie-
ser in einen ausgehöhlten Aktenordner paßt. rung von Anwaltsakten entgangen wäre.6o
Jedenfalls wird in Zelle 723, die vom 6. Juli bis zum Bei der Verbreitung dieser" gesicherten Erkenntnis"
12. August 1977von Helmut Pohl belegt war, eine Waffe stützte sich Generalbundesanwalt Rebmann auf die
und Sprengstoff gefunden. Hat dieser Häftling, als er Aussage eines einzigen Zeugen: Volker Speitei, der am
am 6.7.1977 gefesselt von Hamburg nach Stammheim 2. Oktober von der Polizei im Skandinavien-Express
verbracht wurde, körperliche und Einlieferungskontrol- von Kopenhagen nach Hamburg kurz hinter der Staats-
Ien überlistet und die Waffe eingeschmuggelt? grenze in Puttgarden festgenommen worden war oder
Am 6. September war die Zelle 723 in Abwesenheit besser: sich dort hatte festnehmen lassen.
des Häftlings, der inzwischen nach Hamburg verschubt Den Vorgang bewertet Jürgen Saupe so: "Milde Stra-
worden war, ebenfalls auf Anweisung der BAW,von fen, neue Pässe und viel Geld - so dealten Bundesan-
0.20 Uhr bis 1.50 Uhr durch Beamte des baden-würt- waltschaft und BKAmit Volker Speitei ... ,um Aussagen
tembergischen Landeskriminalamts, verstärkt durch in den RAF-Mordprozessen wegen Buback, Ponto und
ebensolche der Landespolizeidirektion Stuttgart im Bei- Schleyer zu erhalten. "61
sein von Anstaltsleiter Nusser, des Stellvertreters Da die öffentliche Mutmaßung über einen solchen
Schreitmüller, dreier Aufsichtsbeamter und Bundesan- Kronzeugen notwendig erweise auch dessen Aussage-
walt Widera ("zeitweise") durchsucht worden, ohne qualität entwertet, hätte sich der Generalbundesanwalt
daß "beweiserhebliche Gegenstände" sichergestellt um einen möglicherweise sachkundigeren Zeugen H-
wurden. 58Festzustellen bleibt, daß die Zelle 723 seit der J. Klein bemühen können, der unaufgefordert und aus
Verschubung von Pohl am 12.8.1977leersteht, oder prä- eigenem Wissen der Weltöffentlichkeit aus dem Unter-
ziser ausgedrückt: nicht mehr von Häftlingen aus der grund mitteilte: "Ich wußte, daß sie seit 1975 Waffen im
RAF belegt war. Fest steht ferner, daß ein Häftling aus Knast hatten. ,,62

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Der Zeuge Volker Speitel hatte vor dem Ermittlungs- "hintergriffen ", und die Anwälte mußten Aktenordner
richter hingegen erklärt, die Übergabe der Waffen und aus der Hand geben, wo sie vom Kontrollbeamten mit
des Sprengstoffs erfolgte nach März 1977, spätestens umgedrehtem Schriftbild durchblättert wurden. Weder
Juni 1977, jedenfalls nach der Entlassung der Mohn- bei den Kontrollrnaßnahmen im Mehrzweckgebäude
haupt aus der Haft. 63 noch in der Vollzugsanstalt ist es vorstellbar, an diesen
Den beiden Zeugen ist eine gewisse Fachkunde nicht Kontrollen vorbei Waffen, Waffenteile oder Munition
abzusprechen. Beide arbeiteten im Rechtsanwaltsbüro und Sprengstoff zu schmuggeln.
von Klaus Croissant in Stuttgart, in dem auch das Inter- Bei den Waffenschmuggelversionen der Behörden
nationale Verteidigerkomitee64 tätig war. bleibt eine Tatsache völlig außer Betracht: Die Häft-
Über die Beurteilung der Qualität der Aussage von linge hatten weder Einfluß auf den Zellen verlegungs-
Klein sind sich die veröffentlichten Meinungen uneins. plan noch wußten sie, in welche Zelle sie verlegt wur-
Die einen halten sie für die eines "Aussteigers", 65 den. Sie konnten auch nicht wissen, ob und für wie
andere hingegen charakterisieren sie als jene eines von lange sie im Besitz ihrer Plattenspieler bleiben durften.
westdeutschen Geheimdiensten angeworbenen Infor- Somit hätten den Häftlingen die Waffen nur dann zur
manten.66 Verfügung gestanden, wenn sie durch die Anstaltslei-
Im Prozeß gegen die beiden Rechtsanwälte Arndt tung oder durch Geheimdienste dazu in die Lage ver-
Müller und Armin Newerla wird Klein nicht vernom- setzt worden wären.
men, auch nicht nach Prozeßende in dieser neuen Ein Beispiel ist der Waffenfund in Zelle 723. In diese
Sache. bislang unbelegte Zelle wird am 6. Juli nach dem Zel-
Denn wenn die Waffen bereits seit 1975in der Sicher- lenbelegungsplan der von Hamburg nach Stammheim
heitsabteilung III und im 7. Stock waren, sind Speiteis verschubte Häftling Helmut Pohl verlegt. Am 12.
Aussagen gegen die beiden Anwälte unbrauchbar und August wird er wieder nach Hamburg in die Totalisola-
Generalbundesanwalt Rebmanns Aufgabe wäre es tion zurückgebracht. Sowohl die Staatsanwaltschaft als
gewesen zu ermitteln, wer in wessen Auftrag Waffen auch der Untersuchungsausschuß stellen fest: In dieser
schon 1975 in den 7. Stock geschmuggelt hat und auf Zelle befand sich ein Waffenversteck. Der Ausschuß
welche Weise das geschehen ist. Dazu wäre eine einge- findet eine Smith & Wesson, die Staatsanwaltschaft
hende Vernehmung von Klein unerläßlich gewesen. stellt ohne eigene Ermittlungen einen Colt Detectiv
Denn mit der Frage, wie es den Häftlingen gelang, in Special fest. Wie bereits dargelegt, ist eine Einigung
den bestgesicherten Hochsicherheitstrakt und in die in erfolgt.
sich völlig geschlossene Abteilung IIIWaffen, Munition Zu fragen ist doch: Hatte Helmut Pohl die Waffe aus
und Sprengstoff hineinzubringen, steht und fällt die Hamburg mitgebracht? Wenn er sie tatsächlich mitge-
wichtigste Säule der Selbstmordversion. bracht hätte, weshalb war sie dann bei seiner Einliefe-
rung und Durchsuchung am 6. Juli nicht entdeckt wor-
Es ist zutreffend, daß die von den Kontrollbeamten ver- den? Kannte dieser Häftling den Zellenverlegungs-
wendeten Metallsonden selbst bei Stecknadelköpfen plan? Warum läßt er die mutmaßlich von ihm versteckte
Waffe in der Zelle zurück und läßt sich unbewaffnet
im Hemdkragen anschlugen oder bei Pfennigstücken in
der Hosentasche Alarm anzeigten. Selbst Hosenladen- wieder nach Hamburg zurückbringen?
reißverschlüsse wurden kraft richterlicher Verfügung Häftlinge werden beim Transport vorschriftsmäßig

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gefesselt. Hätte Helmut Pohl die Waffe beim Hin- oder durchsucht und überprüft worden. Der Brief des baden-
Rücktransport mit sich geführt, wäre das mit Sicherheit württembergischen Justizministeriums vom 10. Januar
seiner Bewachung aufgefallen, zumal er auch dort in 1978, aus dem sich diese Tatsachen ergeben, gelangt
Totalisolation gehalten wurde. rechtzeitig zum Vorsitzenden Schieler, er steht sogar als
Anlage im Untersuchungsbericht. Der Brief selbst ist
Ähnliche Fragen stellen sich bei der Dramaturgie der dem Untersuchungsbericht nicht beigefügt. Es ist auch
Zellenverlegung in Bezug auf Jan-earl Raspe. Er war nicht klar, ob der Vorsitzende den Untersuchungsaus-
zunächst vom November 1974 bis Juni 1977 in Zelle 714 schuß-Mitgliedern den Brief zur Kenntnis gebracht hat.
untergebracht worden. Von Juni 1977 bis 4. Oktober Gleichwohl vermag der Brief die Meinung des Untersu-
lebte er in Zelle 718. Am selben Tag wurde er in die chungsausschusses, wonach es dennoch beim Platten-
Todeszelle 716 verlegt. Dort, in dieser neuen Zelle, spielerversteck bleibt, nicht zu beeinflussen.
ermittelte der Ausschuß ein Waffenversteck in der Fen- Da wir uns am Meinungshandel nicht beteiligen, kön-
sterwand.67 nen wir davon ausgehen, daß der Plattenspieler ord-
Woher konnte Raspe wissen, daß er am 4. Oktober in nungsgemäß durchsucht und überprüft worden ist;
die Zelle 716 verlegt wird? Hatte er bei seiner Verle- Andreas Baader bekam den Plattenspieler erst am 22.
gung die Waffe mit sich geführt, ohne daß das entdeckt September vom Oberverwalter Bubeck ausgehändigt. 68
worden wäre? Kannte auch er den Zellenverlegungs- Bekanntlich aber stellt die Staatsanwaltschaft in ihrer
plan? Beides ist zu verneinen. Einstellungsbegründung (S. 15) ebenso wie der baden-
württembergische Untersuchungsausschuß (S. 88)
Ebenso bemerkenswert ist das Zellen-wechsle-dich- Andreas Baaders Plattenspieler als Waffenversteck fest.
Spiel, das man mit Andreas Baader treibt. 1974 befindet In ihrer Stellungnahme gegenüber dem Europäischen
er sich in der Zelle 709. Danach wird er in die Zelle 711/ Gerichtshof behauptete die BRD-Regierung ebenfalls,
712 verlegt. der Plattenspieler sei als Waffenversteck präpariert
Vom 25. Juni 1977 bis zum 13. September wird er in gewesen und habe eine Haltevorrichtung für eine
die Zelle 719 gesteckt. Vom 13. September bis zum 4. Pistole aufgewiesen (S. 15). Diese Version wird am 20.
Oktober wird er in der Zelle 715 untergebracht. Erst am 11. 1980 gegenüber dem Bundestagsabgeordneten
4. Oktober wurde er in die Todeszelle 719 zurückver- Manfred Schmidt durch die Bundesregierung gedeckt.
legt. Woher konnte er wissen, daß er in die Zelle 719 In ihrer Antwort auf dessen Anfrage nach dem" Stern"-
verlegt werden würde? Hatte er bei der Verlegung die Bericht erklärt sie unter anderem, nach den ihr vorlie-
Waffe mit sich geführt, ohne daß das entdeckt worden genden Informationen hätten Staatsanwaltschaft und
wäre? Kannte er den Zellenplan? Polizei unter Ausschöpfung aller relevanten Erkennt-
Nach den Feststellungen des Ausschusses hat nismöglichkeiten die Ermittlungen durchgeführt und
Andreas Baader in der Zelle 715 ein Waffenversteck in sämtliche Spuren verfolgt. Erst vor dem Ständigen Aus-
der Fensterwand angelegt. Konnte er die Waffe bei der schuß des baden-württembergischen Landtags am
Verlegung nach 719 im Plattenspieler einschmuggeln? 20.1.198469 allerdings begegnet der Staatssekretär im
Der Plattenspieler war ihm bereits am 5. September zu baden-württembergischen Justizministerium kriti-
Kontaktsperrebeginn durch Amtsinspektor Hauk abge- schen Parlamentsanfragen mit einem Geständnis: Er
nommen und von Beamten des Landeskriminalamtes gab zu, daß der Vollzugsdienstleiter vor dem Untersu-

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chungsausschuß erklärt habe, daß alle Geräte in den Das Waffenversteck kann in seiner Zelle 716 nur der-
Räumen der Gefangenen untersucht worden seien, jenige angelegt haben, der wußte, woher auch immer,
während der Untersuchungsausschuß zum Ergebnis daß Raspe während der Kontaktsperre in diese Zelle
gelangt sei, daß die Pistole im Plattenspieler des verlegt werden würde.
Andreas Baader untergebracht gewesen sei. Solche
Gegensätze träten aber in den meisten Verfahren auf. In der Zeit von 1975 bis zur Kontaktsperre wurde bei
(S.5) keinem der Stammheimer Häftlinge ein Waffenver-
Konnte Baader aber die Waffe bei der Verlegung steck gefunden.
transportieren, ohne daß dies bemerkt worden wäre? Die Zelle 723, in der sich als einziger RAF-Häftling
Das durch die Waffe erhöhte Gewicht des Plattenspie- Pohl in der Zeit vom 6. Juli bis zum 12. August 1977
lers wäre den erfahrenen Beamten aufgefallen. aufhielt, kann von Klein nicht gemeint gewesen sein, als
er behauptete, daß die Gefangenen bereits seit 1975
Es kann ausgeschlossen werden, daß die Häftlinge Waffen in der Vollzugsanstalt versteckt hätten. Nun ist
Kenntnis vom Zellenverlegungsplan erhalten haben. Es aber dort eine Waffe und ein Waffenversteck gefunden
ist außerdem auszuschließen, daß die Waffen bei der worden. Wer mag es wohl angelegt haben? Und wann?
Verlegung übersehen werden konnten. Die Waffenver-
stecke konnte indessen nur derjenige anlegen, der Baader befindet sich 1975 in den Zellen 709,711/712.
genau wußte, daß Raspe in Zelle 716 verlegt wird. In Nach Durchbruch der Zellenwand kommt er von 709
Zelle 718, wo er monatelang gewesen ist, befand sich zurück in diese neue Doppelzelle 711/712. In dieser
kein Waffenversteck, ebenso nicht in Zelle 714, die er Doppelzelle wird kein Versteck gefunden. Der Aus-
jahrelang belegte. schuß ermittelt zwar in 709 einen Hohlraum, aber erst
ein Jahr später.
Demnach steht fest: Bei Helmut Pohl bricht die Waffen- "Als im Sommer 1976in der Zelle Baaders knapp über
transportlegende an den Umständen des Transports der Bodenleiste ein etwa 10 cm langes, 5 cm tiefes und 3
und daran, daß diese Zelle zuvor nicht belegt gewesen cm hohes Loch in der Wand entdeckt wird, beruhigte
ist, in sich zusammen. sich die VZA schließlich bei der Erklärung Baaders, daß
Bei Andreas Baader krankt die Transportlegende an sein Bettgestell das Loch in die Wand getrieben
der Tatsache, daß sein Plattenspieler sowohl als Waffen- habe ...•• 70 Selbst der Ausschuß kommt nicht umhin, die
versteck als auch als Transportmittel beim Zellenumzug Abriebstelle an der Wand als unbedeutend zu bezeich-
nicht in Frage kommt. Zum Verlegungszeitpunkt ist der nen. Diese Stelle wurde mit keinem Waffenversteck in
Plattenspieler bereits vom LKA durchsucht und über- Verbindung gebracht.
prüft worden. Der polizeilich nicht vernommene Roland M. belegte
Bei Jan-earl Raspe ist auszuschließen, daß er die im Sommer 1977 die Zelle 619, unmittelbar unter Baa-
Waffe in der Zelle 714/718 versteckte. Denn dort wur- ders Zelle und machte folgende Beobachtungen:
den keine derartigen Verstecke gefunden. Als er am 4. "In der Zeit August 1977, als die RAFim Hungerstreik
Oktober verlegt wurde, konnte er nicht wissen, daß er in war, befand ich mich genau einen Stock tiefer in der
die Zelle 716 verlegt wird, wo später in der Fensterwand Zelle 619. Also genau unter Baader. An welchem Tag
das Waffenversteck gefunden wird. genau, weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall war die RAF

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I porte mutmaßlicher Gesinnungsfreunde eingelassen
I in der Nacht nach 22 Uhr bis über 2 Uhr auf die Intensiv-
haben? Wenn ja, aber wie?
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station in der Anstalt gebracht worden. Als Andreas


Der von Speitel dargestellte Transportweg ist zwar
Baader geholt wurde, konnten wir in den Zellen darun- denkbar, aber höchst unwahrscheinlich. In der Kontroll-
ter die Zellentüre Baaders deutlich hören. Mit mir in der
Zelle befanden sich weitere Gefangene ... Als wir nun schleuse des Mehrzweckgebäudes wurde genauso
von unserer Zelle ins Revier blickten, konnten wir streng kontrolliert wie in der Vollzugsanstalt. Unüber-
sehen, wie Baader auf der Liege unten ankam. Danach wachte Privatbesuche waren erst recht ausgeschlossen.
Vielmehr konnten die Waffen auf dem vom Ausschuß
hörten wir unverzüglich wie die Zellentür wieder geöff-
net wurde und mehrere Personen (mindestens zwei) die aufgezeigten möglichen weiteren Weg in den 7. Stock
Zelle betraten. Einige Minuten später entstand ein gelangen. Einmal über "die umfangreichen Getränke-
lieferungen"n ins Mehrzweckgebäude oder über Bau-
Schabgeräusch an unserer Zellendecke, das, wie ich stofflieferungen in die Vollzugsanstalt: "Das zum
vermutete, aus der Ecke kam. Dieses Geräusch hielt ca.
eine halbe Stunde an, wobei mit Unterbrechungen die Umbau der dritten Abteilung benötigte Baumaterial ...
wurde über Baustoffhändler bezogen und von diesen in
Toilette gespült wurde ... ,,71
den Hof der Vollzugsanstalt geliefert. Eine Durchsu-
chung unterblieb. Sowohl das Justizministerium als
auch die Vollzugsanstalt wußten, daß dies ein neuralgi-
b) Unkontrollierte Transportwege
scher Punkt im Sicherheitssystem war ... ,,73
Die Helfer konnten also die Waffen auf diesem
Unterstellt, ein Unbekannter hätte die Häftlinge davon
unkontrollierten Transportweg in die Vollzugsanstalt
überzeugt, daß es einen RAF-Befreiungsplan gebe, sie
aus dem Hochsicherheitstrakt zu befreien und sie in den bringen. Das angelieferte Material wurde nicht von
Aufsichtsbeamten, sondern von den beim Baukom-
Besitz von Waffen zu bringen ... Dann müßte man sich
mando beschäftigten Häftlingen abgeladen und in
auf folgendes Gedankenspiel einlassen:
einem Lagerraum eingeschlossen. Von dort aus trugen
Die Häftlinge, zunächst mißtrauisch, verlangen einen
die Gefangenenarbeitskräfte das Material in die III.
"Probelauf" mit einer harmlosen Minox-Kamera als
erste vertrauensbildende Maßnahme. Nun gelingt die- Abteilung. Eine vorherige Kontrolle erfolgte nicht.74 Bei
sem Helfer, die Minox in den 7. Stock zu schaffen, die diesem Vorgang waren daher Manipulationen möglich.
Das räumte auch der Ausschuß ein.
Häftlinge fotografieren sich sogar.
Tatsächlich soll nach "gesicherter Erkenntis" der Der damalige Leiter der im Mai und Juni 1977 erfolg-
ten Umbaumaßnahmen, Ministerialdirektor und heuti-
Bundesanwaltschaft trotz zahlreicher Zellendurchsu-
ger Generalbundesanwalt Rebmann, wurde vom Aus-
chungen die Ende 1976 eingeschmuggelte Minox erst schuß erst gar nicht gefragt, warum er nicht unverzüg-
während der Kontaktsperre am 13. September gefun-
den worden sein. Das baden-württembergische Justiz- lich Kontrollrnaßnahmen vorgeschlagen oder durchge-
setzt hat. Er will als verantwortlicher Leiter der Umbau-
ministerium wird merkwürdigerweise davon zunächst
nicht unterrichtet. maßnahmen erst bei seiner Vernehmung vor dem Aus-
schuß erfahren haben, daß im 7. Stock auf der Baustelle
Nachdem der Minox-Transport zunächst einmal
Gefangenenarbeitskräfte eingesetzt waren. Das ist un-
gelungen war, würden sich daraufhin die Häftlinge - so glaubhaft.
der Gedanke - dann allen Ernstes auf die Waffentrans-
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Er selbst war bei den Baurnaßnahmen persönlich dort trollschleuse einer körperlichen Durchsuchung durch Abta-
sten über der Kleidung und durch Absonden mittels eines
gewesen75 und hatte sie überwacht. Demnach wären
die Häftlinge unter seiner Leitung in der Lage gewesen, Metallsuchgerätes unterzogen. Vom Besucher mitgeführte
Kontakte zu den Gefangenenarbeitskräften im Gegenstände werden auf einem Kontrolltisch überprüft.
Umschlußraum vor den Einzelzellen, also auf der Von der Durchsuchung ausgegenommen sind Anstaltsbe-
dienstete und Bedienstete der Aufsichtsbehörde, Haftrich-
"Großbaustelle ,,76 aufzunehmen.
Daher ist es denkbar, daß nicht nur "Material oder ter, Haftstaatsanwalt und die Bediensteten dieser Dienst-
Werkzeuge" ,77 sondern auch Waffen unkontrolliert von stellen, Angehörige der uniformierten Polizei, der Kriminal-
den Gefangenenarbeitskräften entgegengenommen polizei, der Zollfahndung, der Bahnpolizei, der Bundes-
wurden. Dies wäre versteckt in Baumaterial leichter wehr, des Bundesgrenzschutzes und der amerikanischen
Mi/itärpolizei, Ärzte, die im Revier aushilfsweise Dienst tun,
möglich gewesen als auf irgendeine andere Weise.
Daß die Waffen auf diesem Wege in die Vollzugsan- sowie im einzelnen festgelegte - mit einem besonderen
stalt und in den .,. Stock hätten gelangen können, ist Ausweis ausgestattete - Personen, die regelmäßig in die
nicht auszuschließen. Dies war ein möglicher unkon- Vollzugsanstalt kommen und deren Zuverlässigkeit über-
trollierter Transportweg für den Waffenschmuggel, weil prüft wurde.78
weder Material noch Personen inspiziert wurden.
In Kenntnis dieses neuralgischen Punkts im Sicher- In der Kontrollschleuse der Vollzugsanstalt wurden also
heitssystem der Anstalt können die Helfer die Waffen in weder Angehörige der US-Militärpolizei noch der
Geheimdienste kontrolliert.
den". Stock gebracht haben, quasi unter "Aufsicht" des
Justizministeriums und seines Ministerialdirektors. Damit steht fest: Die Kontaktsperre hat nicht lücken-
los funktioniert. Die Leitung der VZA hatte bei diesem
Darüber hinaus konnte es nur noch einen weiteren Personenkreis, der schon vor Beginn der Kontaktsperre
zu den Unkontrollierbaren zählte, keinerlei Kontroll-
Transportweg in den .,. Stock geben, der von der
Anstaltsleitung und dem Justizministerium nicht kon- rechte und keinerlei Kontrollmöglichkeiten.
trolliert wurde: Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß die
Es betrifft den Zugang insbesondere der Geheim- Waffen auf diesem Wege über diesen Personenkreis in
dienste und der US-Militärpolizei. Dies ergibt sich aus den". Stock gelangten.
dem vorläufigen Bericht der Landesregierung vom
Dezember 1977, der danach nie wieder aufgetaucht ist: Daß der Ausschuß diesen unkontrollierbaren Trans-
portmöglichkeiten im Rahmen seiner Beweiserhebung
keine Bedeutung beigemessen hat oder zumessen
Im Eingangshof der Vollzugsanstalt ist in Behelfsbauweise
wollte, läßt die Vermutung bestehen, daß an dieser Auf-
eine Kontrollschleuse eingerichtet worden. Jeder Besucher klärung kein Interesse bestand.
muß diese Schleuse vor dem Betreten des Anstaltsgebäu- Bei objektiver Sachaufklärung hätte ein neutraler
des passieren und dabei seinen Ausweis abgeben. Der
Ausschuß in diesem Zusammenhang den baden-würt-
Besucher erhält den Ausweis nach Beendigung des tembergischen Justizminister Bender befragen müssen,
Besuchs oder Rückgabe einer Besucherkarte wieder aus- was er als Verfassungsorgan der BRD im August 1977
gehändigt. Darüber hinaus wird jeder Besucher in der Kon-
im europäischen Hauptquartier der US-Streitkräfte in
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Heidelberg erörtert und beschlossen hat. 79 Sollte er Stimmen die Bilder nicht überein, weil ein Mensch
dazu bewegt werden, insgeheim Überwachungs- und durch den Flur geht, ertönt in der Wachkanzel im 7.
Kontrollbefugnisse hinsichtlich der Vollzugsanstalt Stock und bei der Torwache ein Gong. Außerdem
Stammheim an die US-Streitkräfte zu übergeben? Was erscheint auf den Monitoren um das sich bewegende
hat ein baden-württembergischer Justizminister bei der Objekt ein flimmernder Lichtkranz.
US-Army zu besprechen? Bender wird diese Frage nicht Als das Landeskriminalamt später die Anlage testete,
mehr beantworten können. Der Justizminister trat noch wurden weder Gong noch Lichtalarm ausgelöst.
1977 von seinem Amt zurück. Im Frühjahr 1979 heißt es, Vor dem parlamentarischen Ausschuß erklärte Mar-
er sei an einem "GehirnschIag" und dessen Folgen ver- tini vom LKA:
storben.8o "Ich bin durch die Tür ... dann an der linken Wand
entlang ganz vorgelaufen bis zur Zelle, wo Herr Baader
Da die Staatsanwaltschaft Stuttgart von Anbeginn auf war, habe die Zellentür geöffnet, bin rein in die Zelle,
eine Nachprüfung der unkontrollierten Transportwege dann wieder raus und dann diagonal durch den Gang
in die Vollzugsanstalt verzichtet hat, wollte oder konnte nach vorn gelaufen, und das ganze sehr langsam - und
sie die Lückenlosigkeit der Kontaktsperre nicht fest- dabei hat die Warneinrichtung nicht angesprochen. ,,81
stellen. Die Funktionsfähigkeit der Telemat-Anlage von Sie-
mens gab deshalb auch für den Ausschuß Anlaß, die mit
dem Einbau und der Überwachung der Anlage befaß-
c) Die "Telemat-Anlage" und die "Siemens-Tech- ten Mitarbeiter von Siemens zu hören.
niker" Aufgrund der Beweisaufnahme waren "sichere Fest-
stellungen darüber, ob der ... festgestellte Mangel
Der baden-württembergische Untersuchungsausschuß schon in der Nacht vom 17. zum 18. Oktober 1977 vor-
hingegen konnte ermitteln, daß die elektronischen lag ... , nicht möglich. "82 Es war allerdings auch nicht
Sicherheitsanlagen im 7. Stock defekt waren, die von auszuschließen, daß die Anlage nicht funktionierte.
Siemens-Mitarbeitern während der Kontaktsperre Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand fest,
überprüft worden waren. daß sich während der sogenannten "Kontaktsperre"
Unbekannten wäre es möglich gewesen, vom Hof der Mitarbeiter der Firma Siemens im Sicherheitsbereich
Vollzugsanstalt aus über den Treppenflur in den 7. des 7. Stocks der Vollzugsanstalt aufgehalten haben.
Stock zu gelangen, wenn sie unbemerkt hätten eindrin- Sie sollen dort Reparaturarbeiten an den Fernsehkame-
gen können. Das wäre auch während der Kontaktsperre ras im Flur zwischen den Zellen von Andreas Baader,
möglich gewesen, wenn die elektronischen Anlagen Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller
versagt hätten. ausgeführt haben. Überraschenderweise stellt der Aus-
Die beiden Video-Kameras, die nachts den Flur vor schuß das Nichtfunktionieren der Telemat-Anlage
den Haftzellen überwachten, hatten gravierende Män- während der Kontaktsperrezeit fest. Warum funktio-
gel: Die elektronische Telemat-Anlage der Firma Sie- niert die optische Überwachung trotz Reparatur nicht?
mens arbeitete nach folgendem Prinzip: Die Kameras Dem zuständigen Vollzugsdienstleiter Hauk war
nehmen kurz hintereinander Bilder auf, die permanent über Funktionsstörungen der Anlage während dieser
vom angeschlossenen Computer verglichen werden. Zeit nichts bekannt. 83

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Dennoch hat zumindest am 12. September 1977 eine mens noch des Bundeskriminalamts, noch des Bundes-
Reparatur durch einen Revisor der Firma Siemens nach nachrichtendienstes aufgehalten hätten. Darum könne
deren Betriebsunterlagen stattgefunden. Der Aus- auch die Feststellung, daß die Siemens-Beauftragten an
schußvorsitzende bat die Firma Siemens, ihre Unterla- der Telemat-Anlage gearbeitet hätten, das eindeutige
gen über alle Besuche und Reparaturen dem Ausschuß Ergebnis der Selbsttötung in keiner Weise erschüt-
tern. ,,86
zur Verfügung zu stellen, um festzustellen, ob auch
nach dem 12. September weitere Besuche stattgefun- Auf eine wiederholte briefliche Anfrage eines Abge-
den haben.84 ordneten, welche Mitarbeiter der Firma Siemens wäh-
Doch die Staatsanwaltschaft ist dieser Spur, die mög- rend der Kontaktsperrezeit mit der Reparatur beauf-
licherweise Aufklärung über die Funktionsuntüchtig- tragt waren und warum die Anlage nachweislich nicht
keit der Telemat-Anlage in der Todesnacht hätte geben nach diesen "Reparaturen" funktioniert haben soll,
können, nicht gefolgt. auch nach dem Verbleib von Reparaturauftrag und
Kostenrechnung antwortet die Landesregierung mit der
Die Kleine Anfrage eines Landtagsabgeordneten dazu Arroganz der Macht. Wer den Reparaturauftrag für die
aus dem Jahre 1983 beantwortet der Justizminister für Firma Siemens erfüllt hat, wird erst gar nicht beantwor-
die Landesregierung teilweise und ausweichend. Die tet; ferner heißt es: "Ob bei den Ermittlungen der Repa-
Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft sei nicht zu raturauftrag der Vollzugsanstalt und die Kostenrech-
beanstanden. Hierfür bestehe schon deswegen kein nung der Firma Siemens vorlagen, ist dem Justizmini-
Grund, weil das Ermittlungsergebnis, wonach die sterium nicht bekannt. Unterlagen über die bis zum 18.
Gefangenen sich selbst getötet haben, durch zahlreiche Oktober 1977 vorgenommenen Revisionen der Anlage
und überzeugende Beweise belegt sei. Dieses Ergebnis befanden sich jedoch bei der Beweisaufnahme des
werde auch nicht durch die ständig wiederholte Untersuchungsausschusses in der Hand des zuständi-
Behauptung in Frage gestellt, es bestünden noch Lük- gen Firmenvertreters. Ob der Zeuge entsprechend sei-
ken in der Beweisführung oder es sei bisher unterblie- ner Zusage in der Sitzung vom 9. Februar 1978 ... diese
ben, bestimmte Spuren und Beweismittel aufzugreifen. Unterlagen dem Ausschuß zugesandt hat, ist dem
Weil damit ersichtlich nur der Zweck verfolgt werde, Justizministerium ebenfalls unbekannt. ,,87
Mißtrauen und Zweifel an der Objektivität der Ermitt- Demnach steht ferner fest, daß die sogenannte "Kon-
lungsbehörden zu wecken ... 85 taktsperre" von unbekannten Mitarbeitern oder Beauf-
Auf weiteres parlamentarisches Drängen, ob die Lan- tragten der Firma Siemens dadurch sabotiert worden
desregierung in diesem Zusammenhang geheimdienst- ist, daß sie nicht in der Lage waren, die Funktionstüch-
liche Aktivitäten ausschließe, antwortete das baden- tigkeit der Telemat-Anlage zu gewährleisten, oder viel-
württembergische Justizministerium im Jahre 1984 vor leicht auch, daß sie die Anlage außer Funktion setzten.
dem Ständigen Ausschuß: Die sogenannte "Kontaktsperre" hat nicht lückenlos
"Unbestritten hätten während der Kontaktsperre funktioniert. Die Staatsanwaltschaft hat es unterlassen,
zwei Siemens-Beauftragte die Telemat-Anlage über- auch in dieser Richtung unkontrollierbare Transport-
prüft. Fest stehe aber auch, ... daß sich in der Nacht vom wege zu untersuchen.
17. auf den 18. Oktober 1977 in der Vollzugsanstalt
Stuttgart-Stammheim weder Fachleute der Firma Sie-
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d) Der Zugang zu den Zellen der und Jan-Carl Raspe Waffen in die Zellen schmug-
geln konnten, soll noch - mehr aus Gedankenspielerei
Bei der Untersuchung der Zellentürschlösser gibt es und hypothetisch - untersucht werden, ob sie die Waf-
bemerkenswerte Feststellungen: fen unentdeckt hätten aufbewahren können.
Bei Andreas Baader (719) sind bei Schloß I die Zuhal- Eine unentdeckte Aufbewahrung wäre nur dann
tungen ohne Schutzverzahnung. Bei der Zuhaltung 1, 3 möglich gewesen, wenn die Haftzellen weder optisch
und 6 fehlen die Zuhaltungsfedern. Bei Schloß 11ist die noch akustisch überwacht worden sind.
Bereits während des Stammheimer Prozesses hatte
Verschraubung unversiegelt und die Zuhaltung ohne
Schutzverzahnung . Andreas Baader in einem Streitgespräch mit dem Vor-
Bei Gudrun Ensslin (720) ist bei Schloß I bei der Ver- sitzenden Richter Prinzing und Bundesanwalt Wunder
schraubung das Siegel gebrochen. Schloß 11hat kein seine Wahrnehmung über unerlaubte Überwachungs-
Siegel, Schlüsselführungszylinder und Verschlußan- maßnahmen dargelegt. 90 Als inhaftierter Angeklagter
zeige fehlen, und die Zuhaltung ist ohne Schutzverzah- war er natürlich nicht in der Lage, Sachbeweise beizu-
nung. bringen.
Bei Irmgard Möllers Zellentür (725)hat Schloß I keine Am 17. März 1977 gab hierzu das Innenministerium
Verschraubung, und das Siegel ist verletzt. Auch bei Baden-Württemberg eine Pressemitteilung heraus.
Schloß 11ist die Verschraubung unversiegelt und die Hierin wurde zugegeben, daß das baden-württem-
Zuhaltung ohne Schutzverzahnung. bergische Justizministerium Lauschoperationen in bei-
An der Zellentür von Jan-Carl Raspe (716) fehlt bei den Fällen durchgeführt hatte.91 Betroffen davon waren
Schloß 11die Versiegelung bei der Verschraubung, und die Häftlinge und ihre Verteidiger, deren Gespräche in
die Zuhaltung ist ohne Schutzverzahnung.88 den sogenannten Sprechzellen der Vollzugsanstalt
abgehört worden sind.
Das bedeutet, daß bei verletzter oder entfernter Versie- Aufgrund dieser Abhöraktion lehnten es die Wahl-
gelung die Schloßdecken bereits einmal abgenommen verteidiger der Angeklagten, die Rechtsanwälte Hans
worden sirid. Somit steht fest, daß von den Türschlös- Heinz Heldmann, Michael Oberwinder, Otto Schilyund
sern an den Zellen der Häftlinge Nachschlüssel ange- der Autor ab, am Prozeßgeschehen in Stammheim wei-
ter teilzunehmen.
fertigt worden sind.
Dazu schreibt die Kripo selbst: "Die Untersuchungen Schon im April und Mai 1975 sowie Dezember 1976
schließen die Möglichkeit, daß nach einem Original- und Januar 1977 waren diese Lauschoperationen aus-
schlüssel ein Nachschlüssel gefertigt werden kann, geführt worden, ohne die erhofften "Hinweise auf
nicht aus. ,,89 geplante schwere Straftaten "92 zu erbringen.
Über die Installation der verborgenen Mikrofone
zitierte die Frankfurter Rundschau einen Sprecher des
Bundesinnenministeriums: Zwei technische Mitarbei-
e) Optische und akustische überwachung
ter des Bundesamtes für Verfassungsschutz seien in der
Nachdem durch die Dramaturgie der Zellenverlegun- Stammheimer Haftanstalt vom 1. bis 3. März 1975 (zum
gen und -durchsuchungen und durch die Plattenspie- Zeitpunkt der Lorenz-Entführung) und am 1. Mai (kurz
leruntersuchung auszuschließen ist, daß Andreas Baa- nach dem Überfall auf die Botschaft in Stockholm) bei
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Lauschaktionen tätig geworden. Offenbar hätten diese den Special Agent (SA) Watson, der schon am 1. April
Maßnahmen damals zu keinen Erkenntnissen geführt, 1975 um 4.52 Uhr vertraulich an das State Departement
denn kurz darauf habe das Landeskriminalamt von der Vereinigten Staaten wahrheitsgemäß das folgende
Baden-Württemberg in der gleichen Sache um techni- drahtete:
sche Hilfe beim Bundesnachrichtendienst (BND) nach-
gesucht. Ob und wann die "Lauschmittel " aus der
Stammheimer Haftanstalt wieder beseitigt wurden, war MSGNO 49 (MIIB)AAP C1/04/75 04:52 Watson)
der Bundesregierung unbekannt. ,,93 K. Um die Unterbringung der Baader Meinhof Kerngruppe
In der Hauptverhandlung am 22. März 1977 erklärte sicherzustellen, sind 100 weitere Häftlinge aus dem
der Vorsitzende Richter Foth: "Prozessual freilich ist der Gefängnis Stuttgart Stammheim in andere Haftanstalten
geschehene Verstoß gegen § 148 StPO (Ungehinderter verlegt worden. Die BMG Mitglieder befinden sich im 8.
mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger - Verf.) nicht Stock (das ist nach deutscher Zählung der 7. Stock) im
aus der Welt zu schaffen. ,,94 rechten Flügel. Fernsehkameras überwachen das Innere
Die Rechtsanwälte erstatteten Anzeige gegen die bei- der Zellen und die Außenbereiche. Über den Hof wurde
den Abhörminister wegen Verletzung der Vertraulich- Draht gespannt, um ein Landen von Hubschraubern zu
keit des Wortes. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren verhindern. Das Gerichtsverfahren wird in einem eigens
stellte Generalstaatsanwalt Erwin Schüle mit der hierfür errichteten zweistöckigen Gebäude stattfinden,
Begründung ein, die Minister seien zutreffend davon ungefähr 75 Fuß von den Außenmauern des Gefängnisses
ausgegangen, sie seien befugt, die Gespräche zwischen entfernt. Das Gebäude ist durch einen Drahtzaun gesichert,
den in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim einsit- der 71/2 Fuß hoch ist, des Nachts beleuchtet wird und bei
zenden Terroristen und ihren Wahlverteidigern abzu- dem ein direkt dahinter errichteter Holzzaun verhindert, daß
hören. Diese Befugnis habe sich aus dem Vorhanden- das Gelände von außen einzusehen ist. Eine Asphaltstraße
sein einer Notstandslage im Sinne von § 34 StGB erge- um den Zaun herum wird von der Polizei bewacht.
ben. Nur so konnten sie etwas über die Vorhaben der Nach dem Prozeß soll das Gebäude als Arbeitsraum für
Terroristen erfahren.95 Sonach geschah "das Abhören die Häftlinge verwendet werden.97
der Gespräche rechtmäßig"96 und mit Billigung des
Bundeskanzleramts.96a Während des Stammheimer
Prozesses waren nicht nur die Abhörmaßnahmen gegen Dieses CIA -Dokument ist zweifelsfrei ein Anhaltspunkt
Wahlverteidiger und Häftlinge in den Sprechzellen zur dafür, daß in den Haftzellen bis zum Tod der Häftlinge
Sprache gekommen, sondern auch Abhörmaßnahmen eine optische und akustische überwachung stattgefun-
den hat.
gegen die Häftlinge in den Haftzellen, etwa über die
Gegensprechanlage, eine Annahme, die die Landesre- Beim Hantieren mit einer Langfeldleuchte aus den
gierung bis auf den heutigen Tag von sich weist. Häftlingszellen entdeckt ein Anstaltstechniker nach
Da Andreas Baader als Angeklagter nicht in der Lage dem Tod der Häftlinge einen Minisender, der noch
war, Sachbeweise beizubringen, wollen wir an dieser funktionsfähig ist. 98Er ist in der Lampenhalterung ver-
Stelle einen Geheimagenten zu Wort kommen lassen; steckt.99
nämlich den für die CIA mit dem baden-württembergi- Jahre später verbreitet der "Spiegel" undementiert:
schen Landesamt für Verfassungsschutz kollaborieren- "Die gängige Annahme lautete damals, die Einsit-

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zen den hielten über ihre Verteidiger Kontakte zu den ten sie dann vor Abhörmaßnahmen gegen die Häftlinge
Gesinnungsfreunden in Freiheit, steuerten womöglich während der Kontaktsperrezeit in den Haftzellen
deren terroristische Aktionen. Gerade wegen des zurückschrecken sollen?
angeblichen Zusammenspiels hatte der Krisenstab Eine solche Annahme wäre lebensfremd.
gleich nach der Entführung Schleyers die Häftlinge Damit steht so gut wie fest, daß die Häftlinge während
durch eine Kontaktsperre von jeder Verbindung zur der Kontaktsperrezeit optisch und akustisch überwacht
Außenwelt und untereinander abzuschneiden versucht. wurden. Sie hatten also, wären sie in den Besitz von
Und zusätzlich bauten die BND-Experten - wie jetzt Waffen gekommen, gar keine Möglichkeit, diese unbe-
zehn Jahre später ruchbar wird - im Stammheimer merkt zu verwahren.
Hochsicherheitstrakt Wanzen ein, um alle Gespräche
zu überwachen. ,,100 Ein Jahrzehnt nach den mysteriösen Todesfällen in
Waren es solche Experten, wie Oberst a.D. Decker, Stammheim werden "die exotischen Lösungen zur
einst wie Langemann beim BND und Sicherheitsbeauf- Befreiung Schleyers im Herbst 1977 - überlisten, inter-
tragter der Firma Siemens, die dabei halfen?101 nieren, erschießen" 106einer breiteren Öffentlichkeit be-
Noch im Dezember 1977 intervenierte der Autor kannt.
schriftlich und vergeblich beim Vorsitzenden des Da die Staatsanwaltschaft Stuttgart erfahrungsgemäß
baden -württembergischen Untersuchungsausschus- untätig bleibt, wird unter Bezugnahme auf die
ses, den Abhörkomplex in die Untersuchungen mit ein- behauptete neue Tatsache, wonach BND-Experten im
zubeziehen. Die Frage, weshalb bei einer Notstands- Stammheimer Hochsicherheitstrakt Wanzen einbau-
lage wie bei der Schleyer- und Flugzeugentführung, ten, um alle Gespräche zu überwachen, interveniert.
trotz vorheriger regierungs amtlicher Ankündigung, in Denn nach der Amtsversion müßten sich die Häftlinge
vergleichbaren Situationen erneut abzuhören, auffälli- unter Aufsicht der Geheimdienste zur Selbsttötung ver-
gerweise während der Kontaktsperre in den Haftzellen abredet und diese durchgeführt haben.
nicht abgehört worden sein soll, wird vom Vorsitzenden Gleichzeitig wird die Staatsanwaltschaft daran erin-
SchieIer niemals beantwortet. 102 nert, daß die Anstaltsleitung aus öffentlich-rechtlicher
Der baden-württembergische Ministerpräsident Fil- Garantenstellung eine solche Suizidabrede und den
binger hatte zuvor unmißverständlich erklärt, in ver- Suizid nicht hätte zulassen dürfen.
gleichbaren Situationen werde die Regierung erneut so Die Antwort der Staatsanwaltschaft ist abweisend.
handeln. 103 Die Frage, ob und in welchem Umfang die Gespräche
Die beiden Abhörminister Bender und Schieß verlaut- zwischen den Gefangenen abgehört wurden, sei bereits
barten zuvor ebenfalls, sie würden in vergleichbaren Gegenstand des Verfahrens der Staatsanwaltschaft
Situationen ihre Entscheidungen in gleicher Weise Stuttgart (17 Js 966/77) gewesen.107
treffen. 104 Dazu hat es aber zu keiner Zeit einen Ermittlungsvor-
Wenn damals "nach gründlicher Beratung und gang gegeben. In der Einstellungsverfügung des Gene-
Abwägung" 105die Abhörminister in Staatsnotwehr Ver- ralstaatsanwalts Erwin Schüle, mit der die Ermittlungs-
teidigergespräche abhören ließen, in ihrer Programm- verfahren wegen Verletzung der Vertraulichkeit des
vorschau für den vergleichbaren Wiederholungsfall Wortes eingestellt worden sind, heißt es, die Minister
erneut Abhörmaßnahmen ankündigten, weshalb hät- seien zutreffend davon ausgegangen, daß Gespräche in
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,

der Vollzugsanstalt zwischen einsitzenden Terroristen über einen gewaltsamen Ausbruch aus Stammheim
und ihren Wahlverteidigern abgehört werden durften, erfolgen würde.
weil sich ihre Befugnis aus einer Notstandslage nach §
34 StGB ergeben habe. Hatte nicht bereits der Aus- Ein letztes Schmuggelmotiv ist auch nicht überzeugen-
schußvorsitzende Schieler, konfrontiert mit der Frage, der: Sie hätten zur Suizidabrede Waffen benötigt. Die-
ob die Häftlinge während der Kontaktsperre abgehört ses Ziel konnten sie einfacher erreichen, wenn sie Hun-
wurden, beredt geschwiegen? ger- und Durststreik bedingungslos bis zu ihrem Tod
Dabei wäre es doch gerade für die Staatsanwaltschaft weitergeführt hätten. So war es aber nicht. Sie setzten
ein Pluspunkt, könnte sie mit der Veröffentlichung der den Hungerstreik als letztes verbliebenes Kampfmittel
gefertigten Tonbandabschriften der Geheimdienste gegen die Totalisolation ein, was sich aus Gudrun Enss-
endgültig die letzten Zweifler auf dem Erdball von der lins Erklärung ergibt:
Tatsache der Verabredung der Selbsttötung über- "Wenn diese Bestialität hier, die ja auch nach Schley-
zeugen. ers Tod nicht beendet sein wird, andauert - die Repres-
Strafverfolgung bräuchten die Täter nicht mehr zu salien im sechsten Jahr in der U-Haft und Isolation - und
befürchten, der Verstoß gegen § 201 StGB war nach da geht es um Stunden, Tage, das heißt nicht mal ne
Ablauf von 5 Jahren verjährt. Also warum veröffentli- Woche - dann werden wir, die Gefangenen in Stamm-
chen die Behörden die Tonbandabschriften nicht? Weil heim, Schmidt die Entscheidung aus der Hand nehmen,
die Tonbänder etwas anderes beweisen? indem wir entscheiden, und zwar wie es jetzt noch mög-
lich ist, als Entscheidung über uns ... ,,109
Ebenso hat Irmgard Möller dem baden-württem-
f) Wozu hätten die Häftlinge Waffen gebrauchen bergischen Untersuchungsausschuß erklärt:
können? "Wenn wir von toten Gefangenen sprachen, dann
immer als Folge des Hungerstreiks. Es ist abstrus zu
Die Häftlinge mußten wissen, daß der Besitz einer Waffe behaupten, wir hätten mit Selbstmord gedroht. ,,110
in der geschlossenen Abteilung 1IInur dann einen Sinn Im übrigen haben die Häftlinge ihren Hungerstreik
hatte, wenn mit der Waffe ein gewaltsamer Ausbruchs- gegen die Isolationsfolter immer dann rechtzeitig been-
versuch möglich war. det, wenn sie bemerkten, daß der Staat auf ihren Streik
Angesichts des Festungscharakters und der Hochsi- nicht eingeht und ihren Tod riskiert.
cherheitsmaßnahmen gingen von solchen absurden
Perspektiven nicht einmal die Behörden aus:
"Nur die Unterbrechung jedweder Kommunikation
der Inhaftierten mit den Entführern beugt der Gefahr
vor, daß die Inhaftierten den Entführern im Fall H. M.
Schleyer durch Informationen Hilfe gewähren oder aus
den Vollzugsanstalten heraus auf die Begehung flan-
kierender Terroranschläge hinwirken. ,,108
Die Häftlinge mußten vielmehr davon ausgehen, daß
ihre Freilassung über einen Geiselaustausch und nicht
276 277
r-

6. Die beiden strafrechtlichen Tatverdachts maßgeblichen Umstände


zwar zu ermitteln sind, die notwendige Beweissiche-
nicht vernommenen rung aber ihre Grenze an der Zielsetzung des Vorver-
fahrens findet.
Außendienstbeamten Demnach steht seit dem 18.10.77, 8.58 Uhr fest, daß
die Selbstmordbehauptung der BRD-Regierung und
Immerhin gelang es durch beharrliches Auskunftsersu- sonst nichts zu beweisen ist, ein weiteres Beispiel für
chen mit Hilfe der Staatsanwaltschaft, ein winziges das negative Aufklärungsinteresse der "objektivsten
Geheimdienstzipfelchen zu lüften. Erst nach einem Behörde der Welt" .111
knappen Jahrzehnt werden die Namen der beiden Die jungen Leute, die außerhalb des Anstaltsbereichs
Todesnachtwächter bekannt, die außerhalb des laut gesprochen haben und polizeilich überprüft wor-
Anstaltsgebäudes, aber im Anstaltsbereich Dienst den sind, von denen die Polizei sagt, es sei alles in
taten, und zwar in Sichtweite der Eingangstür des Trep- Ordnung, sind also keine Unbefugten, sondern zur
penaufgangs zum 7. Stock, der immerhin einen unbe- nächtlichen Tätigkeit in der Todesnacht in Stammheim
merkbaren lautlosen Zugang über das Nottreppenhaus außerhalb des Anstaltsbereichs befugt ... etwa wie
zu den Zellen der Häftlinge ermöglicht, wenn die dazu jene, die für ihre Auftraggeber in Celle ein Loch in die
notwendigen Nachschlüssel vorhanden sind. Anstaltsmauer sprengten?
Während nun die Staatsanwaltschaft etwa das Jahre später wird bekannt, daß auf Vermittlung des
gesamte Anstaltspersonal polizeilich vernehmen läßt, BND in Bayern Beamte des Bayerischen Landeskrimi-
sogar solche, die in der fraglichen Nacht überhaupt nalamts dem israelischen Geheimdienst Mossad die
keinen Dienst taten, über 100 Personen immerhin, wer- Gefängnistore in Straubing, München, Landsberg und
den bemerkenswerterweise die wichtigsten Zeugen Amberg öffneten und diese unerkannt einschleusten. 112
nicht vernommen, vielmehr lediglich telefonisch War es vielleicht ebenso in Stammheim?
befragt. Dabei bestätigen sie, daß sie nicht vernommen
worden sind und in der Nacht vom 17./18.10. keinerlei
verdächtige Wahrnehmungen gemacht hätten. Die 7. Hatte der Krisenstab ein
Staatsanwaltschaft gibt sich damit zufrieden, freiwillig
oder unfreiwillig, obwohl einer der Außenposten in der
Todesnacht zwischen zwei und drei Uhr seinem Vorge-
Motiv für die Ermordung
setzten von der Anstalt meldete, daß außerhalb des der Gefangenen?
Anstaltsbereichs Leute wahrzunehmen gewesen seien,
die laut gesprochen hätten. Die vom Vorgesetzten ver- Der Möglichkeit, die Freilassung der Häftlinge über
ständigte Sonderwache der Polizei rief dort später eine oder mehrere Folge-Entführungen zu verwirkli-
zurück und erklärte, es hätte sich um junge Leute chen, mußte aus Sicherheits gründen auch die Bundes-
gehandelt, die überprüft worden wären, es sei alles in regierung nahetreten. Die Schleyer- und Flugzeugent-
Ordnung ... führung nach Mogadischu hatten auf die Politik der
Das Justizministerium findet diese Sachbehandlung Bundesregierung bereits einen solchen großen öffentli-
deswegen in Ordnung, weil alle für die Frage eines chen Druck in Richtung Geiselaustausch ausgeübt, daß

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r

Bundeskanzler Schmidt für den Fall des Scheiterns der Geiseloperation Lösegelder in Höhe von 10 Millionen DM
GSG-9 Aktion in Mogadischu mit dem Gedanken an zur Verfügung zu stellen, so würde sich der Aufwand dieser
Rücktritt spielte. vorgeschlagenen, in der letzlichen Durchführung arabi-
Er mußte also damit rechnen, daß der internationale schen Abwehraktion sicherlich ebenfalls auf einige Millio-
und öffentliche Druck nach einer weiteren Geiselent- nen belaufen ... Als Operationsphase schlage er vor:
führung seine Politik der Stärke zu Fall bringen würde. a) Erfassung der Planungen
Wie aber sollten zukünftig weitere Geiselentführungen b) Eliminierung des europäischen Führungskaders
und Freilassungserpressungen verhindert werden? Was c) Eindringen in den Kern der zuerst genannten Aktionsein-
erscheint tunlich? heit und deren Liquidierung.114
Zu diesem Punkt zeigte der oberste bayerische
Staatsschützer Langemann "Operative Hinweise zum
internationalen Terrorismus" auf; wenige Wochen nach Demzufolge hat in dieser Situation die Bundesregie-
den Todesfällen in Stammheim war der Ex-Geheim- rung ein Motiv, die Häftlinge während der Kontakt-
dienstler Stauffenberg nach Paris gereist, um sich dort sperre zu beseitigen.
mit dem ehemaligen BND-Agenten Simon Mallay mit
dem Decknamen Petrus zu treffen,l13 von wo er fol- Später werden Bundeskanzler Schmidt und Bundesin-
gende Informationen mitbrachte: nenminister Maihofer behaupten, die Häftlinge hätten
ihren Selbstmord als Mord inszeniert.
Detlef zum Winkel weist diese Theorie zurück:
Sein langjähriger Gewährsmann, der früher als Spitzenver- "Die diversen ,Modelle' wurden ja nicht durchge-
bindung im BND tätige DN Petrus, habe ihm mitgeteilt, daß spielt, um der RAF neue Anhänger zu verschaffen, son-
er Kontakte bis in die Führungsgruppe der PFLP des Dr. dern weil man - zurecht - davon ausging, daß Gewalt
Habash habe ... Er ist Herausgeber des bekannten Maga- gegen die Gefangenen eine abschreckende Wirkung
zins "Afrique Asie" ... haben würde. Gerade der letzte Punkt ist es wert, fest-
Nach wie vor gehe die Planung in der gesamten arabisch- gehalten zu werden: Warum sollten sich die Gefange-
europäischen Terrorszene von einer Aktionsgruppe aus, zu nen politischen Nutzen für die RAF versprechen, ihren
der insbesondere Wadi Hadad an prominenter Stelle Selbstmord wie Mord erscheinen zu lassen, wenn die
gehöre, daneben der bekannte Carlos. Das politische Ziel Staatsschutzstrategen einen politischen Nutzen darin
dieser zwar von der PFLP abgesonderten, aber konspirativ sahen, sie umzubringen, wenn es nur zu bewerkstelli-
mit ihr verknüpften Aktionsgruppe sei der bedingungslose gen wäre? Leider ist die Gegenthese nicht so kompli-
Kampf gegen die Israelis einerseits und gegen die als impe- ziert, nicht so widerspruchsvoll, ja nicht einmal
rialistisch angesehenen arabischen Staatswesen auf der exotisch: Daß es sich um einen als Selbstmord darge-
anderen Seite ... In der Bundesrepublik würden die Terror- stellten Mord gehandelt hat ... ,,115
aktionen weitergehen ... Der Führungskader Europa
besteht derzeit aus 8 Personen ... Petrus habe gesagt, daß Bekanntlich mußte Innenstaatssekretär Siegfried Fröh-
sein Verbindungsmann bereit sei, zur Aufklärung und Zer- lich für den Kanzler zum Thema "exotische Vor-
schlagung der gesamten Gruppe beizutragen ... Wenn die schläge" in Klausur mit einem Beamten seines Hauses
Bundesregierung zum Beispiel bereit sei, für eine einzelne und Geheimdienstexperten über "das Undenkbare",

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die Lösung des Terrorproblems nachdenken. Das Über diese Konferenz des Krisenstabes finden sich
Ergebnis dieser Sitzung vom 8. September sind neun weder in den Akten des Todesermittlungsverfahrens
"Modelle" :116 noch in den Unterlagen des baden-württembergischen
Untersuchungsausschusses Hinweise.
Nr.1: Ein "Sonderkommando" wird das Flugzeug mit den Allerdings finden sich Anhaltspunkte dafür, daß die
freigelassenen Häftlingen im Zielland "empfangen". Vorgänge im Krisenstab den Parlamentsorganen und
Nr. 2: Die Freigepreßten in ein "falsches" Flugzeug ein- der Öffentichkeit nicht bekannt werden sollten.
steigen lassen. In der "Doublette" werden sie eingebunkert. Bei einigen Zeugen war die Genehmigung zur Aus-
Ein zweites Flugzeug mit den gedoubelten Häftlingen lan- sage beschränkt. So erstreckten sich die vom Bundesmi-
det am gewünschten Zielort. nister der Justiz erteilten Aussagegenehmigungen für
Nr. 3: Drohung gegenüber Terroristen mit "Repressalien" Staatssekretär Dr. Erkel und Generalbundesanwalt Dr.
auch gegen nahe Angehörige, wenn Schleyer nicht freige- Rebmann nicht auf die Verhandlungen der aus Anlaß
lassen werde. Der Bundespräsident könne dafür gewonnen der Entführung der Lufthansamaschine "Landshut"
werden. gebildeten Beratungs- und Entscheidungsgremien,
Nr. 4: Den Schlupfwinkel der Entführer auffinden, gewalt- soweit diese Vorgänge und Sachverhalte nicht in die
sam eindringen, auch wenn dies für Geisel und Bewacher Dokumentation der Bundesregierung Eingang gefun-
den Tod bedeute. den haben. In gleicher Weise beschränkte die Landes-
Nr. 5: Mitwissern oder Beteiligten aus dem Umfeld wird regierung von Baden-Württemberg die Aussagegeneh-
zumindest Strafmilderung und eine neue Identität angebo- migungen für Ministerpräsident Dr. Filbinger und
ten, wenn sie zur Aussage bereit sind (Kronzeugenlösung). Innenminister Schiess. Auch hier waren die Vorgänge
Nr. 6: Der Bundestag ändert unverzüglich Artikel 102 des im Krisenstab nicht von der Aussagegenehmigung
Grundgesetzes, der lautet: "Die Todesstrafe ist abge- umfaßt, soweit sie nicht von der Dokumentation der
schafft." Statt dessen können nach Grundgesetzänderung Bundesregierung offengelegt sind.ll7
solche Personen erschossen werden, die von Terroristen Die Regierungskrisenstäbe haben dem Journalisten
durch menschenerpresserische Geiselnahme befreit wer- und Rechtsanwalt Gössner zufolge allen Anlaß, sicher-
den sollen. Durch höchstrichterlichen Spruch wird das zustellen, daß ihre staatsschützenden Grenzüberschrei-
Todesurteil gefällt. Keine Rechtsmittel möglich. tungen der Öffentlichkeit und den Parlamentsorganen
Nr. 7: Das vorhergehende Modell wird öffentlich als verborgen bleiben.
Absicht der Bundesregierung oder des Deutschen Bundes- Rolf Gössner schreibt über staatsschützende Grenz-
tages angekündigt. Die Geiselnehmer sollen zum Nachge- überschreitungen:
ben bewegt werden, um das Leben der RAF-Häftlinge nicht "Das Bundeskanzleramt (BuKa)besitzt seit 1975 eine
zu gefährden. ,zentrale Kommando-Brücke', die praktisch alle Berei-
Nr. 8: Für Terroristen wird ein erweitertes Haftrecht che der inneren Sicherheitspolitik über ein geheimes
geschaffen. Sie werden in einem "Internierungslager" fest- und parlamentarisch unkontrolliertes Geflecht ressort-
gehalten. übergreifender Ausschüsse und Stellen koordiniert; das
Nr. 9: In Verbindung mit Nr. 5 erörtert. Persönlichkeiten Lagezentrum, ein technisch perfekt ausgerüstetes
der Sympathisantenszene werden für Appelle und Einfluß- ,Anti-Krisen-Büro', unterstützt auch die ,Großen, Klei-
nahme auf Terroristen gewonnen. nen' und ,Interministeriellen Krisenstäbe', ferner wer-

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den dort aufgrund eines ,Organisationserlasses' die Als weitere Zentralisations- und Koordinationsin-
Geheimdienste VS, BND und MAD über einen ,Beauf- stanz in Sachen Polizei- und Geheimdienste, auch in
tragten für die Nachrichtendienste' zentral koordiniert, ,Normalzeiten', hat sich die ,Ständige Konferenz der
u.a. zur Verbesserung der ,ressortübergreifenden Innenminister des Bundes und der Länder' (Innenmini -
Zusammenarbeit' mit anderen Behörden und Dienst- sterkonferenz = IMK) erwiesen. Obwohl das Gremium
stellen, insbesondere der Polizei. Das ,Programm für die weder in der Verfassung vorgesehen ist noch eine
innere Sicherheit der Bundesrepublik' vom Februar gesetzliche Grundlage aufzuweisen hat, werden in die-
1974 sieht für alle Innenministerien 'die Einrichtung ser Bund-Länder-Einrichtung weitreichende Beschlüs-
funktionsfähiger Lagezentren vor, um als Vorausset- se, insbesondere zur Organisation, Zusammenarbeit
zung für Entscheidungen im Bereich der inneren und Rechtsgestaltung gefaßt, die für die einzelnen Bun-
Sicherheit jederzeit einen Austausch von aktuellen desländer Vorbildcharakter haben. Die Folge ist eine
Informationen und aktuellem Hintergrundwissen zu Vereinheitlichung des bundesdeutschen Auf- und Aus-
gewährleisten .. baus von Polizei und Geheimdiensten nach den
So wurde im BMI zur Bewältigung von Großlagen Gesichtspunkten sicherheitspolitischer Praxis-
und schwerwiegenden Störungen der inneren Sicher- erfordernisse, obwohl Polizeiangelegenheiten prinzi-
heit ein Führungsstab mit ständig besetzter ,Führungs- piell Ländersache sind ...
und Lagezentrale (FLZ)' eingerichtet. ,Besondere Die Krönung aller personellen Grenzüberschreitun-
Lagen', bei deren Vorliegen der Führungsstab in Aktion gen ist im Jahre 1987 zu verzeichnen: Der ehemalige
tritt, können u.a. ,unfriedliche demonstrative Aktionen Vize-Präsident des BKA, Boeden, eingefleischter Poli-
größeren Ausmaßes' sein. Stellt sich eine ,besondere zist von der Pike auf, der im Laufe seiner 42-jährigen
Lage' heraus, so leitet das FLZ ,erste unaufschiebbare Polizeikarriere schon die Sicherungsgruppe Bonn, die
Maßnahmen aus dem Stand heraus' ein und koordiniert Abteilung ,TE' (,Terrorismus') und ,Staatsschutz' gelei-
sie u.a. mit den verschiedenen Fachreferaten des BMI tet hatte, stieg zum Präsidenten des Bundesamtes für
und allen Staatssicherheitsorganen. Bereits am Verfassungsschutz auf ...
21.11.1977 war in der ,Frankfurter Allgemeinen Zei- Nicht zuletzt ist das personelle Ämterhüpfen auch auf
tung' (FAZ) im Zusammenhang mit der Fahndung nach der Agenten- und V-leute-Ebene zu verzeichnen.
den Entführern des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer Nicht nur der legendäre V-Mann und Quasi-Agent
zu lesen: ,Wenige Tage nach der Entführung ... ist die Werner Mauss diente mehreren ,Herren', mitunter
zentrale Einsatzleitung konstituiert worden; sie besteht gleichzeitig; er wechselte mehrfach vom BND zum BKA
dem Vernehmen nach fort. Dabei ist nicht nur das Bun- sowie zu verschiedenen LKA... und auch zum VS.
desamt für Verfassungsschutz, sind auch die entspre- Seine Skrupellosigkeit und seine Fähigkeit zur ver-
chenden Landesämter dem Bundeskriminalamt zuge- deckten Arbeit waren - Trennungsgebot hin oder her-
ordnet worden. Zwar soll in dem Kabinetts-Beschluß in allen Ämtern und Diensten gefragt ... "118
nicht direkt von einer Unterstellung dieser Behörden
unter das Bundeskriminalamt die Rede sein, aber doch Der Physiker Detlef zum Winkel merkt dazu an:
faktisch von einer Zuordnung, die einer Unterstellung "Jahre später wird bekannt, daß die deutsche Indu-
ähnlich sieht, wobei der Gedanke an Weisungen ... strie - angeblich nach 1977 - dem BND Großspenden
nicht ganz abwegig zu sein scheint.' gewährte. Mit diesen Mitteln bezahlte der Geheim-

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dienst den Privatdetektiv und V-Mann Werner Mauss vernommen, erklärte Mauss, die "Aktion Neuland"
für Spezialaufträge beim Kampf gegen den Terroris- (geplante Einschleusung von Kriminellen als V-Leute in
mus. Die Operation hatte den Segen des Maihofer- die Terrorszene in den Jahren 1977/78) sei keine Aktion
Nachfolgers Baum, der immer noch als liberales Gewis- des niedersächsischen Verfassungsschutzes, sondern
sen der Bonner Herrenlandschaft auftritt. Der FDP-Poli- des BKA gewesen.123
tiker rechtfertigte sich mit der sachbezogenen Aussage, Der damalige Chef der "Anti-Terror"-Abteilung des
von Mauss sei nicht bekannt gewesen, daß er Leute BKA und heutige Präsident des Bundesamtes für Ver-
umbringt oder sowas. Das kann zweierlei bedeuten: fassungsschutz, Gerhard Boeden, bestritt dies zunächst,
,Der war's nicht', oder ,Damals wußte ich noch nicht, doch wenige Tage später bestätigte ein BKA-Experte
daß der es war' ... ,,119 überraschend die Version von Mauss.124
Hatte nicht bereits Ex-BKA-Direktor Kollmar damals
Da die Bundesregierung bereits wiederholt in Staats- dem höchsten bayerischen Staatsschützer und Ex-
notwehr handelnd vom § 34 StGB Gebrauch gemacht BND-Mann Langemann vorgeschlagen, eine terroristi-
hat120 und die "Krisenstäbe" von dieser pauschalen sche Vereinigung zu gründen, gerade weil Schwierig-
Exekutivermächtigung partizipieren, kann es nicht keiten bei der Einschleusung von Agenten in Terrori-
mehr überraschen, wenn die herrschende Meinung es stengruppen bestehen? 125
im Staatsnotwehrfall für erlaubt hält, auch seine eige- Diese verdeckte Operation galt dem damals in der
nen Ermittlungsorgane zu täuschen. So sei die Spren- Justizvollzugsanstalt inhaftierten Sigurd Debus, der
gung der Celler Gefängnismauer durch den Verfas- nicht RAF-Mitglied war. Die gegen ihn getroffenen
sungsschutz "ein rechtlich nicht zu beanstandender Totalisolationsmaßnahmen werden mit RAF-Befrei-
Realakt. ,,121 ungsplänen und der Sprengung der Celler Gefängnis-
mauer begründet.
Die Vermutung liegt nahe, daß es eine staatlich Sigurd Debus starb nach Teilnahme am Hungerstreik
geschützte Dunkelzone gibt, aus der parlamentarisch der RAF-Gefangenen für die Zusammenlegung unter
unkontrolliert die Geheimdienste ihre Aktivitäten ent- mysteriösen Umständen 1981 nach einer Zwangsernäh-
falten. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: rung in Hamburg.
Bei der Sprengung der Celler Gefängnismauer in der
Nacht vom 25. Juli 1978 wirkten Beamte des nieder- Vor dem niedersächsischen Untersuchungsausschuß
sächsischen Verfassungsschutzes und Spezialisten der zum Celler Bombenanschlag wurde auch bekannt, daß
"Antiterror"-Spezialeinheit GSG 9 in einer gemeinsa- der Verfassungsschutz Entführungsaktionen regelrecht
men "Aktion Feuerzauber" mit, deren Ziel "Operation bestellt:
Neuland" die" Schaffung brauchbarer Zugänge zu Ter- Antonio Cubillo, Führer der Befreiungsbewegung der
roristenkreisen" war. Mit der Sprengung sollte ein" ter- Kanarischen Inseln, bekundet als Zeuge der V-Mann
roristischer" Versuch zur Befreiung eines der RAF Je1co Susak, Beauftragter des Werner Mauss, habe ihm
zugerechneten Häftlings vorgetäuscht werden, um sich zur Jahreswende 1977/78 angeboten, wohlhabende
durch diese vertrauensschaffende Maßnahme in Terro- BRD-Bürger auf den Kanarischen Inseln zu entführen,
ristenkreise einzuschleusen. 122 um Geld für die MP AIAC zu erpressen. Tatsächlich
Vor dem niedersächsischen Untersuchungsausschuß seien später gefälschte Erpresserbriefe gegen Firmen

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r
auf den Kanarischen Inseln aufgetaucht, um die schutzes tätig war. Otte und anderen waren zahlreiche
MPAIAC zu verleumden. Bombenanschläge auf Justizgebäude vorgeworfen
Wenige Tage vor seiner Abreise zur UNO, um dort worden. 129
auszusagen, wird Cubillo bei einem Attentat in Algier
durch Messerstiche lebensgefährlich verletzt ... Als Im Frühjahr 1982 kommt im Fememord in Lübeck
Täter werden zwei Spanier gefaßt und abgeurteilt. Als gegen die ANS-Bande ans Licht, daß ein Geheimdienst-
Auftraggeber für die Tat benennen sie einen V-Mann agent beim Verfassungsschutz im Sold stand und die
des spanischen Geheimdienstes ... , der wiederum im Ermordung des Bandenmitglieds Bügner befohlen
Bericht der niedersächsischen Landesregierung bei der hat. 130
Aufklärung des Celler Bombenanschlags mit Deckna-
men genannt ist. Im Herbst 1982 begehrt die italienische Justiz vergeb-
Dieser Mann soll dem V-Mann Susak bei dessen Ein- lich die Auslieferung des Agenten Fiebelkorn, den sie
schleusung nach Algerien und bei der Kontaktherstel- der Tatbeteiligung am Mailänder Bombenanschlag
lung zu Cubillo geholfen haben ... 126 beschuldigt. Nach Informationen der "Fankfurter
Rundschau" ist Fiebelkorn V-Mann des BKAund wird
Im Jahre 1979 öffneten Beamte des Bayerischen Lan- auf freien Fuß gesetzt.131
deskriminalamts dem israelischen Geheimdienst Mos-
sad die Gefängnistore in Straubing, München, Lands- Im Juni 1974 wird in Westberlin Schmücker ermordet.
berg und Amberg. Sie zeigten ihre Dienstausweise und Der Westberliner Verfassungsschutz hat unmittelbar
schleusten die Mossad-Agenten unerkannt ein. Zweck nach der Mordtat an seinem Informanten Schmücker -
des Besuches waren Verhöre von dort einsitzenden so "Der Spiegel" - das wichtigste Beweisstück, die
palästinensischen Häftlingen.127 gerade abgekühlte Tatwaffe, von seinem Zuträger
Könnte es sein, daß Mossad-Agenten auch in der übernommen, beiseite geschafft und bis jetzt den
Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim waren? Gerichten unterschlagen.132

Bekannt geworden ist ferner der Fall des Verfassungs- Diese Aufzählung von Verstrickungen der Geheim-
schutzagenten Peter Urbach, der im Auftrag des West- dienste in Straftaten ist notwendigerweise unvollstän-
berliner Landesamtes für Verfassungsschutz Ende der dig. Sie zeigt aber, daß Geheimdienstaktivitäten als
sechzig er Jahre und Anfang der siebziger Jahre Bom- "Anti-Subversion ,,133 gegen politische Gegner der
ben aus dem Arsenal seines Amtes an terroristische Regierung im außerparlamentarischen Raum entfaltet
Gruppen verteilte und bei Aktionen Schmiere stand. werden: in einer staatlich geschützten Dunkelzone.
Darüber hinaus verkaufte er Waffen an die RAF,die sich
seinerzeit gerade formierte.128 Seit Jahren darf Generalbundesanwalt Rebmann
mündlich wie gedruckt behaupten, der Hungerstreik
Im Herbst 1980 stellte sich im Verlauf eines Strafverfah- der politischen Gefangenen und die Aktionen draußen
rens vor dem Oberlandesgericht Celle gegen den Nazi- im Lande seien strategisch zwischen drinnen und drau-
Gauleiter Otte heraus, daß Sprengstoffbeschaffer Lep- ßen abgesprochen.
zien als Agent des niedersächsischen Verfassungs- Sobald sich Angehörige oder Bürger für humane

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Haftbedingungen der Häftlinge einsetzen, können sie landesgericht Stuttgart bestellten medizinischen Sach-
sich wegen Werbung für eine terroristische Vereini- verständigengutachten im 7. Stock in der Vollzugsan-
gung strafbar machen.134 Diese absurde Konstruktion stalt eine Gefangenengruppe von 10-15 Personen
wird zur Strafverfolgung gegen Mißliebige eingesetzt. zusammengelegt würde. War das unerfüllbar?
Kommen die Praktiken der Isolationsfolter einmal an Warum nahm Generalbundesanwalt Rebmann die
die Öffentlichkeit, wird endlich die Forderung nach Zusage, die er als Ministerialdirigent für die baden-
Humanisierung der Haftbedingungen für die Häftlinge württembergische Landesregierung gegeben hatte, zu-
-, damit verbunden, geschehen, um das zu verhindern, rück?
merkwürdige Dinge: Durch die folgenden Verlegungen wurde die Gruppe
Während der öffentlichen Auseinandersetzung um in Stammheim um die Hälfte verkleinert und die Häft-
die Haftbedingungen kolportieren der CIA naheste- linge wieder voneinander totalisoliert. Für den größten
hende Medien, die RAF habe einen Anschlag auf ein Teil der Häftlinge galt: ihre Anwälte sind entweder aus-
Kaufhaus verübt, obwohl der Täter ein Faschist ist. Oder geschlossen oder kriminalisiert. Wenn die Gefangenen
es wird wider besseres Wissen unterstellt, die RAF wolle überhaupt noch Verteidiger finden, werden Telefonate
das Trinkwasser einer Großstadt vergiften, auch der mit ihnen grundsätzlich abgelehnt. Verteidigerpost ist
Bombenanschlag in Hamburgs Hauptbahnhof sei der bis zu einem Monat unterwegs, seit sie richterlich kon-
RAF zuzurechnen. trolliert wird; bei fast allen Häftlingen werden Besuchs-
Als in Stammheim selbst die vom Gericht bestellten anträge abgelehnt, soweit sie nicht von Verwandten
Ordnungsverteidiger drauf und dran waren, wegen der sind, Zeitungen, Bücher, werden angehalten.
Abhöraffäre am Sinn ihres weiteren Verbleibens auf In diesem sozialen Vakuum - das Rebmann und Ben-
den Verteidigerbänken des Mehrzweckgebäudes zu der human nennen - verweigern die Häftlinge die Nah-
zweifeln - ihr Auszug hätte den Prozeß zum Platzen rungsaufnahme.
gebracht -, wurde auf das Haus des Präsidenten der Das ist die Situation "im besten demokratischen
Rechtsanwaltskammer in Frankfurt a. M. ein Spreng- Staat, der bisher je in der deutschen Geschichte bestan-
stoffanschlag verübt, den die bekannten Medien den den hat", so Bundeskanzler Schmidtl35 im Bundestag.
Häftlingen zurechneten. Daraufhin schlug in Stamm- Die Situation ist so, als würden alle aus der staatlich
heim bei den verbliebenen Verteidigern die Stimmung geschützten Dunkelzone an einem Strick ziehen: Eine
wieder in die gewünschte Richtung um. Medienkampagne gegen die Häftlinge löst die andere
ab, die provozierte Schlägerei im 7. Stock, die folgende
Noch im Sommer 1977 bestand die Chance, den Kon- Totalisolation, der Meinungshandel über die Zwangs-
flikt mit den Stammheimer Häftlingen politisch zu ernährung, das den Häftlingen zugeschriebene Bom-
lösen. benattentat gegen das Stuttgarter Büro der Wahlvertei-
Hatten sie etwa Unmögliches begehrt? diger Müller und Newerla im August.
Sie verlangten von der Bundesregierung nicht ihre CIA-Agent Watson kabelt über diese Situation ins
Freilassung, vielmehr bestanden sie konsequent auf der State Departement:
von der baden-württembergischen Landesregierung "Die Anklagevertretung im Baader-Meinhof Prozeß
gegebenen Zusage, daß ihre Isolationshaftbedingun- beendet am 14. April die Zeugenvernehmung und for-
gen beendet würden und entsprechend dem vom Ober- dert lebenslängliche Haftstrafen für die Angeklagten

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Baader, Ensslin und Raspe wegen Mordes und versuch-
ten Mordes. Wahlverteidiger und Angeklagte waren
nicht anwesend und haben das Gericht auch nicht mehr
betreten, seit das ,Abhören' der Stammheimer Häft-
linge bekannt wurde. Plädoyers der Verteidiger sind für
den 14. April geplant. Die Angeklagten sind scheinbar
immer noch im Hungerstreik.
Der für Gudrun Ensslin vom Gericht bestellte Vertei-
diger Künzel bat um seine Entlassung vom weiteren
Verfahren, da er der Meinung ist, daß der Abhörfall in
Stammheim nicht angemessen untersucht wurde ... "136

War es nicht Generalbundesanwalt Rebmann gewesen,


der sich öffentlich für eine Endlösung eingesetzt hatte,
indem er verlangte, man solle diese Leute hart anfassen.
Auf die Journalistenfrage, was wäre, wenn ein Gefan-
gener stirbt, antwortete er, das sei immer eine schlechte
Sache, aber es wäre die Konsequenz. 137
In diesem von der Bundesregierung aufgeheizten
politischen Klima des Hasses werden die letzten im
Stuttgarter Büro tätigen Rechtsanwälte kriminalisiert.
Das politisch-ideologische Feindbild, die Stammheimer
Häftlinge als gemeine Kriminelle, beginnt sich in dem
bekannten manipulierbaren Teil der BRD-Bevölkerung
zu verfestigen. Die gewünschte Konfrontation erfährt
ihre Zuspitzung. Der "Spiegel" schreibt später: "Alle
verschärften Haftbedingungen haben noch keinen Ter-
roristen von seiner kämpferischen Zielsetzung abge-
bracht. Im Gegenteil, sie haben seiner Feindschaft
gegenüber dem Staat neue Nahrung gegeben ... " 138
Als in diesem künstlich erzeugten Spannungsklima
um den möglichen Tod der hungerstreikenden Häft-
linge das Kommando "siegfried hausner" Schleyer ent-
führt, um die Freilassung der Häftlinge von außen
durchzusetzen, teilt der Bundeskanzler die BRD-Bevöl-
kerung in zwei einfache Kategorien: in kriminelle Sym-
pathisanten und in Hilfssheriffs.139 Das Verhängnis
kann seinen Lauf nehmen.

••..........
292

--_J._. _
r-

TEIL V

WIE ES GEWESEN SEIN


KÖNNTE

ODER

HAT DER RECHTSSTAAT


FUNKTIONIERT?

11.....- ••
,
In Anbetracht aller Umstände kann nicht mehr aus- Vom Krisenstab wird jetzt die Killertruppe kriegsmä-
schließlich davon ausgegangen werden, daß die Häft- ßig an den "terroristischen Feind" herangeführt. Ohne
linge Selbstmord begangen haben. Sie könnten viel- Verzögerung wird die Truppe in den Nachbarzellen der
mehr nach allen vorliegenden Beweisen und Indizien Häftlinge untergebracht. Dort bezieht sie Aufklärungs-
auch Opfer eines heimtückischen Geheimdienstatten- position. Der BND-Mann kommandiert einen in Baa-
tats geworden sein. Dabei könnten sich die Ereignisse ders Nachbarzelle 718, einen in Raspes Nachbarzelle
auf folgende Weise zugetragen haben: 715, einen in Ensslins Nachbarzelle 721 und den letzten
in die Nachbarzelle Möllers, 726.
Der Krisenstab signalisiert sein Einverständnis, daß die Den Meldeweg zur Gruppe stellt er durch ein Kabel
"terroristischen Gewalttäter", deren Freilassung die von Baaders Nachbarzelle 718 bis zu seinem Meldekopf
Entführer der Lufthansa-Maschine "Landshut" erzwin- in Zelle 712 her.
gen wollen, beseitigt werden. Nach reiflicher Überle- Tatsächlich wird später ein Kabelreststück von 718 in
gung kann nur die Liquidierung der "Rädelsführer" die Richtung 712 aufgefunden, immerhin 6 m lang im Flur!.
Bundesrepublik Deutschland vor noch schlimmeren Für die Nachrichtenverbindung der Gruppe ist vorge-
Entführungsaktionen bewahren. sorgt. Sie kann untereinander über das Anstaltsnetz
kommunizieren. Tatsächlich stellt die OPD Stuttgart in
Stunden vor dem Tod der Häftlinge gelangt das Exeku- ihrem Gutachten fest:
tionskommando des israelischen Geheimdienstes Mos- "Erkennbar manipuliert worden war in den Hauptdo-
sad in den 7. Stock. sen der Zellen 718 bis 720 sowie in den Dosen der Zellen
Tatsächlich beobachtet auch ein Häftling, daß zwi- 715,716,721 und 725.
schen 3 und 4 Uhr nachts drei große Mercedes PKWsin Die Anlage war in ihrem ursprünglichen, bauseitigen
den Innenhof der Anstalt fahren. Wegen des starken Zustand für die Kommunikation zwischen den Zellen
Nebels kann er nicht erkennen, wie sich mehrere Perso- grundsätzlich brauchbar. ,,2
nen in Richtung Zellenbau I begeben. Eine von ihnen In Zelle 718 werden tatsächlich später 1 Lautsprecher
öffnet mit einem Nachschlüssel des BND die Erdge- mit auf ca. 8 m verlängertem Anschlußkabel und 3
schoßtür zum Nottreppenhaus, das direkt in den 7. Monozellen gefunden.3 Ferner findet die Kripo noch ein
Stock führt. Von dort gelangen sie unbemerkt bis zur wassergefülltes Glasgefäß.4
Feuertür zum Hochsicherheitstrakt (Abt. III), wo sie In Zelle 721 findet die Kripo später folgendes:
ebenfalls mit Nachschlüsseln das Haupt- und das " ... Wolldecke hängt noch am rechten Teil des Fen-
Zusatz schloß öffnen. Der bereits in Zelle 712 stationierte sters an einem Nagel ... Schriftstücke, die hier im Raum
BND-Agent hat vorsorglich die "Telemat" -Anlage verstreut sind ... , untersucht das LKA... KHM Donau-
durch das Einschieben einer Leiterplatte manipuliert, bauer hat in dieser Zelle. " sämtliche elektronischen
was auf den Überwachungsmonitoren im 7. Stock und Teile eingesammelt, die teilweise in Plastikbehältnis-
bei der Torwache ein Standbild vom Umschlußraum vor sen oder wahllos auf dem Fußboden lagen ...
den Häftlingszellen erzeugt. Das kann er ungehindert Diese Plastiktüte (mit elektronischen Bauteilen - der
tun, denn Verbindungstüren zwischen Aufsichtsraum Verf.) wird der Sachverständige der Bundespost zur
und der Glaskabine im Treppenhaus werden auch zur Begutachtung erhalten ... In dem Raum befinden
Nachtzeit nicht abgeschlossen. sich ... eine Kiste mit Kleidungsstücken, ein Stuhl, zwei
296 297
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I

Obstkisten und eine Matratze, um die eine braune Bezeichnenderweise findet die Kripo auch in Raspes
Decke gewickelt ist. .. ,,5 Zelle im Waffenversteck - das im Aufbau und in Größe
Die Ergebnisse der kriminal-technischen Untersu- dem in Zelle 715 entsprach - ZellstoffY
chungen bleiben bis heute unter Verschluß. Es ist der gleiche Zellstoff, derselbe Täterkreis, der
In der Zelle 715 werden später "Seifenreste" ge- die beiden Waffenverstecke angelegt hat.
funden.6 Die gesicherten und asservierten Spuren aus den
In der Zelle 726 findet die Kripo in einer Plastiktüte Nachbarzellen der Häftlinge werden niemals unter-
verschiedene kleine bearbeitete Blechstücke. Sie findet sucht. Noch im November 1977 ordnet Generalbundes-
weiter eine "grün-weiß-gestreifte Matratze, die überzo- anwalt Rebmann den Abbruch der Zellen im Sicher-
gen ist. ,,7 heitsbereich an, weil sich dort angeblich "noch Spreng-
Die Ergebnisse der angekündigten weiteren krimi- mittel und eine Schußwaffe befinden sollen." 12 Durch
nal-technischen Untersuchungen sind bis heute nicht diese Maßnahmen werden alle Spuren beseitigt.
bekannt.
Inzwischen hat die Killertruppe die Funktionsfähig- Der Killer in Zelle 721 bringt gegen die Nachbarzelle
keit der Nachrichtenverbindung untereinander und mit 720, in der Gudrun Ensslin ist, seine elektronischen -
dem BND-Mann in der Zelle 712 getestet. optischen und akustischen - Überwachungsgeräte in
Dieser begibt sich wieder zur "Telemat" -Anlage, ent- Position. Tatsächlich werden später von der Kripo an
fernt die Leiterplatte, um nunmehr wieder ein tatsächli- den Häftlingszellen Wanzen und zur Steckdose füh-
ches Überwachungsbild auf den Monitoren im 7. Stock rende Schwachstromkabel vorgefunden.13 Der BND-
und an der Torwache herzustellen. Mann hat die Stellen, durch die der Miniaturkopf der
In seiner Zelle wird die Kripo später wirklich auch Video- Restlichtkamera durch die millimeterdünne Boh-
dieses finden: " ... roter Magnet und ein schwarzes, rung zu führen ist, bereits gekennzeichnet und präpa-
kunststoffüberzogenes Metallplättchen. "8 riert.
In der Hektik mag das der BND-Mann vergessen Auch erleichtert das Vorhandensein des mit durchge-
haben. henden Schrauben von außen festgemachten Spiegels
In der BND-Zelle, die mit elektronischen Geräten über Gudrun Ensslins Waschbecken die Überwa-
vollgestopft ist, findet die Kripo später zahlreiche Kabel- chungsarbeit. Mit wenigen Handgriffen entfernt er die
teile, 4 tragbare Monitore, 4 Batteriestangen mit 12 Abdeckung und kann wie durch ein Glasfenster ins
Monozellen und weitere elektronische Geräte. Zelleninnere der Gefangenen sehen, ohne von ihr
Die 4 tragbaren Monitore werden vom BKAsicherge- bemerkt zu werden.
stellt, die Kripo kündigt auch einen ausführlichen Der Umstand, daß sie vor diesen Spiegel einen Sicht-
Untersuchungsbericht an, der nie eintrifft.9 schutz geschoben hat, nutzt ihr nichts, denn die Mini-
Die BND-Zelle 712 ist fernmeldetechnisch so ausge- Kamera ist so plaziert, daß kein toter Winkel bei der
legt, daß sie Bild- und Funkkontakt zum Krisenstab hält. Bildübertragung entsteht.
In der BND-Zelle 712 wird die Kripo weiter fündig: Bei den anderen Häftlingen funktioniert es ähnlich.
"Ungefähr in der Mitte des Bettes liegen Zellstoff und Es gibt keine Schwierigkeiten. Der BND-Mann emp-
zwei Holzstücke ... darauf nochmals ein Teppich der fängt noch am frühen Morgen in einwandfreier Ton-
VZA ... darauf wieder etwas Zellstoff ... ,,10 und Bildqualität aus den 4 Häftlingszellen auf 4 Monito-

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........- ,.....-

ren das gewünschte Programm. Dieses Programm über- das Fahrzeug eine gewisse Wegstrecke einen Bogen
trägt er verschlüsselt über eine Ton- und Bildbrücke ins und kehrt zum Standort am alten Wasserturm zurück.
Videozentrum des Krisenstabs, wo man entschlüsselt Jetzt blinkt der Scheinwerfer nochmal kurz auf, und das
erstklassige Funkbilder mit Originalton sehen kann. Fahrzeug fährt weg.14
Vom Umschlußraum gelangen auf gleiche Weise Das ist das verabredete Einsatzsignal für die Killer-
Funkbilder ins Videozentrum des Krisenstabs. truppe. Der BND-Mann manipuliert die "Telemat"-
Als sich der Mann vom Bundeskanzleramt, Hegelau, Anlage erneut, um im 7. Stock und bei der Torwache das
Stunden vor dem Tod der Häftlinge, von Oberverwalter bekannte Standbild zu erzeugen.
Bubeck erläutern läßt, welche Zurufmöglichkeiten die Er führt die zu "Terroristenwaffen " manipulierten
Häftlinge haben, ergibt das keinen Sinn. Das hätte er FEG und HK 4 mit sich, beide mit Schalldämpfern verse-
durch fernmündliche Auskunft erfragen können. hen, außerdem Strangkabel und Handschuhe.
Plausibel hingegen erscheint es, wenn er sich beim Jetzt schließt er die Killerzellen auf, übergibt die prä-
BND-Mann im 7. Stock nach ungestörten und gesicher- parierten Waffen, Strangkabel, Taschenlampen,
ten Nachrichtenverbindungen für die Killertruppe Anstaltsdecken und einen Spieltischfilz.
erkundigt hätte. Solche Gesprächsinhalte sind aber für
fernmündliche Auskünfte ungeeignet. Die Killertruppe nähert sich der Zelle Andreas Baaders.
Vor der Zellentür 719 wird das Kontaktsperrepolster
Die Zeit bis zu ihrem Einsatz verbringen die Killerin den entfernt und die Zellentür mit Nachschlüsseln geöffnet.
Einzelzellen. Staatsminister Wischnewski holt sich um Blitzschnell dringt die Truppe ein, der BND-Mann
23.50 Uhr MEZ von Bundeskanzler Schmidt das letzte schließt von außen die Zellentür und bringt das Kon-
Okay. Der Einsatzbefehl erreicht ohne Verzögerung taktsperrepolster an, das jetzt als" Schallmauer" dient.
kurz vor Mitternacht über einen US-Nachrichtensatelli- Im Innern der Zelle sieht die Gruppe im Schein der
ten den Krisenstab in Bonn. Taschenlampen Andreas Baader, durch die Wirkung
Weitab in Stammheim ist das Kommando vorbereitet der verabreichten bewußtseinseintrübenden Spritzen
und wartet auf den Einsatzbefehl, der aus Gründen der und Medikamente beeinflußt, benommen neben der
Abschirmung verschlüsselt und außerhalb nachmeßba- Schamwand in Türnähe auf dem Zellenboden sitzen.
rer Funkwellen eintrifft: Ehe er sich umsehen kann, ist er umringt. Zwei der
Eine ambulante GSG9-Funkstelle empfängt eben- Eindringlinge ziehen seine Arme nach hinten und hal-
falls den Funkspruch über US-Satellit und gibt, getarnt ten ihn fest. Er hat nicht mehr die Kraft, den Kopf zu
als Kraftfahrzeug, wenige hundert Meter von der Voll- heben. Seine Abwehrbewegungen sind schwach. Ein
zugsanstalt entfernt in Richtung der Zellen 718 und 715 Dritter preßt ihm blitzschnell den Schalldämpfer der
(Mossad-Zellen) und 712 (BND-Zelle) durch Lichtzei- FEG präzise und geübt in der Nackenmitte auf und
chen das verabredete Einsatzsignal. drückt ab. Der Schuß durchdringt seinen Schädel und
Tatsächlich beobachtet der Häftling Christi an K. von prallt an der gegenüberliegenden Zellenwand ab.
seinem Zellenfenster aus, was sich kurz vor Mitternacht Andreas Baader rutscht tot auf den Zellenboden.
am alten Wasserturm, am Ortsrand von Kornwestheim, Wegen des Schalldämpfers hört niemand außerhalb der
abspielt: Ein Lichtschein, gesteuert von Autoscheinwer- Zelle den Schuß. Der Täter gibt noch zwei Schüsse in
fern, geht an und aus, etwa 2 Minuten lang. Dann fährt der Zelle ab, entfernt den Schalldämpfer von der Pistole

300 301

~ ------------~---------------_ ....
r r
und nimmt ihn an sich. Die Pistole legt er neben den werden wird. Schreien kann sie nicht, denn das Kabel
Toten. ist dafür zu eng gezogen. Als sie das Bewußtsein ver-
Einer der Eindringlinge signalisiert dem BND-Mann liert, hängen die Täter die Gefangene mit dem Strang-
nach draußen, daß die Zellentür wieder geöffnet wer- kabel am Gitter ihres Zellenfensters auf. Zu diesem
den kann. Dies geschieht, und die Täter, die Hand- Zeitpunkt können die Täter nicht wissen, ob die Gefan-
schuhe tragen, bringen jetzt über den Zellenfenstern gene noch lebt oder bereits tot ist.
den Spieltischfilz an, um zu vereiteln, daß ein Licht- Die Mikrospuren von den Erhängungsfurchen am
schein nach draußen dringt. Hals der Gefangenen werden deshalb später nur sicher-
Jetzt beginnen die Täter in Ruhe mit der Präparierung gestellt, aber nicht untersucht. So unterbleibt der Be-
der Zelle. Dem toten Andreas Baader schneiden sie den weis, daß die Gefangene sich nicht selbst erhängt hat,
Haarschopf ab. Die Haarreste spülen sie später im WC sondern durch fremde Hand erdrosselt wurde. Auch das
weg. sichergestellte Hängekabel wird nicht daraufhin unter-
Wirklich hört der Häftling w., der unter der Zelle sucht, ob es überhaupt von den Lautsprecherboxen
Baaders ist, wie gegen 2 Uhr und 2.30 Uhr in der dar- stammt oder ob es von den Tätern mitgebracht wurde.
überliegenden Zelle zwei bis dreimal die Wasserspü- Während die Täter die Zelle präparieren, befestigen
lung betätigt wird.15 Die ermittelnde Kripo wird auch sie über den Zellenfenstern Anstaltsdecken, damit kein
tatsächlich unter Spur Nr. 17 "abgeschnittene Haare Lichtschein nach außen dringt. An die am Zellengitter
aus der WC-Schüssel" 16 sichern. hängende Gefangene schieben sie einen Stuhl heran.
Als der BND-Mann die Zellentüre wieder verschließt Vom intakten Kabel der Lautsprecherboxen schneiden
und das Kontaktsperrepolster wieder anbringt, treibt er sie ein langes Stück ab und nehmen es mit.
die Killertruppe zur Eile. Sodann verlassen sie die Zelle und bringen das Kon-
Später werden an der aufgefundenen Pistole keiner- taktsperrepolster wieder an.
lei Fingerabdrücke gefunden. An den Händen Baaders
findet sich begreiflicherweise auch kein Pulver- Das Exekutionskommando nimmt sich nun Raspe vor.
schmauch. Der Schalldämpfer ist nicht in seiner Zelle. Die manipulierte Pistole "Heckler & Koch" (HK 4), die
Dies sind sichere Zeichen dafür, daß Andreas Baader es mit vier austauschbaren Läufen verschiedenen Kali-
durch fremde und nicht durch eigene Hand erschossen bers gibt, stammt aus der Asservatenkammer des BND.
worden ist. Eine solche Waffe - ohne den 9-Millimeter-Lauf - hatte
nach BKA-Ermittlungen der als Terrorist verdächtigte
Das Exekutionskommando begibt sich jetzt in die Christian Klar im Oktober 1976 im italienischen Aosta
gegenüberliegende Zelle 720 von Gudrun Ensslin. Die gekauft. Das weiß auch der BND.
Gefangene denkt, sie werde zum Austausch mit den Ein einzelnes Neun-Millimeter-Rohr - das weiß das
entführten Flugzeugpassagieren und dem entführten BKA - war vermutlich durch ein Mitglied der Haag-
Schleyer abgeholt. Sie ist reisefertig. Plötzlich wird ein Mayer-Gruppe in Basel erworben worden.
Kabel um ihren Hals geschlungen und zugezogen. Durch die bekannte Manipulation trimmt der BND
Jetzt beginnt sie, sich zu wehren. Ihre Gegenwehr ist diese Waffe zur "Terroristenwaffe" . Auf dem Neun-
so heftig, daß überall an ihrem Körper Verletzungen Millimeter-Rohr wird jetzt ein Schalldämpfer ange-
entstehen, was später bei der Obduktion festgestellt bracht.

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--
Das Kommando geht mit dem BND-Mann vor Raspes Tatsächlich wird bei Jan-Carl Raspe die Waffe später
Zelle in Stellung. Es ist kurz nach 5 Uhr früh, als Raspes weder Fingerabdrücke aufweisen noch werden sich
Kontaktsperrepolster entfernt, die Essensklappe aufge- Schmauchspuren an seinen Händen befinden. Auch
rissen wird und einer der Täter durch die Klappe auf den wird kein Schalldämpfer gefunden. Dies sind - wie bei
auf dem Bett sitzenden Raspe zwei präparierte Gift- Baader - sichere Anzeichen für Tötung von fremder
pfeile aus dem "Nondiscernible Microbioinoculator" Hand. Daß die Waffe in seiner Hand liegt, beweist die
abschießt, die keine Spuren im Körper hinterlassen und Tatbeteiligung Dritter.
das Opfer sofort für 5 oder 10 Minuten in Tiefschlaf
versetzen. Jetzt dringen die Täter in die Zelle der schlafenden
Dies ist - im Gegensatz zu dem durch Spritzen und Irmgard Möller ein. Einer der Täter versetzt ihr mit dem
Medikamente bewußtseins getrübten Andreas Baader- Messer 6 Stiche, davon 4 in der Herzgegend. Als sie sich
bei Raspe notwendig, weil sich dieser noch in verteidi- mit unkontrollierten Bewegungen wehrt, zieht sie sich
gungsfähigem Zustand befindet und deshalb die an den Handgelenken Schnittverletzungen zu.
Gefahr bestehen würde, daß bei einer heftigen Gegen- Die Kripo in ihrem Untersuchungsbericht:
wehr der erste Schuß mit der HK 4 nicht richtig trifft. "Der Pulli ist so zerschnitten, daß seine ursprüngliche
Dann aber wäre ein Nachschuß erforderlich, der einen Form nicht mehr brauchbar rekonstruiert werden kann.
sicheren und objektiven Beweis für die Tötung von An den vorhandenen Resten ist zu erkennen, daß der
fremder Hand erbringen würde. Sicherheitshalber Pulli großflächig mit Blut durchtränkt ist. ,,18
mußte deshalb Jan-Carl Raspe vor dem ersten Schuß
betäubt werden. Der erste Schuß muß sitzen. Der BND-Mann drängt die Killertruppe erneut zur Eile.
Tatsächlich findet auch die Kripo später in Raspes Nachdem sie die Zelle Irmgard Möllers verlassen
schwarzem Oberhemd links von der Knopfleiste "ein 7 haben, verschließt er die Zellentür und bringt das Kon-
mm großes Loch" und an der Knopfleiste selbst einen" 2 taktsperrepolster wieder an.
cm langen querverlaufenden Einstich" ,was im Kleider-
untersuchungsbericht näher erläutert ist. 17 Noch am Vormittag verschwinden die Täter unbehel-
Als Raspe zusammensinkt, dringen die Täter in die ligt, den entstandenen Trubel der Ereignisse nutzend,
Zelle ein. Einer von ihnen springt mit der schallge- inmitten einer Gruppe von Sanitätern und Kriminalbe-
dämpften HK 4 über Raspes Liege und schießt Raspe mit amten, vom Anstaltsgelände.
aufgepreßter Waffe in die rechte Schläfe. Der Häftling Der BND-Mann hatte unterdessen die Leiterplatte
sinkt, an die Seitenwand gelehnt, zusammen. aus der "Telemat"-Anlage entfernt. Im 7. Stock und an
Dann legt der Täter die Todeswaffe ohne Schall- der Torwache zeigte sich auf den überwachungsmoni-
dämpfer in die halbgeöffnete rechte Hand des Opfers, toren das gewohnte und tatsächliche Bild vom Um-
macht sich noch an der Sockelleiste nahe dem Fenster schlußraum.
zu schaffen, öffnet das Waffenversteck und verläßt die
Zelle. Die Rettungsaktion für Raspe und Möller kommt dem
Der BND-Mann legt das später aufgefundene Tran- Krisenstab nicht ungelegen. Denn dadurch würde bei
sistorradio in die Zelle, verschließt die Zelle und bringt der kritischen Öffentlichkeit Zweifel an der Lauterkeit
das Kontaktsperrepolster wieder an. des Staates erst gar nicht aufkommen.
305
304

11Io...- __________ -J- _


......-

Als der Krisenstab erfährt, daß Irmgard Möller das Lambsdorff die offizielle Selbstmord version von
Gemetzel überlebt hat, erscheint es tunlieh, sie solange Stammheim.2o
von ihren Angehörigen, Freunden und Verteidigern Der faschistische Diktator Augusto Pinochet konfron-
fernzuhalten, bis feststeht, daß sie keine tatrelevanten tiert den Chile-Reisenden Norbert Blüm mit der Frage:
Beobachtungen gemacht hat. "Was habt ihr in Stammheim gemacht? ,,21
Tatsächlich wird sie noch viele Tage abgeschirmt, bis Und selbst der damalige CDU-Chef und jetzige Bun-
der Krisenstab davon ausgehen kann, daß die Voraus- deskanzler Helmut Kohl bestreitet öffentlich - wenn
setzung für die Abschirmung entfallen ist. auch sicherlich wie so oft unfreiwillig - nicht den Mord-
vorwurf.
Nachdem der Bundeskanzler in der Kabinettssitzung Helmut Kohl am 22.2.1979 in der ZDF-Fernsehsen-
am 18. Oktober 1977 die Glückwünsche seiner Kabi- dung "Bürger fragen - Politiker antworten" :
nettskollegen entgegengenommen hat, begibt er sich Frage: "Die Tatsache ist jetzt, daß in derBRD seit 1974
zum "Großen politischen Beraterkreis ", wo Herbert sieben politische Gefangene ermordet worden sind. "
Wehner fürchtet, der Krisenstab werde verdächtigt, Kohl: "Die Gruppe, die Sie angesprochen haben, die
einen Mord ausgeheckt zu haben. "Wegen des Anse- Sie eben meinten, wo Sie glaubten, mit der Zahl sieben,
hens des Staates müssen wir das überzeugend widerle- das sind die Insassen von Stammheim, wenn ich Sie
gen." Politische Solidarität dürfe "jetzt nicht auseinan- richtig verstanden habe, das sind brutale Verbrecher
derbrechen. " Friedrich Zimmermann ist einverstanden: gewesen. ,,22
In keiner Phase habe es "ernsthafte Differenzen gege-
ben. Das ist ein Wert an sich: In der Zeit der Bedrohung
hat die Demokratie funktioniert. "19
Der Todestag der Häftlinge ist seitdem der Geburts-
tag der "Solidarität der Demokraten" in der BRD und
Westberlin. Hanns-Martin Schleyer wird tot aufgefun-
den. Im Bundestag verlangt der Bundeskanzler "aus
Gründen der Rechtsstaatlichkeit und aus außenpoliti-
schen Gründen wegen des Ansehens Deutschlands in
der Welt" müsse die Bundesregierung "dringend
erwarten, daß jene Vorgänge in einer über jeden Zwei-
fel erhabenen Form untersucht, vollständig aufge-
klärt ... werden. "

Dennoch wird die "Solidarität der Demokraten" durch


die Weltöffentichkeit und sogar befreundete Regierun-
gen harten Prüfungen unterzogen: Der kuweitische
Finanzminister Salem al Atiqui bezweifelte gegenüber
dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Graf
306 307

iIlIo....- ••
~ r
DOKUMENTE Möller: vom 3. 7.77
6.7.77-12.8.77
6. 1.77 - 19.
12. 8.77
2.77 Zelle 725
724
Zelle 767
710
723 722
768
716
725
771
19.
13. 2.77
vom 29.
25. 9.77 b.
18.10.77
6.77- --18.10.77
25.
13. 6.77
18.10.77
9.77
a. weiteres
vom 25. 6.77-
6.77 - 18.10.77
29. 6.77

DOKUMENTO
ZELLENBELEGUNGSPLAN Schmitz:

Stgt.-Stammheim ..... 197 .....


Becker:
2.12.74
9.
4.10.77
3.
7.11.74-
5.76
6.76 ---17.
Zelle 9.711
vom-18.10.77
25.
28. - 712
7.76
5.76
6.77
11.11.74
3. 4.74
6.76 --17.
21.10.74-24. 25. 709
713
719
718
716
9. 7.76
27.
Zelle
Meldung 719
Zelle 715
5.76
6.77
3.75
8.74 721
720
714
718
716
.77
13.
75
77 9.77
77
Pohl:

Hoppe:

Beer:

DOKUMENT 1
DAS SOGENANNTE KONTAKTSPERREGESETZ

Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum


Gerichtsverfassungsgesetz

Vom 30. September 1977


Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Einführungsgesetzes
zum Gerichtsverfassungsgesetz
In das Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz
in der im Bundesgesetzblatt Teil 111,Gliederungsnummer
300-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geän-
dert durch § 180 des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März

311

""'--- _______ J- _
1976 (BGBI. I S. 581), werden hinter § 30 folgende Vor- §34
schriften eingefügt: (1) Sind Gefangene von Maßnahmen nach § 33 betroffen,
so gelten für sie, von der ersten sie betreffenden Maß-
,,§31 nahme an, solange sie von einer Feststellung erfaßt sind,
Besteht eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder die in den Absätzen 2 bis 4 nachfolgenden besonderen
Freiheit einer Person, begründen bestimmte Tatsachen Vorschriften.
den Verdacht, daß die Gefahr von einer terroristischen Ver- (2) Gegen die Gefangenen laufende Fristen werden
einigung ausgeht, und ist es zur Abwehr dieser Gefahr gehemmt, wenn sie nicht nach anderen Vorschriften unter-
geboten, jedwede Verbindung von Gefangenen unterein- brochen werden.
ander und mit der Außenwelt einschließlich des schriftlichen (3) In Strafverfahren oder anderen gerichtlichen Verfahren,
und mündlichen Verkehrs mit dem Verteidiger zu unterbre- für die die Vorschriften der Strafprozeßordnung als
chen, so kann eine entsprechende Feststellung getroffen anwendbar erklärt sind, gilt ergänzend folgendes:
werden. Die Feststellung darf sich nur auf Gefangene 1. Gefangenen, die keinen Verteidiger haben, wird ein Ver-
beziehen, die wegen einer Straftat nach § 129 a des Straf- teidiger bestellt.
gesetzbuches oder wegen einer der in dieser Vorschrift 2. Gefangene dürfen bei Vernehmungen und anderen
bezeichneten Straftaten rechtskräftig verurteilt sind oder Ermittlungshandlungen auch dann nicht anwesend sein,
gegen die ein Haftbefehl wegen des Verdachts einer sol- wenn sie nach allgemeinen Vorschriften ein Recht auf
chen Straftat besteht, das gleiche gilt für solche Gefangene, Anwesenheit haben; Gleiches gilt für ihre Verteidiger,
die wegen des Verdachts einer anderen Straftat in Haft sind soweit ein von der Feststellung nach § 31 erfaßter Mitgefan-
und gegen die der dringende Verdacht besteht, daß sie gener anwesend ist. Solche Maßnahmen dürfen nur statt-
diese Tat im Zusammenhang mit einer Tat nach § 129 ades finden, wenn der Gefangene oder der Verteidiger ihre
Strafgesetzbuches begangen haben. Die Feststellung ist Durchführung verlangt und derjenige, der nach Satz 1 nicht
auf bestimmte Gefangene oder Gruppen von Gefangenen anwesend sein darf, auf seine Anwesenheit verzichtet. §
zu beschränken, wenn dies zur Abwehr der Gefahr aus- 147 Abs. 3 der Strafprozeßordnung ist nicht anzuwenden,
reicht. Die Feststellung ist nach pflichtgemäßem Ermessen soweit der Zweck der Unterbrechung gefährdet würde.
zu treffen. 3. Eine Vernehmung des Gefangenen als Beschuldigter,
bei der der Verteidiger nach allgemeinen Vorschriften ein
§32 Anwesenheitsrecht hat, findet nur statt, wenn der Gefan-
Die Feststellung nach § 31 trifft die Landesregierung oder gene und der Verteidiger auf die Anwesenheit des Verteidi-
die von ihr bestimmte oberste Landesbehörde. Ist es zur gers verzichten.
Abwendung der Gefahr geboten, die Verbindung in mehre- 4. Bei der Verkündung eines Haftbefehls hat der Verteidiger
ren Ländern zu unterbrechen, so kann die Feststellung der kein Recht auf Anwesenheit; er ist von der Verkündung des
Bundesminister der Justiz treffen. Haftbefehls zu unterrichten. Der Richter hat dem Verteidi-
ger das wesentliche Ergebnis der Vernehmung des Gefan-
§33 genen bei der Verkündung, soweit der Zweck der Unterbre-
Ist eine Feststellung nach § 31 erfolgt, so treffen die zustän- chung nicht gefährdet wird, und die Entscheidung mitzu-
digen Behörden der Länder die Maßnahmen, die zur Unter- teilen.
brechung der Verbindung erforderlich sind. 5. Mündliche Haftprüfungen sowie andere mündliche Ver-

312 313

-- _~ --L _
handlungen, deren Durchführung innerhalb bestimmter Fri- §36
sten vorgeschrieben ist, finden, soweit der Gefangene Die Feststellung nach § 31 ist zurückzunehmen, sobald ihre
anwesend ist, ohne den Verteidiger statt; Nummer 4 Satz 2 Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Sie verliert späte-
gilt entsprechend. Eine mündliche Verhandlung bei der stens nach Ablauf von dreißig Tagen ihre Wirkung; die Frist
Haftprüfung ist auf Antrag des Gefangenen oder seines beginnt mit Ablauf des Tages, unter dem die Feststellung
Verteidigers nach Ende der Maßnahmen nach § 33 zu ergeht. Eine Feststellung, die bestätigt worden ist, kann mit
wiederholen, auch wenn die Voraussetzungen des § 118 ihrem Ablauf erneut getroffen werden, wenn die Vorausset-
Abs. 3 der Strafprozeßordnung nicht vorliegen. zungen noch vorliegen; für die erneute Feststellung gilt §
6. Eine Hauptverhandlung findet nicht statt und wird, wenn 35. War eine Feststellung nicht bestätigt, so kann eine
sie bereits begonnen hat, nicht fortgesetzt. Die Hauptver- erneute Feststellung nur getroffen werden, wenn neue Tat-
handlung darf bis zur Dauer von dreißig Tagen unterbro- sachen es erfordern. § 34 Abs. 3 Nr. 6 Satz 2 ist bei erneu-
chen werden; § 229 Abs. 2 der Strafprozeßordnung bleibt ten Feststellungen nicht mehr anwendbar.
unberührt.
7. Eine Unterbringung zur Beobachtung des psychischen §37
Zustandes nach § 81 der Strafprozeßordnung darf nicht (1) Über die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen nach §
vollzogen werden. 33 entscheidet auf Antrag ein Strafsenat des Oberlandesge-
8. Der Gefangene darf sich in einem gegen ihn gerichteten richts, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.
Strafverfahren schriftlich an das Gericht oder die Staatsan- (2) Stellt ein Gefangener einen Antrag nach Absatz 1, so ist
waltschaft wenden. Dem Verteidiger darf für die Dauer der der Antrag bei einem Richter bei dem Amtsgericht aufzu-
Feststellung keine Einsicht in diese Schriftstücke gewährt nehmen, in dessen Bezirk der Gefangene verwahrt wird.
werden. (3) Bei der Anhörung werden Tatsachen und Umstände
(4) Ein anderer Rechtsstreit oder ein anderes gerichtliches soweit und solange nicht mitgeteilt, als die Mitteilung den
Verfahren, in dem der Gefangene Partei oder Beteiligter ist, Zweck der Unterbrechung gefährden würde. § 33 ader
wird unterbrochen; das Gericht kann einstweilige Maßnah- Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
men treffen. (4) Die Vorschriften des § 25 Abs. 2, des § 24 Abs. 1, des §
25 Abs. 2 und der §§ 26 bis 30 gelten entsprechend.
§35
Die Feststellung nach § 31 verliert ihre Wirkung, wenn sie §38
nicht innerhalb von zwei Wochen nach ihrem Erlaß bestätigt Die Vorschriften der §§ 31 bis 37 gelten entsprechend,
worden ist. Für die Bestätigung einer Feststellung, die eine wenn eine Maßregel der Besserung und Sicherung vollzo-
Landesbehörde getroffen hat, ist ein Strafsenat des Ober- gen wird oder wenn ein Unterbringungsbefehl nach § 126 a
landesgerichts zuständig, in dessen Bezirk die Landesre- der Strafprozeßordnung besteht."
gierung ihren Sitz hat, für die Bestätigung einer Feststellung
des Bundesministers der Justiz ein Strafsenat des Bundes- Artikel 2
gerichtshofes; § 25 Abs. 2 gilt entsprechend. Übergangsregelung
(1) Die §§ 31 bis 38 des Einführungsgesetzes zum
Gerichtsverfassungsgesetz finden entsprechende Anwen-
dung, wenn gegen einen Gefangenen ein Strafverfahren

314 315

loo.....-
wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereini- Artikel 4
gung (§ 129 des Strafgesetzbuches) eingeleitet worden ist Berlin-Klausel
oder eingeleitet wird, deren Zweck oder deren Tätigkeit Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs.1 des
darauf gerichtet ist, Dritten Überleitungsgesetzes auch im Land Berlin. Die
1. Mord, Totschlag oder Völkermord (§§ 211, 212, 220a), Rechte und Verantwortlichkeiten der Alliierten Behörden,
2. Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen einschließlich derjenigen, die Angelegenheiten der Sicher-
des § 239 a oder des § 239 b oder heit und des Status betreffen, bleiben unberührt.
3. gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis
308,des§310bAbs.1,des§311 Abs.1,des§311 aAbs.1, ArtikelS
der §§ 312, 316 c Abs.1 oder des § 324 zu begehen. Sie Inkrafttreten
finden entsprechende Anwendung auch in dem Fall, daß Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
der nach § 31 Satz 2 zweiter Halbsatz erforderliche drin-
gende Tatverdacht sich auf eine Straftat nach § 129 des Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und wird
Strafgesetzbuches bezieht, der die Voraussetzungen des im Bundesgesetzblatt verkündet.
Satzes 1 Nr.1 bis 3 erfüllt. Bonn, den 30. September 1977
(2) Das gleiche gilt, wenn der Gefangene wegen einer sol- Der Bundespräsident
chen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist. Scheel
Der Bundeskanzler
Artikel 3 Schmidt
Überleitungsregelung Der Bundesminister der Justiz
Sind beim Inkrafttreten des Gesetzes in § 33 des Einfüh- Dr. Vogel
rungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz bezeich-
nete Maßnahmen auf einer anderen Rechtsgrundlage als §
119 der Strafprozeßordnung getroffen worden und dauern
diese Maßregeln an, so gelten die nachfolgenden besonde- DOKUMENT2
ren Vorschriften: NEUROPATHOLOGISCHES GUTACHTEN
1. Derartige Maßnahmen treten außer Kraft, sofern nicht in ANDREAS BAADER
bezug auf die von ihnen betroffenen Gefangenen innerhalb
von drei Tagen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
eine Feststellung nach § 31 des Einführungsgesetzes zum Prof. Dr. med. Jürgen Peiffer
Gerichtsverfassungsgesetz getroffen worden ist. Direktor des Instituts für Hirnforschung
2. § 34 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfas- der Universität Tübingen
sungsgesetz gilt vom Inkrafttreten des Gesetzes an auch
für diese Maßnahmen. Tübingen, den 9.2.1979 P/Schw
3. Gerichtliche Verfahren wegen dieser Maßnahmen rich-
ten sich vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes AZ.: 9 Js 3627/77
an nach § 37 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsver-
fassungsgesetz.

316 317

- iI
Ich erstatte der Staatsanwaltschaft Stuttgart auf Veranlas- denden Balkens bei nur geringfügiger Schädigung der sich
sung des Instituts für Gerichtliche Medizin der Universität zur Scheitelhöhe hin anschliessenden, zur Mittellinie zuge-
Tübingen (Schreiben vom 6.12.77) ein neuropathologi- wandten Windungen in dem Spaltraum zwischen den bei-
sches Gutachten in der Leichensache den Hirnhälften.
Andreas Baader Neben diesen unmittelbaren Schußverletzungen fanden
geb. 6.5.43, tot aufgefunden am 18.10.77. Das Gutachten sich Blutungen an den mittleren Abschnitten der Schläfen-
stützt sich auf die eigene neuropathologische Untersu- lappenbasis beidseits und an der Basalfläche (Orbitalflä-
chung des Gehirns des Verstorbenen sowie die durch das che) beider Stirnhirnlappen. In geringerem Grade waren
Institut für Gerichtliche Medizin überlassenen Daten zur entsprechende pfeffer- und salzfarbene Verfärbungen auch
Vorgeschichte. an der Basalfläche der Hinterhauptslappen sowie um den
Aquaedukt bzw. den Boden der IV. Hirnkammer herum
Zur Vorgeschichte wurde bekannt, daß B. am Morgen des sichtbar. Es handelt sich hierbei um Verletzungen, die mit
18.10.77 gegen 08.00 Uhr tot aufgefunden wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit in Verbindung mit dem kompli-
Schußverletzungen im Sinne einer Einschußlücke im Hin- zierten Bruchsystem der Schädelbasisknochen im Sinne
terhaupts-Nackenbereich dicht links der Mittellinie und einer Contusio cerebri entstanden sind, als es durch die
einer als Ausschußlücke gedeuteten Verletzung im oberen Schußverletzung zu dem Berstungsbruch und einer plötz-
Stirnbereich. Lokalbefund siehe im übrigen im Gutachten lich intensivsten Drucksteigerung im Schädelinnendruck
des Institits für Gerichtliche Medizin. kam.
Die Obduktion erfolgte am 19.10.77 zwischen 00.30 Uhr bis Bei der mikroskopischen Untersuchung ergab es sich,
03.00 Uhr (16 1/2 Stunden nach dem Aufffinden). Der daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine
genaue Termin der Schußverletzung ist nicht bekannt ... intravitalen Gewebsreaktionen vorliegen. Daraus ist zu
schliessen, daß der Tod der Schußverletzung unmittelbar
Beurteilung: folgte. Es sind nicht einmal Verteilungsstörungen in der
Das Gehirn weist eine annähernd in der Mittellinie verlau- Zusammensetzung roter und weißer Blutkörperchen zu
fende Durchschußverletzung auf. Da sich an der Rißsteile sehen, geschweige denn beginnende Gefäßwandthrombo-
der harten Hirnhaut unmittelbar in der Mittellinie an dem sen oder entzündliche Erscheinungen, die mit der Schuß-
grossen Längsblutleiter in Stirnhirnhöhe feinste Partikel von verletzung in Verbindung gebracht werden könnten. Nur
Kleinhirn- und Großhirngewebe finden, ist dieser Defekt zwei Veränderungen konnten festgestellt werden, die zeit-
auch neuropathologisch eindeutig als Ausschußwunde lich nicht unmittelbar mit der Schußverletzung korreliert
definierbar. Der Einschuß erfolgte unmittelbar links der Mit- sind: Einmal handelte es sich hierbei um Schwellungen der
tellinie unter Durchreissung des Kleinhirnwurmes ohne sog. Oligodendroglia, d.h. bestimmter Stützzellen des Ner-
unmittelbare Schußverletzung der Brücke und des verlän- vengewebes. Diese Schwellungen sind ausschließlich an
gerten Markes. den Oberflächen der inneren Hirnkammern in der Nähe der
Wie die beigefügten Abbildungen 7 - 17 zeigen, verlief Verletzungsstellen und am Hirnstamm unter der das Zen-
der Schußkanal weiter nach vorne aufwärts unter Verlet- tralnervensystem aussen umgebenden dünnen Haut (Pia
zung der mittleren Abschnitte der Stammganglien (insbe- mater) zu beobachten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit han-
sondere beider Seh-Hügel), der Scheidewand zwischen delt es sich um Schwellungszustände, die nach dem Tod in
beiden Hirnhälften und des die beiden Hirnhälften verbin- dem - bei einer Zeitberechnung zwischen Auffindung der

318 319

- -------------~ .
r
Leiche und Beendigung der Sektion - etwa 19 Stunden gen einer eventuellen Mangelernährung konnten nicht
währenden Intervall bis zum Beginn der Fixierung des Hirn- nachgewiesen werden.
gewebes durch Formalin entstanden. Der Austritt der Ner-
venflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) im Verletzungsbe- (Prof. Dr. J. Peiffer)
reich in das durch feine Risse geschädigte Hirngewebe ist
die wahrscheinliche Ursache dieser auf die oberflächlichen
Schichten beschränkten Zellschwellungen. Zum anderen DOKUMENT3
fanden sich über das gesamte Gehirn verstreut geringfü- CHEMISCH-TOXIKOLOGISCHES GUTACHTEN
gige Ansammlungen weisser, rundkerniger Blutzellen ENSSLIN
(kleine Lymphozyten) in der Wand kleinerer Venen. Diese
Veränderungen sind wiederum mit Sicherheit älter als die
Schußverletzung und stehen mit dieser in keinerlei ursächli- Universität Tübingen
chem Zusammenhang. Mit Wahrscheinlichkeit handelt es Institut für Gerichtliche Medizin
sich hierbei um Begleiterscheinungen eines möglicher- Direktor: Prof. Dr. H.J. Mallach
weise bereits im Abklingen befindlichen Infektes. Die Ver-
änderungen erreichen nicht einen Grad, der die Diagnose 7400 Tübingen, den 30.11.1977
einer Enzephalitis (Hirnentzündung) rechtfertigen würde. Az.: L249/77; Ma/Mos/PI
Die neuropathologische Untersuchung läßt keinen Zwei-
fel daran, daß der Kopfdurchschuß die Todesursache dar- An die
stellt. Der Tod ist mit an Sicherheit grenzender Wahrschein- Staatsanwaltschaft
lichkeit unmittelbar nach dem Schuß eingetreten, bevor bei dem Landgericht Stuttgart
intravitale Reaktionen des Gewebes einsetzen konnten. Herrn 1. Staatsanwalt Herrmann
Hierfür spricht auch das Fehlen von Veränderungen an der Olgastr. 7
Kleinhirnrinde abseits der unmittelbaren Verletzungs- 7000 Stuttgart
steIlen.
Einen Rückschluß auf den Todeszeitpunkt erlaubt die In der Leichensache Gudrun Ensslin, geb. am 15.8.1940,
neuropathologische Untersuchung nur insoweit, als das tot aufgefunden am 18.10.1977, - Az.: 9 Js 3627/77 -, wird
Fehlen von Fäulnisvorgängen - insbesondere wiederum an ein
der hierfür besonders empfindlichen Körnerzellschicht der Gutachten
Kleinhirnrinde - dafür spricht, daß zwischen Tod und Auffin- zu der Frage erstattet, ob die Bewußtseinstätigkeit durch
dung der Leiche ein allenfalls wenige Stunden betragender toxische Einflüsse beeinträchtigt worden sein kann.
Zeitraum bestand. Hierbei wird berücksichtigt, daß die Lei-
che bei normaler Zimmertemperatur aufgefunden wurde Sachverhalt.
und daß bis zum Verbringen in eine Kühlzelle noch mehrere Nach Auskunft des behandelnden Arztes, Regierungsme-
weitere Stunden vergingen. Anhaltspunkte für eine toxische dizinaldirektor Dr. Henck, hatte die Untersuchungsgefan-
Schädigung des Gehirns fanden sich nicht, weder im Sinne gene Ensslin als Dauermedikation täglich vier Tabletten
einer akuten Vergiftung noch im Sinne einer chronischen Xitix und ein Dragee Tradon, ferner für den Bedarf am
Schädigung. Auch lichtmikroskopisch nachweisbare Fol- 14.10.1977 insgesamt 10 Dragees Ordinal forte erhalten ...

320 321

-- ___ J- .
......---

r
Beurteilung. DOKUMENT4
Die 37 Jahre alte Untersuchungsgefangene Gudrun Enss- NEUROPATHOLOGISCHES GUTACHTEN ENSSLIN
lin hatte während der letzten Zeit ihrer Inhaftierung drei
Medikamente verordnet erhalten: Ordinal forte, Tradon und
Xitix.
Ordinal forte enthält als Wirkstoff Actodrin, Norfenefrin Prof. Dr. med. Jürgen Peiffer
und Adenosin, ist in Form von Dragees im Handel und wird Direktor des Instituts für Hirnforschung
zur Behandlung niedrigen Blutdrucks, ferner von Kreislauf- der Universität Tübingen
regulationsstörungen und allgemeiner Leistungsschwäche
verordnet. 74 Tübingen, den 30.1.1978 P/Schw
Tradon, in Tablettenform auf dem Markt enthält als Wirk-
stoff Pemolin und (wird) zur Behandlung von Leistungs- und AZ.: 9 Js 3627/77
Antriebsschwäche verordnet.
Xitix kommt in Form von Brausetabletten in den Handel Ich erstatte der Staatsanwaltschaft Stuttgart auf Veranlas-
und enthält Vitamin C (=Ascorbinsäure). sung des Instituts für Gerichtliche Medizin der Universität
Keiner dieser Wirkstoffe war in den untersuchten Orga- Tübingen (Schreiben vom 6.12.77) ein neuropathologi-
nen oder Körperflüssigkeiten nachweisbar. Hingegen fan- sches Gutachten in der Leichensache
den sich neben Nicotin, welches in erster Linie aus dem Gudrun Ensslin
Genuß von Tabakwaren gestammt haben dürfte, Spuren geboren am 15.8.1940, verstorben 17./18.10.1977.
von Aminophena, so daß Gudrun Ensslin einige Zeit vor Das Gutachten stützt sich auf die eigene neuropathologi-
ihrem Tode nicht vom Arzt verordnete Medikamente, wahr- sche Untersuchung des Zentralnervensystems der Verstor-
scheinlich leichte Schmerz- oder Fiebermittel eingenom- benen. Zur Vorgeschichte ist aus amtlichen Quellen
men haben muß. bekannt, daß E. erhängt aufgefunden worden war ...
Weitere Wirkstoffe fanden sich bei den chemisch-toxiko-
logischen Untersuchungen nicht, insbesondere keine Sub- Beurteilung:
stanzen, die zur Beeinträchtigung der Bewußtseinstätigkeit Das Zentralnervensystem weist keine frischen Gewebs-
geeignet gewesen wären. schädigungen auf. Die Verdickungen der harten Rücken-
markshaut im Halsmarkbereich steht in keiner Beziehung
Zusammenfassung. zu der zum Tode führenden Strangulation. Es handelt sich
Bei den chemisch-toxikologischen Untersuchungen an den um eine Anomalie, die mit Sicherheit Jahre zurückliegt und
Organen und Körperflüssigkeiten, die bei der Leichenöff- deren Verursachung nicht klärbar ist. Es liegen jedenfalls
nung der 37 Jahre alten Untersuchungsgefangenen keinerlei Zeichen einer entzündlichen Erkrankung der Rük-
Gudrun Ensslin asserviert worden waren, ließen sich keine kenmarkshaut vor.
Wirkstoffe nachweisen, die einen Einfluß auf die Bewußt- Für das Lebensalter ungewöhnlich, aber nicht als Krank-
seinstätigkeit hätten ausüben können. heitszeichen zu bewerten ist die Verkalkung der Muskel-
schicht der Schlagadern im Globus pali idus (blasser Kern)
Prof. Dr. med. H.J. Mallach der Großhirns. Derartige Verkalkungen, die nichts mit einer
Dr. rer. nat. A. Mossmayer Arteriosklerose zu tun haben und eine besondere Reak-
,

322

lo.........-
-----------_1 323
r
DOKUMENTS
tionsform der Arterien dieses speziellen Kerngebietes dar-
NEUROPATHOLOGISCHES GUTACHTEN RASPE
stellen, kommen im mittleren und höheren Lebensalter
nicht selten vor. Sie haben keine funktionelle Bedeutung.
Pathologisch am Zentralnervensystem ist das Vorkommen
einiger entzündlicher Zellenansammlungen um einzelne
Prof. Dr. med. Jürgen Peiffer
Hirngefässe. Der Grad dieser entzündlichen Veränderun-
Direktor des Instituts für Hirnforschung
gen ist aber nicht so groß, daß von einer Hirnentzündung im
der Universität Tübingen
eigentlichen Sinne (Enzephalitis) gesprochen werden
könnte. Die weichen Hirnhäute sind auch frei von entspre-
chenden entzündlichen Veränderungen. Mit Wahrschein- 74 Tübingen, den 10.2.1978 P/Schw
lichkeit handelt es sich um eine Begleitentzündung bei
AZ.: 9 Js 3627/77
einem kurz zurückliegenden Infekt oder bei einem entzünd-
lichen Prozeß an einem sonstigen Körperorgan.
Das Fehlen von durch Sauerstoffmangel bedingten Ner- Ich erstatte der Staatsanwaltschaft Stuttgart auf Veranlas-
sung des Institus für Gerichtliche Medizin der Universität
venzellschädigungen - sieht man von ganz vereinzelten
Tübingen (Schreiben vom 6.12.77) ein neuropathologi-
derartig geschädigten Nervenzellen ab - spricht dafür, daß
sches Gutachten in der Leichensache
der Tod sehr kurz nach der Strangulation eingetreten ist.
Schon bei Zeitintervallen zwischen Strangulation und Tod Jan-Carl Raspe
geboren am 27.4.1944, gestorben am 18.10.1977.
von 3 bis (unleserlich) Minuten kann es nach Literaturanga-
ben zu wesentlich deutlicher ausgeprägten Sauerstoffman- Das Gutachten stützt sich auf die eigene neuropathologi-
sche Untersuchung des Verstorbenen sowie auf die vom
gelschädigungen der hierfür besonders empfindlichen Ner- Institut für Gerichtliche Medizin überlassenen Daten zur
venzellen kommen. Da derartige Veränderungen fehlen,
trat der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb von 1 Vorgeschichte.
bis 2 Minuten nach der Strangulation, wenn nicht mittelbar
dabei ein. Anhaltspunkte für irgendwelche to (unleserlich) Zur Vorgeschichte wurde bekannt, daß R. in den frühen
Morgenstunden des 18.10.77 mit einer schweren Kopfver-
Schädigungen oder für Gewalteinwirkungen auf das Zen-
letzung in seiner Zelle aufgefunden worden war. Er wurde
tralnervensystem fanden sich nicht.
noch lebend in das Katharinenhospital Stuttgart überführt
und dort chirurgisch versorgt, starb aber um 09.40 Uhr. Die
(Prof. Dr. J. Peiffer)
Leichenschau wurde gegen 10.30 Uhr ausgeführt. Die Lei-
I che war hierbei noch handwarm.
I
Die Obduktion erfolgte am 19.10. gegen 03.00 Uhr.

Beurteilung:
I
Die neuropathologische Untersuchung ergab - wie bereits
auf Grund des Obduktions-Ergebnisses zu erwarten -
I einen das Großhirn quer durchsetzenden Schußkanal mit
Einschußmündung am rechten Schläfenlappenpol im

_________
1 _
325
324

~
Bereich der ersten und zweiten Schläfenlappenwindung dendroglia vorhanden waren, wenn auch insgesamt etwas
(Abb.3) und Ausschußöffnung in nahezu symmetrischer geringer als bei dem Gehirn Raspe. Diese Schwellungszu-
Anordnung am linken Schläfenlappen, nur etwas höher als stände können auch nach dem Tod auftreten, vor allem,
rechts (AbbA). Blutungen in die umgebenden weichen wenn die Leiche nicht sofort in eine Kühlzelle gebracht wird
Häute waren über beiden Hirnhälften zu erkennen (Abb.1 und damit eine Autolyse (Selbstauflösung) des toten Gewe-
und 2). Der Schußkanal verlief quer durch die Stammgang- bes einsetzt. Dafür, daß zwischen Schußverletzung und
lien mit einer von rechts nach links ansteigenden Linie Tod eine einige Stunden verlaufende Spanne eines schwe-
(Abb.5-7) unter Eröffnung der dritten Hirnkammer. Abseits ren Schockzustandes lag, spricht die Untersuchung der
des Schußkanales fanden sich an der Basis des Stirnhirn- Kleinhirnrinde, in der sich schwere, aber nicht vollständige
lappens und an den mediobasalen Anteilen der beiden Nekrosen der Körnerzellschicht und der sog. Purkinjezellen
Schläfenlappen Einblutungen in die Rinde und das angren- finden. Der Vergleichsfall Baader ist frei von diesen Verän-
zende Mark (Abb.5-10). Weitere Blutpunkte wurden im derungen, was dafür spricht, daß diese Kleinhirnschädigun-
Hirnstamm auf den Schnitten durch die Brücke festgestellt gen bei R. nicht postmortal auftraten, da die Bedingungen
(Abb.11/12). bei der Leichenaufbewahrung, dem Leichentransport und
Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß die dem Zeitpunkt der Obduktion bei beiden Todesfällen sich
Schußverletzungen zwar frisch sind, aber doch bereits annähernd entsprachen.
deutliche intravitale Gewebsreaktionen nachweisbar sind: Die Todesursache ist mit an Sicherheit grenzender Wahr-
Man sieht an verschiedenen Stellen in der Umgebung scheinlichkeit in der Schußverletzung zu sehen. Diese
führte nicht nur zu einer schweren unmittelbaren Schädi-
des Schußkanals nicht nur - wie bei Andreas Baader -
Austritte von Blut aus den zerrissenen Blutgefässen in die gung im Verlauf des Schußkanals, sondern durch die plötz-
liche Druckerhöhung im Schädelinnenraum zu schweren
Umgebung, sondern ein aktives Wandern weisser Blutkör-
Fernwirkungen im Gehirn. So sind die Blutungen an der
perchen in diese Blutungsbereiche hinein und von dort aus
in das angrenzende, durch Blutflüssigkeit durchtränkte und Basis des Stirnhirns und des Schläfenlappens zu deuten,
so die Blutungen innerhalb des Hirnstammes (Abb.9, 10,
aufgelockerte Hirngewebe (Abb.3). Derartige Einwande-
11, 12). Vor allen die Hirnstammschädigungen sind wahr-
rungen von weissen Blutkörperchen (neutrophile Granulo-
scheinlich auf die plötzliche Verschiebung des Hirngewe-
zyten) können bereits innerhalb von zwei Stunden nach
einer Verletzung der Blut-Hirnschranke lichtmikroskopisch bes innerhalb der Schädelkapsel zurückzuführen, bei
nachweisbar sein. Ein weiterer Hinweis auf intravitale denen es zu Einrissen der den Hirnstamm versorgenden
Reaktionen ist die starke ödematöse Auflockerung ver- Blutgefässe kam.
schiedener Markstreifen in der näheren Umgebung des An den DruckstelIen der mediobasalen Schläfenlappen-
Schußkanals. Darüberhinaus sind vielfach Schwellungszu- rinde, die dadurch entstehen, daß bei starker Hirndruckstei-
stände der Zell-Leiber der Oligodendrogliazellen (Stützge- gerung diese Hirnteile gegen die derbe, bindegewebige
webe und Markscheiden-bildende Zellen) zu beobachten, Kante der Verspannungen des Kleinhirnzeltes gepresst
werden, erkennt man einen geringen Anteil von weissen
vorwiegend im unmittelbaren Verletzungsbereich und wie-
derum bevorzugt an den Grenzflächen zu den inneren und Blutkörperchen innerhalb der Blutungsbereiche. Dies
äusseren Oberflächen des Gehirns. spricht dafür, daß diese Blutungen zumindest zum Teil
Der Vergleich mit dem Gehirn von Andreas Baader zeigt, etwas jüngeren Datums sind als die Schußverletzung
selbst. Sie entstanden wahrscheinlich durch die sich an die
daß auch dort derartige Schwellungszustände der Oligo-

327
326

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r

Schußverletzung anschliessende schwere Hirngewebs- Stuttgart, 18.10.1977


schwellung, für die auch die oben beschriebenen Mark-
schwellungen und gelegentliche Schwellungen der Nerven- Vernehmung:
zellfortsätze sprechen. Am Vormittag des 18.10.1977 wurde in der JVA S-Stamm-
Anzeichen für eine von der Schußverletzung unabhän- heim der verh. Anstaltsarzt
gige Vorkrankheit ergaben sich nicht. Geringfügige
Ansammlungen von kleinen Blutkörperchen (Lymphocy- Dr.med. Wolf Majerovicz
*14.6.1917
ten) an einzelnen Hirngefässen können nicht als Reaktion
auf die Schußverletzung gedeutet werden, entsprechen erreichbar über JVA S-Stammheim
vielmehr den Folgen einer möglicherweise vor kurzem
abgeklungenen Infektion im Organismus. Zeichen einer gehört. Er machte folgende Angaben:
akuten oder älteren Vergiftung ergaben sich ebensowenig
wie Anhaltspunkte für eine durch Mangelernährung zu "Die sog. ,Abteilung 3' im 7. OG der hies. Anstalt ist mit den
erklärende Hirngewebsschädigung . BM-Häftlingen belegt.
Seit 2 Monaten etwa hatte ich mit diesen Leuten nichts
Die genaue Festlegung des Zeitintervalls zwischen
mehr zu tun.
Schußverletzung und Tod ist nicht möglich. Die intravitalen
Gewebsreaktionen sprechen aber dafür, daß dieser Zeit- Herr Dr. Henck hat sich die Betreuung dieser Leute vor-
raum mit Wahrscheinlichkeit länger als zwei bis drei Stun- behalten. Seit vergangenem Freitag ist Dr. Henck krank, so
den war. Eine exakte Festlegung ist deswegen nicht mög- daß ich seither der einzige angestellte Arzt hier bin.
lich, weil zuviele Variable diese Gewebsveränderungen vor Gestern sind die nach Beendigung des Hungerstreiks
und nach dem Tode beeinflussen, so zum Beispiel die von Dr. Henck verordneten Sonderzulagen abgelaufen.
Körpertemperatur, der Grad der gestörten Hirndurchblu- Sonderzulagen waren zusätzliches Fleisch und sonstige
tung und das Ausmaß therapeutischer Maßnahmen (Infu- kräftige Nahrungsmittel.
sionen, Herzstützung, u.ä.) Was dies im einzelnen genau war, kann ich ohne Über-
prüfung der Unterlagen nicht sagen.
Im wesentlichen war ich über die Abt. 3 nicht informiert,
(Prof. Dr. J. Peiffer)
da ich, wie schon angeführt, seit mindestens 2 Monaten
nichts mehr mit diesen Gefangenen zu tun hatte. Damals
war ich während des Hungerstreiks mit in die Betreuung
DOKUMENT 6 eingeschaltet. Wenn ich mich über die Abt. 3 informieren
VERNEHMUNG DES ARZTES DR. MAJEROVICZ wollte, ich meine jetzt über die ärztliche Betreuung, hätte ich
die Unterlagen einsehen müssen. Dafür bestand für mich
aber kein Anlaß, da ich auch sonst im Haus genügend zu
tun hatte.
Heute früh habe ich Punkt 8.00 Uhr zusammen mit dem
LPD Stuttgart I1
Anstaltsleiter, Herrn Nusser, das Gebäude betreten. Unten,
Kriminalpolizei
Dienststelle 1 beim Eingang, wurden wir beide von einem Beamten kurz
darüber informiert, daß es in der Abt. 3 zu einem furchtbaren

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""'"-
..-

Vorkommnis gekommen sei. Unter den Häftlingen habe es Ich habe dann bei Baader nach Lebenszeichen gesucht,
Tote gegeben, während Raspe bereits in ein Krankenhaus konnte aber keine Herztätigkeit und keine Atmung mehr
verbracht worden sei. Wie schon gesagt, hat Herr Nusser feststellen. Auch die Pupillenreaktion fehlte. Damit war
diese Information mit mir bekommen. Baader für mich tot, so daß ich mich nicht weiter um ihn
Ich habe nur meinen Mantel aus der Krankenabteilung kümmern konnte. Ich habe weder in seiner Zelle noch an
geholt und bin sofort mit dem Fahrstuhl zum 7. Stock hoch- der Leiche irgendwelche Veränderungen vorgenommen,
gefahren. wenn man davon absieht, daß ich seine Herzgegend etwas
Bei meinem Eintreffen waren verschiedene Beamte da, freigemacht habe, um nach Herztätigkeit zu horchen.
u.a. die Sanitätsbeamten Just und Sukop. Fast gleichzeitig Anschließend wurde ich zur Zelle der Ensslin geholt. Die
wurde unser Notarztkoffer in diesen Teil der Anstalt ge- Zelle selbst war mit einer vor das Fenster gehängten Bett-
bracht. decke verdunkelt.
Die Zelle der Möller war offen und ich konnte beim Betre- Ich konnte dann feststellen, daß hinter diesem Teppich
ten derselben sehen, daß die Frau auf einer Matratze lag. jemand hing, denn ich konnte vom Zelleneingang aus Füße
Diese Häftlinge wollen alle nicht die normalen Pritschen und Beine bis etwa oberhalb des Sprunggelenkes er-
sondern eben nur Matratzen. kennen.
Bei Frau Möller stellte ich am Oberkörper, und zwar links Ich habe dann etwas hinter die Bettdecke geschaut und
vom Brustbein, etwa 3-4 oberflächliche Schnittverletzun- sofort erkannt, daß die Frau tot sein muß. Berührt habe ich
gen fest. Andere Verletzungen konnte ich nicht feststellen. sie nicht, erkannte aber eine Cyanose und stellte fest, daß
Pupillenreaktion war normal, Puls und Herztätigkeit der Körper völlig entkrampft hing. Die Zunge war herausge-
rückt.
befriedigend. Der Puls war auch regelmäßig. Der von mir
Weitere Maßnahmen habe ich auch in dieser Zelle nicht
festgestellte Blutverlust dürfte bei ca. 100-150 ml liegen.
Der Blutdruck war 95/60. Die Frau hat nicht gesprochen, getroffen, habe nichts verändert und nichts mehr berührt.
auch konnte ich bei ihr keine Cyanose erkennen. Ich habe Raspe war, wie schon eingangs gesagt, bereits mit dem
ihr dann gleich das Herzmittel "Cardiasol" intramuskulär NAW abtransportiert worden.
injiziert. Auch "Akrinor" habe ich intramuskulär gespritzt. Ich habe mich dann gleich nach Frau Becker und Schmitz
Danach habe ich erneut die Herztätigkeit geprüft und eine erkundigt, doch wurde dort festgestellt, daß im Bereich die-
Normalisierung festgestellt. Die Wunden habe ich zuletzt ser beiden Frauen keine Auffälligkeiten gegeben waren.
steril versorgt. Der Notarztwagen war längst alarmiert und Dr. Henck war m.w. am vergangenen Donnerstag,
mit diesem wurde die Frau dann auch abtransportiert. gegen Mittag, letztmalig in der Abt. 3.
Anschließend ging ich in die Zelle von Andreas Baader. Für weitere Auskünfte stehe ich hier in der Anstalt jeder-
Er lag nahe der Türe an einer Abschirmwand. Der Kopf lag zeit zur Verfügung."
an einem Fuß dieser Wand. Oberkörper und der Kopf
waren, soweit ich mich noch erinnere, von einer großen Kögel, KHK
Blutlache umgeben.
Links von dem Kopf (linke Kopfseite) sah ich in Höhe der
Ohrmuschel eine Pistole liegen, die ich dem Aussehen
nach für eine Walther PP gehalten habe. In Höhe des linken
Oberschenkels sah ich zwei Patronenhülsen.

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-.
r

Vorkommnis gekommen sei. Unter den Häftlingen habe es Ich habe dann bei Baader nach Lebenszeichen gesucht,
Tote gegeben, während Raspe bereits in ein Krankenhaus konnte aber keine Herztätigkeit und keine Atmung mehr
verbracht worden sei. Wie schon gesagt, hat Herr Nusser feststellen. Auch die Pupillenreaktion fehlte. Damit war
diese Information mit mir bekommen. Baader für mich tot, so daß ich mich nicht weiter um ihn
Ich habe nur meinen Mantel aus der Krankenabteilung kümmern konnte. Ich habe weder in seiner Zelle noch an
geholt und bin sofort mit dem Fahrstuhl zum 7. Stock hoch- der Leiche irgendwelche Veränderungen vorgenommen,
gefahren. wenn man davon absieht, daß ich seine Herzgegend etwas
Bei meinem Eintreffen waren verschiedene Beamte da, freigemacht habe, um nach Herztätigkeit zu horchen.
u.a. die Sanitätsbeamten Just und Sukop. Fast gleichzeitig Anschließend wurde ich zur Zelle der Ensslin geholt. Die
wurde unser Notarztkoffer in diesen Teil der Anstalt ge- Zelle selbst war mit einer vor das Fenster gehängten Bett-
bracht. decke verdunkelt.
Die Zelle der Möller war offen und ich konnte beim Betre- Ich konnte dann feststellen, daß hinter diesem Teppich
ten derselben sehen, daß die Frau auf einer Matratze lag. jemand hing, denn ich konnte vom Zelleneingang aus Füße
Diese Häftlinge wollen alle nicht die normalen Pritschen und Beine bis etwa oberhalb des Sprunggelenkes er-
sondern eben nur Matratzen. kennen.
Bei Frau Möller stellte ich am Oberkörper, und zwar links Ich habe dann etwas hinter die Bettdecke geschaut und
vom Brustbein, etwa 3-4 oberflächliche Schnittverletzun- sofort erkannt, daß die Frau tot sein muß. Berührt habe ich
gen fest. Andere Verletzungen konnte ich nicht feststellen. sie nicht, erkannte aber eine Cyanose und stellte fest, daß
Pupillenreaktion war normal, Puls und Herztätigkeit der Körper völlig entkrampft hing. Die Zunge war herausge-
rückt.
befriedigend. Der Puls war auch regelmäßig. Der von mir
Weitere Maßnahmen habe ich auch in dieser Zelle nicht
festgestellte Blutverlust dürfte bei ca. 100-150 ml liegen.
Der Blutdruck war 95/60. Die Frau hat nicht gesprochen, getroffen, habe nichts verändert und nichts mehr berührt.
auch konnte ich bei ihr keine Cyanose erkennen. Ich habe Raspe war, wie schon eingangs gesagt, bereits mit dem
ihr dann gleich das Herzmittel "Cardiasol" intramuskulär NAW abtransportiert worden.
injiziert. Auch "Akrinor" habe ich intramuskulär gespritzt. Ich habe mich dann gleich nach Frau Becker und Schmitz
Danach habe ich erneut die Herztätigkeit geprüft und eine erkundigt, doch wurde dort festgestellt, daß im Bereich die-
Normalisierung festgestellt. Die Wunden habe ich zuletzt ser beiden Frauen keine Auffälligkeiten gegeben waren.
steril versorgt. Der Notarztwagen war längst alarmiert und Dr. Henck war m.w. am vergangenen Donnerstag,
mit diesem wurde die Frau dann auch abtransportiert. gegen Mittag, letztmalig in der Abt. 3.
Anschließend ging ich in die Zelle von Andreas Baader. Für weitere Auskünfte stehe ich hier in der Anstalt jeder-
Er lag nahe der Türe an einer Abschirmwand. Der Kopf lag zeit zur Verfügung."
an einem Fuß dieser Wand. Oberkörper und der Kopf
waren, soweit ich mich noch erinnere, von einer großen Kögel, KHK
Blutlache umgeben.
Links von dem Kopf (linke Kopfseite) sah ich in Höhe der
Ohrmuschel eine Pistole liegen, die ich dem Aussehen
nach für eine Walther PP gehalten habe. In Höhe des linken
Oberschenkels sah ich zwei Patronenhülsen.

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--
DOKUMENT7 zwar so, daß er mit dem Oberkörper und dem Kopf an die
ANHÖRUNG VZA-Beamter STOll Wand gelehnt war. Es war also eine halb sitzende Stellung.
An der Stelle, wo der Oberkörper und der Kopf an die Wand
gelehnt waren, sah ich einen Blutfleck oberhalb des Kopfes.
Auch die linke Gesichtshälfte von Raspe war blutig. Ich
LPD Stuttgart 11 hatte den Eindruck, daß Raspe noch atmete. Neben der
Kriminalpolizei rechten Hand lag auf der Matratze eine Pistole. Ohne
Dienststelle 1 irgendetwas zu verändern, wurde sofort der Sanitäter List-
ner vom Haus zugezogen. Zusammen mit dem Sanitäter
Stuttgart, den 18.10.1977 WÖ/Sr. Jost, ebenfalls vom Haus, traf er um 07.44 Uhr an der Zelle
von Raspe ein. Beide haben die Zelle von Raspe betreten,
Ebenfalls am 18.10.1977 wird der verh. Justizobersekretär während ich außen stehengeblieben bin. Auch sie haben
im Vollzugsdienst nach meinen Beobachtungen nichts verändert. Es wurde
sofort klar, daß sich Raspe mit der Pistole erschossen hatte,
Gerhard Stall, zumindest hatte ich diesen Eindruck. Schon wenig später
geb. 11.12.1934 in S-Stammheim, wurde dann Raspe mit dem zwischenzeitlich hier eingetrof-
Pflugfelder Str. 9, fenen Notarztwagen im Beisein des Notarztes und meines
Kollegen Götz ins Katharinenhospital Stuttgart verbracht.
zur Sache gehört. Er gibt folgendes an: Auch ich fuhr dorthin mit, saß jedoch vorne im Führerhaus,
während mein Kollege Götz im Ambulanzraum des Wagens
"Ich bin seit 1. September 1960 im Strafvollzugsdienst tätig. war. Ich konnte somit nicht sehen, was während der Fahrt
Seit ca. 3/4 Jahren verrichte ich meinen Dienst im Sicher- ins Krankenhaus im Wagen vom Arzt gemacht wurde.
heitstrakt, in welchem die BM-Häftlinge untergebracht sind. Noch solange ich im Krankenhaus anwesend war, ist
Heute morgen (18.10.1977) habe ich meinen Dienst um Raspe dort um 09.40 Uhr verstorben. Er wurde vom Arzt in
07.15 Uhr angetreten. Nach Dienstbeginn habe ich meinem Beisein für tot erklärt. Als Todesursache erwähnte
zunächst die schalldämmenden Wände an den einzelnen der Arzt eine Schußverletzung am Kopf.
Zellentüren der BM-Häftlinge entfernt. Dabei haben auch Gegen 10.30 Uhr kam ich dann vom Krankenhaus aus
meine anderen Kollegen mitgeholfen. Anschließend habe wieder in die Vollzugsanstalt zurück.
ich den Rolladen von dem Traktfenster hochgezogen. Soweit ich gesehen habe, hat Raspe vom Zeitpunkt sei-
Genau um 07.41 Uhr habe ich dann die Zelle 716 von nes Auffindens bis zu seinem Tod nichts mehr gesprochen.
Raspe geöffnet. Bereits zuvor war von meinem Kollegen
Miesterfeld das Sicherheitsschloß geöffnet worden. Dies A.F.: Zu den BM-Häftlingen hatte ich durch meine Tätigkeit
im Sicherheitstrakt einen normalen Kontakt. Ich habe nie
geschah zu der Zeit, als ich noch beim Abbau der schall-
dämmenden Wände war. Die Öffnung der Zellentür von mit den Häftlingen gesprochen, sofern ich nicht von ihnen
Raspe erfolgte zum Zwecke der Frühstücksausgabe. Ich angesprochen wurde. In dieser Beziehung haben sich aber
habe die Tür in Gegenwart meines Kollegen, d.h. meiner nie besondere Dinge ereignet. Die Gefangenen wollten mit
Kollegen Stapf, Miesterfeld und Hermann geöffnet. In der uns grundsätzlich nichts zu tun haben. So kam es auch, daß
Zelle lag Raspe auf seiner Schaumgummi matratze und nur das Notwendigste gesprochen wurde.

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Gestern, 17.10.1977, hatte ich Dienst von 07.15 Uhr bis Körperliche Duchsuchungen der BM-Häftlinge erfolgten
17.00 Uhr. Gestern nachmittag von 15.54 Uhr - ca. 17.00 seit der Kontaktsperre nicht mehr. Derartige Durchsuchun-
Uhr hatte Frau Ensslin Besuch von den beiden Anstalts- gen wurden nur durchgeführt, wenn die Gefangenen von
geistlichen, Dr. Rieder und Oberpfarrer Kurmann. Der einem Rechtsanwalt besucht wurden. In diesen Fällen
Besuch und das Gespräch zwischen den Geistlichen und erfolgte die Durchsuchung vor der Kontaktaufnahme mit
Frau Ensslin erfolgte auf Wunsch von Frau Ensslin. Das dem Anwalt und dann wieder bei der Rückkehr auf die Zelle.
Gespräch fand in der Besucherzelle statt. Bei dem Zu diesem Zweck wurden die Gefangenen abgetastet. In
Gespräch war außer den jetzt genannten Personen nie- den Fällen, wo ich solche Durchsuchungen gemacht habe,
mand anwesend. Der Gesprächsinhalt ist mir nicht bekannt. haben dies die Gefangenen immer widerstandslos ge-
Der Besuch der Geistlichen wurde schon in der vergan- duldet.
genen Woche angeregt. Wie es zu der ersten Kontaktauf- Nicht durchsucht wurden in diesen Fällen die Akten, die von
nahme zwischen den Geistlichen und Frau Ensslin bzw. den Gefangenen mitgeführt wurden. Wir hatten dazu keine
den anderen BM-Häftlingen kam, entzieht sich meiner Berechtigung.
Kenntnis. Obwohl die Gefangenen über kein Radio, keine Zeitun-
Über den weiteren Ablauf am gestrigen Abend nach gen und keinen Fernsehapparat mehr verfügten, man hat
Beendigung des Besuches kann ich keine Angaben ihnen diese Dinge beim Inkrafttreten der Kontaktsperre aus
machen, weil ich meinen Dienst um 17.00 Uhr beendet den Zellen genommen, bestand für sie trotzdem eine Mög-
habe. lichkeit, das Geschehene im Zusammenhang mit der Terro-
Seit der Kontaktsperre sind mir keine Besuche der BM- ristenbekämpfung über das Radio anderer Gefangener in
Häftlinge bekanntgeworden, ausgenommen der gestrige den Stockwerken darunter mitzuverfolgen. Viele Gefan-
Besuch durch die beiden Geistlichen. gene in den anderen Stockwerken haben in den Zellen
Darüberhinaus fand seit der Kontaktsperre kein gemein- Radios, vorwiegend Transistorgeräte, die von ihnen belie-
samer Umschluß der BM-Häftlinge statt. Auch die Kommu- big in Betrieb genommen werden konnten und auch wur-
nikationsmittel wurden den Häftlingen entzogen. Mir fällt den. Es kam häufig vor, daß eingeschaltete Radios dieser
eben ein, daß nach der Entführung Schleyer die Zellen der Gefangenen so laut tönten, daß sie bis in unser Stockwerk
Häftlinge von Beamten des LKA Stuttgart durchsucht und somit auch von den Häftlingen im Sicherheitstrakt gut
wurden. gehört werden konnten.
Von uns Bediensteten wurden die Zellen der Häftlinge in Eine Veränderung der Persönlichkeit der BM-Häftlinge
deren Abwesenheit, also wenn sie beim Hofgang oder beim seit der Kontaktsperre, insbesondere aber in den letzten
Baden waren, kontrolliert. Es waren sogenannte Sicher- Tagen, war für mich nicht erkennbar."
heitskontrollen, bei denen wir darauf zu achten hatten, ob
sich in den Zellen verdächtige Gegenstände befinden. Die Wörner, KHM
Kontrollen wurden jeweils ins Kontrollbuch eingetragen. Die
Kontrollen wurden je nach personeller Lage von einem oder
2 Beamten durchgeführt. Besondere Vorkommnisse bei
den Kontrollen mußten gemeldet werden. Mir persönlich ist
nicht bekannt, daß bei derartigen Kontrollen seit der Kon-
taktsperre Besonderheiten festgestellt werden konnten.

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DOKUMENTS Ohne näher zu fragen, sagte ich, man solle die Tür von der
VERNEHMUNG VZA-Beamter GÖTZ Zelle des Raspe öffnen. Einer der umstehenden Beamten,
wer, kann ich nicht sagen, öffnete daraufhin die Zellentür.
Ich betrat als erster die Zelle. Dabei fand ich folgende Situa-
tion vor:
Kriminalpolizei Raspe saß auf seinem Bett. Sein Rücken lehnte gegen
Dienststelle 1 die Wand. Der Kopf war etwas nach rechts geneigt und
lehnte auch an der Wand. Die Beine lagen ausgestreckt auf
Stuttgart, den 18.10.77 dem Bett. Die linke Körperseite zeigte zur Zellentür. An der
linken Gesichtshälfte war Blut. Die Arme hingen entlang des
Am 18.10.77, um 15.00 Uhr wurde der geschiedene Amts- Körpers herunter. Die rechte Hand, die eine Pistole
inspektor im Strafvollzugsdienst umfaßte, lag neben dem rechten Oberschenkel auf dem
Bett auf. Der Handrücken zeigte nach oben. Die Hand
Erich Götz umfaßte den Griff der Pistole. Der Lauf zeigte zum Ober-
geb. 7.8.30 in Schorndorf, schenkel hin. Da Raspe noch atmete, nahm ich ihm sofort
die Pistole aus seiner Hand. Dabei ging ich so vor, daß ich
an seinem Arbeitsplatz in der VZA Stamm heim vernom- mit meinen Händen die Schußwaffe nicht berührte. Ich
men. Er gab folgendes an: umwickelte die Waffe zunächst mit meinem Taschentuch
und anschließend packte ich sie in ein Geschirrtuch, wei-
"Ich bin der Leiter der Besuchsüberwachung und in dieser ches ich mir von Miesterfeldt bringen ließ, dem ich dann
Eigenschaft u.a. zuständig für die Überwachung der Besu- auch die umwickelte Pistole übergab.
che bei den BM-Häftlingen. Daraus ergibt sich zwangsläufig An der Waffe, die außer mir und Miesterfeldt niemand in
eine enge Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbeamten des den Händen hatte, wurde von mir nichts verändert.
7. Stockwerks, in dem die BM-Häftlinge untergebracht Parallel zu meinem geschilderten Vorgehen haben sich
waren. die Sanitäter um (!) Raspe angenommen. Aufgrund der
Da ich keinen Stockwerksdienst versehe, war ich auch angetroffenen Situation mußten wir davon ausgehen, daß
nicht im 7. Stockwerk unmittelbar eingesetzt. Ich kam dort sich Raspe in den Kopf geschossen hat.
überwiegend nur hoch, wenn ich einen Besucher oder Bis zum Eintreffen der Sanitäter des Notarztwagens blieb
einen Anwalt begleitete. Raspe in seiner Haltung unverändert. Die Sanitäter nah-
Heute nahm ich gegen 07.00 Uhr meinen Dienst auf. Als men sofort Wiederbelebungsversuche auf, indem sie
ich mich um 07.15 Uhr zufälligerweise im Büro vom Amtsin- Raspe Sauerstoff zuführten. Dabei war sein Atem hörbar.
spektor Bubeck aufhielt, erfuhr ich, daß mit Raspe etwas Sonst war keine Reaktion festzustellen. Als Raspe zum
passiert sein soll. Ich begab mich daraufhin sofort in das 7. Notarztwagen in den Hof transportiert wurde, war dort zwi-
Stockwerk, wo Miesterfeldt und weitere Kollegen zugegen schenzeitlich der Notarzt eingetroffen, der mit einem zwei-
waren, die ich augenblicklich namentlich nicht mehr benen- ten Fahrzeug angefahren worden war. Er übernahm sofort
nen kann. Es waren jedenfalls die Beamten, die auf dem die ärztliche Versorgung.
Stockwerk Dienst hatten. Unmittelbar hinter mir trafen auf Ich fuhr mit dem Notarztwagen ins Katharinenhospital
dem Stockwerk die Sanitätsbeamten Listner und Jost ein. und war dort zugegen, bis Raspe verstarb. Der Tod wurde

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um 09.40 Uhr festgestellt. Beim Eintreffen im KH wurde kurze Flügel dieses Stockwerks ist mit 20 Zellen ausgestat-
sofort mit der ärztlichen Versorgung von Raspe durch die tet. In ihm waren zeitweise die 8 BM-Gefangenen BAADER,
Ärzte begonnen. RASPE, ENSSLlN, MÖLLER, SCHUBERT, HOPPE,
Erst im Katharinenhospital habe ich von den Selbstmor- BEER und POHL untergebracht. Die Gefangenen hatten
den, bzw. Selbstmordversuchen der anderen BM-Häftlinge am Tag 4 Stunden gemeinsamen Umschluß einschließlich
gehört. des Hofgangs. Jeder hatte eine Einzelzelle, wobei die
Wir sahen uns verpflichtet, sofort Raspe ärztlich zu ver- Gefangenen getrennt nach Geschlechtern zusammen
sorgen und haben deshalb nicht gleich in die anderen ZeI- schlafen konnten. Bei den Männern war ein Zusammensein
len geschaut. Zu diesem Zeitpunkt gab es ja keinerlei bis zu 3 Personen gestattet.
Anhaltspunkte für weitere Selbstmorde der Mithäftlinge." Im Zusammenhang mit dem Hungerstreik und einer
späteren Gefangenenmeuterei wurden BEER, HOPPE und
POHL am 12.8.77 nach Hamburg zurückverlegt. Die Gefan-
gene SCHUBERT kam am 18.8.77 nach München-Stadel-
DOKUMENT9 heim. Seitdem waren in dem kleinen Seitenflügel aus-
VERNEHMUNG VZA-BEAMTER MIESTERFELDT schließlich die Gefangenen RASPE (Zelle 716), BAADER
(Zelle 719); ENSSLIN (Zelle 720) und MÖLLER (Zelle 725)
untergebracht. Nach der Verlegung war der gemeinsame
Kriminalpolizei Umschluß unterbunden worden. Von nun ab hatte jeder der
Dienststelle 1 Gefangenen Einzelhofgang und kam nicht mehr mit ande-
ren Mithäftlingen zusammen. Die Zellen 719 (BAADER)
Stuttgart, den 18.10.1977 und 720 (ENNSLlN) liegen einander genau gegenüber;
ebenso die Zellen 716 (RASPE) und 725 (MÖLLER).
Am 18.10.77, um 09.05 Uhr wurde der verheiratete Haupt- Aufgrund der Lage der Zellen war nicht auszuschließen,
sekretär im Strafvollzugsdienst daß sich die Häftlinge durch die Fenster oder über den
Gang durch lautes Zurufen verständigen konnten. Von uns
Klaus Miesterfeldt, wurden diese Zurufe wiederholt bemerkt. Sie waren mei-
geb. 13.11.1935 in Potsdam, stens belanglosen Inhalts. Wir wurden zwar verpflichtet,
wh.; Stuttgart-Stammheim, Pflugfelderstr.32 solche Zurufe zu verhindern, konnten dies jedoch aufgrund
der baulichen Gegebenheit nicht in letzter Konsequenz
in der VZA Stuttgart-Stammheim vernommen, wobei er fol- durchführen.
gende Angaben machte: Die Zellentüren der BM-Häftlinge waren seit einer
bestimmten Zeit - ich meine, es sei seit dem 18.8.77 gewe-
"Ich bin seit 1958 im Strafvollzugsdienst tätig und versah sen - entsprechend einer Anweisung der Anstaltsleitung
meinen Dienst ständig in Stuttgart. Seit der ersten Auf- immer doppelt verschlossen. Zur Nachtzeit (16.30 bis 07.30
nahme der BM-Häftlinge in der VZA Stuttgart-Stammheim Uhr) wurden die Türen noch durch ein zusätzliches Schloß
bin ich als stellvertretender Abteilungsleiter für das Stock- gesichert. Die Häftlinge kamen nur zum Baden oder zum
werk zuständig, in dem die Häftlinge untergebracht waren. Hofgang einzeln aus ihrer Zelle heraus und wurden dabei
Es handelt sich um die 3. Abteilung im 7. Obergeschoß. Der ständig von mindestens 2 bis 3 Beamten beaufsichtigt.

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Nach dem 18.8.77 erfolgten bei den Häftlingen nur noch Meines Wissens haben die Pfarrer am vergangenen Freitag
für eine kurze Zeit die Anwaltsbesuche. Die genauen Daten auch versucht, mit ENSSLlN, MÖLLER und RASPE ins
darüber sind bei der Besuchsüberwachung vermerkt. Die Gespräch zu kommen. Diesen Vorgang erlebte ich nicht
Anwaltsbesuche liefen folgendermaßen ab: mit, sondern kenne ihn aus dem Erzählen der Kollegen.
Der Anwalt ist nach entsprechender Durchsuchung von Unmittelbar nachdem die ENSSLIN gestern bei mir nach
einem Kollegen der Besuchsüberwachung zum 7. Oberge- den Pfarrern verlangte, rief ich Dr. Rieder in seinem
schoß hochgebracht worden. Ihm wurde dort der dafür vor- Anstaltsbüro an. Er sagte mir, sein Amtsbruder Kurmann
gesehene Raum (Zellen 709 bis 712) zur Verfügung sei nicht zu Hause und fragte mich, ob ich den Eindruck
gestellt. Anschließend wurde ihm der Gefangene durch uns hätte, daß das Gespräch der ENSSLIN dringend sei. Ich
zugeführt. Die Nummer des Raumes und die Uhrzeit wur- konnte ihm das zunächst nicht beantworten und fragte des-
den von uns festgehalten. Das Gespräch zwischen dem halb die ENSSLIN. Ich sagte ihr, Dr. Rieder sei allein im
Anwalt und dem Häftling fand bei geschlossenen Türen Haus und fragte sie, ob es morgen früh noch reichen würde.
statt und wurde nicht überwacht. Der Anwalt meldete das Die ENSSLIN antwortete, es sei dringend, es könne auch
Ende des Gesprächs durch einen Druck auf den Zeilen- ein Beamter von uns bei dem Gespräch zugegen sein. Ich
knopf. Vor und nach dem Anwaltsbesuch wurde der Häftling erklärte ihr, dies sei nicht üblich, ich würde aber Dr. Rieder
von uns jeweils körperlich durchsucht, indem wir den gan- entsprechend verständigen. Ich telefonierte nun wieder mit
zen Körper, mit Ausnahme der Genitalgegend, mit den Dr. Rieder und teilte ihm mit, daß nach den Äußerungen der
Händen abtasteten. ENSSLIN das Gespräch als dringend anzusehen sei. Ich
Seit der Kontaktsperre hatten die Häftlinge nur noch mit gab Dr. Rieder in diesem Zusammenhang zu verstehen, die
dem Vollzugspersonal, mit dem Anstaltsarzt und den Sani- ENSSLIN habe angeboten, daß ein Beamter von uns bei
tätern, sowie mit Beamten des LKA Stuttgart und des Bun- dem Gespräch zugegen sein könne. Seit der Kontaktsperre
deskriminalamts Kontakt. hatte keine Einzelperson zu dem BM-Häftlingen Zugang.
Außerdem führten gestern die Anstaltsgeistlichen Dr. Bei dem Telefonat erklärte mir Dr. Rieder, er werde versu-
Rieder und Pfarrer Kurmann mit der ENSSLIN ein chen, seinen Kollegen Kurmann für ein Gespräch herzu-
Gespräch. Hierzu muß ich folgendes ausführen: schaffen. Das Gespräch zwischen ENSSLIN und den bei-
Die Häftlinge hatten in der zurückliegenden Zeit nie nach den Anstaltspfarrern fand gestern von 15.45 bis 17.00 Uhr
den Anstaltsgeistlichen verlangt, weshalb es bis letzte im Besucherraum des 7. Obergeschosses statt.
Woche zu keinem Kontakt kam. Ich glaube, es war am Es wurde ohne Aufsicht durchgeführt. Weder die Pfarrer
Donnerstag letzter Woche, als beide Anstaltsgeistliche dem noch die ENSSLIN sind von uns vor und nach dem
BAADER ein Gespräch angeboten haben. Beide sprachen Gespräch durchsucht worden.
von der Zellentür aus mit BAADER. Ich selbst war bei dem Gestern vormittag waren Herr Klaus vom BKA und eine
Vorgang nicht zugegen. Wie ich aber von meinem Kollegen weitere Begleitperson aus Bonn bei BAADER!
erfuhr, lehnte BAADER ein Gespräch mit den Pfarrern ab. Seit der Entführung von Schleyer waren den Häftlingen
Am Montag, dem 17.10.77, also gestern, meldete sich die sämtliche Kommunikationsmittel unterbunden. Aus
ENSSLIN bei mir um die Mittagszeit herum und verlangte Gesprächen von Kollegen weiß ich jedoch, daß die BM-
die beiden Pfarrer zu sprechen. Sie sagte lediglich, sie wolle Häftlinge bis zuletzt die Möglichkeit hatten, Nachrichten-
die beiden Pfarrer sprechen. Dies sah ich im Zusammen- sendungen aus dem Radio von den darunterliegenden Zei-
hang mit dem vorausgegangenen angebotenen Gespräch. len mitzuhören, sofern die Radios bei geöffnetem Fenster

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11Io...-
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laut eingestellt waren. Ich selbst habe dies jedoch nie wahr- diesem Schlüssel das Zweitschloß der Zellentüren und am
genommen. Die Zellen des 6. Stockwerks, die unmittelbar nächsten Morgen öffne ich sie wieder bei Dienstbeginn.
unter den BM-Häftlingen liegen, sind alle belegt. Dadurch ist gewährleistet, daß nachts die Zellen nicht betre-
Eine andere Möglichkeit, Nachrichten zu erfahren, kann ten werden können. Die ärztliche Versorgung, wie z.B. die
ich mir nicht vorstellen und halte dies aufgrund meiner Zuteilung von Schlaftabletten findet über den Essenschal-
dienstlichen Erfahrung auch für ausgeschlossen. Anderer- ter statt.
seits war es aber so, daß trotz der strengen Aufsicht schon Gestern hatten außer mir auf dem 7. Stockwerk die Kolle-
verbotene Gegenstände, wie zum Beispiel eine Minox, in gen StoII, Hermann, Weiß, Zieker und Giebler Tagesdienst.
der Zelle des BAADER aufgefunden wurden. Am 13.9.77 Kollege Weiß machte bis 18.00 Uhr Spätdienst, während
war BAADER von der Zelle 719 nach 715 verlegt worden, die anderen schon um 17.00 Uhr ihren Dienst beendeten.
weil bei einer Routinekontrolle in seiner Zelle eine Minox Um 18.00 Uhr nahm mein Kollege Springer seinen Dienst
gefunden wurde. Seine Rückverlegung in seine alte Zelle auf. Er dauerte bis heute morgen um 06.30 Uhr. Nachts ist
719 erfolgte am 4.10.77 auf Anraten des Anstaltsarztes. das Stockwerk nur durch einen Beamten bewacht.
Aufgrund der Rückverlegung des BAADER auf Zelle 719 Gestern habe ich im Zusammenhang mit den BM-Häftlin-
wurde RASPE am 4.10.77 von 718 nach 716 verlegt, weil gen keinerlei Auffälligkeiten bemerkt.
die beiden sonst unmittelbar nebeneinander gelegen Heute morgen um 06.30 Uhr wurde Kollege Springer von
hätten. dem Kollegen Riesinger abgelöst, der Frühdienst hatte. Als
Laut Anweisung der Anstaltsleitung wurden die Zellen ich um 07.15 Uhr meinen Dienst aufnahm, holte ich bei der
der BM-Häftlinge mindestens dreimal in der Woche kontrol- Vollzugsdienstleitung den Sicherheitsschlüssel und öffnete
liert. Es waren hauptsächlich Sicherheitskontrollen, bei wie üblich die Zweitschlösser an den Zellentüren. In der
denen man die Fenstergitter und anderes überprüfte. In Regel wird zwischen 07.30 und 07.40 Uhr die Fernsehüber-
dem persönlichen Habe wurden nur Stichproben vorge- wachungsanlage ausgeschaltet und danach werden die
nommen. Die Kontrollen erfolgten hauptsächlich, wenn der Sicherheitsschlösser geöffnet. So ging ich auch heute mor-
Gefangene im Bad oder auf Hofgang war. Meines Wissens gen vor. Beim Entriegeln der Sicherheitsschlösser ging ich
fand bei BAADER und RASPE erst gestern eine Zeilenkon- von Zellentür zur Zellentür, ohne daß von mir die Zeilentü-
trolle statt. Die einzelnen Kontrollen sind dem Zeilenkon- ren geöffnet wurden. Um 07.41 Uhr öffneten die Kollegen
trollbuch zu entnehmen. Stoll und Stapf die Zellentür bei RASPE. Ich befand mich zu
Ich hatte gestern wie üblich Tagesdienst, der von 07.15 dieser Zeit auf dem Flur in unmittelbarer Nähe. Stoll rief mir
bis 16.45 Uhr dauerte. Wegen des Besuchs der beiden zu: ,Hier ist was passiert.' Ich ging deshalb sofort zu der
Anstaltspfarrer bei der ENSSLIN kam ich allerdings erst Zelle und sah Raspe in sitzender Haltung mit dem Rücken
gegen 17.00 Uhr weg. an der Wand auf seiner Matratze. An seiner linken Hals-
Der Tagesdienst wird normalerweise von 6 Beamten seite, die zur Tür zeigte, war Blut zu erkennen.
wahrgenommen. Herr Bubeck ist der leitende Beamte, Ich rannte nun sofort zum Telefon und verständigte in
während ich sein Stellvetreter bin. Zu meinen Aufgaben unserem Krankenrevier den Sanitäter Listner. Stoll beauf-
gehört es u.a., morgens bei Dienstbeginn gegen Unter- tragte ich, die Vollzugsdienstleitung zu verständigen. Die
schrift den Schlüssel für das Zweitschloß der Zellentüren zu Zellentür war zwischenzeitlich wieder verschlossen wor-
holen, der im Schlüsselschrank der Vollzugsdienstleitung den. Wir warteten das Eintreffen der Sanitäter Listner und
verwahrt wird. Abends bei Dienstschluß schließe ich mit Jost ab, die um 07.43 Uhr in unserem Stockwerk erschie-

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nen. Wir gingen gemeinsam in die Zelle. Während die Sani- geöffnet. Ich sah die MÖLLER zugedeckt auf ihrer Matratze
täter RASPE anschauten, rief plötzlich ein Kollege - ich liegen. Einer der Sanitäter ging zu ihr hin und drehte den
glaube es war Stapf - ,Da liegt eine Pistole!' Nun überstürz- Kopf zu sich. Dabei sah ich Blutspuren im Bereich ihres
ten sich die Ereignisse. Es kamen mehrere Kollegen vom Halses. Während sich die Sanitäter um die MÖLLER
Hause hinzu, von dem ich ein Telefonat geführt hatte, mit annahmen, verriegelte ich die Sicherheitsschlösser an den
wem weiß ich nicht mehr, vermutlich hatte irgendjemand Zellentüren von BAADER und ENSSLlN, da beiden laut den
vom Hause angerufen, betrat ich die Zelle von RASPE. Sanitätern nicht mehr zu helfen war. Später habe ich die
Dabei sah ich, wie Kollege Götz die Pistole in der Hand hielt. Türen nochmals für den Anstaltsarzt Dr. Majerowitz geöff-
Er hatte sie mit einem Taschentuch umwickelt. Ich lief in die net. Er sah sich beide Toten an, ohne daß von ihm etwas
Küche, holte dort ein Handtuch und gab dieses Götz, damit verändert wurde.
er die Schußwaffe darin einwickeln konnte. Anschließend Die MÖLLER wurde mit einem Notarztwagen abtranspor-
nahm ich die eingewickelte Pistole an mich und legte sie in tiert. Zwischenzeitlich war auch der Anstaltsleiter Herr Nus-
meinem Büro ab, ohne daß von mir an der Waffe etwas ser hinzugekommen.
verändert wurde. Dann fanden verschiedene Telefonate In der Zelle von Raspe habe ich am Eingang einige dort
statt und wir warteten das Eintreffen des Notarztwagens ab. abgelegte Gegenstände - es waren eine Schreibmaschi-
Die anderen Zellentüren der BM-Häftlinge blieben zunächst nenhülle, ein paar Dosen, u.a. - zur Seite gegeben, damit
verschlossen, weil ja zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen der Eingang für den Abtransport frei war. Sonst wurde von
konnte, was passiert war. mir in keiner Zelle etwas verändert. Ich habe nur die Zelle
Nach dem Abtransport von RASPE mit dem Notarztwa- von Raspe betreten. In die anderen Zellen schaute ich nur
gen wurde um 08.0? (unleserlich) Uhr die Zellentür von von der Zellentür aus hinein. Soweit ich beobachten konnte,
BAADER durch den Kollegen Münzing geöffnet. Dabei haben meine Kollegen in den Zellen ebenfalls keine Verän-
stand Regierungsrat Buchert. Die beiden hatten sich unter derungen vorgenommen.
dem Türrahmen aufgestellt. Über ihre Schultern hinweg sah Für mich ist unerklärlich, wie RASPE und BAADER zu
ich BAADER auf dem Zellen boden liegen. Münzing rief: ,Da ihren Schußwaffen gekommen sind.
liegt auch eine Pistole!' Der hinzugetretene Sanitäter List- Bei den BM-Häftlingen waren keine Kontrollen zu festen
ner stellte fest, daß jede Hilfe zu spät war. Deshalb ver- Zeiten vorgeschrieben. Durch die Tür konnte man keine
schlossen wir die Zellentür wieder und begaben uns zu Einsicht in die Zellen nehmen, da der Spion abgedeckt war.
ENSSLINS Zelle. Ich öffnete die Tür und in diesem Moment Wie ich hörte, erfolgte in der vergangenen Nacht gegen
rief einer der Sanitäter, der neben mir war: ,Da hängt sie!' 23.00 Uhr die Ausgabe von Medikamenten wie üblich durch
An einer Decke, die an der Wand beim Zellenfenster aufge- die Essensklappe. Laut Eintrag im Nachtdienstbuch haben
hängt war, hingen unten Beine hervor. Der Körper war nur BAADER und RASPE Medikamente bekommen.
durch die Decke verdeckt. Es waren lediglich die Füsse und Eine gründliche Durchsuchung der Zellen und eine kör-
ein Teil der Beine sichtbar, die herunterhingen. Sie waren perliche Durchsuchung der Häftlinge waren nicht an der
bodenfrei. Man mußte davon ausgehen, daß sich die Regel. Diese erfolgten nur aus besonderen Anlässen, wie
ENSSLIN erhängt hat. Einer der Sanitäter hob die Decke z.B. bei dem Attentat in Stockholm, bei der Entführung von
etwas an und sagte: ,Da ist nichts mehr zu machen!' Lorenz und bei der Entführung von Schleyer.
Wir verschlossen deshalb die Zellentür und anschließend Die Durchsuchungen, bei denen die Häftlinge auch ihre
hat irgendein Kollege dann die Zellentür der MÖLLER Kleider ausziehen mußten, wurden immer von Beamten

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des LKA Stuttgart vorgenommen. Wir selbst nahmen wie Christoph Listner
bereits angeführt in erster Linie Sicherheitskontrollen in den geb. am 26.9.1939 in Auerbach/Krs. Chemnitz
Zellen und Stichproben im persönlichen Habe sowie vor wohnh. Stuttgart-Stammheim, Pflugfelderstr. 4
und nach Anwaltsbesuchen eine körperliche Durchsu-
chung der Häftlinge vor. Bei der körperlichen Durchsu- und macht folgende Angaben:
chung tasteten wir mit den Händen die Kleidung, bzw. den
Körper von oben bis unten ab. Meines Wissens erfolgte die noch zur Person: Seit dem 13.2.1963 bin ich im Justizdienst
letzte eingehenede Durchsuchung der Zellen und der Häft- und seit der Eröffnung der JVA Stuttgart-Stammheim in
linge durch Beamte des LKA Stuttgart anläßlich der Entfüh- Stammheim.
rung von Schleyer. Vorher war ich etwa 1/2 Jahr in der alten JVA Stuttgart
Wie schon erwähnt, kann ich mir nicht vorstellen, wie und in Waiblingen.
RASPE und BAADER an ihre Schußwaffen gekommen Damals war ich im normalen Vollzugsdienst. Seit dem
sind. Diesbezüglich habe ich keinerlei Beobachtungen Jahre 1967 bin ich im Sanitätsdienst eingesetzt.
gemacht. Ebenso habe ich bis zum heutigen Morgen nichts
bemerkt, was ich hätte mit den Selbstmorden und den Zur Sache:
Selbstmordversuchen der BM-Häftlinge in Verbindung brin- "Wie schon erwähnt bin ich seit etwa 10 Jahren im Sanitäts-
gen können. Uns gegenüber waren die Häftlinge immer dienst der JVA Stuttgart-Stammheim tätig. Mit mir sind es
sehr abweisend und offenbarten sich nicht." insgesamt 12 Personen, die dieser Spezialdienststelle
angehören, 9 Männer und drei Frauen. Zu unserem Aufga-
Bross benbereich gehört es, Verwaltungsaufgaben wahrzuneh-
men, den Arzt bei der Visite zu unterstützen, die vom Arzt
oder besser den Ärzten angeordneten Behandlungsmaß-
nahmen durchzuführen und sonst alle im Krankenrevier
DOKUMENT10 anfallenden Arbeiten auszuführen.
VERNEHMUNG LISTNER Mir wurde nun gesagt, zu welcher Sache ich gehört wer-
den soll, und ich bin natürlich bereit dazu folgende Angaben
zu machen:
Am gestrigen Dienstag, den 18.10.1977 begann ich
Landeskriminalamt Baden-Württemberg gegen 06.30 Uhr meinen Dienst im Krankenrevier.
z.Z. JVA Stuttgart-Stammheim, 19.10.1977 Etwa gegen 07.40 Uhr, als ich gerade damit begonnen
hatte die Arztvisite vorzubereiten, klingelte das Telefon. Ich
Vernehmungsniederschrift hob ab und am Telefon meldete sich mein Kollege H.-Sekr.
Miesterfeld mit folgenden Worten: Mit RASPE stimmt was
In der JVA Stuttgart-Stammheim aufgesucht, erscheint der nicht, es ist alles voller Blut, kommt sofort!
verh. Justizsekretär Auf diesen Anruf hin rief ich sofort meinen Kollegen Jost,
der sich im selben Zimmer befand. Sofort pack1e ich meinen
Notarztkoffer und den Beatmungsbeutel. Zusammen mit
Jost eilte ich vom Verwaltungsgebäude ins 2. OG Bau I, in

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dem ich erst mit dem Schlüssel den Aufzug herbeiholen Wand gelehnt. Die Beine hatte er im Bereich der Unter-
mußte. Anschließend fuhren wir mit dem Aufzug zum 7. OG, schenkel übereinandergelegt. Soweit ich mich erinnere,
in dem sich der Terroristentrakt befindet. Im 7. OG brauch- hing der linke Arm lose auf der Matratze herunter. Ein
ten wir keine Türen mehr aufzuschließen; sie standen offen. Magazin der mutmaßlichen Tatwaffe lag in Höhe der Unter-
Der ganze Weg von meinem Dienstzimmer im Verwal- schenkel auf der Matratze. Soweit ich mich erinnere, war
tungsgebäude bis zur Zelle des Raspe dürfte nach meiner das Magazin teilweise gefüllt, um wieviele Patronen es sich
Schätzung etwa 4 bis 5 Minuten in Anspruch genommen jedoch handelte, weiß ich nicht. Ich habe sie nicht gezählt.
haben. Etwa zwei oder drei Patronen lagen in der Nähe des Maga-
Bei unserem Eintreffen war die Zellentür des RASPE zines. Soweit ich mich noch erinnere, trug der Verletzte bei
noch geschlossen. Bereits anwesend waren 4 bis 5 Per- der Auffindung einen orangefarbenen Pullover, eine dunkle
sonen. Cord hose und Socken. Schuhe trug er nicht.
Es handelte sich hierbei um die Herren GÖTZ, MÜN- Als langjähriger Sanitäter sah ich natürlich sofort, daß der
ZING, STAPF, MIESTERFELD, HERMANN und um Frau Verletzte eine sofortige ärztliche Hilfe benötigte.
FREDE, die sich meiner Erinnerung nach etwas später Ich bat meinen Kollegen Jost sofort vom nächsten Telefon
einfand. aus, den Notarztwagen zu rufen. Da ich sah, daß ich dem
Einer der anwesenden Herren sperrte die Türe zur Zelle Verletzten selbst nicht helfen konnte, wurde der Verletzte in
des RASPE auf. Als erster betrat ich die Zelle, nach mir Herr der geschilderten Stellung gelassen. Ich verließ anschlie-
Jost, dann Herr MÜNZING und dann kamen die anderen ßend ebenfalls die Zelle, begab mich zum Revier, um dort
Leute nach. Ich sah RASPE in sitzender Stellung auf der die fahrbare Trage zu holen. Ich konnte noch feststellen,
Matratze. Den Kopf hatte er auf die rechte Seite gedreht und daß Herr Götz die Waffe aus der rechten Hand des Verletz-
seine Atmung war unregelmäßig. Aus beiden Ohren floß ten nahm und diese aus der Zelle nahm. Als ich nach 8 -1 0
. Blut aus, das teilweise schon geronnen war. Ebenfalls floß Min. wieder zum 7. OG zurückkam, war die Besatzung des
aus der Nase Blut, das teilweise auch schon geronnen war. Notarztwagens bereits an Ort und Stelle. Die Sanitäter woll-
An beiden Augen waren Blutergüsse vorhanden. Aus dem ten zunächst eine Infusion anlegen, ob sie jedoch die Infu-
rechten Mundwinkel war eine geringe Menge Blut ausge- sion zur Ausführung brachten, kann ich nicht mit Sicherheit
flossen und trat auch noch weiterhin aus. In diesem Mund- sagen. Wiederum nach einigen Minuten traf der Notarzt ein.
bereich hatte sich blutiger Schaum gebildet. Der Patient Noch bevor der Arzt ankam, wurde der Verletzte von den
selbst war ohne Bewußtsein. Ohne die Person zu berühren, beiden Sanitätern und mir zusammen auf die fahrbare
stellte ich fest, daß sich an der rechten Schädelseite wahr- Trage gelegt und in Richtung Aufzug gefahren. Auf dem
scheinlich eine Schußwunde befand. Dieses schloß ich dar- Weg zum Aufzug, kam der Arzt (Notarzt) an und während
aus, da sich in der rechten Hand des Verletzten eine Schuß- wir in dem Aufzug fuhren, schaute sich der Notarzt den
waffe befand. Auch an der linken Schädelseite hatte er eine Verletzten an. Der Arzt äußerte sich nicht zu dem Abtrans-
Schußwunde, wobei ich natürlich nicht sagen konnte, wei- port, so daß ich annahm, daß er unsere Handlungsweise für
ches der Ein- bzw. der Ausschuß war. Die Waffe war nicht richtig befand.
fest umschlossen, sondern lag lediglich im Bereich der Im Erdgeschoß erfolgte die Umlagerung von der anstalts-
rechten Hand, die wiederum auf der Matratze neben dem eigenen fahrbaren Trage auf die Notarzttrage, und
rechten Oberschenkel lag. Der Verletzte saß, wie schon anschließend erfolgte der Abtransport zum Krankenhaus.
erwähnt, auf der Matratze und war mit dem Rücken an die

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Frage: Wann und zu welchen Zwecken erhielt Raspe Mißtrauisch geworden, noch besser erschrocken, durch die
Zellstoff? beiden anderen Vorfälle, gingen wir sofort zur Zelle der
Antwort: Zu welchem Zeitpunkt er den Zellstoff erhalten Ensslin, die sich auf dem Flur gegenüber befindet. Irgendje-
hatte, kann ich nicht sagen. Von mir persönlich hat er in den mand sperrte die Zelle auf und rief anschließend wörtlich:
letzten Tagen mit Sicherheit keinen Zellstoff erhalten. Es ,Die Ensslin hat sich aufgehängt'. Soweit ich mich erinnere,
kann aber sein, daß er den in seiner Zelle vorgefundenen habe ich gar nicht in die Zelle der Ensslin gesehen, sondern
Zellstoff schon seit längerer Zeit in seiner Zelle aufbe- ging unverzüglich zur Zelle der Möller, welche bereits von
wahrte. Über den Zweck des Zellstoffes befragt, meine ich, einem Kollegen aufgeschlossen wurde. Ich selbst betrat als
daß er diesen als Ersatz für Papiertaschentücher verwen- erster die Zelle der Möller und Herr Jost folgte mir sofort. Ich
den wollte, oder auch schon verwendet hat. sah die Gefangene auf ihrer linken Seite auf der Matratze
Gegen Mittag erfuhr ich von den Begleitpersonen des liegen. Vereinzelte Blutspritzer waren in der Zelle verteilt,
Raspe, daß Raspe in der Klinik verstorben sei. nicht an den Wänden, nur am Boden. Die Möller hatte die
Das wäre alles, was ich zum Fall Raspe sagen kann. Beine angezogen und die Arme konnte man nicht sehen, da
sie sich mit einer Decke zugedeckt hatte. Noch mit der
Nachdem Raspe abtransportiert war, begab ich mich mit Decke zugedeckt, legten wird die Möller auf den Rücken.
dem Aufzug wieder zum 7. OG, um meine Sanitäterutensi- Und erst jetzt nahmen wir die Decke von ihr weg. Als sie nun
lien abzuholen. Als ich das OG betrat, war alles in großer auf dem Rücken lag, gab sie Lebenszeichen; sie atmete
Aufregung. Von meinen Kollegen Soukop und Miesterfeld und stöhnte mit mittlerer Lautstärke. An der linken Brust-
erfuhr ich, daß sich Baader in seiner Zelle erschossen habe. seite war, wie man sehen konnte, die Bekleidung naß. Ob
Sofort bin ich zur Zelle des Baader, wo die anderen Leute es sich um Blut handelte, konnte man aufgrund des dunklen
schon versammelt waren. Sofort habe ich erkannt, daß bei T-Shirts nicht erkennen. Um feststellen zu können, welcher
Baader jede Hilfe zu spät kam. Art die Feuchtigkeit war, mussten wir ihr T-Shirt hochzie-
Baader lag ausgestreckt auf dem Fußboden, mit dem hen. Nun konnte man sehen, daß sie an der linken Brust-
Kopf in Richtung zur Türe, in Rückenlage. Seine Augen seite drei bis vier Verletzungen hatte. Die Wundblutung
hatten große, starre Pupillen, so daß man annehmen hatte zu dieser Zeit aufgehört. Mein Kollege Jost hat nun
mußte, er sei tot. sofort die Verletzungen mit sterilem Mull abgedeckt. Die
Sowohl Kopf, als auch der obere Teil des Schulterbe- Beine wurden hochgelagert und zwar mittels eines Stuhles.
reichs, lagen in einer teilweise geronnenen Blutlache. Links Als dies geschehen war, verließ ich die Zelle, um sofort zum
neben dem Kopf lag eine Schußwaffe auf dem Fußboden. nächsten Telefon im selben Stockwerk zu gehen und erneut
Die Füße lagen in natürlicher Stellung, also weder gekreuzt den Notarztwagen zu rufen. Genau zu diesem Zeitpunkt,
oder irgendwie angewinkelt. Der linke Arm war glatt ausge- als ich die Zelle verließ, kam unser Anstaltsarzt Majerowicz
streckt, an die Lage des rechten Armes kann ich mich nicht hinzu, und übernahm die weiteren ärztlichen Maßnahmen.
mehr erinnern. In Höhe des linken Unterschenkels, etwa 10 Während ich zum Telefonieren ging, kümmerte sich Dr. M.
- 15 cm entfernt, lagen zwei leere Patronenhülsen. Nach um die verletzte Möller. Nachdem ich mein Telefonat aus-
unserer Feststellung, daß Baader tot ist, verließen wir die geführt hatte, begab ich mich zum Revier, um unsere fahr-
Zelle. Ob die Zellentüre nun geöffnet blieb, oder versperrt bare Krankentrage erneut zu holen. Kurze Zeit nachdem
wurde, kann ich nicht mehr sagen. kam ich mit der fahrbaren Trage wieder zum 7. OG zurück.
Die Möller wurde von Kollegen auf die Trage gelegt. Nach

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!

etwa 10-15 Minuten kamen drei Sanitäter des DRK hinzu, DOKUMENT11
die zunächst nichts unternehmen konnten. Unmittelbar VERNEHMUNG JOST
danach kam auch der Notarzt, der sich die Verletzte besah,
ihr eine Infusion anlegte und den sofortigen Abtransport
anordnete. Die Umlagerung von der anstaltseigenen Trage
auf die Trage des DRK erfolgte im EG wie im Fall Raspe. Landeskriminalamt Baden-Württemberg
Vom Fahrer des Wagens erfuhr ich, daß die Möller zum z.Zt. JVA Stuttgart-Stammheim, den 19.10.1977
Robert-Bosch-Krankenhaus gebracht würde.
Vernehmungsniederschrift
Frage: Welche Kleidung trug die Möller, als Sie die Zelle
betraten und konnten Sie daran irgendwelche Besonder- In der JVA Stuttgart-Stammheim aufgesucht, erscheint der
heiten feststellen? verh. Justiz-Obersekretär
Antwort: Die Möller trug ein dunkles, dunkelblaues oder
schwarzes T-Shirt, eine dunkle Cordhose und keinen BH. Edgard Jost,
Welche Fußbekleidung sie trug, daran kann ich mich nicht geb. am 5.8.1941 in Kornwestheim,
erinnern. Das T-Shirt hatte sie normal am Leibe, es war also wh. in 7014 Kornwestheim, Friedrichstraße 82
nicht irgendwie hochgeschoben. Hochgeschoben haben es
erst wir, als wir nach den Verletzungen sahen. Eine Beschä- Noch zur Person: Seit dem 2.1 .1968 begann ich meine
digung des Gewebes des T-Shirts konnten wir nicht fest- Tätigkeit hier in der JVA in Stuttgart-Stammheim.
stellen: Hinsichtlich der Decke meine ich, daß die Möller
sich normal zugedeckt hatte. Sie lag nicht auf der Decke Zur Sache: "Seit dem Jahre 1971 bin ich beim Sanitäts-
und hatte sich auch nicht darin eingewickelt. Die Decke war dienst in der JVA Stuttgart-Stammheim beschäftigt.
jedenfalls mühelos zu entfernen. Ich kann mit Sicherheit Mir obliegt der gleiche Tätigkeitsbereich wie meinem
sagen, daß die Matratze, auf der die Möller lag, während der schon vernommenen (Kollegen) Christoph Listner.
ärztlichen Versorgungstätigkeit in der Zelle mit Sicherheit Mir wurde eröffnet, zu welchem Sachverhalt (ich) gehört
nicht verändert wurde. werden soll. Ich bin bereit, folgende Aussagen zu machen:

Frage: Haben Sie das Messer gesehen und wo lag es, als Am gestrigen Dienstag, dem 18.10.1977 trat ich zusammen
Sie die Zelle betraten? mit Herrn Hauptsekretär Grabinat gegen 07.15 Uhr meinen
Antwort: Ein Messer habe ich nicht gesehen. Ich habe Dienst im Krankenrevier an. Soweit ich mich erinnern kann,
auch keinen anderen Gegenstand gesehen, mit dem sich befanden sich sieben Kollegen einschI. meiner Person, im
die Verletzte die Verletzungen beigebracht hatte. Krankenrevier und versahen dort unseren Dienst. Während
ich meine Dienstgeschäfte verrichtete, wurde Kollege List-
Selbst gelesen und unterschrieben ner tel. ins 7. OG zu RASPE gerufen. Zusammen mit mei-
Listner nem Kollegen Listner und den Vollzugsbeamten im Außen-
dienst, Amtsinspektor GÖTZ und Hauptsekretär Münzing,
Geschlossen: die wir auf dem Weg zum 7. OG im Aufzug trafen, erreichten
Hampp/Fey wir gegen 07.44 Uhr den Zellentrakt der BM-Häftlinge. Auf

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dem Weg zu Raspes Zelle waren sämtliche Durchgangstü-
ren geöffnet. Von der Alarmierung bis zum Eintreffen bei
Raspes Zelle vergingen ca. 4 - 5 Minuten.
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I
DOKUMENT12
VERNEHMUNGSOUKOP

Entgegen der Ansicht meines Kollegen Listner befanden


sich die Herren Götz und Münzing nicht schon innerhalb
des Zellentraktes, sondern trafen mit uns gleichzeitig ein. Landeskriminalamt Baden-Württemberg
Von den Kollegen, die sich schon innerhalb des ZeIlentrak- Stuttgart-Stammheim, den 25.10.1977
tes aufhielten, kann ich mich noch an Herrn Stapf und
Hermann erinnern. Die Zellentür des Raspe war bei mei- Vernehmungsniederschrift
nem Eintreffen schon geöffnet. Der Servierwagen, mit
denen den Häftlingen zu dieser Zeit das Frühstück gebracht Am Dienstag, dem 25.10.1977, gegen 13.26 Uhr, wurde der
werden sollte, stand vor der Zellentüre. Zusammen mit verh. Obersekretär im Vollzugsdienst
Herrn Götz, Herrn Listner und Herrn Münzing betrat ich die
Zelle. Ich hielt mich ungefähr 1 1/2 - 2 Minuten in Raspes Adolf Richard Soukop,
Zelle auf. Während dieser Zeit sah ich Raspe mit dem geb. 29.4.1940 in Schattau,
Rücken zur Wand auf seiner Matratze sitzen. Sein Kopf war wohnh. Stuttgart 40,
leicht nach vorne gebeugt. Mir fiel auch noch auf, daß sein Hornissenweg 100,
linkes Auge stark bläulich verfärbt und angeschwollen war.
Auf sonstige Verletzungen an seinem Kopf habe ich nicht in der JVA Stammheim zur Sache befragt. Er machte fol-
geachtet. Ich kann mich lediglich noch an einen Blutfaden gende Angaben:
erinnern, der ihm aus dem Mund austrat. Ob Raspe noch
bei Bewußtsein war oder sonstige Lebenszeichen von sich "Ich bin seit 8.7.1963 im Vollzugsdienst. Im Oktober 1963,
gegeben hat, kann ich mich nicht mehr erinnern. Dagegen als hier in Stammheim die Anstalt neu eröffnet wurde, bin
kann ich mich noch genau an eine Schußwaffe (Handfeuer- ich auch gleich hierhergekommen. Seit etwa 1965 bin ich
waffe) erinnern, die Raspe in der Hand gehabt hatte, es fest im Sanitätsdienst der Vollzugsanstalt. Es handelt sich
kann aber auch sein, daß die Handfeuerwaffe nur in der um die Krankenabteilung.
Nähe von Raspes rechter Hand auf der Matratze gelegen Ich bin ausgebildet als Krankenpfleger und habe auch
war. einen Röntgenlehrgang absolviert. Ich bin Verantwortlicher
der Ambulanz in der JVA. In der Regel ist es so, daß bei mir
die ambulanten Behandlungen am Häftling durchgeführt
werden, welche vom Anstaltsarzt verordnet wurden. Hinzu
kommt noch die Medikamentenausgabe in der gesamten
JVA. Wer diese macht, richtet sich nach dem jeweiligen
Dienstplan. Anhand der jeweiligen Medikamentenbücher
kann man ersehen, welcher Gefangene in welcher Zelle
welche Medikamente vom Arzt verordnet bekommen hat.
Es gibt dabei Ausgabebücher für Morgen, Mittag und Nacht.
Am Dienstag, dem 18.10.1977, war ich früh morgens zur
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Medikamentenausgabe eingeteilt. Ich führte dabei den An der Wand habe ich kein Blut bemerkt bzw. ich kann
Medikamentenwagen mit mir. Die Ausgabe begann um mich daran nicht erinnern. Eine Waffe sah ich nicht. Ich
06.30 Uhr. Zuerst habe ich, wie es immer gemacht wurde, stellte fest, daß am Fußende auf der Matratze ein Magazin
alle anderen Stockwerke gemäß dem Medikamentenaus- mit 5 oder 6 Patronen gefüllt lag. Außerdem waren noch drei
gabebuch aufgesucht. Zuletzt kam dann die 111.Abteilung, oder vier einzelne Patronen neben dem Magazin. Ich
also der 7. Stock dran. Ich kam gegen OB.OO.Uhr im 7. glaube, daß es sich um das KaI. 7,65 gehandelt hat.
Stockwerk an und wurde sofort am Aufzug von Frl. Anne Etwa 1 Minute, nachdem ich die Zelle des Raspe betreten
Zell aufgehalten, welche mir mitteilte, daß sich Raspe in den hatte, kam bereits Herr Listner mit der fahrbaren Liege an.
Kopf geschossen habe und man sofort eine fahrbare Liege Wir trugen den Raspe auf den Flur und legten ihn auf die
brauche. Ich stellte meinen Medikamentenwagen im Liege. In dem Augenblick traf der Notarzt bei uns ein. Den
Dienstzimmer ab und begab mich sofort mit Frl. Zell ins 2. Namen weiß ich nicht. Was dann weiter mit Raspe geschah,
Obergeschoß, von wo aus man zum Krankenrevier kommt. weiß ich nicht, weil ich unmittelbar daran an die Zelle 719
Dort, im 2. Obergeschoß begegnete mir der Leiter des von BAADER gerufen wurde. Vor der noch geschlossenen
Krankenreviers, Herr Hauptsekretär Listner, mit einer fahr- Zelle befanden sich nach meiner Erinnerung die Kollegen,
baren Liege. Daraufhin bin ich sofort wieder in den 7. Stock Hauptsekretär Wahr und Münzing. Sie sagten, daß man
zurückgekehrt. jetzt auch in die Zelle des Baader schauen sollte. Einer von
Ich begab mich in die Zelle 715 zu Raspe. Es waren beiden schloß die Zellentüre auf. Ich betrat als erster die
bereits zwei Pfleger vom Notarztwagen anwesend, die sich Zelle. Ich mußte zuvor noch die innen befindliche Schaum-
bei Raspe befanden. Andere Personen befanden sich in stoffmatratze entfernen, welche vom Gefangenen selbst
diesem Augenblick nicht in der Zelle. Einer der Pfleger war hinter der Türe angebracht worden war. Als ich diese
dabei, den Blutdruck des Raspe zu messen, der andere Matratze entfernt hatte, sah ich etwa 1 Meter vom Eingang
wollte am linken Arm eine Infusion anlegen. Ich fragte die entfernt den Baader auf dem Rücken liegen. Der Kopf lag in
beiden Pfleger sofort, ob Lebenszeichen vorhanden sind. Richtung Türe, die Beine waren leicht gespreizt und zeigten
Sie erklärten, er habe einen ziemlich flachen kaum spürba- in Richtung Fenster, welches durch Decken verhängt wor-
ren Puls, der zeitweise aussetzen würde. Daraufhin habe den war. Es war ziemlich dunkel in der Zelle, da nur das
ich selbst am rechten Handgelenk des Raspe den Puls Licht vom Flur vorhanden war. Seine Augen und sein Mund
fühlen wollen, jedoch praktisch nichts mehr davon gespürt. waren geöffnet. Die Oberarme waren parallel zum Oberkör-
Raspe lebte jedoch noch, da er nach meiner Feststellung per am Boden und die Unterarme nach oben hinten in
noch flach atmete. Ich muß mich verbessern, dies wurde mir Kopfrichtung angewinkelt. Die Hände waren verkrampft.
durch einen Pfleger gesagt. Raspe saß, wenn man die Zelle Soweit ich sehen konnte, hatte er nichts in der Hand. Er lag
betritt, auf seiner Matratze an die rechte Wand angelehnt. in einer größeren Blutlache. Das Blut war zum Teil schon
Der Kopf war leicht zur Seite geneigt und zwar in Richtung geronnen, soweit dies in dem schlechten Licht feststellbar
linker Schulter. Die linke Gesichtshälfte war stark verblutet. war. An eine Pistole kann ich mich ebenfalls nicht erinnern,
Das Blut an Hals und Kleidung war bereits schon geronnen, weil ich mich nur auf den am Boden liegenden konzentriert
am Kopf war es noch frischer. An der rechten Schläfenseite habe. Ich versuchte den Puls vermutlich an dem rechten
war eine hornförmige Ausbuchtung, welch am Beginn eine I Handgelenk zu fühlen. Ich konnte jedoch keinen mehr fest-
schaumig-blutige nach vorne zu hellere Masse war. Ich I
stellen. Der Arm war nach meiner Feststellung bereits kalt.
glaube, daß es sich um Gehirnmasse gehandelt hat. I Ich habe außer der Hand keinen anderen Körperteil ange-

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faßt. Nach meiner Schätzung (ist ?) er bereits seit minde- Augen waren geschlossen. Wie bereits erwähnt, zog ich die
stens zwei Stunden tot gewesen. Decke weg und sah, daß beide Hände blutverschmiert
Ob die Fenster in der Zelle von Raspe und Baader zu waren. Ich schaute nach, ob die Pulsadern geöffnet worden
dieser Zeit, als wir hineinschauten, geöffnet waren oder waren, was nicht der Fall war. In dieser Zelle war kein
nicht, kann ich nicht sagen. Fenster verhängt, weshalb die Lichtverhältnisse ausrei-
chend waren.
Als ich sagte, daß der Baader tot sei, wurde die Zellentüre
wieder zugemacht und ich begab mich zur Zelle 720, wo die Bei meiner Suche nach der Verletzung bemerkte ich in
Ensslin wohnte. Im selben Augenblick kam der Anstaltsarzt der Nähe der Bauchgegend, daß meine Hände plötzlich voll
Blut waren. Ich hob den Pullover in die Höhe und sah dabei
Dr. Majerovicz und begab sich zur Zelle des Baader.
Ein Kollege, den Namen weiß ich nicht mehr, schloß dann etwa 6-7 Einstiche in der Herzgegend. Die etwa 1 cm brei-
die Zelle der Ensslin auf. Ich mußte hier ebenfalls zuerst die ten Wunden haben kaum geblutet. Ich fühlte den Puls und
hinter der Zellentüre aufgestellte Schaumstoffmatratze ent- stellte anhand der Uhr fest, daß sie einen Pulsschlag von 80
fernen, um in die Zelle hineingehen zu können. pro Minute hatte. Mein Kollege Jost hatte zwischenzeitlich
Es war auch hier sehr dunkel. Ich schaute zuerst auf den den Blutdruck gemessen. Dieser war 120/80 mm/Hg 2. Dies
Zellenboden, weil ich annahm, die Ensslin auf dem Boden ist ein ganz normaler Blutdruck.
liegend vorzufinden. Ich begab mich soweit in die Zelle, daß Nach meiner Feststellung war die Möller nicht bewußtlos.
ich alles überschauen konnte. Beim Umhersehen in der Dies deshalb, weil sie bei dem Versuch, mit der Taschen-
Zelle bemerkte ich, daß das rechte Fenster mit einer größe- lampe in die Augen zu leuchten, diese zukniff.
ren Anstaltsdecke verhangen war und darunter zwei Beine Herr Listner ließ noch einen weiteren Notarzt verständi-
hervorschauten. Die Beine, welche man etwa bis zum Knie gen. Außerdem wurde eine weitere fahrbare Liege geholt.
sehen konnte, waren mit einer Cord hose und die Füße mit Mein Kollege Jost und ein weiterer Sanitätsbeamter Grabi-
Turnschuhen bekleidet. Die Vorderseite der Beine und nat sowie ich legten dann die Möller auf diese Trage. Die
Füße zeigte in Richtung Türe. Als ich dies sah, verließ ich Wunden wurden steril abgedeckt und die Beine hochgela-
sofort wieder die Zelle. Dr. Majerovicz, der soeben den Tod gert. Die laut stöhnende Möller wurde mit drei Decken zuge-
deckt und bis zum Eintreffen des Notarztes wurde weiterhin
Baaders festgestellt hatte, kam nun in die Zelle der Ensslin.
Ich ging dann weiter mit Kollegen zur Zelle 725, wo sich die Puls und Blutdruck gemessen. Der Anstaltsarzt übernahm
Möller befand. Beim Aufschliessen der Zelle Möller war ein dann die weiteren Maßnahmen. Ich habe ihm assistiert
weiterer eben eingetroffener Sanitätsbeamter dabei. Es beim Aufziehen von Spritzen u.a. Kurze Zeit darauf kam der
handelte sich um Obersekretär Jost. Wir gingen beide in die Notarzt mit drei Pflegern und legte eine Infusion an. Dann
Zelle der Möller. Die anderen blieben auf dem Flur. Die wurde sie abtransportiert.
Möller lag, vom Eingang aus gesehen, auf der linken Seite Ich muß noch hinzufügen, daß rechts neben der Matratze
der Zelle auf ihrer Matratze. Sie nahm eine linke Seitenlage ein blutverschmiertes Brotmesser (Anstaltsmesser) lag.
ein, mit dem Gesicht zur Wand und mit angezogenen Bei-
nen. Der Kopf befand sich in Richtung Türe. Sie war mit Soukop
einem schwarzen Pulli und einer schwarzen Cord hose
bekleidet. Ich stellte dies fest, nachdem ich ihre Decke vom Von 17.30 Uhr bis 20.00 Uhr wurde von mir (und ?) Dr.
Majerovicz im Flur vor der Zelle der tote Baader in meheren
Körper entfernt hatte. Ich faßte sie an der Schulter an und
drehte sie auf den Rücken. Dabei stöhnte sie laut. Die Lagen geröntgt. Es wurden der Schädel und Thorax dabei

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ausschließlich aufgenommen. Wir haben dies mit einem und gibt als Zeuge folgendes an:
fahrbaren Gerät durchgeführt. Die entwickelten Aufnahmen
wurden von Dr. Majerovicz persönlich an die Universitätskli- Ich bin seit 1.7.1975 erneut Mitglied der Anstaltsleitung. Zu
nik Tübingen zur Feststellung, ob ein Projektil im Schädel meinen Aufgaben gehört, die Jugendabteilung der Voll-
ist, weitergeleitet. zugsanstalt Stuttgart, die im Bau 11 untergebrachten
Soweit ich mich erinnere und es bei den Z.T. schlechten erwachsenen Strafgefangenen sowie die in der AußensteIle
Lichtverhältnissen beurteilen kann, ist mir an der Einrich- Leonberg untergebrachten weiblichen Gefangenen verwal-
tung der Zellen nichts besonderes aufgefallen. Ich habe tungsmäßig zu betreuen. Vertretungsweise werde ich auch
früher schon öfters Einblick in diese Zellen gehabt. zu anderen Aufgaben herangezogen. Dies richtet sich
Meine Angaben entsprechen der vollen Wahrheit. Mehr jeweils nach der Person des zu vertretenden Mitglieds der
kann ich zur Sache nicht mehr angegeben." Anstaltsleitung. Zu der jetzigen Zeugenvernehmung
besitze ich die Aussagegenehmigung des Anstaltsleiters,
Geschlossen: Steiner die mir mündlich von diesem erteilt wurde.
Zu meiner Zuständigkeit gehörte nicht die Betreuung der
Selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben: Soukop Gefangenen der 3. Abteilung, auch nicht vertretungsweise.
Mit den Gefangenen der 3. Abteilung habe ich deshalb nicht
Kontakt gehabt.
Am 18.10.1977 wurde ich gegen 7.45 Uhr in meiner Woh-
DOKUMENT13 nung von Herrn Amtsinspektor Bubeck angerufen. Er teilte
VERNEHMUNG BUCHERT mir mit, ich solle sofort in die 3. Abteilung kommen, dort sei
etwas passiert, näheres wolle er mir am Telefon nicht
sagen.
Gegen 7.50 Uhr traf ich in der 3. Abteilung ein. Dort traf
Staatsanwaltschaft Stuttgart ich nach meiner Erinnerung die Vollzugsbediensteten StoII,
Stuttgart, den 25.0ktober 1977 Stapf und Listner. Wir begaben uns sofort zur Zelle 716. In
der Zelle wurde mir der Untersuchungsgefangene Jan-Carl
- 9 Js 3627/77- Raspe gezeigt. Dieser saß auf seiner Matratze im rückwärti-
gen Teil des Haftraumes, mit dem Rücken schräg gegen die
Anwesend: Staatsanwalt Link rechte Längswand der Zelle gelehnt. Er blutete aus einer
Justizangestellte Schaupp Kopfwunde, an der Mauer hinter seinem Kopf war ein gro-
ßer Blutfleck. Ich befragte die anwesenden Bediensteten,
Es erscheint um 16.10 Uhr der verheiratete Regierungsrat ob bereits ein Notarztwagen und ein Arzt verständigt wor-
den seien, da ich gesehen hatte, daß Raspe noch atmete.
Bernd Buchert, Diese Frage wurde bejaht. Wir verließen dann wieder den
geb. am 4.7.1942 in Tübingen, Haftraum, den nach meiner Erinnerung Herr Stapf, Herr
wohnhaft 7 Stuttgart 40, Pflugfelderstr. 6 A, StoII, Herr Listner und ich betreten hatten. Ich sagte zu
Herrn Listner, er möge, da er Sanitätsbeamter ist, an der
Zellentür des Raspe bis zum Eintreffen eines Arztes zur

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Beobachtung des Raspe stehen bleiben. Kurz vor 8.00 Uhr selbst habe die Zelle nicht betreten. Ich habe Baader auch
trafen zwei Sanitätsbeamte ein. Diese hatte ich noch nie nicht berührt, so daß ich auch nicht feststellen konnte, ob
gesehen und nahm an, sie seien Mitglieder des DRK oder sein Körper noch warm war.
einer vergleichbaren Einrichtung. Sie begannen sofort mit Das Blut am Kopf von Raspe erschien mir bereits am
der ersten Versorgung von Raspe, steckten ihm einen Gerinnen zu sein. Was mir bei Raspe noch auffiel, waren
Gummipfropf zwischen die Zähne und bedienten einen Bla- die stark geschwollenen und dunkelverfärbten Augenlider.
sebalg. Während dieser Zeit wurde vom Anstaltsrevier eine
fahrbare Liege herbeigeschafft, nach deren Eintreffen Nach Schließung der Zelle Baader ordnete ich die Öffnung
Raspe auf diese gelegt wurde. Ich kann mich nicht genau der Zelle Ensslin an. Nach Öffnung der Zellentür stellte ich
mehr daran entsinnen, ob Raspe vom Notarzt noch in der fest, daß eine Schaumstoffmatratze von innen in das Türfut-
Zelle oder bereits außerhalb der Zelle auf der Liege unter- ter der Zellentür gedrückt war und die Türöffnung vollstän-
sucht wurde. Raspe wurde dann mit dem Aufzug weggefah- dig ausfüllte. Einer der vorerwähnten Beamten stieß diese
ren. Nachdem Raspe aus der Zelle genommen worden war, Schaumstoffmatratze nach innen in den Haftraum hinein,
sah ich, daß auf seiner Matratze ein Patronenmagazin wo sie auf den Boden fiel. Ich sah dann vor dem rechten
sowie einige Patronenhülsen lagen. Von den in der 3. Abtei- Zellenfenster eine Anstaltswolldecke hängen, die die
lung anwesenden Beamten hatte ich bereits zuvor erfahren, gesamte Fensterfläche verdeckte und darüberhinaus noch
Raspe hätte sich in den Kopf geschossen. Ob die Patronen- ein Stück weiter nach unten hing. Womit diese Wolldecke
hülsen blutbeschmiert waren, weiß ich nicht. an den Wänden befestigt war, weiß ich nicht, weil ich nicht
Nachdem ich anschließend noch die zur Verfügung ste- hierauf geachtet habe.
henden Bediensteten in der 3. Abt. zusammen gerufen Unter dem unteren Ende dieser Wolldecke ragten zwei
hatte, ordnete ich die Öffnung der Zelle Baader an. Hierbei Füße heraus, etwa bis zur Knöchelpartie oder dem unteren
waren nach meiner Erinnerung die Vollzugsbediensteten Wadenbereich. Einer der Bediensteten, nach meiner Erin-
Münzing, Stapf, sowie der neu hinzugekommene Sanitäts- nerung ein Sanitätsbeamter, möglicherweise Herr Listner,
beamte Soukop anwesend. Die Zelle war stark abgedun- der mittlerweile wieder zurückgekommen war, ging in die
kelt. Von der Türöffnung aus sah ich Baader auf dem Rük- Zelle und schaute hinter die Decke und sagte darauf, Frau
ken liegen, wobei der Kopf ca. 1 m von der Öffnung der Ensslin sei tot, sie habe sich erhängt. Dieser Bedienstete
Zellentür entfernt lag; der Körper lag schräg in Richtung verließ daraufhin sofort wieder den Haftraum und die Tür
dem Innern der Zelle. Am Kopf von Baader war Blut zu wurde verschlossen. Auf irgendwelche Möbelstücke in der
sehen, desgleichen entlang dem rechten Arm, der an den Zelle, die in der Nähe des Fundortes der Frau Ensslin
Körper ziemlich angelehnt war und auf dem Boden lag. Der gestanden haben könnten, habe ich nicht geachtet. Frau
Sanitätsbeamte trat mit einem Schritt in die Zelle hinein, er Ensslin selbst habe ich, mit Ausnahme der Fußpartie, auch
schaute sich Baaders Kopf an und äußerte anschließend, er nicht gesehen, da ich den Haftraum überhaupt nicht betre-
sei tot. Die Zellentür wurde dann wieder geschlossen. Hin- ten habe. Auch beim Abtransport der Leiche habe ich diese
zufügen möchte ich noch, daß die Öffnung der Zellentür nicht gesehen oder berührt.
Baaders nach meiner Uhr um 8.07 Uhr erfolgte. Das Blut
neben dem Arm des Baader war nach meiner Beobachtung Im Anschluß daran wurde die Zelle der Frau Möller gegen
noch nicht geronnen, es sah jedenfalls noch flüssig aus, 8.10 Uhr oder 8.12 Uhr geöffnet. Frau Möller lag auf ihrer
wobei ich hinzufügen möchte, daß ich insoweit Laie bin. Ich Matratze an der linken Zellenwand. Sie war mit einer Woll-

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decke bedeckt und schien mir zusammengekrümmt dazu- ist einer der Anstaltsärzte. Ich forderte ihn auf, sich in die
liegen, mit dem Gesicht und der Vorderseite des Körpers Zellen von Baader und Ensslin zu begeben, um dort, - Herr
zur Zellenwand gewandt. Nach meiner Erinnerung ging Dr. Majerowicz hatte ein Stethoskop dabei - eine Festste-
Herr Listner in die Zelle, schlug die Decke zurück und besah lung bzgl. der genannten Gefangenen zu treffen, nämlich
sich Frau Möller. Er stellte fest, daß noch Leben in ihr sei. Es ob sie tot waren oder noch ein Lebenszeichen vorhanden
wurde dann sofort eine fahrbare Liege herbeigeschafft. war. Dies hielt ich für notwendig trotz der bereits gemachten
Nach Feststellung des Sanitätsbeamten, daß Frau Möller Feststellungen der Sanitäter. Dr. Majerowicz hatte sich
noch lebe, habe ich Herrn Bubeck von der Dienstleitung bereits zuvor kurz um Frau Möller gekümmert, da sich das
sofort angerufen mit dem Auftrag, einen weiteren Notarzt- Eintreffen des zweiten Notarztwagens an diesem Morgen
wagen für Frau Möller anzufordern. Nachdem die fahrbare aus irgendeinem Grunde verzögert hatte. Herr Dr. Majero-
Liege in der 3. Abt. eingetroffen war, wurde Frau Möller auf wicz ging dann in die Zelle der Frau Ensslin, begab sich
dieselbe gelegt und mit einer Wolldecke zugedeckt. Die hinter die o.g. Wolldecke, kam zurück und sagte, sie sei tot.
anwesenden Beamten forderte ich dann weiter auf, die Ebenso ging er in die Zelle von Baader, untersuchte dessen
Zellen der Untersuchungsgefangenen Verena Becker und Brustgegend mit dem Stethoskop und stellte ebenso fest,
Sabine Schmitz zu öffnen und nach den Gefangenen zu daß Baader tot sei.
sehen. Kurz danach wurde mir mitgeteilt, daß die genann-
ten Frauen unversehrt in ihren Hafträumen seien. Meine Angaben, daß ich mit den Gefangenen der 3. Abt. bis
dahin keinen Kontakt gehabt habe, möchte ich dahinge-
Auf Frage: Den Geruch eines Narkosemittels wie z.B. Chlo- hend berichtigen, daß ich bei der Schlägerei am 8.8.1977 in
roform oder Äther habe ich im Haftraum der Frau Möller der 3. Abt. auf Anordnung des Anstaltsleiters anwesend
nicht wahrgenommen. war. Hierüber wurde ich bereits als Zeuge durch Herrn
Hierbei fällt mir allerdings gerade ein, daß ich nach der Staatsanwalt König vernommen; die damals gefertigte Ver-
Öffnung der Zelle Baader einen leichten Brandgeruch fest- nehmungsniederschrift wurde im Anschluß hieran mit mei-
gestellt habe, ähnlich wie wenn man Papier verbrennt. Eine ner Zustimmung auch für ein Ermittlungsverfahren ver-
wendet.
Feststellung, woher der Geruch kam und von welchem
Material er ausging, habe ich nicht getroffen.
Ob Frau Möller bei Bewußtsein war, konnte ich nicht Meine Angaben habe ich selbst diktiert, noch einmal durch-
feststellen. Ihre Augen waren geschlossen. Gesprochen gelesen, sie sind so richtig.
hat sie nach meiner Erinnerung nicht. Beim Heben auf die
etwa 80 cm hohe Trage und auf der Trage hat Frau Möller Ende der Vernehmung 17.35 Uhr.
etwas gestöhnt. Die Handgelenke und die Hände waren
blutverschmiert. Ebenso die Bauchgegend, die aufgrund Bernd Buchert
Link
des hochgezogenen Pullovers sichtbar war. Eine Verlet-
zung habe ich nicht gesehen. SChaupp,JA

Mittlerweile, den genauen Zeitpunkt kann ich nicht ange-


ben, ich schätze, daß es 8.20 bis 8.30 Uhr war, war Herr
Majerowicz in der 3. Abt. eingetroffen; Herr Dr. Majerowicz

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DOKUMENT 14 an diesem Tag Auseinandersetzungen zwischen den


VERNEHMUNG MÜNZING diensttuenden Beamten und den BM-Häftlingen gab.
Damals waren noch die Hamburger BM-Gefangenen hier
in Stammheim. Wegen dieser Sache wurden Ermittlungen
von der Staatsanwaltschaft geführt.
Landeskriminalamt Baden-Württemberg
z.Zt. JVA Stuttgart-Stammheim, den 25.10.77 Danach war ich noch einmal an einem Wochenende im 7.
Stock tätig. Ich kann mich an das Datum im Moment nicht
Vernehmungsniederschrift erinnern. Sofern es erforderlich ist, kann man dies im
Dienstplan nachsehen. Auf jeden Fall war es noch vor dem
Am Dienstag, den 25.10.1977 wurde in der JVA Stuttgart- in Kraft treten der sog. Kontaktsperre. Dies war das letzte
Stammheim der verh. Hauptsekretär Mal, daß ich im 7. Stock Dienst verrichtete.

Heinz Münzing, Auf Frage: Es trifft zu, daß ich bei den BM-Häftlingen Besu-
geb. am 1.3.1935 in Stuttgart, che mitüberwacht habe. Ich habe praktisch bei allen "Stutt-
wh. Stuttgart-Stammheim, Pflugfelderstr. 20 garter BM-Häftlingen" Besuche überwacht. Es war immer
ein Beamter oder eine Beamtin der Kriminalpolizei zuge-
zur Sache befragt: gen. Es handelte sich hierbei ausschließlich um Privatbesu-
cher; keine Rechtsanwälte. Die Häftlinge wurden vor dem
"Ich bin seit 1959 im Justizvollzugsdienst tätig. Seit Beste- Besuch, also bevor sie in die Besucherzelle eingelassen
hen der JVA Stuttgart-Stammheim versehe ich meinen wurden, von den Beamten der Anstalt durchsucht. Nach
Dienst. Planmäßig bin ich in der Vollzugsdienstleitung der dem Besuch war es nicht der Fall. Dazu gab es keine
Anstalt tätig und nehme dort die Aufgaben des Sicherheits- Veranlassung, weil wir ja während des Besuchs ständig
beauftragten wahr. In dieser Eigenschaft bin ich jedoch dabei saßen. Es ist zutreffend, daß ich verschiedene
nicht für die 3. Abteilung zuständig. Gegenstände von außerhalb für die BM-Häftlinge einge-
Seit der Herr Bubeck die Abteilung 3 beaufsichtigt, bin ich kauft habe. Es handelte sich dabei um ein japanisches
sein Vertreter. Es ist also so, wenn der Herr Bubeck nicht da Radio, einen Mixquirl, versch. Tuben mit Pastellfarben und
war, z.B. wenn er in Urlaub war, habe ich seine Dienstge- Pinsel sowie Wolldecken und Frottierstoff. Alle diese
schäfte wahrgenommen. In Vetretung von Herrn Bubeck Gegenstände waren zuvor bei uns (Herr Schreitmüller)
war ich gelegentlich an den Wochenenden im 7. Stock genehmigt worden. Das Radio habe ich selbst zum LKA BW
eingeteilt. So ist es nicht ganz richtig. An den Wochenenden zur Überprüfung gebracht. Die Gegenstände habe ich dann
habe ich den Herrn Bubeck nicht vertreten. Ich wurde, wie den Gefangenen selbst ausgehändigt.
die anderen Kollegen, auch im Rahmen des Dienstplanes An den Wochenenddiensten in der 3. Abt. habe ich gele-
im 7. Stock eingeteilt. gentlich auch Hofgänge der BM-Gefangenen mit über-
wacht. Ferner habe ich Umschlüsse überwacht. Dies war
Ich kann mich erinnern, daß ich am Montag, dem 5.9.1977 aber zu einer Zeit, als der BM- Trakt noch nicht in seinem
in Vertretung von Herrn Bubeck bei der Abt. 3 Tagesdienst jetzigen Zustand ausgebaut war.
versah. Mir ist dies deshalb so genau in Erinnerung, weil es Ferner ist es zutreffend, daß ich auch hin und wieder bei

366 367

-- ••
den Zellen-Kontrollen dabei war. Diese wurden dann durch- Patrone handelte. Die Waffe machte auf mich den Eindruck,
geführt, wenn die Gefangenen nicht in ihren Zellen waren. als ob sie leergeschossen sei. Da ich kein Experte bin,
Alleine war ich noch nie in einer Zelle. Dies war verboten. vermag ich jetzt nicht zu sagen, warum sich noch eine
Im einzelnen möchte ich jetzt die Vorgänge schildern, wie Patrone bzw. eine Hülse im Lager befand. Die Sanitäter
ich sie am Morgen nach den Selbstmorden der BM-Gefan- leisteten Hilfe, indem sie ihm eine Sauerstoffmaske auf-
genen, also am Dienstag, dem 18.10.1977, miterlebt habe: setzten und den Puls fühlten.
Ich kam etwa um 07.10 Uhr zum Dienst. Wie ich gesagt Etwas später traf dann der Notarztwagen ein. Raspe
habe, bin ich in der Vollzugsdienstleitung tätig. Es war etwa wurde weggebracht. Mein Kollege Götz ist mit dem Notarzt-
07.35 Uhr, als Herr Bubeck in mein Zimmer stürzte und wagen mitgefahren. Erst als Raspe auf der Bahre wegge-
sagte, daß oben im 7. Stock was los sei. Er bat mich, tragen worden war, gingen wir anderen zur Zelle des Baa-
hochzugehen. Herr Götz, Leiter der Besuchsüberwachung, der. Ich habe die Zellentür unten aufgeschlossen und
befand sich aus irgendeinem Grund in meinem Zimmer und soweit ich mich erinnern kann, war es Herr Miesterfeld, der
schloß sich mir an. Wir fuhren mit dem Aufzug hoch und das Zusatzschloß aufmachte ...
gingen direkt in den Flügel, wo die BM-Gefangenen unter-
gebracht sind. Dort stellten wir fest, daß die Zelle 716, in der Münzing
Raspe sitzt, offen war. In der Zelle befanden sich zwei aufgenommen: Wittmann, Vogel
Sanitäter, die sich um den auf dem Bett kauernden Raspe
bemühten. Ich konnte sehen, daß Raspe an einer Schläfe,
ich meine es war die linke, verletzt war. Die Schläfe war
aufgequollen, Blut war ausgetreten. Seine Augen waren DOKUMENT15
geschlossen, die Lider waren dunkel, hinter seinem Kopf an VERNEHMUNG DR. MAJEROVICZ
der Wand befand sich ein faustgroßer Blutfleck.
Ich konnte feststellen, daß Raspe noch lebte. Er röchelte,
sein Körper zuckte von Zeit zu Zeit. Neben ihm rechts auf Landeskriminalamt Baden-Württemberg
dem Bett lag eine Pistole. Neben der Pistole lag ein Maga- z.Zt. Stamm heim, 26. Oktober 1977
zin in dem sich Patronen befanden.
Ich kann mich noch erinnern, daß ich zu meinem Kollegen Vernehmungsniederschrift
Götz sagte, er solle nichts verändern. Er hielt mir vor, daß
Raspe noch lebe, und er könne aus diesem Grund jederzeit Am Mittwoch, 26.10.1977, gegen 16.00 Uhr, wird in der JVA
die Waffe an sich nehmen, wenigstens sei dies nicht auszu- Stammheim der verh. Anstaltsarzt
schließen, da man zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, wie
schwer die Verletzung war. Herr Götz entfernte dann die Dr.med. Wolf Majerovicz,
Pistole, indem er sie mit einem Tuch anfasste und weglegte, geb. 14.6.1917,
wohin weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall hat er mir die
Waffe noch gezeigt. Hierbei erkannte ich, daß sich noch ein gehört. Er gibt hierbei ergänzend zu seiner Vernehmung
Geschoß in der Waffe, d.h. im Patronenlager, befand. Ich vom 18.10.1977 folgendes an:
muß anmerken, daß ich nur die Hülse hierbei sah, deshalb
kann ich nicht sagen, ob es sich um eine abgefeuerte

368 369

- ~
Frage: Antwort:
Sie haben bei den Gefangenen BAADER und ENSSLIN Ich schätze, daß der Tod bei der Gefangenen ENSSLIN
den Tod festgestellt. Können Sie anhand ihrer Feststellun- etwa zum gleichen Zeitpunkt eingetreten ist. Ich muß aus-
gen aussagen, wann der Tod dieser Personen eingetreten drücklich betonen, daß ich auch hier eine Zeitdifferenz
ist? annehmen muß.
Die Zungenwurzel befand sich im vorderen Mundteil. Die
Antwort: Augen waren geschlossen. Die Lippen waren einschließlich
Ich kann den genauen Zeitpunkt des Todeseintritts nicht der Mundpartie bläulich bzw. intensiv blau verfärbt.
sagen. Nach meinen Feststellungen ist der Tod bei den Anzeichen für eine befestigte Cyanose lagen vor. Das
vorgenannten Personen schätzungsweise in der Zeit zwi- Gesicht war blaß bis weißlich gelb. Auch die Ohren waren
schen 06.00 - 07.00 Uhr in der Frühe eingetreten. Hierbei cyanotisch gefärbt.
muß ich eine Toleranz von 15 bis 30 Minuten oder gar einer Die Extremitäten und der Körper waren in einem tief
Stunde hinzugeben. Ausschließen kann ich, daß der Tod zu gelockerten Zustand. Ganz bestimmt lagen keine Anzei-
einem größeren bzw. früheren Zeitpunkt eintrat. chen für eine Starre vor.
Die Körperwärme habe ich durch Anfassen einer Hand
Frage: festgestellt. Die Hand war abgekühlt, aber nicht kalt. Die
Aufgrund welcher Untersuchungen bzw. Erscheinungen Temperatur lag etwas niedriger als bei BAADER - so schien
können Sie diesen Zeitpunkt bestimmen? es mir wenigstens.
Auch hier habe ich keine weiteren Veränderungen an der
Antwort: Leiche oder der Umgebung vorgenommen.
Bei BAADER habe ich eine Pupillenstarre, und zwar eine Nachdem ich sichere Todesanzeichen festgestellt hatte,
feste, festgestellt. Die Körperwärme habe ich mit der Hand gab es keine Veranlassung zu einer Hilfeleistung.
untersucht. Sie war lau.
Der Körper war also nicht ganz kalt. Die Glieder waren Auf Frage:
nicht versteift. Zu diesem Zweck habe ich seine Hand Auch bei der Gefangenen Möller schien es mir, als ob diese
bewegt. Das Aussehen des Blutes hat mir ebenfalls Verletzungen im gleichen Zeitraum beigebracht worden
gezeigt, daß schon eine gewisse Zeit seit der Todesverlet- sind. Vielleicht eine halbe Stunde später.
zung vergangen ist. Aus den drei oder vier Wunden war Blut ausgetreten. Die
Bringt man das Blut in Einklang mit den vorgenannten Wunden waren ausgeblutet, jedoch frisch. Es handelte sich
Erscheinungen, kommt man zu dem von mir geschätzten nach meinem Dafürhalten mehr um Schnittwunden. Über
Todeszeitpunkt. Weitere Untersuchungen oder Verände- die Tiefe konnte ich nichts aussagen; sie waren jedoch nicht
rungen habe ich wegen der noch ausstehenden Spurensi- sehr tief, ich nehme an 1 cm - eineinhalb.
cherung nicht unternommen. Die Verletzte war mit einem Pulli bekleidet, der über die
Brust gezogen war. Dieser Pulli war mit Blut durchtränkt.
Frage: Das Blut war ganz in den Stoff eingedrungen und schon
Können Sie auch einen Todeszeitpunkt bei der Gefange- geronnen. Blut auf dem Boden habe ich nicht beobachtet,
nen ENSSLIN bestimmen? ich kann jedoch nicht ausschließen, daß auf dem Fußboden
ebenfalls Blut war.

370 371

--- -
Den Gefangenen RASPE habe ich nicht gesehen, weil er DOKUMENT16
kurze Zeit vor meinem Eintreffen bereits mit dem Notarzt- VERNEHMUNG DR. HENCK
wagen ins Krankenhaus gebracht worden war.
Nähere Angaben, insbesondere was den Todeszeitpunkt
anbelangt, kann ich nicht machen, weil ich, wie gesagt, die
Personen bzw. Leichen nicht im Sinne einer gerichtsmedizi- Staatsanwaltschaft
nischen Untersuchung begutachtet habe." bei dem Landgericht Stuttgart

Selbst gelesen, genehmigt u. unterschr.: Majerovicz Stuttgart, den 19.10.1977

Geschlossen: Grimm Zeugenvernehmung

Am Mittwoch, dem 19.10.1977 wurde der Anstaltsarzt der


JVA Stuttgart-Stammheim

Dr. Helmut Henck,


geb. 6.6.1920 in Kassel,
whft: Stuttgart 40, Pflugfelderstr. 1

in seinem Dienstzimmer aufgesucht. Mit dem Gegenstand


seiner Vernehmung vertraut gemacht und dem Hinweis auf
die Bestimmungen der §§ 53, 55 StPO gab Herr Dr. Henck
folgendes an:

"Seit Mai 1966 bin ich Anstaltsarzt in der Justizvollzugsan-


stalt in Stuttgart-Stammheim. Zu meinem Aufgabenbereich
gehört die anstaltsärztliche Betreuung sämtlicher Inhaftier-
ten in der JVA Stuttgart-Stammheim, insbesondere auch
der sogenannten Baader-Meinhof-Gefangenen. Soweit
dies erforderlich war, habe ich von Fall zu Fall Spezialärzte
hinzugezogen, wobei dies bei den Gefangenen Baader,
Ensslin, Raspe, Meinhof u.a. vor allem bei den Hunger-
streiks geschehen ist. Der letzte Hungerstreik dauerte mei-
ner Erinnerung nach von etwa Anfang/Mitte August bis zum
2.9.1977.
Im Zusammenhang damit wurden nach Abbruch des
Hungerstreiks von mir Lebensmittelzulagen verordnet und
zwar bis zum 30.9.1977. Dabei handelte es sich u.a. um

312 373

-- - .
Zulagen von Fleisch, Eiern, Sahne, Butter, Milch, Joghurt. zwei Fällen kam es auch vor, daß Baader den anwesenden
Ab 27.9.1977 wurden die Sonderlebensmittel individuell Sanitätsbeamten aus dem Raum wies. Der Sanitätsbeamte
reduziert - außer bei Ensslin - bis zum 17.10.1977. Ab verließ auch tatsächlich in diesen bei den Fällen, die schon
13.10.1977 war ich dienstunfähig erkrankt (Wirbelsäulen- längere Zeit zurücklagen, den Raum.
schaden).
Frage: Was war der Inhalt der Gespräche, die Sie insbeson-
Vorweg möchte ich bemerken, daß ich die sogenannten dere in letzter Zeit mit Baader, Ensslin, Raspe und der
Baader-Meinhof-Gefangenen - wie auch die anderen Häft- Möller führten?
linge - nicht regelmäßig besucht habe, sondern lediglich
dann, wann sie sich meldeten. Durch die ärztliche Versor- Antwort: Vornehmlich führte ich Gespräche mit Baader und
gung habe ich zwangsläufig auch einen gewissen näheren Raspe. Der Inhalt dieser Gespräche waren ausschließlich
Kontakt zu diesen Gefangenen erhalten. die Haftbedingungen, gelegentlich auch Ernährungsfragen.
Der nähere Kontakt bestand zeitweise in einem Gewäh- Mit der Ensslin führte ich auch kurze Gespräche in Anwe-
renlassen von Erstuntersuchungen, die dann fortgesetzt senheit des Sanitätsbeamten Jost, deren Inhalt ebenfalls
worden sind durch hinzugezogene Fachärzte. Bei diesen Ernährungsfragen waren. Wenn ich von Gesprächen spre-
Fachärzten handelte es sich um Prof. Müller vom Robert- che, so war dies so, daß die Initiative zu diesem Gespräch
Bosch-Krankenhaus in Stuttgart und Prof. Schröder vom von ihr ausging. Bei Baader und Raspe war dies jedoch
Bürgerhospital sowie Prof. Schrader, Chefarzt der Augen- auch so, wobei auch die Thematik der Gespräche von den
klinik beim Katharinenhospital in Stuttgart. Hierbei ist zu Gefangenen bestimmt wurde.
bemerken, daß die Professoren Dr. Müller und Dr. Schröder Das letzte Gespräch führte ich mit der Ensslin am
nur am 29.9.1977 in meiner Gegenwart die Gefangenen I. 10.10.1977. An diesem Tag war ich auch letztmals bei
Möller und A. Baader untersucht haben. Prof. Müller, Baader, jedoch vor dem Besuch bei Ensslin. Mir fiel dabei
Robert-Bosch-Krankenhaus, hat auf Bitten von Prof. Schrö- besonders auf, daß beide mich mit derselben Thematik
der Frau Möller am 4.10.1977 nachuntersucht, und zwar konfrontiert haben; beide erklärten mir übereinstimmend,
ebenfalls in meiner Gegenwart. Am 12.10.1977 wurden die daß der Anstaltskost die Psyche beeinflussende Stoffe bei-
Gefangenen Ensslin, Möller, Baader und Raspe u.a. durch gemischt seien, sowie dies durch Amerikaner in Vietnam
Prof. Schrader augenfachärztlich untersucht, und zwar in erfolgt sei. Im Anschluß an die Visite bei Baader und Ensslin
Anwesenheit von Obersekretär Jost. Bei den anderen habe ich mich noch mit Herrn Obersekretär Jost, der mich
untersuchten Gefangenen handelt es sich um Sabine begleitet hatte, über die auffallende Übereinstimmung der
Schmitz und Gerd Kurowski. Thematik der Gespräche unterhalten. Herr Jost und ich
mußten deshalb davon ausgehen, daß zwischen Baader
Frage: Führten Sie Gespräche in Ihrer Eigenschaft als und Ensslin eine direkte Verständigung stattgefunden
Anstaltsarzt mit den Gefangenen unter vier Augen, oder haben müßte.
war ein Anstaltsbediensteter zugegen?
Frage: Haben Sie eine Vorstellung darüber, wie diese
Antwort: Bei Gesprächen mit den hier befindlichen Gefan- direkte Verständigung stattgefunden haben könnte?
genen der sogenannten Baader-Meinhof-Bande war in der
Regel ein Anstaltsbediensteter (Sanitäter) anwesend. In

374 375
T

Antwort: Ich habe dafür keine Erklärung. am 10.10.1977 mit Baader und Ensslin nicht feststellen
(können), ansonsten hätte ich eine entsprechende Meldung
Im Verlaufe des Gespräches am 10.10.1977 brachte Baa- gemacht.
der zum Ausdruck, und zwar in einer allgemein gehaltenen
Art, daß es in Zusammenhang mit harten Haftbedingungen Frage: Wann hatten Sie das letzte Gespräch mit Raspe?
auch einmal zu einem kollektiven Selbstmord kommen
könne. Ich hatte dabei mehr den Eindruck, daß er auf litera- Antwort: Ursprünglich war ich der Meinung, daß ich nach
rische Unterlagen zurückgriff. Keinesfalls befand sich wäh- dem 6.10.1977 mit Raspe noch ein Gespräch geführt habe.
rend dieses Gesprächs A. Baader in einer Verfassung, aus Nach meinen Unterlagen habe ich jedoch nach diesem
der man schließen könnte, er habe einen solchen kollekti- Datum mit Raspe kein Gespräch mehr geführt, sondern
ven Selbstmord auf sich bezogen. Ich hatte im übrigen auch lediglich unter dem Datum vom 10.10.1977 eine Verord-
bei Frau Ensslin nicht den Eindruck, daß sie sich in einer nung im Krankenblatt eingetragen. Es bezog sich auf eine
anderen seelischen Verfassung befand als früher. Ich hatte augenfachärztliche Untersuchung durch Prof. Schrader.
keine Veranlassung bei Baader auf diese Bemerkung näher
einzugehen, da sie - wie gesagt - nur allgemeiner Art war Im Gegensatz zu Baader, Ensslin und Raspe habe ich mit
und beiläufig geäußert wurde. Frau Möller ausschließlich Gespräche medizinischen
Inhalts geführt. Auf die Art und Weise der Haftbedingungen
Mein vorletzter Besuch bei Herrn Raspe fand am 6.10.1977 bin ich von ihr nicht angesprochen worden. Zum letzten Mal
in Anwesenheit von Herrn Hauptsekretär Listner statt. Mei- habe ich mit Frau Möller am 5.10.1977 in Anwesenheit von
nen Eindruck von dem Gefangenen bei diesem Gespräch Prof. Müller gesprochen, auch hier ging es nur um rein
habe ich in einem Schreiben vom 6.10.1977 an den medizinische Fragen. Sie war in ihrer Wesensmäßigkeit im
Anstaltsleiter niedergelegt. Es lautet: Verhältnis zu früher völlig unverändert. Nach meinem Ein-
druck stand Frau Möller - allgemein gesprochen - in ihrer
Betreff: Jan-Carl Raspe gruppendynamischen Verhaltensweise etwas außerhalb
Bei der heutigen Arztvisite in Begleitung von Herrn Haupt- des sogenannten "harten Kerns" der hier in Stammheim
sekretär Listner befand sich J.-C. Raspe in einem ausge- inhaftierten Gefangenen der "BM-Gruppe".
prägten depressiven Verstimmungszustand und hat suici-
dale Absichten anklingen lassen. Frage: Wer brachte den Gefangenen der hier inhaftierten
Nach dem Gesamteindruck muß davon ausgegangen Baader-Meinhof-Bande gewünschte oder verordnete Medi-
werden, daß bei dem Gefangenen eine echte suicidale kamente?
Handlungsbereitschaft vorliegt.
Ich bitte um Kenntnisnahme und Mitteilung, auf welche Antwort: Grundsätzlich werden Medikamente nur auf ärztli-
Art und Weise ein eventueller Selbstmord verhindert wer- che Verordnung durch Sanitätsbeamte ausgegeben.
den kann.
Frage: Wer überbrachte Herrn Baader am 17.10.1977
Allgemein dieser von mir niedergelegte Eindruck wurde gegen 23.00 Uhr Medikamente?
aufgrund meiner fachärztlichen Erfahrung gewonnen. Eine
solche Verhaltensweise habe ich bei meinen Gesprächen

377

-
376

••
Antwort: Das weiß ich nicht. Meinen Unterlagen kann ich Antwort: Aus eigener Kenntnis weiß ich das nicht. Eine
nur entnehmen, daß zu diesem Zeitpunkt je eine Tablette Äußerung wäre reine Spekulation.
eines leichten Schlafmittels und ein Schmerzmittel überge-
ben wurde. Wer diese Medikamente überbrachte, läßt sich Frage: Wer hat während ihrer Dienstunfähigkeit die BM-
jedoch nicht feststellen. Gefangenen ärztlich betreut?

Frage: Welchen Umfang und zwar grössenmäßig hatten Antwort: Soweit ich informiert bin, nimmt diese Aufgabe in
Medikamentenlieferungen an die einzelnen BM-Gefange- meiner Abwesenheit automatisch der zweite Anstaltsarzt
nen? Wie groß waren die Verpackungen der Medikamente? Dr. Majerovicz wahr.

Antwort: Die ausgegebenen Packungen bzw. das Ausmaß Laut diktiert und nach Diktat genehmigt.
der ausgegebenen Medikamente lag im oberen Bereich der (Dr. Henck)
Norm.
Bei den Verpackungen handelt es sich ausschließlich um z.B. (Raisch) Kriminalkommissar
höchstens 300 ccm fassende Behältnisse aus Pappe. (Dr. Heissler) Staatsanwalt

Frage: Wer der vier Gefangenen hat ein sogenanntes Deu-


ser-Band erhalten und wissen Sie ob dieses Band in der
Verpackung ausgegeben wurde? DOKUMENT17
SPURENSICHERUNGSBERICHT ZELLE 719
Antwort: Ich bin der Meinung, daß alle vier BM-Gefangene
je ein Deuser-Band zur Verfügung hatten. Ob diese Gymna-
stikgeräte in der Verpackung ausgegeben wurden, vermag
ich nicht zu sagen, ebenso bin ich nicht sicher, ob Frau Spurensicherungsbericht Nummer 12
Möller ein solches Deuser-Band im Besitz hatte. Zelle 719 (Baader)

Frage: Wird die Ausgabe eines solchen Trainingsgerätes in In der Zelle Baader konnte an tatspezifischen Spuren fol-
irgendwelchen Büchern festgehalten? gendes Material gesichert werden. Die genaue Lage bitte
ich aus den Lichtbildern und der Detailskizze zu ent-
Antwort: Die hiesigen Sanitätsbeamten sind angewiesen, nehmen.
die Ausgabe eines solchen Deuser-Bandes schriftlich fest-
zuhalten. Wie ich nun feststellen konnte, ist in der Kranken- Spur Nr. 1: 1 Geschoß des Kalibers 7.65 mm
akte der Möller vermerkt, daß sie am 14.1 .1977 ein Deuser- Spur Nr. 2: 2 Hülsen des Kalibers 7.65 mm
Band erhalten hat. Spur Nr. 3: 1 Pistole, Kaliber 7.65 mm
die Waffe war gespannt, geladen und gesichert, das Maga-
Frage: Wissen Sie, ob Medikamentenpackungen oder evtl. zin war eingeführt und bestückt (siehe dazu weiterführen-
auch ein in einer Packung befindliches Deuser-Band unter den Waffen bericht)
den Gefangenen weitergegeben wurde? Spur Nr. 4: Hülse, Kaliber 7.65 mm

378 379

-.
Spur Nr. 5: Geschoß, stak in der Wand, Kaliber 7.65 mm WC: Abgeschnittene Haare und Zigarrettenkippe bein-
Spur Nr. 6: Gewebsteil oder Blut an der Wand (befindet haltend
sich zur Untersuchung beim Gerichtsmedizinischen Institut Heizkörper und Hohlraum dahinter: o.B.
der Stadt Stuttgart) Installationszelle: o.B.
Spur Nr. 7: Einschuß in die Liegematratze und Geschoß Lampen: o.B.
des Kalibers 7.65 mm Steckdosen: o.B.
Spur Nr. 8: Lautsprecherbox Rufanlage: Das Mikrophon ist mit einer kittartigen Masse
An dieser sind die Schrauben des Lautsprechers gelöst und zugespachtelt.
lassen sich von Hand ausdrehen. Der Rauminhalt ist als Radiosteckdose: Siehe gesonderter Bericht und Ver-
groß zu bezeichnen. suchsanordnung in der Lichtbildmappe E.
Spur Nr. 9: Lautsprecherbox Fußleiste: o.B.
Spur Nr. 10: Plattenspieler
In ihm waren die in den Lichtbildern aufgezeigten Trans- Ziegler, KOK
porthaken beinhaltet. Siehe näherer Auswertebericht.
Spur Nr. 11: Dämmwatte aus der Lautsprecherbox (Spur
Nr. 9). Sie soll auf Restspuren von Sprengstoff oder Muni-
tion untersucht werden. DOKUMENT 18
Spur Nr. 12: Zur Spur Nr. 7: Teile des braunen Teppichs SICHERSTELLUNGSBERICHT BAADER
und der beiden durchschlagenen Schaumgummistücke der
Liege. Sie werden zur Schußentfernungsbestimmung dem
Bundeskriminalamt übersandt.
Spur Nr. 13: 1 rotes Badetuch Landespolizeidirektion Stuttgart 11

Untersuchung auf Fremdanhaftungen Kriminalpolizei


Spur Nr.14: Die von Baader getragenen Schuhe KTU-Stelle
Untersuchung auf Fremdspuren
Spur Nr. 15: Mikrospurenabzug vom Boden der Zelle 719 Stuttgart, den 19.10.1977
Spur Nr. 16: Abgeschnittene Haare aus der WC-
Schüssel An das
Spur Nr. 17: Schallplattenbürste, welche im Innenraum Landeskriminalamt
zu einem Versteck ausgebaut wurde. Baden-Württemberg
Spur Nr. 18: Beide Schlösser der Zellentüre Abt. 800
Untersuchung auf Fremdspuren 7 Stuutgart 1
Spur Nr. 19: Untersuchung der Umgebung der Essen-
klappe auf daktyloskopische Griffspuren Betreff: Vermtl. Suizid Andreas Baader in der VZA Stgt.-
Spur Nr. 20: Kaffeetüte mit gipsartigem Inhalt. Stammheim, Zelle 719
Substanzbestimmung

Waschbecken: o.B.

380 381

~
In den Morgenstunden des 18.10.1977 wurde A. Baader in 11. Bei der am 19.10.1977 durchgeführten Obduktion auf
seiner Zelle in der VZA Stgt.-Stammheim tot aufgefunden. dem Bergfriedhof in Tübingen wurden folgende Gegen-
stände gesichert:
Bei der obj. Tatbefundsaufnahme wurden unter anderem in
der Zelle des A. Baader folgende Gegenstände sicherge- 1. Bekleidung
stellt: a) 1 schwarze Hose
b) 1 blaue Jacke
1. 1 Selbstladepistole KaI. 7,65 mm, c) 1 rotes T-Shirt
ohne Griffschalen mit eingeführtem Magazin
2. 6 Patronen KaI. 7,65 mm (im Magazin der Waffe) Die dem LKA BW übersandte Bekleidung sollte auf tatrele-
3. 1 Patrone KaI. 7,65 mm (im Patronenlager der Waffe - vante Spuren untersucht werden. Insbesondere sollte fest-
entnommen) gestellt werden, ob sich am Rücken, besonders am Kragen
4. 1 Projektil KaI. 7,65 mm (Spur 1) der blauen Jacke und dem roten T-Shirt Schmauchantra-
5.3 Patronenhülsen KaI. 7,65 mm gungen befinden. Die Bekleidung selbst, sowie ihr Zustand,
(abgeschossen, Spur 2/1, 2/2 u. 4) wurde noch nicht fotografisch festgehalten.

I. Protokoll der Voruntersuchung: 2. Von der Leiche des A. Baader:


Es handelt sich um eine Selbstladepistole KaI. 7,65 mm a) Gewebeteil aus dem Nacken
ohne Griffschalen. Die Waffe ist gespannt und gesichert, (Einschußloch)
das Magazin ist eingeführt. Die gesamte Waffe, überwie- b) Hautgewebe des rechten Daumens und Zeigefingers
gend auf der linken Seite, ist mit Blut behaftet. c) Abklatsch mit 10 % Essigsäure beider Hände
Das Magazin wird entfernt. Im Magazin befinden sich 6 Das Gewebeteil aus dem Nacken wird zur Schußentfer-
Patronen, im Patronenlager befindet sich 1 Patrone. Die nungsbestimmung, das unter b) aufgeführte Hautgewebe
Waffe wird entladen. und der unter c) aufgeführte Abklatsch zur Untersuchung
Eine auf der linken Seite des Griffstücks befindliche Waf- auf Schmauchantragungen zur Bestimmung der Schuß-
fennummer wurde mechanisch bearbeitet und ist infolge- hand übersandt.
dessen nicht ohne Behandlung ablesbar.
Dem äußeren Erscheinungsbild nach könnte es sich bei 111. Vom linken Handgelenk der Leiche wurde
der Waffe um eine Selbstladepistole der Fa. Hoge-Waffen, 1 elektrische Armbanduhr
Modell AP 66, KaI. 7,65 mm, Browning, handeln. mit Digitalanzeige,
Die Waffe wurde in ihrem ursprünglichen Zustand foto- OPTIM, Nr. 70127520
grafiert. Sie wird zur Untersuchung und Identifizierung über- gesichert. In der rechten Hosentasche der unter 11. Nr. 1 a)
sandt. aufgeführten schwarzen Hose befanden sich
Das unter Nr. 4 aufgeführte Projektil wurde einer chem. 1 Tablettenröhrchen,
Blutprobe unterzogen, welche positiv ausfiel. Es wird mit Aufschrift "Euthyrox", beinhaltend 21 Tabletten, auf einer
den unter Nr. 5 aufgeführten Patronenhülsen über das LKA Seite eingepresste Vierteilungsmarke, auf der anderen
BW dem BKA zur Untersuchung zugeleitet. Seite eingepresster runder Kreis, von gleichem Erschei-
nungsbild

382 383

--
7 halbierte Tabletten und Den Zustand der Waffe bitte ich dem Sicherstellungsbericht
2 Tablettenteile ca. 1/4 des KHK Habel zu entnehmen.
und Die Waffe liegt links neben dem Kopf des Toten. Abstand
1 Päckchen Zigarettenpapier Aufschrift: Roth-Händles zur Türwand 1,30 m, Abstand zur rechten Seitenwand 3,30
Schwarze Hand m, Bilder 30-34. In das Magazin der Pistole sind 6 Patronen
Die Gegenstände werden ebenfalls zur weiteren Verfü- eingeführt, 1 Patrone ist im Patronenlager.
gung dem LKA BW zugeleitet. 4. Spur Nr. 4: 1 Hülse des Kalibers 7,65 mm. Sie liegt auf
dem Boden, im unteren Drittel der Liege. Siehe Bilder 66
Habei, KHK und 67.
Der Abstand zur Türwand beträgt 61 cm, der zur rechten
Seitenwand 70 cm.
5. Spur Nr. 5: 1 Geschoß des Kalibers 7,65 mm. Es stak in
DOKUMENT19 der Zellenstirnwand, ca. 2 cm tief im Verputz. Lage siehe
SPURENAUSWERTEBERICHT ZELLE 719 Lichtbilder 58 und 59.
Der Schußdefekt liegt 87 cm hoch und 73 cm von der
Fensterwand nach rechts. Der Schußkanal ist sondierbar
und kann zur Bestimmung des Schußbahnverlaufes heran-
Spurenauswertebericht Nummer 12 gezogen werden. Siehe Lichtbilder 80 und 81. Eine partiell
Zelle 719 - Baader - Bericht E vorgenommene Blutprobe verlief negativ.
6. Spur Nr.7: Ein Schußdefekt im Teppich und dem
Untersuchungsvorgänge zu den Spuren 1, 2, 3, 4, 5 und 7 Schaumstoff der Liege führt zum Auffinden eines weiteren
Bestimmung der Schußbahnverläufe Geschosses des Kalibers 7,65 mm.
Der Schußkanal ist sondierbar.
I. In der Zelle 719 wurde, zum Thema Schußabgabe, folgen- Eine partiell vorgenommene Blutprobe verlief negativ.
des Material vorgefunden: Das Teppichstück um den Einschuß und die unmittelbar
darunter liegenden Schaumstoffstücke der Liege werden
1. Spur Nr. 1: 1 Geschoß des Kalibers 7,65 mm. Es lag auf zu einer Schußentfernungsbestimmung dem Bundeskrimi-
dem Fußboden, im unteren Drittel der linken Liegenseite. nalamt überbracht.
Bilder 29,30 und 64. Der Abstand zur Türwand beträgt 1,40 Lage der Spur 7 siehe Lichtbilder 70 und folgende.
m, derjenige zur rechten Seitenwand 1,57 m.
Das Geschoß zeigt, bei einer partiell durchgeführten Vor- 11. Die sichergestellte Pistole wirft nach rechts aus. Das
probe auf Blut, eine spontan positive Reaktion. Magazin faßt 8 Patronen.
2. Spuren 2a und 2b: Hülsen des Kalibers 7,65 mm. Sie Sichergestellt wurden insgesamt 3 Hülsen, 3 Geschosse
liegen unmittelbar beieinander, auf Höhe des linken Knies und 7 Patronen, welche zusammen insgesamt 10 Patronen
von Baader.Der Abstand zur Türwand beträgt 2,28 m, der ergaben.
zur rechten Seitenwand 2,90 m.
Die Lage der Hülsen ist aus dem Lichtbild 31 zu ersehen.
3. Spur Nr. 3: 1 Pistole des Kalibers 7,65 mm.

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""'--- """"-- .
111. In der Zelle 719 konnten, nach Absuche von Boden, fundene Lage der Leiche- rote Markierung. Der rekonstruk-
Wand und Decke, nur die unter Spur 5 und 7 bezeichneten tiv ermittelte Wert dient als Anhaltspunkt und ist je nach
Schußdefekte (AufschlagsteIlen) vorgefunden werden. Körpergröße und Waffenhaltung variabel.

IV. Die von der Spur Nr. 7 aus ermittelbare Schußbahn wird V. Nachdem alle Werte und Spuren ermittelt sind, werden
mit der Nummer 1 bedacht, diejenige aus Spur 5 mit der jetzt die Einzelpositionen zueinander in Beziehung gestellt.
Ziffer 2. Die Skizze 7/1 dient, in Verbindung mit den Einzeilichtbil-
A. Schußbahnverlauf1 dern, hier als erklärende Arbeitsgrundlage.
Die Sondierung des Geschoßkanals erfolgt kalibergleich. 1. Wie unter IVIA erläutert, kann der Schuß - Spur 7 - in
Siehe dazu die Lichtbilder 72 und 73. der rekonstruktiv ermittelten Haltung gesetzt worden sein.
Die sich aus der Sondierung ergebenden Werte sind in Die Waffe Baader wirft nach rechts aus. Die ausgeworfene
den Skizzen 7/1 und 7/2 festgehalten. Hülse dürfte auf die Türwand getroffen und danach in den
Die Lichtbilder 76, 77 und 78 dienen zur fotodokumentari- Raum zurückgeprallt sein.
schen Beweissicherung des Skizzenwertes. Dabei stellen die stehende Person und der aufgestellte
Der ermittelte Schußbahnverlauf läßt die Aussage zu, Paravent ein natürliches Hindernis dar.
daß die Spur Nr. 7 in der in Skizze 7/2 und dem Lichtbild Nr. 2. In der Ziffer IV/B wird Bezug auf die Spur Nr. 5 genom-
84 rekonstruierten Situation gesetzt worden sein dürfte. men. Hier ergibt sich eine Waffenhaltung, bei der die Hülse,
Erkennbare Anzeichen eines Nahschusses sind nicht nach erfolgter Schußabgabe, in Richtung zur rechten Zel-
vorhanden. Der rekonstruktive Wert ist nur als Anhaltspunkt lenwand ausgeworfen wird. Die Hülse kann von dort wieder
gedacht. Er könnte sich, durch Körpergröße und Schußhal- in den Raum zurückprallen oder aber im Umfeld der Liege
tung bedingt etwas verändern. zu Boden fallen und abgefangen werden.
B. Schußbahnverlauf2 3. Wie die Rekonstruktion der beiden Schüsse ergibt, ist
Eine kalibergleiche Sondierung erbringt einen Schußbahn- es höchst unwahrscheinlich, daß die beiden Hülsen, Spur
verlauf, der vom Schußdefekt in der Zellenstirnwand, Spur Nr. 2a und 2b, sich in der aufgefundenen Form gruppiert
Nr. 5, direkt auf die linke untere Kante des Paravents neben haben. Alles deutet auf eine gezielte Ablage hin, die nicht
dem Kopf der Leiche, zuläuft. mehr im Einklang mit dem erwartbaren Spurenbild steht.
Bilder 76, 78, 79, 82 und 83. 4. Abzuklären bleiben jetzt noch die Lageorte der Spuren
Die ermittelten Werte ergeben eine rekonstruktive Sitz- Nr. 1 und 4 in Bezug mit Leiche, Verletzungen derselben
position und Waffen haltung, wie sie in den Lichtbildern 85 und Waffe.
und 86 festgehalten wurde. 5. Die Schmauchspur an der rechten Hand des Baader
In der Skizze 7/1 ist der Längsverlauf der Schußbahn sagt aus, daß die Waffe mit der Auswurföffnung nach rechts
aufgezeichnet. Die Lage der Einzelspuren ist hier auch gehalten wurde, d.h. daß das Griffstück nach unten zeigte.
vorrangig zu betrachten, da sie für die weitere Aussage zum 6. Waffe, Verletzung und Schmauchspur zusammen
Tragen kommt. In der Skizze 7/3 ist die in den Lichtbildern ergeben, daß die Pistole mit dem Griffstück nach unten an
85 und 86 aufgezeichnete Position und Waffenhaltung den Hinterkopf gesetzt wurde.
maßstabsgerecht erläutert. Interessant ist hier auch der Das abgefeuerte Geschoß drang nur noch mit schwacher
sich ergebende Wert der Sitzposition bei Abgabe des Restenergie aus dem Schädel und blieb im unmittelbaren
Schusses - grüne Markierung - in Beziehung auf die vorge- Bereich der Leiche liegen.

386 387

-- ~ .
Dafür, daß die Spur Nr. 1 das tödliche Geschoß sein Die beiden Hülsen wurden höchstwahrscheinlich aufge-
dürfte, spricht die positive Reaktion auf eine Blutvorprobe. sammelt und an den jetzt bezeichneten Fundort verbracht.
Die Hülse, Spur Nr. 4, liegt- in Beziehung zur rekonstruk-
tiven Schußabgabe des tödlichen Schusses - völlig lagege- Ziegler, KHK
recht.

VI. Die Art der erfolgten tödlichen Schußabgabe durch das


Hinterhaupt läßt den Schluß zu, daß Baader versucht haben
könnte, den Gesamtvorgang so darzustellen, als wäre er
durch eine andere Person verursacht.
Die Spur 7 - Schußbahn 1 - könnte gesetzt worden sein,
um einen ersten Schuß auf die noch liegende Person des
Baader zu signalisieren.
Die Spur 5 - Schußbahn 2 - und der tödliche Schuß
dürften annähernd aus gleicher Position abgegeben wor-
den sein. 2 Schüsse waren notwendig, um bei nicht fest-
stellbarer Reihenfolge derselben, einen Suizid auszu-
schließen.
Baader mußte deshalb versuchen, um in einen Ablauf-
rhythmus zu kommen, 2 gleiche Schußbahnen in Richtung
der Zellenstirnwand zu erzeugen.
In der, in der Skizze 7/3 grün eingezeichneten Position
könnte er die Spur 5 - Schußbahn 2 - gesetzt haben. Um
jetzt einen gleichartigen Schußbahnverlauf zu erhalten,
mußte der tödliche Schuß aus gleicher Position abgefeuert
werden.
Dadurch waren Haltung von Körper, Kopf und Waffe
bedingt festgelegt.

VII. Das Magazin der Waffe faßt 8 Patronen. Insgesamt


wurden 3 Patronen abgefeuert und 7 befanden sich noch in
der Waffe.
Es muß also einen Nachladevorgang gegeben haben.

VIII. Dies wiederum erbringt, daß zuerst die Spuren 7 und 5


gesetzt wurden, wobei die Reihenfolge austauschbar
erscheint. Nach Abgabe der beiden Schüsse wurde die
Waffe wieder voll aufmunitioniert.

388 389

~ ~ .
DOKUMENT 20 Es wird hier davon ausgegangen, daß es sich bei der im
BKA-SCHUSSENTFERNUNGSGUTACHTEN BAADER Zuge der Ermittlungen sichergestellten ungarischen Selbst-
ladepistole vom KaI. 7,65, ohne Beschriftung, der Herstel-
lerfirma "FEG", mit überschlagener Waffennummer, um die
Tatwaffe handelt und die Tatmunition vom KaI. 7,65 und
Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden Fabrikat "Hirtenberger" ist.

Landeskriminalamt Die Untersuchungen im hiesigen Labor führten zu folgen-


Baden-Württemberg den Befunden:
Postfach 2965
7000 Stuttgart 1 Auf Abb. 1 und 2 ist das Hautteil mit Blick auf die Oberseite
und die Unterseite in natürlicher Größe dargestellt. In dem
Wiesbaden 21.2.78 Hautteil befindet sich eine kanalförmige Verletzung, die von
der Oberseite in Richtung der Unterseite verläuft. Die Ver-
Bezug: Schreiben des LKA Baden-Württemberg vom letzung kann nach ihrer Form und Größe durch ein Projektil
20.10.77 mit Gesch.Z. 810-551 162/77, Schreiben der LPD des KaI. 7,65 entstanden sein. Auf der Hautoberseite ist die
Stuttgart II vom 19.10.77 mit Gesch.Z. KTU 437/77 Verletzung von einer Prägemarke umgeben, deren Kontu-
Betreff: Todesermittlungssache Andreas Baader ren dem Mündungsprofil der vorbezeichneten Pistole ent-
hier: Schußentfernungsbestimmung sprechen. In dem unter der Oberhaut gelegenen Gewebe
ist eine Schmauchhöhle erkennbar. Die in der Schmauch-
Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun- höhle befindlichen dunklen Partikeln wurden mittels Emis-
deskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe sionsspektralanalyse untersucht. Es konnten als Bestand-
KT 1 durchgeführt. teile der Partikeln die chemischen Elemente Blei, Barium
Anlagen 2 Fotos und Antimon nachgewiesen werden. Demnach handelt es
Dr. Hellmiß sich unter Einbeziehung des übrigen Spurenbildes bei den
Partikeln um Pulverschmauch. Erfahrungsgemäß entste-
hen Prägemarke und Schmauchhöhle nur dann bei einem
Dr. R. Hoffmann Schuß, wenn dieser mit aufgesetzter oder aufgepresster
Wissenschaftlicher Rat Waffe abgefeuert wurde.
im Bundeskriminalamt
Die Untersuchung des Hautteils erfolgte zusätzlich mit der
Wiesbaden, 21.2.78 Röntgenfluoreszenzanalyse. Bei diesem Verfahren wird
eine Größe, die sogenannte Impulsrate, bestimmt, welche
Gutachten ein Maß für die Höhe der auf der Probe befindlichen Blei-
Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg übersandte menge ist.
ein Hautteil mit einer Einschußverletzung aus dem Nacken- Hierzu wurde aus dem Hautteil eine Probe in Form eines
bereich von der Leiche des Andreas Baader mit dem Ersu- Kreises von 20 mm Radius herausgestanzt, in deren Mittel-
chen, die Schußentfernung zu bestimmen. punkt die Einschußöffnung lag. Auf der Oberseite des Haut-

390 391

••
teils konnte eine Impulsrate von 12.400 Imp/sec gemessen Befunde mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, muß
werden und auf der Unterseite eine Impulsrate von 38.500 eine Verschleppung von Pulverschmauchspuren stattge-
Imp/sec. Die starken Bleispuren auf der Hautunterseite funden haben.
bestätigen, daß sich Pulverschmauch in dem unter der
Oberhaut gelegenen Gewebe abgelagert hat. Die gesamte Zusammenfassung
Impulsrate auf der Oberseite im Einschußbereich setzt sich Der Tatschuß wurde mit aufgesetzter oder aufgepreßter
aus der auf dem Hautteil und der an den Haaren aus dem Waffe abgefeuert, da die Einschußverletzung die hierfür
Einschußbereich gemessenene Impulsrate von 1.900 Imp/ charakteristischen Kennzeichen, Prägemarke und
sec zusammen (siehe hiesiges Gutachten mit Az. KT 13-11 Schmauchhöhle, aufweist.
737/77). Sie beträgt damit 14.300 Imp/sec.
Es wird um Mitteilung gebeten, wie über das Hautteil verfügt
Zum Vergleich wurde mit der vorbezeichneten Pistole und werden soll, da es hier nur noch kurzfristig im Gefrier-
Patronen des KaI. 7,65 vom Fabrikat "Hirtenberger" schrank aufbewahrt werden kann.
Schweinehaut aus verschiedenen Entfernungen beschos-
sen. Die Messung der Bleianhaftungen auf der Hautober- Dr.Hoffmann
seite im jeweiligen Einschußbereich erfolgte wie bei dem
Tatschuß mit der Röntgenfluoreszensanalyse. Die Ver-
gleichsproben hatten die gleiche Form und Größe wie die
Tatschuß-Probe. DOKUMENT 21
Die Meßergebnisse sind in der nachstehenden Tabelle zu- BKA-HAARPROBENGUTACHTEN BAADER
sammengefaßt.

Entfernung in cm Impulsrate in Imp/sec


aufgesetzt 74.000 Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden
5 76.000
10 48.000 Landeskriminalamt
15 58.000 Baden-Württemberg
20 38.500 Postfach 2965
25 32.000 7000 Stuttgart 1
40 10.000
50 1.800 Wiesbaden 21.2.78
70 700
Bezug: Schreiben des LKA Baden-Württemberg vom
Wie es bei gleichartigen Untersuchungen häufig der Fall ist, 20.10.77 mit Gesch.Z. 810-551 162/77, Schreiben der LPD
nehmen die Impulsraten mit wachsender Entfernung ab. Stuttgart 11 vom 19.10.77 mit Gesch.Z. KTU 437/77
Vergleichsweise müßte der Tatschuß aus einer Entfernung Betreff: Todesermittlungssache Andreas Baader
zwischen 30 cm und 40 cm gelegenen Entfernung abgefeu- hier: Untersuchung von Haarproben des Andreas Baader
ert worden sein. Da dies jedoch aufgrund der übrigen auf Pulverschmauchanhaftungen

392 393

~ ~ .
Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun- dieser Haare und zum Vergleich der im Asservatenver-
deskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe zeichnis unter liff. 2 bis 4 genannten Haarproben auf Pul-
KT 1 durchgeführt. verschmauch- bzw. Bleianhaftungen erfolgte mittels Rönt-
Anlagen 7 Haarproben genfluoreszenzanalyse, Emissionsspektralanalyse und
7 Abbildungen Folienandruckverfahren. Es konnten an den Haaren von
Dr. Hellmiß der EinschußsteIle Blei und Bariumspuren nachgewiesen
werden, wie sie erfahrungsgemäß bei Schüssen aus kurzer
Entfernung entstehen. Genaue Angaben über die Schuß-
Dr. R. Hoffmann entfernung können aus den Untersuchungsergebnissen
Wissenschaftlicher Rat nicht gewonnen werden, da die Lage der Haare zu der
im Bundeskriminalamt Einschußöffnung nicht bekannt ist.

Wiesbaden, 21.2.78 Die im Asservatenverzeichnis unter liff. 5 bis 7 aufgeführ-


ten Haarproben wurden nicht untersucht.
Gutachten
Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg übersandte
die im nachstehenden Verzeichnis aufgeführten Haare von
der Leiche des Andreas Baader mit dem Ersuchen, die DOKUMENT22
Haare von der EinschußsteIle auf Pulverschmauchspuren BKA-SCHMAUCHSPURENGUTACHTEN BAADER
zu untersuchen.

Asservatenverzeichnis
1. Haare von der EinschußsteIle im Nacken Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden
2. Haare "vom Kopf vorne"
3. Haare von der rechten Schläfe Landeskriminalamt
4. Haare von der linken Schläfe Baden- WÜrttemberg
5. Haare von der rechten Achsel Postfach 2965
6. Haare von der linken Achsel 7000 Stuttgart 1
7. Schamhaare
Wiesbaden, 14.2.78
Die Untersuchungen im hiesigen Labor führten zu folgen-
den Befunden: Bezug: Schreiben des LKA Baden-Württemberg vom
20.10.77 mit Gesch.l.810-551 162/77;
Auf den Abb. 1 bis 7 sind sämtliche Haarproben mit jeweili- Schreiben der LPD Stuttgart 1Ivom 19.10.77 mit Gesch.l.
gen Beschriftungen gezeigt. KTU 437/77
Bei der mikroskopischen Betrachtung waren an den Haa- Betreff: Todesermittlungssache Andreas Baader
ren von der EinschußsteIle keine durch Schußeinwirkung hier: Untersuchung von Anhaftungen an beiden Händen
entstandenen Sengspuren erkennbar. Die Untersuchung

394 395

_______________________________
.-L _
Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun- mischen Elemente Blei und Barium sind zwar als charakte-
deskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe ristischer Bestandteil von Pulverschmauch anzusehen,
KT 1 durchgeführt. aber da es sich um häufig in der Natur vorkommende Ele-
Anlagen 3 Abbildungen mente handelt und sich im vorliegenden Fall auch aus der
2 DIN A 4-Klarsichthüllen mit je einem Papier-Rundfilter Verteilung der nachgewiesenen Bleispuren keine Schlüsse
Dr. Hellmiß auf ihre Entstehungsursache ziehen lassen, können die
Blei- und Bariumspuren auch anderer Herkunft sein. Wei-
tere Untersuchungen der Filterpapiere mittels Emissions-
Dr. R. Hoffmann spektralanalyse, Röntgenfluoreszenzanalyse und einer
Wissenschaftlicher Rat energiedispersiven Röntgenanalyse erbrachten keine
im Bundeskriminalamt zusätzlichen Hinweise auf Pulverschmauchanhaftungen.

Wiesbaden 14.2.78 R. Hoffmann

Gutachten
Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg übersandte je
einen Papier-Rundfilter von 18,5 cm Durchmesser mit DOKUMENT 23
Anhaftungen von der linken und der rechten Hand des BKA-PULVERSCHMAUCHGUTACHTEN 11BAADER
Andreas Baader. Es sollte festgestellt werden, ob die Filter-
papiere Anhaftungen von Pulverschmauch aufweisen.

Die Untersuchungen im hiesigen Labor führten zu nachste- Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden
henden Befunden:
Landeskriminalamt
Auf den Abb. 1 und 2 sind die beiden Filterpapiere zusam- Baden-Württemberg
men mit der beschrifteten Unterlage in natürlicher Größe Postfach 2965
gezeigt. Durch eine mikroskopische Betrachtung waren an 7000 Stuttgart 1
beiden Filterpapieren keine als Schußspuren anzusehen-
den Anhaftungen erkennbar. Bei den mit bloßem Auge Wiesbaden den 15.Juni 1978
sichtbaren dunklen Verfärbungen dürfte es sich um Blut-
spuren handeln. Die Untersuchung auf latente Pulver- Bezug: Schreiben des Landeskriminalamtes Baden-Würt-
schmauch- bzw. Bleispuren erfolgte mit dem Folienab- temberg vom 20.10.1977 mit Gesch.Z. 810-551 162/77;
druckverfahren. Hierbei konnten etwa in der Mitte des Filter- Schreiben der LPD Stuttgart vom 19.10.1977 mit Gesch.Z.
papieres von der rechten Hand schwache flächige Blei- und KTU Nr. 437/77
Bariumspuren nachgewiesen werden. Die Verteilung der Betreff: Todesermittlungssache Andreas Baader; hier:
Bleispuren ist auf Abb. 3 in natürlicher Größe wiederge- Untersuchung eines Hautteils von dem rechten Daumen
geben. und rechten Zeigefinger
Weitere Bleispuren ließen sich nicht feststellen. Die che-

396 397

~ - .
Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun- Es wird um Mitteilung gebeten, wie über das Hautteil verfügt
deskriminalmat, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe werden soll, da es hier nur noch kurzfristig im Gefrier-
KT 13 durchgeführt schrank aufbewahrt werden kann.
Anlagen 1 Foto
(Dr. Stoecklein) (Dr. R. Hoffmann)

Dr. R. Hoffmann
Wissenschaftlicher Oberrat DOKUMENT24
im Bundeskriminalamt BKA-SCHUHANHAFTUNGSGUTACHTEN BAADER

Wiesbaden, den 15.Juni 1978

Gutachten Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden


Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg übersandte
von der Leiche des Baader ein Hautteil aus dem rechten Landeskriminalamt
Daumen-Zeigefinger-Bereich mit dem Ersuchen, diese auf Baden- WÜrttemberg
Pulverschmauchanhaftungen zu untersuchen. Postfach 29 65
7000 Stuttgart 1
Die Untersuchungen im hiesigen Labor führten zu folgen-
den Befunden: Wiesbaden 8.5.78

Auf Abb. 1 ist das Hautteil in natürlicher Größe gezeigt. Bezug: Dortige Schreiben vom 23. und 27.01.78 AZ.:810-
Mikroskopisch waren auf dem Hautteil keine als Pulver- 551 162/77 sowie Schreiben der Landespolizeidirektion
schmauch anzusehenden Anhaftungen erkennbar. An Stuttgart 11, Kriminalpolizei vom 20.01.78, Az.; KTU Nr. 437/
zehn Stellen des Hautteils, deren Lage auf Abb. 1 durch 77
numerierte Punkte gekennzeichnet ist, wurden Proben ent- Betreff: Leichensache Baader, Ensslin, Raspe
nommen und mittels Emissionsspektralanalys~ untersucht. hier: Kriminaltechnische Vergleichsuntersuchung von
Hierbei ließen sich an den Stellen 1 und 2 nur Bleispuren Anhaftungen an den Schuhen von Andreas Baader
nachweisen. Diese Spuren können als Hinweis aus Pulver-
schmauchanhaftungen angesehen werden, der jedoch Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun-
nicht zwingend ist, da es sich bei Blei und Barium um häufig deskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe
in der Natur vorkommende chemische Elemente handelt, KT 3 durchgeführt.
die auch anderer Herkunft sein können, und da sich keine Anlagen 1 Paar schwarze Schnürschuhe
zusätzlichen Hinweise auf Pulverschmauchanhaftungen (Dr. Kissling)
fanden.

398 399

-- ~---------------------
Dr. Franz Peter Adolf "Die Bodenschmutzanhaftungen von den Sohlenberei-
Wissenschaftlicher Rat im Bundeskriminalamt r chen der beiden vorliegenden Schuhe bestehen aus ca.
Wiesbaden, 8.5.78 300 mg (linker Schuh) bzw. 280 mg (rechter Schuh) Boden-
material mit meist hellen, durchscheinenden Partikeln und
Gutachten dunklen, feinkörnigen Partikeln, die zu größeren Teilchen
1. Sachverhalt agglomeriert sind. Außerdem sind mehrere kleine Stein-
In der o.a. Sache waren ein Paar schwarze Schnürschuhe chen mit meist dunklen Anhaftungen sowie Tabakkrümel
mit Gummisohlen übersandt worden. Laut Anschreiben vorhanden. Die beiden übersandten Vergleichsproben ent-
sind diese Schuhe der Leiche Andreas Baader in der Zelle halten hell durchscheinende, rötliche, braune und grünliche
719 der JVA Stuttgart-Stammheim ausgezogen worden. Partikel, gemischt mit dunkelgrauen Bodenteilchen, schlak-
Die Schuhe wurden als Spur 14 bezeichnet. kig-kohligen Partikeln. Daneben sind auch hier Tabakkrü-
mel zu finden. Für die Vergleichsuntersuchung wurden die
Ferner lag ein ca. 5 cm x 10 cm großes Stück Klebefolie vor, Proben durch Trockensiebung in die Fraktionen mit Korn-
mit dem der Boden im Bereich der Füße der Leiche Andreas größen> 0,5 mm, 0,5 - 0,18 mm und< 0,18 mm getrennt.
BAADER abgeklebt worden war (Spur 15). Bei der Bewertung der Ergebnisse war zu berücksichtigen,
daß zwischen der Sicherstellung der Schuhe und der Siche-
Auf Anforderung wurden am 26.01.78 fünfzehn Klebeband- rung des Vergleichsmaterials etwa 3 Monate verstrichen
abzüge und zwei Kehrproben vom Boden eines Freiganges und daß -laut Spurensicherungsbericht der LPD Stuttgart 11
im 8. Stockwerk der JVA Stuttgart-Stammheim übersandt. - in dieser Zeitspanne mehrere hundert Personen den
Bereich betreten haben, in dem die Vergleichsproben ent-
2. Fragestellung nommen wurden. Ob in dieser Zeit der Freigang auch gerei-
Es sollte geprüft werden, inwieweit die Anhaftungen an den nigt wurde, war den Anschreiben nicht zu entnehmen. Unter
Schuhen von Andreas Baader den Schmutzproben aus der Berücksichtigung dieser Überlegungen führte die Ver-
Zelle 719 bzw. dem Freigang zugeordnet werden können. gleichsuntersuchung der vorliegenden Proben zu dem
Befund, daß - trotz einigen Unterschieden in einzelnen
3. Untersuchungsergebnisse und Bewertung Bestandteilen - eine Herkunft der Bodenanhaftungen an
Bereits mit unbewaffnetem Auge waren im Sohlen bereich den Schuhen des BAADER aus dem Entnahmebereich der
beider Schuhe zahlreiche Schmutzanhaftungen zu erken- Vergleichsproben nicht auszuschließen ist."
nen. Sie wurden für beide Schuhe getrennt unter der Lupe
abgenommen und mit Hilfe eines Stereomikroskopes nach 3.2. Faseranteil
Bodenschmutz- und Faseranteilen ausgelesen. Beide Faserfraktionen aus den Schmutzanhaftungen der
Schuhe setzen sich aus einer Vielzahl einzelner Faser-
3. 1. Bodenschmutzanteil bruchstücke sowie mehreren kleinen bauschartigen Faser-
Die beiden Bodenschmutzfraktionen wurden durch den WA aggregaten zusammen. Die einzeln liegenden Faserbruch-
Dr. Demmelmeyer (KT 33) einer vergleichenden Analyse stücke sind spurenkundlich als unspezifische ubiquitäre
mit den Bodenschmutzanteilen in den beiden Kehrproben Faserverschmutzungen anzusprechen. Sie lassen dem-
vom Freigang unterzogen. Dr. Demmelmeyer hat hierzu nach keine Aussage hinsichtlich eines bestimmten Sach-
folgenden Befund erhoben: verhaltes zu.

400 401

--- ---'---------------------
Die weitere Untersuchung betraf somit noch die zu Bau- Ein als Fadenstück zu bezeichnendes Faseraggregat
schen geformten Faseraggregate. Hierbei zeigte sich, daß r
I
aus der Zelle setzt sich aus Baumwollfasern mit einem
bei bei den Schuhen weitgehend die gleichen Faserarten grauen Farbton zusammen.
auftreten. Die Ergebnisse können daher zusammentreffend
dargestellt werden. Die Bewertung der erhaltenen Befunde führt zu der Fest-
Zunächst ist festzustellen, daß in den meisten der nach- stellung, daß beinahe alle aus dem Faserschmutz der
folgend beschriebenen Faserbausche u.a. weinrote, grüne, Schuhe entnommenen und ausgewerteten Anteile sich in
blaue und beige Chemiefasern mit den unterschiedlichsten gleicher Art auch im Fasermaterial aus der Zelle und dem
morphologischen Strukturen auftreten. Diese Faseranteile Freigang finden.
sind als sekundäre Bestandteile zu bezeichnen.
Als Hauptkomponenten fanden sich in drei Bauschen Auch wenn berücksichtigt werden muß, daß es sich sowohl
Baumwollfasern, die hell- bis mittelblau eingefärbt sind. beim Spurengut als auch beim Vergleichsmaterial um
Acht Bausche enthalten ungefärbt erscheinende Baum- Faserschmutz handelt, der entweder nur aus einem kleinen
wollfasern. In zwei weiteren Bauschen finden sich gelblich Bereich (Zelle) oder aber zeitlich sehr viel später (Freigang)
und grünlich eingefärbte Baumwollfasern. Aus Baumwollfa- gesichert wurde, kann aufgrund der gegebenen Überein-
sern bestanden auch drei Faseraggregate, die als Faden- stimmungen gesagt werden, daß der Faserschmutz von
stücke angesprochen wurden. Das eine besaß einen gelb- den Schuhen Andreas Baaders durchaus aus dem Entnah-
grünen, das andere einen blauen und das dritte einen mebereich des Vergleichsmaterials stammen kann.
grauen Farbton.
Mehrere Bausche enthielten nur Wollfasern. Diese waren (Dr. Adolf)
weinrot oder grün gefärbt.

Das Vergleichsmaterial aus der Zelle und vom Freigang


wurde aufgrund dieser Befunde zunächst makroskopisch DOKUMENT 25
auf Fasern überprüft, die farblich mit dem ausgewerteten SPURENSICHERUNGSBERICHT ZELLE 720
Spurengut von den Schuhen übereinstimmen. Nach Ent-
nahme und mikroskopischer Beurteilung des in Frage kom-
menden Fasermaterials, zeigte sich, daß sowohl in dem
Folienabzug vom ZeIlenfußboden als auch in den Proben Spurensicherungsbericht Nummer 13
vom Freigang weinrot eingefärbte Woll- und Chemiefasern Zelle 720 (Ensslin)
teils in Bauschform überwiegend aber als Einzelfasern vor-
handen sind. Die in der Zelle Ensslin sichergestellten tatspezifischen
Ferner fanden sich grün eingefärbte Wollfasern sowie Spuren sind nachstehend aufgeführt. Lage der Spur siehe
wenige Chemiefaserbruchstücke mit ebenfalls grüner Fär- Skizze und Lichtbilder.
bung.
Die blau eingefärbten Fasern bestanden größtenteils aus Spur Nr. 1: Kleine Schere, links neben Liege
Baumwollfasern ebenso wie die gelbliche und grünliche Untersuchung, ob mit ihr das Erhängungswerkzeug abge-
Komponente der entnommenen Fasern. schnitten worden ist.

402 403

••
Spur Nr. 2: Abgeschnittener Kabelstecker (Endstück des Spur Nr. 21 : Aufhängewerkzeug
Erhängungswerkzeuges) Spur Nr. 22: Mikrospurenabzug von der linken und der
Spur Nr. 3: Abgeschnittener Kabelstecker, Verwendung rechten Hand
wie2 Spur Nr. 23: Mikrospurenabzug von der Erhängungsfur-
Spur Nr. 4: Lautsprecherbox che am Hals der Leiche
Spur Nr. 5: Lautsprecherbox Spur Nr. 24: Kopfhaare, Achselhaare, Schamhaare
Spur Nr. 6: Plattenspieler Spur Nr. 25: Fingernagelabschnitte der Toten
Spur Nr. 7: Schnittstellen von den Kabelenden, an denen Spur Nr. 26: Zehnfingerabdruckblatt
vermutlich das Erhängungswerkzeug von den Boxen abge-
trennt wurde. Waschbecken o.B.
Spur Nr. 8: Vergleichskabel aus der Zelle Ensslin WC:o.B.
(Vergleich mit dem Erhängungswerkzeug) Heizkörper und Hohlraum dahinter: o.B.
Spur Nr. 9: Beide Schlösser der Zellentüre Installationszelle: o.B.
Untersuchung auf artfremdes Spuren material Lampen: o.B.
Spur Nr. 10: Untersuchung der Innen- und Außenseite Steckdosen: o.B.
der Essenklappe und ihrer unmittelbaren Umgebung auf Rufanlage: Mikrophon mit einer schwarzen Masse zuge-
daktyloskopische Griffspuren kittet
Spur Nr. 11: Decke, hinter der sich die Ensslin erhängt Radiosteckdose: Siehe gesonderter Bericht
hat. Untersuchung auf artfremdes Spurenmaterial Fußleiste: o.B.
Spur Nr. 12: Mikrospurenabzug vom Stuhl, der unmittel-
bar bei der Leiche stand. Untersuchung auf Fremdspuren. Ziegler, KOK
Spur Nr.13: Mikrospurenabzug vom Boden der Zelle.
Untersuchung auf Fremdmaterial.
Spur Nr.14: Nagel rechts von der Decke (Spur Nr. 11)
Herkunftsbestimmung DOKUMENT 26
SPURENAUSWERTEBERICHT ZELLE 720
Bei der Sektion der Ensslin gesichertes Material:
Spur Nr. 15: 1 beige Cordhose
in der rechten Hosentasche befindet sich ein 2-poliger Elek-
trostecker Spurenauswertebericht Nummer 13
Spur Nr. 16: 1 Paar grau-beige Wollsocken Zelle 720 - Ensslin - Bericht A
Spur Nr. 17: 1 Damenschlüpfer
abgegeben zur Untersuchung an das Gerichtsmedizinische Spur Nr. 21:
Institut der Stadt Stuttgart Beim Erhängungswerkzeug handelt es sich um Lautspre-
Spur Nr. 18: 1 grauer Wollpullover cherkabel, wie es an den Stereoboxen in der Zelle der
Spur Nr. 19: 1 dunkelblaues Baumwoll T-Shirt Gudrun Ensslin vorgefunden wurde. Spuren Nr. 2, 3, 7, 4
Spur Nr. 20: 1 Quarz-Digitaluhr, mit schwarzem Kunst- und 5. Beim Versuch, die Leiche aus ihrer ursprünglichen
stoffband Lage abzuhängen, rissen die Kabel an der Stelle, an der sie

404 405

""'-- ....
durch das Wellgitter des Zellenfensters geschlungen Vor dem Lösen der Knoten wurde das gesamte Erhän-
waren. Der vor dem Hals geschlungene Knoten wurde in gungswerkzeug sowie der Original knoten zusätzlich von
seiner Form belassen. beiden Seiten fotografiert (Bilder Nr. 126 - 129).
Dann wurde der Knoten entsprechend der Auffindesitua-
Im Originalzustand bestand das Erhängungswerkzeug aus tion am Hals einer Puppe angebracht und fotografiert (Bild
zwei gleichen Kabeln. Die Längen der ehemals frei nach Nr. 130).
unten hängenden Kabelenden betragen auf der einen Seite Die zuletzt geknotete Schlinge wurde aufgezogen (Bild
28,5 und 26 cm, auf der anderen Seite 39 und 36,5 cm. Die Nr. 131) und vollends gelöst (Bild Nr. 132).
über dem Knoten gebildete ehemalige Schlinge hatte einen Die zweite - darunterliegende - Schlinge ebenfalls
Durchmesser von ca. 15 cm, bei annähernd kreisförmiger zunächst gelöst (Bild Nr. 135) und aufgezogen (Bild Nr.
Auslegung der Kabelstücke. Die Länge der Kabelstücke 134).
ergibt einen ehemaligen Schlingenumfang von ca. 47,4 cm. Nun wurden zwei im Knoten befindliche Haare entfernt
und asserviert. Die nächste Schlinge wurde ebenfalls gelöst
Bedingt durch den Riß entstanden 4 Kabelstücke, die, (Bild Nr. 135) und aufgezogen (Bild Nr. 136). Das Kabel lag
nachdem der Knoten gelöst worden war, gemessen wur- nun in einer einfachen Schlinge um den Hals, die ebenfalls
den. Es konnten folgende Längen festgestellt werden: gelöst wurde (Bild Nr. 136-137). Der Knoten bestand in
a) 73,5 cm seinem Originalzustand also aus 4 übereinanderliegenden
b) 78,0 cm "halben Schlägen".
c) 66,5 cm Zur Rekonstruktion des Knotens und zum Nachweis, daß
d) 63,0 cm. er von eigener Hand vor dem Hals geknüpft werden kann,
Durch den Knoten waren die Kabelenden a) und b) auf der wurde mit einem ähnlichen Kabel rekonstruiert und die
einen, die Enden c) und d) auf der anderen Seite fixiert Situation fotografisch festgehalten (Bilder Nr. 139-143).
gewesen. Weder die weichplastische Masse der Kabelum- Daktyloskopisches brauchbares Spurenmaterial trägt
mantelung, noch die gerissenen Kupferlitzen, bilden an der das Erhängungswerkzeug, im Auffindezustand, nicht.
Bruchstelle Paßstücke, so daß eine eindeutige Zuordnung Wie aus dem Lichtbild Nr. 83 der Zellenaufnahmen zu
der Kabelstücke nicht möglich ist. ersehen ist, waren die beiden Lautsprecherboxen der Enss-
lin untereinander mit einem grünfarbenen Elektrokabel ver-
Bei der möglichen Zusammengehörigkeit der Kabelstücke bunden, wie es, zumindest dem äußeren Anschein nach,
a und c und gleichzeitig bund d ergeben sich Gesamtkabel- auch das Erhängungswerkzeug darstellt. Von den beiden
längen von 140,0 und 141,0 cm; waren die Kabelstücke a Boxen fehlen Kabelstücke. Es ist festzustellen, daß Teil-
und d gleichzeitig bund d miteinander verbunden, wären stücke zwischen Box und Boxenstecker herausgetrennt
Kabellängen von 136,5 und 144,5 cm vorhanden gewesen. wurden. Siehe dazu auch die Aufnahmen 76-80. Die jeweili-
gen Schnittstellen werden sichergestellt (Bild 138).
Jedes Einzelkabel ist zweiadrig und mit einer dunkelgrünen Die Spuren Nr. 2, 3, 7 und 8 bleiben asserviert und
Plastikummantelung versehen. Die Plastikummantelung werden dem LKA BW, Dez. 810 übergeben.
der Einzellitzen sind miteinander verschweißt, so daß die
Außenmaße eines jeden Kabels 2 mm auf 4 mm betragen. Ziegler, KHL

406 407
Spurenauswertebericht Nummer 13 DOKUMENT 27
Zelle 720 - Ensslin - Bericht B SPURENAUSWERTEBERICHT ZELLE 716

Spur Nr. 1: Schere


Von dem Untersuchungsvorgang, ob mit der Spur Nr. 1 -
Schere - die Spuren 2, 3 und 7 gesetzt worden sind, wurde Spurenauswertebericht Nummer 10
aus zeitlichen Gründen hier abgesehen. Sollte der Vorgang Zelle 716 - Raspe-
für notwendig erachtet werden, bitte ich um einen staatsan-
waltschaftlichen Auftrag. Spur Nr. 23 Untersuchungen zum Schußbahnverlauf
Die Spur Nr. 1 wird dem LKA BW, Dez. 810 übergeben. Der verletzte Raspe war bei meinem Eintreffen bereits
aus der Zelle verbracht. Die Schußwaffe wurde, vom Wach-
Ziegler, KHK personal, an KHK Habel übergeben.
Somit waren Person und Waffe nicht mehr im Original am
Geschehensort.
Spurenauswertebericht Nummer 13
Zelle 720 - Ensslin - Bericht B Die Wand am Kopfteil der Liege und die als Kopfunterlage
dienenden Decken, im selben Bereich, waren stark mit
Spur Nr. 10 Blutspuren behaftet. Siehe dazu die Lichtbilder 40 und 41.
Daktyloskopisches Spurenmaterial im Bereich der Essen- In der linken Regalaußenseite, 17 cm von der Zellenwand
klappe. Die Umgebung der Innen- und Außenseite der nach vorne und 88 cm vom Boden nach oben, ist ein Loch-
Essenklappe wurde nach daktyloskopischen Griffspuren defekt vorhanden. Bilder 31 und 32.
abgesucht. Das Ergebnis war negativer Art. An der Innenseite ist das Material abgeplatzt. Bilder 33
Eine Mikrospurenabnahme ist erfolgt. und 34. Entfernt man dieses Material, dann wird ein
Geschoß sichtbar, Bild 35.
Die Spuren 12 und 13 sind asserviert. Ihre weitere Untersu- Es wird gesichert und direkt dem Bundeskriminalamt
chung kann nur mit einem zielbegründenden Untersu- Wiesbaden, mit der Waffe des Raspe, zu einer weiterfüh-
chungsersuchen vorgenommen werden. Sie werden dem renden Untersuchung überbracht.
LKA BW, Dez. 810, übergeben.
Nach Herausnahme des Geschosses ergibt sich ein son-
Die Spuren Nr. 22 bis 26 bleiben asserviert und stehen einer dierbarer Schußkanal.
weiteren Untersuchung zur Verfügung. Sie werden dem Die Auspeilung des Schußbahnverlaufes wurde mit ver-
LKA BW überreicht. schiedenen Methoden vorgenommen. Siehe dazu die
Lichtbilder 36 und 38. Es ergibt sich, bei kalibergleicher
Ziegler; KHK Sonde, eine Höhe von 60 cm in Liegenmitte, Abstand zur
Kopfwand 40 cm.
Ich bitte, den genauen Schußbahnverlauf auch aus den
Skizzen 6/1 und 6/2 zu entnehmen.

408 409

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r
I

Mit den ermittelten und oben angeführten Werten wurde Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun-
eine Rekonstruktion unternommen. Sie ist in den Lichtbil- deskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe
dern 42 und 43 aufgezeigt. KT 13 durchgeführt.
Sie ergibt, daß Raspe sich vermutlich in sitzender Posi- Anlagen 1 Foto
tion den Schädeldurchschuß beigebracht hat. Danach (Dr. Stoecklein)
dürfte er zuerst nach hinten an die Zellenwand gefallen und
dann nach unten auf die Decken gesunken sein.
Die Spur Nr. 23 wurde am 14.2.78 dem BKA zwecks Dr. R. Hoffmann
Feststellung der Schußentfernung überbracht. Wissenschaftlicher Oberrat
im Bundeskriminalamt
Ziegler, KHK
Wiesbaden, den 20. Juni 1978

Gutachten
DOKUMENT 28 Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg übersandte
BKA-PULVERSCHMAUCHGUTACHTEN RASPE von der Leiche des Raspe ein Hautteil aus dem rechten
Daumen-Zeigefinger-Bereich mit dem Ersuchen, dieses
auf Anhaftungen von Pulverschmauch zu untersuchen.

Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden Die Untersuchungen im hiesigen Labor führten zu folgen-
den Befunden:
Landeskriminalamt
Baden-Württemberg Auf Abb. 1 ist das Hautteil in natürlicher Größe dargestellt.
Postfach 2965 Der schwarze Strich am Mittelglied des Zeigefingers (siehe
7000 Stuttgart 1 grünen Pfeil auf Abb. 1) ist laut Angaben des Herrn KHK
Habel (LPD Stuttgart 11) beim Daktyloskopieren entstanden.
Wiesbaden, 20.Juni 1978 Bei der mikroskopischen Betrachtung des Hautteils waren
keine als Pulverschmauch anzusehenden Anhaftungen
Bezug: Schreiben des Landeskriminalamtes Baden-Würt- erkennbar. Von acht Stellen des Hautteils, deren Lage
temberg vom 20.10.1977 mit Gesch.Z. 810-551 162/77; durch numerierte Punkte gekennzeichnet ist, wurden Pro-
Schreiben der LPD Stuttgart vom 19.10.1977 mit Gesch.Z. ben entnommen und diese mittels Emissionsspektralana-
KTU Nr. 435/77 lyse untersucht. Es wurden an der Stelle acht Blei- und
Betreff: Todesermittlungssache Jan Garl Raspe; hier: Bariumspuren und an der Stelle drei nur Bleispuren nach-
Untersuchung eines Hautteils von dem rechten Daumen gewiesen. Diese Spuren können als Hinweis auf Pulver-
und rechten Zeigefinger schmauchanhaftungen angesehen werden, der jedoch
nicht zwingend ist, da es sich bei Blei und Barium um häufig
in der Natur vorkommende chemische Elemente handelt,
die auch anderer Herkunft sein können, und da sich keine

410 411
r

zusätzlichen Hinweise auf Pulverschmauchanhaftungen Dr. R. Hoffmann


fanden. Wissenschaftlicher Oberrat
im Bundeskriminalamt
Es wird um Mitteilung gebeten, wie über das Hautteil verfügt
werden soll, da es hier nur noch kurzfristig im Gefrier- Wiesbaden, den 15.Juni 1978
schrank aufbewahrt werden kann.
Gutachten
(Dr. Hoffmann) Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg übersandte
von der Leiche des Raspe drei Gewebeteile aus der Schuß-
verletzung an der rechten Schläfe und drei Gewebeteile aus
der Schußverletzung an der linken Schläfe mit dem Ersu-
DOKUMENT29 chen, die Schußentfernung zu bestimmen. Nach Sachlage
BKA-PULVERSCHMAUCHGUTACHTEN 11RASPE sind die beiden Schußverletzungen durch einen einzigen
Schuß entstanden.

Die Untersuchungen im hiesigen Labor führten zu folgen-


Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden dem Befunden:

Landeskriminalamt Auf Abb. 1 und 2 sind die Gewebeteile von der linken und
Baden-Württemberg der rechten Schläfe in natürlicher Größe dargestellt. An den
Postfach 2965 Gewebeteilen von der rechten Schläfe sind dunkle Anhaf-
7000 Stuttgart 1 tungen zu erkennen, bei denen es sich augenscheinlich um
Pulverschmauch handelt. Erfahrungsgemäß entstehen
Wiesbaden, 15.Juni 1978 derartige Spuren bei Einschüssen, wenn die Schußabgabe
aus kurzer Entfernung erfolgte. An den Hautteilen von der
Bezug: Schreiben der LPD Stuttgart 1I vom 19.10.1977 mit linken Schläfe sind keine als Schußspuren anzusehenden
Gesch.Z. KTU Nr. 435/77; Schreiben des LKA Baden-Würt- Anhaftungen sichtbar. Die Lage der Gewebeteile zum
temberg vom 20.10.1977 mit Gesch.Z. 810-551162/77 Schußkanal läßt sich nicht mehr feststellen.
Betreff: Todesermittlungssache Jan-Carl Raspe; hier:
Untersuchung von Gewebeteilen von der Ein- und Aus- Durch eine Untersuchung mittels Röntgenfluoreszenzana-
schußverletzung auf Pulverschmauchspuren lyse konnten an den Gewebeteilen von der rechten Schläfe
starke Bleispuren nachgewiesen werden, die ein Zeichen
Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun- für einen Schuß aus nächster Nähe sind.
deskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe
KT 13 durchgeführt Die Gewebeteile wurden ferner emissionsspektralanaly-
Anlagen 2 Fotos tisch untersucht. Hierbei ließen sich an den Gewebeteilen
(Dr. Stoecklein) von der rechten Schläfe die für Pulverschmauch charakteri-
stischen chemischen Elemente Blei, Barium und Antimon

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rI

nachweisen. Aus diesem Untersuchungsergebnis ist eben- Die von Ihnen gewünschte Untersuchung wurde im Bun-
falls zu schließen, daß es sich um einen Einschuß handelt, deskriminalamt, Kriminaltechnisches Institut, Fachgruppe
bei dem der Schuß aus nächster Nähe abgefeuert wurde. KT 13 durchgeführt
Anlagen 1 Regalseitenwand
Genaue Angaben über die Schußentfernung können 4 Fotos
anhand des vorliegenden sehr geringen Spurenmaterials (Dr. Stoecklein)
nicht gemacht werden.

Es wird um Mitteilung gebeten, wie über die Gewebeteile Dr. R. Hoffmann


verfügt werden soll, da diese hier nur noch kurzfristig im Wissenschaftlicher Oberrat
Gefrierschrank aufbewahrt werden können. im Bundeskriminalamt

(Dr. R. Hoffmann) Wiesbaden, den 20. Juni 1978

Gutachten
Dem Untersuchungsantrag der LPD Stuttgart 11 vom
DOKUMENT30 14.2.1978 mit Gesch.Z. KT/435/77 ist nachstehender Sach-
BKA-SCHUSSVERLAUFSGUTACHTEN verhalt zu entnehmen:
Der Jan Garl Raspe wurde mit einem Kopfdurchschuß auf
der Liege in seiner Zelle aufgefunden. Das Projektil soll
nach dem Austritt aus dem Kopf die Seitenwand eines
Bundeskriminalamt Postfach 1820 6200 Wiesbaden Bücherregals getroffen haben und darin steckengeblieben
sein.
Landespolizeidi rektion
Stuttgart 11 Die LPD Stuttgart 11 übersandte die durch den Steckschuß
Kriminalpolizei KTU beschädigte Regalseitenwand mit dem Ersuchen um gut-
7000 Stuttgart achtliche Stellungnahme zu der Frage, ob die an der Regal-
seitenwand befindliche Beschädigung durch denselben
Wiesbaden, 20. Juni 1978 Schuß, der durch den Kopf des Raspe gegangen ist, ent-
standen sein kann oder durch einen zweiten Schuß.
Bezug: Dortiger Untersuchungsantrag vom 14.2.1978 mit
Gesch.Z. KT/435/77 Die Untersuchungen im hiesigen Labor führten zu folgen-
Betreff: Todesermittlungssache Jan Garl Raspe; hier: den Befunden:
Untersuchung der Schußspuren an der Seitenwand eines
Bücherregals aus der Zelle des Raspe Die Abb. 1 und 2 zeigen die hölzerne Regalseitenwand von
außen und innen. An der durch einen grünen Pfeil gekenn-
zeichneten Stelle befindet sich ein Loch, das nach seiner
Form und Größe durch ein Projektil des KaI. 9 mm kurz

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verursacht worden sein kann, das die Regalseitenwand von DOKUMENT31
außen getroffen hat. Auf den Abb. 3 und 4 ist die Beschädi- VERNEHMUNG POHLIRING
gung in natürlicher Größe dargestellt.

Durch eine mikroskopische Betrachtung waren im Bereich


der Beschädigung keine durch Schußeinwirkung entstan- Staatsanwaltschaft
denen Anhaftungen erkennbar. Der Randbereich der bei dem Landgericht Stuttgart
Beschädigung auf der Außenseite wurde mittels Emissions-
spektralanalyse untersucht. Zu Vergleichszwecken erfolgte Stuttgart, den 20.0ktober
mit dem gleichen Verfahren eine Untersuchung des Man-
tels des Projektils, das in der Beschädigung aufgefunden 9 Js 3627/77
wurde. Das Geschoß wurde von der hiesigen Fachgruppe
KT 6 (Schußwaffenerkennungsdienst) zur Verfügung Auf telefonische Vorladung erscheint:
gestellt. Es konnten an der Beschädigung die chemischen
Elemente Nickel und Kupfer nachgewiesen werden, bei KHM Rainer Pohl Edler von Elbwehr,
denen es sich um ein Bestandteil des Abriebes von dem geboren am 2.5.1950 in Bad Aibling, verheiratet, beschäf-
ebenfalls Nickel und Kupfer enthaltenden Geschoßmantel tigt beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Telefon
handeln dürfte. Für Pulverschmauch charakteristische Ele- 6685/372
mente ließen sich nicht feststellen. Zu dem gleichen Ergeb-
nis führte eine Untersuchung der Beschädigung mit dem und erklärt:
Folienabdruckverfahren. Das Fehlen von Pulverschmauch-
spuren läßt sich durch eine Abfilterung des Pulverschmau- Zum Zeitpunkt der Durchsuchung vom 5.9.1977 war ich
ches durch ein in der Schußlinie befindliches Objekt erklä- abgeordnet zur LPD Stuttgart 11, Inspektion I. Etwa um
ren und steht im Einklang mit der Annahme, daß der Schuß, 20.00 Uhr wurde angeordnet, daß alle erreichbaren Beam-
der die Regalseitenwand traf, zuerst durch den Kopf des ten der Kriminalpolizei Stuttgart in die Dienststelle kommen
Raspe gegangen ist. sollten. Gegen 21.00 Uhr wurde ich zusammen mit den
Kollegen Gutwein, Pietsch und Röck von unserem Inspek-
(Dr. R. Hoffmann) tionsleiter Müller beauftragt, zusammen mit Beamten des
LKA Baden-Württemberg die Zellen der Baader-Meinhof-
Häftlinge in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim zu
durchsuchen. Wir fuhren nach Stammheim und warteten
dort auf die Beamten des LKA und auf Herrn Widera von der
Bundesanwaltschaft. Nach deren Eintreffen wurde eine
Einsatzbesprechung durchgeführt. Herr Widera sagte zu
uns, daß die Schleyer-Entführer die Baader-Meinhof-Häft-
linge befreien wollten. Zweck der Durchsuchung sei das
Auffinden von Hinweisen auf diese Entführung. Herr Ring
vom LKA teilte daraufhin die einzelnen Gruppen ein. Ich

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hatte zusammen mit Herrn Schmidt vom LKA und einem mir Staatsanwaltschaft
namentlich nicht mehr bekannten Beamten der LPD Stutt- bei dem Landgericht Stuttgart
gart 11die Zelle Baaders zu durchsuchen, innerhalb der
Zelle den Bereich rechts vom Eingang, in dem sich das Bett, Stuttgart, den 20. Oktober 1977
Bücher auf dem Boden sowie ein Schallplattenregal befan-
den. Herr Schmidt hatte den Bereich zu durchsuchen, in Auf telefonische Vorladung erscheint
dem sich Toilette, Waschbecken sowie Lebensmittel befan-
den. Der restliche Bereich war von dem Kollegen der LPD Herr KHK Josef Ring,
Stuttgart 11zu durchsuchen. Geboren am 21.6.1946 in Ittling/Krs. Straubing,
verheiratet, Dienststelle: Landeskriminalamt Baden-Würt-
Gegen Mitternacht wurde Herr Ring mit einigen Kollegen temberg, Telefon: 6685/368
abgezogen. Vom LKA blieb nur noch Herr Schmidt zurück.
Er wurde von Herrn Ring mit der Leitung der weiteren und erklärt:
Durchsuchung beauftragt. Ich war außer in der Zelle Baa-
ders noch in einigen anderen Zellen und habe Kollegen Die Durchsuchung der Zellen der Baader-Meinhof-Zellen (!)
geholfen. So war ich in der Zelle Möllers, sowie in derjeni- in der Vollzugsanstalt Stuttgart fand nach der Entführung
gen Zelle, die genau gegenüber der Zelle Baaders liegt. von Herrn Schleyer und in diesem Zusammenhang in der
Außerdem war ich noch im Aktenraum. Nacht vom 5. auf 6.9.1977 statt. Die Durchsuchung wurde
In der Zelle Baaders herrschte zunächst nur Schummer- von der Bundesanwaltschaft fernmündlich angeordnet,
licht. Zum Lesen hätte es nicht gereicht. Es wurde dann eine soviel ich noch weiß, über das Bundeskriminalamt. Ich
Stehlampe mit zwei oder drei Strahlern gebracht. Daraufhin wurde zu Hause angerufen vom Dauerdienst des LKA,
konnte man im Schein dieser Lampe lesen; im übrigen Abteilung 8. Ich ging daraufhin zu meiner Dienststelle. Mein
Raum war es aber nicht hell. Es wurde versucht, eine Neon- Abteilungsleiter, Herr KOR Kollischon beauftragte mich, die
lampe zu installieren. Dies ging aber nicht. von der Bundesanwaltschaft angeordnete Durchsuchung
durchzuführen und zu leiten. Für die Durchsuchung wurden
Das Bett nahm ich genau unter die Lupe. Ich nahm es ganz Kräfte des LKA eingeteilt. Kräfte der LPD Stuttgart 11waren
auseinander. Unter dem Bett fand ich in Ablagekästen ebenfalls eingeteilt. Sie wurden alle mir unterstellt. Die
Werkzeug aller Art, z.B. Schraubenzieher, sowie Kleinteile. Namen der an der Durchsuchung beteiligten Beamten
Einzelteile einer Schußwaffe waren darunter mit Sicherheit ergeben sich aus dem Aktenvermerk der Dienststelle 811
nicht. Ich habe meinen Bereich gründlich durchsucht. Dabei TE des LKA Baden-Württemberg vom 6.9.1977. Eine Kopie
sah ich mir auch die Wände an. Etwas Auffälliges entdeckte dieses Aktenvermerks sowie zwei Durchsuchungsberichte
ich nicht. vom 5.9.1977 und zwei Untersuchungsberichte über
Meine Durchsuchung ergab außer den erwähnten Werk- sichergestellte Gegenstände übergebe ich.
zeugen und einem Radiogerät nichts, was hätte sicherge-
stellt werden müssen. Die genannten Gegenstände über- Wir sind gegen 22.00 Uhr in der Vollzugsanstalt Stuttgart-
gab ich dem Anstaltsleiter. Stammheim eingetroffen. Dort haben wir bis zum Eintreffen
(Christ) von Herrn Widera von der Bundesanwaltschaft gewartet
entsprechend einer diesbezüglichen Anordnung. Nach sei-

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nem Eintreffen ließ ich mir vom Anstaltsleiter Nusser einen Während der Durchsuchung der Zellen ging ich von Zelle zu
Besprechungsraum zuteilen. Dort wurde eine kurze Ein- Zelle, um mir ein Gesamtbild zu verschaffen und den Ablauf
satzbesprechung durchgeführt. Ich teilte die Kräfte für die zu beaufsichtigen. Zwei der zu durchsuchenden Zellen sind
jeweiligen Zellen ein. Dabei wies ich darauf hin, daß die von den übrigen etwas weiter entfernt. In der Zelle Baaders
Zellen nochmals eingehend zu durchsuchen seien, auch hielt ich mich etwas länger auf als in den übrigen Zellen.
wenn sie in der Vergangenheit schon mehrfach durchsucht Dort habe ich z.B. ca. 50 Gewürzbehälter gründlich durch-
worden seien. Einer Unterrichtung durch Herrn Widera ent- sucht.
sprechend wies ich insbesondere darauf hin, daß es haupt-
sächlich auf Gegenstände und Schriftstücke ankomme, die Vom Anstaltspersonal waren bei der Durchsuchung anwe-
im Zusammenhang mit der Entführung Schleyers stehen send die Herren Nusser, Schreitmüller und Bubeck. Außer-
könnten. dem waren mehrere Vollzugsbeamte, die für den siebten
Stock zuständig sind, dabei.
Welche Beamte für welche Zellen eingeteilt wurden, ergibt
sich ebenfalls aus dem bereits erwähnten Aktenvermerk Die Lichtverhältnisse in den Zellen waren miserabel. Ich
vom 6.9.1977. lehnte eine Durchsuchung unter diesen Umständen
zunächst ab. Daraufhin wurden Neonröhren angebracht.
Bei der erwähnten Einsatzbesprechung waren Anstaltslei- Dies war allerdings in der Zelle Baaders nicht möglich.
ter Nusser und Herr Bubeck von der Vollzugsdienstleitung Deshalb wurde dort eine Stehlampe aufgestellt. Ideale
dabei, außerdem Herr Widera. Ich erkundigte mich, wo die Bedingungen für eine gründliche Durchsuchung waren dies
Häftlinge im Augenblick seien und ob sie bereits körperlich natürlich nicht.
durchsucht worden seien. Herr Bubeck teilte mir daraufhin
mit, daß die Häftlinge inzwischen in anderen Zellen unterge- In der Zelle Baaders ordnete ich unter anderem das Anhe-
bracht seien und von Vollzugsbeamten der Anstalt körper- ben eines Bettes an. Unter der Schaumgummimatratze
lich durchsucht worden seien. Dabei sei jedoch nichts von fanden wir verschiedene Geräte, darunter einen Schrau-
Bedeutung gefunden worden. Herr Widera hörte dies auch. benzieher. Neben seinem Bett stand ein alter Volksempfän-
Ich sah nach dieser Äußerung von Herrn Bubeck keinen ger, soviel ich weiß, auch ein Plattenspieler. Diese Gegen-
Grund, noch einmal eine körperliche Durchsuchung der stände übergab ich der Anstaltsleitung mit der Bitte, ihre
Häftlinge anzuordnen. Auch Herr Widera ordnete dies nicht Überprüfung zu veranlassen. Dies ist dann auch ge-
an. Am Ende dieser Einsatzbesprechung sagte Herr schehen.
Widera abschließend, er wolle eine gründliche Durchsu-
chung und es komme ihm insbesondere auf Schriftstücke Herr Widera hielt sich auch in zu durchsuchenden Zellen
an, die im Zusammenhang mit der Schleyer-Entführung auf. In welchen Zellen er im einzelnen war, kann ich nicht
stehen könnten. sagen.

Nach dieser Besprechung gingen wir in den siebten Stock. Das Ergebnis der Durchsuchung ergibt sich aus dem Akten-
In den zu durchsuchenden Zellen befanden sich keine Per- vermerk vom 6.9.1977. Es wurde nichts gefunden, was mit
sonen. Herr Bubeck zeigte uns, wem welche Zelle gehört. der Entführung Schleyers in Zusammenhang stehen
Auch Herr Nusser war dabei. könnte oder sonst den Verdacht einer strafbaren Handlung

420 421

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aufkommen ließ. Nur die bei Baader gefundenen, bereits fuhr mit. Die Einsatzleitung bei der Durchsuchung in den
erwähnten Geräte wurden sichergestellt. Zellen der Vollzugsanstalt Stuttgart übernahm auf meinen
Auftrag hin Herr Schmidt vom LKA Baden-Württemberg. Er
Bei der Einsatzbesprechung gab ich keine spezielle Anord- hatte auch die entsprechenden Durchsuchungsberichte zu
nung, wie im Detail durchsucht werden soll. Die an der fertigen.
Durchsuchung beteiligten Beamten des LKA waren sämt- (Christ)
lich erfahrene Kollegen. Soweit es ging, habe ich für die Staatsanwalt
bewohnten Zellen jeweils mindestens einen LKA-Beamten (Josef Ring)
eingeteilt. Der Aktenvermerk vom 6.9.1977 ist insofern
unvollständig, als bei der Durchsuchung der Zelle Ensslin
außer KHM Pietsch von der LPD Stuttgart 11 auch noch KHM
Weigand vom LKA beteiligt war. 9 Js 3627/77

Bei der Einsatzbesprechung ordnete ich eine gründliche Aktenvermerk vom 24. 10. 1977
Durchsuchung an. Ich ordnete ausdrücklich an: die Durch- KHK Ring (LKA Baden-Württemberg) erklärt auf fernmünd-
suchung sämtlicher Bücher, sämtlicher im Raum befindli- liche Anfrage,
chen Gegenstände, die Durchsuchung des gesamten Mo- a) weshalb am 5./6. Sept. 1977 nicht alle Zellen des VII.
biliars. Stocks der VA Stuttgart durchsucht und
Das Absuchen der Wände ordnete ich nicht ausdrücklich b) nach welchen Kriterien die nicht durchsuchten Zellen
an. Dies gehört aber selbstverständlich zu einer gründliche- ausgeschieden worden seien:
ren Durchsuchung. Dies wußten meine Kollegen.
Die Bundesanwaltschaft habe die Durchsuchung derjeni-
Ich schaute mich in den einzelnen Zellen genau um. Auf- gen Zellen angeordnet, die von Baader-Meinhof-Häftlingen
belegt seien. Zweck der Durchsuchung sei gewesen, Hin-
grund meiner Wahrnehmung hatte ich keine Veranlassung,
weise auf die Schleyer-Entführung zu finden.
die Entfernung der Fußbodenleisten anzuordnen. Ich kann
Im Verlauf der Durchsuchung habe die Anstaltsleitung
jedoch nicht ausschließen, daß ich dann, wenn in den Zellen
darauf hingewiesen, daß erst vor kurzem einige Baader-
(insbesondere bei Baader) bessere Lichtverhältnisse
Meinhof-Häftlinge nach einem Krawall in andere Vollzugs-
geherrscht hätten, mir etwas aufgefallen wäre, was mich zu
anstalten verschubt worden seien. Die Zellen, die von die-
einer solchen Anordnung veranlaßt hätte. Dies gilt natürlich
auch für die Beamten, die im einzelnen mit der Durchsu- sen Häftlingen bis zu ihrer Verschubung belegt gewesen
seien, habe man daher in die Durchsuchung mit einbezo-
chung befaßt waren.
gen. Der Zeitraum zwischen Verschubung und der
Schleyer-Entführung sei noch so kurz gewesen, daß das
Gegen 0.30 Uhr wurde ich angewiesen, mit einem Teil
Auffinden von Hinweisen noch denkbar gewesen sei.
meiner Mannschaft nach Stuttgart in die Lange Straße 3 zu
fahren, um dort ein Anwaltsbüro zu durchsuchen. Ich ver- Die übrigen Zellen seien längere Zeit nicht belegt gewesen.
ließ daher zusammen mit Herrn Wiegand, einem weiteren Deshalb seien sie nicht durchsucht worden. Das habe gar
LKA-Beamten und einem Teil der Kräfte der LPD Stuttgart 11 nicht zur Debatte gestanden. Es habe auch keine rechtliche
die Haftanstalt und fuhr nach Stuttgart. Auch Herr Widera Handhabe für die Durchsuchung dieser Zellen vorgelegen.

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So viel er wisse, habe Herr Widera von der Bundesan- DOKUMENT32
waltschaft inzwischen erklärt, die Durchsuchungsanord- BKA-VERMERK ZUR TODESWAFFE RASPE
nung habe sich lediglich auf diejenigen drei Zellen erstreckt,
die zum Zeitpunkt der Durchsuchung von den Häftlingen
Baader, Ensslin und Raspe belegt gewesen seien (weil
diese drei Häftlinge nämlich befreit werden sollten), nicht Bundeskriminalamt
aber auf die übrigen Zellen des VII. Stocks. Bonn-Bad Godesberg, den 23.3.1977
Wegen dieser Äußerung müsse er - Ring - nunmehr eine
dienstliche Äußerung abgeben, weshalb überhaupt mehr Vermerk:Betr.: Ermittlungsverfahren gegen Siegfried
als drei Zellen durchsucht worden seien. HAAG wegen des Verdachtes eines Vergehens nach § 129
(Christ) a StGB
Staatsanwalt
1. Am 27.10.1976 verkaufte der italienische Staatsangehö-
rige
Micheie SALVAL,
geb. 21.5.1916 in Nus (Aosta), Italien,
Inhaber eines Sportwarengeschäftes in Aosta, u.a. eine
Pistole "Heckler und Koch", KaI. 22 LR, 6,35 mm, 7,65 mm,
Nr. 19477, an
KLAR, Christian
geb. 20.5.52 in Freiburg.
KLAR erschien in Begleitung einer jungen Frau, die SAL-
VAL als die
SCHMITZ, Sabine
geb. 13.8.55 in Bonn
identifizierte. Etwa zur gleichen Stunde kauften zwei Män-
ner 2 Revolver "Smith & Wesson" . SALVAL identifizierte
die bei den Käufer als
Siegfried HAAG,
geb. 15.3.45 in Aurich,
und
Roland MA VER,
geb. 22.4.54 in Bühl/Baden.
Näheres zu diesem Sachverhalt ist der Spur 91 aus dem
vorliegenden Verfahren zu entnehmen.

424 425

10.....- ~ •
•....

2. Am 10.11.1976 verkaufte die Firma MA VER AG, Waffen- DOKUMENT33


handlung, Basel, Schweiz, an einen gewissen KLEINE ANFRAGE HEIMANN 1983
DAEMRICH F.
wh. Am Breitenweg 11
Bad Bergzabern,
ein Gewehr und ein Wechselsystem 9 mm kurz für die Landtag von Baden-Württemberg
Pistole "Heckler und Koch". Modell 4. Der Käufer legiti- 8. Wahlperiode
mierte sich. Drucksache 8/4126

3. Die Pistole "Heckler und Koch" ist eine Waffe mit aus- Kleine Anfrage des Abg. Heimann (Grüne)
wechselbaren Systemen. Durch Auswechseln des Ver-
schlusses und des Magazins können die Kaliber .22 I.r., Betr. Todesermittlungsverfahren in Stuttgart-Stammheim
6,35 mm, 7,65 mm und 9 mm kurz aufgebaut werden. Bei (Ensslin, Baader, Raspe)
dem Kaliber .22 I.r. wird zusätzlich der Schlagbolzen auf die
Randfeuerpatrone umgestellt. Ich frage die Landesregierung

4. Wie ersichtlich ist, wurde von Christian KLAR die Pistole 1. Wie beurteilt die Landesregierung den Wahrheitsgehalt
"Heckler und Koch" mit den Systemen .221.r., 6,35 mm und des Art. "Affären. Von fremder Hand" in der Zeitschrift DER
7,65 mm am 27.10.1976 in Aosta gekauft. Zur Vervollstän- SPIEGEL 27/83, Seiten 48 ff. vom 4.7.1983?
digung fehlte lediglich das System 9 mm kurz. Ein solches
System wurde am 10.11. 1976 unter dem Namen DAEM- 2. Ist es insbesondere zutreffend, daß das im Spurensiche-
RICH in Basel erworben. rungsbericht der Landespolizeidirektion Stuttgart 11als Spur
Nr. 6 bezeichnete "Gewebeteil oder Blut an der Wand"
(SCHELITZKI) KKzA verschwunden ist, obwohl nach dem Spurensicherungsbe-
richt und der Aussage des KHK Eberhard Ziegler diese
Spur am 18.10.1977 dem Leiter des Gerichtsmedizinischen
Instituts der Stadt Stuttgart, Herrn Prof. Dr. Joachim
Rauschke, zum Zwecke der Untersuchung übergeben
wurde?

3. Hat die StA Stuttgart wegen des Verschwindens der Spur


6 von amtswegen ein Ermittlungsverfahren wegen des Ver-
I~ dachts des Verwahrungsbruches gegen Herrn Prof.
,
I Rauschke eingeleitet, oder haben die zur Dienstaufsicht
i verpflichteten Organe ein Disziplinarverfahren gegen ihn
l auf den Weg gebracht, nachdem die StA Stuttgart vom
r

I
I Verschwinden der Spur 6 Kenntnis erhalten hatte?

~
l 426 427
I

~
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,..

4. Hat der Leitende aStA bei der StA Stuttgart gegen den (Drucksache 8/695): "Nach den Erkenntnissen der Landes-
zuständigen Untersuchungsführer im Todesermittlungsver- regierung haben StA und Polizei die Ermittlungen von
fahren wegen des Todes von Andreas Baader, Gudrun Anfang an unter Ausschöpfung aller relevanten Erkenntnis-
Ensslin und Jan-Carl Raspe, Herrn StA Rainer Christ, im möglichkeiten durchgeführt und sämtliche Spuren ver-
Wege der Dienstaufsicht Maßnahmen eingeleitet, nachdem folgt"?
dieser schon durch den Artikel "Spur Nr. 6 blieb ein
Geheimnis" in DER SPIEGEL Nr. 11 vom 10.3.1980 und 9. Hält die Landesregierung nach Kenntnisnahme des Ver-
den Artikel "Der Fall Stammheim" im STERN Nr. 45 vom schwindens der Spur 6 und der erwiesenen Untätigkeit der
30.10.1980 auf die möglicherweise untersuchungsent- StA in dieser Sache an ihrer Bewertung vom 10.12.1980
scheidende Bedeutung dieser Spur 6 aufmerksam gemacht fest, die lautete: "Die Landesregierung billigt die Verfah-
wurde und bis zum 19.1.1981 keine Nachforschungen nach rensweise und Stellungnahme der StA"?
dem Verbleib und dem Untersuchungsergebnis von Spur 6
unternahm? 10. Wie beurteilt das Justizministerium folgende Versäum-
nisse, die mit seiner Behauptung in Widerspruch stehen,
5. Ist die StA Stuttgart dem Hinweis des KHK Ziegler vom die StA Stuttgart habe bei ihren Ermittlungen "sämtliche
Kriminaltechnischen Institut der LPD Stuttgart II vom Spuren verfolgt"?
19.1.1981 gefolgt, gemäß welchem, nach der Erinnerung
von KHK Ziegler, Prof. Rauschke auf die "einige Monate" a) Weder in den Akten des Todesermittlungsverfahrens
nach dem 18.10.1977 erfolgte Nachfrage Zieglers nach noch in den Protokollen des Untersuchungsausschusses
dem Ergebnis der Untersuchung dieses Gewebeteils erwi- des Landtages von Baden-Württemberg werden alle Voll-
dert haben soll: Das Gewebeteil sei bisher noch nicht unter- zugs beamte genannt, die in der Nacht vom 17. auf den
sucht worden, "er (Rauschke) müsse es wegschicken oder 18.10.1977 in der JVA Stuttgart-Stammheim Dienst taten.
er habe es weggeschickt (möglicherweise nach Erlangen) Danach steht fest, daß von diesen 9 Beamten nur 6 von der
oder er müsse zur Untersuchung noch jemanden bei- Polizei und vor dem Untersuchungsausschuß zu den Vor-
ziehen"? gängen in dieser Nacht als Zeugen vernommen wurden. 3
Beamte, darunter 2 der Außenwache und der Beamte, der
6. Hat die Landesregierung Kenntnis vom gegenwärtigen im Zellenbau 1INachtdienst hatte, sind demnach bisher im
Verbleib der Spur Nr. 6? Todesermittlungsverfahren weder namentlich bekannt
noch zur Aufklärung der Vorgänge durch die StA gehört
7. Hat die Landesregierung die StA Stuttgart angewiesen, worden.
Ermittlungen nach dem Verbleib der Spur 6 aufzunehmen?
b) Nach dem Bericht des Untersuchungsausschusses des
8. Bleibt die LR bei ihrer Behauptung im Schreiben des Landtages von BW vom 20.2.1978 gab es in den Wänden
Justizministers an den Präsidenten des Landtages von und sonstigen Einrichtungen der Zelle Andreas Baaders
Baden-Württemberg vom 10.12.1980 (Beantwortung der kein Waffenversteck, in der er die am 18.10.1977 neben
Kleinen Anfrage des Abg. Heimann, die Grünen, betr. ord- ihm aufgefundene Pistole hätte verbergen können. In dem
nungsgemäße Durchführung der amtlichen Untersuchung Bericht heißt es deshalb über den in dieser Zelle befindli-
zum Ableben von Häftlingen der JVA Stuttgart-Stammheim chen Plattenspieler, daß sich in ihm schon am 6.9.1977

428 429

~
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,...-

"mutmaßlich die am 18.10.1977 in der Zelle Andreas Baa- über alle Besuche und Reparaturen dem Ausschuß zur
ders aufgefundene Pistole befand" (S. 97). Diese Behaup- Verfügung zu stellen, um festzustellen, ob auch nach dem
tung widerspricht dem Wortlaut eines Schreibens des 12.9.1977 weitere Besuche stattfanden (Protokoll der 17.
Justizministeriums vom 10.11.1978, btr. Plattenspieler des Sitzung vom 9.2.1978, Seiten 111 ff.). Die StA ist auch
Gefangenen Andreas Baader, in dem es heißt: dieser Spur, die ggfs. zur Erkenntnis der Gründe über die
"Nach dem inzwischen vorliegenden Bericht der Voll- Funktionsuntüchtigkeit der Fernsehüberwachungsanlage
zugsanstalt wurde der Plattenspieler des Gefangenen Baa- in der Nacht vom 17. auf den 18.10.1977 geführt hätte,
der ( ... etc.) am 5. Sept. 1977 durch Amtsinspektor Hauk ausweislich der Ermittlungsakten nicht gefolgt.
( ... ) in die Zelle 712 ( ... ) verbracht. Dort wurden die
genannten Geräte von Beamten des LKA durchsucht und 11. Ist die Landesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß
überprüft." Unterschrift: Prof. Dr. Engler folgende bisher nicht in das Todesermittlungsverfahren ein-
bezogene Spuren und Beweisstücke sichergestellt und
Die StA kann dieser Spur, die die Nichtexistenz auch dieses zum Gegenstand neuer Ermittlungen gemacht werden:
Waffenverstecks beweist, schon deshalb nicht gefolgt sein, a) Am 18.10.1977 gefertigte Röntgenaufnahmen von
weil sich das genannte Schreiben in den Akten des Todes- Andreas Baader, die sich im Institut für Rechtsmedizin des
ermittlungsverfahrens nirgends findet. Gesundheitsamtes der Landeshauptstadt befinden,
b) Inhalt des Briefes von Andreas Baader (mit Anlage) vom
c) Die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des 7.10.1977 an den Vorsitzenden Richter am OLG Stuttgart,
Dr. Foth?
Landtags, die die StA ihrer Einstellungsverfügung vom
18.4.1978 mehrfach zugrundegelegt hat, haben ergeben,
daß sich während der Zeit der sog. Kontaktsperre vom 6.9.- 12. Wird die Landesregierung umgehend eine Verfolgung
18.10.1977 Mitarbeiter der Firma SIEMENS im Sicherheits- der vorgenannten und aller sonstigen erreichbaren Spuren
bereich des 7. Stocks der JVA Stuttgart-Stammheim aufge- durch die StA veranlassen und kann sie mit Sicherheit
halten haben. Sie sollen dort Reparaturarbeiten an den ausschließen, daß gegenwärtig und in Zukunft noch weitere
Fernsehkameras im Flur zwischen den Zellen von Andreas Beweismittel abhanden kommen?
Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möl-
ler ausgeführt haben. Gleichwohl wurde das Nichtfunktio-
nieren des optischen Alarmsystems dieser Telemat-Anlage
während der Kontaktsperrezeit vom Untersuchungsaus-
schuß festgestellt. Über Funktionsstörungen der Anlage
während dieser Zeit war aber dem zuständigen Vollzugs-
dienstleiter Hauk, der auch die Funktionen eines Sicher-
heitsbeauftragten wahrnahm, nichts bekannt.

Dennoch hat mindestens am 12.9.1977 eine Reparatur der


Fernsehanlage durch einen Revisor der Firma SIEMENS
nach deren Betriebsunterlagen stattgefunden. Der Aus-
schußvorsitzende bat die Firma SIEMENS, ihre Unterlagen

430 431
r
DOKUMENT34 Zu 1.:
ANTWORT DES JUSTIZMINISTERIUMS
AUF DIE KLEINE ANFRAGE HEIMANN 1983 Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, den Wahrheits-
gehalt der zahlreichen Presseveröffentlichungen zu beur-
teilen, die seit dem Selbstmord der Gefangenen Baader,
Ensslin und Raspe immer wieder Einzelheiten der Ermitt-
Stuttgart, den 13.7.1983 lungen aufgegriffen haben, um vor der Öffentlichkeit das
Verfahren im Ganzen in Zweifel zu ziehen. Zu einer Ausein-
Holger Heimann andersetzung mit solchen Presseveröffentlichungen sieht
die Landesregierung auch deshalb keinen Anlaß, weil das
übereinstimmende Ergebnis der Ermittlungen der Staats-
anwaltschaft und des Untersuchungsausschusses seit lan-
Der Justizminister des Landes Baden-Württemberg gem allgemein bekannt ist.

An den Zu 2. bis 5.:


Herrn Präsidenten
des Landtags von Es trifft zu, daß der Verbleib des im Spurensicherungsbe-
Baden-Württemberg richt der Kriminalpolizei vom 16. Januar 1978 als Spur Nr. 6
Haus des Landtags aufgeführten und nach diesem Bericht in der Zelle des
7000 Stuttgart 1 Gefangenen Baader sichergestellten Beweismaterials trotz
eingehender Nachforschungen der Staatsanwaltschaft
Stuttgart den 25. Juli 1983 nicht mehr festgestellt werden kann.

Betr. Kleine Anfrage des Abg. Heimann GRÜNE Bei dem Beweismaterial zu Spur 6 handelte es sich aus-
- Todesermittlungsverfahren in Stuttgart-Stammheim weislich der zugehörigen Lichtbildaufnahme um die Antra-
(Ensslin, Baader, Raspe) gung einer geringen Menge von Gewebe oder Blut an der
Drucksache 8/4126 Zellenwand. Im Spurensicherungsbericht war vermerkt
worden, dieses Beweismaterial sei zur Untersuchung an
das Institut für Rechtsmedizin der Stadt Stuttgart weiterge-
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, geben worden. Daß so verfahren wurde, hat auch der ver-
antwortliche Beamte der Kriminalpolizei bestätigt. Demge-
im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit, Gesund- genüber hat der frühere Leiter des Instituts für Rechtsmedi-
heit und Sozialordnung beantwortet das Justizministerium zin mit Entschiedenheit verneint, daß das Beweismaterial
die Kleine Anfrage wie folgt: ihm persönlich übergeben worden oder in sonstiger Weise
an das von ihm geleitete Institut gelangt sei.

Angesichts dieser Sachlage hat die Staatsanwaltschaft


Stuttgart aufgrund wiederholter Nachfragen in einem Ver-

432 433
r
i
I

merk vom 19. Januar 1981 festgestellt, daß eine Klärung Zu 6. bis 9.:
des Verbleibs des Beweismaterials nicht möglich ist. Wei-
tergehende Nachforschungen waren unter den gegebenen Bei der gegebenen Sachlage versteht es sich von selbst,
Umständen weder geboten noch erfolgversprechend. daß die Landesregierung weder Kenntnis vom Verbleib des
Beweismaterials der Spur 6 hat noch die Staatsanwalt-
Einer gegen den früheren Leiter des Instituts für Rechtsme- schaft anweisen kann, diesbezüglich weitere Nachfor-
dizin gerichteten Strafanzeige wegen Verdachts des Ver- schungen anzustellen.
wahrungsbruchs (§ 133 StGB) hat die Staatsanwaltschaft
Stuttgart mit Verfügung vom 25. Februar 1981 keine Folge Der Verlust des Beweismaterials der Spur 6 gibt der Lan-
gegeben. Sie hat ein entsprechendes Ermittlungsverfahren desregierung aber auch keinen Grund, von der Bewertung
auch nicht von Amts wegen eingeleitet. Zwar ist, sofern der im Schreiben des Justizministeriums an den Landtag vom
Darstellung des Beamten der Kriminalpolizei gefolgt wird, 10. Dezember 1980 (Drucks. 8/695) abzugehen, wonach
nicht auszuschließen, daß das Beweismaterial der Spur 6 Staatsanwaltschaft und Polizei "die Ermittlungen von
bei dem Institut für Rechtsmedizin abhanden gekommen Anfang an unter Ausschöpfung aller relevanten Erkenntnis-
sein mag. Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, möglichkeiten durchgeführt und sämtliche Spuren verfolgt"
daß der Leiter des Instituts, dessen Mitarbeiter oder eine haben. Diese Aussage bezog sich insgesamt nur auf dieje-
sonst beteiligte Person das Beweismaterial - wie dies der nigen tatsächlichen Gegebenheiten, die sich unter den
Tatbestand des Gewahrsamsbruches voraussetzt - vor- ersten Zugriffen hinaus bei abschließender Prüfung als
sätzlich beiseite geschafft haben könnten, sind jedoch nicht bedeutsam für das Ergebnis der Ermittlungen erwiesen
erkennbar. hatten. Es steht jedoch fest, daß das Beweismaterial der
Spur 6 nach den durch vielfältige andere Beweise gesicher-
Die getroffenen Feststellungen geben nach Auffassung des ten Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft für das Ermitt-
Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung, der lungsergebnis nicht relevant war. Die Landesregierung bil-
das Justizministerium beitritt, auch keinen Grund zu dienst- ligt deshalb auch weiterhin die Sachbehandlung der Staats-
rechtlichen Maßnahmen gegen den früheren Leiter des anwaltschaft und insbesondere deren Stellungnahme vom
Instituts für Rechtsmedizin der Stadt Stuttgart. 30. Oktober 1980, wonach der Vorwurf einer schuldhaften
Vernachlässigung wichtiger Erkenntnisquellen unbegrün-
Ebensowenig ist die Sachbehandlung des zuständigen det und haltlos ist.
Staatsanwalts dienstaufsichtsrechtlich zu beanstanden.
Auch wenn die Staatsanwaltschaft darum bemüht blieb, Zu 10. bis 12.:
das Ergebnis der Ermittlungen in dem betreffenden Punkt
zu vervollständigen, war ein eindeutiger und überzeugen- Die Landesregierung beabsichtigt nicht, die Staatsanwalt-
der Nachweis für die Selbsttötung der Gefangenen doch schaft Stuttgart in dem Ermittlungsverfahren wegen des
bereits durch eine große Zahl anderer Beweismittel Todes der Gefangenen Baader, Ensslin und Raspe zur
erbracht worden. Demgegenüber ließ das noch ausste- Wiederaufnahme der Ermittlungen oder zur Sicherstellung
hende Auswertungsergebnis von vornherein keine weiterer Beweismittel anzuhalten.
Erkenntnisse erwarten, die das Ergebnis des Ermittlungs-
verfahrens hätten in Frage stellen können.

434 435
r-

Hierzu besteht schon deswegen kein Grund, weil das DOKUMENT 35


Ermittlungsergebnis, wonach die Gefangenen sich selbst ANTRAG AUF BERICHTERSTATTUNG
getötet haben und eine strafrechtlich relevante Beteiligung ANTRAG GRÜNE 1983
anderer nicht vorlag, durch zahlreiche und überzeugende
Beweise belegt ist. Dieses Ergebnis wird auch durch die
ständig wiederholte Behauptung nicht in Frage gestellt, es
bestünden noch Lücken in der Beweisführung oder es sei Landtag von Baden-Württemberg
bisher unterblieben, bestimmte Spuren oder Beweismittel 8. Wahlperiode
aufzugreifen. Weil damit ersichtlich nur der Zweck verfolgt
wird, Mißtrauen und Zweifel an der Objektivität der Ermitt- Antrag des Abg. Heimann u.a. GRÜNE
lungsbehörden zu wecken, muß es die Landesregierung
ablehnen, sich mit Fragestellungen, wie sie u.a. die Kleine Todesermittlungsverfahren Stuttgart-Stammheim (Ensslin,
Anfrage und ihre Begründung zu den Punkten 10 und 11 Baader, Raspe)
enthalten, im einzelnen auseinanderzusetzen.
Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu
Im übrigen sind auch der vorliegenden Kleinen Anfrage ersuchen, Bericht zu erstatten über:
keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen,
daß die angesprochenen zusätzlichen Beweiserhebungen 1. Die Spur Nr. 6
zu einem anderen Ergebnis führen könnten.
1.1. Sieht die Landesregierung einen Widerspruch zwi-
Dr. Eyrich schen der offiziellen Tatversion, nach der die Kugel nach
Durchdringen des Schädels von A. Baader abgetropft und
zu Boden gefallen sein soll und der durch Spur 6 festgehal-
tenen Delle und Gewebefetzen an der gegenüberliegenden
Wand?

1.2. Warum ist die Landesregierung der Auffassung, daß


die Auswertung der Spur Nr. 6 von "vornherein keine
Erkenntnisse" erwarten ließ (DS 8/4126)?

2. Das Waffenversteck, der Plattenspieler von A. Baader

2.1. Wie erklärt die Landesregierung den Widerspruch zwi-


schen der Aussage des Schreibens des Justizministers
vom 10.1.78, wonach u. a. der Plattenspieler von Beamten
des LKA durchsucht wurde, und der Feststellung, daß die
Waffe in der Folgezeit wegen der verhängten Kontaktsperre
. nur schwerlich in den Plattenspieler hätte kommen können?

1 _
! 436 I 437

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r
3. Die diensthabenden Beamten

3.1. Wer waren die 3 diensthabenden Beamten, die nicht


I 6. Den Brief von Andreas Baader

6.1. Welchen Inhalt hat der Brief von Andreas Baader vom
von der Polizei und dem Untersuchungsausschuß vernom- 7.10.77 und die Anhänge des Briefes an den Vorsitzenden
men wurden? Richter am Oberlandesgericht Stuttgart, Dr. Foth?

3.2. Warum wurden die beiden Außenbediensteten nicht 6.2. Warum wurde dieser Brief weder im Todesermittlungs-
vernommen? verfahren von der Staatsanwaltschaft beigezogen noch
dem Untersuchungsausschuß vorgelegt?
4. Die Röntgenaufnahmen
6.3. Ist die Landesregierung bereit, diesen Brief dem Land-
4.1. Zu welchem Befund ist man im Todesermittlungsver- tag vorzulegen?
fahren aufgrund der Röntgenaufnahme an der Leiche A.
Baaders gekommen? Stuttgart, den 29.9.1983
gez. Heimann
4.2. Bestätigen die Röntgenaufnahmen insbesondere des Bran
Schädels die offizielle Tatversion? Erichsen
Hasenclever
5. Die Tätigkeit der Mitarbeiter der Firma Siemens während Kretschmann
der Kontaktsperre im Sicherheitsbereich
Begründung:
5.1 . Welche Aufgaben hatten die Mitarbeiter der Firma Sie- Unabhängig von grausamen und zu verurteilenden Taten
mens während der Zeit vom 5.9. bis 18.1 0.1977? des Terrorismus steht jedem Terroristen selber ein recht-
staatlich einwandfreies Verfahren zu.
5.2. Warum ist es ihnen nicht gelungen, die Funktionsfähig- Dies gilt auch für das Todesermittlungsverfahren. Das
keit der Telemat Alarmanlage herzustellen? Todesermittiungsverfahren in Sachen Baader, Ensslin,
Raspe ist, ob man es will oder nicht von historischem Inter-
5.3. Schließt die Landesregierung eine geheimdienstliche esse. Mißtrauen und Zweifel an der Objektivität der Ermitt-
Tätigkeit aus, die die Funktionsfähigkeit der Alarmanlage lungsbehörden entsteht nicht dadurch, daß Fragen gestellt
beeinträchtigen sollte? werden, sondern dadurch, daß sie nicht beantwortet wer-
den. Dadurch wird die für das öffentliche Interesse bedeut-
5.4. Verfügt die Landesregierung über Kenntnisse darüber, same Frage nach Selbsttötung oder Fremdtötung eine
daß der verstorbene Justizminister Bender mit der Tätigkeit Glaubensfrage und nicht Tatsachenbehauptung.
des Bundesnachrichtendienstes im 7. Stock der Justizvoll-
zugsanstalt Stammheim nach seinem Brief an Richter Dr. Gerade um dies zu vermeiden ist es notwendig, Stellung zu
Foth vom 5.4.77 nicht mehr einverstanden war? nehmen zu dem Widerspruch zwischen der Existenz der
Spur Nr. 6 und der offiziellen Beschreibung des Tather-
gangs.

438 439
Wenn es berechtigten Anlaß zur Annahme gibt, daß das
gemutmaßte Waffenversteck als solches nicht in Frage
kommt, so sollte die Landesregierung dies bestätigen oder
ausräumen. Wenn man die Behauptung aus dem Weg räu-
r a) Die Gerichtsmediziner Prof. Mallach und Prof. Andre
haben im Untersuchungsausschuß des Landtags von
Baden-Württemberg ausgesagt, daß das Projektil des tödli-
chen Schusses an der dem Leichnam Baaders gegenüber-
men will, daß Täter von außen hätten kommen können, liegenden Wand "im Wandputz eine kleine AufschlagsteIle
wäre es nicht ohne Interesse, die zwei Beamten des Außen- mit einem Abpraller" (Mallach It. Protokoll der 2. Sitzung
dienstes zu befragen. vom 2.11.1977, S. 85) verursacht hatte bzw. "in der Wand
ein Aufprall" erfolgt sei und eine "EinschlagsteIle in der
Auch der Befund der Röntgenaufnahmen ist von öffentli- Mauer" hinterlassen habe (Andre im Protokoll der 15. Sit-
chem Interesse. Gerade wenn der Tathergang nach Aus- zung vom 23.1 .1978, Seite 23). Demgegenüber erklärt der
sage der Landesregierung eindeutig geklärt ist, kann die Spurenauswertebericht des KHK Ziegler vom 28.2.1978:
Röntgenaufnahme nicht in Widerspruch dazu stehen. "In der Zelle 719 konnten, nach Absuche von Boden, Wand
und Decke, nur die unter der Spur 5 und 7 bezeichneten
Bezüglich des Beschwerdebriefes von A. Baader vom Schußeffekte (AufschlagsteIlen) gefunden werden." (Akten
7.10.1977 hat Richter Dr. Foth im Untersuchungsausschuß des Todesermittlungsverfahrens Bd. IX, S. 31). Demnach
aus einer Anlage zitiert, nach der A. Baader eine Fremdtö- existierte eine der Spur Nr. 6 zuzuordnende AufschlagsteIle
tung befürchtet haben soll. In diesem Zusammenhang wäre überhaupt nicht, sodaß sie auch nicht zur Rekonstruktion
der Beschwerdebrief selber von öffentlichem Interesse. des tödlichen Schusses herangezogen werden konnte, wie
dies durch Prof. Andre im Namen aller in- und ausländi-
Das Nichtaufarbeitenwollen von Vergangenem ist eine schen Sachverständigen am 23.1.1978 geschah: "Wenn
menschliche Untugend. Die Landesregierung darf sich an man die Richtung des Geschosses berücksichtigt, dann
einer ausführlichen Berichterstattung nicht vorbei mogeln. muß nämlich festgestellt werden, daß bei stehendem Kör-
per der Einschlag in der Mauer wesentlich hätte höher sein
müssen, so daß wir der Auffassung sind, daß im Zeitpunkt
Einzelbegründung zu den Berichtkomplexen 1 bis 3 der Schußabgabe das Opfer gesessen hat." (Protokoll der
15. Sitzung, S. 23).
zu 1.:
"Ein eindeutiger und überzeugender Nachweis für die b) Im Spurensicherungsbericht des KHK Ziegler vom
Selbsttötung" (DS 8/4126) kann bezweifelt werden, da im 16.1.1978 heißt es: "In der Zelle Baader konnte an tatspezi-
Fall des Untersuchungsgefangenen Baader die dazu erfor- fischen Spuren folgendes Material gesichert werden ...
derliche Rekonstruktion eines von ihm selbst abgegebenen Spur Nr. 6: Gewebeteil oder Blut an der Wand (befindet sich
Schusses u.a. durch das Verschwinden der Spur Nr. 6 zur Untersuchung beim Gerichtsmedizinischen Institut der
unmöglich wurde. Stadt Stuttgart)" (Akten des Todesermittlungsverfahrens
IX, S.5). Im Spurenauswertebericht des KHK Ziegler vom
Es ergeben sich folgende Widersprüche: 28.2.1978 (IX, S. 30 f) "Untersuchungsvorgänge zu den
Spuren 1, 2, 3, 4, 5 und 7 - Bestimmung der Schußbahnver-
läufe" wird Spur Nr. 6 nirgends mehr erwähnt und die Exi-
stenz einer ihr entsprechenden AufschlagsteIle ausdrück-

440 441

J
r
lich bestritten (s.o.). Bei der Rekonstruktion des Bahnver- Prof. Rauschke übergeben habe. Deshalb könne er sich
laufs des nichttödlichen 2. Schusses kommt Ziegler unter daran so genau erinnern. Herr Prof. Rauschke habe das
Verwendung der Spur Nr. 5 zu dem Ergebnis: "Die ermittel- Asservat selbst mitgenommen. Einige Monate später habe
ten Werte ergeben eine rekonstruktive Sitzposition und er Herrn Prof. Rauschke anläßlich einer Obduktion in ande-
Waffenhaltung" (Todesermittlungsverfahren IX, S. 32). rer Sache gefragt, was die Untersuchung des Gewebeteils
Ohne weitere Begründung oder Berufung auf entspre- ergeben habe. Herr Prof. Rauschke habe erwidert, das
chende Anhaltspunkte heißt es dann auf S. 34 über den Gewebeteil sei bisher noch nicht untersucht worden. Nach
angeblich tödlichen 3. Schuß: "Die Spur 5 - Schußbahn 2- seiner - KHK Zieglers - Erinnerung habe Herr Prof.
und der tödliche Schuß dürften annähernd aus gleicher Rauschke dazu erläutert, er müsse es wegschicken oder er
Position abgegeben worden sein." Die Erklärung für die habe es weggeschickt (möglicherweise nach Erlangen)
Lage des tödlichen Projektils (Spur Nr. 1) erfolgt ohne oder er müsse zur Untersuchung noch jemanden bei-
Berücksichtigung des Gewebeteils oder Blut an der Wand ziehen."
(Spur Nr. 6): "Das abgefeuerte Geschoß drang nur noch mit
schwacher Restenergie aus dem Schädel und blieb im Seit dem 19.1.1981 ist es aktenkundig, daß sich KHK Zieg-
unmittelbaren Bereich der Leiche liegen. Dafür, daß die ler "genau erinnern" kann, Herrn Prof. Rauschke die asser-
Spur Nr. 1 das tödliche Geschoß sein dürfte, spricht die vierte Spur 6 am 18.10.1977 übergeben zu haben, während
positive Reaktion auf eine Blutvorprobe. " (Todesermitt- Rauschke behauptet, er habe dieses Asservat "nie bekom-
lungsverfahren IX, S. 34). men" (AV vom 19.1.1981). Gleichzeitig erklärte Rauschke,
daß er an der ursprünglichen Behauptung der Gerichtsme-
Die Gewebe- oder Blutspur an der Wand kann nach dieser diziner festhalte, die im Widerspruch zu der Rekonstruktion
Rekonstruktion nicht durch das angeblich tödliche Projektil der Kriminalpolizei steht: "Prof. Rauschke zu dem im
verursacht worden sein, wie es offenbar alle Gerichtsmedi- Zusammenhang mit Spur 6 behaupteten Widerspruch
ziner angenommen hatten. Da weder die Spur Nr. 6 noch Kripo/Med. Gutachter: Wenn ein Geschoß den Schädelkno-
die ihr entsprechende AufschlagsteIle von Ziegler zur chen durchschlage und aus dem Schädel austrete, habe es
Rekonstruktion verwendet wurden, gibt es keinen Beweis noch so viel Restenergie, daß es weiterfliege und nicht
für die behauptete Sitzposition Baaders bei Abgabe des ,abtropfe'." (eben da)
tödlichen Schusses. Eine Untersuchung der Spur 6, die ergeben hätte, daß
diese Gewebe- oder Blutspur aus dem Körper des Untersu-
c) KHK Ziegler hat die von ihm im Spurenauswertebericht chungsgefangenen Baader stammt und als Folge des tödli-
ignorierte Spur Nr. 6 aber auch nicht für unerheblich gehal- chen Schusses entstanden ist, hat demnach niemals statt-
ten. Das ergibt sich aus dem Aktenvermerk des Staatsan- gefunden.
walts Christ vom 19.1.1981, in dem es heißt: "Ich habe ...
bei Herrn KHK Ziegler vom Kriminaltechnischen Institut der Im Widerspruch zu dieser Sachlage stehen die Behauptun-
Landespolizeidirektion Stuttgart 11 angerufen. Er hat mir auf gen der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft
Befragen mitgeteilt, er habe das Gewebeteil der Spur Nr. 6 Stuttgart im Todesermittlungsverfahren vom 18.4. "Ein wei-
Herrn Prof. Dr. Rauschke am 18.10.1977 im Verlauf der teres Indiz für eine Selbstabfeuerung durch Baader ist der
Besichtigung der Zelle Baaders zur Untersuchung überge- von hinten nach vorn ansteigende Schußkanal, wenn man
ben. Es sei das erste Beweismittel gewesen, das er Herrn berücksichtigt, daß - wie die gerichtsmedizinischen und

442 443
r
kriminaltechnischen Untersuchungen ergeben haben - der DOKUMENT 36
tödliche Schuß Baader in sitzender Haltung getroffen hat." STELLUNGNAHME DES JUSTIZMINISTERS
AUF DEN ANTRAG DER GRÜNEN 1983
zu 2.:
Es besteht eine (hier fehlt vermutlich: Diskrepanz zwi-
schen der- d. Verf.) Aussage des Schreibens des Justizmi-
nisteriums vom 10.1.1978 (Nr. 18 des Verzeichnisses der Der Justizminister des Landes Baden-Württemberg
zur Beweiserhebung beigezogenen Akten ... , Untersu-
chungsbericht S. 138), wonach der Plattenspieler Baaders An den
am 5.9.1977 von Beamten des LKA "durchsucht und über- Herrn Präsidenten
prüft" wurde, und der Feststellung des Untersuchungsbe- des Landtags von
richts des Landtages (S. 97), nach welcher sich in diesem Baden-Württemberg
Plattenspieler am 6.9.1977 "mutmaßlich die am 18.10.1977 Haus des Landtags
in der Zelle Baaders aufgefundene Pistole befand". 7000 Stuttgart 1

zu 3.: Stuttgart, den 19. Oktober 1983


Von den 9 Vollzugsbeamten, die in der Nacht vom 17. auf
den 18.10.1977 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart- Betr. Antrag der Abg. Heimann u.a. GRÜNE
Stammheim Dienst taten, wurden nur die folgenden 6 von Todesermittlungsverfahren Stuttgart-Stammheim (Ensslin,
der Kriminalpolizei (und dem Untersuchungsausschuß des Baader, Raspe)
Landtages) über ihre Beobachtung als Zeugen vernom- - Drucksache 8/4315 -
men: Der Wachhabende, JHS Horst Geliert, die Beamten
des Innendienstes im Bau I, JS Siegfried Andersson und Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
JOS Viktor Zecha, die Beamten in der besonders gesicher-
ten Abteilung 111, Justizvollzugsbeamtin Renate Frede und das Justizministerium nimmt zu dem Antrag des Abg. Hei-
JA Hans-Rudolf Springer sowie der Sanitäter Wilhelm Kötz mann u.a. GRÜNE wie folgt Stellung:
(JHS).
1. Über Verlauf und Ergebnis des Ermittlungsverfahrens,
Es stellt sich die Frage, warum die beiden Außendienstbe- das den Tod der Gefangenen Baader, Ensslin und Raspe in
amten, die u. a. den Zugang zum gesonderten Treppen- der Vollzugsanstalt Stuttgart betraf, haben Staatsanwalt-
haus der Justizvollzugsanstalt kontrollierten, nicht vernom- schaft und Justizministerium die Öffentichkeit wiederholt
men und ihre Namen nirgends aktenkundig gemacht wur- und umfassend unterrichtet. Zudem hat der durch Beschluß
den. Dies im übrigen auch, da einer der unbekannten des 7. Landtags von Baden-Württemberg vom 20. Oktober
Außenposten in der Nacht vom 17. auf den 18.10.1977 dem 1977 eingesetzte Untersuchungsausschuß die mit dem Tod
Wachhabenden Horst Geliert zwischen 2.00 und 3.00 Uhr der Gefangenen zusammenhängenden Vorfälle in insge-
die Anwesenheit Unbefugter außerhalb des Anstaltsbe- samt 19 Sitzungen geprüft, wobei aufgrund von 53 Beweis-
reichs meldete (Akten des Todesermittlungsverfahrens 111, beschlüssen eine Vielzahl von Zeugen und Sachverständi-
S. 123). gen vernommen und in großem Umfang Akten, schriftliche

444 445
r
Auskünfte und Unterlagen beigezogen wurden. Aufgrund 2. Soweit der Antrag unter Punkt 1 an die Antwort anknüpft,
des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme ist der Untersu- die das Justizministerium auf die Kleine Anfrage des Abg.
chungsausschuß des Landtags einstimmig zu der Über- Heimann zum Verbleib des Beweismaterials der sog. Spur
zeugung gelangt, daß sich die Gefangenen selbst getötet 6 erteilt hat (vgl. Drucks. 8/4126; zu 2. bis 5.), bedarf es
haben. (vgl. Drucks. 7/3200, S. 47 f.). eines Auftrags an die Landesregierung zu ergänzender
Berichterstattung ebenfalls nicht. Vielmehr kann festgestellt
Bei dieser Sachlage sieht sich die Landesregierung veran-
werden, daß kein Widerspruch zwischen dem Vorhanden-
laßt, auf die vielfältigen und ausführlichen Stellungnahmen
sein der Spur Nr. 6 und dem in der Einstellungsverfügung
zu verweisen. Die im erneuten Antrag enthaltenen Fragen
der Staatsanwaltschaft zugrundegelegten Ablauf des Tat-
können zu keiner abweichenden Beurteilung führen. Kon-
geschehens besteht.
krete Anhaltspunkte, aufgrund deren das Ermittlungsergeb-
nis der Staatsanwaltschaft und des Untersuchungsaus-
Zu 1.1. des Antrags:
schusses in irgendeiner Richtung in Zweifel zu ziehen
wären, sind der Begründung des Antrags nämlich nicht zu Unzutreffend ist zunächst die Annahme der Antragsteller,
entnehmen. Die Landesregierung hält deshalb an ihrer Auf-
als Spur Nr. 6 seien eine "Delle und Gewebefetzen an der ..
fassung fest, daß angeblichen "Widersprüchen" sowie der
Wand" festgehalten worden. Zwar haben zwei der gerichts-
Forderung nach zusätzlichen Beweiserhebungen, wie sie
medizinischen Sachverständigen vor dem Untersuchungs-
bereits unter Punkt 10 und 11 der Kleinen Anfrage des Abg.
ausschuß des Landtags eine "kleine AufschlagsteIle im
Heimann betreffend Todesermittlungsverfahren in Stutt-
Wandputz" o. ä. erwähnt, die nach ihrer Meinung durch das
gart-Stamm heim (Drucks. 8/4126) geltend gemacht wor- tödliche Geschoß verursacht worden sein konnte. Jedoch
den sind und jetzt unter Punkt 2 - 6 des vorliegenden
war, wie der kriminalpolizeiliche Spurensicherungsbericht
Antrags wiederholt werden, nicht nachgegangen zu werden ausweist, im Zusammenhang mit der Erfassung der Spur
braucht.
Nr. 6 eine Beschädigung im Wandputz nicht festzustellen.
Nachdrücklich zurückzuweisen ist der Vorwurf, die Landes- Auch eine Lichtbildaufnahme zur Spur Nr. 6 läßt eine Ein-
regierung wolle sich "an einer ausführlichen Berichterstat- dellung in der Wandfläche, die als Abprallmarke eines
tung vorbeimogeln" . Nach den bisher gewonnenen Erfah- Geschosses gedeutet werden könnte, nicht erkennen.
rungen sind Auskünfte zu Einzelheiten des Ermittlungsver-
fahrens, wie sie Staatsanwaltschaft und Justizministerium Daraus folgt, daß die Spur Nr. 6 - und damit auch das in
mehrfach erteilt haben, von interessierter Seite benutzt Verlust geratene Beweismaterial zu dieser Spur - für die
worden, um mit neuen Einwänden Mißtrauen gegen das Rekonstruktion des Schußbahnverlaufes, der dem tödli-
Ermittlungsergebnis zu schüren. Eine "ausführliche Be- chen Geschoß zuzuordnen ist, nicht herangezogen werden
richterstattung" könnte zur Erfüllung eines sachlich berech- kann. Nach dem kriminaltechnisch gesicherten Spuren be-
tigten Informationsinteresses der Öffentichkeit nichts weiter fund ist vielmehr davon auszugehen, daß das tödliche
beitragen. Es bleibt deshalb festzustellen, daß die tatsächli- Geschoß nach Durchdringen des Schädels nicht mehr mit
chen Umstände, die in Punkt 2 - 6 des Antrags angespro- hinreichender Restenergie weitergeflogen ist, um an der
chen werden, sämtlich keinen Grund zu einer Wiederauf- Wand eine feststellbare Abprallmarke, Delle o. ä. zu hinter-
nahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft lassen. Unter den gegebenen Umständen kann jedenfalls
geben. auch nicht ausgeschlossen werden, daß das als Spur Nr. 6

446 447
r
gesicherte "Gewebeteil oder Blut" durch Wegspritzen bei DOKUMENT 37
der tödlichen Schußverletzung an der Wand angetragen BERATUNG DES STÄNDIGEN AUSSCHUSSES 1984
worden ist.
Die Spur Nr. 6 ist im Spurenauswertebericht der Kriminal-
polizei nicht erwähnt worden, weil ein kriminaltechnisch
auswertbares Beweismaterial insoweit gar nicht vorlag. Zu Drucksache 8/4642 Ziff. 3
Daß der tödliche Schuß Baader in sitzender Haltung getrof-
fen hat, konnte gleichwohl in der Einstellungsverfügung der Bericht
Staatsanwaltschaft unbedenklich zugrundegelegt werden. über die Beratungen des Ständigen Ausschusses
Dieser Umstand war bei einer Rekonstruktion des Tatge-
schehens maßgeblich aus dem vorhergehenden, in seinem Der Ständige Ausschuß behandelte den Antrag Drucksa-
räumlichen Verlauf durch die EinschußsteIle in der Wand che 8/4315 in seiner 32. Sitzung am 20. Januar 1984.
(Spur Nr. 5) gesicherten Schuß abgeleitet worden.
Der Erstunterzeichner des Antrags verwies darauf, er habe
Zu 1.2. des Antrags:
den Antrag initiiert, weil ihn die Landesregierung in der
Da es sich bei dem sichergestellten Beweismaterial zu Spur Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache 8/4126 "abge-
Nr. 6 ausschließlich um ein Gewebeteil oder Blut, also kör- kanzelt" und nähere Erläuterungen mit der Bemerkung ver-
pereigenes Material handelte, hatten durch die zunächst in weigert habe, er verfolge den Zweck, Mißtrauen und Zweifel
die Wege geleitete gerichtsmedizinische Untersuchung an der Objektivität der Ermittlungsbehörden zu wecken. Er
allenfalls Erkenntnisse gewonnen werden können, die eine wende sich gegen dieses Verhalten der Landesregierung
Zuordnung des Beweismaterials zu den Körpereigenschaf- und verweise auf Artikel 27 der Landesverfassung, wonach
ten einer bestimmten Person (Blutgruppe u. a.) erlaubt hät- der Landtag die Ausübung der vollziehenden Gewalt und
ten. Nach allen sonst vorhandenen Beweisen kann indes- deren Rechtsstaatlichkeit überwache. Die Opposition
sen kein Zweifel daran bestehen, daß in der Zelle 719 allein müsse seines Erachtens die Möglichkeit haben, durch Fra-
der Gefangene Baader eine Verletzung erlitten hat, die ihrer gen im Parlament die vollziehende Gewalt zu überwachen.
Art nach geeignet war, zu der festgestellten Antragung Im übrigen halte er es auch in Wahlkampfzeiten für die
organischen Materials an der Wand zu führen. Deshalb Aufgabe der Abgeordneten, heikle Themen anzusprechen.
durfte die Staatsanwaltschaft bei ihrer Einschätzung des
Beweiswertes der Spur Nr. 6 davon ausgehen, die noch Das Justizministerium unterstelle in der Stellungnahme zu
fehlende Auswertung werde das Ergebnis der Ermittlungen dem Antrag darüber hinaus, daß weitere Beweiserhebun-
im ganzen, nämlich die Tatsache der Selbsttötung Baaders, gen zu den gestellten Fragen nicht erforderlich seien, weil
keinesfalls in Frage stellen können. Nichts anderes ist in der keine neuen Ergebnisse ermittelt werden könnten. Er
Antwort der Landesregierung zu 2. - 5. der Kleinen Anfrage widerspreche dieser Aussage, denn nach seiner Überzeu-
des Abg. Heimann (Drucks. 8/4126) ausgeführt worden. gung könnten neue Beweiserhebungen durchaus neue
Ergebnisse bringen, da in verschiedenen Punkten eindeu-
Dr. Eyrich tige Widersprüche bestünden. So besteht nach seiner Auf-
fassung ein Widerspruch zwischen der offiziellen Version
des Todesschusses und der Tatsache, daß die hierfür

448 449
.....-

bedeutsame Spur Nr. 6 nicht mehr auffind bar sei. Einen Bei all diesen im Antrag gestellten Fragen gingen die
weiteren Widerspruch sehe er zwischen der Aussage des Antragsteller davon aus, daß andere Ergebnisse hätten
seinerzeitigen Justizministers, vor der Kontaktsperre seien erzielt werden können, wenn in dieser Richtung ermittelt
sämtliche Geräte in den Zellen untersucht worden, und der worden wäre. Deshalb teile er auch nicht die Auffassung der
Feststellung, daß im Plattenspieler von Andreas Baader Landesregierung, daß zusätzliche Beweiserhebungen
eine Waffe versteckt gewesen sei. nicht erforderlich seien, weil sie kein anderes Resultat
erbringen würden.
Die Antragsteller fragten weiter nach den diensthabenden
Beamten der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim wäh- Besonders setzte sich der Abgeordnete mit der Stellung-
rend der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977. Er
nahme der Landesregierung zu Ziffer 1 des Antrags ausein-
betrachte es als eminentes öffentliches Interesse, zu erfah- ander. Zunächst fragte er, ob die genannte Lichtbildauf-
ren, welche Beamten in dieser Zeit den Außendienst verse-
nahme zur Spur Nr. 6 den Anwälten der Angehörigen von
hen hätten, da der von den Aufsichtsbeamten kontrollierte Andreas Baader zur Verfügung gestellt worden sei.
zweite Aufgang in anderen öffentlich gehandelten Tatver-
sionen eine wichtige Rolle spiele. Die Landesregierung Er führte weiter aus, die Gerichtsmediziner Prof. Mallach
sollte den ihrer Ansicht nach bewiesenen Tathergang durch und Prof. Andre hätten davon gesprochen, daß die Gewe-
diese Auskunft bekräftigen. befetzen der Spur Nr. 6 einen eindeutigen Anhaltspunkt
dafür darstellten, daß der tödliche Schuß in einer sitzenden
Die Antragsteller fragten auch nach den bisher der Öffent-
Stellung abgegeben worden sei, weshalb eine Selbsttötung
lichkeit nicht zur Verfügung gestellten Röntgenaufnahmen
von Andreas Baader vorliegen müsse. Insofern komme der
an der Leiche Andreas Baaders, da diese unter Umständen
Spur Nr. 6 auch eine wesentliche Bedeutung für die Darstel-
auch die Tatversion der Landesregierung belegen könnten.
lung des Tathergangs zu. Die Erklärung des Justizministe-
Diese Aufnahmen seien jedoch nicht einmal den Anwälten
riums, daß "Gewebeteile oder Blut" unter Umständen durch
der Angehörigen zur Verfügung gestellt worden.
Wegspritzen bei der tödlichen Schußverletzung an der
Die nächste Frage des Antrags beziehe sich auf die Mitar- Wand angetragen worden seien, erscheine ihm als völlig
beiter der Firma Siemens, die während der Kontaktsperre- neue Aussage. Er sehe einen Widerspruch darin, daß nach
zeit Reparaturen an der Telemat-Alarmanlage durchgeführt der Tatversion der Landesregierung die Kugel nach Durch-
hätten. Es sei auffällig, daß diese Anlage trotz erfolgter dringen des Schädels von Andreas Baader abgetropft und
Reparaturarbeiten in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober zu Boden gefallen sein solle, während andererseits in drei
1977 nicht funktioniert habe. Im übrigen habe auch der Meter Entfernung davon Blutspritzer an der Wand gefunden
worden seien.
Untersuchungsausschuß zur Klärung der Vorgänge in der
Vollzugsanstalt diesen Sachverhalt nicht weiter untersucht.
Er halte auch die Stellungnahme zu Ziffer 1.2 des Antrags
Die Antragsteller forderten weiter Auskunft über einen Brief für ein Indiz dafür, daß bei der Untersuchung der Vorgänge
von Andreas Baader vom 7. Oktober 1977 an den Vorsit- zunächst ein Ergebnis vorausgesetzt und dann die Beweise
zenden Richter am Oberlandesgericht Stuttgart. Dieser gesucht worden seien. Für ihn wäre es entscheidend, die
Brief sei bis jetzt noch nicht den Angehörigen bzw. deren Spur Nr. 6 zu untersuchen, um entweder die bisherige
Anwälten übergeben worden. Tatversion zu verifizieren oder in Frage zu stellen.

450 451
~

Der Staatssekretär des Justizministeriums wies zunächst Die Landesregierung bestreite nicht, daß viele Beweiserhe-
den Vorwurf der Abgeordneten, bei der Antwort auf eine bungen gerade auch wegen der Erwartungen aus dem
Kleine Anfrage "abgekanzelt" worden zu sein, entschieden Ausland unter Zeitdruck erfolgt seien. Dabei seien bei den
zurück. Die Landesregierung habe nach bestem Wissen Ermittlungen auch Pannen unterlaufen. Dazu gehöre die
und Gewissen Auskunft erteilt, sofern das die Sach- und Tatsache, daß die Spur Nr. 6 nicht mehr aufzufinden sei. Die
Rechtslage zulasse. Staatsanwaltschaft habe dazu Ermittlungen angestellt, dies
jedoch nicht aufklären können. Aber selbst wenn diese Spur
Der Staatssekretär führte aus, der 7. Landtag von Baden- vorläge, könnte sie in keiner Weise das Ergebnis der
Württemberg sei nach sorgfältiger Untersuchung und Selbsttötung von Andreas Baader tangieren.
umfangreicher Prüfung durch einen Untersuchungsaus-
schuß einstimmig zu der Überzeugung gelangt, daß sich die Er gab zu, daß der Vollzugsdienstleiter vor dem Untersu-
Gefangenen Ensslin, Baader und Raspe in der Nacht vom chungsausschuß erklärt habe, daß alle Geräte in den Räu-
17. auf den 18. Oktober 1977 selbst getötet hätten. Der men der Gefangenen untersucht worden seien, während
gesamte Untersuchungsausschuß habe damals überhaupt der Untersuchungsausschuß zum Ergebnis gelangt sei,
keinen Ansatzpunkt für eine Drittwirkung festgestellt. daß die Pistole im Plattenspieler des Andreas Baader unter-
gebracht gewesen sei. Solche Gegensätze träten aber in
Die Landesregierung stehe auf dem Standpunkt, daß es den meisten Verfahren auf. Der Untersuchungsausschuß
nicht ihre Aufgabe sein könne, ein Ergebnis eines Untersu- des Landtags habe diesen Sachverhalt bei seiner Feststel-
chungsausschusses im nachhinein zu würdigen und zu lung gewürdigt. Hier stelle sich für ihn die Frage, ob die
werten; diese Aufgabe habe vielmehr schon der Landtag Antragsteller überhaupt ein ernsthaftes Interesse an der
wahrgenommen. Die Landesregierung werde sich auch in Aufklärung der Vorgänge hätten oder lediglich eine
Zukunft daran halten, weil ein anderes Vorgehen ihres bestimmte Verschwörertheorie am Leben halten wollten.
Erachtens verfassungsmäßig unzulässig sei.
Die von den Antragstellern genannten Röntgenaufnahmen
Das Tatgeschehen in der Nacht vom 17. auf den 18. Okto- an der Leiche Andreas Baaders befänden sich in den Akten
ber 1977 stelle für die Landesregierung auch kein "heikles und seien auch im staatlichen Ermittlungsverfahren berück-
Thema" dar. Die Vorgänge seien vielmehr sowohl vom sichtigt worden. Die Akten seien den Rechtsanwälten im
Landtag als auch von der Staatsanwaltschaft ausführlich Rahmen ihrer Verteidigungsmöglichkeiten vorgelegen.
und sorgfältig ermittelt worden. Allerdings wisse er nicht, ob sie die Röntgenaufnahmen
tatsächlich zur Kenntnis genommen hätten.
Die Landesregierung lehne beim jetzigen Kenntnisstand
weitere Beweiserhebungen ab. Die Staatsanwaltschaft Unbestritten hätten während der Kontaktsperre zwei Sie-
würde jedoch dann neue Beweiserhebungen vornehmen, mens-Beauftragte die Telemat-Alarmanlage überprüft.
wenn Beweise auftauchten, die das Ergebnis in irgendeiner Fest stehe aber auch - und niemand habe dies bei den
Weise berühren könnten. In keinem einzigen ihm bis jetzt Untersuchungen angezweifelt -, daß sich in der Nacht vom
bekannten Fall seien jedoch beweiserhebliche Tatsachen 17..auf den 18. Oktober 1977 in der Vollzugsanstalt Stutt-
geltend gemacht worden, die die Feststellung einer Selbst- gart-Stamm heim weder Fachleute der Firma Siemens noch
tötung in Frage stellten. des Bundeskriminalamtes noch des Bundesnachrichten-

452 453
r

dienstes aufgehalten hätten. Deshalb könne auch die Fest- des Untersuchungsausschusses mit relativ hoher
stellung, daß die Siemens-Beauftragten an der Telemat- Geschwindigkeit geleistet worden. Die Rechtsanwälte hät-
Anlage gearbeitet hätten, das eindeutige Ergebnis der ten aber nur Akteneinsicht für die Zeit des Todesermitt-
Selbsttötung in keiner Weise erschüttern. lungsverfahrens gehabt. Ihm sei bekannt, daß beispiels-
weise noch heute Rechtsanwälte vergeblich um die Rönt-
Auch der Brief von Andreas Baader vom 7. Oktober 1977 an genaufnahmen von Andreas Baader nachsuchten. Wenn
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Stuttgart die Röntgenaufnahmen tatsächlich eindeutig die offizielle
befinde sich in den Akten und habe den Verteidigern zur Tatversion unterstützten, sprächen seines Erachtens keine
Einsichtnahme vorgelegen. Deshalb könne er keine Bedeu- Gründe gegen eine Veröffentlichung. Gleiches gelte für den
tung von Ziffer 6 des Antrags erkennen. Brief von Andreas Baader an den Vorsitzenden Richter
beim Oberlandesgericht Stuttgart.
Abschließend erklärte der Staatssekretär, die Landesregie-
rung verkenne nicht, daß vielleicht bei der Beweisaufnahme Der Abgeordnete widersprach der seitens der CDU ange-
bezüglich der Spur Nr. 6 etwas Unsicherheit aufgekommen regten Erledigterklärung des Antrags, da die Landesregie-
sei. Aber all das, was bis jetzt vorgetragen worden sei, rung im wesentlichen die gestellten Fragen nicht beantwor-
könne nicht die Tatsache erschüttern, daß die drei Gefan- tet habe. Er beantragte, die Landesregierung aufzufordern,
genen in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 zu allen Antragspunkten detaillierter zu berichten. Er sei
Selbsttötung begangen hätten. bereit, ihr dafür eine Frist bis zum 30. April 1984 einzu-
räumen.
Ein CDU-Abgeordneter sah keine Veranlassung, die
Debatte, für die in der 7. Legislaturperiode der damalige Eine Sprecherin der Gruppe GRÜNE meinte, es sei nicht
Untersuchungsausschuß viel Zeit aufgewandt habe, erneut auszuschließen, daß der seinerzeit eingesetzte Untersu-
im Ständigen Ausschuß zu führen. Deshalb trete er dafür chungsausschuß angesichts der damals herrschenden
ein, den Antrag Drucksache 8/4315 für erledigt zu erklären. Zeitnot einige Fakten übersehen habe, denen er bei weni-
ger Zeitdruck nachgegangen wäre.
Der Initiator des Antrags Drucksache 8/4315 betonte, die
Antragsteller verfolgten nicht den Zweck, einen einstimmig Ein Vertreter der SPD berichtete, der in der 7. Legislaturpe-
vom Landtag gefaßten Beschluß anzugreifen, sondern die riode eingesetzte Untersuchungsausschuß habe sich in der
Geschehnisse in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim Tat bemüht, rasch zu einem Ergebnis zu kommen. Darunter
aufzuklären. Er weise auch die Unterstellung des Staatsse- habe jedoch keineswegs die Gründlichkeit der Untersu-
kretärs im Justizministerium zurück, lediglich eine chungen gelitten. Der Untersuchungsausschuß habe viel-
bestimmte Verschwörertheorie am Leben halten zu wollen. mehr alle Spuren und Hinweise aus jeder Richtung aufge-
Ihm gehe es darum, die Rechtstaatlichkeit von Ermittlungen nommen und zu verwerten versucht. Deshalb weise er den
zu überprüfen. Vorwurf mangelnder Gründlichkeit der Beratungen des
Untersuchungsausschusses zurück. Trotzdem schließe er
Zwar hätten die Anwälte die Möglichkeit gehabt, die Ermitt- nicht aus, daß der Untersuchungsausschuß sich in dem
lungsakten einzusehen, doch sei das gesamte Ermittlungs- einen oder anderen Punkt vielleicht auch geirrt haben
verfahren unter Zeitdruck gestanden und auch die Arbeit könne .

•• 454 .J.- 455 "


r
Trotz harter Konfrontationen um den Tod der Gefangenen Begehren des Erstunterzeichners des Antrags, die Landes-
in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim habe der regierung aufzufordern, zu dem Antrag detaillierter über alle
Untersuchungsausschuß zum Sachverhalt ein einstimmi- Punkte bis zu dem genannten Termin zu berichten.
ges Votum abgegeben. Unterschiede hätten lediglich in der
Beurteilung der politischen Verantwortlichkeit, nicht jedoch Eine Sprecherin der Gruppe GRÜNE stellte klar, die Antrag-
im objektiven Tatbestand und in der Bewertung des Tather- steller begehrten nicht die Einsetzung eines neuen Unter-
gangs bestanden. Nur eine einzige dem Untersuchungs- suchungsausschusses, sondern einen detaillierten Bericht
ausschuß unwesentlich erschienene Spur - Ergebnis der zu den im Antrag aufgeworfenen Fragen.
Untersuchung von Lungengewebeteilen - sei zurückge-
stellt worden, weil alle Untersuchungsausschußmitglieder Der Erstunterzeichner des Antrags Drucksache 8/4315 wie-
die Überzeugung geteilt hätten, daß sich die Betroffenen derholte seinen Antrag, die Landesregierung aufzufordern,
selbst getötet hätten. zu dem Antrag einen über die Drucksache 8/4315 hinaus-
gehenden detaillierten Bericht über alle in dem Antrag
Wenn es eine Möglichkeit gebe, die Vorgänge aus der genannten Punkte zu erstatten.
Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim neu aufzurollen,
müsse der Landtag den Beschluß fassen, sein eigenes Er war der Auffassung, wenn die Landesregierung bei-
damaliges Votum zu überprüfen. Dafür sehe er derzeit spielsweise den Dienstplan für die Zeit vom 17. und 18.
keine Veranlassung. Im übrigen hätten die Eltern der Oktober 1977 in der Vollzugsanstalt nennen würde, könn-
Betroffenen jederzeit die Möglichkeit, Anwälte mit dem Fall ten die Anwälte zunächst fundierte Ermittlungen anstellen,
zu beauftragen. Den Anwälten könnte die Aktenbeiziehung um dann die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens
nicht verweigert werden, auch die Staatsanwaltschaft zu prüfen.
müsse sich damit befassen. Dann bestehe noch die Mög-
lichkeit des Klageerzwingungsverfahrens. Alle heute ange- Mit 13:2 Stimmen bei einer Enthaltung lehnte der Ausschuß
sprochenen Punkte müßten in diesem Zusammenhang den Antrag auf eine weitergehende Berichterstattung ab.
noch einmal überprüft werden. Er könne den Antragstellern
nur empfehlen, daß sich seriöse und von Sachkenntnis Ein CDU-Abgeordneter erklärte, seine Fraktionskollegen
geprägte Anwälte der Angelegenheit annehmen und die und er hätten diesen Antrag abgelehnt, weil nach ihrer
Wiederaufnahme betreiben sollten. Dagegen könne der Auffassung die Landesregierung ausreichend berichtet
Landtag ein solches differenziertes "Wiederaufnahmever- habe.
fahren" nicht leisten.
Datum 25.2.84 Berichterstatter: (Haischer)
Ein anderer Abgeordneter der SPD bezweifelte nicht die
Gründlichkeit der vom Untersuchungsausschuß im 7. Land-
tag geleisteten Arbeit, meinte jedoch, eine Reihe von in dem
Antrag Drucksache 8/4315 spezifiziert enthaltenen Fragen
sollten von der Landesregierung gründlich beantwortet wer-
den. Er sehe die Stellungnahme des Justizministeriums zu
dem Antrag als ziemlich pauschal an. Er unterstütze das

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!""""""

DOKUMENT38 Weidenhammer einen Abzug des Lichtbildes zur Verfügung


ABGEORDNETENBRIEF WEICHERT 1985 zu stellen?

2.a.) Auf welchem Wege ist nach Ansicht der Landesregie-


rung die Tatwaffe in die Zelle 719 gelangt, wenn sie nicht in
Thilo Weichert dem in der Zelle befindlichen und von Beamten des LKA
Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg untersuchten Plattenspieler war? (vgl. Brief des Ministerial-
direktors Prof. Engler an den Ausschußvorsitzenden Dr.
Stuttgart, den 30.10.85 Schieier vom 10.01.78)
b.) Ist der o.a. Brief inzwischen zu den Akten des Todeser-
An das mittlungsverfahrens gelangt? Wenn nein, warum nicht?
Justizministerium des
Landes Baden-Württemberg 3.a.) Weshalb wurden die vom Schädel des Toten Baader
Postfach 537 angefertigten Röntgenaufnahmen nicht ausgewertet und
7000 Stuttgart 1 bei den Ermittlungen hinzugezogen?
b.) Ist das Justizministerium bereit, die Röntgenaufnahmen
Ermittlungsverfahren wegen des Todes von Andreas Baa- auswerten zu lassen und das Ergebnis in den Ermittlungs-
bericht aufzunehmen?
der in Stuttgart-Stammheim
c.) Ist das Justizministerium hilfsweise bereit, Rechtsanwalt
ABGEORDNETENBRIEF Weiden hammer diese Röntgenaufnahmen zur Verfügung
zu stellen?
Sehr geehrter Herr Dr. Volz,

von Rechtsanwalt Weidenhammer, der die Mutter von . 4.a.) Welche Mitarbeiter der Firma SIEMENS waren mit der
Andreas Baader, Frau Anneliese Baader, vertritt, wurde ich Reparatur der Telemat-Anlage in der Zeit der Kontaktsperre
kürzlich darauf hingewiesen, daß hinsichtlich des Todes Sept/Okt. 1977 betraut?
von Andreas Baader am 17./18.10.1977 noch einige b.) Wer von ihnen war zu welcher Zeit in Stock 7 der Voll-
Unklarheiten bestünden. zugsanstalt Stuttgart-Stammheim tätig?
c.) Warum funktionierte die Telemat-Anlage trotz der vorge-
Da dieses Thema von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert nommenen Reparaturen in der Nacht vom 17./18.10.77
wurde und auch heute noch von Interesse ist, habe ich an nachweislich nicht?
Sie - an Stelle einer kleinen Anfrage - folgende Fragen: d.) Wurden bei den Ermittlungen der Reparaturauftrag und
die Kostenrechnung der Firma SIEMENS hinzugezogen?
e.) Ist das Justizministerium bereit, den Reparaturauftrag
1.a.) Gibt es einen Bericht, der die Schußspuren aus der
Zelle 719 auswertet und dabei das Lichtbild Nr. 61 berück- und die Kostenrechnung der Firma SIEMENS zu den
sichtigt? Ermittlungsakten zu nehmen und auswerten zu lassen?
1.) Ist das Justizministerium hilfsweise bereit, Rechtsanwalt
b.) Ist das Justizministerium bereit, das Lichtbild Nr. 61, das
die Spur Nr. 6 zeigt, noch einmal begutachten zu lassen? Weidenhammer den Reparaturauftrag und die Kostenrech-
nung der Firma SIEMENS zur Verfügung zu stellen?
c.) Ist das Justizministerium hilfsweise bereit, Rechtsanwalt
459
458
.......-

5.a.) Sind der Landesregierung die drei der neun in der DOKUMENT39
Nacht vom 17./18.10,77 diensthabenden Beamten ANWORT DES JUSTIZMINISTERIUMS
bekannt, die weder von der Polizei noch vor dem Untersu- AUF DEN ABGEORDNETENBRIEF WEICHERT 1985
chungsausschuß vernommen wurden?
b.) Wie lauten deren Namen?
c.) Warum wurden insbesondere die beiden Außendienst-
beamten nicht vernommen? Justizministerium Baden-Württemberg
Der Staatssekretär
d.) Ist das Justizministerium bereit, nachträglich eine Ver-
nehmung zumindest der beiden Außendienstbeamten
durchführen zu lassen und das Protokoll zu den Ermitt- Herrn Abgeordneten
Thilo Weichert
lungsakten zu nehmen?
Haus des Landtags
Mit freundlichen Grüßen 7000 Stuttgart 1

(Thilo Weichert) Stuttgart, den 11. Dezember 1985

Betr. Ermittlungsverfahren wegen des Todes von Andreas


Baader in Stuttgart-Stammheim

Bezug: Ihr Schreiben vom 30. Oktober 1985

Sehr geehrter Herr Kollege,

über die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, das den


Tod der Gefangenen Baader, Ensslin und Raspe am 18.
Oktober 1977 in der Vollzugsanstalt Stuttgart betraf, ist die
Öffentichkeit seit langem umfassend unterrichtet. In wieder-
holten Stellungnahmen gegenüber dem Landtag hat sich
das Justizministerium bemüht, angebliche "Unklarheiten",
wie sie von Rechtsanwalt Weidenhammer immer noch gel-
tend gemacht werden, auszuräumen. Gleichwohl bin ich
gerne bereit, die jetzt von Ihnen vorgebrachten Fragen,
soweit dies anhand der dem Justizministerium vorliegen-
den Unterlagen möglich ist, zu beantworten.

Vorausschicken möchte ich allerdings, daß für die Ermitt-


lungen, die nach den Todesfällen in der Vollzugsanstalt
Stuttgart zu führen waren, nicht das Justizministerium, son-

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dern aufgrund der §§ 159, 160 StPO die Staatsanwaltschaft nien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren
zuständig war. Auch über die Frage, ob ergänzende Be- (RiStbV) getroffenen Regelung, wonach die Beweisstücke
weiserhebungen, Begutachtungen und Vernehmungen in von einer Übersendung der Akten an Rechtsanwälte aus-
Betracht kommen könnten, hat deshalb in erster Linie die genommen sind. Für das Justizministerium besteht danach
Staatsanwaltschaft und nicht das Justizministerium zu ent- weder ein Grund, die Sachbehandlung der Staatsanwalt-
scheiden. Herrn Rechtsanwalt Weidenhammer, der im vor- schaft zu beanstanden, noch die Möglichkeit, dem Anwalt
liegenden Verfahren auch bereits andere Hinterbliebene das Beweisstück entgegen den Richtlinien zu überlassen.
vertreten hat, ist hinlänglich bekannt, daß er sich mit Anträ- Weshalb es erforderlich sein sollte, das Lichtbild "noch
gen zu weiteren Ermittlungen, zur Ergänzung der Akten einmal begutachten zu lassen", kann ich Ihren Ausführun-
oder zur Gewährung von Akteneinsicht jederzeit an die gen im übrigen nicht entnehmen.
Staatsanwaltschaft Stuttgart wenden kann.
2. Der vom Landtag eingesetzte Untersuchungsausschuß
1. Die in der Zelle 719 der Vollzugsanstalt kriminaltechnisch ,,Vorfälle in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim" hat
festgehaltenen Schußspuren wurden im Spurensiche- sich aufgrund des Beweisantrages Nr. 24 (vgl. Drucks. 7/
rungsbericht der Landespolizeidirektion Stuttgart I1vom 16. 3200 S. 124) mit der Zellendurchsuchung befaßt, die am 5./
Januar 1978 erfaßt. Diesem Bericht waren als Anlagen 6. September 1977 unter Zuziehung von Beamten des Lan-
Lichtbildaufnahmen, so u.a. das von der Spur 6 gefertigte deskriminalamtes in der Vollzugsanstalt durchgeführt wor-
Lichtbild Nr. 61, angeschlossen. Eine Begutachtung einzel- den war. Bei den diesbezüglichen Zeugenvernehmungen
ner Spuren im Hinblick auf den Schußbahnverlauf enthielt konnte der Untersuchungsausschuß allerdings nicht zwei-
der Spurenauswertebericht der Kriminalpolizei vom 28. felsfrei klären, ob alle Plattenspieler der Gefangenen sei-
Februar 1978. Über die in den Berichten festgehaltenen nerzeit - ergebnislos - untersucht worden sind. Wie der
Beweisergebnisse und deren Bewertung durch die Staats- Bericht des Untersuchungsausschusses ausführt, hat sich
anwaltschaft hat das Justizministerium den Petitionsaus- die am 18. Oktober 1977 in der Zelle Baaders aufgefundene
schuß des Landtags im Rahmen der Stellungnahme zu der Pistole im Zeitpunkt der Zellendurchsuchung "mutmaßlich"
- von Rechtsanwalt Weidenhammer namens der Frau in dem Plattenspieler des Gefangenen befunden (Drucks.
Charlotte Raspe eingereichten - Petition 8/5726 mit Schrei- 7/3200 S. 97).
ben vom 21. Juli 1983 ausführlich unterrichtet. Entspre-
chend der Empfehlung des Petitionsausschusses' (Drucks. Die Landesregierung hat zu diesem Punkt keinerlei Erklä-
8/4729 Nr. 5) hat der Landtag in seiner Sitzung vom 8. Mai rungen abgegeben, die zu den Ergebnissen des Verfahrens
1984 die Petition mit der Stellungnahme der Regierung für vor dem Untersuchungsausschuß in Widerspruch stünden.
erledigt erklärt. In seinem Schreiben an den Ausschuß vom 10. Januar
1978 hatte der Ministerialdirektor im Justizministerium auf-
Auf Anfrage hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart Rechtsan- grund eines entsprechenden Berichts der Vollzugsanstalt
walt Weidenhammer mit Schreiben vom 21. September und zwar mitgeteilt, der Plattenspieler sei - zusammen mit
3. Dezember 1984 mitgeteilt, daß ihm die Besichtigung des anderen Geräten - aus der Zelle des Gefangenen geholt,
Lichtbildes Nr. 61 - wie aller anderen Beweismittel- in den von Beamten des Landeskriminalamts "durchsucht und
Räumen der Staatsanwaltschaft freigestellt sei. Dieser überprüft" und später an den Gefangenen wieder ausge-
Bescheid entsprach der in Nr. 189 Abs. 2 und 3 der Richtli- händigt worden. Ausdrücklich wird in dem genannten

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f
Schreiben aber auch bemerkt, es sei der Vollzugsanstalt Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
nicht bekannt geworden, "welche Untersuchungen im ein-
zelnen vorgenommen worden sind." 4. Mit dem Funktionieren der Fernsehüberwachungsanlage
('Jelemat") im Zellentrakt der Abteilung 111 der Vollzugsan-
Weshalb die Staatsanwaltschaft das bei den Akten des
stalt hat sich ebenfalls bereits der Untersuchungsausschuß
Landtags befindliche Schreiben vom 1O. Januar 1978, des- des Landtags befaßt. Aufgrund des Beweisantrages Nr. 39
sen Inhalt bekannt ist, zu den Ermittlungsakten beiziehen wurden in der 17. Sitzung des Ausschusses am 9. Februar
sollte, ist nicht erfindlich. Für die Entscheidung im Ermitt- 1978 auch die für den Einbau der Anlage und deren Über-
lungsverfahren war es unerheblich, ob sich die Pistole am 6. wachung zuständigen Mitarbeiter der Firma Siemens
September 1977 tatsächlich im Plattenspieler des Gefan- gehört (Drucks. 7/3200 S. 131). Aufgrund der Beweisauf-
genen befand; wann sie ggfs. dorthin gelangt sein könnte, nahme waren "sichere Feststellungen darüber, ob der am
läßt sich ohnedies nicht genau sagen. 9.11.1977 festgestellte Mangel schon in der Nacht vom 17.
zum 18.10.1977 vorlag, ... nicht möglich"; dies war aller-
3. Zu den Röntgenaufnahmen, die während der Besichti-
dings auch nicht auszuschließen (Drucks. 7/3200 S. 13).
gung der Leiche des Gefangenen Baader (§ 87 Abs. 1
StPO) mit einem Röntgengerät der Vollzugsanstalt gefertigt
Über das Ergebnis der Überprüfung der Anlage am 9.
wurden und die deshalb zunächst im Röntgenarchiv der November 1977 befinden sich Berichte des Landeskrimi-
Anstalt verblieben waren, habe ich Rechtsanwalt Weiden-
nalamts vom 13. Dezember 1977 und 30. Januar 1978 bei
hammer auf dessen Anfrage mit Schreiben vom 7. Januar
den Akten der Staatsanwaltschaft. Ob bei den Ermittlungen
1985 mitgeteilt:
der Reparaturauftrag der Vollzugsanstalt und die Kosten-
"Die vom Schädel Baaders gefertigten Röntgenaufnahmen rechnung der Firma Siemens vorlagen, ist dem Justizmini-
hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart, nachdem das Vorhan- sterium nicht bekannt. Unterlagen über die bis zum 18.
densein solcher Aufnahmen bekannt geworden war, zu den Oktober 1977 vorgenommenen Revisionen der Anlage
Akten des von ihr geführten Ermittlungsverfahrens genom- befanden sich jedoch bei der Beweisaufnahme des Unter-
men. Ein schriftlicher Auswertungsbericht zu diesen Auf- suchungsausschusses in der Hand des zuständigen Fir-
nahmen ist auch nach meiner Kenntnis nicht erstellt wor- menvertreters. Ob der Zeuge entsprechend seiner Zusage
den. Daß die Staatsanwaltschaft nach Beiziehung der Auf- in der Sitzung vom 9. Februar 1978 (Protokoll S. 17/111, 17/
nahmen - offensichtlich in Hinblick auf deren geringen 119) diese Unterlagen nach Vervollständigung dem Aus-
Beweiswert - keinen Grund zu weiterer Ermittlungstätigkeit schuß übersandt hat, ist dem Justizministerium ebenfalls
unbekannt.
gesehen hat, ist aus der Sicht des Justizministeriums
dienstaufsichtsrechtlich nicht zu beanstanden.
5. Von den neun Vollzugsbediensteten, die in der Nacht
Wie Ihnen bereits wiederholt, zuletzt mit Schreiben der vom 17. auf 18. Oktober 1977 in der Vollzugsanstalt Stutt-
Staatsanwaltschaft vom 3. Dezember 1984 mitgeteilt gart Dienst taten, wurden lediglich die beiden Beamten, die
wurde, können die Röntgenaufnahmen in den Räumen der innerhalb des Hofraums, aber außerhalb der Gebäude ein-
Staatsanwaltschaft besichtigt werden. Es bleibt Ihnen also gesetzt waren, im Ermittlungsverfahren nicht vernommen.
unbenommen, sich von deren Tauglichkeit als Beweismittel Auch der Untersuchungsausschuß des Landtags hat die
ein eigenes Bild zu machen." beiden Bediensteten nicht als Zeugen gehört. Unberück-

464 465

---------------~-----------------
.....-

sichtigt blieb im Verfahren vor dem Untersuchungsaus- DOKUMENT 40


schuß ferner ein dritter Beamter, der im Ermittlungsverfah- ANTWORT DER STAATSANWALTSCHAFT
ren allerdings vernommen worden war. AUF EINE ANFRAGE DES AUTORS 1985

Von einer förmlichen Vernehmung der beiden "Außen-


dienstbeamten" , die namentlich feststehen, hat die Staats- Staatsanwaltschaft Stuttgart
anwaltschaft Stuttgart abgesehen. Aufgrund einer informa-
torischen Befragung steht fest, daß beide Beamten in der Herrn
Nacht vom 17. auf 18. Oktober 1977 keine Wahrnehmun- Karl-Heinz Weidenhammer
gen gemacht haben, die für das Ermittlungsergebnis von Schulstr.
Bedeutung sein könnten. Für das Justizministerium besteht 6368 Bad Vilbel1
kein Grund, die Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft im
Wege der Dienstaufsicht zu beanstanden. Aktenzeichen 9 Js 3627/77
Stuttgart, den 18. Januar 1985
Insgesamt kann es für das Justizministerium bei der gege-
benen Sachlage nicht in Betracht kommen, die Staatsan- Betreff: 1. Ermittlungsverfahren wegen des Todes von
waltschaft im Wege der Dienstaufsicht zu ergänzenden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe
Ermittlungen, zur Vervollständigung ihrer Akten oder zu 2. Anzeigensache wegen des Verdachts eines versuchten
sonstigen Maßnahmen anzuhalten. Die von Rechtsanwalt Tötungsdelikts zum Nachteil von Irmgard Möller
Weidenhammer angesprochenen Punkte sind offensicht- Bezug: Ihr Schreiben vom 4. Januar 1985
lich nicht geeignet, das auf zahlreiche überzeugende
Beweise gestützte Ermittlungsergebnis, wonach sich die Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Weidenhammer,
Gefangenen selbst getötet haben, in irgendeiner Richtung
in Zweifel zu ziehen. Das Justizministerium hat diese Auf- die mit Schreiben des Leiters der Vollzugsanstalt Stuttgart
fassung zuletzt in der Stellungnahme zu dem Antrag der vom 4. August 1983 übersandten 6 Röntgenaufnahmen
Abg. Heimann u.a. Grüne betreffend Todesermittlungsver- von der Leiche Andreas Baaders sind die einzigen, die zu
fahren Stuttgart-Stammheim (Drucks. 8/4315 S. 6) näher den vorliegenden Ermittlungsakten gelangt sind. Das Insti-
dargelegt. Aufgrund der eingehenden Beratungen in der tut für Rechtsmedizin beim Gesundheitsamt der Landes-
Sitzung des Ständigen Ausschusses vom 20. Januar 1984 hauptstadt Stuttgart hat mir auf Anfrage mitgeteilt, dort
hat sich der Landtag dieser Auffassung angeschlossen, befänden sich keine weiteren Röntgenaufnahmen von der
indem er den Antrag auf weitere Berichterstattung durch die Leiche Andreas Baaders.
Regierung mit großer Mehrheit abgelehnt hat.
Der Leiter des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universi-
Mit freundlichen Grüßen tät Tübingen, Professor Dr. Mallach, hat zu den oben
Dr. Volz erwähnten Röntgenaufnahmen mitgeteilt, diese habe man
in der Vollzugsanstalt Stuttgart am Leichenfundort angefer-
tigt, weil man am Hinterkopf Baaders zwar eine Einschuß-
wunde, zunächst aber keine Ausschußwunde entdeckt
I
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i 466 I 467

I ;
~ ~ "
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I
i habe. Die Gerichtsmediziner hätten daher zuerst angenom-
men, daß Andreas Baader einen Steckschuß davongetra-
DOKUMENT41
BRIEF WEICHERT AN DAS JUSTIZMINISTERIUM 1986
gen habe. Da in der Vollzugsanstalt Stuttgart ein tragbares
Röntgengerät vorhanden gewesen sei, habe man sich ent-
schlossen, mit dessen Hilfe nach dem vermuteten Geschoß
zu suchen. Das Gerät habe ein jugoslawischer Arzt Thilo Weichert
gebracht. Auf den damit gefertigten Aufnahmen sei kein Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg
Geschoß zu erkennen gewesen. Später habe man dann die
Ausschußöffnung am Kopf Baaders entdeckt. Damit habe Stuttgart, den 1.4.1986
festgestanden, daß er keinen Steckschuß, sondern einen
Durchschuß davongetragen habe. Die lediglich zur Suche An den Staatssekretär im
des vermeintlich im Kopf Baaders steckenden Geschosses Justizministerium Baden-Württ.
gefertigten Röntgenaufnahmen seien daher für die weitere Herrn Dr. Eugen Volz
Begutachtung ohne jegliche Bedeutung gewesen. Schillerplatz 4
7000 Stuttgart
Hochachtungsvoll
Betreff: Todesermittlung Baader u.a.
(Christ)
Staatsanwalt Sehr geehrter Herr Volz,
das Verfahren gegen und der Tod von Andreas Baader,
Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe hat durch den Film und
das Buch "Stammheim" neue Aktualität gewonnen.
Immer noch, nach mehr als 8 Jahren, ist meines Erach-
tens keine Klarheit über die tatsächlichen Ereignisse herge-
stellt. Immer noch bestehen Ungereimtheiten und Wider-
sprüche.

Unklar ist weiterhin der Aussagewert der bei den Außen-


dienstbeamten. Am 19.10.1983 wurde die Anfrage des
Abg. Heimann von Justizminister Dr. Eyrich als "angebli-
cher Widerspruch abgetan". Am 20.1.1984 meinten Sie im
ständigen Ausschuß, dies sei nicht beweiserheblich. In
Ihrer letzten Antwort meinten Sie nun, daß von einer förmli-
chen Vernehmung der beiden Außendienstbeamten abge-
sehen wurde. Nach Auskunft bei der Staatsanwaltschaft
soll die "telefonisch informatorische" Befragung erst am
25.7.1983 stattgefunden haben, also fast 6 Jahre nach den
fraglichen Ereignissen.

468 469
r
In diesem Zusammenhang habe ich folgende Fragen: DOKUMENT42
ANTWORT DES JUSTIZMINISTERIUMS
1.) Weshalb wurde von der förmlichen Vernehmung der AUF DEN BRIEF WEICHERTS 1986
Außenbediensteten, die namentlich feststehen, abgese-
hen? Wie ist dies mit dem prozessualen Zeugenverneh-
mungsgebot vereinbar?
Justizministerium Baden-Württemberg
2.) Ist die Staatsanwaltschaft bereit, eine förmliche Verneh- Der Staatsekretär
mung jetzt noch durchzuführen?
Herrn Abgeordneten
3.) Wie ist die Angabe, keine Wahrnehmungen gemacht zu Thilo Weichert
haben, vereinbar mit der Angabe des Beamten Horst Gel- Haus des Landtags
Iert, wonach der Außenposten ihn informiert hätte über sich 7000 Stuttgart 1
im Außenbereich befindliche junge Leute?
Stuttgart, den 22. April 1986
Nach den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft hat in der
Nacht vom 17. auf 18.10.1977 der Beamte Bernd Hälsig Betr. Ermittlungsverfahren wegen des Todes von Andreas
Dienst gehabt, was dieser jedoch bei der Vernehmung vom Baader u.a. in Stuttgart-Stammheim
24.10.1977 bestritt (Vernehmungsschrift S. 1 und 4). Bezug: Ihr Schreiben vom 1. April 1986

4.) Befand sich Herr Hälsig als 3. Beamter in der Dritten Sehr geehrter Herr Weichert,
Abteilung, und wie erklärt sich dessen entgegengesetzte Ihre erneuten Fragen zu dem obengenannten Ermittlungs-
Aussage? verfahren beantworte ich wie folgt:

Ich hoffe, Sie verstehen, daß ich auf diese Ungereimtheiten 1. Nachdem - im Zusammenhang mit der Vorbereitung der
eine Erklärung erbitten möchte. Stellungnahme des Justizministers zu dem Antrag des Abg.
Heimann u.a. GRÜNE vom 19. Oktober 1983 - festgestellt
Mit freundlichen Grüßen wurde, daß eine förmliche Vernehmung der Beamten Franz
Neugebauer und Rudi Stapf im Ermittlungsverfahren nicht
Thilo Weichert stattgefunden hatte, hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart
(Fraktion Grüne) geprüft, ob eine solche Vernehmung noch geboten sein
könnte. Aufgrund der informatorischen Anhörung der bei-
den Beamten, über die Sie unterrichtet sind, ergab sich
jedoch, daß beide "Außenposten" in der fraglichen Nacht
keine Wahrnehmungen gemacht hatten, die für das Ermitt-
lungsergebnis von Bedeutung sein konnten. Von einer
förmlichen Vernehmung der Beamten wurde deshalb - wei-
terhin - abgesehen.

470 471
!
Wie Ihnen bereits in meinem Schreiben vom 11. Dezember reichs befanden - aufgrund seiner Meldung von der Polizei
1985 mitgeteilt wurde, besteht für das Justizministerium überprüft worden waren, wobei sich ergeben hatte, daß
kein Grund, die Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft im "alles in Ordnung" war. Damit steht fest, daß aus den Wahr-
Wege der Dienstaufsicht zu beanstanden. Die gesetzliche nehmungen der Beamten Neugebauer und Rudi Stapf kei-
Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, alle für die Frage nerlei Verdachtsmomente abgeleitet werden können,
eines strafrechtlichen Tatverdachts maßgeblichen zumal für die sog. "Außenposten" , die im Hofraum der
Umstände zu ermitteln und für die notwendige Beweissi- Anstalt Dienst taten, der Bereich außerhalb der Anstalt, in
cherung zu sorgen (§ 160 Abs. 2 StPO), findet ihre Grenze dem sich die von der Polizei überprüften Personen aufhiel-
an der Zielsetzung des Vorverfahrens. Die Beweiserhe- ten, weder zugänglich noch einsehbar war.
bung der Staatsanwaltschaft ist deshalb nicht weiter auszu-
dehnen, als erforderlich ist, um beurteilen zu können, ob 4. Wie Rechtsanwalt Weidenhammer im Schreiben der
öffentliche Klage geboten oder das Verfahren einzustellen Staatsanwaltschaft vom 30. Januar 1986 mitgeteilt worden
ist (vgl. Kleinknecht-Meyer, StPO, 37. Aufl. 1985, Rn. 11; ist, hat der Beamte Bernd Hälsig in der Nacht vom 17. auf
Karlsruher Kommentar zur StPO 1982, Rn. 19, 20; jeweils 18. Oktober 1977 Dienst im Zellenbau 1I der Vollzugsanstalt
zu § 160 StPO). Ein "prozessuales Zeugenvernehmungs- verrichtet. Soweit dies dem Justizminister bekannt ist,
gebot" , wie es für den Bereich der gerichtlichen Hauptver- beruht diese Feststellung der Staatsanwaltschaft auf den in
handlung aus den Vorschriften der § 244 Abs. 2, § 261 StPO der Vollzugsanstalt geführten Aufzeichnungen. Ob und
herzuleiten sein mag, besteht für das Vorverfahren nicht. gegebenenfalls weshalb der Zeuge Hälsig anläßlich seiner
Vernehmung anderes ausgesagt hat, ist dem Justizministe-
2. Nachdem aufgrund der informatorischen Erkundigung rium nicht bekannt. Sollte in diesem Punkt keine eindeutige
der Staatsanwaltschaft feststeht, daß die Beamten keine Klärung erreicht worden sein, so wäre dies für das Ergebnis
verdächtigen Wahrnehmungen gemacht haben, gibt es für des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens offen-
ihre Vernehmung als Zeugen nach wie vor keinen Grund. sichtlich ohne Bedeutung.

3. Weder die Staatsanwaltschaft Stuttgart noch das Justiz- Mit freundlichen Grüßen
ministerium haben erklärt, die Beamten Franz Neugebauer
und Rudi Stapf hätten keine Wahrnehmungen gemacht. Dr. Volz
Ohne Bedeutung für den von der Staatsanwaltschaft aufzu-
klärenden Verdacht eines Fremdverschuldens am Tode der
Untersuchungsgefangenen (§ 159 StPO) waren indessen
die Wahrnehmungen, über die der diensthabende Beamte
der Torwache, Justizhauptsekretär Horst Geliert, nach sei-
nen Angaben durch den Außenposten zwischen zwei und
drei Uhr nachts unterrichtet worden war. Wie Ihnen bekannt
sein dürfte, hat der Zeuge Geliert bei seiner Vernehmung
selbst darauf hingewiesen, daß die Verursacher des von
dem Außenposten wahrgenommenen lauten Sprechens -
nämlich junge Leute, die sich außerhalb des Anstaltsbe-

472 .-1 413


r
DOKUMENT43 stige Weise von den bevorstehenden Selbsttötungen der
ANTWORT DER STAATSANWALTSCHAFT Gefangenen Kenntnis bekommen und pflichtwidrig nicht
AUF EINE ANFRAGE DES AUTORS 1988 eingegriffen. Diesen Verdacht legt übrigens auch der
Gesamttext der Spiegelveröffentlichung nicht nahe.
Staatsanwaltschaft Stuttgart
Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich die Diskussion
Herrn Rechtsanwalt des Artikels nun für sachlich erschöpft halte.
Karl-Heinz Weidenhammer
6368 Bad Vilbel Hochachtungsvoll

Aktenzeichen 9 Js 3627/77 (Schrimm)


Stuttgart, den 13. Januar 1988 Staatsanwalt

Betreff: Ermittlungsverfahren wegen des Todes von


Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe
Bezug: bisheriger Schriftverkehr
zuletzt: Ihre Schreiben vom 12. November 1987

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Weidenhammer,

auf Ihr Schreiben vom 19. Januar 1988 darf ich darauf
hinweisen, daß die Einstellungsverfügung vom 7. Novem-
ber 1977 auf Seite 2 nicht nur ausführt, es haben zwei
Abhörmaßnahmen stattgefunden, nämlich in der Zeit vom
25. April 1975 bis 9. Mai 1975 und in der Zeit vom 6.
Dezember 1976 bis 31. Januar 1977, sondern auch festge-
stellt, weitere Abhörmaßnahmen als die beiden genannten
seien nicht durchgeführt worden. Ich kann deshalb Ihre
Auffassung nicht teilen, daß diese Verfügung den Zeitraum
vom 6. September 1977 bis 18. Oktober 1977 nicht betreffe.

Daß der Spiegel (Nr. 37/1987 S. 43) in seiner Formulierung


"zusätzlich bauten die BND-Experten ... Wanzen ein"
möglicherweise einen zeitlichen Zusammenhang mit der
Kontaktsperre herstellt, gibt keinen Anlaß, die Ermittlungen
wieder aufzunehmen. Es besteht kein Grund für den
Anfangsverdacht, Vollzugsbedienstete oder andere Perso-
nen hätten durch Abhören von Gesprächen oder auf son-

474 475
r
I

DOKUMENT44 ,,(33.) Trifft die Darstellung des Nachrichtenmagazins "Der


ANTWORT DES JUSTIZMINISTERIUMS Spiegel" (Heft 37/87) zu, daß der Bundesnachrichtendienst
AUF EINE ANFRAGE DER GRÜNEN 1988 während der Kontaktsperre im Stammheimer Hochsicher-
heitstrakt Abhörgeräte eingebaut hatte, um alle Gespräche
zu überwachen?"

Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenhei- Eine Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundes-
ten Baden-Württemberg regierung ist in Vorbereitung. Wie ich meine, sollte die Stel-
Der Staatssekretär lungnahme der Bundesregierung abgewartet werden,
I
I bevor Folgerungen bezüglich des Verhaltens von Stellen
I
I
\ Stuttgart, den 22. März 1988 des Landes erörtert werden.
I

Herrn Abgeordneten Mit freundlichen Grüßen


I Klaus-Dieter Käser
,\ Dr. Volz
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
jj
n
h
dem Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegen-
~. heiten ist bisher nicht bekannt geworden, daß die Informa-
tionen des "Spiegel" zutreffen, wonach der Bundesnach-
richtendienst während der Kontaktsperre, die aus Anlaß der
Entführung von Hanns-Martin Schleyer im September 1977
angeordnet worden war, in der Vollzugsanstalt Stuttgart-
Stammheim Abhörmaßnahmen durchgeführt haben soll.
Bei dieser Sachlage besteht derzeit nach meiner Auffas-
sung weder für das Ministerium noch für die Staatsanwalt-
schaft Stuttgart ein Anlaß, die angeblichen Erkenntnisse
des "Spiegel" aufzugreifen.

Wie Ihnen sicher bekannt ist, enthält die von den Abgeord-
neten Frau Dr. Vollmer, Frau Nickels und der Fraktion DIE
GRÜNEN am 11. Dezember 1987 im Deutschen Bundes-
tag eingebrachte Große Anfrage betr. Zehn Jahre danach -
offene Fragen und politische Lehren aus dem "Deutschen
Herbst" (11) - BT-Drucks. 11/1534 - u.a. die folgende Frage
an die Bundesregierung:

476 477
~

ANMERKUNGEN

TEIL I

1 Der Spiegel (im folgenden: Spiegel) 36/1987, S. 106ff.


2 Stern 45/77, S. 209
3 Todesermittlungsverfahren (im ff.: TEV) VII, S. 1
4 TEV VI, S. 35, TEV III, S. 197

5 TEV VII, S. 105

6 Engler-Brief v. 10.1.1978
7 Schreiben vom 10.1.1978 an den Vorsitzenden des
Untersuchungsausschusses des Landtages von
Baden-Württemberg "Vorfälle in der Vollzugsanstalt
Stuttgart-Stammheim", gerichtet an: Herrn Minister
a.D. Dr. Rudolf Schieler, Haus des Landtages in Stutt-
gart.
8 TEV VII, S. 105
9 Irmgard Möller, Vernehmungsprotokoll, zitiert nach:
Todesschüsse, Isolationshaft, Eingriffe ins Verteidi-
gerrecht. Amsterdam 1985 (2.Aufl.), S. 287ff.
10 Bericht und Antrag des baden-württembergischen
Untersuchungsausschusses, Drucksache 7/3200 vom
9.3.1978, S. 93 (im folgenden: bw UA)
11 TEV VII, S. 105

12 TEV VI, S. 66
13 TEV VI, S. 13, 35
14 ebenda

15 Antrag des Generalbundesanwalts vom 15.9.1977 an


das Bundesverfassungsgericht (im folgenden: GBA-
Antrag) - Handakte des Autors (im folgenden: Hand-
akte)
16 Vorläufiger Bericht des Landesregierung über die
Ereignisse vom 18.10.1977 in der VZA Stuttgart-
Stammheim, Dezember 1977, (im folgenden: Vorläu-
figer Bericht) S. 9 - Handakte
17 bw UA, S. 88

______________
1
i

419
r 18 Aktenvermerk vom 24.10.1977; s.a. Dokument 31 im
vorliegenden Buch
r 47
48
Dokumentation des Presseamts, Anlage 4
Liberation, zitiert nach Spiegel 36/1987, S. 108
19 ebenda 49 bw UA, S. 93; Große Anfrage der Grünen im Bundes-

20 Vorläufiger Bericht, S. 8a tag 11/1533, S. 7ft.


50 ebenda, S. 8
21 TEV VI, S. 36
51 Dokumentation über den 17./18.10.1977. Ermitt-
22 GBA-Antrag vom 15.9.1977
23 Stefan Aust, Der Baader Meinhof Komplex. Hamburg lungsinitiative Frankfurt 1978, S. 61
52 TEV VII, S. 106
1985, S. 464ft.
53 TEV III, S. 212,416
24 Sybille Krause-Bürger, Helmut Schmidt. Zitiert nach:
54 TEV VII, S. 107ft.
Pardon, 11/1980, S. 89
55 TEV III, S. 416
25 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte Arndt Müller
und Armin Newerla. Dokumentation. Stuttgart 1980, 56 TEV IV, S. 97

S. 173 57 bw UA, S. 93

26 ebenda 58 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, S. 174


59 Die Welt, 13.9.1977, S. 3
27 Spiegel 36/1988, S. 107
28 Dokumentation des Presse- und Informationsamts der 60 TEV III, S. 253
61 TEV VII, S. 107
Bundesregierung. Bonn 1977, Materialien Nr. 3 (im
62 bw UA, S. 36
folgenden: Dokumentation des Presseamts)
63 TEV IV, S. 96ft.
29 Stern 47/87, S. 78, Stern 48/87, S. 98, Stern 50/87, S.
64 ebenda; S. 106ft.
71, Stern 51/87, S. 69
65 ebenda
30 Stern 50/87, S. 69
31 Tonbandniederschrift - Handakte 66 ebenda; S. 108ft.
67 TEV VII, S. 3
32 ebenda.
68 TEV III, S. 243ft.
33 Spiegel 36/87
69 ebenda
34 GBA-Antrag

35 TEV III, S. 21 70 Protokoll des baden-württembergischen Untersu-


36 TEV VII, S. 79f. chungsausschusses (P) VII, S. 252
37 ebenda 71 TEV VII, S. 107

38 TEV III, S. 96; TEV VII, S. 116ft. 72 Irmgard Möller, S. 287

39 Foth-Beschluß v. 6.9.1977 - Handakte 73 Beschwerde von Andreas Baader, 7.10.1977 - Hand-


40 Antrag von RA A. Müller an BVerfG v. 11.9.1977-
akte; siehe im vorliegenden Buch (im folgenden Wei-
Handakte denhammer) S. 57f.
74 TEV III, S. 131
41 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, S. 174
75 TEV VII, S. 107
42 bw UA, S. 39
43 Die Welt v. 8.9.1977, S. 6 76 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, S. 175
77 TEV VII, S. 107
44 Spiegel 38/77, S. 20
78 zitiert nach: Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, S.
45 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, S. 174
46 ebenda, S. 175 176ft.

480 1 481
!!""""""

79Aust, S. 499 110bw VA, S. 36


80TEV VII, S. 107 111Die Welt v. 1.10.1977
81ebenda 112TEV VII, S. 110ft.
82ebenda 113Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum
83zitiert nach: Todesschüsse, S. 125 Gerichtsverfassungsgesetz vom 30. September 1977;
84 zitiert nach: Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, in: Bundesgesetzblatt I, Nr. 66 vom 1.10.1977, S.
S.177 1877; siehe auch Dokument 1
114bw VA, S. 93
85Spiegel 36/87, S. 111
86Stern 40/77, S. 24 115TEV VII, S. 11Off.
87Kölner Stadt Anzeiger vom 31.10.1977 116bw VA, S. 36
88Bild vom 23.9.1977 117TEV VII, S. 110ff.
89TEV VII, S. 106ff. 118bw VA, S. 93
90ebenda 119bw VA, S. 93
91ebenda 120TEV III, S. 116
92ebenda 121TEV VII, S. 2t.
93ebenda 122TEV III, S. 116
94ebenda 123TEV VII, S. 2f.
95ebenda 124TEV III, S. 43
96Irmgard Möller, S. 290 125TEV VII, S. 111
97 Pressemitteilung der Humanistischen Vnion, Mün- 126Irmgard Möller, S. 111
chen vom 26.9.1977 - Handakte 127Schriftliche Ausfertigung des Strafurteils gegen die
98FR vom 29.9.1977 Angeklagten vom 28.4.1977 (2 StE (OLG Stgt 1/74)-
99TEV VII, S. 109ff. Handakte
100TEV IV, S. 116ft. 128TEV IV, S. 89ff.
101TEV VII, S. 106ff. 129ebenda
102Handakte 130TEV III, S. 43
103Irmgard Möller, S. 290 131Schreiben des Bundespräsidenten v. 5.10.1977 an RA
ili
104TEV III, S. 42ff. Hartrnut Scharmer / Hamburg - Handakte
132zit. nach RA Lutz EiseI, Schreiben v. 6.10.1977 -
105Anklageschrift gegen RA Müller und Newerla vom
4.8.1978 - Handakte Handakte
106ebenda 133ebenda
107Pieter Bakker Schut, Stammheim. Der Prozeß gegen 134TEV IV, S. 91ft.
die Rote Armee Fraktion. Kiel 1986, S. 522; Klaus 135TEV IV, S. 200ff., Aktenvermerk v. Schreitmüller v.
Croissant, Proces en republique federale allemande. 6.10.1977
Paris 1979. 136TEV IV, S. 107
108TEV VII, S. 11Off. 137ebenda
109 ebenda; die angesprochene Meldung findet sich 138Stellungsnahme der BRD-Regierung v. 17.1.1978, S.
nicht bei den Akten. 29 - Handakte

483
482
,....-

139 FR v. 6.10.1977 175 ebenda


140 TEV VII, S. 163 176 TEV III, S. 68
141 ebenda 177 TEV III, S. 397

142 Irmgard Möller, S. 293 178 TEV VII, S. 11

143 Am 20.2.1985 übersendet der GBA eine Ablichtung 179 TEV III, S. 157

der Beschwerde (Az. 2 StE 1/74) - Handakte 180 TEV VII, S. 5

144 Süddeutsche Zeitung (SZ) v. 7.10.1977 181 TEV III, S. 119

145 TEV III, S. 12ft. 181a Für alle, die die Beziehung zwischen Andreas Baa-
146 TEV rv, S. 128 der und Günter Sonnenberg kennen, ist dies eine
147 ebenda Behauptung, die Andreas Baader verleumden soll.-
147a TEV III, S. 42ft. Der Autor
148 eben da 182 TEV IV, S. 176

149 TEV IV, S. 160ft. 183 Vorläufiger Bericht, S. 15


150 SZ v. 12.10.1977 184 TEV VII, S. 25ft.

151 TEV III, S. 26ft. 184a La Repubblica v. 21.10.1977


152 TEV III, S. 42ft. 185 TEV III, S. 91

153 TEV VII, S. 112 186 TEV III, S. 28ft.

154 bw UA, S. 36 187 ebenda

155 TEV III, S. 98 188 TEV III, S. 32

156 TEV III, S. 278, 400 189 ebenda

157 TEV III, S. 46 190 TEV IV, S. 67

158 TEV III, S. 49 191 La Repubblica v. 24.10.1977


159 TEV III, S. 64 192 zitiert nach: Todesschüsse, S. 125
160 FR v. 18.10.1977 193 Die Welt v. 17.10.1977

161 Die Welt v. 14.10.1977 194 TEV VII, S. 113

162 TEV VII, S. 113 195 TEV III, S. 256

163 TEV IV, S. 167ft. 196 TEV III, S. 365


164 eben da 197 TEV III, S. 121

165 TEV IV, S. 176 198 ebenda

166 ebenda, S. 170, 174 199 Der Tod Ulrike Meinhofs. Bericht der Internationalen

167 ebenda, S. 171ff. Untersuchungskommission. Tübingen 1979, S. 47


168 Aust, S. 546 200 TEV III, S. 111

169 ebenda, S. 551 201 ebenda

170 TEV VII, S. 113 202 TEV III, S. 365ft.

171 TEV V, S. 247 203 TEV III, S. 257ft.

172 Dokumentation des Presseamts, S. 37ft. 204 TEV III, S. 365ff.

173 TEV VII, S. 113 205 TEV III, S. 257ft.

174 TEV III, S. 160ft. 206 TEV III, S. 111ft.

484 485
~

207ebenda TEIL 11
208TEV V, S. 27
209TEV VII, S. 2 1TEV I, S. 33ft.
210eben da 2 Spiegel, 11/1980, S. 97
211TEV IV, S. 194 3 TEV XV, S. Hf.
212TEV IV, S. 246 4Tolmein, zum Winkel, nix geraftt. Hamburg 1987, S. 58
213Dokumentation über den 17./18.10.1977, S. 31 5 Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stutt-
214ebenda, S. 36 gart v. 18.4.1978 - Handakte; s.a. Weidenhammer S.
214aebenda, S. 31 139ft.
215ebenda, S. 35; Bakker Schut, S. 493 6 TEV I, S. 11ft.
216La Repubblica v. 20.10.1977 7 TEV XII, S. 8ff.
217ebenda 8 TEV XII, S. 8ft.
218Bakker Schut, S. 493 9 eben da
219Werner Glinga, Die Nacht von Sigonella, eine Fall- 10TEV I, S. 11ft.
studie über die Entführung der Achille Lauro und 11ebenda; auf Nachfrage der Presse teilte Prof. Holcza-
den Umgang mit den NATO-Partnern, Blätter für bek mit, daß er, wie die anderen Leichenbeschauer
deutsche und internationale Politik 1/86, S. 62ft. auch, an den Schuhen des toten Baader Fremdkörper
220Welchen Sinn könnte dieses Gespräch sonst haben? festgestellt habe, die wie Sand aussahen. Er habe
221Stern 49/77, S. 145 leider darüber nicht mehr erfahren, ob eine mineralo-
222Irmgard Möller, S. 292 gische Analyse der Fremdkörper durchgeführt wor-
223ebenda den sei. (Extra-Dienst v. 4.11.1977)
224Irmgard Möller, zit. nach Bakker Schut, S. 498 12TEV I, S. l1ff.; die Häftlinge aus der RAF hatten die
225TEV III, S. 37ff. Befürchtung, daß sich hinter diesen seltsamen Spie-
226ebenda geln eine optische Überwachung verbarg. Aus die-
227TEV III, S. 476 sem Grund stellten sie in ihren Zellen vor den jeweili-
228ebenda, S. 119ft. gen Spiegel eine Schamwand aut.
229ebenda 13TEV X, S. 33
230ebenda, S. 285ft. 14TEV III, S. 91
231bw UA, S. 15 15TEV III, S. 28 ft., 91
232ebenda, S. 16 16TEV III, S. 28ft.
233ebenda, S. 16ff. 17TEV VI, S. 2
234ebenda 18ebenda
235TEV Xv, S. 1 19ebenda
236eben da 20bw UA, S. 21; Dokumentation über den 17./
237Todesschüsse, S. 110 18.10.1977, S. 61
238Stern 45/1980 21 bw UA, S. 15ft.
239FAZ v. 18.10.1977 22lUK-Erklärung v. 19.10.1977 - Handakte
23Amnesty International-Erklärung - Handakte

486 487
,.......-

24 TEV I, S. 19ft. resurlaub (TEV III, S. 24; bw VA, S. 106: Justizmini-


25 ebenda ster Bender hält Schreitmüller für den Sicherheitsbe-
25a Entscheidung der Europäischen Kommission (EGH) auftragten, dagegen bw VA: tatsächlich sei er dies
über die Zulässigkeit der Beschwerden Nr. 7572/76, nie gewesen.)
7578/76 und 7587/76 v. 8.7.1978, S. 21 43 Spiegel 36/1987, S. 107
26 bw VA, S. 21 44 KSZE, Schlußakte, Nr. 1, Zift. VI, zitiert nach: Blätter
27 Presse erklärung von RA Bahr-Jendges v. 25.10.1977- für deutsche und internationale Politik 8/1975, S. 902
Handakte 45 Protokoll des VS-Senats vom 27.1.1978, S. 35 - Hand-
28 Todesschüsse, S. 127 akte
29 Stellungnahme der BRD-Regierung vom 17.1.1978- 46 Bernt Engelmann, Wie wir wurden, was wir sind.
Handakte München 1980, S. 73ft.
30 s. a. Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung 47 Dokumentation über den 17./18.10.1977, S. 6
(BVerfGE) in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 48 Protokoll des VS-Senats vom 27.1.1978 - Handakte
39/1987, S. 2427ft. 49 ebenda
31 entfällt
50 zitiert nach Sebastian Cobler, Die Gefahr geht vom
32 1977 verurteilte die Kommission die Folterpraktiken Menschen aus. Berlin 1976, S. 18
Großbritanniens in Nord-Irland - Handakte 51 ebenda, S. 19
33 Der Schutz der Menschenrechte in Europa, RF 1981, 52 Bakker Schut, S. 519; Info der Angehörigen, Juni
S. 1 1985, Nr. 16
34 EGH-Entscheidung, ebenda, S. 39 - Handakte 53 Todesschüsse, S. 100ft.
35 ebenda 54 ebenda, S. 94
35a Eduard Dreher, StGB-Kurzkommentar, 1976, 34 55 ebenda, S. 90
StGB, Rdn 22 56 ebenda, S. 109
35b Helmut Ridder, Zur Verfassungs doktrin des NS- 57 ebenda, S. 78
Staates, Frankfurt 1979, S. 24ft. 58 Todesschüsse, S. 109; s.a. Der Tod Vlrike Meinhofs.
36 Werner Holtfort, 34 StGB eine Notstandsverfassung? Tübingen 1979
Demokratie und Recht 3/1977, S. 403 59 Der deutsche Herbst. Texte zur Fraktionssitzung der
37 GBA-Antrag vom 15.9.1977, S. 10 - Handakte; OLG- Grünen am 13.10. 1987. Vorgelegt v. Antje Vollmer
Beschluß v. 6.9.1977 - Handakte 60 Spiegel 36/1987, S. 111
38 NJW 1978, S. 1881ff. 61 Todesschüsse, S. 125
39 bw VA, S. 93 62 Spiegel 36/1987, S. 111
40 Bakker Schut, S. 483 63 ebenda
41 siehe Bakker Schut, S. 489 64 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, S. 170
42 Spiegel 36/1987, S. 107; Frankfurter Rundschau v.
22.9.1977: Sonderberater Zbig Brzeczenski kommt
am 26.9.1977 nach Bonn.
42a Sicherheitsbeauftragter und Stellvertretender An-
staltsleiter Schreitmüller geht am 8.10.1977 in Jah-

488 489
r--

TEIL III 35 P XV; S. 49


36 P Ir, S. 63
1 bw VA, S. 4 37 P XV, S. 45
2 Einstellungsverfügung der StA, ebenda; s.a. Weiden- 38 bw VA, S. 43
hammer S. 139ff. 39 ebenda
3 TEV I, S. 56ff. 40 ebenda

4 TEV I, S. 103ff. 41 TEV X, S. 6.


5 TEV I, S. 133ff. 42 TEV X, S. 40
6 P XV, S. 50 43 TEV X, S. 5 u. 40
7 ebenda 44 P III, S. 312

8 TEV I, S. 105 45 TEV III, S. 55


9 P XV, S. 50 46 ebenda

10 TEV III, S. 44 47 P III, S. 425


11 S.a. Weidenhammer, S. 57f. 48 TEV III, S. 55
12 Stern 49/77 v. 24.11.1977, S. 146 49 TEV III, S. 51
13 TEV I, S. 68 50 ebenda

14 TEV I, S. 69 51 bw VA, S. 20
15 TEV I, S. 111 52 P III, S. 193
16 TEV I, S. 145 53 P III, S. 212

17 Spiegel 11/1988, S. 89 54 TEV III, S. 4


18 P.M. 4/82 v. 193.1982 55 TEV III, S. 306

19 VS-Senatsprotokoll v. 27.1.1978; TAZ v. 28.11.1979: 56 TEV III, 282

VS-Army testet Psychodrogen an Gefangenen 57 TEV III, S. 355


20 konkret 6/85, S. 6 58 TEV III, S. 4
21 s.a. Weidenhammer, S. 57f. 59 P XV; S. 48
22 bw VA, S. 22 60 bw VA, S. 20
23 ebenda 61 P Ir, S. 50
24 ebenda, S. 23 62 P Ir, S. 72
25 ebenda, S. 44 63 bw VA, S. 20
26 TEV I, S. 88 64 TEV X, S. 5
27 bw VA, S. 44 65 ebenda
28 P XV, S. 45 66 TEV X, S. 40
29 P XV, S. 48 67 bw VA, S. 20
30 bw VA, S. 22 68 ebenda, S. 43
31 P XV, S. 53 69 ebenda, S. 20
32 P Xv, S. 48 70 TEV X, S. 33
33 bw VA, S, 23 71 P XV; S. 45
34 P XV; S. 48f. 72 TEV X, S. 33

490 491
r
73TEV X, S. 5 109ebenda
74TEV X, S. 5 110TEV 11, S. 320
75 TEV X, S. 34f. 111ebenda
76 P 11, S. 35 112TEV 11, S. 319
77 P 11, S. 104, 106 113TEV 11, S. 318
78 P XV, S. 28 114TEV 11, S. 317f.
79TEV IX, S. 30ft. 115P XV, S. 39f.
80 Pli, S. 85 116P Xv, S. 41
81 P 11, S. 86 117ebenda
82 P XV, S. 23 118TEV 11, S. 335
83TEV IX, S. 30f. 119P 11, S. 41
84 TEV IX, S. 33 120TEV VIII, S. 84
85TEV IX, S. 5f. 121P XV, S. 41
86 bw VA, S. 19 122 Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft; s.
87 P 11, S. 40 Weidenhammer, S. 139f.
88 P 11, S. 102f. 123bw VA, S. 43
89 P XV, S. 23 124P 11, S. 27
90 P Xv, S. 28 125Pli, S. 41
91 P 11, S. 32 126ebenda
92 bw VA, S. 27 127P XV, S. 41
93TEV 11, S. 19, 20f. 128 Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft; s.
94TEV 11, S. 292 Weidenhammer, S. 139ff.
95TEV 11, S. 322f. 129bw VA, S. 15
96TEV 11, S. 292 130TEV III, S. 245f.
97TEV 11, S. 322f. 131bw VA, S. 15
98TEV 11, S. 297 132P III, S. 147, 171
99 bw VA, S. 28 133TEV III, S. 410
100TEV 11, S. 297 134P III, S. 171f.
101TEV 11, S. 299 135TEV III, S. 246f.
102ebenda 136TEV III, S. 321f.
103ebenda 137P III, S. 304
104K. Sellier in: Berthold Mueller, Gerichtliche Medizin, 138P III, S. 188
Teil I, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg- 139TEV III, S. 279f.
New York 1975, S. 602 140P III, S. 288
105Die Zeit 3/78 v. 13.1.1978, S. 4 141TEV III, S. 144
106TEV 11, S. 317 142P III, S. 340f.
107ebenda 143TEV VIII, S. 84
108TEV 11, S. 318 144TEV 11, S. 340

492 493
r
I

TEIL IV
145TEV I, S. 28, 88f.; Pli, S. 43f. 1
146P XV, S. 41
147bw UA, S. 47 1 Bild v. 29.5.1972
148ebenda 2 Spiegel 44/1977
149Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft; s. 3 Stern 45/1980, S. 32
Weidenhammer, S. 139ff. 4 Prospekt Heckler & Koch, HK 4, S. 22
150bw UA, S. 97 5PXV,S.41
151ebenda 6 TEV 11,S. 322
152ebenda 7 siehe Weidenhammer, S. 139ft.
153P VII, S. 252 8 siehe Dokument 23
154TEV IV, S. 187 9 siehe Dokument 28
155TEV IV, S. 189 10siehe Dokument 20
156P IV, S. 64 11Schreiben der StA Stgt v. 21.5. 1979 - Handakte
157TEV 11,S. 36f. 12TEV 11,S. 30
158bw UA, S. 88 13Spiegel 49/1977, S. 121
159TEV 11,S. 121 14Schreiben an RA Schily v. 25.10.1979
160TEV 11,S. 97 15TEV 11,S. 368
161s. a. Spiegel 11/1980, S. 89 16Philip Agee u.a., Unheimlich zu Diensten, Göttingen
162FR v. 2.11.1979 1986,S.4
163TAZ v. 2.11.1979; TAZ v. 15.10.1979; TAZ v. 17TEV I, S. 27; s.a. Weidenhammer, S. xxx
31.10.1979; FR v. 1.11.1979; TAZ v. 1.11.1979 18Einstellungsverfügungvom 18.4.1978, S. 5f.; s.a. Wei-
164Bakker Schut, S. 500ff. denhammer, S. 139ft.
165bw UA, S. 88 19TEV 11,S. 296; s.a. Dokument 20
166FR. v. 19.3.1975 20ebenda, S. 299
167bw UA, S. 88 21ebenda
168bw UA, S. 96 22Ekstra Bladet v. 15.4.1980
169ebenda 23K. Sellier in: Berthold Mueller, Gerichtliche Medizin,
170TEV 11,S. 211ff. Teil I, 2. Aufl., Springer Verlag, Berlin/Heidelberg/
171ebenda New York 1975, S. 602
172bw UA, S. 97 24Stellungnahme des baden-württembergischen
173ebenda Justizministeriums v. 10.12.1980 - Handakte
174TEV 11,S. 211ff. 25ebenda
26TEV IX, S. 34; s.a. Dokument 19
27ebenda
28Spiegel, 27/1983, S. 49
29ebenda
30Handakte
31ebenda

494 495
11"""'"

32 Antwort des Parlament. Staatssekretärs Dr. de With 64 Internationales Komitee zur Verteidigung politischer
v. 20. 11. 1980. Deutscher Bundestag Drucksache 9/ Gefangener in Westeuropa
65 Tolmein, zum Winkel, S. 79
12, S. 7
33 Antwort des Justizministers Dr. Eyrich v. 10. 12. 1980. 66 Ex-MAD-Chef Scherer zum Stern, NI. 43/84 v.
Drucksache 8/695 18.10.1984
67 bw DA, S. 88
34 Spiegel 27/1983, S.49f.
35 Handakte 68 Engler-Brief v. 10.1.1978 - Handakte; s.a. Weiden-
36 Petition 8/5726 v. 2.5.1984 - Handakte hammer, S. 9ft.
37 s. Dokument 36 69 siehe Dokument 37

38 Handakte 70 bw DA, S. 89

39 s. Dokument 37 71 Roland M., Brief an den Stern v. 24.3.1979-Handakte

72 bw DA, S. 92
40 bw DA, S. 89
73 ebenda, S. 52
41 BAW zum Stern, 25.8.1977
74 ebenda, S. 53
42 TEV VI, S. 66
75 ebenda, S. 54
43 TEV VI, S. 13
76 ebenda, S. 92
44 TEV VII, S. 1ff.; s.a. Dokument 45
77 ebenda, S. 54
45 TEV VI, S. 36

46 GBA-Antrag - Handakte 78 Vorläufiger Bericht der Landesregierung über die


47 TEV VI, S. 36 Ereignisse vom 18.10.1977 in der VZA Stuttgart-
48 GBA-Antrag, ebenda Stammheim, Dezember 1977, S. 11 - Handakte
49 bw DA, S. 88 79 IVK-Presseerklärung v. 20.8.1977 - Handakte
80 Stern 45/1980, S. 22f.
50 TEV VIII, S. 1
81 ebenda
51 TEV VI, S. 165
82 bw DA, S. 13
52 TEV VIII, S. 3
83 TEV III, S. 190ft.
53 Stellungnahme BRD-Regierung, S. 29 - Handakte
84 P XVII, S. 111ff.
54 TEV VII, S. 75
85 Drucksache 8/4126; s.a. Dokument 34
55 Stellungnahme BRD-Regierung, S. 35 - Handakte
86 Drucksache 8/4642; s.a. Dokument 37
56 TEV II, S. 136
87 siehe Dokument 39
57 bw DA, S. 88
88 TEV VIII, S. 86ff.
58 TEV VI, S. 29
89 ebenda
59 TEV V, S. 27
90 Gerichtsprotokollauszug, S. 1271ff., Tonbandnieder-
60 Der Prozeß gegen die Rechtsanwälte, S. 216
61 konkret 1/1987, S. 22 schrift - Handakte
62 H.-J. Klein-Interview: Liberation 1450-1454 v. 3.10.- 91 Pressemitteilung des Innenministeriums des Landes
7./8.10.1978 - Handakte Baden-Württemberg NI. 61/1977
92 Einstellungsverfügung (17 J s 966/77) v. 7.11.1977 -
63 Ermittlungsrichter des BGH, Protokoll v. 4.1.1978-
Handakte Handakte
93 zitiert nach Arbeiterkampf 69 v. 7.4.1986

497
496
r
94 Gerichtsprotokollauszug, Blatt 13722 Tonbandnie- 119konkret 10/1987, S. 22
derschrift - Handakte 120Spiegel 31/1987, S. 16f.
1 121Evers, NJW 1987, S. 153ft.
95 Einstellungsverfügung (17 Js 966/77) v. 7.11.1977-
Handakte 122Gössner, ebenda
96ebenda 123Frankfurter Rundschau v. 16.3.1988
96aAust, S. 329 124ebenda
97CIA-Akte MSGNO 49 125konkret 11/1982, S. 62
98 Am 5.12.1977 wird beim Montieren der Langfeld- 126Unsere Zeit (UZ) v. 26.5.1988
Leuchten aus der Abteilung III ein Kleinlautsprecher 127konkret 11/1982, S. 62
unter der Lampenhalterung entdeckt. Es ist eine 128ebenda
Leuchte aus einer der Zellen 718,719 oder 720. (TEV 129UZ v. 11.8.1982
II, S. 275) Der Minisender war nach Untersuchung 130UZ v. 21.4.1982
durch die Oberpostdirektion Stuttgart als piezo-elek- 131Frankfurter Rundschau v. 17.9.1982
trischer Schallwandler noch funktionsfähig. (ebenda, 132Spiegel 40/1986
S.278) 133konkret 11/1982; siehe Langemann-Vermerk von
99ebenda 1979
100Spiegel 37/1987, S. 43 134Info NT. 16, Juni 1985
101Spiegel 12/1982 135Die Anti-Terror Debatten im Parlament, Hamburg
102Schreiben v. 2.12.1977 - Handakte 1978,S. 84
103Allgemeine Zeitung Mainz v. 25.3.1977 136CIA-Dokumente, S. 8
104Pressemitteilung des Innenministeriums des Landes 137Welt v. 14.8.1977
Baden-Württemberg NT. 61/1977 138Spiegel 23/1980, S. 107
105ebenda 139Frankfurter Rundschau v. 6.9.1977
106Spiegel 36/1987
107siehe Dokument 43
108GBA-Antrag, S. 10ft.
109s. Weidenhammer, S. 61
110Irmgard Möller, Vernehmungsprotokoll, aus: Todes- TEIL V
schüsse
111KOR Textor zum Stern 45/1980 1TEV II, S. 232
112konkret 11/1982 2 ebenda
113ebenda 3 ebenda
114ebenda 4 TEV XII, S. 70
115konkret 10/1987, S. 22ft. 5 TEV XIII, S.2ft.
116Spiegel 36/1987, S. 109 6 TEV XII, S. 65
117bw UA, S. 5 7 TEV XII, S. 22ft.
118Rolf Gössner, Sicherheitspolitische "Wiedervereini- 8 TEV XII, S. 32
gung", Teil 1, Geheim 3/1987, S. 14ft. 9 TEV XII, S. 40

498 499
r 10 TEV XII, S. 32 Inhaltsverzeichnis
11 TEV VIII, S. 6

12 TEV XV, S. 20
13 TEV II, S. 228ff.
14 TEV V, S. 112 I. Chronologie einer Geiselnahme
15 TEV V, S. 242ff. (5.September bis 18. Oktober 1977) 7
16 TEV IX, S. 6
17 TEV II, S. 282
18 ebenda
II.Das Todesermittlungsverfahren 99
1. Die Feststellung des
19 Spiegel 37/1987, S. 55
Todeszeitpunktes wird vereitelt 100
20 Ruhrpost v. 11. 1. 1980
2. Die Untersuchung der Zellen 105
21 Spiegel 32/1987, S. 19f.
3. Die Ergebnisse der Nachtobduktionen 117
22 Todesschüsse, S. 126
4. Die Kommission für
Menschenrechte (EGH) kann nicht tätig werden .. 126
5. Exkurs: Der "übergesetzliche Notstand" und
der "internationale Kampf gegen den Terrorismus" 129
6. Die Einstellung des Todesermittlungsverfahrens 138

III. Die Ergebnisse des baden-württem-


bergischen Untersuchungsausschusses-
Eine kritische Würdigung 155
1.Ermittlungen nur in Richtung" Selbstmord" 156
2. Wurden die Gefangenen betäubt
oder unter Drogen gesetzt? 157
3. Der "Erhängungstod " Gudrun Ensslins 165
a) Die "typischen " Zeichen eines
Erhängungstodes 165
b) Der Stuhl und der" Expertenstreit " 170
c) Das Erhängungswerkzeug 177
4. Der Tod Andreas Baaders 182
a) Die Haltung der Waffe
und die Blutspritzer an der Hand 182
b)WasgeschahmitSpur6? 185
c) Pulverschmauch oder kein Pulverschmauch? . 187
d) Die Frage der Schußentfernung 190
e) Der Sand an Baaders Schuhen 193
5. Der Tod Jan-CarlRaspes 197

500 501
r a) Der Pulverschmauch
b) Sitzen oder Liegen?
197
199 1
1. Das sogenannte Kontaktsperregesetz
2. Neuropathologisches Gutachten Baader
311
317
c)DerWinkelhinterderLiege 201 3. Chemisch-Toxikologisches Gutachen Ensslin 321
d)DiePistoleinderHand? 203 4. Neuropathologisches Gutachten Ensslin 323
6. Die Waffentheorie 208 5. Neuropathologisches Gutachten Raspe 325
a) Die Herkunft der Waffen 208 6. Vernehmung des Arztes Dr. Majerovicz 328
b) Der "nichtdurchsuchte" Plattenspieler 210 7.AnhörungVZA-BeamterStoll 332
c)EineProphezeiungdesBKA 214 8.VernehmungVZA-BeamterGötz 336
d)DieWandlungeneinesColt 218 9. Vernehmung VZA-Beamter Miesterfeldt. 338
7. Die "Gegensprechanlage" 223 10.Vernehmung Listner 346
11.Vernehmung Jost 353
IV.Wie die Ermittlungen verschleppt werden - 12.Vernehmung Soukop 355
oder: Die Wahrheit ist immer konkret 227 13.Vernehmung Buchert 360
1. Die Einstellungsbegründung und die Aktenlage 228 14.Vernehmung Münzing 366
2. Die fehlenden Fingerabdruckgutachten 233 15.Vernehmung Dr. Majerovicz 369
3. Kann sich ein Mensch aus 30 Zentimeter 16.VernehmungDr.Henck 373
Entfernung von hinten erschießen? 236 17. Spurensicherungsbericht Zelle 719 379
4. Das Abhandenkommen der Spur 6 241 18. SicherstellungsberichtBaader 381
5. Konnten die Häftlinge in den 19. SpurenauswerteberichtZelle 719 384
Besitz von Waffen gelangen? 249 20. BKA-Schußentfernungsgutachen Baader 390
a) Die Waffenschmuggelversion 249 21. BKA-Haarprobengutachten Baader. 393
b) Unkontrollierte Transportwege 262 22. BKA-Schmauchspurengutachten Baader 395
c) Die "Telemat-Anlage" und die "Siemens- 23. BKA-Pulverschmauchgutachten 11Baader 397
Techniker" 266 24. BKA-Schuhanhaftungsgutachten Baader 399
d)DerZugangzudenZellen 270 25. Spurensicherungsbericht Zelle 720 403
e) Optische und akustische Überwachung 270 26. Spurenauswertebericht Zelle 720 405
f) Wozu hätten die Häftlinge 27. SpurenauswerteberichtZelle 716 409
Waffen gebrauchen können? 276 28.BKA-PulverschmauchgutachtenRaspe 410
6. Die beiden nicht vernommenen Außendienst- 29. BKA-Pulverschmauchgutachten 11Raspe 412
beamten 278 30. BKA-Schußverlaufsgutachten 414
7. Hatte der Krisenstab ein Motiv 31.VernehmungPohl/Ring 417
für die Ermordung der Gefangenen? 279 32. BKA-Vermerk zur Todeswaffe Raspe 425
33. Kleine Anfrage Heimann 1983 427
V.Wie es gewesen sein könnte 295 34. Antwort des Justizministeriums
auf die Kleine Anfrage 432
Anhang: 35. Antrag auf Berichterstattung Grüne 1983 437
I. Dokumente 36. Stellungnahme des Justizministeriums
O. Zellenbelegungsplan 310 aufdenAntrag 445
502 503
r
i: 37. Beratung des Ständigen Ausschusses 1984 449
38. Abgeordnetenbrief Weichert 1985 458
39. Antwort des Justizministeriums
aufdenAbgeordnetenbrief 461
40. Antwort der Staatsanwaltschaft
auf eine Anfrage des Autors 1985 467
41. Brief Weichert an das Justizministerium 1986 .. 469
42. Antwort des Justizministeriums
auf den Brief Weichert 471
43. Antwort der Staatsanwaltschaft auf eine
Anfrage des Autors 1988 474
44. Antwort des Justizministeriums auf eine
AnfragederGIÜnen1988 476

Anmerkungen 479

504

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