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Geldverbrennung und
Protestklau
Risiken und Nebenwirkungen eines neuen Antimonetarismus
Was genau passiert, wenn jemand oder eine Gruppe aus Protest Geld
verbrennt, sich Dienstleistungen ohne Bezahlung aneignet oder einen
Shop liftet? We müssen Subjekte funktionieren, um derartiges zu tun
und es so zu tun, dass ihnen ihr Tun als antikapitalistische
P rotestaktion erschei nt?
1. Antikapitalistisch?
Geld kann ich idealerweise auf zwei Arten verbrennen: Auf die erste
Art verbrenne ich einen bestimmten 10 EUR-Schein, nämlich genau
den Schein, mit dem ich genau dies oder jenes anfangen will oder
muss. Diesem Geldverhältnis, das sich mir unterhalb eines gewissen
Liquiditätsniveaus praktisch aufzwingt, liegt der gegen
Geldverbrennungen vorgebrachte Einwand zugrunde, das Geld sei
besser zu spenden als zu vernichten. Den Flammen zum Opfer fallen
potenzielle Güter, die man anderen oder sich selbst zugunsten eines
möglichenrueise erkenntnisfördernden, doch nicht unverzichtbaren
Polit-Events vorhenthält.
Anders fühlt es sich an, wenn ich Geld verbrenne als eine
Erscheinungsform von ehnras, dessen ich mich entledigen möchte.
Verbrannt wird nicht das Versprechen auf einen konkreten
Gebrauchswert, sondern "Geld für sich". t7l Wer den Geldschein
besitzt bzw. nicht bekommt, macht in diesem Verhältnis zum Geld
keinen relevanten unterschied. Das bürgerliche ldeal der Gleichheit
ist als realisiert unterstellt. lnsofern alle Subjekte gleich sind,
vermögen sie der Banknote, die sie in der Hand halten, keine
persönliche Note zu verleihen.
Um eine Banknote als "Geld für sich" in der Hand halten zu können,
muss ich alles das überwinden, was die Banknote zu einer
besonderen macht: Sehnsüchte, Bedürfnisse, Dankbarkeit, Entlastung
von einer Sorge etc. ln der Verbrennungshandlung bestätigt das
lndividuum seine Macht über das Geld und zugleich sich selbst als
reinen, allen individuellen Besonderheiten barer Geldbesitzer. t8l
\Me gleich die Subjekte als Geldbesitzer sind und wie dehumanisiert
in dieser Reduktion kommt recht eindrucksvoll in der Erklärung eines
in Berlin tätigen Dollarnoten-Abfacklers zum Ausdruck. Darin wird
argumentiert, dass angesichts der Dollarvernichtungen durch die
Europäische Zentralbank d ie Privatvernichtung ei niger Dollarnoten
vernachlässigenswert sei:
Die Echtheit des Geldes lässt sich dabei als Falschheit interpretieren.
So bezeichnet erwähnter Dollarnoten-Abfackler Geld als "lächerliche
Papierzettel", deren Funktionsweise er sich als durch Gewalt gesetzte
denkt:
Von Wert ist das Geld in dieser Sichtweise, weil es Geld ist, d.h.
fetischisiert wird. Anders könnte seine Vermehrung der Produktion
keine Zwecke setzen.Itel ln seiner Selbstgenügsamkeit erscheint das
Geld als der Gesellschaft bloß aufgepfropft. Und wer pfropft? Der
Gärtner und das mit Gewalt!
Das "Gegenteil" des Kapitalismus hat hier jedoch weniger mit dessen
Aufhebung zu tun als mit einer Sehnsucht nach "natürlichen", nicht
von Geld, Habsucht und Leistungszwang regierten
zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine den Kapitalismus
aufhebende Utopie hätte die Alternative: "freie Vereinbarung" oder
"Zwangsverpflichtung" selbst aufzuheben, d.h. den Gegensatz
Tat-sächlich nimmt die shoplifterin eine sache in die Hand: die ist ihr
Leben, ein zum Naturding verkehrtes Geseilschaftsprodukt, dessen
Aneignung als ein Privateigentum ihr ein "Hochgefühl", ein Gefühl der
Freiheit verscha{ft.
Das Recht der einen und das Recht der anderen sind untrennbar
miteinander verschmolzen, weil das Recht als solches auf einer Figur
beruht, in der die einen und die anderen gleich gesetzt sind und ohne
die es gar kein Recht im unterstellten Sinne gäbe.
Wer zum Beispiel nicht über einen Freibadzaun springen kann, gilt
FelS/AG Sozialer Widerstand entsprechend ihrer "konkreten
Erfahrung" als "beeinträchtigt", wird von d iesen "Beeinträchtigungen"
selbstverständlich "geplagt" - und ist krank:
Exkurs
Weil es in Geldfragen bei Linken allgemein drunter und
drüber zu gehen scheint, schiebe ich diesen kleinen
Exkurs ein, in dem es eventuell auch drunter und drüber
geht.
Die lllusion, ein "schönes Leben" für alle sei schon nach
geeigneten Umverteilungsmaßnahmen und ohne
Leiden machbar, speist sich - außer aus dern
glitzernden Warenangebot in den Metropolen - aus dern
Geldfetisc6 i+8i. Sofern das zur Produktion der allen
Menschen ein Leben in Wohlstand ermöglichenden
Güter nötige Kapital scheinbar der Zirkulationsshäre
entspringt, stößt seine Akkumulation auf keine
natürlichen Grenzen. t4elAlles erscheint dann möglich.
Mit dieser Ansicht verbunden ist eine Einschätzung der
Beziehung zwischen Arbeitsproduktivität und
Profitentwicklung, in deren Kontext die Gewinne nicht
auf den tatsächlich produzierten Mehrwert bezogen
werden.
man sich die Sache auf der Ebene der einzelnen Ware
an, wird deutlich, dass die Gewinne der
Dienstleistungsbranche meist Kosten darstellen und
dass ein Großteil der erhöhten Produktivität gerade
durch den wachsenden Aufirvand für Dienstleistungen
nivelliert wird, u.a. für Reklame, Finanzmanagement,
Organisation vernetzter Produktionen u.v.m. Unter den
:',E-
t 1.. f'f
,i!,
,b..h -hL
Fangen wir an, uns ... den gesellschaftlichen Reichtum Schritt für Schritl
V.l.n.r.: zukünftige CDs, Kaffee, Deosticks
2. Antisemitisch?
Bei der Geldverbrennung und beim Protestklau werden Praktiken als
"befreiend" erlebt, die kapitalistische Verhältnisse und Entwicklungen
auf Subjektebene reproduzieren. Wenn sich daher aus diesen
Protestformen überhaupt antikapital istische, emanzipative Potienziale
entwickeln können, müssten diese in der Reproduktion der
kapitalistischen Verhältnisse und Entwicklungen auf Subjektebene
selber wurzeln. Wie wäre das möglich?
3. Sinnlos?
Nein, meint FelS:
Ein solcher Zaun ist die ldentität. Man muss nicht unbedingt Beine
und Papiere haben, um sie zu überklettern.
Wenn sich ldentitäten nicht mit den Positionen, die ihre Subjekte im
Sozialgefüge einnehmen, zur Deckung bringen lassen t601, beginnen
die ldentitäten zu zerfallen oder sich aus Materialien neu zu formieren,
die dem Sozialgefüge entstammen. [6r]Wenn es sich bei diesen
"Materalien" nicht gerade um solche handelt, die ldentität verleihen
(Volk, Rasse, Gott, Geschlecht, Stand, Nation..-), dann ist die
Neuformierung der ldentitäten notwendig selbstrefl exiv. ldentität als
solche gerät in den Blick. Die "Natürlichkeit" von ldentitäten wird
hinterfragbar, ihre Konstruiertheit denkbar. [62j
Es gibt ein Rätsel, das geht ungefähr so: Du willst nach X, kommst an
eine Weggabelung und weißt nicht, welchen Weg du einschlagen
musst. An der Weggabelung hängen zwei Zwerge herum. Du hast
gehört, dass der eine Zwerg immer die Wahrheit sagt und der andere
Zwerg immer lügt. Du hast außerdem gehört, dass du nur einem
Zwerg eine Frage stellen darfst, die mit "Ja" oder "Nein" beantwortet
werden können muss. Andernfalls wirst du erschlagen.
Die Lösung dieses Rätsels besteht darin, einen der Zwerge zu fragen:
"!Uas würde der andere Zwerg sagen, wenn ich ihn fragte, ob dies der
richtige Weg nach X ist"?
Regeln haben, ohne dass die Gruppe die Fähigkeit verliert, ihre
Beschränktheit zur Diskussion zu stellen und über den "eigenen
Tellerrand" [65] zu schauen.
Anmerkungen
[1 I http:/ikommunikationsguerilla.lwodav. neUstorie-sl1 39422/
[a] ebd.
[5] ak 479, S. 15
[6] Etwas unter einem Aspekt zu untersuchen, heißt, es nicht unter anderen
oder allen möglichen Aspekten zu untersuchen.
pl "Geld für sich" im Unterschied zu "Geld an sich" wegen Kant: "Das Objekt
bleibt an sich selbst immer unbekannt..." usw. (Prolegomena $19). Es ist hier
kein transzendentales Zeug gemeint.
[8] nicht "Geldbesitzerln", weil das Allgemeine im Patriarchat männlich ist und
"Frauen" beim Geldverbrennen im Unterschied zu "Männern" auch dies "ln"
ablegen?
[1 0] nicht Deindividualisierung
[12] nicht nohrvendig "muss": man muss schon ein bürgerliches lndividuum
sein, damit es gelingt
[13] Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S.90
[22] ebd.
[25] Berlin umsonst - Koste es, was es wolle, YOMANGO , ak 479, S. 16f
Einen witzigen Ausdruck findet die Verengung der Perspektive auf
Verteilungsfragen in dem "Wir-wollen-alles"-Aufruf, der im Lohn, nicht in der
Entfremdung der Arbeit, den Anlass zur Aufhebung der Ausbeutung sieht: "Da
der Lohn das Mittel ist, seine Empfänger von der Verfügung über den
gesellschaftlichen Reichtum auszuschließen, ist der Kampf erst gewonnen,
wenn die Lohnarbeit abgeschafft ist."
[26] lnteressierten, die erfahren haben, was es bedeutet, wenn die produktive
Nutzung der emotionalen und sozialen Fähigkeiten der "Mitarbeiterlnnen" zum
allgemeinen Arbeitsklima gehört, empfehle ich, vor der Lektüre von
HardUNegri's Empire ein Mittel gegen Brechreiz einzunehmen.
[27] "Naiv" (von lat. nativus - von Geburt) ist nicht als Schimpfiruort gemeint.
Assoziiere z.B. Naive Malerei (- Bildwerke, die nicht an hegemoniale
Kunstdiskurse anknüpfen und häufig "idyllische" Welten zeigen) mit der
"naiven Performance" am 06.03.2004 im Stadtbild von Hagen
(http://www.de.indymedia.org/2004/03/76400.shtrnl). Weitere produktive
Assoziationsmöglichkeiten z.B.: "Primitivismus" in der modernen europ. Kunst
- "urbaner Primitivismus" der Shoplifterin; Graffiti, Alphornblasen, Hadanger
Häkelarbeiten, maorische Hauspfostenschnitzereien usw. als Kultivierung
"natürlicher" Umwelten durch die "Ein-geborenen" (wobei Graffiti in dieser
Hinsichi der erste globale Ansatz ist, ein Novum in der Kulturgeschichte der
Menschheit oder eher: der Beginn einer Kulturgeschichte der Menschheit im
visuellen Bereich - ein Anfang kann in gewisser Weise nicht nicht "naiv"
sein) ...
[28] Außer dem politischen Diebstahl gibt es noch andere Formen des
Diebstahls, die praktisch schwer voneinander zu trennen sind. Hier ist in
idealisierter Weise nur vom politischen Diebstahl die Rede, und zudem nur
von einer bestimmten Form des politischen Diebstahls, der mit gewissen
Versprechungen der fordistischen Ara verknüpft ist.
t31] Mit "Unverfügbarkeit" ist gemeint, dass die betreffenden Rechte zwar
missachtet, nicht aber durch menschliches Tun außer Kraft gesetzt werden
können - nicht durch demokratische Mehrheitsbeschlüsse und nicht durch
staatliche Erlasse oder was immer. ln den Debatten zur Stammzellenfrage
zum Beispiel stand die "Unverfügbarkeit" des menschlichen Lebens zur
Disposition (http:l/www. unqesundleben.de/s2. html).
[33] Diesem Dilemma zu entgehen, ist es keine schlechte ldee, bei der
Produktion von Eigentum anzusetzen. Ein Recht auf ein Eigentum, das nicht
produziert wird, muss nicht abgesprochen und nicht zugesprochen werden.
Reicht aber die Vorstellungskraft nicht bis zur Aufhebung des
Privateigentums, sondern bloß bis zu seiner Umverteilung, so gewinnt es an
Plausibilität, wenn bürgerliche Antikommunistlnnen die einzige Alternative
zum Kapitalismus in einer Diktatur sehen. Günstigstenfalls (oder auch nicht)
handelt es sich dann um die Diktatur einer moralisch anspruchsvollen
Mehrheit über moralisch weniger anspruchsvolle Minderheiten.
[35] AltvaterlMa hn kopf , G renzen der G loba isierung, Verlag Westfä isches
I I
[36] ak479, S. 13
[39] Ensteht der Eindruck des Absurden, den die ak ihrem Text zuschreibt,
am Ende, weil sie die Dinge genauer durchdenkt als Berlin Umsonst usw.?
[45J "lm Sommer täglich ins Freibad? ... Wieso nicht einkaufen können, wo
man will und was man will? Geht alles gerade nicht, das gute Leben sollerst
später kommen. Wir wollen aber nicht mehr warten ..." (Dresden Umsonst,
http./lwr.vw. dresden-postplaiz.de/dresden
msonst4u
Andert sich nichts am Verbrauch, werden im Jahr 2025 zwei von drei
Personen in der Welt unter Bedingungen der Wasserknappheit leben. (UNEP
- United Nations Environrnent Programme, Global Environment Outlook 2000,
http./g rid2. cr, u sg s. g ov/qeo2 0004
[52] ebd.
[53] Zum besseren Verständnis der Dimensionen empfehle ich eine Weltkarte
in Peters-Pro.lektiqn.
[61] Deshalb hat der deutsche Faschismus einige "Materialien" aus dem
Sozialgefüge löschen müssen, z. B. Arbeiterlnnensportvereine. Eine
Arbeiterlnnenkultur konnte nie wieder aufgebaut werden.