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»Der Sprung ist vielmehr


ein langwieriger und harter
Prozeß« (Lukacs)

Texte von Gefangenen aus RAP und Widerstand


aus den Jahren 1988bis 1992

*
GNN
VERLAG

Ir•••.
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Impressum

Herausgeber:
AKDrinnen&Drau8en
Ce1le

Verlag:
GNN, Gesellschaft für Nachriehtenertilssung
und Nachrichtenverbreitung,
~PolitischeBeriehtembH,
SOOOKöln I

Fotos:
Marily Stroux (28)
Hinrieh Schultze (18) 'NT.INSTITUUT
Gunter Zint (I)
soc. GESCH'EO~~'S
DrQck:
Druckwerk, München 3 n "'01/ rgg2.
1. Autlage:
2000, Juli 1992

ISBN 3-926922-14-1

BestellUDge.D an :
GNN-~rIag. Zülpicher SIr. 7
Postfach 260226, SOOOKöln I

Preis: 10,- DM
Vorwort

Alle politischen Gefangenen aus RAF und talismus zum Sozialismus bezieht) für vie-
Widerstand müssen raus! Doch das fiillt le der hier versammelten Beiträge den
nicht in den Schoß, das muß erkämpft gemeinsamen Nenner:
werden über eine Veränderung des gesell- "Der Sprung vielmehr ein langwieriger
schaftlichen Kräfteverhältnisses. Wir und harter Prozeß. Sein Sprungcharakter
meinen, daß sich der revolutionären Lin- drückt sich aber darin aus, daß er jedes-
ken hierbei auch die Aufgabe stellt, aus mal ein Sichwenden in die Rich-
der Aufarbeitung der eigenen Geschichte tung auf etwas qualitativ Neues
und der Analyse veränderter Bedingun- darstellt; daß in ihm das bewußte Han-
gen zu einer Neubestimmung ihrer Politik deln, dessen Intention auf das erkannte
zu finden. Die Diskussion muß von allen Ganze der Gesellschaft gerichtet ist, zum
geführt werden. Die politischen Gefange- Ausdruck kommt; daß er also - seiner In-
nen haben seit dem Hungerstreik 1989 tention und seinem Grunde nach - im
immer wieder eindringlich darauf hinge- Reich der Freiheit beheimatet ist. Sonst
wiesen. Diesen Diskussionsprozeß zu be- fUgt er sich in Form und Gestalt dem lang-
fördern, ist Absicht der jetzt vorliegenden samen Umwandlungsprozeß der Gesell-
Broschüre. schaft ein, ja er kann seinen Sprungcha-
Ende Februar haben wir alle Gefange- rakter nur dann echt bewahren, wenn er
nen aus RAF und Widerstand mit der Bitte völlig in diesen Prozeß eingeht, wenn er
angeschrieben, uns Texte zu Fragen zu nichts weiter ist als der bewußt gewordene
schicken, mit denen sie sich in letzter Zeit Sinn eines jeden Momentes, seine bewußt-
intensiver auseinandergesetzt haben. Die gewordene Beziehung aufs Ganze, die
Resonanz, auch bei Gefangenen, die sich bewußte Beschleunigung in der notwendi-
nicht mit Beiträgen beteiligen, war durch- gen Richtung des Prozesses. Eine Be-
weg positiv. In dieser Textsammlung schleunigung, die dem Prozeß um einen
äußern sich jetzt sieben Gefangene aus der Schritt vorangeht; die ihm keine fremden
RAF und neun aus dem Widerstand zur Ziele und selbstgemachten Utopien auf-
aktuellen Situation, zur Geschichte, zu drdngen will, sondern bloß den ihm inne-
Perspektiven. Die Beiträge sind nicht spe- wohnenden Zweck aufdeckend ergreift,
ziell für diese Broschüre geschrieben. Es wenn die Revolution ,vor der. Ungeheuer-
handelt sich meist um längere Passagen lichkeit ihrer eigenen Zwecke' zurück-
aus Brieftm, also der Kommunikations- schreckt, zu schwanken und in Halbheiten
form, die für Gefangene mit repressiven zu verfallen droht. " (Georg Lulaics, Ge-
Besuchsregelungen eine zentrale Schiene schichte und Klassenbewußtsein, Darm-
zum Kontakt mit draußen bildet. stadt 1970,S. 395)
Als "AK Drinnen & Draußen" besu- AK Drinnen & Draußen Celle
chen wir, sieben Menschen aus Celle, seit
September 1990 zu regelmäßigen Grup-
pendiskussionen Karl-Heinz Dellwo, Weil 's nicht selbstverständlich war, hier
Knut Folkerts und Lutz Taufer. Für uns noch ein besonderer Dank an die AutorIn-
war und ist dieser Kontakt menschlich und nen, die uns viel Vertrau~ entgegenge-
politisch von einem Wert, wie wir es bracht haben, an den GNN-Verlag, der
draußen nur selten erleben. Wir haben engagiert die verlegerische Seite über-
daraus auch die Erkenntnis gezogen, daß nommen hat, und schließlich an Marily
es um mehr gehen muß, als sich über die Stroux, die mit der Überlassung ihrer Fo-
Haftbedingungen und die Notwendigkeit tos für die visuelle Spannung gesorgt hat.
der Freilassung zu den Gefangenen in ein
Verhältnis zu setzen. Es sollte für alle, die
an dem Ziel der "Assoziation, in der die
freie Entwicklung eines / einer jeden die
Bedingung fUr die freie Entwicklung aller
ist': festhalten, um die politische Ausein-
andersetzung mit den Gefangenen und um
eine gemeinsame Bestimmung revolutio-
närer Politik gehen. Diese Broschüre will
das ein Stück weit erleichtern.
"Der Sprung ist ein langwieriger und
harter Prozeß" - wir finden, dieses Lu-
laics-Zitat bildet (obwohl es sich im Kon-
text auf die Übergangssituation vom Kapi-

3
Inhalt

Kad-Heinz Dellwo Andrea Sievering


Wir wollen ein Leben ohne Verkauf Eine ,Ordnung' wird es nicht
und Verrat 5 geben, sondern nur eine Verschärfung
.derWidersprüche und Kämpfe
Aus einem Brief
Eva Haule vom Oktober 1991 54
Eine revolutionäre Situation ist dort,
wo es Arbeit für uns gibt
Texte, Briefe und Dokumente von Bernhard Rosenkötter, Ali Jansen,
Eva Haule, Rolf-Clemens Wagner, Michael Dietiker
Helmut Pohl, Sven Schmid- Der Erlkönig lebt! Zur Hebung der
zusammengestellt von Eva Haule '" 6 antizionistischen Verkehrssicherheit
bei Nacht und Wind 59

Knut Folkerts
Das Wesentliche ist der gesellschaftliche Martina Bick, Rosmarie Prieß,
Aneignungsprozeß Mareile Schmegner, Rosita Timm
Aus Briefen vom August und Unser Kampffiir das Lebe9 - Freiheit
November 1991 19 für alle politischen Gefangenen .... 68

Karl-Heinz Dellwo Norbert Hofmeier


Von der Ersatzlosigkeit des Insistierens Es gab nicht nur den bewaffneten Kampf
in der realen Lebenspraxis Antwort auf "Unser Kampf
auf der Wahrheit vor sich und anderen für das Leben" 70
Aus Briefen vom August und
November 1991 22
Lutz Taufer
Suche nach der Strategie des Glücks
RolfHeissler Notizen nach einem Gespräch mit deJIl
Die Kluft zwischen staatlichem Reden Thpamaro Luis Rosadilla 74
und herrschender Realität ist noch
immer tief und weit 27
RAF
Erklärung vom 10.4. 1992 80
Norbert Hofmeier
Über die Mühen des Kampfes ..... 35
ITJIlgardMöller
Erklärung vom 15.4.1992 83
Carlos Grosser
Was waren die wichtigen Dinge, was
ist zu kritisieren? Adressen 84
Aus Briefen vom Dezember 1991,
Januar und März 1992 41

GabiHanka,SiggiHappe
... in konkreten Schritten für
reale Veränderungen
Aus Texten vom Oktober 1990und
Oktober 1991zu
,,500-Jahre-Conquista" sowie ein
Brief an die Hamburger Frauen .... 48

SvenSchmid
Eine strategische Allianz, die sich an
dem Ziel Umwälzung orientiert
Aus Briefen vom Januar 1991bis
Januar 1992 51

4
Karl-Heinz DeUwo

Wir wollen ein Leben


ohne Verkauf und Verrat

"alle, denen ich eniihlt habe, wie lange die leerstelle." das ist in deutschland die dieses soziale ist das, was heute entwik-
ihr teilweise schon im knast seid, waren geschichtlich durchgesetzte beziehungs- kelt werden muß. wir wollen ein leben
ganz erschrocken, und bei 20 jahren ha- struktur in der gesellschaft. ohne diese ohne verkauf und verrat, ohne ausbeutung
ben sie nachgefragt, ob sie sich nicht ver- von oben durchgesetzte zerstörung des . und diskriminierung , ohne herrschaft
hört haben oder falsch abersetzJ worden sozialen wäre die strategie der judenver- über andere, eins, das sich zum menschen
sei. das konnten sie nicht glauben. " nichtung nicht möglich gewesen. das ist hinwendet und seine soziale entwicklung
so schrieb uns kürzlich eine genossin allerdings nicht eine metaphysisch abge- offen läßt. wir brauchen dazu andere ge-
nach ihrer rückkehr aus uruguay über ge- leitete perfidie der herrschenden klasse, sellschaftliche parameter. gegen die logik
spräche mit menschen dort, die selber un- sondern sie hat geschichtlich wie kaum des kapitals, der verwertung von allem le-
ter der militärdiktatur im gefiingnis eine andere der logik des kapitals freie bendigen als selbstzweck, gegen die so-
waren. bahn verschafft und besitzt daraus heute zial-zweckfreie ökonomische rationalität
hier ist das falsche ,normal'. die härte, soviel soziales wie eine registrierkasse. der warenproduktion brauchen wir eine
die entfremdung, die verdinglichung. die ,der andere als leerstelle' - so wird von andere, eine sinnliche vernunft. wir müs-
macht des staates und die des kapitals. der macht aus über andere geredet und ge- sen das soziale unter den menschen neu
wenn menschen in uruguay, die eine bru- handelt. ob es sog. ,asylanten' sind, die herauskämpfen. das ist keine frage an die
tale militärdiktatur hinter sich haben, er- junkies, obdachlose, arbeitslose, men- macht. von dort wird es keine gesell-
schrocken und verblüfft sind über unsere schen,die nicht die logik des kapitals le- schaftliche umkehr geben. an ihrem ver-
lange haft, menschen also, die den inner- ben wollen, andere völker und kulturen, hältnis zu unseren selbstorganisierungs-
gesellschaftlichen kriegszustand kennen vor allem jene außerhalb der metropolen- versuchen wird sich nur zeigen, ob das
und trotzdem irgendwie von grenzen aus- grenzen usw. - das andere ist immer das, bestand haben kann, was die raf derzeit
gehen - was sagt das über diese gesell- dem keine eigengeltung zugebilligt wird. versucht: das konfrontationsverhältnis
schaft und ihre lebensverhältnisse aus? der einzige maßstab, der hier gelebt wer- auf eine ebene außerhalb des krieges zu
kürzlich lasen wir, daß die bundesdeut- den darf, ist der des profitstrebens, jeder stellen und neu teil des sozia len findungs-
sche staatsschutzjustiz nach 1956 ca. gegen jeden. die zerstörung des sozialen prozesses zu werden. wenn auf der ande-
150000 politische verfahren durchgeführt ist hier zur normalität geworden, die dem ren seite alles beim alten bleibt, wird die-
hat. nicht, wie man erwarten könnte, ge- verhältnis des staates zu politischen und ser linken auch nur bleiben, sich entweder
gen nazis, kriegsverbrecher, die steigbü- sozialen .widersprüchen entspricht. das mit der ohnmacht abzufinden oder das
gelhalter und profiteure des nazi-faschis- soziale empfmden der menschen haben sie ausrottungsverhältnis gegen sich anzu-
mus aus wirtschaft, staat und kultur. nein ! damit in die defensive gebracht, nicht re- greifen. das entwickeln eines eigenen so-
gegen. kommunisten, pazifisten, gewerk- pression und zerstörung gegen menschen zialen raums ist die aufgabe von uns allen.
schafter! gegen die, die den nazi-faschis- und natur sind es, die sich rechtfertigen sonst steht der versuch der raf auch auf
mus bekämpften und von ihm verfolgt müssen, sondern das soziale und weltver- unserer seite im leeren. handlungsanlei-
worden sind und nach '45 einen bruch mit antwortliche bemühen der menschen ist tungen gibt es dazu nicht, schon gar nicht
der vergangenheit wollten. sie wurden es, das unter rechtfertigungszwang gerät, aus dem knast heraus. die verantwortung
auch in der brd verfolgt, kriminalisiert das sich selbst gegenüber als ,urinatüdich' für eine revolutionäre entwicklung ist -
und gesellschaftlich niedergemacht. die . entfremdet ist. das ist eine gesellschaft, gegen die falsche arbeitsteilung der ver-
führungselite der brd umfußt nach anga- die geschichtlich unterwegs ist, das eigen- gangenen jahre - an jede/n zurückgege-
ben der "zeit", die es eigentlich wissen kriterium der menschen und der natur aus- ben. nur so hat man auch sein eigenes le-
müßte, ca. 3000 personen. 3000 setzen zurotten. das ist die ,geschichtliche mis- ben. alles, was uns für eine grundsätzliche
die verfolgung von 150000 durch, um je- sion' des kapitals, das als vehikel der poli- gesellschaftliche veränderung fehlt, kön-
de veränderungstendenz inder gesell- tischen durchsetzung die staatliche macht nen wir nur gemeinsam finden.
schaft zu ersticken. auf seiner seite hat. Karl-Heinz Dellwo, 27. 4. 1992
das hat in deutschland, wo der nation- gegen diese macht, die von anfang an
werdungsprozeß mit der preußischen mi- immer alles austreten will, mußte sich der 1 benjamin, jessica: die fesseln der liebe.
litärdiktatur entstand, tradition. das hat widerstand erst einmal konstituieren. das psychoanalyse, feminismus und das problem der
sich später gegen die ,68er-bewegung' vernichtungsverhältnis ist das erste gewe- macht, frankfurt 1990
fortgesetzt, und wir finden es heute in der sen, das überwunden werden mußte. an-
sog; ,aufarbeitung des real-sozialismus' ders wäre alles illusion geblieben. wir ha-
wieder: ,das andere' soziale muß ,ausge- ben 22 jahre lang gezeigt, innerhalb und
tilgt' werden. bevor etwas gesellschaft- außerhalb des knastes, daß sich der gegen-
lich anderes zu sich kommt, muß es be- angriff halten läßt, daß der versuch der
reits niedergemacht sein. wir erinnern uns macht, das andere auszutilgen, sich
hier an die hausbesetzung in wiesbaden durchbrechen läßt. wir sehen das als eine
oder an die mainzer straße: vom staat aus potenz, die wir für diese linke erkämpft
krieg gegen den versuch, sich einen eige- haben. die andere seite weiß heute, daß sie
nen sozialen entwicklungsraum zu schaf- keinen krieg führen kann, ohne nicht auf
fen. eine entsprechung von unten zu stoßen.
es geht nicht nur um uns. ,,da,, wo der ohne das würde auch jeder andere soziale
andere ist," schreibt jessica benjamin in organisierungsversuch auf das dumpfe re-
ihrem buch "die fesseln der liebe",1 "ist aktionsmuster des schlagstocks treffen.

5
EvaHaule

Eine revolutionäre Situation ist dort,


wo es Arbeit für uns gibt! 1
Texte, Briefe und Dokumente von Eva Haule, Rolf-Clemens Wagner,
Helmut Pohl, Sven Schmid - zusammengestellt von Eva Haule

I wenn wir hier von der wiederherstel-


lung der vollen dimension des menschen
als dem inhalt und ziel des befreiungs-
zen gegen das vernichtungs system im ge-
meinsamen internationalen kampf.
das hat nichts mit ,ideologie' oder einer
das hier habe ich im proze8 in stamm- kampfs reden, bedeutet das, sich in der la- entfernt am horizont liegenden möglich-
heim '88 gesagt zu : einheit der inter- ge und dem kampf der untersten massen keit zutun. es ist der jetzt notwendige und
nationalen situation, kämpfe um le- weltweit wiederzuentdecken und das eige- mögliche materielle prozeß der einheit
bensbedingungen, internationalismus. ne erfahrene elend ins verhältnis zu setzen des kampfs in der internationalen front
es spiegelt ein stück unsere diskussion dazu, was imperialistische destruktion gegen die imperialistische barbarei und
wider zu den umbrüchen seit Mitte dort bedeutet. nur in ihm wird der weg aus der destruk-
der 80er jahre - so weit wir sie damals die identität der lage des proletariats in tion möglich.
sehen konnten. der metropole und den 3 kontinenten be-
greifen heißt: internationalismus bedeutet in der metro-
die unerträglichkeit der strategie des pro- es spielt überhaupt keine rolle - nur für pole auch die radikale negation der politik
fits, die der gesamten menschheit die le- die, die es immer noch ,besser' finden, ,von oben', die hier darauf abzielt, jede/n
bensnotwendigen ressourcen entzieht und hier als objekt des systems zu kriechen, einzelne/n zurückzustoßen in den tägli-
zerstört, um sie in die absicherung der ka- als dort zu verhungern -, ob eine/r in der chen überlebenskampf, konkurrenz und
pitalverwertung zu stecken, stößt zusam- metropole als subjekt erdrückt, bis in die rassismus zwischen den ausgebeuteten zu
men mit dem bewußtsein, daß dieser letzte faser und die wahrnehmung defor- schüren - als versuch, wenigstens die
grundwiderspruchgegen jede menschli- miert wird oder ob dort eine/r gezwungen eigene haut rüberzuretten gegenüber exi-
che entwicklung nur in der gemeinsamen wird, im materiellen elend zu vegetieren. stenzunsicherheit, der permanenten be-
anstrengung der kämpfe aller besitzlosen es gibt keine abstufung in der vernich- drohung durch die totalmaschinerie usw.
um würde, um die produktive existenz der tung, wo sie existentiell ist, außer man - und sich dagegen ganz in den kampf der
menschen entschieden werden kann. will den schein dafür halten: das ist der menschen weltweit zu stellen.
wenn wir sagen: revolutionäre politik konsum, der volle ranzen, der individua-
in der metropole muß diese strategie an- lismus. die frage nach sinn und zweck von pro-
greifen und die politische praxis mit den die herrschaft des imperialismus, seine duktion, politischen und sozialen ent-
befreiungsprozessen im süden zu einem strategien bedeuten weltweit die ausschal- wicklungen für die menschen ist jetzt der
gemeinsamen kampf verbinden, geht es tung des menschen, materiell durch ver- explosive kern in allen widersprüchen und
von anfang an um den ganzen begriff. sie hungern lassen und völkermordpolitik im kämpfen. denn auf diese frage gibt es nur
bedeutet im süden weiter eskalierendes süden, in der metropole durch die maschi- eine einzige, das ist die revolutionäre ant-
elend in einer lage, die für 2/3 der weltbe- nerie und die totalität der unterdrückung wort:
völkerung heute schon absolute armut im system. es muß schluß sein mit der destruktion,
heißt. in der metropole die marginalisie- identisch ist es darin, daß in beidem je- die machtverhältnisse müssen umgewälzt
rung breiter gesellschaftsschichten, des- der sinn für die menschen liquidiert ist, urtd eine grundsätzlich andere, an den
integration, technologische versklavung ihre substanz und würde zerstört und sie menschen orientierte entwicklungsrich-
und zerstörung menschlicher substanz auf zu einer existenz als nicht-menschen ge- tung durchgesetzt werden.
neuer stufe. die situation in der metropole zwungen werden. das ist die realität der das ist die aktuelle notwendigkeit, die in
und der 3. welt muß als eine im kern ein- ausgebeuteten, ausgestoßen~n weltweit. den millionen hungertoten und den aus je-
heitliche situation begriffen und von da der sozialen entwicklung ausgeschlosse-
aus muß gedacht und gehandelt werden. dagegen bedeutet revolutionäre identität, nen massen im süden genauso evident ist
sich in der lage und im kampf der interna- wie an der degradation der subjekte in der
castro hat gesagt, daß sich das leiden der tional ausgebeuteten wiederzuerkennen metropole zu reinem menschenmaterial
menschen im süden nicht nur in materiel- und aus dieser globalen realität zu begrei- für die maschinerie.
len, sondern vor allem in moralischen ka- fen, daß alles subjektiv und materiell
tegorien zeigt: im ständigen sich-ernied- ein e konfrontation geworden ist. es muß schluß sein mit dem hunger und
rigt-fühlen als mensch, weil man für das und nicht die unterschiedliche bestim- den massakern im süden, den imperialisti-
system nur ein dreck ist. das moralische mung konkreter und notwendiger etap- schen kriegen, der folter in den gefiingnis-
elend drückt sich in der metropole umge- penziele in den kämpfen ist entscheidend, sen, tickenden atombomben in akws,
kehrt auch darin aus, das massenhafte sondern die identität in inhalt und ziel: menschenfeindlichen technologien, um-
sterben in der 3. welt als ,normal' hinzu- im kampf gegen den imperialismus die weltzerstörung, dem totalen überwa-
nehmen oder gar nicht mehr wahrzuneh- wiederherstellung des menschen, seiner chungsstaat und sozialen tod in der metro-
men. würde, seiner globalen solidarischen ge- pole.
der mechanismus, mit dem die existen- sellschaftlichen beziehungen.
zielle not der massen im süden - die ihren und dagegen geht es in den kämpfen jetzt
ursprung hier hat - verdrängt wird, bis so begriffen hat proletarischer internatio- überall darum, daß die ausgebeuteten sich
hin zum entfremdeten blick vieler linken nalismus heute noch mal eine neue bedeu- die bestimmung über ihr leben, die ökono-
darauf, dem chauvinismus der weißen tung: mischen mittel und gesellschaftlichen ent-
sklaven - ist ausdruck der abstumpfung er ist aus diesem bewußtsein der einheit wicklungen aneignen.
der menschen in der metropole bis in die der situation direkt der weg der ausgebeu- es ist dieser aneignungsprozeß in den
seele. tetsten, um sichals menschen durchzuset- konkreten auseinandersetzungen, in dem

6
sie das kapital system grundsätzlich in fra- muß sein, gute sache mit internationaler
ge stellen, weil es in ihm objektiv und sub- 11 wirkung - aber hinterher gehts einem ge-
jektiv keine lösungen mehr gibt, die de- nauso beschissen wie vorher. und es gab
struktion und das auseinanderreißen der aus einem brief an eine genossin, zeiten, wo ich zigmal mehr über die nato,
gesellschaften durch jedes seiner restruk- dezember '88 us-imperialismus usw wußte als über
turierungsprojekte nur immer weiter ge- mich und die leute, mit denen ich zu tun
trieben werden. ... es ist ja auch teil meiner eigenen ge- hatte.
in diesem prozeß werden die ausgebeu- schichte, antiimperialistischer wider- die versuche, das mal anders anzupak-
teten fiihig zur selbstbestimmung, zur stand, wie das war in der zeit 80-84 (da ken, sind schnell in ein schema gerutscht,
autonomen organisierung und aktion, habe ich es direkt erfahren, aber im prin- auf der ebene "es geht um o~anisierung"
einer neuen art der solidarität in den ge- zip hat sich später nichts verändert), und oder andere formen vom widerstand,
sellschaftlichen beziehungen hier und ich hab hier im knast dann ziemlich viel aber alles ohne inhalt und ziel - und so
weltweit. darüber nachgedacht, was da eigentlich konnte auch nichts draus werden.
das ist die möglichkeit und brisanz, gelaufen ist bzw. nicht. für mich selbst in einen satz gepackt würde ich es so sa-
die in den aktuellen widersprüchen und und insgesamt ... gen: es lief eine trennung zwischen sub-
kämpfen steckt. mir ist vor allem eins aufgefallen, als jekten und politischer praxis, zwischen
und es ist der boden, auf dem revolutio- ich mir· diese ganze zeit überlegt habe mir und dem, was im widerstand die poli-
näre politik zum bezugspunkt werden und (was es politisch damals alles war, anti- tischen initiativen waren. das war generell
die inhaIte vom kampf für den kommunis- nato-mobilisierung, häuserkampf, gefan- so, überall, egal welcher ansatz von wi-
mus lebendig machen kann. gene) - daß es total wenig oder sogar gar derstand es war.
die subjekte brauchen keine ideologi- nicht um die leute selbst ging. um mich, und obwohl es so war, daß in der zeit
schen modelle - ob sie marxistisch-leni- uns, alle damals im widerstand. nie wur- zum ersten mal seit langem wieder von
nistisch, sozialrevolutionär oder antiim- den die erfuhrungen, die wurzeln des auf- vielen über revolutionäre umwälzung
perialistisch genannt werden -, und sie bruchs in politische begriffe gebracht, nachgedacht wurde und ein starker drive
brauchen keine phrasen von ,zerschla- nicht mal sich richtig bewußt gemacht. am anfang war, für ein anderes leben zu
gung des systems'. also nicht politisiert. kämpfen - ist das nicht entwickelt wor-
sie brauchen die politik, die ihre lage die radikalität hatte gar keine ,namen' ; den. in nichts !
umwälzt, leben möglich macht und die es wurde z. b. oft gesagt "existentieller was dann passiert, das ist, daß du den
reale perspektive auf ein ende des sy- hunger nach einem anderen leben", aber motor deines aufbruchs aus den augen
stems entwickelt. das ist revolutionäre po- es wurde nicht entwickelt, was das denn verlierst. der rumort zwar weiter, aber es
litik. daneben kann es gar keine geben, ist bedeutet, wer man selber ist und wie man ist nicht bewußt motivation, die integriert
alles abstraktion. sich/ sein leben, die beziehungen will - ist in politik, sondern nur als unzufrieden-
alles das, was ein anderes, selbstbestimm- heit spürbar. klar, die ist es dann, irgend-
und nur so kommt man auch zum begriff tes leben sein soll - und wie das mal wann platzt dir der kragen. ich hab das nie
revolutionärer strategie jetzt. Wirklichkeit werden kann. lang ausgehalten, war immer auf der su-
der zusammenstoß mit dem herrschafts- mir fielen die ganzen treffen ein (in der che, wie und wo das für mich wahr wer-
system und seiner destruktivität läuft in zeit "plenum gegen imperialistischen den kann mit leuten, und das hat auch bei
jeder einzelnen auseinandersetzung, und krieg" oder zu den großen demos in berlin der entscheidung, zur raf zu gehen, eine
die notwendigen und gewollten verände- '81 und '82) - da wurde überhaupt nie große rolle gespielt.
rungen müssen gegen die gesamte macht- über "uns" geredet, und alle haben so ge- wenn es damals diskussionen gab über
struktur durchgesetzt werden. tan, als wäre jedem einzelnen und allen subjektiven prozeß, eigene ziele, waren
die lösungen der vielen, unmittelbar zusammen die eigene motivation politisch sie so abstrakt oder psychomäßig (die we-
existentiellen probleme können nicht war- bewußt und die ziele klar und man könne nigen, die es überhaupt gab), das war fast
ten, bis der imperialismus abgeschafft ist, quasi loslegen zusammen mit den poli- schlimmer als schweigen. ist auch ganz
umgekehrt können wirkliche lösungen tisch-praktischen schritten gegen die nato. logisch, wenns nicht zugleich konkret ent-
nur erreicht werden im prozeß der umwäl- und so waren auch die diskussionen, wickelt, also gemacht, realisiert wird.
zung und schließlich der abschaffung des alle. zum teil ja so extrem, daß dann in und das ist genau ausdruck dieser tren-
kapitalismus. den flugblättern stand: "unser ziel ist die nung, die ich oben meine. dabei ist sub-
das ist die objektive situation weltweit . . zerschlagung der nato" - nichts da von jektivität, eigene identität (als prozeß be-
die ganze entwicklung ist da angekom- befreiung, vermittlung der subjektiven er- griffen) erst das, was die politik revolutio-
men, daß beides gleichzeitig zwingend . filhrungen und ziele. daß man anders le- när macht. naja, aber das war so eben nie
ist: die umwälzung des ganzen systems, ben will, kam immer nur in standardsät- der punkt, und das heißt auch immer, daß
also langfristige, internationalistische zen vor. die politisierung oberflächlich, äußerlich
strategie - und unmittelbare veränderun- auch wenn "irgeftdwie" allen klar war, bleibt. ich weiß auch ganz genau, wie das
gen, die erkämpft werden müssen, weil daß die ganzen "alternativen" nicht mehr läuft - das straighte gehabe als panzer
eine ganze reihe von entwicklungen ver~ gehen· und es keine perspektive im system gegen die fundamentalen fragen, das mes-
nichtung bedeutet. gibt, es gab keine einzige diskussion, wo ser gegen andere im widerstand, ausbeu-
die situation verlangt konkrete lösun- das mal als gemeinsame klarheit festge- tung der gefangenen, sich-umhängen der
gen, sowohl für die unmittelbare lebens- halten wurde, was eigentlich der subjek- guerilla-politik usw - dieser dünne lack
realität der ausgebeuteten als auch in der tive ausgangspunkt ist, über die besonde- ,anti-imperialistisch', hinter dem nur
verhinderung der vernichtungsprojekte, ren erfilhrungen jedes einzelnen raus ... stagnation und fäulnis ist, es war immer
der pläne ,von oben' zur absicherung allen war zwar klar, daß es ähnliche am extremsten in situationen, wo es um
ihrer herrschaftsinteressen. sie können grunderfuhrungen sind, aus denen jeder einen schritt nach vom ging, und das kann
nur gefunden werden in den vielen, kon- aufgestanden ist, und daß es ähnliche ziele ja nur bedeuten: schritt auch zu sich, wer
kreten auseinandersetzungen, in denen gibt. aber mehr auch nicht. bin ich eigentlich, und was will ich. (und
,von unten' die bestimmungen für neue und für mich blieb immer das gefühl zu- ich weiß noch gut meine "sprachlosig-
gesellschaftliche entwicklungen angeeig- rück: scheiße, was solls eigentlich, du keit" bei den ersten treffen mit den illega-
net werden, schritte, die in einem lang- machst zwar permanent politische praxis, len, als sie vor allem darüber was von mir
wierigen und widersprüchlichen prozeß auch starke initiativen, aber es ändert sich wissen wollten. ich hatte keine worte ...
die umwälzung der herrschenden verhält- nichts in meiner lebensrealität. nirgends für mich.)
nisse entwickeln. auch nur ne spur von einem anderen le- ich denk, das ist eine zwangsläufige ent-
ben.du hast zwar immer mehr wissen an- wicklung, die erst durchbrachen werden
gehäuft, aber ein anderer mensch bist du kann, wenn diese trennung zwischen sub-
nicht geworden. da sind mir zig beispiele jekt und politik, eigener lebensrealität und
eingefallen, haig-demo ist eins - logisch, politischer praxis angegangen und im

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praktischen prozeß, lebensprozeß aufge- durchgeht bis zur eigenen lebensrealität erkämpfen wollen - da kommt die kritik,
hobenwird. und zur immer wieder neuen eigenen in- der widerspruch zu politischen ansätzen,
das ist grade hier in der metropole auch itiative. das habe ich jedesmal wieder ge- die dieses moment nicht in sich haben, die
total scharf: alles, was diese subjektive merkt. nicht ne neue realität schaffen und si nd ,
tiefe nicht hat, wird irgendwann vom sy- und noch was anderes: zum verhältnis einfach raus ...
stem überrollt, egal wie 's dann raus- theorie! analytische arbeit und politische das ist es einfach, diese neue dimension
kommt, die alte scheiße hat einen wieder. praxis - das steht solange auf dem kopf, der zerstörung reißt auch viel von der ent-
die eigene geschichte - sich nichts zuzu- wie die menschen nicht im zentrum ste- fremdung weg. der zusammenstoß zwi-
trauen, angst vor anderen menschen, 'dein hen, ihre subjektivität, ihre eigene identi- schen den eigenen vorstellungen von le-
leben lang wird dir eingebleut, daß du tät. nur so kommt das auf die füße: mittel ben, arbeit, menschenwürde und realer
"nichts" bist, nichts kannst und auch gar für die revolutionierung der lebensver- lebenssituation, politik und projekten von
nichts können sollst außer konsumieren hältnisse. und für einen selbst notwendige staat! kapital läuft in allem direkt, es ist
und funktionieren ... - überholt einen instrumente, um die praxis richtig bestim- nichts mehr dazwischen, und daraus
wieder, wenn die subjektiven ziele oder men zu können, den durchblick zu kriegen kommt das auch, daß sich kaum jemand
einfach die ganze subjektivität der person für den gesamten prozeß, in dem die ziele mehr politische initiativen vorstellen
nicht in der politischen praxis enthalten real werden. kann, die das moment: veränderung der
ist. aber ich meine ja subjektivität! identität eigenen lebensrealität - nicht in sich ha-
in der ganzen anti-naw.:mobilisierung, nicht nur im individuellen sinn, sondern ben. das ist heute zwingend ge~rden,
wo waren denn da die menschen, als kon- dann gleich als kraft vom· widerstand und es betrifft viel mehr leute als damals
krete personen? überhaupt. die menschen, ihre ziele, wie
und ich würde sagen, als erfahrung ist sie leben wollen .und sich zusa.mri:ten
es da schon klargeworden: es kann keine
politik geben, losgelöst von der verände-
durchsetzen gegen die machtfür ihre eige-
ne sache (so weit das' konkret entwickelt III
rung der eigenen lebensrealität, losgelöst ist, also in den konkreten auseinanderset-
von den subjekten. zungen, nicht abstrakt) - das alles war in aus einem briefvon rolf-clemens,
alles, egal welcher schritt, muß als aus- der zeit damals nicht im zentrum der pro- märz 91
gangspunkt die subjekte haben und wieder zesse.
auf sie zurückführen, als veränderung von aber das hat angetimgen, sich zu verän- es gibt die tendenz zum globalisierten bür-
sich selbst, den beziehungen, dem ganzen dern, weil es mußte. nicht nur subjektiv, gerkrieg, wobei sich die ,klassischen'
aneignungsprozeß, in dem selbstbestim- weil die, die noch was spüren und wollen, konfrontationslinien immer mehr verwi-
mung schließlich real wird. gemerkt haben, es geht so nicht weiter, sie schen und bedeutungslos werden. es ist
also klar, darauf bin ich damals dauernd werden schwächer statt stärker - sondern ein allgemeiner kampf um den kuchen, es
gestoßen, aber ich habs mehr als meine auch durch die verstärkte repression und geht ums fressen, um die verfügung über
vereinzelte erfahrung genommen (und diese dimension der zerstörung, die auch ressourcen, um den weltmarkt.
dann mit der entscheidung raf für mich ge- in der metropole jetzt erfahrbar ist. also es leit-ideen wie nation, religion, (völker-)
löst, von da aus auch in den beziehungen hat auch objektive gründe, warum das an- recht, befreiung werden beliebige vehikel
zu denen, mit denen wir zu tun hatten) - timg der 80er noch so laufen konnte. für alles.
und nicht als "politisches problem", als jetzt kommen die ganzen fundamenta- also: omnipräsenter kriegszustand. po-
den hemmklotz des ganzen prozesses len fragen auf den tisch - und damit auch litik als suche nach lösungen für gesell-
hier. die kritik an politik-ansätzen, die keine schaftliche oder zwischenstaatliche kon-
das war in der zeit damals ja schon so, greifbaren antworten auf diese fragen ha- flikte findet kaum noch statt.
daß ganz viele sich kein leben mehr vor- ben. der widerspruch knallt einfach auf. wir haben es beim letzten hungerstreik
stellen konnten außerhalb vom wider- eine neue realität muß geschaffen werden erlebt: sollen sie doch verrecken, wir ma-
stand, aber zugleich konnte kaum jemand gegen die zerstörung, es gibt nichts ande- chen nichts.
sich vorstellen, daß es möglich ist, hier res, die alternative wäre, sich und die zie- wie wir gesagt haben: die gewalt, die
etwas zu verändern, das hat der staat uns le aufzugeben. dann kommt, ist sozusagen der inbegriff
ja auch mit dem knüppel in die köpfe ge- das bedeutet umgekehrt, daß die fragen von nicht-politik, ist mafiose struktur, ist
hauen - das ist auch was spezifisches zur ganz direkte sind: wie ist es möglich, wie anschlag auf schäuble oder lafontaine, ist
metropole, wo sie dir von antimg an ein- geht das jetzt sofort, selbstbestimmtes le- fußballrandale, naja eben zerfallsprodukt,
hämmern, daß du gar nichts erreichen ben anzutimgen und die zerstörung in al- kaum noch zu beeinflussen, kaum noch zu
kannst gegen diese macht. und daraus len lebensbereichen zu stoppen, eine neue reprimieren.
kommt schnell eine haltung: es gibt nichts realität dagegen durchzusetzen in den aus krieg aber resultiert höchstens kurz-
anderes als "widerstand für immer", weil konkreten auseinandersetzungen. fristjge friedhofsruhe. sie können uns nie-
die macht sich verewigt hat, imperialis- wer auf diese fragen nur global-timfa- dermachen, sie können den irak zerstören
mus für immer. das ist auch aus den kräf- ren abläßt ... naja, das ist doch klar, da- (und kuweit gleich mit), aber sie können
teverhältnissen in der metropole, wo das mit kann kein mensch was anfangen, dem nicht auf dauer ein paar milliarden men-
kapital schon immer stärker war und die es ernst ist. aber umgekehrt können sich schen davon abhalten, leben zu wol-
macht scheinbar doch alles verschlucken jetzt auch alle leichter zusammenfinden - Ie n, sie schaffen es nicht einmal richtig
kann, was sich an widerstand regt, total immer an der konkreten sache -, die es - trotz militäreinsatz -, sich die kriegs-
tiefdrin. wirklich anpacken wollen, ohne alle for- und weltmarktflüchtlinge vom hals zu hal-
und das sprengst du nur durch deine meln und abstraktionen. ten.
subjektivität; wille, entscheidung und die bezüge und beziehungen verandern bushs ,neue weltordnung' wird es nicht
'immer wieder. da gehts weiter. sich, es entsteht neues interesse am sich- geben, sondern krieg in permanenz. ge-
das heißt ja aber auch sofort, daß die mitkriegen, an auseinandersetzungen (das gen diese finstere perspektive von brutali-
vorstellungen von einem anderen leben merken wir getimgene ja auch) ... tät und zerstörung von menschen, um-
konkret entwickelt, realisiert werden ja, das denke ich auch, wie du es jetzt welt, ressourcen und kapital gibt es nur
müssen - und wie das im einzelnen aus- schreibst - wo überall neue ansätze von eins: die wiedereinführung der politik in
sehen kann, weiß niemand vorher. das ist widerstand! bewegungen hochkommen, die auseinandersetzung. das kriterium da-
es wieder: die selbsttätigkeit der konkre- die direkt aus der erfahnmg der destruk- für ist, auf den allgemeinen nenner ge-
ten personen, selbständige initiative - tion in der eigenen lebensrealität entste- bracht, durchsetzung von lebensinteres-
nur darüber "wächst" alles. das lief da- hen (und das in einem umfassenden sinn, sen, und das kann, weil herrschaftsinter-
mals überhaupt nicht, und auch deshalb ist dazu gehören auch die kriege und das essen extrem lebensfeindlich sind, nur re-
alles immer wieder zerfallen. denn man massenelend im süden) und dagegen eine volutionäre politik sein, also auch - so ist
kann ja nichts "festhalten" an politischer neue, an den menschen und ihren interes- das nun mal - politik gegen die linke hier
kraft, die erfilhren wurde, wenn das nicht sen orientierte gesellschaftliche realität und ihren bürgerrechtsblick und bieder-

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männischen pazifismus, gegen das sy- zehnt - in jeder hinsicht, der kampf ums ben und grad nochmal in den letzten 2 jah-
stemimmanente denken, gegen den fal- nackte überleben, um mit dem unterhemd ren-
schen konsens. zumindest ins nächste jahrtausend zu wo auch die auswirkungen reingehö-
die politik kriegt man nicht über global- kommen - diese realität wird jede ausein- ren, die sich aus dem zusammenbruch des
analysen und fette texte wieder ins spiel, andersetzung bestimmen. RGW ergeben, wo ökonomische lücken
sondern nur durch konkretion. wir müs- das, was momentan in der ehemaligen gerissen werden, die niemand auffangen
sen ,einfache', klare fragen stellen, was ddr abläuft, liefert einen vorgeschmack kann, und von der politischen seite her,
soll an diesem konkreten punkt gesche- auf die entwicklung, die sich zwangsläu- daß sich keine wirklichen alternativen
hen, wie soll jene frage entschieden wer- fig nach 1992 einstellen wird, und das in aufgetan haben, nicht geschaffen werden
den, dieses problem gelöst werden. und westeuropäischer dimension. konnten, und diese ganze blockierte und
zwar deshalb, weil es der zwang der ent- was in den kleineren osteuropäischen gepreßte auseinandersetzung hat einen
wicklung ist und wir keine andere wahl ländern geschieht, läuft grad mal so ne- unheimlichen handlungsdruck geschaf-
haben. benbei. dazu ein paar fakten: z. b. polen, fen, dem die revolutionären und fort-
in der komplexität und zuspitzung und weil ihnen ja auch grade die schulden ge- schrittlichen bewegungen nicht entspre-
schnellen veränderlichkeit der lage und schenkt wurden und das hochgelobt wur- chen - auch gar nicht entsprechen kön-
der tatsache, daß an jedem punkt, in jedem de - tatsache ist: es ging gar nicht anders. nen, weil aus den entwicklungen konse-
bereich, eben weil es keine politik mehr bei anderen ost europäischen ländern quenzen gezogen werden müssen, die sich
gibt, praktisch sofort die totalität des siehts nicht anders a1,1s ..polen hat z. b. eine nicht über nacht mal auftun. und die not-
kriegszustandes erreicht ist, können wir schuldendienstquote für 1990 von der wendigen lösungen der probleme werden
uns politisch nur noch bewegen, daß wir oecd auf 71 % geschätzt, bei einer gleich- immer mehr - und dafür braucht es neue
an jedem auftauchenden punkt, an jedem zeitigen abnahme des wirtschaftswachs- ideen und vorstellungen, die sich heraus-
brocken, der auf uns zugeflogen kommt, turns um 15 % usw. usf. kristallisieren, bewähren müssen, bevor
sagen: hosen runter, was wollt ihr (oder das sieht in anderen ländern nicht an- sich dieser handlungsdruck politisch-
auch an uns, die gefangenen, was wollen ders aus, und sie stehen erst am anfang emanzipatorisch transformieren läßt.
wir), und im klartext, bitteschön. dieser entwicklung. daraus sind heute die treibenden kon-
ein wahlloser griff in die beispielkiste : diese wirklichkeit von kontinent zu frontationen gegen die macht (aus dieser
technologiepolitik, knast, exportwirt- kontinent und von land zu land ließe sich gepreßtheit heraus) verschlungen und de-
schaft, verschuldung, die häuser, massen- ins endlose fortsetzen, genauso wie sich formiert - wo auch erst ,hinter' und si-
flucht, die katastrophe in der alten ddr, die folgen der folgen der folgen ins uner- cher quer durch die explosionen dieser
der zerfall der su, nimm, was du willst - meßliche potenzieren. wenn man sich das zum teil schlitternden auseinandersetzun-
wenn du nicht genau genug guckst, siehst alles mal vor augen führt, wird deutlich, gen und kämpfe der raum und die zeit ent-
du krieg und eine in der bewegung sich daß es keine politische antwort auf diese steht, wirkliche emanzipatorische prozes-
permanent gegenseitig beeinflussende ge- entwicklung gibt. se aufzubauen, unter den neuen anforde-
mengelage, die an beliebigen punkten ex- der qualitative umschlag lief mitte der rungen.
plodieren kann (bzw. ja schon dauernd 80er, und das ist nicht gesehen worden und das meinte ich, ganz nüchtern be-
hochgeht) und der man mit den üblichen, bzw. nur von einem teil, castro 1985 z. b. trachtet, daß man sich nicht einfach dage-
teils abgehobenen oder ideologisierten, oder was von den palästinensern zu dieser genstemmen kann bzw. das ruder noch
teils korrumpierten diskussionsformen zeit gesagt wurde, ,wir brauchen raum rumreißen, das schafft selbst falsche
des linken betriebs nicht mehr beikommt. und zeit', orientierungen, weil wir uns genauso in
ganz erfassen können wir die situation oder von der anderen seite, brady-plan2 dieser entwicklung zurechtfinden und po-
eh nicht (und auch sonst niemand), nicht zur schuldenkrise, einzelne stimmen in in- litische ausgangspositionen erobern müs-
nur, weil wir tatsächlich viel zu wenig in- ternationalen gremien, aber davon ist heu- sen bzw. unsere haltung zu dieser entwik-
fos haben, sondern weil sie prinzipiell te nichts mehr zu hören. und die jetzige klung deutlich machen müssen, auch wie
nicht voll durchschaubar ist. wir haben marschrichtung ist deutlich ... wir uns schrittweise den weg vorstellen,
immer nur einen bornierten ausschnitt, die heute beschriebenen ,szenarien' um aus dieser blockierten situation auszu-
jeder aus seiner sicht, von sich selbst aus- werden im lauf der kommenden jahre brechen ...
gehend. mehr und mehr zur wirklichkeit, und die- eine andere sache ist noch, daß in einem
weil die unzulänglichkeiten unserer er- se. wirklichkeit wird die kämpfe bestim- solchen politischen vakuum, wie es heute
kenntnis unvermeidlich sind, können wir . men: hungerrevolten - enteignungen - existiert, reaktionäre und faschistische
uns immer nur in konkreten situationen land- und wohnraumbesetzungen - ghet- tendenzen und bewegungen sich im ge-
für oder gegen etwas entscheiden und .toaufstände - arbeitskämpfe gegen um- sellschaftlichen leben ausbreiten und ihre
dann das, was wir als individuen oder strukturierungen, entlassungen, für mehr entsprechenden politischen ausdrucksfor-
gruppe wollen, wieder ins gesellschaftli- lohn ~ wanderströme von menschen - men finden - das ist eine historische er-
che bringen. naja, eben: praxis ist die und das alles in größenordnungen, die fahrung, und das zeigt auch die aktuelle
unmittelbare wirklichkeit (lenin). über heute noch unvorstellbar sind. entwicklung. ich mein das gar nicht so
solche praktischen entscheidungen löst sehr in form von ,neuen rechten organisa-
sich ja auch die frage der kooperation mit was das heute und jetzt unmittelbar heißt, tionen', sondern vielmehr daher, wie sich
anderen. kann ich so nicht sagen, dafür müssen wir diese entwicklungen aus der gesellschaft
wir haben es am hafen gesehen und in zusammen dran reden, arbeiten. ich kann selbst erheben, rassismus / apartheid,
wackersdorf, wo sich die unterschiedlich- nur sagen, daß wir diese entwicklung im chauvinismus, anti-semitismus ... oder
sten leute dafür bzw. dagegen entschieden auge haben müssen, sonst stehen wir poli- auch diese law-and-order-mentalität.
haben, jenseits aller ideologie, aller ldas- tisch' handlungsunfiihig dem ganzen ge-
senzugehörigkeit (und daß sie im fall wak- genüber wie zum teil heute auch, denn das
kersdorf nach frankreich ausweichen politische dilemma heute resultiert auch v
konnten, zeigt nur einmal mehr die wich- daraus, daß die entwicklung nicht wahr-
tigkeit des internationalismus). genommen wurde, das heißt, welche kon- aus einem brief von mir an eine genossin
sequenzen daraus zu ziehen sind. ich mein aus der hafenstraße anläßlich
sicher nicht, sich jetzt hinzusetzen und des ,europäischen aktionstages' zu
IV abzuwarten, sondern eben die poli- besetzten häusern und zentren (mai '91)
tik auf diese entwicklung hin
aus einem brief von sven, auszurichten. daß es verstärkt diskussionen unter euch
märz'91 "brennt sich selbst aus", sich gegen in westeuropa gibt, erste ansätze für ge-
diese entwicklung zu stemmen - der ge- meinsames anpacken, ist natürlich sehr
so wie im trikont die einhellige meinung danke geht davon aus, wie sich die realitä- gut. wegen ,lust', wie es da steht (im auf-
ist, daß die 80er jahre ein verlorenes jahr- ten in den letzten 10Jahren entwickelt ha- ruf zum aktionstag), aber ja vor allem

9
auch, weil das genau ein stück vom inter- stoßenen brauchen, um zu leben, was den lebensbedingungen, psychisch, sub-
nationalismus ist jetzt, wie er notwendig ihren bedürfnissen nach sinnvollem, soli- jektiv - auch hier in den metropolen,
geworden ist gegen einen urnnittelbaren darischem leben entspricht. und darin, daß es faktisch keine politik
gemeinsamen feind, seine pläne und das daher die nicht-politik des staates. so mehr gibt, um die sozialen, gesellschaftli-
konkrete, immer mehr einheitliche, west- schließt sich dieser kreis; ausschaltung chen probleme und konflikte zu lösen.
europäisch-institutionalisierte vorgehen der menschen .(ihrer realen lebenssitua- auf die untersten überall kommt die
gegen die häuser und zentren. tion und bedürfnisse, der ursachen und ganze objektive situation: die destruktivi-
und es ist auch eine erfahrung aus den ziele ihres widerstands) - technik statt tät, keine lösungen der existentiellen pro-
letzten jahren, daß die ausschließliche politik ("wohnungsnot, jaja, aber alles bleme, die liquidation auch nur des
orientierung auf das eigene ,dorf - die eine frage von management und markt") scheins von ,demokratie' - als gewalt zu-
für eine bestimmte zeit notwendig sein - krieg statt politik. ruck und sie sehen oft keinen anderen weg
kann - keine perspektive hat. nicht nur als den: selbst genauso werden.
bezogen auf den prozeß revolutionärer wenn das laufen soll - und es muß ja -, zuschlagen. besser drogendealer wer-
veränderungen insgesamt, sondern weil daß noch viel mehr selbst betroffene men- den als degradiert zum bittsteller auf dem
aus der entwicklung nur in einer stadt, schen sich wiedererkennen in eurem sozi oder ganz raus, nichts; besser sich
einem land allein die ziele, die mit den kampf, ,dann ist es sicher notwendig, daß zusammentun und zuruckschlagen gegen
häusern/zentren verfolgt werden, nicht ihr euch anders vermittelt. es sind doch den sexismus und rassismus, als dem al-
erreicht werden können. knallharte probleme und fragen, mit de- lein ausgesetzt zu sein und rumgestoßen
wenn nicht eine politische kraft entsteht nen die ausgestoßenen, die kids auf der zu werden wie ein tier, und zum teil schon
aus den verschiedenen städten - sicher straße, die immigrantInnen ... konfron- ein erbitterter kampf, um wenigstens die
unterschiedliche bedingungen, leute, an- tiert sind, und ihr selbst, die meisten je- eigene haut zu retten, den eigenen bauch
sätze, aber doch verbunden in den lebens- denfalls, doch auch. was sollen sie anfan- vollzukriegen, seinen teil vom kuchen zu
interessen -, die die ganze häuser-sache gen mit ,werten', ,sozialer sinn', wenn ihr holen ...
als einen zentralen teil und ausdruck ge- nicht sagt und zeigt, was damit gemeint und der staat, die macht verwaltet die
sellschaftlicher konflikte hier und in west- ist, inhalte. das ist doch, als wenn ihr konflikte fast nur noch technologisch, re-
europa in die auseinandersetzung bringt jemand, der hunger hat, ein marsh mallow pressiv-militärisch.
und durchschlägt bis ins zentrum der hinlegt. süße ... luft. der (über- )lebenskampf ist zu einem
macht - dann kann der staat, können die die unmittelbar erfahrene situation sieht brutalen jeder-gegen-jeden geworden, das
medien das ganze leicht auf die ebene doch für euch und alle betroffenen (mate- ist nicht mehr ,nur' die altbekannte kon-
einer konfrontation "autonome - poli- riell, psychisch, subjektiv aus der unver- kurrenz, sondern in der zuspitzung der
zei", "minderheit / chaoten / außenseiter / einbarkeit mit den herrschenden verhält- existentiellen probleme und der blockie-
terroristen / kriminelle - justiz" nissen) viel härter aus, und ich finde es ab- rung ihrer lösungen macht jeder jeden nie-
bringen und immer wieder zuruckschla- solut wichtig, alles so auszusprechen, wie der ... darauf läuft es raus. ,,das rennen
gen. technokratisch-repressives manage- es wirklich ist. nicht nur, weil sich nur der wölfe", wie che] die konkurrenz zwi-
ment statt politisch-gesellschaftlicher aus- datiiber andere mit ihren erfahrungen schen den menschen im kapitalismus ge-
einandersetzungen. oder, wie ihr in der wiederfinden können, sondern wie der nannt hat, ist umgeschlagen dahin, daß
januar-presseerklärung gesagt habt: poli- genaue begriff der realen, täglich spürba- "die wölfe" sich gegenseitig zerflei-
tik wird durch krieg ersetzt. ren, sichtbaren situation die bedingung schen.
ein authentischer ausdruck sozialer po- ist, um die richtige-notwendige politik zu nicht mehr ,nur' das sich durchschlagen
litischer kämpfe in der metropole wird sy- machen. das ist heute überhaupt kein in der vereinzelung, sondern jeder gegen
stematisch negiert, entpolitisiert - und spruch mehr, sondern tatsache: so radikal jeden.
das ist die bedingung, der hebel, über den sein wie die wirklichkeit, anders geht kei- sicher, das ist hier in der brd noch nicht
die repression läuft und funktionieren ne politik mehr. so zugespitzt wie im tnkont oder in den
soll. usa, frankreich, großbritannien ... aber
mir fällt das in vielem auf, jetzt in diesem in der tendenz und realen, sichtbaren ent-
mir ist das als eine entscheidende verände- aufruf auch wieder: eine inhaltliche un- wicklung ist es das : krieg aß den sozialen
rung im vergleich zu der zeit anfang der schärfe zur metropolenrealität heute. le- rissen der (einen) welt, quer durch alle
80er jahre aufgefallen - wie es damals bensrealität. kontinente, länder, gesellschaften.
politisch getobt hat rund um die hausbe- es wird vor allem oder fust nur noch von
setzungen, die politischen parteien, ganze den ,alten' formen der entfremdung und ich weiß, da sagen einige immer, sie fin-
heere von soziologen ... ,jugendrevol- _ verelendung gesprochen - was auch den das ,gleichmacherisch', wenn wir so
te', ,soziale probleme', wohnungsmarkt wichtig bleibt, und sie verschärfen sich ja reden, und weisen auf die unterschiede in
usw., und wie es heute ist, da labern zwar permanent- den materiellen lebensbedingungen hin.
manchmal noch ein paar spd'ler oder gru- aber was kaum· vorkommt, das ist die aber das ist banal, weil sowieso klar.
ne, aber es darf sozusagen keine politische ganze nackte gewalt und brutalität, die es geht darum, wie die ganze situation
auseinandersetzung mehr stattfinden über sich hier (wie überall) in den letzten jah- begriffen wird, "in welcher welt man
die gesellschaftlichen konflikte, denn das ren in der gesellschaft breitmacht. die ju- lebt" -
hieße sofort, daß es lösungen geben muß gendgangs, die jungen fuschos, die hools, und die ist, das ist objektiv so, nicht et-
für die existentiellen probleme hier, und aber zum teil auch schon in den politisier- wa eine ,bestimmung' von uns, weltweit
zwar für die menschen, um die es da kon- ten scenes - die explodierende gewalt gekennzeichnet von destruktivität und
kret geht, entwicklungen, die ihren inter- ohne klare politische ziele (oder völlig dif- gewalt, es gibt heute kein ,woanders'
essen entsprechen; also veränderungen in fus; verbogen) - die zunehmende gewalt mehr, es gibt nur noch eine welt, und
der politik von staat und kapital und damit in beziehungen, familie, schule, das gan- wenn wir sagen, daß die kapitalistischen
sofort einschränkungen ihrer machtposi- ze brutale menschenelend der immigran- zentren zu einem schnittpunkt potentiell
tionen. tInnen (ihre lebensbedingungen, die an- aller auseinandersetzungen werden, dann
so ,eng' und absolut ist es inzwischen griffe gegen sie), der obdachlosen, der ist damit genau die wirkung dieser objek-
geworden, es gibt gar keine oder kaum ausgestoßenen und der junkies, die der tiven situation hier gemeint.
noch eine vermittlung zwischen den plä- staat zu hunderten draufgehen läßt - und deutlich sichtbar z. b. an den kriegs-
nen von staat/kapital z. b. zur ,umstruktu- da gehören rassismus und sexismus mit und weltmarktflüchtlingen oder an der
rierung' der städte - mit den folgen: zer- rein. verschärfung der sozialen lage auch in den
störung und auseinanderreißen aller so- metropolen selbst.
zialen, kulturellen, politischen struktu- das ist eine entwicklung, in den letzten
ren, die nicht urnnittelbar funktional sind jahren sprunghaft, die, so begreifen wir
für ihre profit-und machtstrategien ~ das, ihre ursache in der härte des (über-) mir ist das ein rätsel, wie ihr die situation
und dem, was die unterdtiicJaen, ausge- lebenskampfes hat - wieder: materiell in hier und in westeuropa als ,imperialisti-

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schen frieden' bezeichnen könnt. das wi- aus der presseerklärung vom baten, filst schon routinemäßig zu massenschlä-
derspricht doch allen euren erfilhrungen 4.1.91 gereien, wenn freitag- und samstagnacht
und auch denen in anderen ländern, weil die pubs schließen ... soziologen nennen
es durchgängig so ist, daß die militarisie- ... sie haben kein recht und erst recht kei- das phänomen "ländlicher aufruhr" ...
rung der auseinandersetzungen läuft, ge- ne legitimation, unser leben hier zu zer- mord und totschlag liegen immer in der
walt das bestimmende, ,nonnale' gewor- stören. sie haben nur den gewaltapparat luft, wenn fußballrivalen aufeinandertref-
den ist in den gesellschaftlichen struktu- dazu. da bleibt dann allerdings von rechts- fen ...
ren. staat nur noch staat übrig, wird eine dyna- (die aggressionen) resultieren vor allem
die räumungen von der mainzer straße mik bestimmend, in der die gewalt, der aus der spaltung der gesellschaft, die un-
... in frankreich knallen die flics4 arabi- krieg die politik ersetzt. in einer gesell- ter margret thatcher zwar reicher, aber
sche jugendliche ab, in spanien werden schaft, die auf unten und oben beruht, gibt auch sehr viel rauher geworden ist ... ein
kids auf der straße totgeprügelt, und ihr es notwendigerweise widersprüche, müs- fünftel der bevölkerung hat in der harten
selbst habt permanent den ganzen apparat sen bedürfnisse artikuliert und umgesetzt wettbewerbsgesellschaft keine chance
amhals. werden können, in denen menschen ihren und lebt an oder unterhalb der armuts-
überall weigert sich die herrschende p0- lebensraum ihren interessen entsprechend grenze ... an zustände in der 3. welt erin-
litische klasse, eine politische auseinan- verändern, das, was sie brauchen, reali- nern auch die obdachlosen in großbritan-
dersetzung für lösungen der auch hier exi- sieren können. für uns sind das die häuser niens städten. in london vegetieren schät-
stentiell gevw>rdenen gesellschaftlichen hier. für andere kindergartenplätze, ein zungsweise 70000 in tunneln, h4iusein-
probleme zu führen und andere entwick- dach über dem kopf, erschwingbare mie- gängen und zum abriß freigegebenen oder
lungen (die an den interessen ,von unten' ten usw ... wir sind ein teil von dem pro- unfertigen gebäuden ...
orientiert sind statt an der kapitallogik) zeß, gesellschaftliche perspektiven ohne (spiegel)
zuzulassen, ausgreozung und bestrafung zu entwik-
und überall ist die frage, wie genau ge- kein. unsere vielbeschworene ,gewalt' usa
gen diese entwicklung und die ,perspekti- war immer unsere letzte möglichkeit, wo
ve', die in ihr liegt - noch mehr zerstö- reden nicht mehr ging, uns hier zu halten. das soziale gewebe amerikas istzerschlis-
rung, zerfiill, auseinanderbrechen in der dagegen setzt der bürgermeister und ande- sen ... (hat) sich die soziale lage vieler
gesellschaft -, eingegriffen, politik ge- re herrschende kräfte in dieser stadt auf amerikaner während der 10 regierungs-
macht werden kann, um lösungen zu er- ihren gewaltapparat. jahre präsident reagans verschlechtert, für
zwingen, und wie dafür diejenigen gesell- worauf soll diese entwicklung rauslau- die ist das leben, ähnlich wie die amerika-
schaftlichen kläfte mobilisiert werden fen? nischen städte, zunehmend härter, gemei-
können, die diese entwicklung stoppen auf neue lager für sozial nicht angepaß- ner, schäbiger geworden. die zahl der
und umsteuern wollen. te, mehr drogentote und selbstmorde aus "offiziell" armen hat sich von 24 auf 32
verzweiflung? auf polizeibelagerung gan- millionen oder auf 13 % der bevölkerung
es ist auch falsch - es wird hier keine zer viertel, noch mehr kontrolle durch erhöht. die kinderarmut ... nahm von 18
,friedhofsruhe' geben. das ist vorbei. oder verfussungsschutz und andere ,dienste', auf 23 % zu. während die offiziellen stati-
vielleicht für einen kurzen moment, aber noch mehr knäste, sondergesetze und iso- stiken die zahl der obdachlosen mit
dann gehts in der nächsten umdrehung lationsfolter gegen die gefangenen? 350000 angeben, sprechen private fürsor-
weiter. es gibt uns, hafenstraße, jetzt seit bald georganisationen von 3,5 millionen men-
viel eher als friedhofsruhe wird es im- 10 jahren. gerade daß '87 der damalige schen, die ihr leben auf der straße, unter
mer mehr gewaltsame explosionen geben, bürgermeister die tatsache, daß es uns brücken oder in obdachlosenasylen ver-
immer mehr verelendung und desintegra- gibt, akzeptieren mußte und somit zum er- bringen ... in den großstädten herrschen
tion. sten mal eine gruppe wie wir ,anerkannt' gewalt und rauschgiftmißbrauch. im letz-
da können sie westeuropäische projekte wurde, soll ausradiert werden. ,freiräu- tenjahr wurden 20680 amerikaner ermor-
planen, wie sie wollen, wenn es keine lö- me' soll es nur in dem maße geben dürfen, det. rauscbgiftgebrauch und gewalttätig-
sungen gibt für die sozialen, ökologi- wie sie die herrschenden und die herr- keit in den inneren stadtbezirken mindern
schen, politischen probleme - hier und schende politik nicht stören. insofern die lebenserwartung schwarzer jugendli-
international, weil es ein system, ein ein- würde die gewaltsame räumung eine gren- cher mittlerweile erheblich. darüber hin-
ziger zusammenhang heute ist -, dann ze bedeuten für jede gesellschaftliche per- aus sitzen mehr als 25 % .der schwarzen
werden die widersprüche über kurz oder spektive weit über uns hinaus. sie wäre die jungen männer zwischen 16und 29 jahren
lang nur noch explodieren, es wird kata- weichenstellung für eine entwicklung, in entweder im gefängnis oder sind unter
strophale entwicklungen geben, die nie- der gesellschaftliche widersprüche militä- staatlicher aufsicht ...
mand, auch sie nicht, kontrollieren kön- risch niedergewalzt werden ... 63 millionen amerikaner sind ohne
nen. wir gehen davon aus, daß es in allen ge- krankenversicherung.
genau da muß heute radikale politik an sellschaftlichen bereichen dieser stadt ... die inneren stadtbezirke ... die
jedem zentralen punkt der auseinanderset - menschen gibt, die eine solche entwick- teilweise kriegsschauplätzen oder elends-
zung ansetzen, eingreifun, es ist ein wi- lung nicht wollen, für die menschliches gebieten in der 3. welt gleichen ...
derspruch, aus dem sie nicht mehr heraus- leben nicht nichts ist und politik durch (faz)
kommen. krieg zu ersetzen keine perspektive. die
ihre vision von einer abgeschotteten ,in- einzig vernünftige lösung ist: .uns die häu- seit den frühen 80ern gibt es in der nach-
sel' oder bestimmten ökonomisch poten- ser. barschaft brooklyns vermehrt auseinan-
ten ,kernen' weltweit und in westeuropa dersetzungen zwischen schwarzen und
selbst (eine ,insel', auf der sich die bon- koreanern, ob in hadem, queens oder
ien, die politiker, die junge upper dass zu rassismus - jeder-gegen-jeden im auch in anderen us-städten wie atlanta,
einbunkern) - überlebenskampf - krieg in den chicago und washington. oft reicht nur ein
und drumherum eskalierendes elend, metropolengesellschafien und wie das mißverständlicher blick ... der streit um
gewalt, zerfiill- in der bürgerlichen presse hier auftaucht einen preis ... unter der oberfläche gärt
wird nicht funktionieren. (alle artikel sind von april / mai '90) der unmut darüber, daß es koreanischen
in dem zusammenhang stehen heute einwanderern offenbar gelingt, in ökono-
auch die häuserkämpfe, oder besser: sie großbritannien misch schwachen, schwarzen stadtteilen
könnten, wenn es politisch entwickelt ein florierendes händler- und kleinunter-
wird - und es ist genau, wie ihr gesagt ... häftlinge in 20 anstalten folgten dem nehmertum aufzubauen. "die schwa rzen
habt (vom hafen): ,vernünftige lösun- beispiel von manchester und revoltierten. leute hier sind aufgebracht und maßlos
gen', darum gehts. demonstrationen gegen die neue kopfsteu- enttäuscht. viele von ihnen haben ein le-
sie haben keine. er arteten in orgien der gewalt aus ... ben lang davon geträumt, so einen kleinen
in kleinstädten kommt es neuerdings laden aufzumachen ... aber ihnen wird

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systematisch der zugang zu versicherun- verlorenem posten ... die behörden "schwarze raus" ... die re-
gen und kapital verweigert" ... bisher selten gab es massenfestnahmen wie am aktionen der bevölkerung ließen nicht auf
~rliefen appelle, sowohl an ko~erIn- letzten sonntag ... mehrere rivalisieren- sich warten. hunderte von personen zogen
nen wie an schwarze, sich doch als mino- de "zulu-stämme" hatten sich abends im durch die stadt, blockierten den verkehr
ritäten und gemeinsam als opfer von un- noblen büroviertel la defense vor einer und forderten die geschäftsleute drohend
terdrückung zu begreifen, im sande ... diskothek versammelt, nach einer halben auf, den schwarzen keine waren mehr zu
(taz) stunde palaver lieferten sich 200 von verkaufen. einzelne dunkelhäutige pas-
ihnen eine schlacht, bei der ein 19jähriger santen wurden verprügelt. am nachmittag
frankreich aus mali totgeprügelt wurde. 27 zulus im rückten 300 demonstranten gegen das p0-
alter von 15 bis 27 jahren stürzten sich lizeipräsidium vor und forderten die aus-
der soziologe pierre boudieu über immi- daraufhin in die metro und "regten" sich weisung der 25000 illegal in genua leben-
gration, rassismus: ab, indem sie einen 24jährigen fahrgast - den afrikaner und asiaten. sprechchöre
... die immigranten der 2. oder 3. ge- ebenfalls ein schwarzer - überfielen ... riefen "wenn ihr es nicht fertigbringt,tun
neration aus dem maghreb sind meistens an den wochenenden sind die vorortzü- wir es". die spannungen steigerten sich,
völlig abgeschnitten von ihren kulturel- ge fest in zulu-hand. "nach 20 uhr kon- als die studenten flugblätter verteilten, auf
len, sprachlichen und religiösen traditio- trolliere ich nicht mehr", erklärt ein met- denen zu lesen war: "wir sagen nein zum
nen ... ro-beschäftigter ... "ich lasse mir doch ~eg der armen. die tat eines verrückten
bis zu den 60ern ... lebten die franz0- nicht für einen fahrschein die fresse ein- darf nicht zu menschenjagd führen."
sen ... in der illusion, daß die immigran- hauen." runde 70 % der "arbeitsunfiille" vergebens hatten dio bewohner bisher
ten nur vorübergehend blieben ... bei der metrogesellschaft fallen unter auf die menschenunwürdigen verhältnisse
diese illusion ist nach und nach zusam- "gewalttätige angriffe" doch die mei- im zentrum hingewiesen. die einwanderer
mengebrochen, weil die immigranten ihre sten opfer der zulus (und anderer jugend- leben in verlassenen lagerhäusern zusam-
frauen und kinder nachkommen ließen - banden) sind andere jugendliche. manche, mengepfercht, in denen es nicht einmal
und blieben ... die modische kleider anhaben, werden toiletten gibt.
diese bevölkerung wurde von der krise während der fahrt bis auf die unterhose (fr)
und arbeitslosigkeit mit voller wucht ge- ausgezogen. in corbeil etwa gehört gewalt
troffen. selbst mit den besten zeugnissen zum alltag der oft arbeitslosen zulus. "ge- das sind jetzt nur einzelne "blitze", und
werden sie bei der arbeitssuche benachtei- walt ist für sie nur ein verhalten", erklärt wie gesagt, alles aus zwei monaten letztes
ligt, ebenso bei der wohnungssuche ... ein polizist, "sozusagen eine lebensein- jahr - ich habe hier inzwischen berge sol-
so entstand eine bevölkerung, die kollek- steijung". cher artikel, auch zu spanien ...
tiv entwertet und stigmatisiert wurde ... (sz)
all dies hat, wie bei den schwarzen in den und zum schluß noch was von hier, ex-ddr
usa, die delinquenz gefördert, jene form sie nennnen sich "schwarze dra- (frUhjahr 90)
des sozialen kampfs oder des bürger- chen", "sekte abdullah", oder "letzte
kriegs, jene formen ... die die jungen schweinehunde", ihr revier ist der norden ... in forst machten aufgebrachte ddr-
immigranten dem öffentlichen bann aus- von paris, ihre opfer suchen sie sich in den bürger jagd auf ein vietnamesisches mäd-
setzen. und davon am meisten "betrof- vorortzügen. mit pistolen und messern chen, das in der örtlichen kaufhalle fleisch
fen" sind - real, aber insbesondere in bedrohen sie fahrgäste und fordern geld, und reis erstanden hatte. "du kaufst unse-
ihren phantasien - wieder die am meisten schmuck, kameras ... "zulu-banden", re läden leer", lautete der vorwurf der
benachteiligten der herrschenden gesell- jene gruppen von schwarzen jugendli- verfolger.
schaft : die armen "weißen" ... chen, die vor den toren der hauptstadt .. ; imjanuar meldete ... die ost-"ber-
(taz) mindestens einen überfall täglich bege- liner zeitung" :
hen. die banden haben etwa 2000 mitglie- nicht selten waren in diesen wochen
le bosquet. die leute in montfermeil nen- der im alter von 12bis 25 jahren ... empörte oder auch tränenerstickte stim-
nen den ort schlicht "das ghetto": 1550 in argenteuil, nordwestlich von paris, men in gebrochenem deutsch amredak-
wohnungen, 9000 einwohner, davon hat die polizei jetzt eine der banden ... tionstelefon zu hören, die.berichteten, wie
85 % ausländer, 32 nationalitäten. teilweise ausgehoben. 16 jugendliche, ihnen das halbe pfund wurst oder das eine
... von nun an sollen wohnungen in le davon 6 minderjährige, wurden festge- paar damenstrümpfe wieder aus dem ein-
bosquet nur noch an franzosen vergeben nommen. der anführer, in bandenkreisen • kaufskorb genommen worden war.
werden. der erfolg? "drüben in bau zwei nur "skorpion" genannt, gibt zu, mit sei-
stehen jede menge wohnungen leer, weil .ner gruppe etwa 200 überfiille in vorortzü-
kein franzose einziehen will. also kom- gen begangen zu haben. der. 22jährige VI
men die afrikaner mit ihren falschen pa- nennt seine truppe eine "paramilitärische
pieren, brechen die türen auf und blei- stadtguerilla" ... "ich bin kein kriminel- aus einem briefvon helmut, okt. 91
ben", meint der 17jährige farid ... "die ler, ich wende nur das bandenrecht an",
afrikaner von drüben" sind die buhmän- sagte er nach seiner festnahme. die 50 man kann sich nichts überlegen im sinn
ner von farid und seinem clan maghrebini- gramm haschisch, die er bei sich trug, von traditioneller ,analyse'. es ist gar
scher jugendlicher ... noch sei es in le seien für den "gebrauch der truppe" be- nicht möglich, so etwas politisch relevan-
bosquet nicht zu bandenkriegen gekom- stimmt ... tes zu bringen ...
men wie in anderen siedlungen. aber es "die welt kennt keine gnade für uns, richtig rausgesprungen ist das für mich
herrscht kalter krieg. man spricht nicht unsere einzige chance ist, uns zu verei- beim besuch von r. hier vor ner weile, sie
miteinander ... nen" sagt ein bandenmitglied. hat es genau so gesagt, "im sozialen", in
(taz) (faz) der bedeutung: da findet es statt, da muß
die politik laufen. das ist aber eine völlig
"zulus" ... locker organisierte banden italien leere aussage. es ist eine aus den ideologi-
schwarzer jugendlicher aus den pariser schen / politischen auseinandersetzungen
vororten / schlafstädten ... in der hafenstadt genua explodiert der ras- der 70er jahre, wo solche bestimmungen
noch heute denkt die pariser polizei mit senhaß. der aploklauf eines tunesiers hat für den ansatz ,von außen' wegen mir
schaudern an den vergangenen sommer jetzt .,. in genua einen kleinkrieg zwi- sinnvoll waren (oder auch nicht). nur jetzt
zurück, als mehrere hundert skins und zu- schen der bevölkerung der altstadt und gehen sie ganz und gar vorbei.
lus aufeinander losgingen. weil die den illegalen einwanderern aus afrika und nicht nur, weil es nicht stimmt, weil
"schlacht" in einem türkenviertel des asien ausgelöst. schon in der vergangen- zwar richtig ist, daß der ganze druck die
vorortes corbeil stattfand, mischten bald heit führten reibereien zwischen farbigen sozialen auseinandersetzungen (was ist
türkenbanden mit, und die herbeigeholte händlern und den bewohnern der hafenge- das auch nicht?) multipliziert und ver-
polizei stand zwischen den fronten auf gend zu prügeleien und der forderung an schärft, also da viel laufen wird, aber ge-

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nauso findet das an allen ecken und enden durch ko., die eben genau dieses problem tarifverträge, die einige industriezweige
statt, man muß ja nur an den interventi0- in ihrer wirklichkeit hat, ist mir das noch- haben und der lohn, den ein qualifizierzer
nismus denken oder an die flüchtlinge. mal deutlich geworden. arbeiter erhält, und eine andere ist der
aber den punkt finde ich überhaupt schon du weißt ja, hast das auch schon mal ge- lohn einer uruguayischen lehrerin. zu
bei dem blick: in dem der reale politische schrieben, es gibt in berlin, aber auch welcher welt gehören diese lehrerin und
bereich nach kriterien der politischen oder sonst, diesen konflikt zwischen den ,al- dieser qualifIZierte arbeiter? können wir
soziologischen wissenschaft in torten- ten' und den ,jungen / neuen'. der drückt fortfahren, die arbeiterInnenklasse als
stücke zerlegt wird und dann der bestimmt sich meistens in ner auseinandersetzung homogenes ganzes zu betrachten, ohne zu
wird, von dem aus sich veränderungen für um die ,militanz' aus. aber das ist nur die beachten, daß es sektoren der arbeiterIn-
oder zu allen erreichen lassen. äußere schicht von diesem widerspruch. nenklasse gibt, die beginnen, sich an den
da hast du im besten fall im kopf was es ist einmal in wahrheit die radikalität, vorteilen der ersten welt zu beteiligen?
,klar', was nur heißen soll, eine interpre- die in die militante praxis reingelegt wird, natürlich hat dieser arbeiter klassenwider-
tation der wirklichkeit, ne ordnung im also verbunden und dafür genommen. und sprüche zum bourgeois, aber es sind nicht
denken, aber sonst hast du gar nichts für außerdem ganz einfach ein sich-mcht-ver- die gleichen, die ein müll sammler hat
jetzt. stehen. im ganzen. wie die einen und die oder ein arbeiter, der 100 dollar im monat
es geht nicht darum. anderen reden, ihr ganzer lebensstil aus verdient. und das passiert so oft weltweit
ich habe zu ko. gesagt: man muß sich den unterschieden, wo sie herkommen wie national, weil es auch in den zentral-
überhaupt erstmal finden. sich, die per- usw. , alles. Iändern eine zweite welt gibt, wie. in der
sonen, die zusammenhänge. man muß das heißt beides eben das ,sich finden bronx oder in harlem oder in den vierteln
wissen, was man aneinander hat. müssen', das ich vorher meine. das geht von clucanos oder in bestimmten vierteln
das ist nicht bloß eine voraussetzung, nur in dem, was jeweils läuft. es geht nicht von hamburg, von berlin oder zürich, dort
das ist viel mehr, das geht jetzt an eine an- in solchen theoretischen zauber-schlüs- siehst du auch eine zweite welt mit ihren
dere verbindlichkeit in der politik als bis- seln. das geht völlig an der situation vor- eigenen gesetzen, ihrer eigenen privaten
her. viel direkter von den leuten her. das bei, damit hat man nichts. polizei, die sich mafia oder capanga
ist wichtig. und da, in dem prozeß, bil- nennt. und der zentrale kapitalismus hat
den sich auch die bestimmungen der poli- entschieden, daß dies so sein soll. dann in-
tik raus. die werden an dem klar, daß es VII teressiert die ddr, und sie haben entschIe-
ganz direkt die gemeinsamen sind. den, sie geschlossen in die erste welt zu
man muß sich am verständnis von dem aus :,notizen einer reise' von übernehmen. aber es interessiert sie nicht,
finden, was ist, darüber sich und da- eleuterio fernandez - el nato - von den ob es in jugoslawien bürgerkrieg gibt oder
mit/darin die konkreten bestimmun- tupamaross - nach seiner reise daß die löhne in polen unter die von tai-
gen der politik finden. durch westeuropa, in einem gespräch : wan fallen. das ist kein problem der ersten
da muß man durch. sonst ist nur luft. welt, weil das modell des wirtschaftlichen
über nen weg von einer nach der anderen - ... es gibt ,zwei welten', und das ist neoliberalismus, das heißt des modemen
konkreten klärung ne politische kontur kein ergebnis einer krise des kapitalis- kapitalismus, in sich katastrophal ist, da,
zusammenkriegen. anders kann ich mir mus, in der dieser beschloß, daß es zwei wenn sich utopische versprechungen er-
das ,wie kriegt man jetzt nur ne diskussion welten geben solle und in jeder dieser wel- füllen würden, der planet unterginge.
hin' nicht vorstellen. ten soziale klassen und klassenkampf. wenn z. b. den hindus einfallen würde -
ko. hat es so gesagt, und a. schreibt das aber es sind zwei ausgestaltungen der und sie es machen könnten -, die gleiche
ja explizit in dem brief auch - es findet welt, die täglich mehr auseinandergehen. menge von autos zu verbrauchen wie die
keine diskussion statt (und so kann auch die erste welt, die du in deutschland deutschen oder die japamir, wäre der pla-
unsere nichts werden). siehst, im entwickelten europa, siehst du net innerhalb von48 stunden durch luft-
man muß, denk ich, sich ganz grund- auch hier, in carrasc06, in den shopping verseuchung am ende, der kapitalismus
sätzlich davon lösen, daß ,diskussion' so centers. dort gibt es auch bourgeois, yup- weiß, daß sein modell nur für eine min-
ein akt großer klärung sein könnte. eine pies, arbeiterInnenklasse und klassen- derheit des planeten ist, deshalb schafft er
vorstellung, die ,automatisch' immer dar- kampf, aber auf einem bestimmten ni- private polizei, schnelle eingreiftruppen
in steckt. veau, weil diese arbeiterInnenklasse be- - die nato wird sich dazu verwandeln-,
das kann jetzt gar nicht gehen, weil nach wußt teilhat an den gütern der ersten welt er verschanzt, wie das mittelalter es mach-
dem doppelten schnitt in der geschichte und ihren status verteidigt. und später gibt te,den adel in seinen schlössern. und das
der ,bewegung' hier und der geschichte es eine zweite welt, die die erste "die welt sehen wir hier: immer mehr elektronische
der kämpfe ,seit' der oktoberrevolution an der peripherie mit der wirtschaftlichen alarmanlagen, privatpolizei, exklusive
(genauer ist es ja eine seit mitte des vori- unzuverlässigkeit" nennt, mit welcher viertel. das ,,18. juli viertel"8 hört auf,
gen jahrhunderts) das ganze begriffliche wir irrtümer begingen, weil wir sie mit zentrum zu sein, sie verlassen nicht ein-
instrumentarium dafür erstmal in den kon- romantischen augen angeschaut und ge- mal mehr ihr viertel, leben in der ersten
kreten, faßbaren fragen mit inhalten ge- sagt haben: "das subjekt der sozialen re- welt, die sie sich bauten, konsumieren
füllt werden muß. volution ist diese marginalisierte welt." mercedes benz ... was gerade kommt,
unter die hüte wie ,im sozialen' paßt aber in dieser welt gibt es auch den klas- genau wie in den zentralländern. ist es al-
alles mögliche, da weiß keiner, was er am senkampf, gibt es auch kapitalisten, arbei- so ein homogenes ganzes, die marginali-
andernhat. terInnen, yuppies, korrumpierte und an- sierung und die unzulänglichkeit? auch
was ich da meine, hat nichts mit ,theo- häufer von kapital, in jedem cantegril7 nicht. auch dort gibt es klassenkampf,
rielos' zu tun, es ist einfach der ansatz, der von montevideo gibt es sie. es gibt· die ausbeutung des menschen durch den men-
mehr ein altes ,linkes' bedürfnis ist als prostituierte und den gigolo, es gibt den schen und alles andere. diese zweite welt
sonstwas, alles mit so ner ,schlüssel'-ana- kleinen drogenverkäufer und den drogen- hat selbst ihre eigenen krankheiten wie die
lyse oder -theorie entwickeln zu können. händler, die kapitalakkumulation ... cholera. peru ist ein typisches beispiel für
genau dafür, für so eine ,politik' stimmt das, was die zweite welt ist. die erste welt
k's satz dann, daß davon keiner satt wird - in jeder politischen organisation ... interessiert schon kaum noch, was in peru
passiert. im gegenteil, es sollten mög-
das ist einfach das ganz konkrete pro- - und auch in der linken! genau. und das lichst viele sterben, weil der kapitalismus
blem momentan, nicht nur für uns, wie ist die große frage: zu welcher dieser zwei weiß, daß dieses sich nicht mehr regelt,
man eine diskussion in gang bringt, oder welten gehört die linke? zu welcher gehö- daß der tag kommen wird, an dem sie auf-
vielleicht besser: eine politische struktu- ren unsere geistigen und selbst philoso- dringlich werden. sie werden mit einer
rierung an einer inhaltlichen klärung der phischen kategorien? hier sagen sie dir: schnellen eingreiftruppe kommen, damit
auseinandersetzungen, die auf uns zuge- "die arbeiterInnenklasse ist ein homoge- sich die sache in dieser mietskaserne be-
flogen kommen, die man nicht raustüfteln nes ganzes" und wir haben eine arbeite- ruhigt. in den favelas9 von rio de janeiro
muß. rInnenzentrale. aber eine sache sind die siehst du die polizei schon nicht mehr hin-

16
eingehen, die ordnung regelt die mafia. zelt und gegeneinander, holen sich auf aber was es ist - daß die ,unten' im
aber außerdem produziert der kapitalis- diese weise ,brot, arbeit, würde', und das prinzip nach den gleichen methoden vor-
mus güter, die diese erste welt noch kon- brutale ist, daß die drogen-mafia mehr gehen wie die ,oben', nur nicht als ,ge-
sumiert ... was kann deutschland an die fürs überleben, schulbildung usw. ge- meinschaft', sondern jeder für sich oder
cantegriles von montevideo verkaufen? bracht hat als jede regierung und ,die lin- jede gang für sich. und so rum funktio-
coca-cola ... was weiter können sie kon- ke' oder die kirche. hier ist es ,die gang' niert es auch.
sumieren? oder eine der vielen mafias oder bei man- und es geht ja um die menschen hier. in
dieses berücksichtigend, scheint mir, chen die neo-nazi-szene. frankfurt gab es dies jahr doppelt soviel
daß du eine klassenanalyse machen mußt, die ,fremdheit' gegenüber linken politi- drogentote wie '90 - und das wird nur
die sich von der bisherigen unterscheidet; schen zusammenhängen, denk- und le- immer brutaler.
du mußt sehen, welche aktionseinheitspo- bensweisen fängt bei der einfachen frage
litik du vom sozialen gesichtspunkt her an : was wollt ihr, was soll das bringen? wenn ,die linke' hier nicht in der lage ist,
machst, du mußt sämtliche kategorien än- wenn überhaupt nicht mehr von per- auch in diesen bereichen etwas sinnvolles
dern. spektiven gesprochen werden kann, von politisch auf die beine zu bringen, wird sie
weil außerdem der sozialismus selbst irgendwas, worin hoffnungen ,verankert' in ein paar jahren nur noch ritualisierte,
als modell, oder was man als solches ver- werden können, dann erledigt sich jeder symbolische aktionen am rand der gesell-
kauft, den vers dieses katastrophalen ka- linke politische ansatz von selbst und von schaft machen.
pitalismus gelernt hat. als die uruguayer anfang an. und das ist nur ein beispiel, eine der
von einem modell träumten, träumten sie wer keine ideen, konkrete vorschläge fragen, die sich uns allen neu stellen.
von holland, auf die gleiche weise wie die zur veränderung der realen lebenssitua-
sowjets, die, als sie von ihrer entwicklung tion der ausgestoßenen hat, wer keine
träumten, ihre zuflucht in der elektrifizie- schritte mit ihnen zusammen entwickeln IX
rung, der schwerindustrie suchten und kann, die eine perspektive beinhalten und
deutschland ähnlich sein wollten, das erfahrbar machen in der unmittelbaren le- aus einem brief von helmut, januar '92
heißt, sie wollten dem kapitalismus ähn- benswirklichkeit - der kann diese ,mas-
lich sein. und das modell ist weltweit kata- sen' weder organisieren noch sie über- mir ist das schon x-mal aufgestoßen, im-
stro'phal. wenn es gelingen würde, diesen haupt erreichen. mer wieder seh ich, daß jetzt zeug hervor-
,sozialismus' weltweit einzuführen, oder und das ist hier auch schon so. seit ein kommt, das wir schon vor ein paar jahren
wenn er nur in china eingeführt wird, geht paar jahren hat das angefangen. das hat gesagt haben, aus dem aber überhaupt
der planet in den arsch. also übernehmen jetzt wenig sinn, rückwärts zu schauen, nichts geworden ist. jetzt vor kurzem,
die kubaner jetzt das fahrrad, lassen das aber für die zukunft ist es etwas wesentli- vielleicht hast du das ja auch gesehen, da
auto beiseite, trainieren 22000 ochsen, ches. kam in hessen 3 tv der robert kurz in
um die erde zu pflügen. und dort in kuba du hast doch ,krieg in den städten'IZ einem gespräch mit nem redakteur. der
gab es jemand, der sich entrüstete: "das auch gelesen. das springt einen ja gleich entwickelt ja in seinem buch1) anband von
ist fürchterlich, so entwickeln sich die an - diese ,kids' könnten, oder minde- marxistischen kriterien, daß in der globa-
produktivkräfte nicht". aber wer sagt dir, stens doch viele von ihnen, genauso in den lisierung das kapital keine entwicklung
daß das auto anstelle der fahrräder eine widerstandszusammenhängen sein ... mehr hervorbringen kann und daraus ins-
entwicklung der produktivkräfte war? gesamt gesehen ,nur' zerstörung folgt (ich
mercedes benz. zu dem ganzen noch: ich hatte dir mal ein laß mal weg, was ich an seinem buch zu
interview und einen text von ,resistance ideologisch finde). und am schluß bringt
des banlieus' aus frankreich geschickt er als einzige positive bestimmung die
(zusammenschluß von jugendlichen aus ,sinnliche vernunft' (gegen die ,abstrakte
VIII den ,vorstädten', die gegen ihre lebenssi- selbstverwertung des geldes', du erinnerst
tuation rebellieren). dich an deine ,grundrisse'-lektüreI4). da-
aus einem brief von mir, BOV. '91 die, die das angepackt haben, waren nach fragt ihn der redakteur, was er damit
schon bewußte politische leute - also die meint an einem konkreten beispiel. darauf
als ich neulich im IDEStO gelesen habe, sache war nicht als ausdruck einer allge- sagt er: eine internationale institution,
wie die wahlen in kolumbien gelaufen meinen entwicklung bei den kids zu sehen wie es z. b. die UNO sein könnte, wenn
sind: 35 % wahlbeteiligung und das - und seit sommer gibt es ,resistance sie anders strukturiert wäre, die die um-
hauptproblem der linken dort - daß 75 % .. .' nicht mehr. jean-marc .meinte, das verteilung der finanziellen, technischen
der bevölkerung, nämlich die städtischen. ganze wurde zerrieben zwischen staatli- usw. ressourcen organisiert.
massen, unorganisiert geblieben sind und cher politik, repression auf der einen und ja. du erinnerst dich an iwf-zeiten, wo
in dem sinn ,unpolitisiert', daß sich ihr vereinnahmungsversuchen von leuten wir genau das hatten. gegen diesen ,zer-
widerstand trotz der zunehmenden ver- marke ,radikale linke' auf der anderen sei- schlagungs'-mist, schlicht und einfach
schlechterung der lebensbedingungen te. georges S{;hrieb noch dazu: die kids daran orientiert, daß das geld, die techno-
ni c h t gegen die regierung, den staat rich- sind gar nicht mehr politisch zu organisie- logie rüber müssen und daß sie nur von da
tet - dachte ich, das ist eine entwicklung, ren, der überlebenskampf, die drogen, die kommen können, wo es ist. muß ich ja
mit der wir hier noch ganz massiv kon- (politisch aussehende, in wahrheit aber) nicht mehr näher sagen. das sprengt ein-
frontiert werden und zum teil jetzt schon ziellose gewalt kommen immer wieder fach diese alten vorstellungen von revolu-
sind. über alles drüber, was es an ansätzen gibt, tionär und reformistisch schon, ist nur
auch ein ausdruck davon, wie die ganze und ,die linke' hat den kids nichts zu bie- vom ,für wen' bestimmt, ob es krisenma-
situation umgeschlagen ist. das bestim- ten und nichts zu sagen. nagement fürs bedrohte internationale ka-
mende weltweit ist eben nicht: politisierte pitalsystem ist oder ein schritt für die be-
massen (bewegungen), sondern daß die ich finde das eins der drängendsten pro- freiung aus dem elend. und das muß er-
ausgestoßenen und die in den sog der krise bleme hier. alle die, die ,rausfallen' und kämpft werden. ich meine, das ist jetzt nur
geratenen gesellschaftssektoren den indi- nicht ,politisch' werden, halten den die gedankenfigur an einem griffigen bei-
vidualistischen run nach kohle, konsum, herrschenden objektiv den rücken frei für spiel für die orientierung auf der gesamt-
überleben begonnen haben. was vor 5, 6 faschistische ,lösungen'. sicher, der ver- ebene für die alternative entwicklung.
jahren sich· noch als ,kollektiver' wider- gleich zum alten faschismus ist schon von ,sinnliche vernunft' ist nichts anderes als
stand und ausdruck der allgemeinen poli- daher falsch, weil es keine ,das volk' eini- ,an den notwendigkeiten für die mehrheit
r tisierung in den kämpfen und revolten ar- gende ideologie, kein staatliches ,projekt' der menschen orientiert'. im gegensatz
t tikuliert hat, ist umgeschlagen. ,mit gott für die gesamte gesellschaft mehr gibt, zur kapitallogik.
und dem medellin-kartellu' ... so kämp- mit dem die ausgestoßenen sich identifi- und das jeweils im konkreten aus den
) fen die besitzlosen und die, die dem west- zieren. was läuft, ist ja grad das gegenteil bedingungen, also nicht über einen leisten
lichen konsum hinterherrennen, verein- z. b. von ,volksgemeinschaft'. zu hauen. kein schema, kein modell.

17

j,....
,fiir die menschen', das klingt schnell so auseinandersetzungen entstehen ..
. .. humanitär und herzallerliebst, und das wird in diesen marxismus-am-ende-
deshalb lesen da die meisten auch schnell debatten immer ideologisch aufgezogen,
drüber weg wie ,sowieso klar', es bedeu- natürlich herbeigefiihrt vom ergebnis der
tet aber knallharte auseinandersetzungen erstarrung in den sozialistischen staaten.
am konkreten, materiellen inhalt. in der der materielle punkt dabei ist aber die
konsequenz, wenn man es sich als weiter- vervielfachung der widersprüche und ihre
gehende entwicklung vorstellt, eben um- vertiefung bis in den kleinsten bereich
wälzung, aneignung. rein im ergebnis der totalisierung des sy-
das finde ich bei k. völlig fillsch, wenn stems.
er sagt, das sind nur umverteilungen, das und das muß sich erst in den konkreten
geht über die systemgrenzen nicht raus. auseinandersetzungen ein stück entwik-
genauso und nicht anders stelle ich mir keIn, damit der politische prozeß wieder
den prozeß vor. der läuft unweigerlich, wind in die segel kriegt.
auch wenn es zuerst oder an einzelnen ... es muß über eine reihe von ausein-
punkten spielräume für beide interessen- andersetzungen erst faßbar werden. und
seiten gibt, auf den antagonistischen ge- das hängt halt stark davon ab, daß auch of-
gensatz raus. eine entwicklung in der fen wird, daß nicht nur die historischen
orientierung sprengt das system. sozialistischen modelle nicht ,gehen',
also das ist ein zentraler ,eckpunkt', den sondern daß dieser historische einschnitt
wir schon jahrelang haben, über den genauso bedeutet, daß das globalisierte
kommt man so auch nicht raus, weil er je- kapitalsystem auch nicht ,geht'.
desmal, wie du auch schreibst, konkret
ausgefiillt werden muß. es hat mich nur 1 ronald schemikau in: "die tage in 1."
wieder gestoßen, als ich gesehen habe, 2 vorschlag des us-finanzministers nicoIas
wie genau das rauskommt, wenn einer wie brady vom april 1989,der nach dem scheitern des
der r. kurz so eine theoretische grundana- baker-plans tiir die 39 "entwicklwigsländer" mit
der höchsten verschuldung erstmals einen teilwei-
lysemacht. sen schuldenverzicht vorsieht: neue kredite von
da hängt so viel dran. wenn damit ernst iwf und weltbank sollen den rückkauf von schul-
gemacht ~rde, würde es die ganzen er- dentiteln (allerdings nur von den internationalen
starrten strukturen umpflügen, es wäre geschäftsbanken) zu im einze1fall auszuhandeln-
die viel beschriebene orientierung ,in die den ermäßigten bedingungen ermöglichen.
breite' an inhaltlichen konkreten be- 3 ernesto "ehe" guevara, argentinischer arzt
stimmungen statt an ideologischen oder und revolutionär, kampfgefährte castros, 1967 in
bolivien ermordet.
mythischen (,das volk', ,die massen'), es
4 umgangssprachliche französische bezeich-
wäre in jeder konkreten auseinanderset- nung tiir polizist
zung die ganze politisch-inhaltliche aus- 5 revolutionäre organisation in uruguay
einandersetzung um das system, die frage 6 \Whngebiet der reichen in montevideo mit
der mittel käme auf die fiiße, indem man vornehmem badestrand und nicht weit entremtem
sich nach der bestimmten lage entscheidet internationalen flughafen
usw. 7 armutsviertel von montevideo
das ist also ein kern fiir den blick auf den 8 geschäfts- und einkaufSzentrummontevideos
stoff. 9 elendsquartier, slum
10 informationsdienst el salvador; wöchentlich
fiir die strukturelle seite, wie sich der inberlin erscheinendes info
prozeß entwickeln kann, da ging es mir 11 kolumbianische kokain-mafia (medellin:
grad genauso, eine grundbestimmung von zweitgrößte stadt im norden kolumbiens)
der wir jahrelang reden, kommt mir da als 12 ldaus fiuin, eberhard seidel-pielen: krieg in
,allerneuestes' aus der "FR" entgegen. den städten. jugendgangs in deutschland, berlin
eine buchbesprechung, laclau/mouffeH, 1991
hast du vielleicht auch gelesen. 13 roben kurz: der kollaps der modernisierung.
vom zusammenbruch des kasernensozialismus
,auch die hegemonie, die herstellung
einer neuen dominierenden zusammenset- zur krise der weltökonomie, frankfurt 1991
14 kad man: grundrisse der kritik der politi-
zung gesellsclulftlicher kriifte ... ' schen ökonomie, berlin (ost) 1953/1974
hier kann man auch schon relevante 15 laclau, ernesto; mauffe, chantal : hegemonie
politische kraft sagen, oder eine, in der und radikale demokratie. zur dekönstruktion des
das steckt, marxismus, 1991
" ... muß nach ihnen neu gedacht wer-
den. hegemonie ergibt sich nicht zwangs-
läufig aus eindeutigen interessen ... "
da geht es um die traditionelle hierar-
chisierung der widersprüche, haupt-ne-
ben-usw.
;,sDndern ist resultat von artiku-
la t ion e n. artikulationen als ein zentral-
begriffmeint die in sozialen, politi-
schen auseinandersetzungen er-
zielte zusammenfügung von so-
zialen praxen."

das ist genau, was ich denke. daß eine ver-


ändernde - und jetzt auf dem realen bo-
den der ,einen' globalen situation stehen-
de - kraft entsteht, kann nur als produkt
- ,resultate' haben wir früher gesagt -
aus vielen unterschiedlichen konkreten

18
Knut Folkerts auf die freund-feind-erkennung verdichte-
te. inzwischen gibt es dank der hilfe wie-
dereingemeindeter 68er nicht wenige my-
Das Wesentliche ist der stifikationen. die vorstellung, politik wäre
das bestimmende, ist eine ideologische il-
lusion, die in der phase kapitalistischer
gesellschaftliche expansion entstand, in der politiker als
subjekte der kapitalbewegung, als freie
willens- und entscheidungsträger erschie-
Aneignungsprozeß nen. im kapitalismus gab es aber niemals
das primat der politik. - sie war immer
funktion und abgeleitete sphäre des mark-
Aus Briefen vom August und November 1991 tes und dessen verwertungslogik, in der es
kein subjekt gibt außer dem blinden
zwang zur selbstverwertung von kapital.
I dann auch endlich welche aus ihrem kon-
kreten prozeß).
politiker entscheiden nicht über die öko-
nomie, sie werden von der systernlogik
august 1991 huidobro, der aus einem kampfzyklus getrieben. ,sachzwänge', denen gegen-
kommt, in dem in lateinamerika in den über es keine entscheidungsfreiheit gibt.
viele fragen: was kann politik überhaupt letzten 25 jahren zehntausende ums leben es geht nur um den weg ihrer optimalen
sein? - der staatssozialismus ist am ende, kamen und hunderttausende gefoltert durchsetzung. das ist die politik aller par-
die linken mit ihrem politikmachen auch, wurden, fragt genauso nach der organisie- teien. zur ablenkung ihrer tatsächlichen
und die bourgeoisie klagt in den feuille- rung und stellt anschließend fest: "das inkompetenz wird politik als das mediale
tons: die politik stirbt. - merkwürdige organisationssystem der linken in affentheater inszeniert, ,volksnah' oder
gleichzeitigkeit, vielleicht ist politik über- deutschland ist leicht infiltrierbar." es wie von grünen als ,neue zivilität' (die zu-
haupt am ende. antwortet ihm der scenekretinismus, die gleich die geschichte entsorgt). das aussit-
die frage hat also eine größere dimen- abwesenheit jedes ziels und dessen ernst- zen ist nicht nur die persönliche eigen-
sion. auf unserer seite reflektiert sie, daß haftigkeit: "macht nichts, diepolizei ver- schaft einer figur, sie ist die inkarnation
eine ganze historische phase, die im okto- steht uns eh nicht." dieses grundsätzlichen zustands.
ber '17 begann, endgültig zu ende gekom- inzwischen sieht es ja so aus, daß unsere (und wenn irgendwo entscheidungen
men ist (lenin gab der russischen revolu- kritik an der parteifdrmigen organisie- getroffen werden, so nicht in bonn, son-
tion keine chance, wenn nicht die revolu- rung, die eine praktische war, verbal miß- dern in international operierenden bank-
tion in deutschland hinzukommt - immer braucht wird, um verbindliche und wirk- häusern in ffm. diese trockene einschät-
im blick den weltrevolutionäret'l prozeß). same organisation auf der höhe der zeit zung eines insiders über die brd-wirklich-
das erste sozialismusexperiment unter- mit klischees abzuwehren wie: wir wollen keit: die tatsächlichen entscheidungsträ-
liegt im zusammenbruch der sozialisti- kein zk, kein politbüro. nach 20 jahren ger umfassen nicht mehr als 3000 perso-
schen staaten. und mit ihnen die politik, kann der großteil der linken keine antwort nen, die oberste spitze, die über die le-
zu der die ,neue linke' sich im wider- auf die organisationsfrage geben (was bensbedingungen von millionen men-
spruch sah, dessen grundlage sie aber nie auch nur noch auffiillt, wenn revolutionä- schen hier und weltweit bestimmt, ist ein
wirklich überschritt. re aus anderen kontinenten danach fra- bruchteil davon. von politikern war dabei
jede negation fordert, um zu einer wirk- gen). es ging nie darum, kein politbüro zu überhaupt nicht die rede. über die spre-
lichen zu werden, im praktischen leben wollen. es geht immer um die materielle chen sie nur verächtlich.)
eine neusetzung. es hat sie kaum gegeben, aufhebung im neuen, um das, was wir wenn sie mal eine politische entschei-
und so ist es auch kein wunder, wenn alles brauchen, um die revolution machen zu dung treffen (natürlich nicht ohne die
im krisensog versinkt. unsre neusetzung können. aber wo es keine gesellschaftli- deutsche bank vorher gefragt zu haben),
war die metropolenguerilla, als bruch der chen ziele gibt, braucht es auch keine or- wie es die ,wiedervereinigung' ist, dann
herrschenden systemrealität, aus der kon- ganisierung. wofür auch? eine ähnliche werden sie schnell von der harten realität
sequenz der historischen niederlagen masche wird von einigen auch gestrickt ihrer eigenen marktgesetze eingeholt.
durch systematische entwaffnung des be- mit (unsrer) kritik an militaristischen ab- statt wirtSchaftlichen gewinn wird die
wußtseins und des handelns - eine an- weichungen und denkweisen. ddr-annexion die krise reinziehen und
griffsposition, die in der praktischen be- aber zurück zur ausgangsfrage nach der verschärfen.
wegung die neue grundlage herausbildet. politik. die krise der politik wird von der politik als bürgerliche subjektforrn ist
wie weit wir damit gekommen sind, wäre krise des weltmarktes angetrieben. der geschichtlich ebenso überholt wie die
teil einer umfassenden auseinanderset - osten ist (auf der gleichen ökonomischen staatssozialistische entsprechung. eine
zung. basiskategorie der warenproduktion) nach leiche kann man nicht wiederbeleben. wir
"wird die deutsche linkeemeut histo- den sog. entwicklungsländern in der inter- müssen also den begriff des politischen
risch versagen?", fragt huidobro1 (im nationalen konkurrenz kollabiert. die all- auf neuer grundlage definieren, im bruch
beWußtsein, welcher genocid diesem ver- gemeine krise rückt vor, die zentren wer- zum vorherigen und mit perspektivischer
sagen folgte). dhoruba:2 "bush 's neue den nicht mehr länger das ruhige auge des weitsicht.
weltordnungbedeutet, daß wir nicht mehr hurrikans bleiben (der bürgerkrieg in ju- der umwälzungsprozeß wird revolutio-
viel zeit haben." auf seme frage, was sie goslawien, in der äußeren form ein natio- näre politik brauchen. aber das ziel ist
vorhaben und wie sie organisiert sind, be- nalitätenkonflikt, dessen kern aber ökono- nicht politik, sondern soziale revolution.
kommt er erstmal zur antwort: "er soll mische und soziale krise ist,. ist nur noch sie beinhaltet in der zielperspektive die
mal langsam machen ... man muß ihn ein paar hundert kilometer entfernt). abschaffung jeglicher politik (wie die ab-
mal darauf hinweisen, daß es die leute politik als suche nach lösungen für ge- schaffung von staat und aller besonderen
hier ziemlich ermüdet ... organisierenist sellschaftliche und zwischenstaatliche formationen ... ) durch die wiederaneig-
ein abstrakter begriff .. :' - eine kon- konflikte wird durch militärische mittel nung des gesamten sozialen lebens durch
krete frage, und die deutsche linke ver- ersetzt. zur beantwortung der frage, wie die menschen. ihre selbstbestimmung
steht nur ,abstrakt' und bahnhof. fühlen politik heute in auseinandersetzungen nach eigenen gesellschaftlichen kriterien.
sich "fürchterlich angegriffen". ein spie- (überhaupt noch) eingeführt werden " ... erst wenn der mensch seine
gel der linken metropolenkrankheit, die kann, ist ein historischer begriff nötig. eigenen kräfte als gesellschaft-
ihre entfremdung nicht mal mehr spürt obwohl man es mit dem faschistischen liche kräfte erkannt und organi-
und ihre selbstwahrnehmung routiniert staatstheoretiker carl schmitt kurz fassen siert hat und daher die gesellschaft-
blockiert (nachdem er immer wieder klar könnte, der schon lange vor dem tausend- liche kraft nicht mehr in der ge-
auf die frage zurückkommt, antworten jährigen reich den begriff des politischen stalt der politischen kraft von
19
sich trennt, erst dann ist die menschli- zentrierte zusammenfassung gesellschaft- letariats brachten den faschismus hervor.
che emanzipation vollbracht", sagt licher kräfte sein und vielfältiger (strate- höchste zeit, die gefahr wie auch die offe-
unsmarx. gisch orientierter) basisprozesse (jede ba- ne möglichkeit zu erkennen.
er spricht von sozialer emanzipation in sisinitiative mitverantwortlich für den auch wenn wir wenige sind. das ständi-
einem bewußtwerdungs- und organisie- strategischen gesamtprozeß) - zur durch- ge krisengerede der übriggebliebenen lin-
rungsprozeß (!), in dem der abstrakte, iso- setzung unmittelbarer bedürfnisse und ken vermauert die potentiellen fähigkeiten
lierte einzelne zum wirklichen gesell- langfristig fundamentaler umwälzung. als von jeder und jedem. jeder solle seinen ort
schaftlichen individuum wird, das in sei- die jeweils nach vom getriebene orientie- bestimmen und initiative ergreifen.
nem alltagsleben, seiner tätigkeit und in rung, um das herrschende machtsystem die herrschenden verhältnisse und de-
seinen beziehungen seine von der waren- zurückzudrängen und in der aufhebung zu ren mystifikationen können nur im aufbau
furm gefesselten kräfte freisetzt. wirkli- zerschlagen. sozialer gegenmacht überwunden wer-
che individualität Ikollektivität I gesell- die existentiellen probleme sind in der den. gegen das universum der ware-geld-
schaftlichkeit bedingen sich wechselsei- alten form nicht zu lösen. das system beziehungen vergesellschaftet sie neue
tig. jede/r als aktiver fuktor im histori- türmt waren, trümmer und leichenberge bedürfnisse (die nicht käuflich und absor-
schen prozeß und dessen produkt. jede/r auf - wir müssen die richtung ändern. bierbar sind). aber nicht als politik der
produzent einer neuen wirklichkeit, worin die ,one-world' des kapitals kann die vermittlung. sie schafft die vermittlung
,,das gesellschaftliche entstehen des neu- weltbevölkerung überhaupt nicht inte- gerade ab.
en menschen seine faktische synthese aus grieren - siehe 40 jahre ,entwicklungs- ohne machtformen ist alles idealismus.
allen einzelbestrebungen ist" (lulaics). politik' zum elend. was die geschichtlich der feind ist hochorganisiert und hat zu-
einer realität, in der abstrakte, getrennte gleichgültige und ewige form sein und künftige lagen antizipiert. wie die ge-
sphären aufgehoben werden und neben bleiben soll (die erde als scheibe), bedeu- schichte lehrt, ist er zu allem bereit. be-
der es keine sinnvolle lebensweise gibt tet nach deren logik, daß millionen men- wußtsein ist immer mit organisierung ver-
(das würde auch ihre anziehungskraft aus- schenleben überflüssig sind - der ver- bunden. und so war die frage von dhoruba
machen). nichtung ausgeliefert. das ist der zusam- und huidobro nach der organisierung zu-
die historische überholtheit von politik menhang zwischen entscheidungen der gleich die frage nach dem bewußtseins-
zeichnet sich auch in den ländern nationa- zuvor erwähnten eliten und beispielsweise stand der linken hier.
ler befreiungsbewegungen ab: keine poli- den todesschwadronen gegen straßenkin- ich hoffe, mein brief hilft bei der be-
tik macht die hungernden satt. die macht der in lateinamerika ; oder der zwischen stimmung und gewichtung, was politik
des weltmarktes setzt jeder bewegung dem iwf und der cholera. heute für uns sein kann - und was nicht.
grenzen, solange sie nicht in globaler ein- aus der geschichte wissen wir, alles natürlich ist er abstrakt. die konkretion
heit und bewegung aufgehoben wird. ,so- wird wieder aufgesaugt, das nicht die sy- wäre mir auch lieber.
zialismus in einem land' war immer eine stemgrundlage durchbricht. nur eine star- die gegenwärtige situation, so einzigar-
praktische unmöglichkeit. ke kraft kann die alte form sprengen. mit tig sie auch sein mag, wurde von marx
politik ist überlebte furm des warenpro- weltanschauung ist da nichts zu machen. schon mit großer präzision und weitsicht
duzierenden systems - und dessen irr- es geht um den prozeß, worin menschen vorausgedacht : die geschichte, die wie
sinn, bei höchster produktivität die größte sich und die gesellschaftliche materie ein alp auf den schultern lastet. im ende
existentielle not, zerstörung, ausgrenzung umwandeln. dieser prozeß benötigt eige- des realsozialismus bestätigt sich, daß so-
und verunsicherung hervorzubringen. ne orte und zeit - außerhalb und gegen ziale revolutionen nicht der vergangen-
was wie naturgewalt erscheint, ist de- den herrschenden konsens und den nor- heit, sondern nur der zukunft ihre eigene
struktiver ausdruck der möglichen eman- malzustand. aber in dieser gesellschaft. poesie entnehmen können: sie müssen
zipativen aufhebung. aber diese seite der grenzüberschreitende pmxis und kommu- sich der abergläubischen treue zu der ver-
krise wird kaum wahrgenommen. alle, die nikation zur produktion sozialer ge- gangenheit entledigen.
in den letzten monaten aus anderen län- brauchswerte, worin menschen zu sich jede/r kennt es, weil oft zitiert. aber
dern herkamen, sagten: es steht in finden können. durch die befreiung der gucks mal genau an, was er darin mit je-
deutschland eine große krise bevor - was zeit zur befreiung des raumes. dem satz, mit jedem wort sagt: soziale re-
macht ihr? es ist die krise, die eine soziale die machtdemonstrationen des staates volutionen verspotten erbarmungslos die
umwälzung überhaupt erst möglich wer- sollen behaupten: es gibt keine entwick- schwächen und fehler ihrer ersten versu-
den läßt. neue ideen sind die töchter, nicht lung außerhalb ihrer bestimmung. eher che, ziehen sich ständig zurück, er-
die mutter der krise. soll alles erstarren, als daß etwas neues schreckt von der unendlichen größe ihrer
politik ist aller erfahrung nach herr- auflebt und aufscheinen könnte. eine eigenen ziele, bis die situation entsteht, in
schaft und inkompetenz. sie reproduziert wirkliche politisierung müssen sie fürch- der jede rückkehr unmöglich ist und die
entfremdung. davon müssen wir ausge- ten - als frage und bestimmung des sozia- umstände selbst schreien: hic rhodos -
hen. aufspürbar sind elementare lebensbe- len sinns gegenüber dem sinnlosen und hic salta!3
dürfnisse im kampf um konkrete verände- destruktiven selbstlauf der kapitalverwer-
rungen, hier und jetzt in der konfrontation tung in allen bereichen.
mit den herrschenden verhältnissen. um es ist aber nicht primär der staatliche 11
etwas als befreiend zu erfahren, muß man gewaltapparat, der veränderungen ver-
es auch erleben können, muß die spur dar- hindert. vor allem steht die selbstentfrem- november 1991
in enthalten sein . dung, die in der metropole vermutlich am
das wesentliche ist also nicht politik, es tiefsten geht. jetzt wird darüber entschie- . . . die möglichkeit einer globalen
ist der soziale aneignungsprozeß; die um- den, ob hier in großdeutschland eine befreiungs- und aufhebungsbewegung
kehrung der entäußerung, von der das sy- eigenständige kraft wächst und teil einer
stem sich mästet. es geht um bewußtsein, neuen internationalen allianz zur umwäl- du schreibst, du verstehst nicht, weshalb
das sich materialisiert und dazu organi- zung wird, oder nur agonie. global tritt ich "die gedanken an dieser fragestellung
siert, in verschiedenen furmen, die zu- die ganze katastrophale wirklichkeit der aufhänge"? - kehr es einfach mal um:
sammen wirken und perspektivisch zu- verwertung von menschen und natur her- wie willst du zu neuen, die schlechte wirk-
sammenlaufen in einem komplexen und vor. für millionen hunger, seuchen, ob- lichkeit überschreitenden gedanken kom-
widersprüchlichen übergangsprozeß. dachlosigkeit, krankheiten, tod. tag für men ohne grundsätzliche infragestellung
revolutionäre macht ist nur in einer tag. in den zentren die tendenz zur psychi- von ,begriffen', aus denen keine kraft
äußeren form politisch. statt politikma- schen und auch physischen verelendung, mehr wächst (und auch nicht mehr wach-
chen als abgetrennter bereich im leben so daß ein inder in einer new yorker sen kann) gegenüber der katastrophalen
und selbst nur fremd, sollte revolutionäre u-bahn-station feststellt: "wie bei uns in kapitalentwicklung.
politik eine waffe sein : spitze eines kalkutta". aber immer noch nischen, de- ein problem ist, du siehst politik unhi-
wachstums, das alle aspekte des lebens in- ren sein das bewußtsein deformiert. storisch, zeitlos, ohne anfang und ende.
tegriert und befreit. sie könnte die kon- krise der bourgeoisie und krise des pro- das gehört auch zum mangelnden ge-

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schichtsbewußtsein, das den ausländi- keinen neuen sozialen stoff herausbildet, ehen, wenn du sie nicht zu denken wagst?
schen genossen auffiel. du begreifst die der im alltag lebt. die mystifikation von politik ist keine subjektform mehr für
historische dimension der krise nicht, ihre subjektivität, identität und kollektivität ist eine revolutionäre überwindung. das ist
radikalität in allem, und so auch nicht die entsprechung dazu. bis letztlich alles die historische tendenz und die reife. poli-
die dimension der notwendigen neuset- verworfen wird, in der anpassung oder tik wird immer zur affirmation, wenn sie
zung. die geschichtliche bedingtheit der unterwerfung. nicht in theorie und praxis transzendiert -
rormen, die mit dem kapitalismus entstan- der falsche politikbegriff ist nicht nur, die grundlagen des bestehenden über-
den und mit ihm untergehen - und das wie du sagst, ein ausdruck und eine rolge schreitet. eine gesellschaftliche kraft, die
schließt aufuebungsversuche ein, die kei- mangelnder identität. dieses politikma- unmittelbar lebensnotwendiges erzwingt,
ne wirklichen aufuebungen werden, wie chen produziert auch solche pseudo-iden- wird sich nicht herausbilden ohne dialek-
z. b. am staatssozialismus gerade vorge- titäten. gefördert bspw. durch apologetik tische spannung über den bestehenden ho-
führt. wie der idealistische dreiklang von der rizont hinaus zu einem umfassenden und
die linken renegaten haben in dieser ,identität von denken, fühlen und han- grundlegenden revolutionären projekt in
einen wahrnehmung recht: politikmachen deln', dem natürlich keiner in seiner (le- historischer dimension, für das es kein
ist am ende. an den fakten evident, durch benswirklichen !) widersprüchlichkeit beispiel gibt. ohne das werden sich nur
wiedervereinigung und golfkrieg be- entsprechen kann (es sind die seltenen verteilungskämpfe vervielfältigen und
schleunigt ins licht der wahrnehmung ge- momente der übereinstimmung, das be- brutalisieren in massenhafte blinde ge-
hoben: es gibt keine relevante kraft. es wegungsmoment kommt aus bewußtem walt.
gab eine unmenge von anstrengungen und widerspruch). das produziert diese sorte schuldenstreichung, andere tauschver-
initiativen - wo aber ist die akkumulation (über-ich- )politik, bei ständiger erfaluung hältnisse ... - kuba hat es seit jahren,
aUs den letzten 20' jahren, wo ist die poli- der eigenen unzulänglichkeit, kompen- jahrzehnten versucht. alles, was sie mobi-
tik, die organisierung und struktur, worin siert durch falsche härte und anspruch, lisieren konnten an bewußtsein und aktion
materialisiert sich bewußtsein? "wenn deren opfer sie früher oder später selbst in lateinamerika - es hat nichts geändert,
man mitten drinsteht in der lebenswirk- werden. die lage ist noch katastrophaler, und kuba
lichkeit ... " - welche lebenswirklich- henri letebvre4 - kritik des alltagsle- selbst steht mit dem rücken zur wand. die
keit hat (antiimperialistische) politik? bens : vor wenigen jahren noch erschien politik des schuldenboykotts hat nicht ge-
der mangel an kräftewachstum (natür- der ,neue mensch' als unendlich verschie- griffen. die internationale schuldenkrise
lich als minorität), die kreisende bewe- den von dem, was ,wir' sind, ,wir' ange- (nach trikont und ostblock jetzt die impe-
gung in den gleichen mustern und zyklen paßt an den kapitalismus und gefesselt von rialistischen kemstaaten, die ja selbst im-
... hat einen tieferen grund, den man ent- der bourgeoisie bis in unseren kampf ge- mer mehr auf pump funktionieren) ver-
schlüsseln muß. sonst gleicht es dem ver- gen sie. die literatur stellte den neuen weist in ihrer ganzen destruktivität auf
such, mit einem sieb wasser schöpfen zu menschen vor: vollkommen positiv, he- den kern: die absurdität der verwertung
wollen. ein grund liegt in geschichtlich roisch, ohne furcht und tadel in der arbeit, des wertes, der gewaltsamen aufrechter-
überholten formen und einem bewußt- im kampf, in der liebe. man verlangte an- haltung der wertform zum preis von mas-
sein, das daran klebt. nimm den begriff stelle der langweiligen demonstration des senhafter lebensvernichtung.
politik, wozu ich schrieb, als ein beispiel. ,positiven helden' bilder des wirklichen um gegen diesen wahnsinn durchzu-
politik ist durch die prozessierende kapi- menschen, den jeweils besonderen, indi- kommen, muß die fundamentale kritik der
talentwicklung ,absterbend', (mehr und viduellen menschen mit seinen widersprü- alten basisform (der ware-geld-vergesell-
mehr) untauglich zur aufuebung. nicht chen, seinen konflikten, seiner eigenart. schaftung) hinzukommen. zwischen ihr
erst nach einer umwälzung, wie in ana- männer und frauen, in denen sich altes und dem erringen des existentiell unmit-
chronistischen schemata, sondern jetzt und neues, negatives und positives gegen- telbar lebensnotwendigen (für 500 millio-
schon im gegenprozeß (der die kräfte als überstehen, männer und frauen, die den nen hungernde) und konkreten schritten
gesellschaftliche nicht mehr in besonderer übergang verkörpern. erlauben uns die des übergangs spannt sich die ungeheure
politischer rorm von sich trennt), was den widersprüche, daß wir verstehen, erken- dialektische herausrorderung und mög-
übergangsprozeß mit allem drum und nen, kommunizieren. sie erhellen uns. lichkeit einer globalen aufuebungs- und
dran neu bestimmt. fiat lux!S entwicklung läuft nur so. vor befreiungsbewegung.
die jungen, die heute kämpfen, interes- mehr als 20' jahren entstand hier revolutio-
sieren solche ,akademischen/theoreti- närer kampf durch die mutige infragestel- 1 eleutrio fernandez huidobro ("nato"), mit-
schen / ideologischen debatten' nicht? - lung von begriffen und rormen. im bruch glied der uruguayanischen tupamaros, saß eIfein-
diese platte höre ich schon seit mehr als und im praktischen versuch einer neuset- halb jahre in isolationshaft, heute mitglied des
zung. nicht im klammem an sie. erinner zentralkomitees. huidobro war 1991 für einige
zehn jahren. nur merkwürdig, wie diese \Weheninderbrd.
jungen in kurzer zeit ziemlich alt ausse- dich nur mal an unsere kritik am heiligtum
2 dhoruba bin wahad, als mitglied der black pan-
hen, und die rückseite heißt: ausgebrannt ,arbeiterklasse', diesem fetischbegriff. thers lange als politischer gefangener in us-knä-
und resigniert. ausgehend von den objektiven verände- steno war 1991 für einige \Wehen in der brd.
genau das gegenteil ist richtig. ,die jun- rungen, die das kapital im vergesellschaf- 3 hier gilt es; hier zeige, was du kannst; hier
gen' brauchen gerade eine tiefgehende in- tungsprozeß selbst vorantreibt, zur verti- mußt du handeln, dich entscheiden!
haltliche auseinandersetzung und aneig- kalen klassenanalyse (1974). wir befinden 4 französischer sozialwissenschaft1er: "kritik
nung, in der sie kritisch denken und han- uns heute in einem anderen, reiferen sta- des alltagslebens"
5 es werde Licht!
deln lernen. "ihre wirklichen fragen", die dium - unbegriffen bricht es als woge
du gegen "die aufarbeitung der geschich- über die menschen. halt bieten da ver-
te" stellst - die dialektik verhindernd -, meintlich alte ,sicherheiten', aber keinen
meinst du, sie sind an den wesentlichen boden, auf dem man weiter schritte setzen
fragen? oder ist es nicht so, daß gerade die kann. wie z. b. jetzt der antifaschismus,
nicht gestellt werden, die am meisten hi- der das wesen dieser erscheinungen gar
storisch drängen?! die heute kämpfen nicht erlaßt und daher nach der mobilisie-
brauchen keine patemalische füllsprache, rungsphase sich wieder in nichts auflösen
sondern beispiele für kritische wahrneh- wird, ohne irgendetwas für sich neu ge-
mung von widersprüchen und bewegung wonnen zu haben.
aus ihnen. heute ist (theoretisch und praktisch) kri-
wenn so viele sich so schnell entpoliti- tik möglich, wie sie zuvor nicht möglich
sieren, dann muß das auch an der politisie- war. das rordert weiterentwicklung. mit
rung liegen. das betrifft nicht nur die an- alten begriffen aus einem überholten be-
deren linken, sondern ebenso auch uns. es zugsrahmen wird sich das anrennen gegen
zeigt eine oberflächenpolitisierung, die die erscheinungen rortsetzen und erschöp-
die menschen nicht in der tiefe erreicht, fen. wie willst du aufuebungen verwirkli-

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Karl-Heinz DeUwo

Von der Ersatzlosigkeit des Insistierens


in der realen Lebenspraxis
auf der Wahrheit vor sich und anderen

I fällt mir zu ihnen allen was ein. sie hatten


das selber als politische forderung an sich
und die objektive reife der gesellschaft la-
gen noch weit auseinander, so daß an der
Mai 1991 und als gesellschaftliches ziel: um bedin- unmöglichkeit der verbindung aU,ch die
eigenen fragen an sich oft nebensächlich
... du siehst ebenso an uns, daß die auflö- gesellschaftlich
wrngen zu kämpfen.wie bei
wosich
jedersein
gleichzeitig
kann. wo wurden. für den eigenen zweck schien es
sung von beziehungen, die kein gemeinsa- das soziale, politische, private und ökono- auch so zu gehen. so ist die grundlage ge-
mes verhältnis zur welt und zum leben mische nicht mehr in einem antagonisti- geben, daß das militärische unter der hand
eint, unter dem druck der macht (ob staat schen verhältnis zueinander stehen, halt die oberrnacht kriegt und im sozialen vie-
oder eigentum; beides verlangt die unter- für ein leben, in dem die entfremdung les unbedacht bleibt. darunter fällt z. b.
werfung) keine grenze mehr kennt. die ist nicht mehr unauflösbar und die lust aln die instrumentalisierung eines vertrauens-
nur durch dich gegeben; nach was du dein verlust des anderen, was ja :kapitalismus: verhältnisses, wie bei der ponto-aktion2
verhältnis zum anderen bestimmst. unsere ist, nicht mehr das strukturell sich erzwin- geschehen, obwohl das ein soziales ver-
ehemaligen kannten die macht. und sie gende verhältnis zwischen den gesell- hältnis ist, welches jenseits des feind-
haben sich vor ihr kennengelernt. daraus schaftlichen subjekten ist. daß das ohne schaftsverhältnisses als eigenwert für uns
kommt jetzt ihr um-sich-schlagen um ein bewaffnung nicht möglich war, war nicht zu schützen ist. - wenn susanne albrecht
rettungsboot. darin sind sie schon unter- unsere marotte, sondern ein lernprozeß sich heute daraus aber selber als instru-
gegangen, nur wissen sie es noch nicht. gegen gesellschaftliche verhältnisse, die mentalisiert gibt, lügt sie. da habe ich.
bleibt nur, das vor sich als ,freiwillig' zu antagonistisch waren und sind. die in der kurz bevor ich abgetaucht bin, von ihrem
behaupten, was sie innerlich von der brd mit ihrer nazi-geschichte ihre spezifik bedürfnis, auf ponto hinzuweisen, noch
macht sich hatten schon nehmen -lassen. hatten: die latent virulenten ausrottungs- was anderes in erinnerung.
bereits damals, als sie weggingen, ohne phantasien gegenüber dem revoltierenden die kritik an den herrschenden verhält-
etwas aufzulösen. eine flucht. aufgearbei- bewußtsein waren mit dem schuß auf ben- nissen, die fortbestehen, nicht wegzulü-
tet haben sie in der ddr nichts. das ist no ohnesorg zur wahrheit ihrer absicht gen als das, warum man sich bewaffnet
selbstbetrug. was sie jetzt sagen, ist nicht geworden. daß wir uns bewaffnet haben, hat. ist keine unlegitimierte anforderung
mehr ihrs, denn die abhängigkeit, in die hat mit der erfahrung der metropole als to- auch an sie. es ist schließlich das einzige,
sie sich nun begeben haben, spricht dem taler fubrik zu tun, dem mensch als ware, von dem aus sie begreifen können, was in
hohn. der besetzung von zeit und raum, zeichen diesem kampf - und warum er ihnen
wir konnten auch von ihnen etwas er- und sprache, einfach allem. durch das wa- dann falsch geworden ist. das selbstbe-
warten; nicht nur wir. keine "hehre po- renverbältnis, und daß du gegen diesen greifen ist es. was sie heute verraten, und
·se··. hat auch niemand gemacht. daß sie ausweglosen kreis des bestehenden nur deshalb haben sie auch kein interesse
den "bewaffneten kampC' verworfen ha- den vollständigen ausbruch suchen kannst mehr am begreifen der verhältnisse. mit
ben, ist nicht mein problem. noch weni- oder eben aufgefressen wirst. von der nichts als dem privaten wollen sie noch zu
ger. als sie auch dagegen bisher nichts be- hand zu weisen ist das auch nachträglich tun haben. um dahin zu kommen. ist ihnen
griffenes zu vermitteln haben. daß er nicht: denn alles andere von damals ist alles recht. nun sind wir ihnen schuld für
ihnen zum leiden geworden war, hatte zerfiillen. hast du diesen ex-sds'ler und sich. dieses preisgeben und ihr alibi in je-
schon ihr abgang in die ddr vermittelt. und heutigen realo-grünen knapp· vor tagen nen suchen, die nie macht über sie hatten.
wie schon mal geschrieben: es gibt auch gelesen? war sein passendes photo mit ir- als deren opfer sie sich nun aber wähnen,
grunde gegen ihn, und ich wäre mir zu rem gesichtsausdruck dabei: ,,die ,ver- bedingt einander. ,die anderen', die allen-
blöde. diese nur als alibi für ein "nicht landratisierung' der grünen besorgt den falls genauso leichtfertig wie sie ihre ille-
kämpfen wollen" zu denunzieren. aber er rest, denn auch ex-linke müssen ihre galität gegenüber den alten verhältnissen
ist nur eine bestimmte qualität des wider- eigentumswohnungen abbeUlhlen." seine . genommen haben, dann von der aus der
stands. sie verwerfen ihn ganz. das ist die begründung dafür, warum der politische hand gegebenen dialektik überrollt wur-
lüge. als gäbe es die ganzen gesellschaftli- prozeß in ihrer partei auf sie hinauslaufen den, sind ihnen nun die ursache für den
chen zerstörungen nicht mehr. sie verwer- muß. der jubel über das geld als ihr be- eigenen anteil an den gemeinsamen feh-
fen auch das, was unabhängig von ihm wußtseinsproduzent! so wird man zum lern. ihren herauszufinden, war ihnen zu
steht und was man nicht tun kann, ohne schwein seines bewußtseins. dann lieber schwierig, und abhauen ist immer leich-
den menschen preiszugeben. sie hatten hier als so etwas geworden zu sein. ter. so verzeihen sie uns heute ihre ent-
davon mal viel gewußt, von der ersatzlo- diese kritik der herrschenden verhält- scheidung zum kampf nicht. zu ihm sind
sigkeit des insistierens in der realen le- nisse und das verlangen nach ihrer aufhe- sie aber gekommen, weil sie von befrei-
benspraxis auf der wahrheit vor sich und bung macht einen kampf nicht falsch, der ung mal etwas gewußt, ja, auch erfahren
anderen, von der eigenen not in diesen ge- seine versprechungennich~ einzufüllen hatten. an der kritik der verhältnisse und
sellschaftlichen verhältnissen, und daß wußte, weil ihnen damals nur unwirklich daß widerstand dagegen notwendig ist,
nur die durchsetzung des sozialen als sie bewußt war, daß sie, in denen diese ver- ändern auch 1000 fehler bei uns nichts.
bestimmende grundlage sie wirklich auf- hältnisse selber noch stecken mußten, nur nun sind sie in ihrem heimatland ange-
heben kann. der entwicklungsprozeß von über die gleichzeitige selbstkritik und kommen. tiefer als je zuvor. die hinge-
uns war immer daran entlang, daß wir die selbstveränderung - der krieg a\1ch ge- nommene niederlage vollstreckt sich in
auftauchenden widerspruche aufgelöst gen das system in sich - zu wertungen der verdoppelung der unterwerfung. sie
haben. auch wenn oft nur mehr schlecht kommen, die halt geben. es ist natürlich machen sich jetzt mit der vorläufergenera-
als recht. im privaten wie im politischen. nicht nur ihr oder unser subjektiver feh- tion ähnlich. denn schon in deren erklä-
so war das auch nicht mehr so getrennt. ler. sondern die subjektive notwendigkeit rungen hatten alle immer nur mitgemacht.

22
weil in ihren guten absichten mißbraucht, haben neo-nazis mit ihren aktionen nie frontiert, zu der man nicht einmal in
weiI sie nicht genau wußten, um was es diesen haß aktiviert; sie werden auch feindschaft aufsehen kann ...
ging, und weil sie das schlimmste hatten nicht als sozialer gegensatz aufgefußt, was bei den leuten selber, wie du weißt, ver-
vemüten wollen. die erklärungen unserer sie auch nicht sind) als mehr daraus, daß änderst du nichts mehr. sie sind verloren,
ehemaligen sind gleich. so hat boock3 sie das nicht- und ungebrochen-sein bei auch wenn sie sich noch anders wähnen.
einen raketenwerfer gebaut und instal- anderen nicht ertragen. sie lieben in de- sie werden darauf noch kommen. denn
Ikrt, um den anschlag zu verhindern. ein nen, die alles verraten, sich selbst. um die das blöde glück dieser gesellschaft, für
typisch deutscher widerstandsakt aus dem informationen unserer ehemaligen geht es das sie sich nicht unähnlich jener ddr-be-
nachhinein vor der nun akzeptierten real nicht. sie sind veraltet, also auch über völkerung entschieden haben, die vor we-
macht. der zweite, verbesserte, später in die polizeiliche qua!.ität nicht mehr poli- nigen monaten noch lauthals "helmut,
itgendeiner wohnung in nrw gefunden, tisch. ihre urteile schließlich hat die helmut" skandierte und nun etwas hat,
hatte demnach den gleichen zweck, wi- staatsschutzjustiz allemal so hingekriegt. was sie sprachlos macht, wird nicht ein-
derstand gegen die gruppe zu ermögli- deshalb wurde die kronzeugenregelung, mal in der armut seines jetzigen bestandes
chen. susanne albrecht war nun bei ponto die alleine auf die materielle qualität des fortdauern. ein "dagegen" wird es für sie
nur dabei, um ihn zu schützen. einzig lot- verrats aus war, nicht einmal reue einfor- aber nicht mehr geben. die macht, von der
ze" bekennt sich zu hegel, wonach die dert, nur polizeiliche effektivität, für un- sie sich haben erobern lassen, werden sie
wahrheit der absicht die tat ist, lügt aller- sere ehemaligen umgewandelt zum lohn nicht mehr los. sie wird sie in jeder kon-
dings auch, wo er sich zum "moralisten" für unterwerfung. das ist die reale quali- fliktsituation an sich erinnern. "wer der
umwidmet, da die aufrechterhaltung der tät, die sie zu bieten haben. es geht um den folter unterlag ", schrieb jean amery aus
ktitik der verhältnisse die macht, der man unterwerfungsakt als solchen, und der seinen erfahrungen im widerstand und in
sich ausgeliefert hat, reizen würde. wie wird gerade von unseren ehemaligen ri~ auschwitz, "kann nicht mehr heimisch
gesagt: sie kennen sie. tualhaft vollzogen - mit zerknirschung, werden in der welt. die schTTUlchder ver-
heute sind sie, wie boock, aus sentimen- geweine und kreislaufzusammenbrüchen. nichtung läßt sich nicht austilgen. das zum
taler freundschaft zur rat gekommen; wie der gerichtssaal als tempel kathartischer teil schon mit dem ersten schlag, in vollem
lotze aus der übermacht der deutschen erneuerung. und stah16 als sarrastro7: umfang aber schließlich in der tortur ein-
ideologie; wie sigrid sternebeck durch ,Jetzt sind sie würdig und rein. " eine neue gestUTzte weltvertrauen wird nicht wie-
den "überzogen" reagierenden staat dort "zauberflöte". für diese klasse hier gilt dergewonnen. "
hineingedrückt oder wie albrecht reinge- nicht einmal der satz: ,,der verrat wird ge- ob erst in der gewalt man sich unterwirft
zagen worden durch "hörigkeit". "hin- liebt, aber nicht der verräter"; er wird oder schon vorher aus angst vor ihr,
eingeschliddert". selber haben sie für sich hier um seiner selbst willen geliebt. haupt- bleibt, glaube ich, gleich. genugtuung ha-
nichts gewollt und nichts gebraucht. al- sache gebrochen und damit in der gemein- be ich dabei nicht. traurig ist es allemal.
lenfalls harmloses. so war es der vorläu- de angekommen! mit der macht einigt sie nur tun kann ich nichts mehr, was ich gern
fergeneration schon ergangen: der "füh- nun das vergangenheitsverhältnis, wo alle gemacht hätte, alleine, daß sie anständig
rer" hatte dämonisch ihr bewußtsein ge- die ihren im grunde doch opfer waren. 50 dort rauskommen können. sie haben von
trübt und alle "hörig" gemacht. so sind millionen tote, aber keine täter, denn vom vorneherein alles dazu zerstört.
sie in weltkriege, massaker, vernich- innersten her wollten sie eigentlich nur auch die justiz wird am ende im politi-
tungslager, auch in die übernahme der gutes über die welt bringen. auch für a1- schen unbefriedigt bleiben. sie befriedigt
"arisierten judenvermögen" (die sie trotz brecht war die ponto-aktion heute für ihn jetzt nur ihre dumpfen triebe und behält,
späterer ,bewußtseinserhellung' behalten nur gut gedacht. ähnlich dem sexualmörder, weitetbin ihre
haben) "hineingeschliddert" - in wahr- die subjektive bedingung dessen ist das obsessionen. denn uns sind sie damit nicht
heit waren sie die opfer! so findet die selbstmitleid, dessen emotionales selbst- los. sie reagiert real nicht einmal als staat,
"spiegel" -gerichtsreporterin zu albrecht ergreifen dazu führt, daß man glaubt, was denn das gehört sonst zu seiner rationali-
auch im dämonologischen die auflösung: man lügt. das meinte wohl adorn08, daß tät, daß lösungen nur auf der grundlage
"sie arrungierte sich mit dem bösen" kein deutscher eine lüge aussprechen dessen zu finden, was auch beim anderen
(auch enzensberger war gegen saddam kann, ohne sie nicht selbst zu glauben. un- real ist. das gilt selbst für den krieg. sie
hussein kürzlich dort wieder im heimat- sere ehemaligen machen sich mit der nazi- aber bekämpfen nicht nur uns, sie versu-
land angekommen). "das gute" hatte der generation gemein. darin sprechen sie chen, uns ein von ihnen gesetztes selbst-
herausgebers drei ausgaben vorher in wahr. das macht sie für die klasse hier so bild aufzuzwingen. dem dienen diese pro-
einem anfall von wahrheitsliebe leicht an- attraktiv. und auch die zur macht hinge- zesse und nun auch unsere traurigen ge-
gekratzt, allerdings um den preis, die hie- wechselten ex-linken fühlen sich innerlich stalten. der traum vom "totalen sieg". das
sige wirkliche opfersituation zu bekräfti- geschmeichelt: da ihr angriff auf die herr- "alles oder nichts" haben sie wieder über-
gen: "gemessen an dem tödlichen unheil, schenden verhältnisse nie so vehement nommen, egal der geschichtlichen erfah-
das sie durch waffenexporte und anderes war, so auch ihre hingenommene nieder- rung, damit schon mal im letzten geendet
material ihrer ,entwicklungshilfe' über lage sie nie so tief in die vergangenheit zu- zu sein. eines ihrer kennzeichen ist, daß
die welt gebracht hat, sind in der bundes- rückwerfen konnte, können sie sich bei ihnen für den kleinen genuß das wirklich
republik bisher eigentlich relativ wenige unseren ehemaligen moralisch aufwär- wichtige aus den händen fällt. kohl am en-
politische morde ZU beklagen. " . men. deshalb auch die verliebten töne zu de des hungerstreiks '89 auf der presse-
beidagenswert sind jene, die aus ihrer ihnen hin wie aus der "taz"; sie kommen konferenz in bonn: mit rötlichen backen
verantwortung für den massenhaften tod von oben. der genuß der pose "wir lassen uns nicht
anderer verantwortlich gemacht werden. die justiz, die nun mit ihrer zustimmung erpressen. " die freude hat dann nicht lan-
so wird auch aus dem chef der dresdner über sie urteilt, weiß darauf zu reagieren. ge angehalten. herrschaft war in deutsch-
bank am ende nur noch ein "onkel jür- zumaI sie nichts ändern muß. sie verhält land immer irrational. wahrscheinlich ha-
gen". sich genauso wie früher, nur diesmal mit ben wir es mit irren zu tun ...
im arrangement mit diesen erbärmli- umgekehrtem vorzeichen: so wie sie
chen sozialnormen werden wir als uner- maßlos ist in ihrem haß gegen uns (man
trägliche kränkung erfuhren. das ergibt muß nur einmal die frage unserer haftun- 11
das bedürfnis, von dem du sprichst: " ... fähigen sehen, bernd z. b., nichts ohne ab-
nicht nur einen sieg zu erringen, sondern schwören! oder der versuch der baw9, ute August 1991
seine gegner mit stumpf und stiel ausrot- hladki noch irgendwie in den gerichtssaal
ten zu wollen. " stumpf und stiel verlieren zu kriegen, weil sie noch ein paar kleine ... ich weiß nicht, ob man das so sagen
gerade auch die, die sich der macht auch bewegungen machen kann), so ist sie nun kann, daß sich hier die unfähigkeit der zu-
gegen sich zur verfügung gestellt haben. maßlos in der akzeptanz der entlastungs- ständigen zeigt, politische lösungen anzu-
so kommt der haß auf uns vielleicht weni- lügen, der billigen alibis und der offen- gehen. sie haben ihre interessen - und die
ger aus den aktionen (die sie ja, wie man kundigen neu-konstruktionen der ge- waren nie gesellschaftlich. das gesell-
sieht, schnell nachsehen können; auch schichte. wir sind mit einer macht kon- schaftliche kommt bei ihnen immer nur an

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zweiter oder dritter stelle. ihre vorstel- wirklichkeit zur grundlage zu machen. sellschaftliche entwicklung durchbrochen
lung von ,politischer lösung' ist an ihr in- dann wären wir wirklich irrational, gleich werden mußte. ohne das war alles illu-
teresse gebunden. das der gesellschaft ist jenem arbeiter, der sich hat einbleuen las- sion. am anfung stand notwendigerweise
ein anderes, die will etwas sozial produk- sen, daß die fubrik, in der er ausgebeutet der machtkampf mit der tradition dieses
tives, etwas, was ihr leben verändert. das wird, für ihn da ist. und ihre sicht ist: sie systems und jener der historischen nieder-
interesse der politischen und ökonomi- sind die gesellschaft und damit bezugs- lage und der geschichtslosigkeit bei uns.
schen klasse ist mehr oder weniger ab- und angelpunkt für alles. wie vorgeführt das konnte nur gewaltsam aufgebrochen
schwören, selbstverwerfung und alles nur in den prozessen gegen die aussteiger, werden in einer großen anstrengung. der
ein in uns liegendes mißverständnis: ,ir- vielleicht nicht ganz so obszön, so selbst- kampf darum, daß das, was durch die ge-
regeleitete idealisten', wie das der verleugnend und selbstdenunziatorisch, samten linken niederlagen wieder nur
"stern" '88 mal als serie versuchte. als aber im grunde ist das ihre vorstellung zum politischen gedanken geworden war,
grund des widerstands eine von uns falsch von ,politischer lösung'. keine wirkliche auch als reale gegenbewegung wieder auf
verstandene wirklichkeit. so ist dieses zulassen zu müssen. die welt kommt. daß der herrschaftsan-
,mißverständnis' nur um die ecke zu brin- ich könnte einfuch castro lapidar und spruch der ökonomischen und politischen
gen, und jene kann sich wie gehabt fort- summarisch zitieren: ,der imperialismus klasse des systems keine überhistorische
setzen. läßt keine gesellschaftliche veränderung grundlage hat, nicht mehr ist als resultat
ein satz aus der "filz" von letzter wo- zu und sucht sie mit gewalt zu zerstören. einer geschichtlich gelungenen usurpa-
che: was sich den "sachlichen, wirt- das begründet die gegengewalt.' und jede tion, daß es vorher anders war und ,auch
schaftlichen argumenten gegenüber taub" systemopposition ist hier von oben be- wieder anders werden kann, daß die ge-
verhält, muß als "irrationale einstellung" kriegt worden. sellschaft eben nicht nur aus kapitalisten
bezeichnet werden und als "asoziale hal- schon oberflächlich haftet dem etwas besteht, auch wenn den anderen schichten
tung" bekämpft werden. der mensch ist lächerliches an, zu behaupten, es hätte und klassen deren moral, kultur und öko-
falsch, nicht die ökonomie. wer sich den keine gründe für den bewaffneten kampf nomischen kategorien eingebleut und sie
bedürfnissen der kapitalistischen ökono- gegeben. nachdem .er ende der 60er jahre sich selbst gegenüber damit irgendwie
mie entgegenstellt, ist asozial. ein feind. zur kampfform auch in allen westlichen auch irre gemacht wurden, daß die ge-
ja, und wie bringt man uns und allen, die metropolenstaaten geworden ist. am schichte eben nicht zu ende ist und etwas
dagegen zu kämpfen angefangen haben, stärksten in jenen, in denen kurz vorher anderes möglich ist als ein gesellschafts-
wieder bei, zum baustein ihrer anti-sozia- der fuschismus an der macht war und sei- verhältnis, in dem das leben nur für den
len welt zu werden? nen weltangriff gestartet hatte. das ist tautologischen selbstzweck von ware und
denen g~ht es nur um das ende jedes sy- immer rausgekommen, wenn die am kapi- geld vernutzt wird, ja, und daß unsere
stemoppositionellen widerstands, um die talismus orientierte klasse versuchte, die ohnmacht aufgebrochen werden kann -
verhinderung dessen, daß menschen an- welt aus ihrem politischen willen zu ge- dagegen ist die machtfrage aufgeworfen
fangen, zum subjekt ihrer geschichte zu stalten . vernichtung und zerstörung. worden. und das ging nur in der illegalität
werden, letztlich um den ausschluß der jüngst wieder vorgeführt im golf-krieg. als einzigem raum, durch den sie nicht so
gesellschaft von jeder konkreten politi- was rauskommt, ist immer schlimmer als einfuch stiefeln konnten, und als minder-
schen bestimmung. wie immer stecken sie vorher. und gerade in jenen staaten ist heit nur über die höchste qualität des an-
dabei in blinden widersprüchen: ,,die auch in der nachperiode jede entwicklung, griffs. eine notwendige etappe. vorher
schwierigkeit dabei ist folgende: auf der die eine andere soziale orientierung such- war die linke sich selbst in ihrer absicht
einen seite muß klargestellt werden, daß te als die des kapitalismus, niedergetreten unwirklich. die raf hat das wirklichkeits-
es keinerlei gesellschafts politische gründe worden. man muß sich nur erinnern, wie moment einer revolutionären absicht
JUr einen bewaffneten kampf gibt. ande- hier die neu eingekleideten nazis in den überhaupt erst wieder in die gesellschaft
rerseits handelt es sich bei der raf aber fünfziger jahren mit der zerstörung der gebracht. gegen ein system, das noch zu
auch um ein politisches phänomen ... kpd mit den resten jener antikapitalisti- jedem mittel greift, um seine herrschaft zu
ihre vorstellungen sind - wenn auch ab- schen gegenbewegung aufräumten, die verewigen, ist der bewaffnete kampf eine
wegig und fern der realität - zu 100 % ihnen in nazi-uniform völlig zu vernichten potenz, zu der die linke fähig sein muß,
politisch. die frage ist aber, wie solche nicht gelungen war. so haben sie auch auf will sie nicht von vorneherein verloren
versuche in der öffentlichkeit aufgefaßt die 68er-bewegung reagiert, nur ein be- haben. anders existiert sie nur scheinbar.
werden und wer sie sich erlaubt." loch- mühen, alles im ansatz auszutreten. nach inzwischen ist das nicht mehr persön-
telO• außen von vietnam bis chile. bei versu- lich an uns gebunden.
nachdem der widerspruch nicht unter- chen zu anderen gesellschaftsordn ungen da es für unser leben und für den beginn
drückt werden konnte, wie läßt er sich ab- wird immer ab 4.45 h zUTÜckgeschossen! einer neuen geschichte der linken nicht
treiben? nur zulassen darf man ihn nicht! wo ihre herrschaft in frage gestellt wird, anders ging, war der· bewaffnete kampf
das ist nicht auflösbar: wissen zum einen, zücken sie gleich das messer. hinterher sowohl subjektiv wie objektiv für uns not-
daß man mit diesem aufgebrochenen ge- sind sie dazu getrieben worden. das ist wendig, um den politischen und real-herr-
sellschaftlichen widerspruch irgendwie immer so. gegen die raf ist diese wahrheit schaftlichen totalitarismus aufzubrechen,
real umgehen muß, ihn gleichzeitig aber der systemvertreter, alles jenseits der so- den die herrschafts schicht des systems mit
weiter aus staatspolitischen gründen leug- zialen monokultur des kapitals niederzu- ihrer und seiner eigenen vergötterung,
nen will. und nicht nur, weil man die ge- schlagen, nur einmal mehr unvermittelt daß nur ein solches wertsystem wie das
sellschaft über repressiv durchgesetzte ta- offen geworden. in den mitteln modem, ihre existieren darf, geschaffen hatte. das
buisierungen und die kübelweise ausge- aber schrankenlos. und das ging nicht nur heißt nicht, daß er zeitlos gilt. auch wenn
gossenen hetzkampagnen die ganzen jahre gegen uns, das war prinzipiell gegen jede wir ihn manchmal selber zu einer jederzeit
um die politische wahrheit der sache zu reale bewegung gemeint. die legitima- richtigen politischen qualität mystifiziert
betrügen versuchte. es könnten daraus ja tionsbegründungen dabei an dünnheit hatten. das kam nur aus politischer unsi-
welche zu einem anderen verhältnis zu kaum noch zu unterbieten. was nur zeigt, cherheit. lulaics12 schrieb schon vor jahr-
sich und zur herrschaft kommen. wie desinteressiert sie an allem außer sich zehnten, daß, wenn es für opportunisten
was allerdings (und vielleicht nicht nur sind. maihoferl1: "keine freiheit JUr die zwar durchweg bezeichnend ist, ,,daß sie
als sprachfehler) immerhin noch als feinde der freiheit. " die politische nullpa- an der legalität um jeden preis festhal-
"gibt" steht, heißt bei jenen, die weiter- role als ideologischer blankoschein für die ten ", es ,,für die revolutionäre partei aber
hin das verhältnis bestimmen, von vorn- repression. einsetzbar gegen jeden, der keineswegs zutreffen (würde), wenn man
herein "gab", womit schon das ende jeder ihnen nicht paßt. sie beim wollen des gegenteils, der illega-
bewegung gekommen ist. denn diese vor- das hat nicht die raf produziert. sie wuß- lität, fixieren wollte': so stimmt es so
bedingung, daß wir ihre sicht und ihre te nur, daß das vor ihr steht. der autisti- nüchtern, wie es ist.
moral gegen uns übernehmen, was gleich- sche herrschaftanspruch der politischen die phase, wo es darum gegangen ist,
bedeutend damit wäre, uns selber ins ge- und ökonomischen klasse dieses systems, den bruch mit dem system materiell zu
sicht zu treten, versucht, eine irreale der als erste bedingung für jede andere ge- machen, ist zu ende. unabhängig davon,

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wie gut oder schlecht uns das gelungen ist. bestimmt von der frage, wie aus den seg- oben, ist die durchsetzung der logik der
durch unsere fehler haben wir viel von mentiert bleibenden gesellschaftlichen kapitalistischen ökonomie und für sie das
dem begrenzt, was an möglichkeiten drin friktionen eine soziale bewegung entwik- behaupten des herrschaftsinteresses des
war. eine radikalität setzt nur da wirklich kelt werden kann. das ist keine interven- staates über die politische bewegung in
was frei, wo sie gleichzeitig die entgren- tion von außen, sondern eine, die in den der gesellschaft. von der politik des sy-
zung verhindern kann und das nicht mit vorhandenen gesellschaftlichen prozessen stems ist da nichts zu erwarten. heute we-
füßen tritt, worauf sie sich als wert stützt. bestimmt und mit ihnen verbunden blei- niger denn je. sie durchbricht keine wand,
das entscheidende in einem revolutionä- ben muß. etwas, was diese widersprüche sondern hält sie, damit sich jeder den kopf
ren kampf sind die moralischen und sozia- dort zu ihrem politischen begriff führt, sie einrennt. vor tagen, ökologie-bereich,
len werte, die man setzt. man kann sie aber auch nicht mehr überspringt. vom war auf dem dritten eine sendung über das
nicht gleichzeitig wieder negieren. bei uns ziel her ist dieser soziale prozeß nicht we- ozon-loch. seit '73 lagen die wissen-
ist ein paar mal was entgrenzt. das macht niger ein bruch mit der kapitalistischen schaftlichen beweise über ursachen und
einen der gründe aus, warum damals so wirklichkeit, aber er hat andere formen, folgen vor. es ist bei den politikern in den
viele weggegangen sind, selbst wenn es andere bewegungsmuster und andere zeit- schubladen verschwunden. die industrie
ihnen so nicht bewußt war. aber sie hatten vorstellungen. und vor allem ist es eine verdiente ja am fckw. nach verbraucher-
an sich und uns erfahren, daß wir mitunter einlassung auf das, was konkret gesell- kampagnen und absatzrückgängen hat sie
nicht über unsere eigenen aktionen verfü- schaftlich abläuft. dann in vielen bereichen die produktion
gen. die ursache - was nicht mit rechtfer- hier gibt es immer noch fulsche wahr- umgestellt. nach 15 jahren macht töpfer
tigung zu verwechseln ist, aber wenn man nehmungen. auch in der linken. sie denkt dann ein gesetz, das die verwendung in
etwas aufheben will, muß man einen pro- in alten parolen, es wird nicht mehr richtig produkten verbietet, von denen die indu-
zeß verstehen lernen - findet sich darin, um eine neue erfahrung gekämpft, und da strie sich schon getrennt hat. in neusee-
daß wir auch erst rausfinden mußten, was begreift man das alte schon nicht mehr land, wo die hautkrebsrate auf grund der
richtig und was falsch ist bei dem, was uns erhöhten uv-strahlung erheblich gestiegen
antreibt. man kämpft nicht nur aus ,richti- der status quo der ostgesellschaft war ist, wird der bevölkerung nun eingetrich-
gen', von anfang an sozial progressiven unerträglich geworden. so wurde er nur tert, nicht mehr unbedeckt in die sonne zu
gründen. ein teil davon ist mitunter halb, gesprengt und, da nichts anderes da war, gehen. die industrie weiß ihnen dafür die
ganz oder wie immer falsch und muß dem- zu dem gegriffen, was erleichterung ver- produkte zu verkaufen. das ist scheinbar
entsprechend später als reaktionär ver- sprach. die tendenz ist hier nicht anders. eher ein unpolitisches beispiel, aber signi-
worfen werden. die romantik der sache sie zeigt sich in flucht und destruktion, fikant dafür, daß die hier von oben unfä-
ebenso wie das schnell vergängliche und die linken fliehen mit, wenn ihnen al- hig sind, in irgendetwas die destruktive
machtgefiihl, was wirklich das schädlich- les selbst zu sehr zum halse raushängt, logik des systems zu durchbrechen. denen
ste ist. da gibt es mehr und einiges, was oder suchen eine private lösung - nur muß alles abgepreßt werden. aber sie be-
das potentiell politische dieser phase be- kaum kampf darum, sozialer und politi- anspruchen die politische macht. führer,
grenzt, teilweise konterkariert hat. und als scher kontrast dazu zu sein, bei sich was die darauf bestehen, daß ein teil der ge-
schwäche gegen uns ausbeutbar war aufzubrechen an der ganzen entfremdeten sellschaft inlmer in die schlucht fiillt. eine
bzw., wie von stahl ja mit seinen neuen existenz (die den genossen, die aus latein- neue entwicklung wird es nur von unten
anklagen meint, noch gegen uns ausbeut- amerika oder dem schwarzen us-ghetto geben, eine rückeroberung über organi-
bar ist. hier stellt sich natürlich die frage, kamen, wie mit leuchtschrift vermittelt sierung, weg und die zielsetzungen der
warum wir mit den eigenen fehlern nicht deutlich war) und so in den gesellschaftli- gesellschaft. gegen kapital und staat. das
offen und radikal aufgeräumt haben, was chen prozessen dann eine orientierung betrifft auch die frage zu uns. nur ist das
auf ein autoritäres selbstbild verweist, das sein. und sei es nur, daß man darum keinprozeß mehr, der außerhalb der rea-
man nicht selbst in frage stellen darf, weil kämpft, ,mit allem bezahlbaren zu bre- len sozialen prozesse vorangetrieben
es einem halt gibt. das ist aber scheiße, so chen. die ersten seefal1rer, schreibt levi- wird.
kriegt man keinen prozeß und keine ge- straussl3, fuhren ins unbekannte und wir haben ja nicht drüber reden können
schichtsaneignung und werden einem die fürchteten, dem nichts zu begegnen. so als gefangene, weil wir untereinander iso-
1 fehler von der falschen seite inlmer wie- entdeckten sie die welt. hier scheint bewe- liert geblieben sind. aber das war es seit
der neu serviert, die damit zwar auch kei- gung nur möglich zu sein, wenn das er- '88 und besonders wäluend des hunger-
ne zukunft hat, sich genauso aber wie die gebnis schon feststeht, könnte ja was ko- streikS '89, um was es dabei für uns ging,
linke umgekehrt immer halb damit zu be- sten sonst. und inzwischen haben sie wie- wenn wir sagten: alles neu auf eine politi-
:1 friedigen weiß, daß sie sich am ,anti-' auf- der das problem, sich selbst in ihren ab- sche grundlage stellen. daß der wider-
t richtet. auch wir sind zu manchen ent- sichten ernst zu nehmen. wenn ich dran stand die hürde überwinden muß, wo er
f scheidungen, etwas zu durchbrechen, un- , denke, was mit, der minderheit raf mög- gesellschaftlich produktiv wird und nicht
fähig gewesen. lich war, aus dem wollen des inneren nur wie in der ersten phase eher eine histo-
gegen die schwächen dieser phase ist sie druckS, widersprüche aufzulösen und eine risch produktive setzung zur grundlage
aber nicht wiederholbar in der absicht, reale bewegung nach vorn zu machen, hat. für uns ist es darum gegangen, eine
lt nun alles besser machen zu wollen. es statt ihn lieber abzuwürgen. da frage ich phase abschließen zu können, die objektiv
trifft nicht mehr auf ihre historische situa- mich, was mit dieser ganzen linken nicht zu ende war, aber nicht zu ende gebracht
s tion. weder bei uns subjektiv noch im zu- eigentlich möglich sein müßte, die ja zu- werden kann, wo sie noch gegen die zer-
.s stand der gesellschaft. wille und volunta- mindest die einfuche negation fest hat, störung ihrer geschichte kämpfen muß .
n rismus können fehlende soziale prozesse beim weiteren aber sich doch immer wie- abschließen und neubestimmen, denn na-
it in der gesellschaft nicht ersetzen, für die der lieber hinhockt. türlich ist es notwendig, weiterzumachen.
rt die zeit noch nicht herangereift war. die das soziale als entscheidungskriterium das elend in der gesellschaft und die de-
i- guerilla steht, und das ließe sich sicher in der gesellschaft ist zerstört worden. und struktive potenz des systems sind schließ-
auch auf diesem niveau halten, aber ihr das ja weltweit, und von da knallt es ja lich schlinlmer geworden.
n sozialer unterbau trägt nicht mehr als sie. auch hoch, mußte man sich nur die bilder blockiert wird alles durch die fraktion
'e für gesellschaftliche prozesse ist er zu die tage angucken mit den wie im bienen- im apparat und in der politik, die an der
1- klein. über die alte bestimmung, daß ,der stock mit albanern besetzten schiffen, die politischen und sozialen enteignung der
kleine motor den großen in gang setzt', sich ihren teil in den reichen metropolen gesellschaftlichen subjekte festhält, weil
n müßten wir mal diskutieren können. für holen wollten. ob es die fixer sind, die das kapital sie nur als objekte braucht und
1- die erste phase waren unsere eigenen kräf- krepieren, oder ob du dir die arbeitslosen sie von der rationalität der kapitalistischen
:0 te ausreichend, aber es blieb eben sozial anguckSt und weißt, daß die kapitalisti- ökonomie gut leben. sie brauchen nichts
beschränkt. die für eine soziale gesell- sche ökonomie keine massen mehr auf- anderes. es sind die, die denken, sie könn-
t, schaftliche bewegung war da aber auch saugt, sondern ausstößt, und damit deren ten zu uns die geschichte zurückdrehen.
:u nicht das wichtigste problem. lebenssicherheit zerstört. das ist alles of- auch die geschichte als ihr eigentum. su-
1, es steht eine neue phase an, und sie ist fen, überreif - und auf was es stößt von chen sie ja überall, sieht man gerade an

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dem, was an der flora14 läuft: die men- daran, daß die dominierende alte fraktion
schen hatten der macht dort einen raum auf der anderen seite nicht willens ist, zu
abgekämpft und - wie relativ auch immer einer realen sicht zu kommen, und poli-
- selbst gestaltet. das mußte ihnen wieder tisch lächerlichen vorstellungen nach-
genommen werden. nicht, um da was völ- hängt (zachertlS im sz-interview: ,wenn
lig anderes zu machen. im gegenteil. das es gelänge, alle zu verhaften .. .' ja, am
gehört zur herrschaftstechnik, daß das besten die gesamte gesellschaft). sie set-
nun vom staat gesetzte sogar ähnlich ist. zen ein verhältnis fort, dessen ergebnis sie
es geht um eine politische enteignung, um zwar kennen, welches zur politischen er-
die liquidierung eines gegen den staat au- kenntnis zu machen sie aber unfähig sind.
tonom gestalteten bereichs, um ihn dann Da hindert sie ihr borniertes Interesse am
von oben wieder neu staatlich zu setzen. Profit. Sie wollen politisch an uns verdie-
so wird die politische struktur, die im nen. Wir aber sind/haben keine Waren
kampf um das objekt emanzipativ ge-
wachsen war, herrschaftlich konstruiert.
und so sollen hier die ganzen lebensberei- 1 udo knapp, "realpolitischer" grüner, früher
che sein: von der macht zugeteilt. ,,die mal im "sozialistischen deutschen studenten-
macht ist auf der einen, der gehorsam auf bund" (OOs)
2 am 30.7. W77 versuchte die raf, den vorsit-
der anderen seite" (horkheimer / adorno),
zenden der dresdner bank und berater des damali-
das ist die banale vorstellung, die hinter gen bundeskanzlers scbmidt zu entfiihren. das raf-
ihrer gewalt steckt. wo an der sache prin- mitglied susanne albrecht war mit ponto bekannt
zipien hängen, muß man sich dem selbst und verschaffte der raf darüber einen zugang zu
dann entgegenstellen, wenn man weiß, ihm. die entführung mißglückte, ponto Wurde er-
daß man verliert. die durchsetzung ist nie schossen.
nur ein kampf. das ist immer nur ein ver- 3 peter-jÜlgen boock, ehemaliges raf-mitglied .
such, bei dem es nicht stehen bleiben 4 werner .lotze, ehemaliges, bis zur annexion in
die ddr abgetauchtes raf-mitglied
kann. und um geschichte kämpfen, heißt
5 gemeint ist "spiegel"-herausgeber IUdolf aug-
auch immer, für die zukunft was zu öff- stein
nen. alleine genommen ist sie nur verstei- 6 generalbundesanwalt alexander von stahl
nert. und das, was wir machen, ist das 7 "bösewicht" in mozarts "zauberflöte"
auch gerade: unsere geschichte verarbei- 8 theodor· w. adomo, vertreter der kritischen
ten, aneignen, transformieren zu können, theorie
und was dagegen steht, sind diejenigen, 9 bundesanwaltschaft
die alle geschichte, so auch alle zukunft 10 christian lochte, 1991 verstorbener chef des
außer der ihren zerstören wollen. insoweit hamburger verfassungsschutzes
sind sie immer noch die alten, oder die al- II werner maihofer, fdp-politiker, mitte der 70er
jahre bundesinnenminister
ten sind es, die immer noch das verhältnis 12 georg lulaics, marxistischer philosoph, gest.
zu uns bestimmen. als sei noch alles wie 1971. zitiert wird aus "geschichte und klassen-
vorher und könnten sie auch unbeschadet bewußtsein" : "legalität und illegalität" (1920)
der 20 jahre ihre phase einfach wiederho- 13 claude levi-strauss, belgiseher soziologe I an-
len. schon das gesellschaftliche umfeld thropologe
stimmt nicht mehr. das sieht man schon an 14 im juli 1991 wurde der an das linke zentrum
"rote flora" im hamburger scbanzenviertel gren-
der hs-mobilisierung '89, wenn man sie
zende, von den aktiven selbstgeschaffene park von
mit den vorherigen vergleicht. die blocka- der polizei geräumt
de dagegen ist keine strategische waffe. 15 haus ludwig zachert, bka-chef
daß eine konkrete phase zu ende ist, be-
trifft die gesamte linke. daß sie eine politi-
sche neubestimmung braucht, ist schon
seit jahren offen und durch den zerfall des
staatssozialismus - und hier für uns noch
einmal besonders durch die implosion der
ddr - unabwendbar geworden. die ,anti'-
haltung ist ausgelaugt in einer politisch
sozial- und subjektlosen gesellschaft.
denn das ist der zustand jetzt, wo das poli-
tische system schein geworden ist, nur
noch der arm ist von ökonomischen und
staatlichen sach- und herrschaftszwäo-
gen, die der gesellschaft gegenüber auto-
nom geworden sind. die wiedereinfüh-
rung des sozialen und politischen kann nur
von unten kommen, und äußern kann sich
das nur in konkreten gesellschaftlichen
fragen. eine ihrer folgen muß der bruch
sein mit der gleichsetzung und austausch-
barkeit von geld (besitz) und macht.
eine hinter uns liegende phase fassen
und alles politisch neu bestimmen zu kön-
nen, war der sinn der sache ,diskussion
untereinander und politische kommunika-
tion nach draußen', dessen form die zu-
sammenlegung als voraussetzung des kol-
lektiven war und sozusagen ein politi-
sches aufheben der knastmauern nach
draußen. nichts ist gekommen. das liegt

26
RolfHeißler

Die Kluft zwischen staatlichem Reden


und herrschender Realität
ist noch immer tief und weit

mein leben beginnt eigentlich erst .am sich und mir, er schlief mehrere wochen. sendjährigen reiches' immer auf der fal-
2.6.67, dem tag der ermordung von ben- nach untersuchungen in einem bundes- schen seite. vietnam, die palästinenserIn-
no ohnesorg durch die staatsgewalt wäh- wehrkrankenhaus wurde dann festge- nen trugen den krieg in die metropolen,
rend einer demonstration gegen den stellt, ich habe einen brustwirbel zu viel che, fidel, die tupamaros, die black pan-
schahbesuch in westberlin. und einen halswirbel zu wenig oder umge- thers, die befreiungsbewegungen in ango-
aufgewachsen bin ich in einem bürgerli- kehrt. bei schweren belastungen können la, mocambique und guinea-bissau und
chen elternhaus. mein vater war latein-, nervenstränge eingeklemmt werden, der und und. eine totale aufbruchsituation und
griechisch- und deutschlehrer, meine eingeschlafene arm war eine folge. nach -stimmung. du hast gefühlt und gesehen,
mutter hatte zwei kinder in die ehe mitge- nur einem halben jahr wurde ich mit dem es sind überall auf der welt menschen wie
bracht. ihr erster mann war im krieg auf untersten dienstgrad als schütze der reser- wir, die es jetzt selber in die hand nehmen,
der krim gefallen. was er dort gemacht ve entlassen. daß alles anders wird. ich habe damals gar
hat, war wie die gesamte deutsche ge- so kam ich total unpolitisch und ange- keine vorstellung gehabt, wie, aber ich
schichte - mein vater war kriegsgefange- paßt im sommersemester 1967 nach mün- war ganz sicher, daß wir es können und
ner in den usa - kein thema in meinem el- chen und begann mit dem studium von rauskriegen werden, wenn wir nur immer
ternhaus. und wenn, wurde sie auf dem zeitungswissenschaften (zw), germanistik weiter suchen. das war alles ganz emotio-
niveau abgehandelt, hitler war schon ir- und geschichte mit der option journalist nal und nicht politisch durchdacht oder
gendwie nicht schlecht, er hat die auto- oder zur sicherheit lehrer. mit dem ab- was, aber eine begeisterung und enorme
bahnen gebaut. stand von zu hause und zur verhinderung, sicherheit, wir fangen hier genauso was
solange es in der schule einigermaßen daß ich je in die abschreckenden fußstap- grundsätzlich neues an wie überall. der
lief, war es auszuhalten. auf leistung und fen.meines vaters treten kann, strich ich subjektive kern für den eigenen aufbruch
konkurrenz, auf besser und braver sein als schon nach den ersten beiden semestern war der gedanke an befreiung, den die be-
andere kinder wurde ich getrimmt, blue germanistik und geschichte und schrieb freiungsbewegungen durch ihren kampf
jeans tragen oder mickey mouse oder ähn- mich neben zw für politische wissenschaf- in die metropolen getragen haben, leben-
liches lesen - solche schundheftchen - ten und soziologie ein. dig, sichtbar oder auch nur artikuliert in
war verboten. bei klassenarbeiten bekam am 3.6.67 - an diesem lag wurde ich der politischen praxis bis dahin. plötzlich
ich für eine I/sehr gut I dm, für eine 19jahre alt - sah ich hinter der uni zum wurde klar: es gibt was anderes, kann was
2/ gut 0,50 dm, für eine 3 / befriedigend ersten mal in meinem leben eine demon- anderes geben, wenn wir es wollen und
0,30 dm, bei einer 4/ausreichend, gar stration mit roten fahnen. igitt, kommuni- machen. der subjektive faktor, der hier
nicht zu reden von einer 5 oder 6. mangel- sten, dachte ich, aber am nächsten lag lief durch die befreiungsbewegungen reinge-
haft oder ungenügend, war die stimmung ich unter diesen roten fahnen mit, vermut- brochen ist, das war das entscheidend
schneidend ebenso wie bei sonstigen vor- lich aus empörung über das erste bewußt neue. und es ist immer noch das entschei-
fällen wie ei an der tafel, da ich den lehrer wahrgenolnmene staatsverbrechen und dende und gerade hier so schwer. meine
verfehlt hatte. hausarrest, taschengeldent- dessen rechtfertigungsversuche. am 2. 6. vereinzelung brach nach und nach auf. es
zug und ähnliche unterdrückungsmaßnah- waren in westberlin die demonstranten ging alles rasend schnell. gut 2 1/2 jahre
men. in der klasse war ich der kleinste, gegen den schahbesuch - der schah, ver- später war ich in der illegalität und keine
der jüngste und der frechste. antwortlich für folter und mord an zehn- vier jahre später zum ersten mal im knast.
etwa ein halbes jahr vorm abitur wurde tausenden von menschen im iran - von schon nach ein paar monaten ging ich
ich von meiner mutter ins herrenzimmer der polizei und savak-agenten' brutalst zum sds (sozialistischer deutscher studen-
gebeten, und meine eltern fragten mich, auseinandergetrieben worden. der unbe- tenbund) und wurde als kandidat aufge-
was ich studieren wolle. da ich das so ge- waffnete benno ohnesorg wollte sich in si- nommen. witzig, die genossin, die zu
nau nicht wußte, ließ ich mich überzeu- cherheit bringen und war auf der flucht in meiner vorstellung ,ja, der ist gut' gesagt
gen, daß es das richtigste sei, mich für einem hinterhof erschossen worden, ob- hatte, sah ich ein paar wochen vor meiner
zwei jahre freiwillig bei der bundeswehr wohl er niemanden bedroht oder gar ange- verhaftung '79 irgendwo in der brd wie-
zu verpflichten. hin müsse ich sowieso ir- griffen hatte. der. sie lief mir plötzlich über den weg.
gendwann, und eine mögliche unterbre- seine ermordung war der anlaß, mich erkannt hat sie mich natürlich nicht. so
chung des studiums sei nicht gut. außer- mit diesem staat und meinem oberflächli- ging ich hinter ihr her, überlegend, rede
dem könne ich mir in der zeit über mein chen heile-weit-bild zu beschäftigen. ich sie an, eine eigentlich verantwortungs-
berufsziel klarer werden. noch lief ich ziemlich allein durch die ge- lose sache, oder nicht. wir hatten seiner-
kaum bei der bundeswehr, schon bei gend, machte augen und ohren auf, ging zeit nicht den engsten kontakt und über ein
der ersten verpackungsübung - da wirst zu teach-ins und veranstaltungen und er- jahrzehnt dazwischen. da weiß man nichts
du mitten in der nacht aus dem schlaf ge- fuhr alles neu. ich lernte erstmals die ge- von der politischen entwicklung, ob je-
rissen, alarm, und du hast binnen kurzem schichte und die weit mit den augen der mand weiter unter staatsschutzbespitze-
marschbereit und voll ausgerüstet mit ge- ausgebeuteten und unterdrückten kennen, lung steht usw. schließlich sah ich sie in
wehr und sturmgepäck anzuQ'eten, der in der schule oder zu hause war das total einen freakig bemalten vw-bus einsteigen,
feind ist im anmarsch - schlief mir ver- ausgeblendet gewesen, der deutsche im- freute mich über das offensichtlich nicht-
mutlich wegen des zu eng geschnürten perialismus, der nazismus, die situation in arrangiert-haben wie viele 68er und ärger-
sturmgepäcks mein einer arm ein. es hieß den ländern der drei kontinente, kolonia- te mich ein bißchen über die versäumte
stillgestanden, bewegen durfte man sich lismus, kapitalismus, sozialismus, kom- möglichkeit. aber man hat natürlich zuerst
nicht, veränderung wurde trotz versuchs munismus, anarchismus, befreiungskrie- an die sicherheit zu denken, und schon das
nicht erlaubt. der arm meinte es zu gut mit ge, die brd als nachfolgestaat des ,tau- mögliche bekanntwerden, in welcher ge-

27

••••
gend du bist, ist zu viel. formen individualismus sehen und leben, einem wasserwerfer weggespült.
am institut für zeitungswissenschaften, sondern probleme und schwierigkeiten nach der institutsbesetzung begann
was damals praktischerweise im amerika- von jeder/rn wie untereinander gemein- langsam der rückzug von der uni, wir gin-
haus war, hatten sich ein paar leute zu- sam angehen und den alltag zusammen gen nur noch hin, wenn etwas besonderes
sammengetan. wir lösten die alte fach- organisieren. die gemeinschaftskasse, anstand. vieles spielte sich in den woh-
schaftsvertretung ab, ich wurde zu einem welch ein problem damals, weil wir ver- nungen ab. nach dem ersten joint - da-
der fachschaftssprecher gewählt. wir ar- schieden viel geld zur verfügung hatten, mals wurde das rauchen noch als mittel
beiteten am aufbrechen der reaktionären das knacken des besitzdenkens oder die der bewußtseinserweiterung begriffen -
strukturen in der alten ordinarienuniversi- organisation des kochens und sauber-ma- hockte ich zwar kotzend auf der toilette,
tät. unser institutsleiter war zusätzlich chens und zugleich auch immer die politi- aber ich hörte zum ersten mal wirklich
herausgeber der reaktionären katholi- sche arbeit an der uni. es war eine lehrrei- musik. ich arbeitete ein wenig im kinder-
schen wochenzeitschrift ,rheinischer mer- che und harte zeit, stunden-, nächtelang und schülerladen mit. eine wichtige erfah-
kur', einer der assistenten war glotz, spä- diskussionen oft ohne ergebnis, sie ver- rung. kinder verlangen alles von dir und
ter bundesgeschäftsführer der spd, heute tiefte den bruch mit unserer sozialisation. geben sich nicht mit halbheiten zufrieden.
immer noch bundestagsabgeordneter. die langen haare und die klamotten und auch da, alles neu, nicht an den kin-
mitbestimmung der studieninhalte war ein machten einen schon äußerlich zum au- dern das reproduzieren, was unsere eltern
zentraler punkt, gegen eine zeitung von ßenseiter. von den politikern und medien mit uns gemacht haben. sie waren nicht
uns wurde vom professor eine einstweili- lief eine beispiellose hetzkampagne gegen mehr sache der mütter allein, obwohl
ge verfügung mit verbot der weiterver- uns. das kann man sich heute gar nicht noch oft genug, sondern man kümmerte
breitung verschiedener textsteIlen er- mehr vorstellen. in kleinstädten oder auf sich gleichermaßen um sie.
wirkt. es folgten vorlesungssprengungen dem land machten sich bürger auf zur es war die zeit, in der die menschen in
und dann die institutsbesetzung. wir be- lynchjustiz gegen langhaarige, anders den metropolen durch die befreiungsbe-
nannten das amerika-haus in bahman-ni- aussehende. auch bei uns versuchten mal wegungen im trikont mit der frage kon-
rurnand-institut um, beteiligt waren auch besoffene aus der kneipe unten im haus, frontiert waren, wie die praktische solida-
brigitte (mohnhaupt) und gabi (irmgard die wohnungstür einzutreten. - rität und der gemeinsame kampf aussehen
möller). zwar ließen sich die herren pro- im frühjahr '68 trampte ich zum viet- können. selber auf der suche nach einem
fessoren und assistenten sprechen, doch namkongreß in westberlin, er sollte gegen sinn im leben, aber noch ganz unbe-
unseren forderungen kamen sie nicht den völkermord in vietnam mobilisieren. stimmt, wie der aussehen könnte, nur daß
nach. statt dessen lief die räumung durch dort erlebte ich zum ersten I:lnd einzigen es was anderes sein muß als das, was man
die polizei in der nacht, und wir verbrach- mal rudi dutschke. es war eine noch nie kennt, waren wir mit der realität auf der
ten sie mit erkennungsdienstlicher be- erlebte atmosphäre. münchen war im ver- welt konfrontiert. die befreiungskämpfe
handlung etc. im polizeipräsidium. mein gleich zu westberlin als der antikommuni- sind in den toten und gekünstelten normal-
erster bullenkontakt. folge: ein strafbe- stischen frontstadt tiefste provinz, die zustand hier reingebrochen und haben ihn
fehl über ein paar hundert dm. strukturen dort waren schon viel weiter aufgerissen. du hast gesehen, es sind men-
erst später erfuhr ich von meiner mut- entwickelt. der senat wollte die demon- schen wie wir, die es jetzt überall selber in
ter, daß die bullen zu hause, hunderte ki- stration verbieten. klar war nur, aber auf die hand nehmen, um ein anderes leben zu
lometer von münchen weg, vorbeigegan- jeden fall, dieses verbot wird nicht hinge- kämpfen, und genauso müssen wir· das
gen waren und ihnen von meiner verhaf- nommen. erst kurz zuvor wurde es aufge- tun, wenn es uns ernst ist. weil es sonst
tung erzählt hatten. entsprechend war die hoben, anders hätte es ein blutbad gege- nicht real wird, es gibt nichts anderes,
stimmung. es wurde mit entzug des mo- ben. neues, wenn niemand darum kämpft.
natlichen wechsels gedroht, was ich nur die saat der hetze ging weiter auf. grün- nicht die objektive notwendigkeit IJOddaß
konterte mit, dann gehe ich eben arbeiten. donnerstag '68 wurde rudi dutschke auf wir die begriffen haben, war das entschei-
wegen der langen haare hatte ich zu hause dem ku-damm in westberlin niederge- dende, sondern die notwendigkeit für uns
eh mehr oder weniger besuchsverbot. es schossen. die brd brannte. ich habe da- selbst, was jede/r mit der vorstellung von
hieß, was sollen die nachbarn denken. mals während der semesterferien auf der einem anderen leben verbindet, der reali-
die wohnsituation hatte sich unterdes- post gearbeitet und kriegte daher das in sierung der eigenen ziele und der praxis
sen auch verändert. zuerst wohnte ich bei münchen gelaufene nur bedingt mit. am dahin.
einer münchner witwe zur untermiete. be- gleichen abend hatten einige genoss-inn- moralische verpflichtung und objektive
such oder länger schlafen waren ungern en die münchner ftliale der bild-zeitung notwendigkeit waren genau das, woraus
gesehen. durch kontakte gelang mir der besucht und verwüstet. deren ausliefe- sich viele bestimmt haben und wie sie
absprung in eine wohnung mit zwei stu- rung wurde zu verhindern gesucht. am nicht kämpfen konnten. es war nicht ihre
denten, die bald darauf auszogen. so nächsten tag wurde vor dem verlagshaus eigene sache, ihr eigenes leben und ziel.
machten wir eine kommune daraus. es von springer weiter demonstriert, dabei da hängt die ganze regressive entwicklung
wurde eine wichtige zeit im bruch zu den kamen unter nie geklärten umständen in den 70er jahren dran, statt internationa-
jahren vorher. nicht nur sich selbst und zwei menschen ums leben. ich weiß nur listische praxis und zusammen kämpfen
die eigenen interessen und bedürfnisse, noch, ich war keine fünf minuten am spät- wurde daraus: solidaritätsgruppe / unter-
diesen ganzen destruktiven, systemkon- nachmittag da und wurde bereits von stützung / gegen das elend, aber es wurde

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lli<:ptmehr gefragt: und ich, was will ich aus der situation als gruppe sich und ihre raf, und ich schloß mich ihm an. ihr kampf
~lber leben, was will ich denn? dieses politik zu bestimmen. zwar trafen wir uns wie die jahre im knast hatten auch mein
verhältnis zu ihnen verändert, ich sah die
~nken: ,man muß doch' - wo dann im- einmal mit den genoss-inn-en von der raf,
~r der widerspruch bleibt zwischen der tauschten infomlationen aus, und sie ver- vermeintlichen unterschiede nicht mehr
jötwendigkeit, die man sich selbst ab- mittelten uns ihre erfahrungen, doch die so unvereinbar, dogmatisch wie einst. da-
Str.uctklarmacht, und der eigenen person, wege blieben getrennte. mit heutigem zu verstand sich kaum eine relevante gue-
die dann ihrem anspruch gerecht werden blick würde ich auch sagen, der unsere rilla auf der welt als anarchistisch. zu-
will, aber es war nicht die notwendigkeit war undefinierbar, wir waren noch viel nächst war es uns um die abschaffung der
für sich selbst, aus den eigenen erfahrun- mehr auf der suche. sonderbehandlung gegangen, aber nach-
gen und zielen daraus. ende '69 war ich in die illegalität gegan- dem die harte linie der sozialliberalen re-
die verbale wie materielle solidarität, gen, führte aber mehr ein leben in der gierung zum tod von holger2 geführt hatte
veranstaltungen, demos, die -letztlich- mischform von legalität und illegalität, - sie ließen ihn gezielt verhungern -,
aufldärungsversuche hatten zu wenig im das ging so weit, mit kUrzen haaren betrat ging der kampf mit der forderung nach
volk bewegt, das kräfteverhältnis nicht ich das haus, im treppenhaus zog ich die unserer zl weiter. im februar '75 brachen
entscheidend verändert. der imperialis- langhaarperücke über, und die genoss- wir ihn nach der aufforderung der raf ab.
mus benutzte weiterhin das ruhige hinter- inn-en, zu denen ich kam, kriegten nichts unmittelbar wurde nichts erreicht, aber in
land in den metropolen für die vorberei- mit und wußten teils auch von nichts. ver- der folge liefen verschiedene zusammen-
tl.ifigseiner aggression in den drei konti- hältnisse, die später unmöglich, von den legungen. und es war immer wieder so,
denten. mit dem auseinanderfallen der realen bedingungen, von der verfolgungs- unsere bedingungen haben sich nur verän-
studentenbewegung ist die frage an uns situation her unvorstellbar waren. nach dert, wenn wir darum mit allen mitteln
selbst konkret geworden, hier einen weg einer enteignungsaktion wurde nach einer gekämpft haben. auch die zl in stamm-
zu finden. das war es, was so schwer war genossin und mir offen gefahndet, ihr, heim war erkämpft. nach der zusage des
und jede/n total durchgerüttelt hat, alle ,unser' sohn war zu der zeit bei ihrer mut- justizministers von baden-württemberg
diskUssionen ab '69 gingen um das wie ter und wurde uns von seinem vater ge- ende april '77 sollte eine gruppe bis zu 16
weiter. aber außer daß du wußtest, es geht klaut. wir kamen nicht mehr rechtzeitig gefangenen zusammenkommen, und da-
jetzt um eine entscheidung, wie du leben genug an ihn ran. im juni '71 wurden wir nach wurde der 7. stock umgebaut. am
willst, war alles offen, es gab noch keine verhaftet. gegen mich lag ein haftbefehl 6. 7. 77 waren dann dort acht gefangene
erfahrungen, auch nicht, ob das, was wir wegen einer bank und eines rohrbomben- zusammengekommen, die aber nach pro-
wollen, möglich ist. anschlags vor, keine ahnung mehr, gegen vokationen bereits ein paar wochen später
in fast allen westeuropäischen ländern was, es wurde auch eingestellt. im jahr wieder auseinandergerissen wurden.
entwickelten sich in der zeit militant und / drauf hatten wir prozeß, und ich wurde zu ende februar '75, ich war noch im spi-
oder bewaffnet känlpfende gruppen und 8 jahren verurteilt, die genossin zu 6 1/2. tal, nahm die bewegung 2.juni den spit-
örganisationen. in münchen entstanden über 17jahre später sahen wir uns wieder, zenkandidaten der OOu für die bevorste-
die tupanlafOs münchen parallel zu den besuchte sie mich. henden westberliner wahlen gefangen.
tupamaros westberlin, einem vorläufer meine bedingungen waren zu der zeit tags drauf erfuhr ich einerseits sehr über-
der bewegung 2.juni, die verschiedene nom1al, von der isolationsfolter waren im raschend aus dem radio, kontaktsperre
aktionen machten, z. b. gegen gerichtsge- wesentlichen die gefangenen aus der raf gab es damals noch nicht, daß u. a. meine
bäude, polizeireviere und -wagen, einen betroffen. ich war erst '74 damit konfron- freilassung gefordert war. andererseits,
us-versorgungsladen. vom damaligen tiert wegen eines angeblich außerhalb der als ich '72 nach straubing gekommen war,
selbstverständnis her anarchisten, von mauem gefundenen befreiungsplanes für hatte ich auf die dUDlIDefrage nach meiner
daher gab es auch die distanz zu den kom- mich. ich kam nach straubing in das be- haftdauer, als ob ihnen das urteil nicht be-
munisten von der raf. damals habe ich den rühmt-berüchtigte haus m, das ist die kannt gewesen wäre, geantwortet, das ist
begriff kommunismus gleichgesetzt mit psychiatrie, ein knast im knast mit eigener abhängig von der macht und stärke der
organisations strukturen von oben nach mauer drumrum, dort in ein total abge- guerilla. am 1.3. 75 hob das flugzeug mit
unten, partei, hierachie, schreibtisch - schottetes loch, was sie extra für einen der fünf gefangenen von frankfurt ab, und wir
die ganzen vorurteile, die einem auch heu- palästinensischen genossen vom kom- fanden im demokratischen jemen aufnah-
te noch begegnen - im gegensatz zur pro- mando des schwarzen september zwei me.
paganda der tat, antiautoritär, alle sind jahre zuvor eingerichtet hatten (die anti- die meisten von uns waren zum ersten
gleich. dabei haben wir danlals alle ange- imperialistische, antifaschistische und in- mal in einem land des trikonts. was wir
fangen. der unterschied am begriff war, ternationalistische aktion bei der olympia- über kolonialismus, imperialismus und
daß es politik ist, nicht nur aktion, daß wir . de in münchen gegen das zionistische ge- die verbrechen der westlichen welt an den
revolutionäre politik entwickeln, über- bilde und die imperialistischen kernstaa- ausgebeuteten und unterdrückten völkern
haupt praktisch-politisch denken lernen ten). er war unterdessen schon wieder in in den drei kontinenten gelesen hatten,
müssen. den unterschied konnte man spä- der arabischen region, und auch ich sollte bekamen wir jetzt aus erster hand bestä-
1 ter auch im knast sehen, wo es für alle an- diesen weg gehen. tigt. die jemenitischen genossen vermit-
archist-inn-en nur individuell weiterge- im september. '74 begann der große telten uns die geschichte ihres befreiungs-
gangen ist, sie gar nicht in der lage waren, hungerstreik (hs) der gefangenen aus der kampfes gegen die britischen besatzer. so
quasi nebenbei handelten sie auch unsere
idealistischen organisations-vorstellun-
gen durch das schlichte beispiel ihrer er-
folgreichen kampferfahrungen ab, wenn
ein kommando unterwegs ist und zufiillig
auf den feind stößt, wollt ihr dann erst dis-
kUtieren und abstimmen, wie ihr euch ver-
halten wollt. nein, das geht nicht, die nie-
derlage, damit tod oder knast, wäre vor-
programmiert. für solche situationen muß
es einen verantwortlichen geben, der be-
stimmt und die befehle gibt. zu ihm müs-
sen die anderen das vertrauen haben, daß
er dazu fiihig ist. diskUtiert werden kann
über dessen entscheidungen hinterher.
wenn nach schWerwiegenden fehlern des
verantwortlichen kein vertrauen mehr zu
ihm besteht, muß ein anderer seine stelle

29

~
übernehmen. im jemen las ich auch mei- nachvollziehen. ihre situation zwingt sie, rungen in der arabischen region ging na-
nen ersten lenin. aus den bedingungen in viel genauer miteinander umzugehen, in türlich zur raf, um durch die aufnahme des
der metropole ist kollektivität das ent- diskussionen viel schneller zum kern vor- kampfes in der metropole den gemeinsa-
scheidende, identität und lernprozeß jeder zustoßen, und läßt solchen metropolenlu- men weltweiten kampf voranzutreiben.
und jedes einzelnen stehen im zentrum. es xus nicht zu. vor rund zwei jahren sind vielleicht stand während meiner jahre
wird hier nicht die ,organisation' geben. mir diese erfahrungen auch von zwei ge- draußen die befreiung unserer genoss-inn-
unser bücherwissen über das menschen- nossinnen vermittelt worden, die eine war en zu sehr im mittelpunkt, wurde darüber
vernichtende imperialistische staatensy- in einem salvadorianischen flüchtlingsla- die andere politische arbeit zu sehr ver-
stem wurde in diesem land konkret, die ger in honduras. die menschen waren auf nachlässigt, aber andererseits war auf
armut, die abhängigkeit und erpressungs- grund der lebensbedrohlichen verhältnis- grund der staatlichen vernichtungsstrate-
situation, in der es sich trotz befreiung se nicht nur gezwungen, sich zusammen- gie das leben unserer genoss-inn-en un-
weiter vom einstigen kolonialisten be- zuschließen und den alltag, alles zusam- mittelbar gefährdet. eine tatsache, die sich
fand. die briten hatten den jemenitischen men zu organisieren, sondern es bedurfte als bittere wahrheit herausgestellt hat.
boden kartographisch erfaßt und nach b0- einer alles wnfilssenden kollektiven an- imjuni '79 - wieder juni -, gefangene
denschätzen untersucht, diese unterlagen strengung, damit es überhaupt eine zu- sollten als reflex auf '77 zu diesem zeit~
wurden nach der befreiung trotz vereinba- kunft fiir sie gab. ähnliches auf einer ganz punkt nicht mehr gemacht werden, muß-
rung dem jemenitischen volk nicht über- anderen ebene schrieb mir eine genossin ten sie mich verhaften. einen tag vor ihrer
geben, was die ökonomische entwicklung von der viermonatigen besetzung des gÜD- beabsichtigten auflösung betrat ich eine
stark behinderte. denn für eigene untersu- ter-sare-hauses in wiesbaden. obwohl die wohnung, in der sie mich erwarteten. der
chungen waren weder das geld noch das beteiligten vom alter, geschichte, erfuh- schrei ,hände hoch' und der schuß kamen
wissen da, weil alles in den sozialen auf- rungen usw. her ziemlich unterschiedlich fast zugleich, es gelang mir noch, eine ta-
bau wie gesundheitswesen, schulen usw. waren, mußten sie sich in diskussionen sche mit zeitungen - glücklicherweise
gesteckt werden mußte. irgendwo wurde immer ganz zielgerichtet zum kern vorar- war es sonnabend und deren werbeteile
uns von unseren begleitern mit strahlen- beiten, mußten unterscheiden lernen zwi- entsprechend dick - vors gesicht zu rei-
den augen und voller stolz ein vielleicht schen wichtig und unwichtig, um den ßen und den winkel ein wenig zu verän-
25jähriger jemenite gezeigt, unser erster staatlichen druck aushalten zu können und dern. so wurde es ,nur' ein kopfsteck-
nach westlichen kriterien ausgebildeter handlungsfähig zu bleiben. diese erfuh- schuß aus zwei, drei meter entfernung.
arzt, und das nach jahrzehntelanger briti- rung wird hier noch viel zu wenig gelebt, ich lag zwar bewegungsunfähig am bo-
scher kolonisierung. die briten hatten sich drum komme ich oft bei vermittlung von den, aber wurde nicht bewußtlos. im
nur um die höhere, mit ihnen kollaborie- auseinandersetzungen aus dem kopfschüt- krankenhaus bekam ich mehrfach die em-
rende jemenitische kaste gekümmert. er- teln nicht raus, wie sehr sich an neben- pörung über den versauten tag zu hören:
krankte jemand von ihr oder ihren ange- punkten verhakelt wird. offenheit und schade, fiinf zentimeter zu weit nach
hörigen schwerer, wurden sie nach eng- ehrlichkeit fehlen, man redet nicht über rechts geschossen. gegenüber der öffent-
land ausgeflogen. das galt für alle sozialen die lösung anstehender probleme und lichkeit nahmen sie fiir sich putativnot-
selbstverständlichkeiten wie schule oder schwierigkeiten, sondern macht die sache wehr in anspruch, nur trug ich meine waf-
ausbildung. einige wenige kamen in groß- zum problem. so läßt sich schön abstrakt, fe in einem innenbundholster an der hose
britannien in ihren genuß, entsprechend unverbindlich und ergebnislos über einige und hatte sie nicht um den kopf gebunden.
manipuliert waren deren köpfe. für das dinge reden und braucht man nicht an sie die medien gingen diesem widerspruch
volk wurde nichts getan, es konnte ver- und sich heran. nicht nach, unsere anzeige wegen ver-
recken. auch die brd versuchte, die situa- so schön die eigene befreiung ist, so bit- suchten mordes wurde eingestellt. erst
tion des landes auszunutzen und den je- ter bleibt-das wissen um die in den händen nachdem sich ein rechtsanwalt (ra) zu mir
men zu erpressen. sie versprach für unse- des feindes zurückgelassenen genoss-inn- durchgekämpft hatte, gab ich meine zu-
re auslieferung zig millionen dm und stell- en. ein gefühl, das vermutlich jede/r ehe- stimmung zum röntgen und zur operation.
te für die zukunft ,entwicklungshilfe' in malige gefangene kennt. genauso wie je- bleibende folge, auf einem auge bin ich
.aussicht. doch die genossen ließen sich de/r ex-gefangene hat sie/ihn der knast fust blind. bereits am nächsten morgen
darauf nicht ein und versicherten uns, nicht - letztlich - gebrochen und zur wurde ich ins straubinger knasthospital
wenn wir jemand aufgenommen haben, praktischen distanzierung von der eigenen verflogen.
auch palästinensische genossen hatten geschichte verleitet, sich als ihr / ihm ich bin gleich in den hs gegangen, denn
sich für uns eingesetzt, dann halten wir nächstes darum kümmern wird, auch die die gefangenen aus der raf machten gerade
unser wort und lassen uns nicht bestechen. situation der zurückgebliebenen so zu ver- einen. nach ein paar wochen spital, natür-
unser aufenthalt in der arabischen re- ändern, wie auch die eigene verändert lich total isoliert, kam ich in den trakt ,
gion schloß auch kontakte zum palästinen- wurde. so stellte sich auch nie die frage, eine einheit aus fiinf löchern, eines fiir be-
sischen befreiungskampf ein, die erfuh- als exilant in der arabischen region zu dienstete, zelle, duschzelle, zelle und
rungen eines viel existentielleren kamp- bleiben, sondern nach schaffen der vor- einem lagerraum fiir die ,übersichtlich-
fes. die genossen machten sich immer lu- aussetzungen gingen wir zurück in die keit' der zelle gefährdenden sachen. im
stig, was wir so viel miteinander zu reden metropolen. und ich nach meinem ent- mülleimer der zelle fand ich eine holländi-
hatten. das konnten sie überhaupt nicht wicklungsprozeß im knast und den erfuh- sche zeitung von knut (folkerts), der zu

30
~r zeit auch in straubing war. in ihr gab wissen um die gesundheitlichen schadens- mich einer, ob ich drogen genommen hät-
e$fllur zwei bewegliche sachen, die ma- folgen, aber die sicherheit geht vor. te. ich muß mich aufs gehen konzentrie-
mitze und den spiegel, den sie seltsamer- bei unserem hs '81 sah ich zum ersten ren, kann dabei nicht groß nach links oder
weise nicht einbetoniert hatten. ansonsten mal bemd (rößner) und konnte unter ärzt- rechts gucken, sonst komme ich leicht ins
nUr beton, toilette und waschbecken ein- licher überwachung mit ihm eine halbe taumeln.
betoniert, neonröhre unter panzerglas, stunde reden. dies hatten wir zur vorbe- im prozeß war ich nur am anfang und
neben gittern wie fliegengitter. später in dingung unserer freiwilligen verlegung am ende zur abgabe je einer erklärung.
disseldorf fiel mir der ßlaIlgel auf, wie ins knasthospital gemacht. am 63. oder einmal wurde ich mittels rollkommando
sc.:hönist es doch, einen stuhl zu haben, 64. tag kippte ich ins koma. mein ra war kurzgeschoren und mit überschminkter
den du hin- und herschieben kannst, oder da. als ich ihn fragte, wann endlich mein narbe zur zeugengegenüberstellung in den
einen schrank, dessen türen du auf- oder ra komme, merkte er, daß es kritisch prozeßbunker geschleift. das nach einem
zumachen kannst, oder einen tisch, den du stand. ich bin dann irgendwann in der guten jahr verkündete urteil des lebens-
verrücken kannst, mit einer schublade, nacht wieder aufgewacht, wunderte mich, länglich erfuhr ich aus dem radio, denn
die du aufziehen oder zumachen kannst. in daß ich am tropf hing und krankenschwe- statt mir das urteilskonstrukt anzuhören,
gem loch dagegen betonstreben, auf die stern um mich waren, denn im knast gab hatte ich mich im verlesen eines passen-
die bett-, sitz- und tischplatte montiert wa- es keine. erst am morgen entdeckte ich, den brecht-textes nicht stören lassen und
ren. fest, starr, unbeweglich. ein schrank: daß ich in einem krankenhaus draußen wurde rausgeworfen. im austausch mit
nicht da, nur haken. eine bestimmte an- war, danach versuchte sich eine kranken- rolf c. (wagner), dessen prozeß in düssel-
zahl eigener sachen war erlaubt, alles an- gymnastin an mir, mir wieder gehen zu dorfbegann, wurden stefan und ich in den
dere wurde nach nebenan ausgelagert. lehren, doch mein zustand blieb der eines köln-ossendorrer trakt verlegt. dort waren
trotz dieser sterilität wurde das loch jeden besoffenen auf schwankenden schiffs- wir mit einigen anderen gefangenen zu-
tag nach dem hof durchsucht und ich für planken. es blieben drei möglichkeiten sammen, aber eine absolut geschlossene,
die zeit in der dusche eingeschlossen. es oder eine vermischung aus diesen: abge- kameraüberwachte einheit ohne kontakt
gab natürlich auch keinen lautsprecher in storbene gehirnzellen als folge des hs, zum restknast. wöchentlich machten sie
dem loch, total abgekoppelt vom rest- nachwirkungen des kopfschusses und 1 totalkontrolle der zellen von uns. d. h. je-
knast. die fünf löcher nebeneinander gin- oder wirkung der isolationsfolter. trotz de woche stand das rollkommando vor der
gen in einen vorraum, dann eine tür, untersuchungen durch die ärzte unseres tür, schleifte uns in die nebenräume und
durch die es in den eigentlichen knast und vertrauens, auch computertomographie riß uns die klamotten vom leibe. das wur-
zum hof ging. da hatte ich immer zwei be- des gehirns, später in nrw kamen wir dem de mit mehrwöchigem zeitungs- und ra-
-dienstete im schlepptau. kontrolle total, grund nicht näher. die kopfinhalte sahen dioentzug bis zum bunker bestraft. nach
23 stunden loch, eine stunde hof. das ist unbeschädigt aus. wochenlangen ergebnislosen bemühun-
übrigens meine derzeitige situation auch im hs hatten wir die, wie sich nachträg- gen um das zusammenkommen mit unse-
wieder, nur bekomme ich wenigstens ein lich herausstellte, verlogene zusage des ren genossinnen in ossendorf nahmen wir
paar gefangene zu gesicht. damals total al- bundesjustizministers erreicht, daß nie- die gemeinschaftsräume auseinander,
lein, oft habe ich tage hintereinander kein mand von uns weiter isoliert wird und wir bemalten die wände mit der forderung
wort gesagt oder gehört, denn solche zy- alle in kleingruppen zusammengelegt nach unserer zl, zerstörten die überwa-
nischen sprüche wie guten morgen, guten werden. wegen des bevorstehenden pro- chungskameras wie den einzigen farb-
appetit usw. hatte ich mir vom ersten tag zesses - schleyer ließen sie fallen, statt fernseher ossendorfs und sahen uns ein-
an verbeten. die kommunikation nach in- dessen wurde ein zusammenstoß mit nie- mal mehr mit einem rollkommando kon-
nen gleich null, und nach außen sah es derländischen zöllnern konstruiert - frontiert, das uns in den bunker schleifte
nicht wesentlich anders aus. ich war in wurde ich nach düsseldorf verlegt und und dort für fast zwei tage verkettete.
stratbaft wegen der durch meine befrei- kam mit ali Gansen) zusammen, damals am frauentag '84 kam ich nach strau-
ung noch offenen jahre, d. h. der knast gefangener aus der raf, heute aus dem wi- bing zurück, dort erneute totalisolation im
war zuständig, und zusätzlich war wegen derstand. ein paar stunden täglich außer trakt. während des hs '84/85 holte ich mir
des neuen haftbefehls, raf-mitgliedschaft wochenende konnten wir uns in einem eine offene tb, so daß ich danach in das zu-
und schleyer, der bgh3 in karlsruhe, später von zwei kameras bespitzelten raum se- ständige knastfachkrankenhaus nach bay-
das olg" in düsseldorf, zuständig. so konn- hen, kriegten dort unser mittagessen zu- reuth kam. dort weiter isoliert. vorm
te es vorkommen, daß besuch von den sammen und hatten hof im mp-schußfeld. knast wurde während meines aufenthalts
einen genehmigt, von den anderen abge- mit ihm drehte ich noch untergehakt wie rund um die uhr bundesgrenzschutz sta-
lehnt wurde, post von den einen durchge- ein altes ehepaar die runden. stefan (wis- tioniert.
lassen, von den anderen abgegriffen wur- niewski), mit dem ich monate später nach im juli '85 kam ich zurück nach strau-
de. es waren bedingungen, wie sie jedelr alis entlassung die zweieriso fortsetzte, bing und zum ersten mal in den ,nvz'. am
von uns jahrelang mitmachen mußte und machte das nicht mehr mit, sondern anfang konnte ich wenigstens während
die sie heute am liebsten als nicht gesche- zwang michrichtigeFWeise, auf den eige- des hofs bernd (rößner) sehen, später
hen behandeln möchten. auf beschwerde nen beinen zu stehen und zu gehen. unter- nicht einmal das mehr und im selben haus
gegen die isolationsfolter bekam ich einen dessen fällt es mir weniger auf als den an- wollten sie uns nicht zusammenlegen. so
entlarvenden beschluß, sinngemäß: wir deren, nach dem ersten hof hier fragte blieben unsere kontaktmöglichkeiten be-
grenzt. es kam, wie es kommen mußte,
ein gutes jahr später wurde ich erneut ver-
traktet und isoliert. leute, mit denen ich
ein wenig mehr zu tun hatte, sollen eine
dachbesteigung geplant haben, prompt
wurde ich zum verantwortlichen erklärt,
obwohl sie es besser wußten.
als sie anfang '88 mit aufhebung der iso
kamen, bestand ich auf verlegung in
bemds haus. das wurde abgelehnt, statt-
dessen verräumte mich ein rollkommando
in ,mein' altes, was mir noch eine anklage
wegen widerstandes einbrachte. einen tag
vor dem angesetzten termin wurde es auf
antrag eingestellt. im alten haus war ich
zwar weiter im trakt, aber hatte die mög-
lichkeit des gemeinsamen hofs, aufschlus-
ses usw. zur vorspiegelung von ,normali-

31
;,
L.
tät' wollten sie mich aus dem trakt rausha- bei mir liberalisierte sich ein wenig die tagelang abgeschlossen. doch sie hatten
ben, ich wollte nur zu bernd rausgehen. zensurpraxis, besuchsgenehmigungen die rechnung ohne die gefangenen ge-
erst nach einem 3/4 jahe ließ ich mich wurden ein wenig großzügiger erteilt, macht, nach nur einer woche - es liefen
breitschlagen. aber vom ausgangspunkt im tiefsten bay- unterschriftenlisten für aufhebung meiner
'89 begann unser hs um unsere zusam- ern her war es noch immer mäßiger als isolation, protestaktionen waren in pla-
menlegung in ein oder zwei gruppen, frei- anderswo, doch vier tage nach abbruch nung - hatten mich die gefangenen aus
lassung aller haftunfiihigen wie die dis- fiel die trennscheibe (ts) bei besuchen, nur der isolation freigekämpft, einzige bedin-
kussion mit allen gesellschaftlichen grup- bei den anwälten blieb sie. es kam eine gung, ich durfte mich nicht zur wahl als
pen. er war für uns eine neue erfahrung, genossin, die über acht jahre mit ts mit sprecher der arbeitslosen stellen. aber das
das mit der kette5 machten wir zum ersten zweimaligem rauswurf mitgemacht hatte. änderte nichts an der situation und stim-
mal, und das ist kaum aushaltbar. gaby tisch längs an der wand, wir sollten uns an mung. nach nur einer woche wurde ich
(rollnik) und ich hatten zwar nur christa die enden setzen, lka'ler6 in der mitte. nach münchen zwangsverlegt und dort
(eckes) und kh (karl-heinz dellwo) vor doch sie setzte sich in die mitte, so saßen wieder isoliert. zwei wochen später hörte
uns, aber schon das hat gereicht. daß ge- wir übers eck, händchen übereinander auf ich in den ersten nachrichten am morgen,
noss-inn-en im kampf fullen, ist schmerz- dem tisch, zu streicheln habe ich nicht nach dachbesetzung sei es in straubing
hafter teil des kampfes, aber nur die vor- gewagt. als erstes wischte durch den hin- zum polizeieinsatz gekommen, und mußte
stellung war schier unerträglich, denen terkopf, mensch, hat die schöne braune lachen, meine zwangsverlegung wie die
gegenüber für den fall unbetroffen und augen. und das nach den jahren. kamst dir anderer in den monaten vorher hatten
kalt scheinen, den schmerz allein in den vor wie zwei 15jährige,. so unendlich we- nichts verändert. nachmittag'shöre ich am
griff kriegen zu müssen. um so froher war nig, aber doch auch so unendlich viel. fenster jemanden rufen: "seid ihr alle
ich über das unterbrechen der beiden. es der ,nvz" nahm wieder seinen üblichen da?" und zurück kam ein: "jaaa !", das
wurde ein langer abend. zwar hatte ich gang. am 2.7.90 gab es vergammelten war der erkennungs slogan der straubin-
mich vorher damit beschäftigt, am anfang käse zum abendessen, rund 150 gefangene ger. sie hatten tatsächlich alle 100 an der
der kette zu stehen, aber es ist doch mal versammelten sich unter der zentrale und dachbesetzung beteiligten nach totalem
etwas anderes, wenn es dann tatsächlich verlangten ein gespräch mit der anstalts- aufmischen nach münchen z\vangsver-
realität geworden ist. wir sind keine hel- leitung und / oder einem vertreter aus dem legt. zwei direkt unter mir. das war eine
den. ich klopfte mich unter einbeziehung justizministerium über die mißstände in freude, aber nur eine kurze. nachdem ich
aller auf mich zukommenden eventualitä- diesem knast und die notwendigen verän- gemeinsamen hof mit ihnen beantragt hat-
ten noch mal ab, und am ende stand die derungen. dabei begipgen sie den ,fehler" te, schließlich hatten sie mich in der nacht
nochmalige entscheidung, ja, das will ich, mich als einen ihrer sprecher zu bestim- zu einem ihrer sprecher bestimmt, wurde
das kämpfen wir durch, ich war mir uns men. die nacht in worte zu fussen, ist ich perfektioniert wie noch nie abgeschot-
sicher. kaum möglich, man muß sie mitgemacht tet und isoliert und zwei monate später
viele haben in unserem abbruch eine haben. während wir mit einem von der ,si- wegen meines schädlichen einflusses auf
niederlage gesehen. ich konnte das über- cherheit' geredet hatten, hatten andere die hysterischen gefangenen nach fran-
haupt nicht nachvollziehen, mir war und begonnen, die furderungen zusammenzu- kenthal in rheinland-pfalz ausgeflogen,
ist es ganz anders gegangen. allein der schreiben. es mußte erst papier her, es ursprünglich nur für ein halbes jahe ge-
fukt unserer geschlossenheit trotz der be- mußte erst ein kuli her, es war nichts da, dacht.
grenzten kommunikationsmöglichkeiten nichts vorbereitet. du sahst leute aktiv es kam auch eine neue anklageschrift
war ein erfolg. du erwartest es zwar einer- werden, die du bisher nur mit scheelen wegen gefangenenmeuterei. aber nach-
seits, aber andererseits kannst du es nicht augen betrachtet hattest. du vermißtest dem das wegen des bestehenden lebens-
als selbstverständlichkeit behandeln. andere, deren anwesenheit du erwartet länglich im dezember '91 eingestellt wur-
denn die jahrelange isolation und tren- hättest, die sich freiwillig hatten dn- de und ich schon über ein jahe hier bin,
nung hinterlassen ihre spuren. auch unse- schließen lassen. eine gangtür war offen soll ich wohl hier bleiben. darauf deuten
re telefonate, mensch, nach zehn jahren geblieben. aus den offenen zellen dort auch die seit monaten laufenden provoka-
kannst du mit anderen reden, und es wurden ein paar matratzen, klamotten ge- tionen wie leerung der zelle wegen der
kommt dir vor, als ob du dich gestern zum holt, tabak, kaffee, ein tauchsieder waren ,unübersichtlichkeit' oder zuletzt ihr
letzten mal gesehen und gesprochen hät- plötzlich von irgendwoher da. tee, zuk- kommen mit arbeitszwang und streichen
test. oder auch mit welchen zum ersten ker. einer verlas dann die zusammenge- des einkaufs hin. in einer beschwerde da-
mal, die du nicht direkt kennst, nur über stellten forderungen, allgemeine zustim- gegen fußte ich es so zusammen: ••analog
papier kennengelernt hast. es mag sich pa- mung, um weitere wurde gebeten. es wur- der kinkelschen vorgabe soll mein körper
radox anhören, aber in diesen wochen gab de strikt darauf geachtet, daß keine einzel- in den zustand der haftunJähigkeit ge-
es so viele kleine, wertvolle glücksrno- trips liefen. zu einigen, wo wir aus be- bracht werden, damit der staat irgend-
mente wie noch nie erlebt. es bleiben dir stimmten gründen unsicher waren, wur- wann fiir die öffentlichkeit seine men-
nur spott für die staatliche vernichtungs- den zuverlässige in die nähe gebracht, die schenfreundliche maske aufsetzen und mir
strategie und ihre vergeblichen versuche im notfall eingegriffen hätten. und du bzw. dem, was davon übriggeblieben ist,
der zerstörung des kollektivs. die mobili- mußt dir vorstellen, alles nicht in ruhe, die ,freilassung auf bewährung' anbieten
sierung draußen übertraf auch alle erwar- sondern pfeifen, klatschen, sprechchöre kann. " die kluft zwischen staatlichem re-
tungen, auch wenn das, was sich wider- ,freiheit', ,streik' usw. usw. man konnte den und herrschender realität ist noch
stand nannte, zu wenig damit anzufangen sich nur verständlich machen, indem man immer tief und weit.
wußte. sich ins ohr schrie. wenn es bei uns ein
fakt ist auf jeden fall, mit diesem streik wenig ruhiger war, ging das geklopfe der
wurde dem staat die legitimation für die eingeschlossenen an ihren türen los. auch Ein schriftliches Interview
fortsetzung der sonderbehandlung wie bis auf das andere haus hatte es übergeschla- mit einer linken
dahin aus der hand geschlagen, und es gen. sachen, brennende toilettenpapier-
folgten viele kosmetische korrekturen, rollen usw. flogen aus den fenstern, ge- dänischen Zeitung
die zwar im kern nichts veränderten und schirr wurde gegen die gitterstäbe ge-
am ziel der vernichtung unserer politi- schlagen usw. usw. doch mit uns wollte du bist revolutionär, was heißt das kon..,
schen identität festhielten, aber dennoch niemand reden, statt dessen waren wir kret für dich und deine praxis unter den
schritte nach vom bedeuteten. angelika nach durchgemachter nacht mit drei hun- bedingungen, wo du bist?
(goder) kam raus, in köln gab es eine neue dertschaften paramilitärisch ausgerüsteter im prinzip nichts anderes als draußen.
kleingruppe, in den nächsten monaten lie- bereitschaftspolizei konfrontiert, die uns dort machst dl;l etwas aus deiner politi-
fen verschiedene verlegungen, so daß in die zellen zurückverfrachteten. schen identitä,t heraus, und hier kämpfst
jetzt die wenigsten keinen von uns zu ge- am abend dieses tages standen ein paar du aus ihr heraus und um sie, darum, ganz
sicht kriegen, selbst wenn es nur eine bedienstete in meinem loch und vertrakte- zu bleiben, subjekt zu bleiben, deine
stunde hof ist. ten mich als einzigen. das fenster wurde handlungsfiihigkeit zu bewahren, weil sie

32
~nau das vernichten, an den gefangenen das wenigste betrifft einen wirklich. ein den preis kennen, den die menschen für
e~emplarisch vorführen wollen: hier in beispiel aus august letzten jahres, auf der den ,wohlstand' zahlen müssen, und ha-
(Jen metropolen geht nichts, ist jeder wi- einen seite war von mehreren kp-Ieuten ben daraus die praktischen und politischen
derstand sinn- und zwecklos. wie carillo vom ende des kommunismus konsequenzen gezogen.
wenn du gefangen wirst, weißt du, wor- zu lesen, wobei k{}mmunismus mit mos- aus den drei welten sind zwei gewor-
um es dem staat geht. er will dich mit allen kau 1älschlicherweise gleichgesetzt wird. den, die polarisierung zwischen der ersten
mitteln brechen und schreckt dabei vor ein paar seiten weiter ein interview mit und der dritten welt wird sich weiter zu-
nichts zurück. die isolationsfolter soll abdullah öcalm. auf die feststellung des spitzen, die verelendung weltweit wird
dich in einen zustand der resignation und scheiterns des marxismus-leninismus in zunehmen und beginnt, auch die metropo-
hoffnungslosigkeit bringen. du sollst nur osteuropa und die frage, warum halten sie len verstärkt zu erfassen. die armut ist
noch die macht und stärke des staates se- daran fest, was ist der marxismus-leninis- produkt des kapitalismus und wird nicht
hen und damit die unerreichbarkeit eines mus der pkk, sagte er: "er ist das genaue durch ihn aufgehoben.
lebens, einer welt ohne ausbeutung und gegenteil von realem sozialismus. der so- nach der propagmda waren die welt-
unterdrückung. du sollst den status quo zialismus muß vor allem moralisch ge- weiten revolutionären prozesse von der
fiir unveränderbar halten und daran zu stärkt werden. im realen sozialismus gab sowjetunion initüert und abhängig, aber
glauben beginnen. du mußt zum objekt in es keine moral. der staat und die bürokra- dem war schon lmge nicht mehr so. man
den händen des staates werden, damit er tie müssen überwunden werden. es ist denke nur an die friedliche koexistenz.
dich in gewünschtem sinne gegen den falsch, sie auszubauen. auch der partei- aus den dortigen, teils aus der geschichte
weltweiten revolutionären prozeß funk- apparat kann so nicht bleiben. partei und erklärbaren fehlern werden wir für mor-
tionalisieren kann. staat müssen überwunden werden. nach gen zu lernen haben. es ging ja so weit,
wenn du das weißt, weißt du auch, daß unserem verständnis heißt sozialismus in- daß rebmann8 deswegen schon das ende
du diese ziele durchkreuzen mußt und auf itiative des volkes. in osteuropa hat das der raf ankündigte, oder jetzt ihr billiger
grund der gemachten erfahrungen auch volk eIne sehr schlechte karikatur des so- versuch, aus der raf eine von der stasi ge-
durchkreuzen kannst. mehr als dein leben zialismus beseitigt. aber es hat an seiner lenkte marionette zu machen.
können sie dir nicht nehmen, es ist nichts stelle nichts anderes schaffen können. die weil fiir uns die politische orientierung
mderesalsdraußen.de~~enmag~h liquidierung eines schlechten sozialismus- von mfang an eine andere, nicht nur auf
auch nicht, wenn dort unsere bedingungen modells ist positiv, allerdings hätte die al- die realsozialistischen staaten im osten ge-
oft mit den schwärzesten farben gemalt ternative nicht die rückkehr zum kapitalis- richtete war, trifft uns der zusammen-
werden. sicher sind sie hart, sicher zielen mus sein sollen. wir können den sozialis- bruch - im gegensatz zur ideologischen
sie auf die vernichtung. sie sind auch im- mus nicht aufgeben. wir sind mit der so- linken - inhaltlich nicht. natürlich ver-
mer wieder zu denunzieren, weil an ihnen zialistischen utopie und ihrer anwendung schiebt er die kräfteverhältnisse, aber er
der widerspruch zwischen staatlichem re- verbunden. natürlich werden wir dabei macht neue wege auf bzw. beschleunigt
den und handeln offengelegt werden unsere eigene historische realität beach- diesen prozeß.
kann. aber wichtiger ist unser kampf da- ten. ich glaube, daß sozialismus und kapi- auf die frage, ob er als marxist nicht re-
gegen, daß wir trotz der bedingungen das talismus schwerwiegende probleme ge- signieren müsse wegen des zusammen-
lachen nicht verlernt und die zuvers~ht schaffen haben. es bedarf einer theorie brechens kommunistischer systeme auf
nicht verloren haben. der staat versucht, oder utopie des sozialismus zur lösung der gmzen welt, mtwortet ernesto carde-
abschreckende wirkung zu erzielen. wir dieser probleme. mit diesen regierungen nal: ,.für mich hat kommunismus nie ir-
stehen dagegen und lassen uns trotz der und systemen macht die welt pleite, wird gendeine blockbildung bedeutet, deshalb
trennung nicht vom kollektiven denken sie zerstört. der eingeschlagene weg führt kann ich auch nicht sagen, daß der mar-
und hmdeln abbringen. in den untergang. alles, was dies verhin- xismus gescheitert ist. die gesellschaft,
das ist nichts besonderes, wie es oft ge- dert, wird von uns akzeptiert ..• die marx propagiert hat, ist eine soziale
sehen wird, sondern in meinen augen völ- die imperialisten feiern das ende des und bürgerliche ohne egoismus. das sind
lig normal. die gemeinsamkeit macht un- weltkommunismus, nur machen sie den auch die ziele des christentums. das hat
sere stärke aus, als einzelne würden wir fehler, ihn gemäß ihrer jahrzehntelangen nicht mit bürokratischen systemen zu tun.
untergehen. an unserem widerstand orien- psychologischen kriegsführung mit mos- in diesen ländern hat es keinen wahrhafti-
tieren sich viele, er macht ihnen mut und kau gleichzusetzen. ich habe mich lange gen und selbstbestimmten sozialismus ge-
stellt alles wieder auf die fuße. wir kämp- gewundert, welche aufmerksamkeit gor- geben. sozialismus muß in meinen augen
fen um unsere zl, weil wir sie brauchen, batschows reaktionärem kurs in der linken immer demokratisch sein. was im ostblock
der kampf hat einen materiellen sinn und geschenkt wurde. bereits zu zeiten der stattgefunden hat, war eine perversion des
ist nichts abstraktes. und das ist den men- .studentenbewegung wurden die sich so- sozialismus. auch das christentum hat
schen, speziell den mitgefangenen, auch zialistisch nennenden staaten im osten als pervertierungen erlebt, trotzdem gibt es
vermittelbar. fiir sie hat man da und offen staatskapitalistisch kritisiert und konnte viele christen. wir müssen wege suchen,
zu sein, sie wissen, sie können sich auf sich niemmd mit ihnen identifizieren. sie den sozialismus menschlich zu realisie-
einen verlassen, wenn sie was brauchen, waren nicht das vorbild. die revolutionä- ren, so wie er eigentlich gemeint war. es
mm wird anvertrautes nicht weitererzäh- ren prozesse weltweit begannen fast alle bleibt dabei, daß es nur die beiden optio-
len oder sich gar auf einen deal zu ihren ohne unterstützung dieser staaten, sie nen kapitalismus oder sozialismus gibt.
lasten einlassen. sie lernen von solidari- mußten s~h teils sogar gegen sie durch- der kapitalismus macht große propagan-
schem verhalten, ohne sich ausnutzen zu setzen und wurden erst spät politisch, da mit dem scheitern des sozialismus,
lassen. ökonomisch, militärisch unterstützt. der aber das scheitern des kapitalismus geht
wenn unser reden und handeln auch un- jetzige ausfall, das international veränder- viel weiter. er macht nur zehn prozent der
ter diesen bedingungen in übereinstim- te kräfteverhältnis sind natürlich hart und weltbevölkerung reich. für die restlichen
mung bleibt, der staat sein ziel nicht er- bitter. 90 % und vor allem für die dritte welt aber
re~ht, wird der preis unseres festhaltens du brauchst nur in die gewendeten län- ist der kapitalismus eine katastrophe. des-
immer höher fiir ihn, wird er keine lösung der des ostens schauen und kannst feststel- halb bleibt meine option der sozialismus,
für sein problem mit uns finden. len, der kapitalismus, die freiheit des der die menschenrechte respektiert -
westlichen kapitals in diesen ländern, dein sozialismus mit christen." die kom-
es steht fast jeden tag in der presse, und bringt für die menschen nur eine weitere munistischen ziele leben unverändert in
im tv kann man auch täglich den impe- verschlechterung ihrer lebensbedingun- den menschen weiter.
rialistischen abgesang auf den angebli- gen. dies wird sich auch in den kommen-
chen tod des kommunismus durch den den jahren nicht ändern, wie sie jetzt vor- was verstehst du unter solidaritätsarbeit
zusammenbruch des ostens sehen. wie zugaukeln versuchen, das ist blanke illu- mit den kämpfen im süden?
siehst du das ? sion. der kapitalismus hat den menschen es geht darum, eine umkehrung der ent-
in den imperialistischen medien kannst du keine lösungen mzubieten. wir in den me- wicklungsrichtung in den metropolen und
täglich vieles lesen, hören und sehen, aber tropolen haben den vorteil, daß wir bereits aus den metropolen zu erkämpfen, aus der

~uu 33
für die mehrheit der menschen nur noch mos etc. ? unter dem ,gOUkrieg '91' war sammenbruch cubas hin. dieser fakt ist
zerstörung in einer wahnsinnigen dimen- dies ja auch hier wie in der brd der fall. kaum jemandem bekannt. die medien lei-
sion kommt, zerstörung und hunger und die zusammenarbeit mit anderen politi- sten ihren beitrag, die cubanischen ver-
tod und elend. das ist die absolute notwen- schen spektren sollte sich danach bestim- hältnisse als abzuschaffende hinzustellen.
digkeit jetzt, für alle. men, ob man inhaltlich an bestimmten aufgabe der linken wäre, mit allen mög-
wir haben es konkret am kampf des viet- punkten oder auch zielen zusammenkom- lichen mitteln dafür zu sorgen, daß die brd
namesischen volkes erlebt. entgegen der men kann. ich brauche nichts zur ge- ihren lieferverpflichtungen nachkommt
heutigen us-märchen wurde der krieg schichte der sozialdemokratie zu sagen, und die hetze gegen dieses land gestoppt
nicht verloren, weil das fernsehen vor ort sie stellte sich immer und vor allem in re- wird. geldsammlungen für ersatzteile,
war und die kriegsverbrechen in die gute volutionären prozessen gegen die pro- milchpulver usw. sind zwar notwendig,
wohnstube vermittelte, das passiert heute gressiven kräfte und auf die seite der reak- wichtig und richtig, aber die aggression
gleichermaßen, auch wenn sich die desin- tion, des kapitals. die deutsche sozialde- gegen das cubanische volk zu stoppen,
formationsmethoden verfeinerten, son- mokratie ist die partei stammheims, sie verlangt eine ausgedehntere, alles uJllfus-
dern der langandauemde kampf des viet- organisierte die anti-guerilla-bekämpfung sende praxis. für die menschen in west-
namesischen volkes brachte am anfimg nicht nur in der brd, sondern auch in west- europa gibt es eine riesige uneingelöste
wenige menschen in den metropolen zur europa und weltweit. heute in der opposi- verantwortlichkeit für die revolutionäre
vermittlung dessen, was dort passiert. ein tion will sie davon nichts mehr wissen, entwicklung in den drei kontinenten.
volk, das sich gegen den imperialismus, leugnet sie ihre vergangenheit, um so wie-
einen übermächtig scheinenden gegner zu der unter jungen menschen hoffnungen von vielen linken wird die pkkin kUrdi-
wehren hatte, um seinen weg selbst be- auf sie an der macht ZU wecken. stan als. stalinistisch abgetan, wie stehst
stimmen zu können. die antikriegsbewe- mit einzelnen mag eine zusammenarbeit duzurpkk?
gung klärte auf und schuf ein problembe- möglich erscheinen. aber gerade bei den wer die pkk derart etikettiert bzw. zu de-
wußtsein. der protest radikalisierte sich. angeführten beispielen sah und sehe ich nunzieren suchte, sagte damit alles über
die zunahme von militanz und angriffen, das nur äußerst bedingt. während der im- sich und nichts über die pkk. das passierte
die entwicklung bewaffneter organisatio- perialistischen aggression gegen das ira~ vor allem zu einer zeit, als sich bestimmte
nen wirkten zusammen mit dem kampf kische volk tat sie alles, um den protest für kurdische und türkische organisationen
des vietnamesischen volkes und verun- sich zu funktionalisieren, wollte sie sich mit den bestehenden verhältnissen in der
möglichte weitere politische mobilisie- an die spitze der anti-kriegs-bewegung türkei und kurdistan zu arrangieren be-
rung für den krieg bis hin zur atomaren setzen und hat sie, wo es ihr gelang, abge- gannen und ihnen gemäße bündnispartner
auslöschupg vietnams. WÜrgt. in den metropolen fanden. gemeinsam
das palästinensische volk dagegen be- auch beute bei den rassismus-fragen wurde versucht, die pkk und ihr verbun-
griff, würde es nur in palästina um die be- sieht es nicht anders aus. zwar spricht sie dene zusammenhänge zu isolieren und an-
freiung palästinas kämpfen, bliebe es ein sich verbal gegen die änderung des grund- zugreifen, in kurdistan selbst hatten diese
regionaler konflikt, um den sich niemand gesetz-artikels über das asylrecht aus, häfte überhaupt keine relevanz.
kümmern würde. da das zionistische ge- aber fuktisch will sie wie die rechten mau- das kurdische volk hat diesen ,linken'
bilde von der unterstützung der usa und em gegen flüchtlinge hochziehen. sie denunzianten seine antwort gegeben. wie
des imperialistischen staatensystems ab- stimmte ausländer-kz's an den grenzen es schon damals war, ist die pkk die füh-
hängig ist, politisch, ökonomisch, militä- zur zügigeren abschiebung wie der ver- rende kraft im kurdischen befreiungs-
risch, trogen die palästinensischen ge- kürzung des rechtswegs gleich der ver- kampf. der einzige unterschied, heute
noss-inn-en mit ihren angriffen den krieg rechtlichung der rechtlosigkeit zu und be- kann dies von niemandem mehr in frage
in die metropolen und sagten damit den fürwortet wie die grünen die selektive auf- gestellt werden. sie gibt ein beispiel, daß
menschen hier, auch ihr seid verantwort- nahme von flüchtlingen entlang den ar- trotz des zusammenbruchs der einst sozia-
lich und habt position zu beziehen und beitskräftebedürfnissen des kapitals. listischen staaten der kampf nicht beendet
könnt euch nicht quasi neutral gegenüber ob es bei euch anders ausschaut, weiß ist, sondern sich bis zur erreichung des
euren regierungen verhalten und sagen, ich nicht, aber mehr als punktuelle, ganz zieles fortsetzen wird. nicht nur in kurdi-
was geht mich das an. ohne die internatio- begrenzte zusammenarbeit wird auch bei stan, sondern weltweit.
nalisierung des kampfes wäre heute die euch nicht laufen. solche fragen entstehen der autbau einer neuen internationalisti-
plo nicht als die legitime vertreterin des immer dann, wenn die linke insgesamt zu schen linken weltweit unter berücksichti-
palästinensischen volkes weltweit aner- wenig politisch präsent ist, sich nicht gung der veränderten verhältnisse ist un-
kannt. wirklich als kraft mit einer anziehung ent- sere einzige hoffnung heute, und die hoff-
solidarität mit dem kampf im süden wickelt hat oder sichtbar ist. wäre es· so, nung müssen wir selber sein. ohne sie
heißt die aufnahme des kampfes im eige- würde sich die sozialdemokratie selbst die wird es nirgendwo und für niemanden
nen land auf allen ebenen. die brd hat frage bezogen auf sich stellen. wirkliche veränderungen geben.
weltweit die ausbildung und ausrüstung
der anti-aufstandsbekämpfung übernom- cuba steht als ein progressives land noch I iranischer geheimdienst
men, die counterstrategen kann man nur immer aufrecht. sozialismus oder tod 2 holger meins starb im hungerstreik 1974
im eigenen land stoppen. gilt dort immer noch. wie, glaubst du, 3 bundesgerichtshof
4 oberlandesgericht
oder nimm nicaragua. sicher mögen die können wir dem hart bedrängten euba
zur seite stehen? 5 im hungerstreik 1989 gingen die gefimgenen
eine oder andere solidaritätsbrigade für nach dem vorbild der irischen ira-gefimgenen in
den aufbau des landes nützlich und not- ich habe es schon oben gesagt, die politi- zweiwöchigem abstand in.den unbefristeten hs. so
wendig gewesen sein, aber sie allein, die sche, ökonomische und militärische un- sollte vermieden werden, daß sich rur alle filst
materielle unterstützung vor ort wie die terstützung cubas wie für andere progres- gleichzeitig die situation dramatisch zuspitzt
aufldärungsarbeit in den metropolen, wa- sive staaten in den drei kontinenten muß 6 landeskriminalat
ren zu wenig, nicht erfolgreich beim zu- sich von unten in den metropolen entwik- 7 oonnalvoUzug
rückschlagen der us-contra-aggression. es keIn. ich sehe schon wieder den brigaden- 8 kurt rebmann, ehemaliger generalbundesan-
walt
fehlte die mobilisierung in den metropo- tourismus sich wiederholen, aus den feh-
len, nicht von der quantität, sondern von lern im fall nicaragua scheint nicht gelernt
der qualität her. es wurden keine konkre- worden zu sein, oder es wird nicht ge-
ten forderungen an das kapital und die wollt.
verantwortlichen gestellt und mit allen ein konkretes beispiel: die brd hat mit
mitteln um deren durchsetzung gekämpft. der ddr-annektion deren lieferverpflich-
tungen von 20000 tonnen milchpulver
was denkst du über zusammenarbeit mit jährlich bis '95 nach cuba übernommen
der sozialdemokratie gemde in rassis- und kommt ihnen nicht nach, sie arbeitet
mus-fragen, also z. b. gemeinsame de- zusammen mit den usa gezielt auf den zu-

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Norbert Hofmeier und zwänge auflehnt, als lehrling in der
fabrik, imjugendarrestusw ....
jedenfalls habe ich mir gedacht, als ich
Über die Mühen des Kampfes die vielen auf der straße hier mitkriegte
gegen den golfkrieg - ja, vielleicht ist
jetzt diese erfahrung auch wieder für eini-
ge, die voller empörung über diesen men-
schenverachtenden krieg am golf und si-
cher auch voller illusionen noch über die-
sen staat und die sog. "demokratie" hier
losgelegt haben, auch so ein einschnitt;
sicher wird für viele das denken bleiben,
"die machen sowieso, was sie wollen",
ein stück resignation angesichts der reali-
tät. aber für diejenigen, die wirklich sel-
ich will mit einem gedicht anfangen, das um konzertabonnenten die kultur zu ber tag und nacht auf den beinen waren,
ich mir seit 1970über meinen schreibtisch bringen, organisiert haben, sind doch sicher auch
gehängt habe. es drückt aus, wie ich da- agitieren statt für die befreiung neue lebensideen, horizonte entstanden -
mals - und sicher viele - gedacht und für das bedürfnis nach befreiung,
gehandelt hatte; und es behält auch für sollen wir da nicht lieber dorthin gehen, ich jedenfalls war wie erlöst und ganz
heute seine gültigkeit, obwohl die politi- wo wir nicht gelehrte sein müssen, begeistert, als ich die vielen mitkriegte.
sche situation eine andere ist: um die revolutionäre klasse zu finden? über die selbstverständlichkeit und gute
einstellung, die sie haben: gegen die
über die mühen des kampfes nein, denn bei uns ist es, wo die großen drahtzieher, rüstungskonzerne, börsen,
in deutschland bomber banken, gegen die militärmaschinerie -
ihre lasten aufnehmen und starten in die bannmeile. eine neue generation ?!
wenn ich lese, daß im märz zu den weit entfernten schauplätzen der meine sensibilität gegenüber krieg kam
dreihundert vietcong getötet wurden, kriege, vor allem dadurch, daß mein vater, meh-
nachdem sie den imperialisten schaden dort werfen sie ihre last nur ab, und zu uns rere onkel als soldaten in den nazikriegs-
zufügten, kehren sie leer und wehrlos zurück. zügen waren gegen frankreich, die so-
und im gleichen zeitraum bei uns ungefähr unsere väter sind es doch, wjetunion, in afrika, z. t. verwundet, in
gleichviele autofahrer die dem klamottenkaiser von persien gefangenschaft, einer verkrüppelt. dazu,
kämpfend für was, was hinterlassend? das öl des persischen volkes abkaufen, so wie meine mutter über ihr leben und
als wäre das alles eine art das der menschen hier erzählte, die not
oder die großen städte jenseits des ozeans persönlicher ausscheidung seiner und der schrecken, kriegswirtschaft,
in flammen aufgehen, weil ihre erbauer majestät, bombardierung und zerstörung, die alli-
nicht länger hauswart spielen wollen, und mit ihren wechseln bezahlt er seine ierten soldaten (die als besatzung betrach-
während bei uns ein warenhausbrand, killer. tet wurden sehr oft). das alles hat mich
weil einer vergaß, das licht aus- und uns immer wieder beschäftigt, ich er-
zumachen- der stein, den wir in die amerikanische innere mich vor allem an eine reihe von
botschaft werfen, fotos aus dem krieg - besonders aus der
oder in einem persischen dorTdie leute ist soviel wert wie eine flugzeugrakete in sowjetunion, die mein vater mitgebracht
sich vietnam, hatte, wo ein unbeschreibliches elend zu
von einer plage ernähren, den heu- und ein wilder streik bei siemens, aeg, sehen ist: abgebrannte dörfer, kinder,
schrecken, dow chemical männer, frauen in lumpen gehüllt ohne
und der könig der könige seine staats- ist wie eine im voraus gewonnene schuhe im schnee, tote an den wegrän-
karosse vietcongoffensive. dern, verletzte und endlose züge von ge-
aus wien einfliegen läßt, fangenen soldaten sowie der zivilbevölke-
während bei uns eine vorrevolutionäre als die militärischen luftangriffe mitte ja- rung, die abgeführt wird in die zwangsar-
stimmung entsteht, nuar gegen den irak begonnen wurden, da beit, fotos aus lazaretten, wo hunderte
weil sich der schweinefleischpreis um ist mir meine eigene geschichte noch ein- wiederhergestellt werden für dieses sinn-
10pfennig erhöhte - mal durch den kopf gegangen. lose morden, andere verkrüppelt bleiben
ich denke, jeder mensch macht ja in sei- ... und da gibt es natürlich unendlich vie-
ja, wenn ich lese, daß die analphabeten in nem leben schon ab der kindheit erfahrun- le fragen, nach dem warum, nach dem
amerika gen mit ungerechtigkeit, unmoral und ent- sinn?
gewehre kaufen, dann bücher wickelt mehr oder weniger unbewußt ein und das waren auch immer wieder
und aus ihrem haß einen bürgerkrieg soziales empfinden. streitpunkte bei den gesprächen: wozu
machen, dann, in bestimmten situationen, wo es dieser krieg? - warum die verfolgung
während wir hier sitzen, lesend darauf ankommt, sich zu entscheiden, zu der menschen hier, juden /jüdinnen, kom-
unsere wut in uns hineinfressen, verhalten, partei zu ergreifen, werden munist/innen? (ich bin ja in einem kleinen
romantisch vor ohnmacht, und wenn es einem - oft schlagartig - bestimmte zu- dorf im schwarzwald aufgewachsen, auch
hochkommt, sammenhänge klarer, und man/frau be- von dort verschwanden einzelne - eine
dann fliegt mal ein stein - ginnt, sich entsprechend neu zu orientie- familie -, was jede/r wußte, was aber ein
ren. macht sich auf die suche. so ist mir tabu blieb - warum? wohin?) was wolltet
wenn ich das alles lese und wieder lese, vor über 20 jahren vor allem meine ent- ihr in frankreich, polen, der sowjetunion,
genossen (und genossinnen), scheidung, mich nicht für die interessen in afrika? und wenn ihr, wie ihr sagt, ge-
verliere ich oft den mut. des kapitals als soldat in kriege schicken gen den krieg ward, wieso habt ihr ihn zu-
zu lassen, zum auslöser für eine grund- gelassen? wieso habt ihr nicht verhindern
sollen wir denn kämpfen für die zukunft sätzliche veränderung für mein weiteres können, daß die nazifaschisten die macht
derer, leben geworden. erhielten, wieso seid ihr mitmarschiert?
die ihre zukunft für dreimal versichert natürlich hatte ich schon bereits früher auf alle diese fragen gab es keine befriedi-
halten, erfahrungen gemacht mit den autoritären, genden ant\Wrten - "man konnte ja nichts
hungerstreiks machen für leute, selbstgerechten, verlogenen verhältnis- dagegen machen", "niemand wußte etwas
denen nichts weiter fehlt als der mangel, sen, wie sie damals herrschten - als ju- von den ganzen verbrechen" usw. - diese
t unsere gitarren ins leihhaus tragen, gendlicher, der sich gegen die normen ausreden habe ich nie akzeptiert.

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dann - im fernsehen, in zeitungen und von hubschraubern abgesetzt zu werden, dem gleichberechtigte verhältnisse, auch
zeitschriften die bilder vom krieg gegen um brücken, versorgungseinrichtungen, über die grenzen hinweg. und im mittel-
vietnam: bombenkrater, zerstörte dörfer, schaltzentralen u. ä. zu zerstören; oder punkt der gemeinsamen anstrengungen
flugzeuge, die giftgas (übrigens "made m aber auch übungen zur "aufrechterhal- sollte eine welt für die menschen stehen;
gennany") versprühten, um die urwälder tung der inneren sicherheit", also einsätze die gesamten produktions- und lebensver-
zu zerstören - sog. "entlaubung" -, und übungen für straßen- und häuser- hältnisse (der austausch, die verteilung,
GI's, die sich mit ihren verbrecherischen kämpfe, um gegen demonstranten und be- die entwicklungsrichtung ... , also über-
heldentaten brüsten ... völkerung vorzugehen, die sich gegen den haupt das ganze zusammenleben) sollten
und hier, der staat, die medien, die herr- krieg und die militärs richten ... so ein dem leben und überleben dienen ...
schenden und verantwortlichen, sie sind haufen war das. wir wissen, und im grunde weiß es je-
für diesen krieg und völkermord. dort ist mir auch erst mal so richtig be- de/r: die möglichkeiten, die reichtümer
dann auch die bilder von straßenkämp- wußt geworden, wie solche unterdrük- und fiihigkeiten dazu wären vorhanden,
fen und vom widerstand der schwarzen kungsmechanismen wirken; aber sie werden von den herrschenden di-
(black panther) und auch von student/inni - z. b. wurden wir ganz gezielt mit ras- rigiert und benutzt, was zu einer unbe-
en in den usa - und hier die proteste ge- sismus und herrenmenschendenken ver- schreiblichen zerstörung und vernichtung
gen die notstandsgesetze, die studenten- seucht. egal um was es auch ging - bei von überlebensperspektiven führt ...
bewegung und demonstrationen gegen jeder schießübung, bei jedem manöver-, daß allen, auch uns selber, dieses selbst-
den krieg in vietnam, - und damit ver- es ging immer "gegen den iwan", als sei verständliche menschliche empfinden
bunden war ja auch eine protest- und wi- das so eine art unmenschen-untermen- fremd erscheint, so, als seien mitgefühl,
derstandskultur, antikriegslieder, es war schen, auf jeden fall eine bedrohung, die solidarisches verhalten unnormal, liegt an
eine rebellion gegen diese ordnung hier, vernichtet werden müßte ; der kalten ordnung des kapitalistischen
die auch mich störte. - oder diese ungebrochene nazikriegs- systems aus profit, egoismus und konkur-
in diese zeit - 1968 - fiel dann mein tradition, z. b. das ewige absingen und renz und dessen herrschafts- und unter-
bundeswehrauftritt: und über das alles marschieren nach diesen kriegsliedern, drückungsmechanismen.
gingen dann dort unter uns natürlich auch von "fallschirmabsprung auf kreta" bis von der schule, über die fabriken, büros
die diskussionen. für einige, auch mich, zu den "rasenden panzern ins russische und mietskasernen, durch die medien,
wurde ziemlich schnell klar, daß wir in feindesland" ... kultur und eben die gesamten herrschafts-
dieser militärrnaschinerie nicht mitma- - oder .der drill: befehl --'- gehorsam, institutionen dringt bis in die beziehungen
chen werden; - daß wir uns nicht benut- was darauf abzielt, menschen so zu unter- das kapitalistische "kosten-nutzen-den-
zen lassen werden, um andere völker zu werfen, um sie wirklich dahin zu bringen, ken", auf vorteil bedachte konkurrenz,
massakrieren, und daß wir nicht für die in- daß sie ihr eigenes denken und menschli- "jeder-ist -sich-selbst -der-nächste", und
teressen der herrschenden krepieren wol- che gefühle abschalten. damit diese völ- bewirkt eine jagd nach konsum, betäu-
len; daß wir uns von denjenigen, die den kermordmaschinen funktionieren, zerstö- bung ... , die befriedigung der eigentlich
nazi-terror zu verantworten haben, nicht ren sie jede achtung vor menschlichen we- menschlichen bedürfnisse nach sinnvoller
in neue verbrechen und kriege hetzen las- sen und werten. stattdessen eine richtigge- betätigung und gesellschaftlichem zusam-
sen: und gerade damals, da waren ja sol- hende ver-tierung. eine pseudokamerad- menleben ist so nicht zu finden ... diese
che figuren überall präsent: filbinger, der schaftsmentalität aus einer mischung aus leere prägt natürlich auch unser denken
als nazirichter noch deserteure ermorden herrenmenschendenken, machotum, ras- und verhalten, unsere gewohnheiten und
ließ bis zur letzten sekunde; lübke, kz- sismus ... beziehungen.
baumeister ... usw. usf. sie spielten hier was ich damit sagen will: ich bin durch so sehen die bedingungen hier aus, von
die präsidenten und ehrenmänner ... diese erfahrungen in meiner entscheidung denen wir ausgehen müssen. das sind die
dieser staat, diese ordnung war nicht und haltung gegen den krieg bestärkt wor- verhältnisse, um die bevölkerung im griff
unsere! darum werden wir sie auch nicht den, und ich habe beschlossen, daß ich in zu halten, um ihr bewußtsein zu manipu-
"verteidigen"! mit dieser begründung meinem leben einiges ändern werde, um lieren und ihre lebensweise zu deformie-
haben wir das sog. gelöbnis verweigert. diese verhältnisse abzuschaffen und zu ren, was wir sehen und verstehen müssen,
(das gelöbnis zu verweigern, das war - verändern, aus denen heraus diese unter- um die risse und widersprüche zu erken-
und ist, glaube ich, auch noch - so ein ty- drückung, kriege usw. kommen. direkt nen- ...
pisches pro-forma-recht.) der militärap- zwei tage nach der entlassung haben wir und gleichzeitig müssen wir lernen, uns
parat hat entsprechend reagiert: mit schi- alles zusammengepackt und sind nach gegen diese entfremdung (ohnmacht, ver-
kane und druck. sie haben uns auseinan- berlin gegangen. einzelung) immer wieder zu behaupten
dergerissen und einzeln, weit weg von un- diese erfahrungen wurden zum aus- mit einer politischen praxis und lebens-
seren wohnorten, in sogenannte kampf- gangspunkt für meinen weiteren weg, und weise, mit der wir unsere eigene mensch-
einheiten versetzt. ich denke, das ist auch eine art roter faden lichkeit - die fiihigkeit zu solidarischem
so bin ich bei den fallschirmjägern ge- für meine grundsätzliche lebenshaltung: verhalten - lebendig halten und zurück-
landet - und das hieß eben sehr oft manö- keine menschenverachtenden verhältnisse erobern ...
ver über wochen, viel wache-schieben, hinzunehmen, nicht für mich, nicht für ich habe kapiert, daß es im stillstand, im
selten wochenendurlaub. in den 18 mona- andere menschen hier und nicht für die reden alleine, in der theorie ohne praxis
ten, wo ich diesen entschluß verteidigt menschen irgendwo auf der welt. nicht die gesellschaftlichen veränderun-
habe, da sind mir dann die augen noch ein unversöhnlichkeit gegen unrecht, das gen und den sinn gibt, den ich will. einer
stück weiter geöffnet worden für unter- ist, denke ich, eine wichtige seite des an- meiner obersten leitsätze wurde: ich wer-
drückung - auch ganz direkt über das triebs für revolutionäre veränderungen - de das auch wirklich leben, praktisch um-
herrschafts system und über die funktion und eine andere seite ist die hoffnung und setzen und um meine und gesellschaftli-
so einer kriegsmaschine. das vertrauen in die menschen selber. che veränderung kämpfen; und dazu
fallschirmjäger sind sog. luftlandeein- ich bin mir ziemlich sicher, daß - ganz brauche ich genoss/ion/en, rückhalt und
heiten, wie sie auch heute bestandteil der egal, in welchem land menschen über ihre vertrauen, eine kraft ... natürlich auch
nato-schnelleingreiftruppen sind, die seit einfachen, natürlichen vorstellungen von einen plan und konkrete und längerfristige
beginn des aufmarsches zum golfkrieg in zusammenleben und gesellschaft ent- ziele: wogegen, wofür ~ mit wem, wie
kurdistan stationiert wurden, wo sie das scheiden könnten - es eine große über- ... ich will jetzt hier nicht für blindes an-
türkische militär mehr oder weniger di- einstimmung geben würde (ich meine die rennen reden. aber ich weiß, es ging mir
rekt unterstützen/beraten im krieg gegen einfachen menschen im allgemeinen, und uns immer dann gut, wenn wir von so
den kurdischen befreiungskampf. nicht die eliten). sie würden sagen: es soll einem unversöhnlichen verhältnis gegen
was sie mit uns dort durchexerziert ha- nirgendwo ein oben und unten geben; kei- diese herrschaft und von einem solidari-
ben, das waren im grunde solche spezial- ne klassen, die ausbeuten und herrschen; schen gefühl zu den menschen hier und
kriegs- und terroreinsätze: irgendwo im keine unterdrückung untereinander, kei- überall auf der welt ausgegangen sind ...
sog. "feindesland" abzuspringen oder nen sexismus, keinen rassismus - son- trotz allem losgegangen sind.

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mich bat mit zuversicht erfüllt, daß jetzt nen ausländerInnen leben, gibt es nur we- der krieg und faschismus, kein auschwitz,
gegen den golfkrieg so viele auf die straße nige wirkliche verbindungen, freund- kein my lai geben kann.
gingen. trotz allem - das system kann schaften, wirkliches verstehen und ken- ich bin erstmal rausgegangen aus der
eben menschliches empfinden und verhal- nen ... fabrik, meine arbeitskraft zu verkaufen im
ten nicht völlig abschalten. es ist vorhan- das ist das nächste, es kommt da auch tausch für irgendwe1chen konsum,
den, wenn auch mehr oder weniger unbe- zum ausdruck, daß die linke eben im rausch, hatte mich nicht befriedigt - ich
wuSt, verborgen und verschüttet - aber grund von der alltäglichen ausbeutung wollte mir alles anschauen. es war ja
trotz video, verkabelung, computer und und unterdrückung doch ganz schön weit wirklich auch eine zeit des politischen
verfälschtem leben - die menschen sind entfernt ist, sich im lauf der jahre entfernt umbruchs. alles wurde grundsätzlich in
nicht tot. hat - denn der rassismus und elitäre frage gestellt an diesem system, das ganze
im gegenteil, denke ich - es bleibt ja chauvinismus sind seit eh und je eine all- leben neu entworfen - zusammenleben,
a.ngesichts von unerträglichen verhältnis- täglichkeit auf den ämtern, in schulen, besetzte häuser (das georg-von-rauch-
sen gar nichts anderes übrig, als sich auf- stadtvierteln, kaufhäusern, in den fabri- haus), kinderläden, ein gesellschaftliches
zulehnen, wenn man / frau sich nicht sel- ken - drecks jobs, fließbänder, von skla- denken ... die suche nach erfahrungen
ber aufgeben, zerstören will durch dr0- venhiindlern ausgequetscht ... und orientierung für eine revolutionäre
gen, selbstmord usw. was ich besonders was heißt "um befreiung kämpfen" in veränderung hier: die geschichte der kpd,
gut fand, wie sie loszogen, um auch die diesem zusammenhang? ich denke, be- räterepubliken, die auseinandersetzung
übrige bevölkerung aus der teilnahmslo- freiung von dieser distanziertheit und un- mit den verhältnissen in der sowjetunion,
sigkeit und dem normalzustand aufzurüt- fähigkeit zu solidarischem zusammenle- ddr ... , die kein vorbild waren, weil sie
teln : ,los, werdet wach, ihr seid doch ben, indem wir eingreifen gegen die an- kein radikales modell für eine arbeiter /
auch menschen, oder nicht?' griffe und bedrohung gegen sie und zu- volksmacht gegen die verhältnisse hier
ich finde, wir dürfen nicht den fehler sammenleben, bei aller unterschiedlich- waren, weil die eigeninitiative und die kri-
machen, aus der "totalität des herr- keit der lebensweise. oder genauso, daß tikfähigkeit gelähmt waren ... dagegen
schaftssystems" einen mythos zu machen wir hier das mögliche tun, damit keine z. b. die revolutionäre bewegung in itali-
- so, als hätte dieses system eine art all- kriege und plünderung von hier mehr aus- en, die selbstorganisierung und kämpfe in
macht und hätte die menschen sowieso im gehen. so erobern wir uns die eigene den fabriken und stadtteilen ... und, und
griff ... denn wenn es so ist, liegt das menschlichkeit und stellen wirkliche be- ich war da mitten in einer offenen bewe-
aue h an unserer politischen schwäche! ziehungen her. gung mit allen möglichen verschiedenen
so eine analyse führt oft in der konsequenz konkret geht es darum, daß die kriegs- ansätzen, strömungen - wo auch die be-
zu einem sprung gleich ganz aus der reali- maschinerie der nato aufgehalten wird. waffneten gruppen ein selbstverständli-
tät und aus der geschichte hier heraus (zu gleichzeitig geht es für uns dabei um viel cher teil waren (also rat, 2.juni, später rz)
einem abhaken der bevölkerung, "norma- mehr, nämlich um die eigene moral und - auch wenn es ein ziemlich ideologi-
los") und führt zur subjektivistischen glaubwürdigkeit. sches hick-hack gab über den richtigen
überhöhung (selbstbefreiung) - zu einer ,gegen rassismus - für die befreiung weg: sozialrevolutionär / antiimperiali-
sackgasse; - weil es uns um die einheit der frau - internationalismus .. .' sind stisch - bewaffnet / legal ...
von eigener und gesellschaftlicher befrei- ganz grundsätzliche werte und grundsät- meine entscheidung war so: daß mein
unggeht. ze, wie wir uns eine andere, freie, selbst- platz hier ist - und nicht in einem land der
eine folge dieses denkens, "totalität des bestimmte gesellschaft vorstellen - um ,,3. welt" als "entwicklungshelfer", arzt
herrschaftssystems", ist, daß der alltägli- diese verwirklichung müssen wir ständig o. ä., und ich bin dann auch wieder in die
che kapitalismus. mehr oder weniger hin- kämpfen, weil ohne diese werte von einer fabrik gegangen, aber mit anderen augen
genommen wird, sich irgendwie damit ar- revolutionären bewegung gar nicht gere- und gefühlen, eben mit der vorstellung,
rangiert wird ... und daß revolutionäre det werden kann. ich lasse mich nicht zum dort widerstand zu organisieren. und ich
politik mit kampagnen; aktionen usw. kollaborateur, zum stillen nutznießer, denke, ich babe daraus in verschiedener
verbunden wird, als reaktion auf schwei- zum teilnahmslosen betrachter / kommen- hinsicht vieles ziehen können für meinen
nereien, gegen besondere projekte ... tator von diesem unrechtssystem machen weiteren weg seither.
quasi "von außen" werden "themen / - zu einem dreck. daß ich - bzw. damals viele - zu so
kampagnen" aufgegriffen und als "objek- und bei allem dreck in jeder/rn von uns einer entscheidung gekommen bin, das
tiv notwendig" ... "wir müssen" ver- und zwischen uns, gegen den wir zu war ja keine kopfgeburt, sondern das war
mittelt. kämpfen baben. - ich glaube nicht, daß auch durch die mobilisierende wirkung
darum reden wir dann meist auch gar wir, die menschen im allgemeinen, der der arbeiter/innen-kämpfe (streiks, beset-
nicht von uns und von der gesellschaftli- dreck sind, sondern diese herrschaftsver- zungen) auf fabrik- und stadtteilebene in
chen realität, um zu bestimmen: ja was hältnisse ; und daß im kampf für eine revo- frankreich (mai '68), in italien ... aber
wollen wir denn jetzt eigentlich mit mög- lutionäre veränderung auch die eigene auch hier, die wilden streiks '69: kämpfe
lichst vielen zusammen verändern. diese emanzipation möglich ist. für höhere und vor allem auch gleiche löh-
verantwortung können wir nicht weg- meiner meinung nach wiederholt sich ne für frauen, ausländer/innen, männer;
schieben, indem wir sagen: ,das system die erfahrung: beim widerstand gegen widerstand gegen die arbeitsbedingun-
hat alles im griff / faschismus ... objektiv den IWF, wo die vielen, unorganisierten gen, "akkord ist mord", gegen fließbän-
notwendig, die kräfteverhältnisse ... wir die straßen eroberten, "iwf-mörder- der etc., kritik an den korrupten gewerk-
müssen'. treff' ; 89 während des hungerstreiks, die schaftsfunktionären und deren "sozial-
wenn es z. b angesichts des golfkrieges vielen gegen folter und für zusammenle- partnerschaft" mit den kapitalisten - da-
auch gegen rassismus geht, werden wir gung ... ; oder in bamburg die breite und gegen der aufbau von unabhängigen lehr-
nicht weiterkommen, ohne in der ge- kämpferische verteidigung der hafenstra- lingsgruppen ... und so gab es damals in
schichte der klassenkämpfe hier zurück- Be. es hat also durchaus einen sinn und verschiedenen fabriken jeweils mehrere
zugehen, um zu verstehen, wie über jahr- auswirkung, was wir politisch machen, genoss/innlen als "betriebsgruppen" mit
hunderte hinweg das "untertanenverhal- mehr als wir selber glauben - auch wenn treffen, mit infos, zeitungen und bestimm-
ten-nach-oben" und "herrenmenschen- es meist schnell wieder wie verschluckt ten untersuchungen und kampagnen auf
denken-nach-unten" verinnerlicht wurde erscheint, dürfen wir das vertrauen in die fabrikebene - und mehrere gruppen zu-
und was so an zerstörungen und verbre- eigene kraft und vor allem auch das ver- sammen machten solidaritätsinfos / kam-
chen angerichtet wurde. und das beson- trauen in die menschen nicht verlieren. pagnen zur unterstützung der befreiungs-
ders durch den nazi faschismus gegenüber so, ich will nochmal zurückkommen auf kämpfe: vietnam, dann - nach der hetze
den jüdischen, slawischen, russischen, meinen eigenen aufbruch. und verfolgungswelle gegen die palästi-
arabischen ... sog. "untermenschen". wie gesagt stand ich also 1970 in berlin nenser/innen nach der aktion in münchen
ich glaube, daß die vorurteile und verhal- und mußte einen weg finden - was tun? '72 - palästina-solidarität und chile nach
tensweisen auch bei uns selber tief drin- was verändern? wie, mit wem - um dem putsch der faschistischen pinochet-
stecken, denn obwohl hier 4 oder 5 millio- wirklich dafür zu sorgen, daß es nie wie- militärs, um den widerstand, MIR 1, zu

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unterstützen ... und es wurden auch hier habe - ihren sorgen, interessen, ling hatte ich mitgekriegt, wie hunderte
kampagnen unterstützt zur besetzung und ihrem denken, ihrer geschichte (den frauen im akkord stanzen, löten, fräsen-
verteidigung von zentren / häusern (putte / kämpfen und niederlagen; und gerade auf billiger als maschinen oder automaten.
bethanien) oder zur solidarität mit den p0- fabrikebene gab es genau diese kontinuität wie sie ihre ganze konzentration, ihre le-
litischen gefangenen ... des nazifaschismus : die werksdirektoren bens- und arbeitskraft in den 8 stunden
es gab insgesamt gesehen auch eine usw. und auch eine geschichte des wider- aufbrauchen - im austausch für was ?
breite politisierung und radikalisierung in stands ... ), um so eben die politischen dadurch, daß ich diese ungerechten ver-
den fabriken, worauf das kapital mit hilfe und gesellschaftlichen verhältnisse zu hältnisse und das elend, das für viele da-
der spd-gewerkschaftsfiihrungen mit wel- verstehen. mit verbunden war, unmittelbar erlebt ha-
len von entlassungen / disziplinierungen ich habe erlebt, was dieses system für be, wird mir der zorn auf diese verhältnis-
reagierte: lOOe jugendvertreter/innen zerstörerische auswirkungen hat, z. b. da- se nie vergehen. ich weiß: ich will, daß
und kämpferische lehrlinge wurden nach durch, daß arbeiter/innen aus der türkei, sich die gesellschaftlichen verhältnisse
der ausbildung nicht übernommen; ganze kurdistan, aus den arabischen ländern hier grundlegend ändern.
gewerkschaftsjugendgruppen wurden hierbergelockt wurden als arbeitssklaven/ gleichzeitig habe ich aber auch kraft
aufgelöst und aus der gewerkschaft gefeu- innen, an die fließbänder, an die hochöfen und zuversicht aus diesen erfahrungen ge-
ert. besonders nach einer breiten welle ... in wohnheime verfrachtet (knastähn- zogen. ich weiß, daß sich im grunde sehr
von wilden streiks '72, '73/74 rollte eine lich), zerrissene familienzusammenhänge viele mit diesem entfremdeten, sinnent-
gegenoffensive von staat und kapital. z. b. - und sie mitten in einer gesellschaft, die stellenden arbeiten-leben nicht abgefun-
wurde der große streik und die werksbe- ihre kultur, lebensgewohnheiten, religion den haben, daß sie ein bedürfnis nach
setzung bei Cord/ köln mit einem großein- und persönlichkeit voller rassismus ver- kreativer tätigkeit, nach einem sinn und
satz von bullen, werkschutz, meistem, achtet -, und wie sie trotzdem hier ihre nach gesellschaftlicher perspektive ha-
ingenieuren mit gewalt zerschlagen. über lebensformen verteidigt haben, .in den ben. es war meist ein ehrliches interesse
500 türkische arbeiter/innen wurden di- stadtteilen, in denen ich mich selber auch für meine/unsere vorstellungen, z. b. für
rekt per flugzeug in die türkei abgescho- wohlgefiihlt habe ... unser leben in einem besetzten haus, für
ben, die autonome streikleitung wurde ich habe erlebt, wie die ausländischen die solidaritätsaktionen z. b. für nicaragua
verhaftet, einer der sprecher, der türki- arbeiter nach 20 jahren schwerstarbeit im oder für den widerstand gegen die nato-
sche genosse baha targün, zu ein paar jah- stahlwerk, wo sie ohne jeden schutz den kriegspolitik, gegen die atomenergie und
ren knast verurteilt - und Cord/köln war giftigen stäuben und dämpfen ausgesetzt eben überhaupt für unsere vorstellungen
kein einzelfall. weitere streiks/besetzun- waren, ausgelaugt, lungenkrank, in voll- von· einer anderen gerechten gesellschaft
gen wurden ähnlich zerschlagen und über- contischicht ... reihenweise abgescho- - auch wenn es meistens bei einem
all waren die ausländischen frauen und ben wurden mit ein paar mark abfindung. außenstehenden .beobachten bleibt und
männer der· kämpferische, vorwärtstrei- oder auf so schlecht bezahlte drecksjobs immer heftige auseinandersetzungen um
bendeteil .• versetzt wurden ... alles in absprache mit alle fragen gab - keine feindseligkeit.
das kapital reagierte auf verschiedene den betriebsräten. und ich habe eben vor allem auch die er-
weise, um die zentralen stützen· seiner und ich habe erlebt, wie diese werksdi- fahrung gemacht, daß es durchaus einen
herrschaft abzusichern und zu befrieden: rektoren alle register gezogen haben, um zusammenhalt und eine solidarität in den
- verlagerung der produktion in sog. untersuchungen und messungen über gifte alltäglichen konfrontationen gegen "die
"billiglohnländer" ; im stahlwerk und deren auswirkungen oben" (meister / chefs usw.) gibt, geben
- ratiooalisierungswellen / umstruktu- (lungenerkrankungen : asbestose u. ä.) zu kann - und bei mehreren streiks habe ich
rierung der fabriken, zerschlagung der verhindern. wie sie die ergebnisse mit hil- erlebt, was für eine kraft und auch wissen
traditionellen strukturen und des zusam- fe der abhängigen werksärzte und ,sicher- und phantasie in den leuten steckt, wenn
menhalts durch modernisierung, compu- heitschefs' unterschlagen, verfiilscht ha- sie erst einmal ihre sache in die eigenen
tergestützte produktionsanlagen und ma- ben. wie diese werksdirektoren dann ar- hände nehmen. und genau das bestärkt
schinen mit einer vereinzelung der ar- beiter von sklavenhändlern ausgeliehen mich darin: nicht die menschen sind der
beitsplätze und überwachung; haben, um sie 8 oder auch teilweise 16 dreck, sondern die verhältnisse - und daß
- massenentlassungen z. b. in der auto- stunden am stück ohne jede absicherung, eben die herrschaft des kapitals doch nicht
industrie im zusammenhang mit der "öl- schutz oder aufklärung über die gefähr- so total ist, wie sie es gern hätten und uns
krise" '73 ; dung diese bekannt gesundheitsschädi- einreden wollen.
- die zerschlagung der autonomen, genden arbeiten ausführen ließen. vor wahrscheinlich fragt ihr euch: was will
kämpferischen ansätze von widerstand allem in den drei jahren als betriebsrat im der uns eigentlich erzählen, sagen? sicher
durch entlassungen, durch gewerk- stahl- und walzwerk des thyssen-konzerns nicht: es soll jetzt jedelr in eine fabrik ren-
schaftsausschlüsse usw. bzw. versuche, (duisburg-hamborn) auf einer linksge- nen! sondern so: für mich / uns waren die
die oppositionellen in die gewerkschaft zu werkschaftsoppositionellen liste habe ich ganzen jahre, die sozialen und politischen
integrieren; diese menschenverachtende logik dieser bewegungen, kämpfe und zusammenhän-
- gleichzeitig weitere korrumpierung werksdirektoren, manager hundertfach ge "von unten" ein wichtiger bezugs-
von teilen der arbeiter/innen (bes. fachar- hautnah mitgekriegt. für sie sind men- punkt. überall, wo die ausgebeuteten, un-
beiter / männer) durch die linie der spd-ge- schen nichts weiter als eine nummer, un- terdrückten, ausländer/innen, frauen und
werkscbaftsfiihrung: "konzertierte ak- kostenfaktoren - nach schwersten Unfäl- jugendlichen zusammen sind, in den
tion" - "sozialpartnerschaft", also "dia- len interessiert sie vor allem eins: daß die stadtteilen, mietskasernen, im obdach und
log" mit den kapitalisten statt konfronta- produktionsmaschine zügig weiterläuft, den ausländervierteln, den fabriken und
tion, und das bedeutet anerkennung und daß die tonnage pro tag stimmt. und ihre ausbildungsstätten usw. überall, wo sie
unterordnung unter die logik des kapital- einzige sorge ist: daß die kosten für die sich wehren gegen staat und kapital, ge-
systems - des profits, unter die interes- berufsgenossenschaft durch diesen unfall gen die verschlechterung der lebensver-
sen der kapitalisten mit abfedern der här- hoffentlich nicht zu sehr steigen. sie hät- hältnisse und wo sie für zentren u. a. eige-
ten / konflikte durch "sozialpläne" ... ten keine skrupel, wie in bophal (indien) ne lebensvorstellungen kämpfen, und ich
und somit verbreitung dieses sozialpart- tausende arbeiter/innen im gift erblinden denke, das ist weiterhin wichtig.
nerschaftsdenkens ; oder auch krepieren zu lassen - oder mit bezugspunkt meine ich nicht ein op-
- und parallel die politik der spd: "in- durch pestizide tausende landarbeiter/in- portunistisches "nach-dem-mund-reden"
nere sicherheit - wehrhafte demokratie" nen zu verseuchen. es ist dieselbe men- oder die aufgabe von revolutionären
mit berufsverboten, überwachung in allen schenverachtung, mit der sie und ihre vor- grundsätzen. hinter dem "auf-breite-star-
bereichen ... sowie sondergesetze und gänger millionen zwangsarbeiter/innen ren" steckt ja oft auch das ausweichen vor
fahndungsterror gegen die bewaffneten, bis aufs blut ausgebeutet und ausgepreßt eigenen entscheidungen, vor demeingrei-
militanten. haben, damit die nazikriegswirtschaft und fen ... widerstand erzeugt widerstand,
mir war es einmal wichtig, daß ich so -kriegsmaschinerie rollen konnte. aber eben auch nicht losgelöst von den
einen direkten draht zu den ausgebeuteten und noch in berlin und früher als lehr- realen verhältnissen/menschen. mit be-

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~ meine ich, daß ich will, daß sie wirklich für ihre eigene sache, für eine ***
Sitb die menschen in dem, was wir anpak- sozial und politisch gerechte gesellschaft ich will jetzt auf keinen fall den eindruck
ktO, wie wir uns organisieren, in unserem - rev. volksmacht - kämpfeD. erwecken, als wäre das für mich ab 1970
,1eben-und-kämpfen' und den utopien besonders beeindruckt haben mich eini- ein glatter, widerspruchsfreier prozeß
JnÖglichst wiederfinden können. ge direkte kontakte, wo ich gespürt habe, gewesen - ganz und gar nicht. wie für al-
das geht Dur als ein gegenseitiger und was für eine starke persönlichkeit und le gruppen der linken, einschließlich der
gemeinsamer lern- und kampfprozeß. für menschlichkeit sie sich erobern können: illegalen, gab es auch immer wieder bru-
mich / uns ist es wichtig, immer wieder die menschen, die aufrecht gehen - und, ver- che und neue anläufe. es gab nicht die
widerspruche in der gesellschaft zu su- dammt nochmal, warum sollte das denn gradlinige entwicklung. viele leute sind
chen und zu begreifen. die unterdrük- hier nicht möglich sein ? enttäuscht weggeblieben, weil sich die
1 kung, das elend, die ausbeutung ... und ich habe gesehen, unter welchen ver- hoffnungen nicht erfüllten - bzw. was
ebeD auch um zu verstehen, welche be- hältnissen die palästinensische bevölke- noch entscheidender ist, denke ich, weil
dürfnisse, welche verweigerungs- und rung lebt, wie sie sich z. b. in deD lagern . wir es eben auch oft nicht geschafft haben
I widerstandsfurmen gibt es dagegen, um
daraus zu lernen. um eben nicht nur mit
organisiert: eigene schulen, werkstätten, - so wie es ja im grunde auch für die pha-
medizinische versorgung, wie sich die se mitte der 80er (revolutionäre front/
relativ losgelösten "themen" usw. zu frauen und mädchen die aktive teilnahme offensive/ "zusammen kämpfenU) gilt -,
kommen, sondern an diesen widersprü- erkämpfen und welche bedeutung für ihre die erfahrungen auch wirklich offen und
chen mit anzugreifen, und um wider- lebenskraft und zuversicht der widerstand kritisch auszuwerten als einen lemprozeß
standsfurmen und -forderungen mit auf- und bewaffnete kampf für sie hat. für alle. deswegen meine ich, daß es jetzt
zugreifen. ich finde, das ist auf jeden fall und natürlich habe ich auch gesehen, in der umbruchsituation darauf ankommt,
eine der großen schwächen seit jahren, wie groß ihre hoffnung auch auf UDS hier alle erfahrungen auszuwerten, um fehler
daß die auseinandersetzung und der bezug ist, daß wir sie nicht allein lassen. nicht zu wiederholen und um gute ansätze
zu den gesellschaftlichen verhältnissen am meisten beeindruckt hat mich die weiterzuentwickeln.
fehlen. und das hat natürlich auswirkun- einfache lebensfreude und menschlich- es kann ja im grund auch keiner der ver-
gen für die politische praxis, aktionen, keit, die sie trotz allem ausströmen. also schiedenen ansätze behaupten, d e D weg
kampagnen - denn eine politisierung und ziemlich genau das gegenteil der hetzpro- gefunden zu haben für die revolutionäre
verankerung bleibt so mehr oder weniger paganda der medien und herrschenden umwälzung dieser metropolengesell-
zufiillig bis unmöglich. hier, die sie als "blindwütige, brutale ter- schaft. sozialrevolutionär und antiimpe-
umgekehrt könnten natürlich auch die roristen" diffamieren. sicher haben viele rialistisch (legal und militant und illegal) :
leute in sozialen, politischen bewegungen auch ähnliche erfahrungen gemacht mit das spannungsverhältnis wird auch wei-
aus unserm wissen über hintergründe und menschen aus kurdistan, nicaragua, süd- terhin groß sein. indem wir einerseits ver-
politische machtverhältnisse uild auch aus afrika ... oder wo auch immer für soziale suchen, hier an den widersprüchen anzu-
deD kämpfen lernen. es gibt ja durchaus gerechtigkeit und befreiung gekämpft setzen, um zusammen mit den politischen
ein paar beispiele: so der kampf um die wird. diese erfahrungen sind mir wert- und sozialen bewegungen und kämpfen
hafenstraße (barrikaden / selbstorganisie- voll. eine gemeinsame kraft zu werden für kon-
rung) und rheinhausen (streik/besetzung es geht aber auch nicht darum, befrei- krete veränderungen ... und eben auf der
des kruppstahlwerks), \W ähnliche for- ungskämpfe zu idealisieren und abzufei- anderen seite, da bleibt die notwendig-
men und mittel eingesetzt wurden. (im ern - sie brauche keinen beifall. mich keit, eben hier auch einzugreifeD gegen
grunde handelt es sich um die größte stört es auch, wenn ihr widerstand von die imperialistische herrschaft, ausplün-
selbstverständlichkeit für eine revolutio- hier aus betrachtet und bewertet wird. derung, krieg - und im herzen groß-
näre linke, nämlich um die untersuchung / z. b. "riots", so als hätten sie kein bewuß- deutschlands als europäische vormacht
kritik und um die organisierung von wi- tes handeln, keine ziele, seien keine selb- haben wir eine große verantwortung. (das
derstand und ansätzen davon, wie wir "le- ständigen persönlichkeiten. tatsächlich ist jetzt sehr allgemein - ich möchte aber
ben-und-kämpfen" \Wllen gegen die nor- aber setzen sie sich doch gegen äußerst noch einmal auf "rev. front" eingehen.)
malen, alltäglichen herrschaftsverhältnis- brutale verhältnisse und gegen unvorstell- mitte der 80er jahre bei vielen hier -
se des kapitalismus.) baren terror zur wehr, mit streiks, mit und auch weltweit eine gewisse aufbruch-
landbesetzungen, mit aneignungsaktionen stimmung, die mut machte und mobili-
*** und aufständen. sie organisieren sich und sierte. jede/r wollte mit eingreifen und
der zweite zentrale orientierungspunkt - . bauen den befreiungskampf auf ... und kämpfen, es wurde offensiv gedacht, ge-
und genauso existentiell - war für uns sind mir darin ein beispiel: immer und un- sucht, diskutiert und losgegangen:
eigentlich immer (mal mehr, mal weni- ter allen umständen zu kämpfen. (wäh- - zum einen ging es hier gegen diese
ger) die internationalistische solidarität. rend wir hier schon nach ein paar verhaf- zerstörerischen, menschenfeindlichen
also das selbstverständnis, daß es für uns tungen,zerschlagenen demonstrationen, projekte von staat / kapital wie startbahn,
hier und die befreiungsbewegungen und geräumten häusern schier in lethargie ver- waa, gentechnologie. sie zu behindern, zu
menschen weltweit einen gemeinsamen fallen und von der "totalen herrschaft, fa- verhindern;
feind gibt: das imperialistische herr- schismus" und was weiß ich noch daher- - und es wurde auch aus einem be-
schaftssystem, und daß wir uns gegensei- reden.) wußtsein/ gefühl heraus gehandelt, daß es
tig brauchen. sie brauchen uns als solidarische-kriti- entsprechend der internationalen situation
wie schon erwähnt, war ich gegen sche-kämpfende-menschen hier. nur so jetzt wirklich auf jede/n von uns hier im
krieg, bundeswehr, nato. ich habe dann können eine wirkliche nähe und verständ- herzen der bestie ankommt.
am vietnamkrieg kapiert: der krieg von nis füreinander und ein wirklich gleichbe- das war das tiefe bedürfnis für mich /
seiten der befreiungsbewegungen ist ein rechtigtes verhältnis und gegenseitiges uns und sicher viele, dafür zu sorgen, daß
kampf für soziale gerechtigkeit, der sich lernen sich entwickeln. es kommt nicht die herrschenden nicht durchkommen mit
gegen koloniale, imperialistische herr- darauf an, daß wir ihre positionen, kampf- ihrem konterrevolutionären rollback. ob
schaft richtet. sie \Wllen über ihr leben, formen usw. "übernehmen" - das geht es um militarisierung durch gelöbnisse
ihre gesellschaft und entwicklung selber auch überhaupt nicht, denn unsere verant- ging, um nato-manöver, um die startbahn,
bestimmen. und das ist ein grundsätzli- \Wrtung ist es, daß wir hier aus den kon- um raketenstationierung / kriegsrustung
cher unterschied zu imperialistischen, re- kreten verhältnissen, mit den menschen, oder um den weltwirtschaftsgipfel oder
aktionäreD kriegen um herrschaft, ein- die hier leben und die wir selber sind, das auftritte wie die von bush (krefeld), rea-
fluß- und absatzgebiete usw. gerade am mögliche beitragen, um die imperialisti- gan (berlin) - wir wollten der imperiali-
beispiel vietnams sind mir die befreiungs- sche herrschaft zu schwächen und auf lan- stischen kriegsmaschine und herrschaft
kämpfe zu einem vorbild ge\Wrden: daß ge sicht zu beseitigen. so unvorstellbar, so grenzen setzen: " ... die strategen der
es darauf ankommt, auf die eigenen kräfte langwierig das jetzt auch immer aussehen imperialistischen kriege in washington,
zu vertrauen und in die der menschen, die mag, geht es letztlich darum; die schrit- honn, paris werden nicht länger vom gesi-
I über sich hinauswachsen können, wenn te/ wege, wie, müssen wir herausfinden. cherten einsatz der militärmaschine und

J... 39
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von der ruhigen planbarlreit des krieges da (göbbels), sie haben die verbrechen welt in gang und läßtdas abschlachten von
ausgehen können ... ", war eine der pa- ihres eigenen faschistischen regimes den hunderttausenden als "friedenspolitik"
rolen bei aktionen und angriffen 85/86 der anderen unterstellt: als "terroristen" preisen? wer hetzt die menschen aufein-
raf und vom widerstand. aus dieser ein- wurden die bevölkerung und die partisa- ander los mit rassismus, chauvinismus,
stellung heraus gab es z. b. 86 in kürzester nen ganzer landstriche z. b. in der sowjet- sexismus? wer ist verantwortlich für die
zeit in vielen städten kämpferische de- union bestialisch massakriert, vergewal- zerstörung der umwelt und der überle-
monstrationen, aktionen gegen die bom- tigt, ausgehungert und vertrieben, weil sie bensmöglichkeiten - und wer entwirft
bantierung libyens durch die usa-nato. sich gegen die nazi-kriegsmaschine ge- gesellschaftsmodelle wie die 2/3-gesell-
uns ging es darum zu verhindern, daß sie wehrt haben, weil sie sabotiert und gegen schaft - 1/3 aussortiert -, wer wirft die
revolutionen, befreiungskämpfe und be- die besatzungstruppen und faschistischen leute aus den wohnungen, aus den fabri-
freite länder ersticken durch konterrevo- besatzungsregime bewaffnet gekämpft ken, und wer macht noch riesengeschäfte
lutionären terror und durch wirtschaftli- haben. mit dem elend und der verzweiflung durch
che erpressung / ausplünderung, denn dort - nicht wir haben die kz's bauen las- drogen, pharmaka, sekten usw. usw. ?
wurde versucht, soziale gerechtigkeit und sen, die jüdische bevölkerung ausrotten 3/4 der menschheit wissen und erleben
veränderungen zu erkämpfen, wie sie uns und millionen menschen vernichten las- jeden tag, daß das herrschaftssystem des
selber auch vorschweben. und wir wuß- sen, nicht wir sind verantwortlich für al- kapitals .terror bedeutet - im krieg wie im
ten, nur wenn wir uns gegenseitig unter- lein über 1 million toter durch die blocka- "frieden"; und auch hier kann niemand
stützen, haben wir eine chance gegen den de und aushungerung leningrads durch die behaupten, nichts zu wissen! un(l das
gemeinsamen feind. naziarmee oder für die millionen zwangs- heißt: sich zu entscheiden, partei zu er-
natürlich wurde nach revolutionären arbeiter/innen, die vom deutschen kapital greifen, um diese verhältnisse zu beseiti-
vorstellungen gesucht. die auseinander- unter unmenschlichen bedingungen aus- gen, die uns und die menschen terrorisie-
setzung mit den ideen, erfahrungen und gepreßt wurden; nicht wir haben in kz's ren. uns geht es um emanzipation, die
strate gien anderer städte, europ. länder, und zuchthäusern (wie plötzensee, stadel- menschen sollen selber über ihr leben be-
der politischen gefangenen, der guerilla heim, neuengamme) tausende revolutio- stimmen und endlich subjekt ihrer ge-
und der befreiungsbewegungen war wich- när/innen, widerstandskämpfer/innen schichte sein; - nur auf diesem weg wer-
tig. und menschen, die sich gegen das nazi-re- den endlich werte und werke geschaffen
genauso haben die verschiedensten gime gewehrt, verweigert haben oder de~ werden und können entwicklungen und
kämpfe gegenseitig gewirkt und mobili- sertiert sind - hinrichten, erschlagen, er- fortschritte entstehen, in denen sich die
siert: chile, südafrika, el salvador, kurdi- schießen, aufhängen lassen. die verant- menschen wiederfinden können und auf
stan. die .angriffe der guerillagruppen in wortung haben die deutsche bank, thys- die sie im guten sinne stolz sein können.
europa und usa (raf, ccc, action directe, sen, krupp - die schleyers, mengeles, was mich und uns bewegt, ist solidarität
united freedom front usw.). freislers, weizsäckers. mit den ausgebeuteten und unterdrückten,
und es gab auch hier die militanten und - nicht wir entwerfen "weltherr- d. h. liebe zu den menschen und ein ver-
kämpferischen demonstrationen und mo- schaftsordnungen", die für die menschen trauen in die menschen im allgemeinen -
bilisierungen zum hungerstreik 84/85, nur noch mehr ausplünderung, armut, und hass-unversöhnlich gegen diese ver-
gegen die ermordung von günter sare, die leid, unterwerfung bedeuten, sondern das hältnisse, die diese menschen zu einem
militanz gegen die waa, startbahn, hafen- sind die multinationalen konzerne und dreck, einem nichts machen ...
straße. (das waren jetzt auch nur ein paar banken; nicht wir bestimmen die pro- " ... niemand ist zu jung, zu alt, zu
stichworte dazu.) gramme der weltbank und des iwf und las- stark oder zu schwach, um irgendetwas zu
es gab hier ein bedürfnis und ansätze für sen alle reichtümer, rohstoffe und nah- tun ... " und" ... es ist egal, was du tust,
eine kämpfende bewegung, revolutionäre rungsmittel ausrauben; wir sind nicht ver- aber mach' es verdammt nochmal rich-
front und gegenmacht - selber kämpfen- antwortlich für millionen menschen, die tig!" dem, was bobby sands2 (sinngemäß)
de subjekte darin zu werden ... in elendsvierteln auf müllbergen vegetie- gesagt hat, kann ich mich nur anschließen.
und dagegen dann das rollback des ren müssen, oder für eltern, die ihre kin- Norbert Hofmeier, 18.4. 1992
staats. der aus verzweiflung verkaufen oder sie
1986 nach unserer verhaftung hatte ich zur arbeit, zu prostitution schicken statt 1 movimiento de izquidera revolucionaria ("be-
meine grundsätzliche haltung an meine el- zur schule ... wegung der revolutionären linken"); chilenische
tern und geschwister so geschrieben: - wer benutzt denn hunderte milliar- organisation
2 bobby sands, der erste im hungerstreik gestor-
" ... für uns ist die entscheidung geful- den für die entwicklung und produktion bene ira-aktivist
len: dort sind die feinde, die herrschen- immer perfekterer und perverserer mas-
den, ihre manager und die handlanger, die senmordinstrumente; wer läßt denn· die
sich gegen ihre eigenen interessen verhei- nationalen befreiungsbewegungen ,in die
zenlassen- steinzeit zurückbomben' (sagte ein us-ge-
und hier sind wir, die gegen das unge- neral in vietnam); wer ist denn verant-
rechte system der kapitalistischen ausbeu- wortlich für die verkrüppelten kinder in
tung des menschen durch den menschen vietnam, dank chemiewaffen, napalm aus
kämpfen, gegen imperialistische kriege, der brd? wer rüstet die faschistischen re-
faschismus: die schwarzen in afrika, die gime, die terrorbanden und todesschwa-
arabischen, palästinensischen, kurdi- drone auf, die allein für über 1,2 millio-
schen volksmassen, die ausgebeuteten nen tote im südlichen afrika verantwort-
und unterdtiickten auf den drei kontinen- lich sind? wer bildet die spezialkriegs-
ten und auch hier in der metropole, die und aufstandsbekämpfungsexperten aus,
trotz aller schönen reden nichts haben als die in kurdistan hunderte dörfer überful-
ihre arbeitskraft und deren leben und zu- Ien und zerstören, wälder abbrennen, vieh
kunft ihrer kinder von der profitsucht der töten, ernten vernichten und die bevölke-
herrschenden zerstört wird ... " rung foltern, ermorden, vertreiben? das
die bundesanwaltschaft (baw) hat die- ist doch dieser staat, der bundesgrenz-
sen brief beschlagnahmen lassen als be- schutz-gsg 9, die nato-"gladio", die bun-
weis für unsere "mitgliedschaft in einer deswehr. wer liefert denn die menschen,
terroristischen vereinigung". das mit der die vor den terrorregimen hierher flüch-
"terroristischen vereinigung" ist hetze ten, wieder an die henker aus? wer schickt
und diffamierung, um der bevölkerung sie in die ausgeraubten länder, ins elend,
hier einen schrecken einzujagen - um so in den hungertod zurück?
den polizeiterror zu rechtfertigen. es ist - wer setzt denn diesen riesigen lügen-
die bekannte methode der nazi-propagan- und manipulationsapparat über die ganze

40
Carlos Grosser

Was waren die wichtigen Dinge,


was ist zu kritisieren?

I - bis schließlich "Desert Storm". Und


niemand konnte dem was entgegenset-
Dinge in die Hand nehmen, an Zukunft
denken, ohne alles gewaltsam durch die
(Ende 1991) zen,. außer solidarischen Gesten vielleicht Gehimkanäle von gemachter Erfahrung
noch. Der reformistischen Linken ist der durchzudrücken und damit zentnerschwer
Dein letzter Brief ist hier angekommen. Wüstensturm so durchs Gehirn gebraust, zumachen.
Ich habe lange überlegt, was du mit "Er- daß sie inzwischen einfach das Lager ge-
fahrungsaufarbeitung" meinst. Ich werde wechselt haben. "Interventionspflicht der ***
mit der Sache einfach nicht warm. Bevor Amis für Zivilisation und Demokratie". Um die Weihnachtszeit herum ist bei mir
ich 's noch länger vor mir herschiebe, Stichworte, wo früher jeder Brechreiz 2/3 abgelaufen. Dabei würde mich expli-
schreib ich einfach kurz auf, was mir dazu kriegte. Das sind einfach Thtsachen, wo zit interessieren, wie du dazu stehst. Ur-
einfiillt: Einmal sieht es ja so aus, daß es wir uns genauso kritisch mit den / unseren sprünglich war meine Idee ja, den Termin
mir schon wichtig wäre, mit dir / euch aus Fronterfahrungen der 80er auseinander- wahrzunehmen, den sie ansetzen werden.
dem Widerstand über einige Dinge aus setzen müssen! Aber das ist ne Weile her. Wie sie sich bei
unserer Geschichte zu sprechen, die hier Mein Problem ist, daß mir einfach nicht dir verhalten haben, war ja zu deutlich.
doch alsbald an Grenzen stoßen. Damit ist recht klar ist, was eigentlich genau damit (Ich hatte es gut gefunden, daß und wie du
natürlich nicht gemeint, "Ballast von der gemeint ist: "Unser Projekt: Kommuni- da hin bist; bin ja davon ausgegangen, daß
Seele reden", sondern es hat schon ne Be- kation - ZL - Freiheit". Sicher ist die sie in die Klemme kommen und dich raus-
deutung für die Zukunft. Die andere Seite Kollektivität, die darin enthalten ist, ein lassen, um der Freilassungsforderung
ist, daß ich mir ein Aufarbeitungsprojekt, Wert an sich. Trotzdem ist damit mehr die Gewicht zu nehmen.) Es war ernüch-
wie du es im Brief vorgeschlagen hast äußere Form beschrieben und recht we- ternd. Mit Menschlichkeit hatte ich ja
(dem langen), nicht vorstellen kann. nig über den Inhalt gesagt. Über was nicht gerechnet, aber mit ner gewissen
Ebenfalls nicht, wenn die primäre Funk- wollen wir sprechen/tun: jetzt, wenn wir Flexibilität und Kriegslist. Aber nix war,
tion davon sein soll: "Vermittlung". Das zusammen bzw. in Freiheit sind? Ich außer Walze. Dasselbe bei Dieters. Und
kann immer erst der 2. Schritt sein. Es glaube, daß ganz genau daraus nur die dann, zwar mit modifizierten Begründun-
hätte mir zuviel arbeitsmäßigen Ballast. Substanz kommen kann, diese Vorstel- gen, aber aus derselben Geisteshaltung
Nach Golfkrieg und Anschluß der DDR lung umzusetzen, die Kräfte, es durchzu- bei ungezählten gefangenen Kollegen
(als die beiden großen Einschnitte) ist die kämpfen. hier. In den letzten Monaten kam dann
äußere Situation ne ganz andere gewor- Erfahrungsaufarbeitung könnte ich mir noch die Kampagne gegen die Gefange-
den, und meine Auseinandersetzung, die also so vorstellen, daß jede/r ganz subjek- nen aus der RAF (die "Neue Geschichts-
Widersprüche, die mich anspringen usw., tiv überlegt, was waren die wichtigen schreibung" !), die ja zum Bestandteil die
geht auch in ne andere Richtung. Kürzlich Dinge, was ist zu kritisieren - so könnten Anklageerhebung hat. Mindestens bei
hat ne Gefangene geschrieben: Wir sind wir Erfahrungsaustausch mit ner prakti- Sieglinde und Ingrid6 hat das den Charak-
wieder da, wo wir '89 im Streik waren. schen Bedeutung für die Zukunft anspit- ter von Leben-kaputt-machen und Kaputt-
Sicher, die Situation scheint wieder ge- zen. schinden ohne Ende. Irgendwie langt's
nauso zubetoniert. Trotzdem ist nichts Vieles ist wirklich schon gesagt. Andre- mir langsam.
mehr das gleiche, wir selber nicht (hof- as3 Prozeßerklärung, im "Interim"4 war Mir wurde verschiedentlich gesagt :
fentlich) und die gesellschaftliche Situa- mal ne sehr gute Auseinandersetzung ab- Geh trotzdem hin, mit der Ablehnung
tion auch nicht. gedruckt von nem Genossen oder Genos- kannste arbeiten. Aber a) bin ich kein Päd-
Als ein Stichwort fällt mir ein: Damals sin über ihre Fronterfahrung seit Anfang agoge, und b) ist es mehr als fraglich, ob
war ne Situation, wo international es mög- '80 (es ging darin um den Funktionalis- ne Ablehnungsbegründung noch was
lich schien, auch in "Dialogformen" Ge- mus, mit dem so oft über alles weggebret- hilft, wenn jemand nicht von alleine drauf
genmachtpositionen von unten auszubau- tert wurde, emanzipatorische Erfahrun- kommt, daß diese Ablehnungen formale
en (Befreiungsbewegungen legten darauf gen, persönliche und politische Probleme Spielchen sind, die sie mit uns treiben
Gewicht, Abrüstungsinitiative von Gor- des Kollektivs selber und von Leuten, mit (wollen) ...
batschow; und hier hat es auch seinen denen man zusammengetroffen ist).
Ausdruck gefunden in subjektiv gehalte- Wo ich '84 rauskam aus der Kiste, hatte
nen Erklärungen von mehreren RAF-Ge- ich die Vorstellung, mit dem, was mir im 11
fangenen und schließlich der Streikerklä- Knast über die kurze Fronterfahrung '81 Kluft zwischen
rung) . Das alles ist aber spätestens mit klar geworden war, nahtlos in den Kampf
dem Golfkrieg und "Neuer Weltord- reinzuspringen. Es war richtig, was ich konkretem Leben und
nung" weggefegt. Überleg dir doch mal mir überlegt hatte. Trotzdem kriegte ich
so: Die ganzen 80er Jahre ("Nach-Viet- keinen Fuß auf den realen Boden und bin politischem Anspruch
nam-Ära") war die zentrale Achse des erstmal in der Sackgasse geendet. In jenen (Januar 1992)
Kampfes der militanten und reformatori- I drei Jahren hatte sich noch nicht so viel
schen Linken gegen die USA/Nato-Mili- verändert wie jetzt. Mein Problem damals Jetzt möchte ich als erstes auf deinen Brief
tärstrategie gerichtet. Erst die Stationie- war, daß ich sehr stark aus konservierten vom Dezember antworten. Ich hab ihn
rung der MSR1, dann "Low-intensity- Kampferfahrungen gelebt und meine Sub- sehr gut gefunden. Es waren viele infor-
warefare", BÜDdelung der Kräfte im stanz bezogen habe. Nachdem mir bewußt mationen drin, und dann konnte ich mir
MIK2. Damit einhergegangen ist die Stei- geworden war, daß es so nicht geht, war gut vorstellen, wie du / ihr an der Kundge-
gerung der imperialistischen Aggression es sehr befreiend, und ich konnte wieder bung (vor dem Knast Bruchsal am 7.12.)

1 41

J.L-
.. _
überlegt habt, also wie ihr drin steckt. Das ses Thema zu ideologisieren und dogma- Berliner Christen dazu schrieb:
ist oft nicht ganz einfach zu vermitteln. tisch damit umzugehen; und vielmehr auf "Mir hat die Rangehensweise oder die
Wenn ich den Brief vorher gehabt hätte, ein konkretes, an den einzelnen orientier- Fragestellung viel gesagt, die Euren Bei-
dann wäre meine Kritik ganz sicher an- tes Vorgehen aus ist. Für mich brachte trag durchzogen hat: ,Warum fehlen die
ders ausgefallen. - Apropos Kritik: Ich diese Diskussion wirklich mehr Einsicht Gefangenen?' Wenn wir als Gefangene
stimme mit dir überein, was du dazu ge- in das Thema, power und Solidarität un- durch Elend und Unterdrückung durchge-
schrieben hast. Mein Eindruck war, du tereinander. zogen werden (ich persönlich im 10.
faßt sie persönlich auf. Aber wenn du es So sieht die Wirklichkeit aus. Und ich Knastjahr mit einem Jahr ,Pause' draußen
letztendlich als ne konstruktive Sache be- kann nur sagen, daß es für uns recht ein- unterbrochen und erlebe es z. Z. kraß,
greifst, dann erübrigt sich, darüber noch fach war, weil wir jeden Tag beim Hof- was ich in den Höhlen zurückgelassen ha-
weiter zu schreiben. Ich habe, glaube ich, gang zusammen sprechen können. Eben be), dann kann dies ne wertvolle Erfah-
vergessen, die Bilder von der Kundge- hat auch Norbert geschrieben. Genau das- rung sein, die wichtig ist für die gesamte
bung zu bestätigen. Die sind wirklich sau- selbe selbstverständliche Bedürfnis, ein Gesellschaft, die von ähnlichen Wider-
gut. H. war von uns allen leicht zu identi- kollektives Vorgehen rauszukriegen. In- sprüchen durchzogen ist. Das heißt, Ihr
fizieren an seiner Kappe. Schön, daß er sofern kann man schon mal mit Sicherheit habt die Gefangenen bei ihrem (potentiel-
tatsächlich da war und auch Roland ge- sagen, daß solche Schweinekampagnen len) Selbstwertgefühl angesprochen und
troffen hat. Bin gespannt,. ob ich ihn hier wie jetzt wieder im "Stern" überhaupt damit bei einem Kern von Menschsein,
nochmal treffe im Bruchsaler Zuchthaus. nur möglich sind, weil wir uns nicht zu- was grade-hier imZuchthaus erledi~ wird
Ich will's nicht hoffen. Aber sein Weg- sammen äußern können. (,Nur durch- Leiden ändert sich der
gang hat schon ein Loch hinterlassen. So Dir wird das eh klar sein. Mir war nur Mensch', so war der Anstaltsleiter von
gut wie er konnte keiner die Schließer be- wichtig, die ganz konkreten Abläufe zu Bruchsal, Preusker, in der "Zeit" im Ok-
schimpfen. erzählen, damit bei niemand ein Rest von tober zitiert. - Ich assoziiere USA-Ge-
Am 15.1. war in der "TAZ" ein Arti- Zweifel zurückbleibt und immer wieder fängnis- und ,Sicherheitsprogramm' nach
kel abgedruckt: "Kinkel befiirchtet An- bestimmte Genoss/innen zum "Ende der dem Golfkrieg und ,Neue Weltordnung').
schlag der RAF". Der Artikel beruft sich Fahnenstange" J~emacht werden. Für Indem Christian (von den Christen) sei-
auf den " Stern". Darin heißt es, daß mich heißt die Uberschrift fürs Jahr '92 nen Beitrag so aufgebaut hat, war er offen
"Überlegungen auf vorzeitige Haftentlas- jedenfalls: "Kampf für die Einheit des für jeden Gefangenen, sich damit (als
sungen innerhalb der RAF-Häftlinge zu Widerstands und Suche nach der Strategie eigene Sache) zu identifIzieren und aus-
heftigen Auseinandersetzungen gefiihrt" des Glücks". einanderzusetzen. Er hatte ne klare Spra-
haben. Und "einsitzende RAF-Angehöri- Hast du den Text gelesen? Lutz in Celle che und ne klare Richtung, die mir unter
ge ~ wie Helmut Pohl, Brigitte Mohn- hat seine Diskussionen mit Luis, einem die Haut ging."
haupt und Christian Klar - ihre Mithäft- Thpamaro, zusammengefaßt. Er war im Für mich sind es im wesentlichen zwei
linge auf ein solidarisches Vorgehen und Dezember-"AK" abgedruckt. Für mich Momente, woraus meine Kritik kommt:
den Kriegsgefangenenstatus einsch\\Ü- hat der vieles auf den Begriff gebracht, Einmal fInde ich, daß du in nem Wider-
ren" wollten. Dazu möchte ich als erstes mit was ich mich seit langem rumschlage. spruch lebst, so wie ich dich kenne. Du
was schreiben. Ich bin ja Betroffener, Zum Thema "Reststrafenerlaß" lege hast bestimmt nicht nur Genossen-Bezie-
weil mein Name öffentlich genannt wurde ich dir noch eine Zusammenfassung aus hungen, sondern auch freundschaftliche.
und du mitbekommen hast, daß wir letzten BGH-Urteilen dazu. Die hat mir schon Wenn du mitkriegst, wie sie langsam,
Dezember harte Auseinandersetzungen vor einer Weile ein Freund gegeben. Es aber sicher vor die Hunde gehen - und du
hatten. Inzwischen kann ich dazu sagen, ist mehr die juristische Ebene. Aber ich weißt als gesellschaftlicher / politischer
daß einiges irrational wurde aufgrund der fand sie insofern ganz gut zu lesen, weil Mensch, wo die Ursachen sind - wie
(unbewältigten) Enge. Die politische Sei- darin klar wird, wie dieser § 57 ausgelegt verhältst du dich dann? Doch bestimmt
te der Sache läuft (hoffentlich) weiter. werden kann. Nur, so wird's eben nicht so, daß du versuchst, bestimmte Zusam-
Aber die hat einen anderen Gegenstand, gemacht - und zwar für niemanden hier, menhänge zu erklären, nicht am weltrevo-
den die Staatsvertreter sowieso nicht ver- der ihnen nicht die Stiefel putzt und sich lutionären Anspruch gemessen, sondern
stehen, da sie in einer anderen Welt leben. beim Einschluß dafür bedankt. Echt, für an den konkreten Menschen und eurer
Redet ihr eigentlich in eurem Plenum mich wäre es wunderschön, wenn die Wrrklichkeit. Weißt du, ich bin in meiner
über die "Neujahrsankündigungen"? Staatskampagne dazu führen würde, wenn Kritik oft etwas in Hitze geraten, weil ich
Das ausführlichste dazu ist im "Spiegel" noch mehr Gefangene aufwachen und an- von verschiedenen Genoss/innen schon
dieser Woche abgedruckt. Von Dieter aus fangen, ihre Rechte einzufordern. Hier in drauf angemacht wurde, weil ich hier
Mannheim habe ich gehört, er erzählte Bruchsal sind 20 und mehr Jahre Knast Freunde habe! "Was willste denn mit de-
von einem Besuch, daß draußen tatsäch- keine Seltenheit ... nen?" ... Klar, sowas hab ich bei dir nie
lich schon überlegt wird, daß der imp. "Wenn jemand das hier zwei Jahre lang mitbekommen. Ich möchte nur erklären,
Staat vielleicht "humaner" wird. Mir ausgehalten hat und schließlich und end- warum ich bei dem Thema vorbelastet
sträuben sich die Nackenhaare ... Der lich anerkannt wird, dann ist er fertig ", bin. Wir kriegen hier vor allem mit, wie
Inhalt dieser Kampagne ist, daß völlig berichtet ein langjähriger Betreuer über (draußen) sich die Linke zunehmend ato-
selbstverständliche Menschenrechtsfor- seine Erfahrungen. "Nach dem Lagerda- misiert. Woran liegt es, wenn nicht an in-
derungen ("Freilassung aller Haftunfähi- sein ist er so gebrochen, daß er nichts dividualisiertem Umgang mit dem erleb-
gen") und der Anspruch auf Reststrafen- mehr hinkriegt ... Wenn sein Leben hier ten Elend? Das ist für mich dieselbe Kluft
erlaß (genauso selbstverständlich) benutzt (draußen als .freier Mensch ") anfangen zwischen konkretem Leben und politi-
und ausgebeutet werden, um die staatliche soll, ist seine Identitlit flöten. Er kann schem Anspruch.
Propaganda-Maschine laufen zu lassen: nicht mehr." ("AK", 13. 1.91) Hier Hier ist das zweite Moment. Es ist kein
Die einen gehen raus, dies soll den Frie- geht's um Asylanten-Lager, aber in ge- Zufall, daß das in den letzten Jahren ver-
den herstellen, um die anderen um so tie- wisser Weise ist es vergleichbar. Preusker schärft zum Problem wird. Am Knastsy-
fer und als Staatsgeiseln gegen den Wider- hat es selber öffentlich geäußert, daß stern könnte ich es konkret analysieren,
stand draußen in den Knästen begraben zu mehr als 5 Jahre Knast die Persönlichkeit wie heute in mehrfacher Hinsicht die
können. des Verurteilten zerstört. Das ist das Pro- (Welt)geschichte sowas wie ne "Schlei-
Da ich mich für sowas um keinen Preis blem. fe" macht. Du kannst dich sicher noch an
hergeben würde, hab ich von mir aus Und hier sind wir mitten drin in der Dis- das 24-Punkte-Programm des Herrn Dr.
Christian und Günter7 angesprochen - kussion um die Kundgebung und deinen Schein8 erinnern, das Haftprogramm, das
damals die ersten Worte wieder nach un- Brief. Ich denke, wir können die Proble- er im Korea-Krieg entwickelt hat: Es
serm Konflikt -, und daß ich gerne ein matik dahinter bestimmt nicht an der war/ist ein Bevölkerungs-Kontroll-
gemeinsames Vorgehen finden würde. In Kundgebung erschöpfend klären. Es wird Programm. Was in den 70er Jahren harte
dieser Diskussion hat Christian einge- uns noch länger begleiten. Deshalb Wrrklichkeit war für die Guerilla--Gefan-
bracht, daß er gar nichts davon hält, die- schreibe ich dir grade auf, was ich den genen, das ist heute Bevölkerungspolitik

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Was ist dieses Preuskerzitat fordert. Ich \Wllte es so gut als möglich ßen, Krieg gegen die Sozialbewegungen,
als die Aufforderung, eine gesam- mit den anderen Betroffenen besprechen aus den Häusern raus, gegen den Krieg,
W gesellschaftliche (Rand-)Gruppe zu er- bzw. sie von dem Ergebnis informieren. Startbahn West ... ) und dem Ausbau
ledigen? - Nämlich die gefimgenen Män- Von Norbert war am Donnerstag ja seine Westeuropas zum waffenstarrenden
Der und Frauen. Wir sind uns bestimmt Erfahrung in der "TAZ" 1Knastseite ab- "Flugzeugträger" gegen die kämpfenden
einig, daß gerade im Knast die Leute nicht gedruckt. So ist's richtig! Völker der Welt durchaus emanzipatori-
in den Startlöchern der Revolution liegen. Vielleicht klingt mein Brief zu optimi- sche Bedeutung. Man lese Fanon1o•
Aber es ist die Frage, ob wir uns zuneh- stisch. Ich hab kaum damit gerechnet, daß Heute kreist mein Denken, Fühlen und
mend durch die Dialektik von Kampf und sie mich jetzt rauslassen. Aber ich finde es Handeln eher um die Aneignung des eige-
Unterdrückung (die ja gerade in der BRD richtig, sie beim Wort zu nehmen, näm- nen Lebens. Und weil der Mensch ein
total überdeterminiert angelegt ist, was lich daß "Abschwörrituale, Lippenbe- grundsätzlich bezogenes Wesen ist (auf
man bei den Notstandsgesetzen angefan- kenntnisse ... " nicht mehr nötig seien. andere Menschen, Dinge, die er bearbei-
gen sehen kann) in ein soziales Vakuum Vor kurzem war in der "Frankfurter tet, usw.), ist es alleine nicht möglich. Da-
reinbewegen, das kaum mehr Bezug zur Rundschau" und der "TAZ" ein Artikel, für kann man in der Kiste ein Gespür krie-
konkreten gesellschaftlichen Wirklichkeit wo die BAW sich wegen GÜDters Brief gen! Es steht also zuerst die menschliche
hat. 9 rechtfertigt. Und da werden sie ab jetzt und soziale Rekonstruktion im Mittel-
Du hast bestimmt in der "TAZ" oder kein Land mehr gewinnen! punkt, und daraus erwachsen die Kräfte-
"FR" die Stellungnahme der Anstaltslei- So .komisch es vielleicht klingt: Die (verhältnisse). Aber diese haben für mich
terkonferenz (wieder Preusker) gelesen. Hauptanstrengung in diesem Zusammen- nicht mehr die Priorität, und ich glaube,
Darin heißt es ja u. a., daß wir Gefangene hang war, überhaupt (wieder) freizu- sie haben ein anderes Wesen als früher.
nach der langen Haft in einem "mensch- schürfen, was ich draußen eigentlich will. Eine sehr schöne Formulierung habe ich
lich und ideologisch desolaten Zustand" Nach dem Golfkrieg hatte ich mich wei- bei Pierre Teilhard de Chardin gefunden:
uns befinden würden und wahrscheinlich testgehend aus den gesellschaftlich-politi- "UDs braucht es denn, und zwar gerade
gar nicht mehr in der Lage seien, draußen schen Diskussionen mit draußen rausge- krafft des Gesetzes der Komplexität, damit
weiterzukämpfen. Dazu hatte ich dir ja zogen. Am 1. Mai '91 machten wir hier der Mensch durch Kollektivisation geistig
schon im Dezember (anscheinend in einer noch unser "Remember-Santa-Fu-Fa- wachse? Wesentlich müssen die von der
kleinen "Vision") geschrieben. Es sagt sten" (8 Gefangene), um an den Aufstand Bewegung ergriffenen menschlichen Ein-
mir nicht viel. Trotzdem: Hier spricht der vor einem Jahr zu erinnern und daß es seit- heiten sich einander nähern, und zwar
Praktiker. her nur schlechter geworden ist, die Betei- nicht unter der Wirkung äußerer Kräf-
Wenn sie uns ganz bestimmt nicht erle- ligten samt mit Repressalien belegt wur- te oder allein im Vollzug materieller Ge-
digt kriegen, wie sie hoffen, die soziale den, und dann ging nichts mehr. sten, sondern unmittelbar von Zentrum zu
Wirklichkeit in Deutschland und überall Meine Haltung zu draußen wurde im- Zentrum durch innere Anziehung,
auf der Welt zeigt es aber zu deutlich, daß mer mehr so, wie es ein DDR-Psychologe weder durch den Zwang noch durch Skla-
sie in der Gesellschaft im allgemeinen auf in einem Radio-Gespräch ganz gut ausge- vendienst an einer gemeinsamen Aufgabe,
dem besten Weg dahin sind. Das ist ein drückt hat: Wir (die DDR-Bevölkerung sondern durch Einmütigkeit in ein und
Kriterium der "neuen internationalen im allgemeinen und sein Berufsstand im demselben Geist." Er spricht weiter da-
Weltordnung". Deshalb geht es für mich besonderen) haben - oft wider besseres von, daß die Menschen so in einem "per-
immer mehr um die "Rückeroberung des Wissen - doch im Innersten geglaubt: sonalisierten Universum zu einer höheren
Sozialen". Daraus erwachsen auch Kräf- Jenseits der "Mauer" ist die Freiheit. Synthese gelangen" können.
teverhältnisse, aber anders als auf der Jetzt ist die Mauer gefallen und die Ent- Die Tage habe ich das kleine Buch
"Gegen-Strategie". ("Strategie ist ein- täuschung um so größer. Ich möchte na- "Ausgewählte Texte zu Fragen der Zeit"
fach unsere gegen ihre Strategie", Front- türlich nicht den Knast mit der DDR ver- von einem Gefangenen geschenkt bekom-
papier. ) Das finde ich wirklich gut erklärt gleichen. Mir hat es eher in der Richtung men. Keime in diese Richtung sind bei mir
in Lutz' Papier: "Suche nach einer Strate- zu denken gegeben, daß in den drei Jahren allerdings schon länger am Wachsen. Mit
gie des Glücks". Man sieht es in Nicara- seit dem Streik mein Freiheitsbegriff den Kämpfen um die Hafenstraße damals
gua und in EI Salvador, daß dort diese draußen keine aktiven Anknüpfungspunk- ("Barrikadentage") hat es angefangen,
Problematik an erste Stelle gerückt ist. te mehr hatte. Den Preis für die paar der Streik war ein weiterer "Wachstums-
Und die revolutionären Kräfte versuchen, "schönen Seiten" des Lebens draußen, schub", und heute kann ich es verbinden
dem beizukommen. Nur müssen wir aus den kenne ich zu gut. Im Nachhinein glau- mit einer selbst-kritischen Reflexion un-
unserer Wirklichkeit entwickeln und be ich, daß ich das, was sich im Streik vor serer Theorie und Praxis der 80er Jahre.
nicht wie all die Jahre aus den "internatio- drei Jahren für mich neu aufgetan hat, "Die Herausforderung der US-Hege-
nalen Kräfteverhältnissen" usw. - die noch gar nicht so· in die eigenen Hände monie durch die antikolonialistischen und
ergeben sich umgekehrt aus dem, wie wir kriegte, daß ich es auch hätte leben kön- antiimperialistischen Bewegungen der 3.
unsere Wirklichkeit reflektieren und was nen. Hab's nur gespürt: So wie früher Welt war ernsthaft, systematisch und -
wir daraus dann tun. geht's nicht mehr, aber es war mir noch was die unmittelbaren Ziele angeht -
nicht möglich, es (begrifflich) zu fassen auch erfolgreich. Aber die Struktur der
und mein Leben entsprechend zu führen. Weltordnung wurde niemals wirklich in
111 . Was hat sich verändert? Du fragst da- Frage gestellt. Diese Bewegungen betei-
nach. Die Orientierung ist ne andere ge- ligten sich sämtlich an einem Diskurs, der
Die Orientierung worden oder die Prioritäten, von einer von Wilson ebenso geprägt war wie von
"Außen"- zu einer "Innen"-Orientie- Lenin und sich nur als eine Variante
ist 'ne andere geworden rung vielleicht. Ich komme ja aus dem des Glaubens der Aufklärung an
(März 1992) Front-Zusammenhang, der sich Anfang den unvermeidlichen Fortschritt
der 80er gegen die Kriegstreiberei entwik- auf Grundlage menschlicher und
Es tut mir leid, daß ich mich so lange nicht kelt hat. Das war ne sehr straighte "Ge- weltlicher Rationalität erwies.
gemeldet habe. Dein Brief ist natürlich gen"-Orientierung. Wir haben uns v. a. In erster Linie strebten diese Bewegungen
schon lange hier. Am 12.3. war mein 2/3- im Angriff gegen den Staat gedacht, Seite nach politischer Unabhängigkeit und öko-
Anhörungstermin vor dem OLG ~ bzw. an Seite mit den Befreiungsbewegungen nomischer Entwicklung. Das erste Ziel
es hat gar nicht stattgefunden. Ich lege dir der 3. Welt. Mein Denken ging in die haben sie erreicht, das zweite nicht." (I.
den Vermerk dazu, den OLG-Richter Na- Richtung: Angreifen, den Angriff organi- Wallerstein in: "TAZ-World-Media" :
gel von dem Anhörungsversuch geschrie- sieren, um den Raum zu schaffen, der Le- Die Neue Weltordnung)
ben hat. Und einen Brief, den ich an A. ben überhaupt erst ermöglicht. Das hatte Ich traue es mir noch nicht zu, das in
von der Angehörigengruppe dazu ge- aus den spezifischen Ohnmachtserfahrun- ganzem Umfang auszuführen. Aber was
schrieben habe. Dieses Thema hat nun ne gen nach dem "Deutschen Herbst" (tote ich ganz gewiß aus den 12 Jahren politi-
ganze Menge Denk- und Schreibarbeit er- Gefangene, Killfahndung auf den Stra- scher Geschichte im antiimperialistischen

I ~
Jaiil......-- _
Zusammenhang sagen kann (vorher war sich ZU wenig geliebt, weil er zu wenig lie- So, jetzt komme ich grade aus dem "Poli-
ich eher Freak, der in Westeuropa herum- ben kann. Unftihigkeit zu Identifikation tischen TV" zurück. Montags von 17- 19
getrampt ist): In dieser von Aufklärung war fraglos die wichtigste psychologische Uhr können wir ne Zusammenfassung
geprägten "Fortschritts-Rationali- Bedingung dafür, daß so etwas wie Ausch- einiger Sendungen der Woche hier im TV
tät" waren wir ganz sicher im ,,500jähri- witz sich inmitten von einigermaßen gesit- angucken, meistens "Spiegel-TV, Aus-
gen (inneren) Kolonialreich" verfangen. teten und harmlosen Menschen hat ab- landsreport, Monitor". Mager, aber
Im Frontkonzept hieß es: "Strategie ist spielen können." Darüber haben die trotzdem gut, wenn man die Bilder
einfach unsere gegen ihre Strategie." Aus RAF-Gefangenen Anfang der 70er Jahre sieht, Eindrücke hat, wo sonst einem die
der Negation der vorgefundenen (schlech- sich auch ihre Gedanken gemacht. Informationen doch nur recht abstrakt ge-
ten) Verhältnisse kommen wir aber nicht Gut, um ne Zwischenbilanz zu ziehen: genübertreten. Jedenfalls hab ich noch aus
an die autonomen menschlichen Quellen. Ghandi kenne ich zu wenig. Aber ich wür- einem älteren "Spektrum", der Knastzei-
Das drückt sich meiner Ansicht nach in de trotzdem sagen, daß es sogar sehr um tung hier, einen Artikel aufgetrieben mit
den Beziehungen der Kämpfenden unter- die Einheit von Weg und Ziel geht, wo ich Bildern von der hiesigen Setzerei, nach-
einander und zur Bevölkerung aus. In dem früher oft genug Kompromisse machte, da dem "wir" umgezogen sind. Ich hab dar-
Spannungsfeld begreife ich auch den Kon- ist es heute, wie wenn neue Kräfte draus in ein halbes Jahr ne Ausbildung gemacht.
flikt bei uns hier. Es gab schon vor länge- erwachsen, wenn ich versuche, genau so Danach hast du ja gefragt.
rer Zeit mehrere, z. T. sehr gute Kritiken dran zu bleiben. Und was ich noch fest- Ich beschreib dir meine "Arbeiterkar-
an "Guerilla - Widerstand - Eine stellen kann: Seit das anfängt, in mir zu riere" aber von Anfang an. (Es ist ne,Tat-
Front". Alle hatten sie denselben Kern, reifen, kann ich wesentlich besser mit sache, es war auch insofern ne neue Er-
nämlich die Funktionalisierungs- und dem Spannungsfeld zwischen Utopie und fahrung für mich, weil ich das erste Mal in
Entfremdungstendenzen unterwegs, die real gegebener Situation umgehen und meinem Leben ein ganzes Jahr am Stück
nie aufgeknackt wurden - und in dem mir/uns selber darin. Früher versuchte einer offiziell geregelten Tätigkeit nach-
Rahmen auch nicht aufgeknackt werden ich oft genug, meine Wahrheit den Leuten gegangen bin.) Angefangen hab ich im
konnten. In dem Maße, wie sich die (welt- in den Kopf reinzudrücken, zu powern, Frühjahr '90 mit einem EDV-Kurs, drei
weiten) gesellschaftlichen Verhältnisse wenn's nicht anders ging. Ich weiß, daß' Monate. Das ist ein Grundkurs, der drau-
änderten und die Befreiungsbewegungen es anderen Gefangenen ähnlich ging und ßen auch angeboten wird. Im Keller ist ein
ja selber nicht mehr auf diese Zukunfts- daß der Golfkrieg - die "Stunde der' Raum eingerichtet mit mehreren Bild-
projektionen setzten (die FMLNII auch Wahrheit" für viele aus den älteren Zu- schirmen, und alle drei Monate findet ein
seit drei Jahren), da mußte dieser Konflikt sammenhängen - der Einschnitt war, wo neuer Kurs statt. Das ist in allen Knästen
offen ausbrechen. Problematisch finde ich der Widerspruch, in dem wir uns als Ge- von Ba-Wü ausgeschrieben, und ein ge-
eben, daß es nie möglich war, (hier) über fangene bewegten, zu offensichtlich wur- wisser Prozentsatz von Gefangenen
diese Sache offen zu sprechen. de: Wenn die Leute draußen uns einfach kommt für die Zeit dann hierher, manche
Was hat sich verändert? Einen Wesens- nicht verstehen, dann ist es eben an uns bleiben. Das Problem dabei ist - Bruch-
zug in der Gesellschaft hier hat mir kürz- Gefangenen, sich was dazu zu uberlegen, sal ist der Langstraferknast in Ba-Wü:
lich ein Ex-Junkie erklärt: Er hat damit die Fragestellungen usw. neu zu formulie- Was will ein Gefangener mit einer "un-
angefangen, weil er's hier halt nicht mehr ren - so hat's Norbert schon im letzten endlichen Geschichte" vor sich mit so
ausgehalten hat. Aber, so sagt er, Anfang Herbst gesagt. einem Kurs, zumal hier nur in Ausnahme-
der 80er Jahre konnte man mit der Nadel Wir haben im Streik '89 einen Schnitt fiillen ein eigener Bildschirm auf Zelle
noch den Bekanntenkreis aufmerksam gemacht und was Neues angefangen: genehmigt wird, wo jemand dann seine
machen. So wie ein Selbstmordversuch ja "Auch wir glauben, daß diese Auseinan- Freizeit mit arbeiten könnte. Die Kurse
oft nur ein Signal ist: Leute, mich gibt's dersetzung (um die Freiheit) jetzt reif ist haben meiner Ansicht nach vor allem die
auch noch ... Damals haben die Men- ... Unser Kampf jetzt für die Zusammen- Funktion der "sozialen Durchmi-
schen noch reagiert. Heute ist 's den Leu- legung soll ein Teil davon sein. Aus schung", nämlich daß hier ein gewisser
ten scheißegal, ob und wie du vor die vielen Ansätzen im letzten Jahr, aus der Prozentsatz "Kurzstrafer" die "Lang-
Hunde gehst ... Offenheit und dem Willen quer durch strafer" durchrnischen. Es wäre dumm zu'
,,~r sich in den großen amerikani- die verschiedenen Zusammenhänge im sagen: Kurzstrafer lassen sich leichter
schen Städten betrinkt, wer Drogen Widerstand halten wir eine neue Einheit ködern mit "Lockerungen" usw. Aber
nimmt, wer nicht bereit ist, sich in die si- im revolutionären Kampf für möglich." die Probleme sind ganz andere. Ich merke
chere ~lt der Arbeit zu integrieren, der (Streikerklärung '89 von Helmut Pohl) es ja an mir selber: Wenn ich weiß, einer
vollbringt mehr als eine Reihe von alten Für mich war und ist das der Kern der Ge- hat nur noch ein halbes Jahr, dann leg ich
und festgelegten anarchistischen Taten: schichte. Nur haben die drei Jahre ge- kaum was rein, ihn näher kennenzuler-
Er lebt eine Tragödie. Und weil er sie nur zeigt, daß wir im Grunde noch nicht reif nen. Mein Lebensrhythmus usw. ist ein
zu leben, doch nicht über sie zu urteilen dafür waren, dies tatsächlich als neuen ganz anderer.
weiß, stirbt er daran. Die sich zu lhusen- Abschnitt zu begreifen. Nachdem die Im September '90 bin ich dann in die
den mit der Droge das Leben nehmen, breite Solidarität aus der Gesellschaft mit Schlosserei, ne Lehre machen. Nach
sind in Wirklichkeit ebenso Märtyrer wie dem Streik abgeflaut war, hat der Staat einem halben Jahr haben wir drei Lehrlin-
die Bürgerrechtler, die von den weißen grad wieder mit "Sühne & Vergeltung" ge aber die Lehre niedergelegt (kollek-
Rassisten des Südens umgebracht werden. reagiert und sein ganzes Anti-"Terroris- tiv): Entweder es gibt jetzt ab sofort ne
Sie haben dieselbe Reinheit, sie stehen in mus"-Arsenal gegen die Gefangenen an- Fachausbildung / Schule, oder wir wollen
der gleichen ~ise jenseits der elenden gewendet. Da sind auch bei den Gefange- Arbeiterlohn (1,24 DM plus Prozente).
Unterwürfigkeit derer, welche die von der nen wieder viele alte Rangehens-Muster, Die anderen beiden haben es bekommen
etablierten Gesellschaft angebotene ,Le- Schubladen und und ... eingerissen, die und sind geblieben, ich nicht. Deshalb bin
bensqualität ' akzeptieren." (Pier Paolo quer zu einer menschlichen Zukunft lie- ich in die Setzerei übergewechselt. Aus-
Pasolini: "Ketzererfahrungen", 1966) gen. Warum wurde "unsere Politik" denn bildungsmäßig war in der Schlosserei das
Von da aus habe ich vieles besser ver- nicht (massenhaft) z. b. während des Golf- einzige: "Grundkurs Metall". Der dauer-
standen. Während des Golfkriegs hab ich kriegs aufgegriffen? Weil es sie nicht te ca. drei Wochen und ist z. B. auch für
mal das Horkheimer / Adorno-Zitat raus- mehr gab. Ich glaube, die "Projekte, Stra- Elektrikerlehrlinge obligatorisch. Hat
geschrieben; und die Zeichen der Zeit ste- tegien, Konzepte" haben nicht nur nicht Spaß gemacht. Ansonsten war unsere Tä-
hen in Richtung Hoyerswerda: " ... der mehr über die neue Situation gepaßt, son- tigkeit v. a. die "Serien", so haben wir's
Herdentrieb der lonely crowd, der dern sie sind auch verbraucht, und die genannt. Da kommt ein LKW von einem
einsamen Menge, ist eine Reaktion ... Fragen der Menschen kommen aus einer Klein- oder Mittel-Unternehmer mit einer
ein Sich-Zusammenrotten von Erkalteten, anderen Tiefe, wo darin nichts zu finden ganzen Ladung vorgestanzter Winkelei-
die die eigene Kälte nicht ertragen, aber ist. sen. Wir haben sie dann in wochenlanger
auch nicht sie ändern können. Jeder Arbeit verschweißt. Oder es müssen an-
Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt
*** dere Einzelteile hergestellt werden in gro-

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Auflagen. Ich hab da schon einiges rungshaltung ... 12 Jahre Haft ... " Sein 2/3- sprünglich hatte die Staatsanwaltschaft gegen
rot, z. B. Schweißen. Aber das hab Termin war am 23. 9. 90. mehr als 100 Häftlinge ermittelt, die Verfahren
Von mitgefangenen Kollegen gelernt 6 Den beiden pol. Gefangenen Sieglinde Hof- wurden jedoch eingestellt. Im Prozeß vor dem
nicht von Betriebsmeistern ! Andere mann und Ingrid Jakobsmeier .. Ihnen sollen abge- Landgericht sollen 33 Zeugen gehört werden."
leitet aus den "Kronzeugen" -Aussagen der Man sieht, hier soll ein Exempel statuiert wer-
fträge waren Bestellungen von Beam- "DDR-Aussteiger" ggfs. neue Prozesse gemacht den. Die Forderungen, die in dem ganzen rebelli-
selber, z. B. Geländer, Fenstergitter werden schen Jahr '90 aufgestellt wurden, sind nach wie
für ihre neu erworbenen Eigenheime 7 Christian Klar und Günter Sonnenberg vor uneingelöst. Es sind politische und Menschen-
'. - natürlich alles mit Prozenten ... 8 Edgar Schein: "Ich hätte es gern, wenn man rechts-Forderungen, die aus der Knastwirklich-
sind Schmiedearbeiten, und es gibt ne über Gehirnwäsche nicht in Begriffen von Politik, keit resultieren (die ich in dem Brief versuchte,
, die vor Weihnachten viel in Betrieb Ethik und Moral dächte, sondern in Begriffen des etwas zu erhellen). Weil ich mich da verantwort-
War. Da wurden viele Kerzenständer und überlegten Änderns von Verhalten und Vorstel- lich fühle und weil ich die Forderungen richtig fin-
lungen durch eine Gruppe von Männem, die eine de, denke ich im Zusammenhang mit dem Prozeß,
lJhnliche Schmiedearbeiten gemacht von
ziemlich vollständige Kontrolle über die Umge- der den Gefangenen gemacht wird, genauso an
d<::n Gefangenen, die noch schmieden bung haben, in der die gefangene Bevölkerung eine "politische Lösung" wie bei RAF I Wider-
können. So gibt 's auch zwei Drehbänke lebt ... Aber sollen wir deshalb unsere Methoden standsgefangenen. Der justizmäßige Bewälti-
und eine computergesteuerte Allround- verdammen, weil sie der Gehirnwäsche ähneln 1" gungsversuch der Forderung und der Unterdrük-
Maschine - eine Genauigkeit bis zu drei 9 Die Hochsicherheitstrakte, Isolierstationen kung derjenigen, die an vorderster Front dafür ge-
Stellen hinterm Komma. Das soll draußen und viele andere "Sicherheitsmaßnalunen" in den kämpft haben, bringt keine ,Lösung'.
aber inzwischen üblich sein. Knästen sind eine Reaktion auf die Kämpfe der 10 Frantz Fanon, Theoretiker antikolonialer Be-
Ich bin dann, wo nichts mit Ausbildung Guerilla-Gefangenen in den 70er Jahren. ,Meine' freiungskämpfe: "Die Verdammten dieser
Generation ist genau damit politisch aufgewach- Erde", Frankfurt 1966
war (uns wurde recht gegeben, aber auch II Frente Farabundo Marti de Liberacion Nacio-
sen. Die Gefangenenrebellionen von 1990 haben
wieder Gezerre bis vor die Anstaltslei-
genau diese WIrklichkeit reflektiert und sind mit nal (Nationale Befreiungsfront Farabundo Marti)
~tung)in die Schriftsetzerei. Leider war es ihren Forderungen dagegen vorgegangen. Derzeit in EI Salvador
mcht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. stehen die Rheinbacher Gefangenen vor Gericht
99 % der Arbeiten sind: Gerichtsbe- deswegen. Um es zu verdeutlichen, um was es
Schlüsse, Haftbefehle, Zahlungsaufforde- ging und um was es jetzt geht, möchte ich aus dem
rungen und tausenderlei andere Justizvor- "Generalanzeiger lBonn" zitieren: "Die Häft-
drucke = Kriegsproduktion. Der einzig lingsrevolte im Rheinbacher Gelängnis zwischen
dem 2. und 6. Oktober wird demnächst ein ge-
schöne Auftrag, den ich da gemacht hab,
richtliches Nachspiel haben. Die Bonner Staatsan-
war ne Vierfarb-Broschüre, wo ein Kin-
waltschaft erhob jetzt Anklage gegen II Gefange-
dergarten sich vorstellt. Es war zweimal ne, 5 von ihnen müssen sich vor dem Bonner
die Woche vormittags Unterricht - ein- Landgericht, 6 von ihnen vor dem Amtsgericht
mal Fachunterricht (im wesentlichen Euskirchen verantworten. Den Männem, zwi-
Fachrechnen) und einmal "Politische Bil- schen 24 und 48 Jahre,· wird versuchte oder voll-
dung". Da mußten wir auswendig lernen, endete Gefangenenmeuterei, Sachbeschädigung,
wie Demokratie funktioniert. Das wird in versuchte gefährliche Körperverletzung vorge-
V\\)rfen. Sie alle sollen an der mehrtägigen Revolte
den Prüfungen abgefragt.
in der Rheinbacher NA beteiligt gewesen sein,
Dann kam noch der Umzug in die neuen die erst am 6. 10. endgültig vorbei war: Da stieg
Räume (neue Arbeitsverwaltung). Und der letzte von 100 Gefangenen, die sich insgesamt
ich kann es eigentlich nur so beschreiben: während der Zeit auf dem Dach des Gelängnisses
Das ganze halbe Jahr hab ich nur noch ge- aufgehalten hatten, wieder herunter und kehrte in
arbeitet, dann um 15.20 Uhr nach Ar- seine Zelle zurück. Alles hatte damit angefangen,
beitsschluß noch schnell in den Hof, ein daß vor dem 3. 10. ("Tag der deutschen Einheit")
bißchen Sport gemacht, um den Streß aus- auch im Rheinbacher Langzeitgefiingnis der Ruf
nach einer Amnestie nach DDR-Vorbild laut wur-
zutoben (hab ich oft mit anderen Gefange-
de. Die Forderungen lauteten: Generalamnestie
nen trainiert), und dann Klappe zu und fiir alle Kinder und Jugendlichen in deutschen Ge-
Tschüs Welt. Die Regelvollzugsmühle hat fängnissen, Hal.bierung aller Zeitstrafen, U m-
mich einfach aufgefressen. Obwohl ich an wandlung von lebenslänglich in 15 Jahre, Ab-
sich gerne arbeite. Aber an dem Punkt schaffung der SicherheitsVerwahrung, Abschaf-
ging 's nicht mehr. fung der Isolationstrakte, Zusammenlegung der
Wie hat es sich bei dir angelassen mit Politischen Gefangenen. Am Nachmittag des
der Arbeit? Ich würde mich freuen, wenn 2 ..10. - es hielten sich 220 Häftlinge auf dem
Sporthof und dem Küchenhof auf - brach die Re-
du dich bei Gelegenheit wieder meldest. volte aus. Die Männer kletterten an den Wänden
Obwohl es mir fast unvorstellbar ist, wie
hoch, um mit einer Dachbesetzung ihre Forderun-
mensch draußen neben Arbeit und ande-
gen durchzusetzen. Antennen und Kabel wurden
ren Aufgaben auch noch schreiben kann ! aus den Wänden gerissen, Fensterscheiben einge-
schlagen - die wachhabenden Justizbediensteten
(Die fußnoten 5, 8 und 9 sind von Carlos) wurden derweil von einem Block von Häftlingen
1 Mittelstreckenraketen in Schach gehalten. Im Verlauf der folgenden Ta-
2 Militärisch-industrieller Komplex ge versuchten die Dachbesetzer, ihre Forderun-
3 Andrea Sievering gen nach verbesserten Haftbedingungen, einem
4 Berliner Wochenzeitung mit autonomer Gespräch mit der Presse und Nalrrungsmitteln zu
Orientierung erzwinge!l. Sie drohten mit der Zerstörung eines
5 Dieter Glatz, NA Mannheim. Wir haben uns Gefiingnisflügels, und als die Gelängnisleitung
hier in Bruchsal im frühjahr einige '>'behen wäh- auf die Forderung nicht einging, schlugen die
rend und nach dem Hungerstreik kennengelernt. Häftlinge zwei Glasdächer kurz und klein. Justiz-
Er wurde von Heilbronn aus her zwangsverlegt, bedienstete, die Leitern an die Wände gestellt hat-
weil sie in Heilbronn als ArbeitsVerweigerer ge- ten, wurden mit schweren Gegenständen bewor-
gen ihre Absonderung einen eigenen Streik orga- fen. Die meisten Häftlinge hatten zu dem Zeit-
nisiert hatten. Hier wurde er wieder verschleppt, punkt das Dach nach Verhandlungsgesprächen,
weil er zuviel mit Günter und mir zusammen und unter anderem mit der Polizei, verlassen. Erst als
"unkooperativ" war mit der Anstaltsleitung. WIr am Abend des 5. 10. Polizei und Bundesgrenz-
haben seit drei Jahren guten und einigermaßen re- schutz, unter anderem mit einer umstrittenen
gelmäßigen Kontakt. Seine Reststrafe wurde am Hubschrauberaktion, eingriffen, kletterten die
18. 1l.91 abgelehnt. Aus der Begründung: "kein restlichen 12 Männer nach und nach vom Dach.
kooperatives Verhalten .. , Arbeitsverweigerung Auf die Angeklagten, unter ihnen mehrere Le-
... Trotzhaltung, die durch unrealistische Maxi- benslängliche, kommen nun weitere Haftstrafen
malforderungen gekennzeichnet ist ... Weige- zwischen drei Monaten und 5 Jahren zu. Ur-

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Gabi Hanka, Siggi Happe schaft völlig abgelöste macht tut nichts
anderes, als mit krisenverwaltungsstrate-

In konkreten Schritten gien jede reale, politisch-menschliche lö-


sungsmöglichkeit der existentiellen pro-
bleme zu blockieren und mit gewalt jede
entwicklung zu verhindern, die nicht von
für reale Veränderungen ihnen allein diktiert wird.
denn durch die einschneidenden verän-
derungen der letzten jahre ist die domi-
Aus Texten vom Oktober 1990 und Oktober 1991 nanz des kapitals auf eine stufe gekom-
men, die vor nichts mehr halt macht, und
zu "SOO-Jahre-Conquista" wie der golf-krieg gezeigt hat, sind diese
sowie ein Brief an die Hamburger Frauen herren der welt zum einsatz aller mittel
bereit, wenn sich jemand ihren ökonomi-
schen und militärischen interessen entge-
das sind zwei texte zur kampagne gegen eine neue lebensepoche zu öffnen. genstellt.
die 500-jahr-feiern. der erste ist ein kurzer das niveau, auf dem die auseinanderset- davon müssen wir ausgehen.
ausschnitt aus einer schlußerklärung, die zungen heute laufen, ist, daß es um die der zusammenbruch der su bedeutet das
wir im prozeß gegen uns ende 1990 vorge- perspektive der ganzen menschheit geht, ende einer ganzen historischen phase, und
lesenhaben. denn die zerstörung ist so weit fortge- damit ist der entwicklungsraum, der in-
inzwischen hat sich gezeigt, daß die schritten, daß kein land, kein volk davon nerhalb dieses kräfteverhältnisses noch
mobilisierung schwieriger ist und sich ausgenommen ist; weltweit sind politi- vorhanden war, auch abgeschnitten.
weniger leute aus der radikalen linken sche und soziale lösungen zwingend. durch die auflösung der ost-west-kon-
daran beteiligen, als wir damals gedacht die entwicklung umzudrehen und ihr frontationsstellung sind den imperialisten
hatten. unser trugschluß war zu glauben, sinn zu geben, steht den interessen des ka- die hände frei, um dieglol:!ale auseinan-
es wäre möglich, in einer langandauern- pitals unvereinbar gegenüber, schon im- dersetzung als ausgedehnten krieg gegen
den initiative die ganze situation ein- mer und aus der ganzen geschichte und die massen im süden und die ausgestoße-
schneidend zu verändern, da in der kam- ihrem wesen ist auch klar, daß sie nie nen in den imperialistischen staaten vor-
pagne alle inhalte zusammenfließen, an einen anderen zweck verfolgt haben und zubereiten und zu führen.
denen sich eine linke bewegung hätte neu auch künftig nicht werden als die ausbeu- die dämme sind gebrochen, und jetzt
bestimmen können. tung von mensch und erde. was früher ko- wird abgerechnet und einkassiert auf allen
heute wissen wir, daß es einen solchen lonisierung genannt wurde, sind heute gebieten und auch mit jeder vorstellung
sprung aus der situation nicht geben wird wirtschaftsverträge, die die internationa- für ein anderes leben als das der markt-
und auch nicht kann und daß die kam- len strukturen und monopole diktieren. wirtschaftlichen verwertbarkeit.
pagne nur ein anfang ist, um diesen pro- für uns ist es das gleiche. nur ihre wahrheit soll gültigkeit haben,
zeß aufzubauen. selbst dies wird nur von es ist im grunde nicht viel, was die men- ihre werte, ihre moral und ihre menschen-
einzelnen (bis jetzt) so gesehen und ange- schen weltweit fordern. es ist ihr recht auf rechte - für uns gibt es keine. aber so ein-
gangen. das, was ihnen seit damals fortlaufend bis fach geht das alles nicht. und wenn sie die
wir wollen trotzdem diesen ansatz noch heute weggenommen wird, und die be- westlichen demokratien als das einzig
einmal aufgreifen, weil die gedanken dar- stimmung über ihr leben. aber dieses we- wahre in den himmel heben, dann wissen
in als grundsätzliche orientierung nach nige bedeutet alles, denn die vorausetzung sie sehr gut, was das bedeutet, und die
wie vor gültigkeit haben. dafür ist die enteignung des kapitals und menschen im süden wissen es auch. denn
den zweiten text haben wir ein jahr spä- seiner handlanger. es meint einzig und allein eine zukunft in
ter geschrieben zur aktionswoche. er ist luxus und wohlstand für eine schmale eli-
leicht verändert, weil wir nicht mehr alles te, die nutzen und profit aus dem kapitalis-
zutreffend fanden. mus zieht auf kosten des leids und elends
der dritte text ist ein ausschnitt aus
11
der massen. sie schreien "sieg", während
einem brief von gabi an die frauen in ham- oktober 1991 die ganze welt ein pulverfaß ist. überall
burg, die den aufruf zu unserer freiheit explodieren die widersprüche, und das
gemacht haben. an dieser kampagne beteiligen sich viele prinzip "jeder gegen jeden" wird zur um-
unterschiedliche gruppen aus europaund fassenden realität.
lateinamerika, und wir sehen darin eine
I möglichkeit, daß es zu einer verständi-
gung über die aufgaben kommen kann, die
soziale werte verschwinden, gesell-
schaftliche strukturen zerreißen, und üb-
rig bleibt das recht des stärkeren gegen-
oktober 1990 sich heute jeder politischen bewegung über dem schwächeren.
stellen. die erfahrungen sind zwar unter- die entwicklung ist am umkippen und
unter dem schwerpunkt: 500 jahre india- schiedlich, aber die anforderung heute ist erzeugt eine destruktivität, die an den un-
ner- und volkswiderstand haben die indi- überall die gleiche; wieder fähig zum po- terschiedlichen punkten zur entladung
gena- und campesinonorganisationen u. a. litischen handeln zu werden, um einfluß kommt. das sieht man am krieg injugosla-
folgende ziele aufgestellt: auf die gesellschaftliche entwicklung zu wien, in dem kochenden rassismus vor al-
ihre gebiete zu verteidigen und land zu nehmen, hier wie international. lem in europa und den usa, das sieht man
nehmen ein kampfprozeß kann sich unserer vor- an den mörderbanden gegen straßenkin-
eine alternative wirtschaft aufzubauen, stellung nach in der gegebenen situation der in südamerika - und diese aufzählung
die aufkollektivierung basiert nicht anders entwickeln als in konkreten ließe sich noch endlos fortsetzen.
enteignung der großgrundbesitzer und schritten für reale veränderungen, in der der erbitterte kampf darum, auch noch
transnationalen gesellschaften, um le- diskussion und organisierung dafür. etwas vom kuchen abzubekommen und
bens-, gesundheits-, wohnungs- und an- die situation ist komplex, das ist allen nicht der allerletzte zu sein, der auf der
dere bedingungen zu ändern. klar, genauso wie jede/r sehen kann, daß strecke bleibt, zieht sich durch alle konti-
die probleme in immer schnellerem tempo nente und gesellschaften. dabei ist er
diese ziele haben weltweiten charakter. eskalieren. längst aufgeteilt, und da können sie erzäh-
in der einigkeit der völker und einer weit- die erfahrungen, die wir als gefangene len, was sie wollen - eine neue blüte wird
greifenden mobilisierung und bewegung in den letzten 2/3 jahren machen mußten, es nicht geben. die propagierung davon
liegt die historische möglichkeit, diesen spiegeln in ihrem kern nur das wider, was hat lediglich den zweck, die menschen in
barbarischen kreislauf, der seit 500 jahren in allen gesellschaftlichen auseinanderset- einem zustand der völligen resignation zu
herrscht, abzuschließen und den weg für zungen zu sehen ist. die von der gesell- halten oder in den individuellen überle-

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~nskampf zu treiben. um zu verhindern, die rev. linke hier in den letzten jahren heit erkämpfen will, nicht orientieren. in
daß sich die existentielle verzweiflung immer mehr an anziehungskraft verloren den diskussionen dafür müssen wir auch
gegen die verursacher und verantwortli- hat und wir kein einziges unserer ziele über die veränderte situation, mit der wir
cben umdreht. wirklich haben durchsetzen können. heute konfrontiert sind, sprechen, und
die stufe, auf dem die kapitalistische denn in gewisser weise ist das auch der wie wir daraus die ziele bestimmen und
produktion und verwertung angekommen boden, auf dem die staatliche politik sich konkretisieren können.
ist, schließt bereits heute 2/3 der weltbe- in so brutalem rassismus ausbreiten kann, nach dem hungerstreik '89 hatten viele
völkerung aus jeder sozialen entwicklung weil keine alternativen sichtbar sind. zu- gesagt, daß das neue darin war, daß viele
aus bzw. findet auf ihrem rücken statt. mindest keine einfachen und schnellen. menschen aus ganz unterschiedlichen ge-
denn das ist ja das prinzip, wie kapitalis- viele, die sich am rechten rand tum- sellschaftlichen gruppen aus ihren eige-
mus funktioniert, dessen ganze existenz meln, reagieren auf das, was sie hier tag- nen erfahrungen mit dem staat die verbin-
sich nur über die zweiteilung der welt in täglich zu spüren bekommen: als ausge- dung zu uns und unseren forderungen her-
ausbeuter und ausgebeutete aufrechter- grenzte ohne perspektive hier leben zu gestellt haben. leider hat sich der darin
hält. müssen. das vakuum, was die situation sichtbar und möglich geWordene politi-
so geht es jetzt ums absichern und ver- bestimmt, muß aufgebrochen werden. sche prozeß in der gesellschaft in den in-
teidigen denen gegenüber, die nicht teil damit meinen wir, daß es hier zwar immer zwischen vergangenen drei jahren viel zu
der noch-nutznießer sind, und das mit al- weniger menschen gibt, die der kapitali- wenig weiterentwickelt, aber ich sehe
ler härte. denn sie wissen sehr gut über die stischen produktionsweise und dem gan- darin nach wie vor den zentralen anknüp-
instabilität der lage und daß sie auf dauer zen wertemodell noch irgendetwas positi- fungspunkt und auch den rahmen, in dem
nicht milliarden menschen abhalten kön- ves, geschweige denn eine lebensperspek- die diskussion über die vielen existentiel-
nen, leben zu wollen. tive zutrauen, aber gleichzeitig auch keine len fragen, die heute vor uns stehen, sich
es ist eine linie, an der die ausgebeute- alternative sehen. entwickeln muß.
ten weltweit zusammenkommen können. es ist immer beides, jeder kampf für ich finde es auch notwendig, daß darin
die erfahrungen sind zwar unterschied- eine andere lebensperspektive muß auf der zusammenhang zur grundsätzlichen
lich, aber sie gehen überall an die substanz den kern der ursachen zusteuern. das ist haltung des staates gegenüber gesell-
der menschen. und es wird klar, daß es der unmittelbare zusammenhang zwi- schaftlichen problemen/konflikten her-
überhaupt keine andere möglichkeit gibt, schen armut und weltmarktstruktur. an gestellt wird, denn es ist mittlerweile dort
als durch organisierten druck von unten den kriegs- und weltmarktflüchtlingen angekommen, daß jeder kampf um exi-
die verhältnisse zu erzwingen, die sich an wird die kluft zwischen den armen und stentielle bedingungen von ihnen bis zur
den lebensinteressen der menschen orien- ausgebeuteten menschen im süden und machtfrage eskaliert wird.
tieren und nicht an dem profitwahn des den reichen in den industriestaaten, der diese erfahrungen ernstzunehmen und
kapitals. lebenssituation, scharf. voraussetzung da- als gemeinsame zu begreifen, ist für mich
um diesen prozeß aufzubauen und zu für ist: daß die diskussionen daran orien- das erste, was wir als basis brauchen, um
konkretisieren, braucht es eine grundsätz- tiert werden, ein weltweites zusammen- wege zur überwindung der staatlichen kri-
lich andere zusammenarbeit zwischen kommen der kämpfe an gemeinsam be- senmanagementpolitik, die nichts anderes
allen politischen gruppen, die sich für ra- stimmten zielen (wie für die streichung kennt als repression und herrschaft, zu
dikale veränderungen der herrschenden der schulden), um in der kontinuität der finden und politischen handlungsraum zu
verhältnisse einsetzen, als bisher. ganz internationalen kämpfe einen unumkehr- erkämpfen.
egal, ob es um widerstand gegen umwelt- baren prozeß der umwälzung jener struk- dazu gehört sicher auch, sich die erfah-
zerstörung, gegen rassismus, sexismus tur einzuleiten, wie sie heute als welt- rungen nochmal ranzuholen, gerade die
und gewalt gegen schwule oder für selbst- markt existiert. aus den starken bewegungen, die es in den
bestimmte lebensräume oder die interna- die 500-jahre-conquista- und wider- 80er jahren gab, gegen nato, stationie-
tionale solidaritätsarbeit geht, der wider- stand-kampagne ist eine möglichkeit, an rung, startbahn, für selbstbestimmte le-
spruch zum kapitalistischen system ist so- diesem internationalen prozeß zu arbei- bensräume, häuser ... , und über die
fort präsent und absolut. er muß in jeder ten, und nur in diesem prozeß können sich grenzen, auf die wir gestoßen sind, zu re-
auseinandersetzung dahin zugespitzt wer- die befreiungsperspektiven für uns alle in den, die eignen und die unnachgiebige
den, daß faßbar wird, welche konsequen- der veränderten situation neu heraus- haltung des staates. '
zen sich gegenüberstehen und welche ent- bilden. denn das muß im verhältnis zueinander
scheidungen daraus zu treffen sind. was gesehen werden, der staat ist immer härter
z. b. ist die konsequenz aus diesem "fe- geworden bis dahin, daß heute je d e auto-
stung-europa-denken"? erst einmal ist es brief an die vier frauen in nome organisierung schon vor ihrer ent-
ein mittel staatlicher politik, den vorhan- stehung zerschlagen werden soll, um zu
denen rassismus anzuheizen, während hamburg, die den aufruf zur verhindern, daß eine struktur entsteht, in
diese "europa-protagonisten" sehr wohl freiheit geschrieben haben der alternativen greif- und vorstellbar
wissen, daß sie weder die massen davon werden. das betrifft menschen, die in so-
abhalten können, hierher aufzubrechen, (dokumentiert in dieser Broschüre). zialen bereichen arbeiten, ganz genauso,
noch daß damit die probleme zu lösen sind inzwischen gibt es einige texte und stel- ob bei drogenberatung, aids oder gegen
- sollen also bewaffnete grenzen gegen lungnahmen zu dem, was anfang dieses obdachlosigkeit, sie sind permanent damit
die menschen aus dem süden hochgezo- jahres vom staat zu den geplanten freilas- konfrontiert, daß sie gegen mauem ren-
gen werden? sungen einiger gefangener kam, in denen nen und nichts erreichen, im gegenteil:
für uns stellt sich die frage, wie eine fast durchweg gesagt wird, wir nehmen ihr handlungsraum wird systematisch
gemeinsame arbeit mit den menschen aus die situation, und es muß um eine per- weiter abgeschnitten durch kohlestrei-
anderen ländern, die hier sind, über den spektive, also freiheit für alle gefangenen, chungen und und.
unmittelbaren schutz gegen angriffe hin- gehen. der staat hat keine lösungen, aber das
aus, aussehen kann. "bleiberecht für al- der bis jetzt klarste ansatz ist, die ganze monopol, über die entwicklung zu bestim-
le" ist sowohl als forderung als auch als über zwanzigjährige vernichtungsstrate- men - und daneben soll nichts anderes
verhältnis absolut richtig. aber: das richti- gie präsent zu machen und in die öffentli- existieren.
ge verkommt dann zu einer hohlformel, che auseinandersetzung zu bringen gegen die menschen in der ddr machen diese
wenn es schließlich nur sehr wenige sind, das von ihnen auferlegte stillschweigen erfahrung massenweise. die wirkung die-
die sich gedanken darum machen, wie die und getöne von normalität, über das sie ser erfahrung darf nicht unterschätzt wer-
menschen hier leben und wie wir gemein- die geschichte in die vergessenheit schik- den, gerade die aus den kämpfen gegen
sam mit ihnen lebensbedingungen durch- ken wollen. das ist ein wesentlicher aus- die stationierung, als brd-weit soviele
setzen können. schnitt, der auch noch viel massiver aus- menschen auf den beinen waren von über-
was es in diesem zusammenhang auch gedrückt werden muß, aber daran alleine all - schulen, unis, gewerkschaften, au-
braucht, ist, daß wir uns klar werden, daß kann sich eine mobilisierung, die die frei- tonome ... -, wie ich es seitdem nicht

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mehr erlebt habe - und trotzdem wurde terschiedlichen positionen solidarisch die wirkung davon, und die ausgangslage
die stationierung durchgezogen. aber ich statt konkurrierend umzugehen. wird sich verändern.
meine auch die aus der jüngeren zeit, den aber weiter zu heute: bei allem, was an- es gibt keinen kampf mit einer solchen
letzten drei, vier jahren: unser streik '89, gefangen hat im letzten jahr, z. b. der or- kontinuität wie der kampf um unsere for-
der streik der spanischen gefangenen oder ganisierung gegen rassismus, es reicht ja derungen, von drinnen und draußen, und
der golfkrieg. nicht aus, schutz aufzubauen und soweit allein das ist schon eine andere vorausset-
wenn sich, wie ihr sagt, in den letzten wie aus den eigenen strukturen möglich zung, weil auch dem staat klar sein muß,
jahren viele zurückgezogen haben, hoff- lebenshilfe zu geben oder sich mit den daß dieser kampf so lange weitergeführt
nungslos geworden sind, dann kommt das neo-nazis, skins rumzuschlagen, sondern wird, solange es politische gefangene in
ja genau aus dem realen hintergrund, daß, darin muß sich ja genauso widerstand ge- den gefiingnissen gibt.
egal wie breit oder militant sich die gen die politik des staates entwickeln.
kampfprozeSe bisher entwickelt haben, grundsätzlich denke ich, daß es überall
gegen diese macht scheinbar nichts auszu- zu der haltung kommen muß: wir lassen
richten ist. uns nicht länger gefallen, daß der staat
und darauf setzen sie, daß die menschen und die darin verantwortlichen stellen
sich mit ihrem status als objekte abfinden über unser leben entscheiden, also dar-
sollen und an ihrer resignation ersticken. über, wo und wie wir leben sollen - sie
die dimension davon ist in einer zeit, in damit zu konfrontieren und das zu fordern
der es keine greifbare und anziehende per- und zu nehmen, was gebraucht wird.
spektive dagegen gibt, noch viel tiefge- ganz konkret und ich denke auch als teil
hender. einer bestimmung für schritte, die an den
das muß in die politische arbeit jetzt ein- kern der ursachen für die weltweit eskalie-
bezogen werden, und ich sehe es so, daß renden probleme treffen - die von den
es momentan vor allem darum geht, über- imperialistischen staaten festgelegte welt-
haupt wieder voraussetzungen zu schaf- wirtschaftsordnung. denn sie ist die zen~
fen, um einen widerstandsprozeß neu auf- trale struktur, die· weltweit für die mise-
zubauen, der in der lage ist, alles mit ein- rablen lebensbedingungen genauso wie
zubeziehen, vom kampf um selbstbe- für die stetig zunehmende ökologische
stimrntelebensbedingungen,u~sender zerstörung verantwortlich ist. an der auf-
politischer und sozialer organisierung bis rechterhaltung und ausfeilung dieser ord-
zur internationalen arbeit. das muß sich in nung in der veränderten weltlage be-
den konkreten auseinandersetzungen jetzt stimmt sich die politik.
entwickeln. mit der tatsache, daß für die kapitalent-
ihr benennt es als manko, daß es in den wicklung immer weniger menschen benö-
80er jahren hauptsächlich die orientierung tigt werden, hängt zusammen, daß ihr
an dem ,gegen .. .' gab. aber ist es nicht handlungsbedarf oder politischer wille,
immer so, daß alle kämpfe sich auch ge- gegen die sozialen notlagen etwas zu un-
gen die staatliche politik richten müssen? ternehmen, gleich null ist. im gegenteil,
ich verstehe schon teilweise, was ihr sie wollen die für sie überflüssig gewor-
meint: daß die trennung, die es gab zwi- denen menschen loswerden, egal ob durch
schen den eigenen lebensvorstellungen cholera, hunger oder drogen und selbst-
und dem, wieweit sich in den mobilisie- morde. das macht die auseinandersetzung
rungen verbindliche beziehungen und auch so scharf, weil es an jedem punkt und
prozesse untereinander entwickelt haben, in jedem moment die konfrontation mit
sehr stark war. das verbindende bestimm- dem ganzen system wird.
te sich erstmal über das ,gegen die start- ich muß oft daran denken, was ,eI nato'
bahn etc ... .'; aber ja trotzdem notwen- aus uruguay auf veranstaltungen hier ge-
dige kämpfe, in denen eine politisierung sagt hatte dazu, daß die aufteilung 1., 2.,
lief, der begriff über den staat und seine 3. welt überhaupt nicht mehr hinhaut,
strukturen genauso wie über die eigenen sondern sich global durch alle länder die
ziele und handlungsmöglichkeiten klarer existenz verschiedener welten durchzieht.
wurde. für mich war das auf jeden fall so, dazwischen geschaltet sind polizeiapparat
und ich glaube, für die anderen gefange- und militärs. die entwicklung findet in un-
nen aus dem widerstand trifft das genauso terschiedlichen räumen statt, die des kapi-
zu. tals und die des großteils der gesellschaf-
das hauptproblern sehe ich eher darin, ten ist auch in den metropolen zum wider-
daß, nachdem die bewegungen ständige spruch in sich geworden. das bedeutet
niederlagen erfahren haben, daraus keine auch etwas dafür, wie ein politischer
gemeinsamen schlußfolgerungen gezogen druck auf sie wirkung bekommen kann,
wurden. damit meine ich nicht ein und die denn es hat sich verändert, wieweit sie
gleiche konsequenz für alle, sondern daß noch wert auf gesellschaftliche legitimität
es nicht einmal eine vermittlung unterein- legen, eigentlich fust gar nicht mehr, eben
ander gegeben hat, jede/r seiner / ihrer solange nicht sie es sind, die es abkriegen,
wege ging wie vorher auch, und viele ha- sondern die menschen sich gegenseitig
ben sich ganz in ihren privaten alltag ver- fertigmachen.
graben. das sind jetzt ein paar gedanken, die ich
ein puerto-ricaner, der hier auf reise wichtig finde dafür, wie ein revolutionä-
war, hatte den eindruck, daß hier anschei- rer prozeß neu angepackt werden kann
nend immer wieder alles von vorne an- und wie darin der kampf für unsere frei-
fängt, als ob es keine erfahrungen gäbe, heit steht.
und damit trifft er "SChonauf einen wahren denn es gehört für mich zusammen, und
kern. warum das so ist, darüber müssen auch wenn es nicht automatisch so sein
wir reden. ein teil sind ganz sicher unsere wird, daß ein anderes umgehen des staates
strukturen, die uns oft selbst im wege uns gegenüber gleich bedeutet, daß ihre
standen, und die unfiihigkeit, mit den un- durchgängige haltung einbricht, gibt es
50
SvenSchmid

Eine strategische Allianz, die sich


an 'dem Ziel Umwälzung orientiert
Aus Briefen vom Januar 1991 bis Januar 1992

27.1.91 ausgangslage ist die niederlage, ist der raum und die zeit geschaffen werden für
truppenaufmarsch und der krieg - und die eigene geschwindigkeit, den eigenen
, , , es ist wirklich schwer, worte zu fin- der damit verbundene reaktionäre schub, rhythmus.
den. der offene kriegsausbruch ist in mei- den die ganze auseinandersetzung bekom- der ganze gedanke geht davon aus, daß
nen augen eine politische und moralische men hat - solange es keine wirkliche al- es z. z. keine politisch I militärische kraft
niederlage für die revolutionären und fort- ternative gibt. gibt, die sie unmittelbar aufhalten kann
schrittlichen kräfte. oder wie wir oft ge- oder zu lösungen zwingen. d. h. auch, daß
sagt haben, es muß alles daran gesetzt es unmöglich ist, ,auf der höbe der konter-
werden, daß gangbare alternativen eröff- 2.2.91 revolution' zu antworten und zu agieren.
net werden, und das beinhaltet ja auch un- das würde in der von ihnen militarisierten
mittelbar, daß der tendenz zum krieg die ... wenn man die ganzen inneren und auseinandersetzung stecken bleiben, und
spitze gebrochen wird. diese frage ist jetzt äußeren aspekte der option des krieges zweitens kann es (heute) nicht das politi-
wirklich endgültig beant\Wrtet. diese sich ansieht, läßt sie nur einen schluß zu: sche ziel sein, in der von ihnen machtpoli-
kriegsmaschinerie kriegt (vorerst) nie- sie kommt einer generellen kriegserklä- tisch determinierten konfrontationsstel-
mand gestoppt. rung gegen die völker im trikont und ge- lung die schwachen kräfte der umwälzung
der verlierer ist auch' der mensch als gen die fortschrittlichen und revolutionä- gegenüberzustellen ...
sinnbildendes wesen, und 'der bisherige ren kräfte der metropolen gleich. uns stellt
gewinner ist die hochtechnologie, die ,in- sich damit auch jede tendenz zur umwäl-
telligenten waffensysteme' - die künstli- zung vor eine veränderte situation. denn 9.6.91
che intelligenz im4 allgemeinen. (" ... die ,tendenz zum krieg' ist der realität des
schon sprechen fachleute von einem ,sieg krieges gewichen, und die bringt zwangs- ... wir hatten das ja schon mal - ,krieg
der intelligenz über die bloße feuerkraft' läufig aus ihrer gesetzmäßigkeit mehrere als umfassender begriff' -, ich hab 's mal
... ", faz.) das heißt ja auch nichts ande- fronten hervor, was ja schon in unter- so zusammengefaßt : die äußerste anspan-
res, als daß der kampf zwischen mensch schiedlichen zügen zu sehen ist. grad hier nung des kapitals ist der krieg, und wenn
und technik seit der ersten industriellen der ganze aspekt der ,inneren sicherheit' wir sagen: verallgemeinerung des krieges
revolution mit einer weiteren niederlage - wo schäuble in der debatte zur regie- als bestimmender ausdruck der wirklich-
für den menschen endet und eine epoche rungserklärung schon hingewiesen hat, keit, dann entspricht das der politisch I
des krieges beginnt. die innere mobilmachung wird sich auf strukturellen transformation der aggressi-
in diesem ,high-tech'-krieg fallen die einen längeren zeitraum erstrecken •... vität des kapitals, des umfussenden an-
menschlichen und sozialen kriterien ab die konfrontation wird schärfer und un- griffs. die aggressivität des kapitals zur
wie welke blütenblätter: die künstliche in- erbittlicher, und es wird eine zunehmende steigerung des mehrwerts, der profitrate,
telligenz kennt keine humanen katego- polarisierung geben, die ersten anzeichen und deren absicherung manifestiert und
rien, kennt keine freude und kein leid, von pogromen sind schon sichtbar. darin konkretisiert sich in der militärischen op-
kein hoffen und kein bangen, und die müssen natürlich auch politische zielvor- tion. krieg ist keine ,unabhängige größe'
menschen werden zum ,stillen beobach- stellungen überdacht werden. die grund- - ,geisel der menschheit', er ist das pro-
ter', zum re-aktiven subjekt degradiert, legenden politischen orientierungen, die dukt und gleichzeitig spiegelbild der wirk-
werden systematisch ihrer empfindungen sich aus den letzten jahren herauskrlstal- lichkeit. also auch hier: ursache und wir-
beraubt und damit ihrer menschlichen di- lisiert haben, werden sich in ihrem gehalt kung.
mension. die ,sinnlichkeit' in der ,chirur- nicht ändern, aber solange die ,kriegs- in diesem zusammenhang muß auch die
gischen operation' ist reduziert. auf die front' nicht aufgebrochen ist, können sie ganze auseinandersetzung um die ,neu-
perspektive der maschine, damit wird die sicher nicht wie bisher weiter verfolgt strukturierung' det NAlO gesehen wer-
reali~t des krieges gesplittet, und es gibt werden. und wie die politischen verhält- den - und die damit verbundene frage
keine wahrnehmbare .wirklichkeit und nisse sich aus der mobilisierung gegen den nach einer europäischen eingreiftruppe,
damit keine empfindung. was es gibt, ist krieg neu gestalten und verändern, kann deren aufgabe, und wie setzt sich das
die produzierte ,zweite natur' - die heute noch gar nicht abgesehen werden oberkommando zusammen. das alles sind
künstliche. vPrbereitungen zu weltweiten militäri-
hier der medienscbirm als käseglocke schen einsätzen, zur krisenbewältigung I
zur inneren einkreisung, um den äußeren sicherung,
krieg realisierbar zu machen (führbar). 5.3.91 und nur wer in der lage ist, militärische
wenn sie zerbricht - und sie wird zerbre- auseinandersetzungen zu führen, hat mit-
chen, das ist nur eine frage der zeit -, ... ich denk's so: in den ganzen'überle- spracherecht, hat bei der aufteilung des
wird der schock um so größer sein, und gungen von uns jetzt muß die sog. ,tages- kuchens mitzureden. die brd-regierung
dies wird dann der 2. sieg der maschine politik' mehr in den hintergrund treten, wird alles daran setzen, um so ein debakel
über den menschen: die scham des unfer- um den blick auf das kommende zu richten wie im zusammenhang mit dem golfkrieg
tigen und schmutzigen menschen gegen- und die damit verbundenen aufgaben und in zukunft zu verhindern. die militärische
über der fertigen und sauberen maschi- anstrengungen. es ist ja auch so, 'wenn eskalierung läuft nicht linear durch, aber
nel ,künstlichen intelligenz' - es herrscht sich ständig in der abhängigkeit ihrer ge- die richtung ist klar ...
die sprachlosigkeit des menscben gegen- schwindigkeit bewegt wird, führt das
über den schrillen videos des krieges ... zwangsläufig zum zusammenbruch der
egal wie man's dreht und wendet, die eigenen politik, d. h. es kann nicbt der

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6. 7.91 sammenbruch, das sichtbarw'erden des charakter haben. und hier haben dann
ausmaßes der ausplünderung den verlauf auch die gedanken ,schnitt/zäsur' einen
... daß die menschen ihre interessen zu der auseinandersetzung - treibend hin zu sinn, wenn si~ als politisch-praktische
(über-)leben in die eigenen hände nehmen neuen konflikten, ausbrüchen und kata- auseinandersetzung gefiihrt werden. das
müssen aus der wirklichkeit, diese ein- strophen. die macht entpuppt sich als tö- läßt sich nicht in einzelne begriffe pres-
sicht in die notwendigkeit muß politisch nernes gebilde, das hochgerüstet . durch sen, und es läuft nicht in schematischen
geleistet werden. d. h. aber auch gleich- die epoche schliddert, bildet eingreiftrup- denkweisen wie ,alt-neu'. ,breite-rnili-
zeitig, daß eine möglichkeit und orientie- pen, kommissionen fiir alles und jede/no tanz' ... als appeasement, kuhhandel
rung des umwälzungsprozesses geschaf- die entwicklung zu heute ist facetten- oder was weiß ich, was sich da alles so
fen werden muß - und das vor allem hier reich, kommt in ihrer analyse aber immer vorgestellt wird. aber wenn die aufbrüche
in den zentren. denn auf welche ,überle- zu dem gleichen ergebnis: ihre geschichte nicht aus den veränderungen, den spezifi-
bensstrategie' die menschen hier vorbe- ist zu ende - und genau da muß die ent- schen bedingungen geschaffen werden,
reitet werden, auf welche die herrschende scheidung, das subjekt, die politik anset- wird sich der ganze politische prozeß line-
macht setzt, haben sie mit dem krieg am zen, um den prozeß zu eröffnen, fiir eine. ar weiterentwickeln und im ergebnis in er-
golf sehr deutlich gezeigt. bewegung aus der erstarrung, denn die starrte schablonen und hinter sich selbst
die ganze ausrichtung signalisiert je- nicht-politik ist gleichbedeutend mit der und die wirklichkeit zurückfallen. ein ver-
der /jedem, die / der hier lebt, geboren mumifizierung der macht im sozialen va- längertes dagegenhalten, ohne reale ent-
und nutznießer der verhältnisse ist: du kuum. die subjektive entscheidung im wicklungsmöglichkeiten, würde die hand-
mußt ,ohne rücksicht aufverluste' um dei- kollektiven kontext der gesellschaftlichen lungen bestimmen. was du heute ja schon
ne privilegien kämpfen, und sei es das ein- veränderungen muß als skizze das neue, Z. t. feststellen kannst.
zige privileg - was in anbetracht der in- d. h. die art und weise, heute revolutionär die wurzeln reichen eigentlich bis mitte
ternationalen situation auch eins ist -, zu denken und zu handeln, (als möglich- der 80er zurück, wo es nicht geschafft
daß du täglich zu essen hast, ein bett im keit) sichtbar werden lassen, damit es wurde, ein ,neues politikverständnis' zu
krankenhaus ... überhaupt zu einer politischen bewegung formulieren, durchzusetzen, um in verän-
diese (über- )lebensstrategie der weißen kommen kann, in welcher der soziale sinn derter lage zu einem adäquaten begriff
herrenrasse ist tödlich, und daß sie greift, und die fundamentalen politischen ziele und daraus resultierender vorstellung zu
hat der krieg gegen den irak, die aufstän- ihren wert bekommen. kommen. und wie '89 unter ,verschie-
dischen arabischen völker gezeigt. und es momentan stehen sich die wirklichkeit bung zum politischen' alles mögliche ver-
war sichtbar, wer dagegen aufgestanden und der mögliche politische weg erstarrt standen wurde, ohne wahrzunehmen -
ist - und wer zum apologeten der macht gegenüber. die beschleunigung der gewalt vor allem auch nach dem abbruch des
wurde. diese entwicklung wird die gesell- und zerstörung in ihrer objektiven kraft streiks -, daß ,verschiebung' eine mate-
schaft horizontal und vertikal auseinan- bestimmen und determinieren den verlauf rialität aus und fiir die kämpfe hat und
derreißen. und ich denk, dieser ,ruck', der auseinandersetzung - d. h ..in der ab- einen inhalt besitzt: umwälzung. und daß
der quer durch die gesellschaft gehen hängigkeit, die reaktion darauf. eben, wo fiir diesen einzuleitenden politischen lern-
wird, den dürfen wir nicht unterschätzen immer noch das objektive der veränderun- denk-arbeitsprozeß materielle notwendig-
und verpassen - politiSCh -, da müssen gen, der neuen lage, auf die wir stoßen, im keiten existentiell sind (fiir uns die zl
wir mit allem, was wir sind, mitten drin vordergrund steht und nicht die politische ... ).
sein ... transformation aus der entscheidung der aus dem, daß sichtbar ist, in welche
es geht dabei grundsätzlich um einen subjekte. aber ohne entscheidung das neue richtung sie marschieren, und daß kein re-
politisch / praktischen bezugsrahmen - sichtbar zu machen, in seiner antizipation levanter politischer handlungsraum dage-
gerüst, politik. manchmal mein ich, es vorstellbar, verkommt das reden darüber, gen eröffnet werden konnte - dies zu-
verläuft sich schier alles, obwohl viele über die ziele, zur verbalen trocken- sammengenommen fiihrt in meinen augen
menschen, gruppen, organisationen das- übung. nur der politisch handelnde dazu, daß heute gesagt werden muß: so
selbe im auge haben - kämpfen, um zu mensch konkretisiert die gegenbewe- geht einfach nichts weiter. und dabei ist
leben. und denen ist allen bewußt, daß es gung! ... das mißverhältnis (zwischen politischer
sehr tiefgehende veränderungen hier handlung und wirklichkeit), wie es sich
braucht, das sind keine ,polit-slogans', u. a. in den diversen mobilisierungsansät-
das sind die erfahrungen auch aus den 3.10.91 zen ,fiir die zl / diskussion' ausdrückt,
80er jahren. eben die tatsachen. symptomatisch dafiir, wie die linke, die
aber ich habe oft den eindruck, als ob ... der niedergang, ,das system bereitet menschen ihre eigene lage begreifen.
dieses verständnis völlig blockiert ist. aus seinen zusammenbruch vor', heißt das ist unabhängig davon, woran im kon-
der verunsicherung, in welchem politi- nicht, daß die macht des kapitals sich kreten gearbeitet wird, denn der innere
schen bezugssystem sich bewegen, artiku- mir nichts dir nichts in luft auflöst, son- zusammenhang ist identisch.
lieren - welche formen, mittel und mög- dern daß das system in allen seinen zwei- von dieser realität ausgehend muß die
lichkeiten ergreifen. dann hält man doch gen nicht mehr reproduktionsfähig ist. frage aufgeworfen werden, wie sich um-
lieber am althergebrachten fest oder rückt eben zusammenbruch des jetzigen, be- wälzung als weg, als revolutionärer pro-
die ,befindlichkeitsfragen' in den mittel- kannten politisch-ökonomischen gefiiges, zeß überhaupt vorgestellt wird, denn
punkt ... , obwohl die arbeit, die zu lei- und die alten krisenmechanismen sind sonst greift jeder versuch, den politischen
sten ist, regelrecht vor der nase steht. und verbraucht. die wirtschaftspolitischen prozeß wieder freizukämpfen, ins leere-
bei den ansätzen, die es gibt, hab ich den entscheidungen zerreißt sie ja jetzt schon bei uns genauso wie an anderen entschei-
eindruck, dies wird viel zu schüchtern an- nahezu - d. h. sie brauchen neue, das denden punkten. der ausgangspunkt für
gegangen, anstatt daß die leute mal auf geht aber mit dem jetzigen politisch-öko- diese überlegungen hat sich nach vorne
den tisch hauen und sagen, so und so sieht nomischen system nicht. das politisch/ verschoben: nahezu alle sagen, ,die ob-
es aus, also was machen wir jetzt damit - soziale modell des bürgerlichen rechts- jektiven grenzen sind überschritten, da-
und sich auch so vermitteln, sicht- und staates ist dazu nicht in der lage, der ge- hinter fällt alles in gewalt, chaos und zer-
hörbar werden ... samte überbau muß sich hin zu einem of- störung'. - und die, die in konkreten ar-
fen agierenden autoritären staatswesen beiten stecken, kommen zu dem schluß,
transfurmieren, mit der entsprechenden ,es muß von hier aus radikale und tiefgrei-
22.9.91 ideologie - der kern wird sichtbar: fa- fende veränderungen / konsequenzen ge-
schismus und krieg ... ben'. aber genau an dem punkt , wie' ist
... nochmal so gesagt. wir leben in einer und hier schließt sich unmittelbar die die entwicklung nicht weitergekommen,
zeit des umbruchs. nichts bleibt so, wie es frage an, was dem zusammenbruch als und da muß politik heute ansetzen, ihre
·war. und die ziele müssen auf ein neues möglichk:eitund vision entgegengestellt fiihigkeit, vorausschauend zu denken und
formuliert und angegangen werden. mo- wird, bzw. ,lösungen für die menschen' zu handeln, unter beweis stellen. damit in
mentan bestimmt der allgegenwärtige zu- muß einen unmittelbaren und zukünftigen einer ,politischen klammer' diese überall

52
gewonnenen erkenntnisse aus ihrer zer- rung zum wwg und gegen die 500jährige-
streuung und damit konsequenzlosigkeit conquista.
herausgerissen werden, damit sie in ge- du hast geschrieben, ,der umbruchspro-
meinsame politische handlungen münden, zeß schreitet voran und hinterläßt frustrie-
eine ,strategische allianz' geschaffen rende spuren' - was meinste damit? was
wird, die sich an dem ziel: umwälzung verstehst du unter umbruch bzw. überlegt
orientiert ... ihr da zusammen dran?
ein paar gedanken dazu. ich denk, um-
bruch und ,vorläufigkeit der situation'
23.1.92 gehören heute ganz eng zusaIDmen, alles·
ist in bewegung und unterliegt ungeheuer-
... wie es bei uns aussieht? wir warten licher beschleunigung. aber zuerst ist
immer noch auf die revisionsentschei- wichtig zu sehen, daß umbruch nicht die
dung, wobei ich denk, es wird bald mal alleinige reaktion auf die äußeren verän-
soweit sein, denn der prozeß ist ja nun derungen sein kann. sondern die inneren
schon seit über 15 monaten rum. wie die prozesse des umbruchs und die damit ver-
bedingungen sind? na, was soUich dazu bundenen fragestellungen haben schon
sagen. es schaut so aus, daß stefan und ich vorher angefangen. eben aus den grenzen,
nach wie vor getrennt sind und auch nicht auf die grundsätzlich alle widerstands-
mit abdel und hafez, den beiden palästi- und kampfprozesse gestoßen sind. und
nensern aus der PFLP-GC, zusammen- aus diesen erfahrungen, natürlich unter
kommen dürfen. gabi und sigrid kriegen den neuen äußeren bedingungen, die
keine besuchsgenehmigung für uns, und durch die kämpfe mitgestaltet werden,
wenn du zu besuch kommst - 30 minuten muß heute ein neuer reifungsprozeß in
oder 'ne stunde, denn das entscheidet der gang gesetzt werden. ich sag das aus-
knast -, haste trennscheibe und lka-über- drücklich so, weil ich oft gelesen habe,
wachung. und der tagesablauf - eine daß die frage nach umbruch/ ,neugestal-
stunde hof am lag, davon 2 bzw. 3 mal die tung' viel zu eng oder auch ausschließlich
woche, eben im turnus draußen unter frei- aus den objektiven veränderungen - z. b.
em himmel, ansonsten die restlichen 4 dem zusammenbruch der ,real-sozialisti-
bzw. 5 mal in beton-decks, käfigen - und schen-staaten' - gesehen und begriffen
dann gibt 's täglich 2 stunden ,freizeit' : da wird. das wird der situation einfach nicht
kannste video schauen, deutsch, oder in gerecht, auch der möglichkeit, die in ihr
nem anderen raum in wechselnden spra- steckt. man schneidet sich dadurch selbst
chen. ich red meist mit den männern hier den zugang zu den eigenen erfahrungen
oder spiel mal nen schach. ansonsten bin ab, und die geschichte wird als was äußer-
ich 21 std. auf der zelle. seit neuestem liches, als anhängsel begriffen, die man
gibt's hier jetzt nen sportkurs, 2 mal die vielleicht noch am liebsten loswerden
woche ne stunde. und ich kann jetzt ein möchte. darin wird überhaupt nicht die
bißchen in den himmel sehen, und es ist möglichkeit verstanden, die sich aus der
heller im loch, weil die scheiben über den historischen akkumulation ergibt, und sie
betonblenden ausgewechselt werden. das besitzt einen erfahrungsreichtum, aus
milchglas wird durch normales glas er- dem wir heute schöpfen können. bildlich
setzt. d. h. ich kann jetzt auch öfters das gesprochen, wenn du dich nicht auf deine
neon-licht ausmachen ... erfahrungen besinnst und auf deine wur-
und sonst, die letzte zeit hab ich viel ge- zeln, wirst du immer im kreis laufen, an-
lesen und die auseinandersetzung - so- statt daß du dich auf den weg machst, der
weit es geht - des letzten jahres rekapitu- sich immer weiter verzweigt.
liert. einfach auch um zu schauen, wie in vorläufigkeit meint auch, daß sich die
die auseinandersetzung mit euch ,drau- wirklichkeit in einem ganz anderen ge-
ßen' zu kommen - aus welchem ver- sicht zeigen wird, wenn die ganze krisen-
ständnis. grad auch im hinblick zum wwg entwicklung mit aller macht in die zentren
und der mobilisierung gegen die 500jäh- einbricht und sie erschüttert. eine ent-
rige-conquista. aber das hängt alles noch wicklung, die heute schon spür- und faß-
mehr in der schwebe und trifft immer auf bar ist und die das gesamte politische und
das grundsätzliche problem: die diskus- soziale gefüge auseinanderreißen wird.
sion, so wie sie notwendig wäre, läßt sich und die frage, die sich dann unmittelbar
unter den bedingungen einfach nicht füh- stellt: sind gegen-kräfte herangereift, ma-
ren. - oder wenn jetzt gruppen/zusam- teriell vorhanden, die in die krisenent-
menhänge material zu ihrer arbeit schik- wicklung eingreifen können, um den not-
ken, auch um uns in die diskussion mitein- wendigen veränderungs- / umwälzungs-
zubeziehen, wie es einige im zusammen- prozeß zu gestalten, zu initüeren - oder
hang mit dem wwg überlegt haben, kom- finden sie sich überhaupt nicht zurecht
men hier durchweg leere umschläge an. und werden einfach an die wand ge-
diskussion hat immer ihren eigenen raum. druckt? ...
- politisch und sozial, das ist bei euch
draußen ja auch nicht anders ...
was du zum ,aktionstag' innerhalb der
woche schreibst. das war hier in ffm, der
region auch nicht anders. na, es sind wohl
überall dieselben fragen und schwierig-
keiten. im einzelnen kann ich dazu wenig
sagen, die konkreten probleme kennst du
besser als ich, auch wie sie überwunden
werden können - auch in der mobilisie-

53
Andrea Sievering

Eine ,Ordnung' wird es nicht geben,


sondern nur eine Verschärfung
der Widersprüche und Kämpfe
Aus einem Brief vom Oktober 1991

das ist jetzt ein brief von mir von ende ok- chen und zunehmend europäischen dung, jeweils unterschiedlich zu kämpfen
tober 1991, den ich ein bißchen noch macht, die diese beziehungen kappen für grundsätzliche veränderungen, gibt es
überarbeitet habe. es sind gedanken, die will. z. b. über die kriminalisierung, die diese basis nicht per se mit allen flüchtlin-
ich geschrieben habe im zusammenhang hier in den letzten jahren verstärkt gegen gen, eher mit wenigen.
mit der eskalierung der rassistischen an- organisationen aus befreiungskämpfen das .wird ein prozeß sein, herauszufin-
griffe und der verschärfung der staatli- hochgezogen wird, wie in den prozessen den, was zusammen möglich ist, wo mehr
chen ausländer- und asylpolitik. das ist gegen die kurden,die iren, die palästinen- daraus entstehen kann, als um das bleibe-
absolut nichts fertiges oder WIlfitssendes, ser oder die kriminalisierung und hetze recht zu kämpfen. ob es gemeinsame ziele
mehr ein beitrag, um in die diskussion gegen arabische menschen während des und vorstellungen gibt, was für lebensbe-
daruin zu kommen. golfkrieges (kontrollen, hausdurchsu- dingungen wir hier und anderswo er-
politisch finde ich das einen notwendi- chungen, verbot von politischer tätigkeit kämpfen wollen und brauchen (vom
gen und wichtigen bestandteil einer inter- ... ). gleichzeitig trifft der versuch des kampf um selbstbestimmten, billigen
nationalistischen politik von uns hier in staates, das asylrecht zu kippen oder so wohnraum bis sonstwas).
europa, die direkte unterstützung und s0- einzugrenzen, daß da nichts mehr von üb- diesen unterschied find ich wichtig für
lidarität mit all denen, die der staat ver- rig bleibt, gerade auch die menschen aus uns selbst, um keine illusionen zu haben
treiben, abschieben, gar nicht erst her- den befreiungskämpfen. da soll jetzt mal oder den anspruch, es könnte mit allen
kommen lassen will. es kann nicht sein, eben in einem hauruckverfahren ein flüchtlingen zusammenkommen, oder gar
daß eine bewegung internationalistisch grundlegendes menschenrecht ausgehe- das neue revolutionäre subjekt zu suchen.
kämpfen will und die menschen, mit de- belt werden. so wollen sich staat und kapi- es ist für mich auch eine frage, wo
nen wir konkret hier zusammentreffen, al- tal (und das auch gleich in europäischer schwerpunkte jeweils gesetzt werden, da-
lein läßt im kampf gegen die staatliche dimension) das formal-juristische instru- für auch für sich anhaltspunkte zu finden,
machtpolitik und die immer schärfer wer- mentarium verschaffen, um die grenzen weil die eigenen kräfte nicht so stark sind,
denden angriffe von faschos. das ist noch dicht zu machen für menschen aus den be- daß alles möglich wäre zu tun. zumindest
alles, soweit ich das hier drinnen mitbe- freiungskämpfen. heute nicht. und wie wird es draußen
komme, total unterentwickelt. es kommt das andere feld ist, die grenzen offenzu- eigentlich angepackt? ich finds ja wichtig,
mir zumindest so vor, als gäbe es bisher halten gegen den versuch der europäi- daß die flüchtlinge selbst entscheiden kön-
noch wenige strukturen, schon aufgebaute schen macht, die ,festung europa' zu er- nen, ob sie es mit uns (im weitesten sinne)
beziehungen zu emigrant/innen, anlauf- richten. durchzusetzen, daß hier jeder zusammen wollen. dafür müssen sie wis-
stellen, um sich kennenlemen zu können, mensch leben kann, wenn er/sie es will sen, wer ,wir' sind, was ziele, vorstellun-
was voraussetzung ist, um herauszufin- bzw. muß, weil die katastrophalen bedin- gen sind. bei paar medienberichten hatte
den, was zusammen möglich ist, oder gungen in den heimatländern zur flucht ich den eindruck, daß die flüchtlinge auch
strukturen, aus denen der schutz vor über- zwingen, wie krieg, hunger, elend ... funktionalisiert werden können. von hier
griffen von faschos organisiert werden ich finde es schwierig, sich da auf ein- aus ist das wirklich nicht zu sehen. ich
kann. mich interessieren stark die erfah- zelne flüchtlingsgruppen zu begrenzen, meins auch nicht als starres konzept, von
rungen, die gerade im letzten halben jahr wie es in einigen mobilisierungen war, den eigenen zielen und vorstellungen zu
gemacht wurden in verschiedenen kon- z. b. auf die roma und sinti. ziel muß reden, das muß offen sein für das, was wir
kreten ansätzen und kämpfen, wie z. b. in schon sein, daß alle immigrant/innen, die von den emigrant/innen lernen können,
norderstedtl. das mit uns, also widerstand, wollen, was sie uns sagen, was sie von uns brau-
in der konkreten unterstützungsarbeit auch unterstützt werden. ist natürlich eine chen und wollen. ich meins so, wir sind
sehe ich zwei felder, die wichtig sind. riesenaufgabe, die schnell gar nicht zu nicht die kirche oder die grünen oder sonst
zum einen die unterstützung von men- packen ist. und es gibt sicher v~ele fragen, eine staatliche oder staatstragende ein-
schen aus befreiungsbewegungen, die wie es wirklich gehen kann, daß es nicht richtung. es hat mit verantwortung zu tun,
sich zeitweise oder auch länger in der ausufert in bessere sozialarbeit, UIld wie den menschen offen zu sagen, was unser
brd/westeuropa autbalten wollen. da ist es mehr werden kann als ein rädeln in der selbstverstänpnis ist.
die bestimmung, hier in europa den raum konkreten unterstützungsarbeit. wenn ich unterscheide zwischen den
offenzuhalten, den die menschen aus be- dann ist es ja auch einfilch so, daß viele menschen aus befreiungskämpfen und den
freiungsbewegungen brauchen, politisch emigrant/innen erstmal keine erfahrungen anderen flüchtlingen, ist das grundsätz-
fiir ihre arbeit hier in der brd / westeuropa, mit dem ,goldenen westen' haben und lich anders gemeint als das staatliche dif-
und daß sie hier eine art rückzugsgebiet noch angezogen werden von konsum, von ferenzierungs- und spaltungsarsenal, die
haben können. das ist auch nicht nur eine der propaganda einer ,wohlstandsgesell- unterscheidung zwischen asylanten und
sache von solidarität, wie sie eigentlich schaft', ,demokratie' und ,rechtsstaat'. ,wirtschaftsflüchtlingen' ... das trifft
selbstverständlich sein müßte, mit men- das habe ich hier drinnen öfters mitbe- nicht die realität. immer mehr menschen
schen, die wie wir für eine andere welt kommen, wo ich mit flüchtlingsfrauen ge- z. b. aus den politisch-sozialen kämpfen in
kämpfen, sondern es geht ganz direkt um redet habe. (das war relativ selten, weil ihren ländern müssen flüchten, um zu
unsere möglichkeiten, diskussionen füh- mir hier drinnen nicht so viele begegnet überleben. die direkte folge des imperiali-
ren zu können, die befreiungsbewegun- sind.) stischen weltwirtschaftssystems, in dem
gen kennenlernen zu können, beziehun- das macht für mich einen unterschied vor allem der süden, aber auch zuneh-
gen autbauen zu können, damit daraus aus. während es mit den menschen aus be- mend weite teile des ostens einer ungeheu-
gemeinsamer kampf werden kann. freiungskämpfen direkt eine basis zusam- ren vernichtung ausgesetzt sind, die dazu
da sind wir konfrontiert mit der staatli- men gibt, gemeinsame ziele, die entschei- führt, daß viele keine andere alternative

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mehr sehen, als zu fliehen. und zudem be- interessen sind. es ist keineswegs ziel von geprügelt wurden. es ist in dem bereich
kommen selbst flüchtlinge aus befreiungs- der macht und gerade vom multinationa- wie in allem. sie setzen auf repression und
bewegungen, aus kriegsregionen kein len kapital, tatsächlich alle flüchtlinge ab- gewalt und meinen, damit die widersprü-
asyl. das kennen wir schon seit jahren und zuschotten. im gegenteil. hier werden che im griff halten zu können. dagegen
konkret z. b. von den politisch organisier- menschen aus anderen ländern gebraucht, müssen wir erkämpfen, daß es keine alter-
ten menschen aus der türkei / kurdistan. die die drecksarbeit machen sollen zu native zu lösungen gibt, wie wir sie wol-
jetzt zu dem, was ich als größte frage in möglichst miesen löhnen; wenn stihl vom len, lösungen für die menschen.
dem zusammenhang im kopf habe, wo ich dihtZ Z. b. vor einem neuen ,deutschen na- internationalismus wird sich für die lin-
auch wenig nur weiß, wie draußen dran tionalismus' WIU'J1tund auf die schwer- ke, den widerstand hier in den nächsten
diskutiert wird. keine frage, die konkrete wiegenden wirtschaftlichen folgen ver- jahren verändern. internationalismus, wie
unterstützungsarbeit ist notwendig. die weist, ist das durchaus ernst gemeint. zum er noch die letzten jahre von der linken
letzten monate haben das vielen deutlich einen, weil billige arbeitskräfte gebraucht gepflegt wurde, von der ,sicheren' insel
gemacht. dieser ungeheure rassismus, der werden, die möglichst extrem auszubeu- aus sich in solidarität üben, wird immer
überall hervorquillt, die ganzen faschisti- ten sind, und zum anderen, weil, wie stihl mehr aufkrachen. es wird und ist heute
schen angriffe, der reine horror. selbst sagt: die bundesrepublik brauche viel direkter die fnIe, wo wir stehen, was
wir brauchen aber mehr. eine eigen- "ein positives bild im ausland, weil wir wir wollen, auf welcher seite der barrika-
ständige politik aus dem widerstand gegen auf ausländische unternehmen angewie- de. ob wir hier auch um einen teil des ku-
die macht und für offene grenzen. sen sind." ("taz", 25. 10.91) chens kämpteJ), konkurrenz jeder gegen
schon allein weil der rassismus von gerade auch vor dem hintergrund, daß jede, im run auf billigen wohnraum die
oben, durch den staat, geschürt wird, wie die ausländischen direktinvestitionen in emigrant/innen verdrängen, im run um
das geradezu als paradebeispiel an der vOn der brd zurückgehen, was eh schon ein gutej6bs ... ob ziele und kämpfe im wi-
der cdu-zentrale zentral konzipierten problem fürs kapital ist, und vor allem das derstand sich allein um den eigenen bauch
kampagne gegen ,asylanten' deutlich multinationale kapital schon längst natio- drehen, um die eigenen vorteile, um das
wurde, wo bis ins kleinste vorgegeben nale kriterien gesprengt hat und interna- verteidigen von privilegien, oder ob wir
wurde, wie gegen emigrant/innen gehetzt tional sich organisiert und handelt. an einer. kraft bauen, die als orientierung
werden soll, und es so dann überall in der wenn das kapital davon redet, daß sie die bedürfnisse des großteils der mensch-
brd von der cdu / csu umgesetzt wurde, menschen aus anderen ländern hier brau- heit im auge hat und das umsetzt und lebt.
was u. a. mitentscheidendfür die gesamte chen, dann steckt trotzdem in den ganzen konkret als ein teil im verhältnis zu den
eskalierung der angriffe auf flüchtlinge verschärfungen der ,ausländer- und asyl- emigrant/innen, wo es als gemeinsame
war und ist. politik' ein weiteres kalkül. sie wollen die sache angepackt wird, für alle, die hier le-
ich sag mal kurz, wie ich den zusam- menschen, die hier aus anderen ländern ben wollen oder müssen, lebensbedingun-
menhang noch weiter sehe, in dem die kommen, möglichst wnfilssend kontrol- gen gegen den staat zu erkämpfen, wie wir
kämpfe für offene grenzen sich entwik- lieren und überwachen und eine art flexi-- sie brauchen. wo wir weißen immer noch
keIn. bier bedarfseinsatztmppe installieren, die bessere karten haben als unsere farbigen
in allem, was momentan von politikern, jederzeit hereingeholt (nach westeuropa) brüder und schwestern. und das ist trauri-
militärs, wirtschaftsbossen zu den ,her- oder wieder herausgeworfen werden gerweise noch nicht entschieden. wenn
ausforderungen' der nächsten jahre kann, wie es dem kapital gerade in den ich nur nehme, wie sich die kirche oder
kommt, wo sie kommende auseinander- kram paßt. das ist schon heute realität. so auch die grünen bisher verhalten haben in
setzungen befürchten, ernste schwierig- gibt es sogenannte ,werkvertragsabkom- den auseinandersetzungen, dann wird
keiten für sich erwarten, werden die men mit maximalkontingenten für arbeit- klar, daß sie auf die ,multikulturelle' tour
flüchtlingsbewegungen als einer der nehmer'. das sind z. b. 3-monats-verträge nichtsdestotrotz genauso an der ,festung
wichtigsten destabilisierenden faktoren mit unternehmen im osten, die für diese europa' bauen, oder wenn ich mitkriege,
für europa genannt. tagtäglich kommen zeitspanne arbeiter hier in die brd lassen daß selbst in ,widerstands' -strukturen
neue vorschläge, maßnahmen durch die und danach wieder zurückschicken. also darüber nachgedacht wird, daß ,wir' doch
medien, wie flüchtlinge aus europa ver- auf der einen seite läuft sowas, und auf der wirklich nicht alle flüchtlinge aufnehmen
trieben werden sollen, wie die ,festung anderen seite hat der krieg längst begon- können, da steckt dann genau dnn, sich
europa' abgeschottet werden soll. in der nen. die faschos, die immer brutaler und die privilegien erhalten zu wollen. alles
nato werden überlegungen angestellt, wie öfters gegen flüchtlinge vorgehen, prü- zeichen dafür, wie kaputt hier schon inter-
diese ,gefahr' in den natostrategien aufge- geln, morden, wohnraum in brand stek- nationalistisches bewußtsein ist. bestim-
nommen werden kann, wie entsprechende Iren ... an den grenzen werden die men- mend kann doch nur sein, daß wir es füh-
,konsequenzen' zuziehen seien ... tref- schen schon zurückgeschickt, egal ob das len. es unser bedürfnis ist, für alle men-
fen zur ,inneren sicherheit' mit dem inbaIt knast, fOlter oder den hungertod bedeuten schen die existentiellen lebensbedingun-
jagen sich, innerstaatlich, all-f eur0päi- kann, hier werden emigrant/innen, die gen zu erkämpfen, die wir brauchen, weil
scher ebene. z. b. treffen der ,schengener- hier leben, von einer minute auf die ande- wir es nicht aushalten, wenn neben uns die
gruppe' oder der ,ad-hoc-gruppe' der ego rerausgeschmissen aus ihrem alltag und menschen durch das system sterben, und
die vereinheitlichung der europäischen weggeschoben, egal was die tblgen sind. weil wir es selbst erfahren haben, wie das
inneren sicherheitsapparate läuft stark mit aber bei all den plänen und maßnahmen system uns, unser leben zerstört. naja, im
über die ,asyl- und ausländerpolitik'. dem von staat und kapital für die ,kstong euro:" grunde alles selbstverständlichkeiten.
schengener abkommen treten immer mehr pa' finde ich wichtig, sich ldarzomachen, umgekehrt gibt es die andere tendenz,
staaten bei, das asylrecht soll europäisch daß .es so ist wie mit ihrem gerede von die ich in verschiedenen papieren gelesen
verschärft werden (womit Z. b. die ganze einer neuen ,weltordmmg~_ eine ,ord- habe, sich mit dem eigenen rassismus aus-
diskussion um eine grundgesetzänderung nung' wint es: DiidIt geben, sOI1Oemnur einanderzusetzen. das ist für uns alle not-
hier an der realität ziemliclt vorbeigeht; die verschärfung _ widerspri:iclie und wendig. keine frage. wir sind in einem
weil das sowieso demnächst über die eg kämpfe. so. ist es eine illusion der macht, zentrum der macht aufgewachsen, was
verschäcft wird, was dann· auch bindend wenn sie denken, sie können die grenzen konsum und ,wohlstand' ausgepreßt hat,
für die brd ist).. also verschärfungen dicht ..maclIen fiir alle, die sie in europa vor allem aus dem süden, was 500 jahre
schritt für schritt und gar nichtalleaufzu- nicht\woll~1l1das wel'den sie nicht verhin- kolonialismus mitverbrochen hat, und da-
zählen. demkiöimen,daß menschen aus aller welt zu in einem land, wo der rassismus tief
die flüchtlingsbewegungen sind zum hiet'lier gelangen. aber das, was sich an drinsteckt in der gesellschaft, in den men-
objekt der kriegsstrategien geworden, die kriegoocl'fan' den grenzen oder auch in- schen, wo im faschismus die widerlich-
ein polizeilich-militärisches und juristi- nerhalbabspielen wird, wird ausmaße an- sten verbrechen begangen wurden, die
sches arsenal autroSten, mit dem die nehbl!:ardie diedeutsclt-deutsche mauer- beispiellos in der geschichte sind. das hat
flüchtlinge konfrontiert werden sollen. ~:zu einer harmlosen geschicht- auch uns geprägt, und keine/r kann sich
die nicht verwertbar, nicht· funktiobaI für· liehen:epJi6ode machen; das war ja schon davon freimachen, daß davon sich auch in
die europäisl:fum ö~- und profit- srobtflU;--Wiein italien'die albaner heraus- uns vieles reingefressen hat. wir brauchen

55
es, uns immer wieder bewußt zu machen, nen stoppen, wie wir gegen den staat (und berg sind wieder ausdruck davon, durch
uns immer wieder konkret damit ausein- gleich auch in europäischer dimension) die wahlerfolge der rechtsradikalen par-
anderzusetzen, wo dieser rassismus noch offene grenzen durchsetzen. teien.
in uns ist und wie wir uns davon freikämp- dazu kommt für mich die frage, wie es es ist für mich eine frage, wie wir es
fen können, wie wir eine politik entwik- mehr dahin kommen kann, daß die ver- schaffen können, stärker eine wirkung in
kein, die damit bricht. aber es gibt nicht schiedenen kämpfe aus den verschiedenen die gesellschaft rein zu entfalten, wie wir
nur das, und es stimmt nicht, wenn wir ansatzpunkten mehr zusammenwachsen verhindern können, daß die rechten (von
uns festschreiben als die rassisten, die pri- können. das ist so notwendig, wie es eine staat bis zu den faschos) die unzufrieden-
vilegierten, die profiteure. es gibt die ge- sperre ist, die es schon lange gibt. heit für sich kanalisieren und benutzen,
schichte von uns selbst, die revolutionä- aus allen erfahrungen, die wir haben, ist wie wir selbst orientierung in dieser situa-
ren ansätze, wo wir schon darum ge- es eine konsequenz, daß wir uns in verein- tion werden können.
kämpft haben, diesen dreck wegzuschaf- zelten kämpfen nicht durchsetzen können. das ist sicher nicht mal schnell zu beant-
fen, und erfahren haben, daß es möglich einerseits braucht es gute politik an den worten.
ist. ich hab so den eindruck, daß sich sonst konkreten ansatzpunkten, menschen, die ein ansatz für mich ist, daß wir von uns
auch der weg verbaut wird, zur eigenen sich z; b. auch auf anti-rassismusarbeit nicht nur vermitteln, wogegen wir sind,
identität zu finden, indem sich immer wie- konzentrieren, die versuchen herauszu- sondern viel stärker identifizierbar wer-
der erschlagen wird mit den verbrechen finden, wie da politik entwickelt werden den, was wir sind und wollen, wie wir le-
des brd-staates, des brd-kapitals. wir kann. aber wirklich zu ner kraft werden ben wollen. warum für uns ,konsum' und
kommen aus dem müll, und den packen wir nur, wenn das zusammenkommt mit ,wohlstand' so, wie es von staat und kapi-
schleppen wir noch mit uns rum, aber wir den anderen kämpfen. tal propagiert wird, keine ziele sind, was
stehen gerade dafür, daß wir darum kämp- der inhaltliche zusammenhang der im gegenteil unsere erfahrungen damit
fen, uns selbst davon zu befreien und eine kämpfe ist da. sind, mit der leere, der zerstörung zwi-
grundsätzlich andere welt zu schaffen, in es geht überall im kern darum, egal wo schenmenschlicher strukturen, entfrem-
der auch rassismus nicht mehr existieren wir ansetzen, darum zu kämpfen, daß wir dung von sich und anderen ... , warum
kann und darf. es kann auch leicht zur menschenwürdig leben wollen und uns· tUr uns werte wie solidarität, mit- und für-
rechtfertigung von nicht-kämpfen wer- das gegen sie, gegen ihre macht erkämp- einander zusammenleben, um menschli-
den, in dem sinne, wir wären eh schon alle fen. che lebensbedingungen kämpfen, für eine
so dermaßen zerstört, daß wir da nicht es ist nicht zu trennen, einem kampf für grundsätzlich andere gesellschaft das le-
mehr rauskommen . so ist es eben nicht. offene grenzen folgt sofort die frage, wie ben reich und sinnvoll machen.
jetzt aber zurück zu der frage, daß es wollen wir hier zusammenleben? welche ich hab jetzt ja vieles nur kurz und noch
nicht ausreicht, unterstützungsarbeit zu lebensbedingungen brauchen wir hier? reichlich abstrakt angerissen. darin ge-
machen, sondern eigenständige politik, da ist z. b. sofort die nähe da zum häu- nauer zu werden, kann nur eine gemeinsa-
kampf gebraucht wird. wie das im einzel- serkampf, zum kampf um wohnraum, der me diskussion bringen.
nen aussehen kann, kann ich von hier aus billig ist, wo wir selbst bestimmen kön- Köln, 13.4. 1992
gar nicht sagen. aber ich sag mal ein paar nen, wie wir da zusammenleben, und daß
fragen, die mir dazu in kopf und bauch wir uns das erkämpfen müssen gegen die 1 vom september 1991 bis februar 1992 suchten
sind. herrschende wohnungs,politik'. zunächst in neumünster, später in norderstedt
erstmal denk ich, es braucht eine orga- und genauso sind wir konfrontiert mit flüchtlinge in kirchen schutz vor rassistischen
nisierte kraft aus dem widerstand, die kla- übergriffen und der verschiebung in die sogenann-
der frage, warum viele flüchtlinge hierher ten neuen bundesländer.
re ziele, offene grenzen, bleiberecht für gekommen sind, obwohl sie viellieber in 2 deutscher industrie- und handelstag
alle, hat und präsent ist, identifizierbar. so ihrer heimat leben würden. also mit der
eine kraft zu werden, setzt voraus, daß frage, wie können wir die lebensbedin-
sich der widerstand organisiert, über ein- gungen weltweit verändern, damit die
zelne gruppen in einzelnen städten hinaus- menschen wirklich frei wählen können,
kommt, zusammen sich bestimmungen wo sie leben. flucht ist die folge eines
erarbeitet und umgesetzt werden, damit weltwirtschaftssystems, das immer bruta-
eine gemeinsame stoßrichtung, politik ler vernichtung und zerstörung für die
gegen die machtstruktur aufgebaut wird, mehrheit der menschen und vor allem im
die den rassismus schürt, steuert und her- süden und osten bedeutet. warum wird
vorbringt und die die maßnahmen gegen eine mobilisierung für offene grenzen
die flüchtlinge durchpeitscht. ohne diesen nicht in zusammenhang gestellt mit einer
organisierungsprozeß werden wir sicher mobilisierung für eine neue, gerechte
kein faktor, der real etwas bewirken kann. weltwirtschaftsordnung ? ich blicks nicht
politisch kann es nicht allein bei der un- so genau, wie es draußen ist. mir kommt
terstützung der verschiedenen flüchtlings- es noch ziemlich getrennt voneinander
gruppen oder dem schutz von heimen, un- vor. ich denk, daß die kampagne gegen
terkünften ... bleiben oder dabei, sich die 500-jahr-feiem des kolonialismus, die
mit faschos zu kloppen, sondern wie kann mobilisierung gegen den weltwirtschafts-
eine politik aussehen, die druck gegen die gipfel in münchen genau eine möglichkeit
brd- und europäische macht entwickelt? ist, sowohl die diskussionen zusammen zu
es ist bestimmt wichtig, sich anzueig- führen (z. b. auf dem gegengipfel oder den
nen, was ihre strukturen, pläne, schritte vorbereitungen) als auch gemeinsame
gegen emigrant/innen sind, und da sich praktische erfahrungen zu machen, wo
ein bewußtsein zu verschaffen und es zu dann weiter aufgebaut werden kann.
vermitteln. aber die schwierigste frage ist, eine weitere frage für mich ist: es ist ja
wie wir dagegen eingreifen können. nicht nur die macht oder die organisierten
ich denke, es gibt möglichkeiten, selbst faschos, denen wir gegenüberstehen, son-
politisch initiativ zu werden, mobilisie- dern es gibt eine zunehmende polarisie-
rungen aus dem ,widerstand' selbst zu rung quer durch die gesellschaft, in der
entwickeln und von da aus auch zu sehen, aus der krisenentwicklung auch hier in der
wo es mit emigrant/innen zusammenkom- brd bei breiten teilen der gesellschaft die
men kann. es ist ja unser eigenes bedürf- dumpfe, plumpe sündenbocksuche greift
nis, daß wir nicht in einer ,festung europa' und der rassismus als ventil für die eigene
leben wollen und sorum auch die frage an unzufriedenheit dient. die letzten wahlen
uns direkt, wie wir die macht in ihren plä- in schleswig-holstein und baden-württem-

58
Martina Bick, Rosmarie Prie8, Mareile Schmegner, Rosita TImm

Unser Kampf für das Leben

Seit Anfung des Jahres gibt es Meldungen, eine 20jährige Geschichte ausgelöscht. Von Normalität kann seit über 20 Jah-
nach denen auf Initiative des Bundesju- Von wegen Normalität. Seit 1970 wird die ren nicht die Rede sein. Jede minimale
stizministers Kinkel einige der Gefange- RAF und werden die Gefangenen mit Verbesserung der Haftbedingungen .wur-
nen aus der RAF und aus dem Widerstand einem zu diesem Zweck geschaffenen de hart erkämpft. Neben den Hunger-
demnächst freigelassen werden sollen. Ausnahmerecht - das inzwischen zum streiks von einzelnen haben die Gefange-
Zum erstenmal nach über 20 Jahren gibt Gewohnheitsrecht geworden ist - be- nen zehn kollektive Hungerstreiks durch-
es damit im Lager der Regierung offen- kämpft. geführt. Inzwischen gibt es drei Kleinst-
sichtlich zwei Fraktionen, von denen eine gruppen mit jeweils drei bzw. vier Gefan-
nach wie vor vom Rache- und Vernich- Fahndungen genen, Hofgang mit anderen, die Sicht-
tungsinteresse geprägt ist, die andere das bei denen Petra Schelm, Georg von blenden vor den Fenstern wurden ent-
Scheitern dieser Linie realisiert hat und Rauch, Thomas Weißbecker, Werner fernt, Angehörige können ohne Trenn-
nach neuen Wegen sucht. Sauber, Willi StolI, Michael Knoll und scheibe besuchen. Während des letzten
Wir sehen in Kinkeis Vorgehen für uns Elisabeth van Dyck erschossen wurden. Hungerstreiks 1989 gab es große Zustim-
eine Chance, eine politische Lösung zu Andere, wie Günter Sonnenberg und Rolf mung zu den Forderungen der Gefange-
erkämpfen, deren Ziel die Entlassung al- Heißler, wurden bei der Verhaftung ange- nen, und viele Menschen haben ihr inter-
ler politischen Gefangenen ist. Uns ist schossen und lebensgefährlich verletzt. esse artikuliert, sich mit den Gefangenen
keine andere Lösung vorstellbar, als alles auseinanderzusetzen.
Gerichtsverfahren
daranzusetzen, um das festgefressene per- Der Republikanische Anwältinnen- und
spektivlose Verhältnis der Verfolgungs- unter Regie der Buodesanwaltschaft vor Anwaltsverein erwartet vom Staat eine
behörden zu den politischen Gefangenen Sondersenaten, in denen nicht einmal der "aktive Wiedergutmachungspflicht".
aufzulösen. Anschein objektiver Beweiswürdigung Weder dieser Appell noch die Rügen des
Wenn die neue Linie die Aufhebung des gewahrt wurde und entweder durch die UNO-Menschenrechtsausschusses noch
bisherigen Ausnahmezustands beinhaltet, Aussagen von Kronzeugen (1976 bei Irm- die Kritik von amnesty international ha-
wie Gutgläubige unterstellen, müssen gard Möller), durch bestellte Gutachter ben in der Vergangenheit materiell etwas
Fakten sichtbar werden. Neben der Frei- und durch merkwürdige Konstrukte (Ralf bewirkt. Sie haben wohl aber dem Image
lassung geht es dann auch um die Ab- und Knud, wir grüßen euch), unter eines Staates geschadet, der sich unter Be-
schaffung des gesamten Sonderapparates Drangsalierung der VerteidigerInnen bis rufung auf die Menschenrechte in die An-
und um einen anderen Umgang mit gesell- hin zu ihrem Ausschluß, die zur beabsich- gelegenheiten anderer Staaten einmischt.
schaftlichen Widersprüchen - hieße eine tigten Verurteilung führen mußten. Die Bereitschaft zur Wiedergutmachung
Wende in der bisherigen Ausländer- und setzt moralische Kategorien voraus, die es
Asylpolitik, hieße die Aufhebung des Haftbediogungen bei den Staatsträgem und beim Kapital
Auslöschverhältnisses zur Fundamental- programmatisch und vom ersten Tag an nicht gibt. Bisher wurden weder allen Op-
opposition, hieße der Verzicht auf neue für alle Einzelisolation ; Ulrike Meinhof, fern der Konzentrationslager noch den
Prozesse nach der Kronzeugenregelung. Astrid Proll und Gudrun Ensslin im Toten ZwangsarbeiterInnen Wiedergutmachung
Ob der Grund für Kinkels Initiative in Trakt; der Bau von wissenschaftlich aus- gewährt.
wachsender internationaler Skepsis liegt getüftelten Hochsicherheitstrakten ; Haft- In Uruguay wurde die Freiheit der poli-
oder im "Druck aus Wutschaftskreisen", statute und als Verschärfung Bunker, Fol- tischen Gefangenen erkämpft. Nach dem
ist für uns nicht wichtig. ter durch Schlafentzug, Neonlicht Tag Ende der Militärdiktatur 1985 mußte von
Nach bisherigen Veröffentlichungen ist und Nacht, licht- und geräuschisoliert; der folgenden bürgerlichen Regierung
folgendes vorgesehen: Bei acht Gefange- das Kontaktsperregesetz, Trennscheiben, eine Regelung akzeptiert werden, nach
nen sei es möglich, ihre Reststrafe zur 23 Stunden allein in der Zelle. Und gegen der für jeden Thg Haft unter Isolationsbe-
Bewährung auszusetzen. Unter den acht diese Maßnahmen immer wieder Hunger- dingungen drei Thge angerechnet wur-
namentlich genannten sind drei Gefange- streiks, erst mit dem Ziel der Gleichstel- den. Damit war der Vernichtungscharak-
ne, die seit Jahren haftunfiihig sind: Bernd lung mit anderen Gefangenen, später mit ter eingestanden. Für hier hieße es: Alle
Rößner, Günter Sonnenberg und Claudia dem Ziel der Zusammenlegung. Die Tor- kommen frei.
Wannersdorfer. Es fehlen aber zwei wei- tur der Zwangsernährungen und als Folge Die Gefangenen aUs der RAF wurden
tere Haftunfiihige: Isabei Jacob, die unter 1974 der Thd von Holger Meins, 1981 zwischen 1971 und 1986 verhaftet, sie
der Baseclowschen Krankheit leidet, und von Sigurd Debus; Siegfried Hausner, kommen aus verschiedenen Kampfphasen
Ali Jansen, der schweres Asthma hat. der 1976 starb, weil er trotz lebensgefiihr- (und kennen sich teilweise nicht persön-
Auch diese beiden können im Gefängnis licher Verletzungen transportiert wurde; lich). Prägend für die Entstehung und
nicht gesund werden. Katharina Hammerschmidt, die an den Verfaßtheit der Studentenbewegung und
Inzwischen ist Claudia frei. Sie wurde Folgen eines Thmors 1975 starb, weil die- für die spätetetttstaodene RAF waren die
mit Zweidrittelregelung am 14. Februar ser in der Haft "übersehen" worden war. Nachkrlegsjahre. Adenauer~Regierung,
- verspätet - entlassen. Wrr freuen uns. Ulrike Meinhof, 1976 erhängt, Andreas Kommunistenverrolgtmg, Wiederaufrü-
Baader, Gudrun Ensslin, Jan Carl Raspe, stupg und.. wirtWhlftlich~ Allfschwung
Und die anderen?
die am 18.10.77 morgens erhängt und er- mit der BereiqijntlJl&..,~~ftswun-
Nach den bisherigen Verlautbarungen schossen aufgefunden wurden, Irtngard der" ;. dumpfe Enge, .Atlt(Jti~tsbörigkeit
sollen die Entlassungen der politischen Möller, die als einzige überlebte, zwei und .,unter den 'DU~l} der Muff von tau-
Gefangenen als "normaler Vorgang" dar- Wochen später starb Ingrid Schubert send JahrenH, ~ ~scbjsmus geprägte
gestellt und entpolitisiert werden; damit durch Erhängen. Eltern ga~ il1ml.IGndcrn die Erfuhttlng

68
weiter: Widerstand lohnt sich nicht. Nach schätzung lief also darauf hinaus , daß die len Lebensverhältnisse und der Inkompe-
dem Erleben brutalster Gewalt, der sie weltweite Offensive aller möglichen Be- tenz der Machtausüber wird immer mehr
nichts entgegensetzen konnten oder woll- freiungskriifte in eine strategische Offen- Menschen bewußt, daß nur sie selbst Ant-
ten, gedemütigt durch die Hungerjahre, sive gegen das imperialistische System worten finden und ihre Anliegen in die
buckelten sie für den Wiederaufbau und insgesamt münden würde, das, seiner eigenen Hände nehmen müssen.
waren bereit (gemacht worden), das Ge- Zentralpotenz beraubt, dem nicht würde Niemand von uns, die wir aus dieser
stern zu vergessen. Zielt jede bürgerliche standhalten können. " (Lutz 'laufer, Widerstandsgeschichte kommen oder
Erziehung auf Selbstkontrolle, Triebauf- 12/91). Dieses war die Hoffnung einer auch Teil von ihr werden, wird sich von
schub und auf die Verinnerlichung aller ganzen Generation. sich distanzieren oder abschwören wol-
für die Warenproduktion notwendigen Die politischen Gefangenen sind ein len. Es gibt Kritik an Taten und an Unter-
Werte, so verschärfte die kollektive Erin- Teil unserer Geschichte, unserer Erfah- lassungen der Legalen wie der Illegalen.
nerung an die Vernichtung der jüdischen •. rungen und Erlebnisse. Als einer der we- Soweit es möglich war, haben wir mit den
Bevölkerung, der Roma und Sinti, der nigen bestehenden Zusammenhänge ha- Gefangenen die Aufurbeitung begonnen.
Schwulen, der Kommunisten, Soziali- ben sie seit zwei Jahrzehnten immer wie- Umfassend kann der Prozeß der Aufu.rbei-
sten, Christen und der "arbeitsscheuen der um eine Weiterentwicklung ge- tung und Aneignung der Geschichte nur
Elemente" die Konditionierung. kämpft. laufen, wenn alle frei sind. Unser Kampf
Die bundesdeutsche Arbeitsproduktivi- Die Hoffnung der 60er und 70er Jahre für das Leben.
tät legt Zeugnis ab über das Gelingen, ab- blieb unerfiillt. Fast alle Kämpfe der letz-
solute Anpassung und Auspreßbarkeit ten Jahre waren Abwehrkämpfe (gegen Freiheit für alle politischen Gefangenen
wurden massenhaft erreicht (ein "Lern- Beru1Sverbote, gegen AKW, gegen Re- Freilassung aller
prozeß", der in der DDR fehlte und von pression ... ), die sich an staatlichen Vor- haftunfähigen Gefangenen umgehend,
interessierter Seite jetzt beklagt wird). Es gaben orientiert haben statt an unseren insbesondere auch aller
werden in aller Schärfe diejenigen be- eigenen Lebensvorstellungen. Aber sie RN-Infizierten und AIDS-Kranken
kämpft, die das erwünschte Maß der waren wichtig, weil erst einmal nichts da
Selbstunterdrückung nicht erreicht haben, war, wo wir hätten anknüpfen können.
ob freiwillig oder unfreiwillig: BettlerIn- Zudem waren wir mit einer Härte staatli-
nen, Krankfeierer, Hafenstraße, Konsu- cher Abwehr konfrontiert, die wenig
menten illegaler Drogen, renitente Schü- Spielraum ließ für die Entwicklung auto-
lerlnnen und Gefangene, Punks, Sozial- nomer Entwürfe.
hilfeempfiinger - und die politischen Ge- Heute sehen wir uns mit Bedingungen
fangenen. konfrontiert, unter denen wir nicht wie
Im ersten Prozeß gegen die RAF wegen bisher weitermachen können und wollen:
der Befreiung von Andreas Baader erklär- massenhafte Verelendung weltweit, die
te Ulrike Meinhof: "Aber das sind wir, da zunehmend in die Metropolen drängt, und
kommen wir her: die Brut aus den ~r- eine Zerstörung der natürlichen Ressour-
nichtungs- und Zerstörungsprozessen der cen, die kein Umweltschutz reparieren
Metropolengesellschaft. Aus dem Krieg kann. Die frühere Begeisterung für Auf-
aller gegen alle, der Konkurrenz jeder ge- stände auf dem Trikont ist allgemeiner
gen jeden, des Systems, in dem das Gesetz Skepsis gewichen. Viele ziehen sich zu-
der Angst, des Leistungsdrucks herrscht, rück, weil der Weg zu einer menschliche-
des einer-auf-die-Kosten-des-anderen, ren Gesellschaft unendlich lang erscheint.
der Spaltung des Volkes in Mtlnner und Es gibt die Orientierung nicht mehr, wir
Frauen, Junge und Alte, Gesunde und sind auf uns zurüc}{geworfen. Aber wir
Kranke, Ausländer und Deutsche und der sind nicht allein. Überall suchen Men-
Prestigekiimpfe. Und da kommen wir her : schen nach einem neuen Anfang. Wrr
aus der Isolation im Reihenhaus, den Be- wollen Mittel und Wege finden, um über
tonsilos der Vorstädte, den Zellengefäng- die künstlichen Grenzen der Nationen hin-
nissen, Asylen und Trakts. Aus der Ge- aus gemeinsam ,,die weltgesellschaftliche
hirnwäsche der Medien, dem Konsum, Organisierung der sinnlichen Bedürfnis-
den Prügelstrafen. Die Ideologie der Ge- se" (Robert Kurz) zu erreichen.
waltlosigkeit: aus der Depression, der Zu den Menschen, mit denen wir diese
Krankheit, der Deklassierung, aus der Aufgabe angehen wollen, gehören die po-
Beleidigung und Erniedrigung des Men- litischen Gefangenen.
schen, aller ausgebeuteten Menschen im Der Staat und seine Parteien haben den
Imperialismus. Bis wir die Not jedes ein- Offenbarungseid geleistet, sie können kei-
zelnen von uns als Notwendigkeit der Be- nes der dringenden Probleme lösen. Sie
freiung vom Imperialismus, als Notwen- ignorieren sie, sie improvisieren mehr
digkeit' zum antiimperialistischen Kampf oder weniger blind, oder sie verfulgen
begriffen haben und begreifen, daß es mit und unterdrücken, ob in der Drogenpoli-
der ~rnichtung dieses Systems nichts zu tik, in der Wohnungsnot und Obdachlo-
verlieren, im bewaffneten Kampf aber al- sigkeit, in der Asylpolitik. Das Gewaltsy-
les zu gewinnen gibt: die kollektive Befrei- stern wird gewalttätig durchgesetzt, am
ung, Leben, Menschlichkeit, Identität." Individualverkehr trotz 10000 Verkehrs-
Mit dem bewaffneten Kampf der RAF toten festgehalten, an Atomkraftwerken
ist hier eine Möglichkeit des Eingreifens trotz Leukämiegefahr. Sinnentleerte Ar-
und zur Befreiung aufgebrochen, die seit beit, die Millionen Menschen vor Errei-
den Vernichtungsfeldzügen des faschis- chung-des Rentenalters physisch und psy-
mus niemand mehr gewagt hatte. Und die chisch krank macht, Schutz der Familie
Rebellionen Ende der 60er Jahre in Ita- trotz sexueller und anderer Gewalt gegen
lien, Frankreich, in den USA , in Japan Ehefrauen und Kinder. Kinderpornogra-
und hier standen nicht allein; Befreiungs- phie, Arbeitslosigkeit, Selbstmorde alle
bewegungen in allen lateinamerikani- fünf Minuten und Sucht.
schen Ländern und der Sieg des vietname- Wir haben die Legitimation zum Wider-
sischen Volkes gegen die militärisch weit stand. Das zeigt die Geschichte und die
überlegenen USA; ,,die damalige Ein- Gegenwart. Angesichts der katastropha-

69
Norbert Hofmeier

Es gab nicht nur den bewaffneten Kampf


Antwort auf "Unser Kampf für das Leben"

"Wir müssen uns einlassen auf den Raum sich gegenseitig akzeptieren, sich verste- genau das war damals das gemeinsame
der Ironie, auf den Scherbenhaufen der hen wollen und die Bereitschaft haben, Ziel der linken Bewegung. Daß die beste
Geschichte, in dem wir uns mit intelligent- auch voneinander zu lernen. Solidarität mit den Befreiungskämpfen
em Lachen. bewegen sollten. Gelingt uns Wenn wir ernsthaft die Perspektive ins (konkret Vietnam) vor allem bedeutet,
dßs nicht, ist dßs Ausdruck dajUr, daß die Auge tassen, die Freiheit für die politi- hier gegen den BRD-Staat / Kapital von
Schwere, dßs Gewicht und die heroische schen Gefangenen zu erkämpfen, und Er- unten· eine eigenständige sozialrevolutio-
Ernsthaftigkeit der Politik uns den langen folg haben wollen, brauchen wir mehr als näre und antiimperialistische Bewegung
Atem nimmt und so verhindert, die not- eine kurzfristige, oberflächliche Einheit zu entwickeln. Es gab unterschiedliche
wendige Distanz zu ergreifen, um nach- (wie es im Hungerstreik 1989 war). Es Ansätze - in Fabriken, Stadtteilen, be-
denken zu konnen und uns als mißgebil- müßte also eine tiefergehende Einheit der setzten Häusern, Zentren etc., und es gab
det, verunstaltet, zerstört in einem zerbro- fortschrittlichen, linken, revolutionären eine breite Diskussion auch mit den be-
chenen Spiegel der Kultur ZU erkennen. " Bewegung sich entwickeln. Ich kann mir waffneten Gruppen (RAF, 2. Juni, RZ) -
(Joaquin Brunner, zitiert von Hayde Bir- das so vorstellen, daß die verschied enen trotz der Widersprüche eine solidarische
gin in "Frauendebatte in Lateinamerika") Bewegungen etc. aus ihrem eigenen Einheit.
Verständnis zur Widerstandsgeschich- Versteht Thr, was ich sagen will? Unse-
Hallo, liebe Frauen, te der BRD, zu bewaffnetem Kampf, poli- re - bzw. meine - "Hoffnung" war
tischen Gefangenen etc. Position beziehen doch damals nicht der bewaffnete Kampf
ich habe Euren Brief mit dem Aufruf: "für die Freiheit ... ". oder die BefreiUngskämpfe, sondern un-
"Unser Kampf für das Leben - Freiheit Damit verbunden ist die solidarische sere Hoffnung war, daß wir hier im Ver-
für die politischen Gefangenen" erhalten Diskussion / Selbstkritik dieser Jahre so- trauen auf unsere eigene Kraft selber an-
und auch den Begleitbrief, in dem Thr wie die Diskussion über die Einschätzung packen, um "zusammen" eine revolutio-
schreibt: " ... wir denken, daß der Aufruf der· Ausgangsbedingungen heute und die näre Bewegung aufzubauen. So wie Ihr
eine gute Grundlage sein kann, mit allen verschiedenen Ansätze / Vorstellungen: das schreibt, stecken von vornherein die
möglichen Menschen in die Diskussion ZU "wie weiter". Nicht als eine losgelöste leidige Abgrenzung, Konkurrenz und
kommen. Wir wollen offene Diskussionen, Einheitsdiskussion, sondern im Zusam- Hierarchiedenken wieder drin, wie sie
bei uns werden alle Fragen, Gedanken menhang mit den konkreten Initiativen - dann entstanden sind und sich bis heute
zugelassen sein, wir erwarten von Euch, wie u. a. Antirassismus / Antifa; der Mo- durchschleppen: hier, wir, die einzig
daß sich alle in diese Auseinandersetzung bilisierung gegen den Weltwirtschaftsgip- wahre revolutionäre Politik, mit einem
einschalten, ohne Scheuklappen, Berüh- fell ,,500-Jahre". Soweit ich mich erin- entsprechenden Führungsanspruch - und
rungsängste und ohne ,ßbhrheiten' zu nern kann, gab es so eine Einheit der lin- dort eben der mehr oder weniger defensi-
produzieren .. :: ken Bewegung noch bei den Kampagnen ve, reformistische Kleinkram.
Eure Initiative finde ich gut, aber leider für die Freilassung vonKatharina Ham- Ich halte auch überhaupt gar nichts da-
ist der Aufruf nicht so, wie Thres im Brief merschmidt, zum Hungerstreik 1974, als von, jetzt aus einer gewissen Rat- und
versprochen habt. Ich finde den Aufruf Holger Meins umgebracht wurde. Damals Orientierungslosigkeit mal wieder auf die
nicht offen, sondern er drückt eine waren die politischen Gefangenen noch "Szene" einzuschlagen. Ist das denn nicht
"Schmalspurwiderstandsgeschichte" die Gefangenen (aus) der Linken (abgese- überhaupt die zentrale Aufgabe und Hoff-
aus. (Ich kann mich darin jedenfalls nicht / hen von diversen ML-Gruppen) - da nung für Befreiung und revolutionäre
kaum wiederfinden.) Eine Grundlage, auf müßten wir wieder hinkommen. Das geht Veränderung, daß wir heute die Ansätze
der die gesamte linke, fortschrittliche aber nicht mit "Schmalspurwiderstands- für eine andere, freie Gesellschaft entwik-
Bewegung die Freiheit für die politischen geschichte". keIn? Ob das nun "Szene" oder sonstwie
Gefangenen erkämpfen will, die muß erst Beim Lesen Eures Aufrufs ist mir auf- genannt wird - im Guten wie im Schlech-
noch entstehen ... Im Grunde ist es ein gefallen, daß Euer Blick auf andereBewe- ten: Sie ist das Produkt der politischen
Aufruf aus der Sicht des ai-Widerstands gungen/Kämpfe doch recht seltsam ist. Praxis, wir alle sind für sie verantwort-
für die Freiheit der Gefangenen aus der Thrstellt die Geschichte so dar, als hätte es lich, einschließlich wir Gefangenen. Wie
RAF - dagegen spricht ja nichts als Vor- 1970 im Grunde nichts anderes gegeben wir aus den Fehlern/Erfahrungen lernen
schlag zur Diskussion. als den bewaffneten Kampf der RAF, als wollen, wenn wir uns abschätzig abwen-
Der jetzige Aufruf hat die Tendenz, die "Teil der weltweiten Offensive aller mög- den, bleibt mir ein Rätsel.
eigene Geschichte, Politik und Einschät- lichen Befreiungskräfte ... , dem das im- Ich finde, wir müßten mal dahin kom-
zungen zur allgemeinen Grundlage zu er- perialistische System, seiner Zentralpo- men, zu kapieren und auch ernst zu neh-
klären. Ich fmde, irgendwann müßte ja tenz beraubt, nicht würde standhalten men, daß alle: Basisbewegungen, mili-
dann auch wirklich ein radikal neuer An- können" (zitiert Thr den Brief von Lutz tante Kämpfe, der bewaffnete Kampf u. a.
fang gemacht werden und nicht nur die Thufer). Wir anderen alle, wir hätten uns mit beitragen zu dem Reichtum an Erfah-
Offenheit vorgeschlagen werden. (Über- lediglich an den "staatlichen Vorgaben rungen, an politischen Vorstellungen und
haupt ist es ein Ding, daß die Offenheit be- orientiert statt an unseren eigenen Lebens- Utopien, den es ja durchaus gibt hier.
tont werden muß - gab es bisher kein of- vorstellungen", und es seien "fast alle Wenn es nichts weiter gäbe als die Erfah-
fenes " Zusammen-Kämpfen" ?) Unter Kämpfe Abwehrkämpfe" gewesen. rung von 20 Jahren bewaffnetem Kampf
Offenheit stelle ich mir vor allem vor, daß So stimmt das nicht. Dem Imperialis- und Widerstand politischer Gefangener
die verschiedenen politischen Bewegun- mus die Zentralpotenz rauben - wie ... na ja, da würden wir heute aber wirk-
gen und Ansätze trotz unterschiedlicher denn? Durch revolutionäre Veränderung lich noch ein ganzes Stück schlechter da-
Einschätzungen und politischer Praxis im "Herzen der Bestie" - also hier -, stehen, als es ohnehin der Fall ist.

70
In Schlaglichtern meine ich folgendes: fimgener aus diesem Ansatz von "Zusam- dingungen konfrontiert, unter denen wir
W77 gab es nicht nur die Aktionen der men-Kämpfen" - und nicht als Gefimge- nicht wie bisher weitermachen können
RAP, die erhängten, erschossenen Gefim- ner aus einer Phase der RAF.) und wollen" und begründet das mit der
genen in Stammheim/Stadelheim, den Oder zum IWF 1988 (Berlin) : Wer hat fortschreitenden Zerstörung und un-
"deutschen Herbst" und die Linke, die denn Monate / Jahre die ganze Vorarbeit menschlichen Barbarei durch das kapitali-
sich als staatstragende Linke entpuppte und den "Kleinkram" gemacht und die stische Weltherrschaftssystem : "es gibt
(ähnlich wie jetzt im Golfkrieg übrigens Basis gelegt für den breiten und solidari- die Orientierung nicht mehr, wir sind auf
auch), sondern W76/77 gab es auch durch schen Widerstand? Das waren doch wohl uns selbst zurückgeworfen. Überall su-
die kämpferische/militante Anti-AKW- alle beteiligten Gruppen, internationalisti- chen die Menschen nach einem neuen An-
Bewegung einen ganz neuen Aufbruch für sche, Frauen, Stadtteil, Jobber, Studen- fimg ... Immer mehr Menschen wird
die linke Bewegung insgesamt, nach Jah- ten/ Schüler, AusländerInnen, Antiimpe- bewußt, daß sie nur selbst Antworten fin-
ren der Haute wurden die Straßen wieder rialistInnen, Autonome. den und ihr Anliegen in die eigenen Hände
erobert. Diese Bewegung war radikal, au- Und woher kam die Breite im Hunger- nehmen müssen."
tonom von unten her demokratisch orga- streik 1989? Sie war doch auch ein Ergeb- Mir ist schleierhaft, was Ihr damit jetzt
nisiert; in dieser Bewegung wurde ver- nis von Hunderten kleinerer Treffen, Ver- eigentlich sagen wollt, waS' daran denn
sucht umzusetzen, was die Frauenbewe- anstaltungen etc., die stattfimden seit den nun "neu" (nicht wie bisher) ist? Kämp-
gung die Jahre zuvor auf die Tagesord- 129a-Verfolgungen und Verhaftungen fen und arbeiten denn nicht die vielen
nung gesetzt hatte: gegen die Scheißstruk- 1986/87 (zu kapieren, daß Knast nicht das Leute und Gruppen genau aus diesem
turen, eigene Organisierung, "das Per- Ende ist), die von FreundInnen, Angehö- Verständnis schon die ganzen 80er Jahre,
sönliche ist politisch", die Trennung zwi- rigen, GenossInnen organisiert wurden. auch schon die 70er? War denn die Vor-
schen Politik und Privatem woll(t)en wir Und woher kommt die breite Bewegung stellung "Zusammen-Kämpfen", revolu-
aufheben. gegen den Golfkrieg, woher kommt die tionäre Front, nicht genau das ?
Aus dieser Bewegung kamen wichtige Diskussion/Mobilisierung gegen Rassis- Meiner Meinung nach ist da was ganz
Anstöße (bzw. es wurden Anstöße der RZ mus-Patriarchat-Kapital ? schief. Daß eine Neubestimmung der
aufgegriffen): Die Atom-Rüstungs-Ban- Ich finde es unverständlich, daß sich eigenen Politik und Praxis gemacht wer-
ken-Baufirmen-Regierenden-Mafia wur- diese ganze Widerstandsgeschichte bei den muß, wenn sich die politischen, ge-
de in den Städten sich vorgenommen, dar- Euch gar nicht ausdrückt. Hat sie für Euch sellschaftlichen Verhältnisse und die in-
aus entstanden die Kerne für die militan- nicht stattgefunden? Ich finde, alle diese ternationale Situation dermaßen ändern -
ten Häuserkämpfe und Antikriegsbewe- Bewegungen und Kämpfe haben ihre Be- also das muß doch nun wirklich die aller-
gung Anfimg der 80er Jahre. rechtigung, und sie tragen insgesamt zu selbstverständlichste Sache der Welt sein
" ... keine eigene Lebensvorstellun- einer revolutionären politischen Bewe- für eine linke, revolutionäre Bewegung!
gen", sagt Ihr? gung / Veränderung bei - es ist fillsch, 20 Das braucht doch überhaupt nicht betont
Im Gegenteil finde ich, gerade die eige- Jahre Widerstandsgeschichte auf die Bei- zu werden !
nen Lebensvorstellungen sind doch aus träge des bewaffneten Kampfes der RAF Es gibt keine revolutionäre Bewegung,
diesen verschiedenen radikalen Bewegun- und den antiimperialistischen Widerstand Gruppe, Zeitschrift weltweit, die nicht
gen heraus mit entwickelt worden, und zu verkürzen. dabei ist, kritische Auswertungen der Re-
von sehr vielen genau mit dem Bewußt- " ... unter keinen Umständen solltet volutionsgeschichte zu machen (der eige-
sein und Ziel, so zur revolutionären Ver- Ihr unwahr oder unwissenschaftlich argu- nen und zurück bis zur Oktoberrevolu-
änderung beizutragen - von unten, sich mentieren. Eure Aktionen sollten auf rich- tion), die nicht dabei ist zu analysieren
möglichst ganz einzubringen. tiger Information und sorgfältiger Analy- und neu Strategien zu diskutieren. Das
Von was macht Ihr denn das abhängig, se beruhen. Alle oberfliichlichen und pro- wäre ja wirklich ein Ding, wenn ausge-
"eigene Lebensvorstellungen" - ledig- pagandistischen oder gar verfälschten Ak- rechnet die BRD-Linke das nicht notwen-
lich von bestimmten Mitteln und Formen tivitäten werden früher oder spdter als d~hätte! -
des Kampfes? Ich finde, Ihr habt ein Bumerang auf Euch zurackkommen, wenn Der Schwerpunkt liegt aber fillsch,
ziemlich schematisches Verständnis von Ihr es am wenigsten erwartet, und Euch wenn wir allein bei der Beschreibung und
revolutionärer Veränderung - Ihr seht als Leute bloßstellen, die man nicht ernst Analyse der äußeren Verhältnisse, also
gar nicht die Emanzipation/die Schritte nehmen kann, denen man nicht glauben der Politik des Imperialismus, der Rolle
zur Veränderung und ordnet sie in eine kann. der BRD, dem internationalen Kräftever-
Strategie ein. (Ich kann mich noch sehr Zum zweiten solltet Ihr niemals sektie- hältnis usw. stehen bleiben.
gut an die Diskussionen erinnern, ob z. B. rerisch sein. Es liegt in der Natur komple- Rosa Luxemburg hat 1914 im
jetzt die "Hafenstraße"-Barrikadentage xer Strukturen, wie es Gesellschaften nun Knast, als die 11.Internationale zusam-
- etc. "revolutionäre Front" sei - oder einmal sind, daß es unterschiedliche An- menklappte und als die Arbeiterparteien,
nicht.) sichten darüber gibt, was die beste Strate- statt gegen den imperialistischen Krieg zu
Woher kommen denn die Anstöße und gie ist. Euer Kampf geht um Befreiung und kämpfen, sich von den Herrschenden in
greifbaren Erfahrungen von kollektivem Demokratie. Innerhalb des Rahmens der den Krieg hetzen ließen, eine radikale
Leben und Kämpfen, wenn nicht beson- Politik der Befreiung und ihrer Ideen müßt Selbstkritik verlaßt, "Die Krise der
ders aus besetzten Häusern, Zentren ... ? Ihr in der Lage sein, viele unterschiedli- Sozialdemokratie". Sie schreibt u. a. :
(Angefimgen vom Georg-von-Rauch- che Ansichten zu dulden. Solange eine be- "Die Befreiung des modemen Proleta-
Haus bis ... ) Oder die Militanz? Doch sondere Position nicht eindeutig ein feind- riats hiingt davon ab, ob es versteht, aus
durch die Startbahnbewegung, gegen die licher Standpunkt ist, sollten wir Differen- den eigenen Irrtamem zu lernen. Selbst-
WAA, Brokdorf, durch den antifuschisti- zen soweit wie möglich ertragen, ,hundert kritik, racksichtslose, grausame, bis auf
schen Widerstand .,. Wer hat denn die Blumen blühen und tausend &hulen des den Grund der Dinge gehende Selbstkritik
Frauenbefreiung und -organisierung an- Denkens wenstreiten Ulssen', denn darin ist die Lebensluft und Lebenslicht der pro-
gepackt, den Widerstand gegen Sexis- liegt das ~sen des demokratischen letarischen Bewegung ... Die Menschen
mus, Gentechnologie etc. ? Ideals ...•• (von Neville Alexander : machen ihre Geschichte nicht aus freien
Mitte der 80er Jahre wurde die Vorstel- "Wer Wmd sät, wird Sturm ernten" - Stücken. Aber sie machen sie selbst. Das
lung einer revolutionären Front, als ein südafrikanischer Befreiungskampf - mit Proletariat ist in seiner Aktion von dem
"Zusammen-Kämpfen", von den Bewe- interessanten Aufsätzen / Reden über Ras- jeweiligen Reifegrad der gesellschaftli-
gungen diskutiert, aufgegriffen. Es ging sismus, Kapitalismus, Frauenbefreiung, chen Entwicklung abhängig, aber die ge-
um eine Einheit von sozialrevolutionä- nationale Befreiung ... und "Einheit im sellschaftliche Entwicklung geht nicht jen-
rem, antikapitalistischem, antiimperiali- Kampf') seits des Proletariats vor sich, es ist in
stischem Widerstand zusammen mit der gleichem Maße ihre 1Hebfeder und Ursa-
Guerilla. (Zumindest war das die Diskus- Nun aber zu hier und heute: Wie soll es che, wie es ihr Produkt und ihre Folge ist.
sion und Vorstellung. Als 1986 Gefim- weitergehen? Seine Aktion ist mitbestimmender Teil der
gengenommener begreife ich mich als Ge- Ihr sagt: "heute sehen wir uns mit Be- Geschichte ... Aber wir sind nicht verlo-

71
ren, und wir werden siegen, wenn wir ler- tionärer Gewalt im Prinzip" geht, und mütig, arbeiteten mit unseren alten Sche-
nen nicht verlernt luJben." auch nicht um die "Durchsetzung von re- mas und verwarfen sogar viele Einsichten
D. h. wir müssen uns eben auch vor al- volutionärer Front als Modell I Konzept" der Jungen, die der neuen Realitiit viel
lem fragen, welche Fehler haben wir ge- - genausowenig, wie es den Aufbau einer mehr angepaßt waren als unsere. " - (Er-
macht, welche Schwächen gibt es in unse- revolutionären Bewegung I Partei losge- fahrung des TupllfTUlroHuidobro)
rer Politik? Was sind die Ursachen? Was löst von den Kämpfun von unten geben
können wir daraus lernen? Es ist falsch, kann (das ist jetzt nur angeschnitten). Je-
wenn wir unsere Energie dafür ver- denfalls: Ich denke, daß revolutionäre
schwenden, die eigene Politik und Praxis Prozesse komplizierter sind, als wir bis-
zu rechtfertigen, indem wir beschreiben, her alle gedacht haben.
daß ja sowieso alles so gekommen ist und Darum ist es wichtig, daß es eine Offen-
kommen mußte, wie es kam. heit und Bereitschaft gibt, aus den unter-
Das stimmt eben nicht! (Die Entwick- schiedlichen Erfahrungen und Vorstellun-
lung der Oktoberrevolution-Stalin hätte gen zu lernen - die unterschiedlichen Er-
auch anders laufun können, der Sieg des fahrungen und Vorstellungen zu lernen
Nazifaschismus-Lagers 1933 hatte Ursa- -, die sozialrevolutionären und interna-
chen. Genausowenig reicht es zu sagen, tionalistischen Gruppen, z. B. Frauenbe-
der Imperialismus ist eben so stark.) Die wegung, bewaffnete Gruppen, die Gefan-
Situation heute ist nicht logisch, zwin- genen, Widerstandsgruppen - alle kön-
gend, historisch fulgerichtig und ausre- nen dazu beitragen. In den 80er Jahren
chenbar so gekommen, sondern unsere sind viele Erfahrungen gemacht worden.
Praxis war mitbestimmender Teil - es Wenn wir jetzt mit der Allerweltsweis-
könnte also auch anders aussehen. Wenn heit ankommen: "die Menschen müssen
wir auf die kritische Auswertung verzich- selber ihre Sache in die Hand nehmen",
ten, dann bestätigen wir dem System die dürfen wir uns nicht in die lasche lügen
ÜberlegCmbeit und Unbesiegbarkeit. - denn nichts anderes wurde doch in den
Ein Ausdruck unserer JDaJ;lgelndenSou- vergangenen 25 Jahren versucht!. Oder
veränität ist die spürbare Angst vor Kritik was sonst?
- es könnte alles "falsch und sinnlos" Zurück zum Aufruf: "Freiheit für
gewesen sein, wird befürchtet (so stand es die politischen Gefangenen ... " Ich den-
sinngemäß in dem Brief der Tübinger Ge- ke, das Produktivste wäre, es würden
nossinnen an die drei Celler Gefimgenen). wirklich die verschiedenen Bewegungen,
Ja, angenommen, es wäre so, sollten wir Gruppen etc. aus ihrem eigenen Verhält-
denn dann Unhaltbares rechtfurtigen? nis zur Widerstandsgeschichte und Gefan-
Rosa Luxemburg war anders: "KW genen etc. Stellung beziehen. So wie ich
jetzt in Frage steht, ist der ganze letzte es ja schon am Anfang geschrieben hatte.
Jünfundvierzjgjährige Abschnitt in der Als Anmerkung:
Entwicklung der modemen Arbeiterbe- - Ich finde, daß die ausländischenpoli-
wegung. KW wir erleben, ist die Kritik, tischen Gefangenen mit einbezogen wer-
der Strich und die Summe unter den Po- den müssen, zumindest allgemein auf der
sten unserer Arbeit seit einem halben politischen Ebene. (Es kann ja sein, daß
Jahrhundert. " sie es so direkt nicht wollen.)
Wrr müssen das Falsche und Sinnlose - Die Forderung "Freilassung ... ins-
herausfinden, ändern - wenn nicht, ver- besondere auch aller HIV-Infizierten und
lieren wir unsere Glaubwürdigkeit. Ver- Aidskranken" finde ich richtig.
steht Ihr, was ich meine? Drr umgeht das, Ich finde, darüber hinaus muß in so
Ihr redet nur von neuen Bedingungen und einem Aufruf auch die Solidarität mit den
neuem Anfang. Gefimgenen zum Ausdruck kommen, die
Wrr können ja nicht hingehen und z. B. sich gegen den Knast wehren, die sich so-
einfach die Selbstkritik und Analyse der lidarisch verhalten, so wie im Streik 1989
Thpamaros übernehmen! Wrr müssen sie und bei vielen Anlässen (z. B. wird jetzt
für unsere Geschichte selber machen! Gefimgenen aus Rheinbach die Anklage
Die Thpamaros sind allerdings ein gu- geschickt wegen "Meuterei, Wider-
tes Beispiel, wie eine radikale Kritik aus- stand" wegen der Dachbesteigungsak-
sieht. Mein Eindruck ist der, wir zitieren tion).
bisher lediglich die Thpamaros! Die Fra- Es gab im Streik ja auch inden Knästen
gen: "Distanzieren - Abschwören - eine gewisse Breite, die Forderung nach
bewaffneter Kampf, ja oder nein; revolu- "Kommunikation" bezieht sich auch auf
tionäre Gewalt ... ?! etc.", wie sie vom die Knäste. So wie der Streik 1989 mit da-
Staat und staatstragenden Linken immer zu beigetragen hat, daß esvom Staat aus
kommen, die stellen sich doch gar nicht diese "Kinkel-Initiative" gibt, finde ich
so. es unsolidarisch, wenn jetzt in der Situa-
Es geht um eine Diskussion innerhalb tion dieser Ansatz von "Zusammen-
der linken, revolutionären Bewegung und Kämpfun" herausfallen würde. (Daß ich,
nicht um Dialoge oder Deals mit der wahrscheinlich wir alle, zu wenig daran
Macht, und der Kampf für die Freiheit der geblieben bin I sind seither, kann das nicht
politischen Gefangenen heißt ja nicht: rechtfertigen.) Kämpfun wir nicht "für
"Der Befreiungskampf ist aus, wir ziehen eine Gesellschaft ohne Knäste" ?!
uns mit unseren Wunden zurück!" Diese "Wir kamen aus den Gefllngnissen und
Diskussionen müssen heute stattfinden, dem Exil mit unseren alten ßbhrheiten,
als Revolutionäre, Linke müssen wir im- mit unserem Paternalismus, den allwis-
mer wieder von neuem die geeigneten senden und omnipotenten Kenntnissen.
Mittel, Formen und Wege herausfinden. Wir behandelten diese jungen Führungs-
Ich glaube nicht, daß es um die "Durch- persönlichkeiten wie kleine Kinder, die
setzung von bewaffnetem Kampf I revolu- von uns lernen maßten. Wir waren hoch-

72
LutzThuter

Auf der Suche nach der Strategie des Glücks


Notizen nach einem Gespräch mit dem Thpamaro Luis Rosadilla

Vorbemerkung. Dies ist ein Text, den ich Vertreter der Volksorganisationen, die da
nach einem Gespräch mit Luis, einem Th-
Thpamaros zwischen den Trampeltritten des amerika-
pamaro, geschrieben habe. Ursprünglich Für uns, vo} 20 Jahren, die erste Stadtguc"" nisch-uruguayisehen Militärkolosses mit
hatten wir verabredet, ein gemeinsames rilla. Das Uberzeugendste an ihr: Sie war fliegender Leichtigkeit und überlegener
Gesprächsprotokoll zu machen. Nachdem erfulgreich. Eine bewaffnet kämpfende Intelligenz das Mosaik ihrer Aktion zu-
Luis aber kurz nach dem Besuch zurück Otganisation, klein am Anfang, am Ende sammentrugen. Sie waren immer schnel-
nach Uruguay geflogen ist, hat das nicht wohl zu groß. Klug und beweglich, ver- ler, gewitzter, flexibler, präsenter und
mehr geklappt. Der Text ist unvollstän- schränkt in den Alltag und das Alltagsbe- unsichtbarer als der Gegner. Vor allem
dig, vor allem, was Luis betrifft. Er hat wußtsein der Menschen. Eine Oligarchie, aber waren sie, im Gegensatz zu ihrem
mehr gesagt. Und Wichtiges gesagt. Nach ihre Armee; der US-Imperialismus in der Feind, in der eigenen Gesellschaft zuhau-
Jahren der Isolation ist mein Gedächtnis Phase der US-Direktinterventionen, seine se. Da schienen tatsächlich welche ge-
nicht mehr das beste. Ich habe lange ver- Counterinsurgency-Strategen und Folter- schafft zu haben, VWMJndie letzten Jahre
sucht zu rekonstruieren, was er gesagt filchkräfte für den Krieg gegen die Ar- hierzulande dennaßen inflationär die Re-
hat, auch Monate nach dem Besuch emp- men. de war: den Durchbruch. Ein unschlagba-
finde ich es noch immer als Verlust, daß Die kleine Organisation war Herr der res Erfolgsrezept. Eine vage Hoffnung
wir das Gespräch nicht genauer haben. Lage. Es war ihr gelungen, die US-ameri- schien plötzlich wie in einem Zoom aus
Denn es war ein offenes, freundschaftli- kanischen Naturgesetze außer Kraft zu fernen verschwimmenden Horizonten
ches, produktives Gespräch. So ist das setzen. Es gab den Film "Der unsichtbare zum Greifen nah in unseren Alltag zu
Folgende kein Protokoll, sondern ein Aufstand •• von Costas Gavras. Ein Film kommen. Dies oder jenes kannst du jetzt
Text, geschrieben ~h dem Gespräch. über die Entführung des US-amerikani- so oder so anpacken. Mit deinen eigenen
Inzwischen kennt Luis den Text, er findet schen Folterspezialisten Dan Mitrione, Händen, in deiner eigenen Lebenswelt.
ihn sehr gut und ist mit der Veröffentli- 1970, durch die Thpamaros. Die Aktion WlI' sahen in dem Film vor allem das orga-
chung einverstanden .. sollte Beginn einer Kampagne sein,. die nisatorisch-militärische Meisterstück, das
Seit ein paar Monaten gibt es einen das Ziel hatte, die Macht von oben in Fra- langfristige politische Konzept blieb in
Briefwechsel zwischen uns. Der läuft eher ge zu stellen und die Macht von unten auf- der Ferne, undeutlich.
sporadisch. Seit seiner Befreiung war zubauen. Eine Reihe ähnlicher Aktionen Irrtümer sind mitunter langlebig. irrtü-
Luis mehrfach in der Bundesrepublik. sollte die Handlungsuntihigkeit der Re- mer in der Politik stellen sich ein, wenn
WlI' hören voneinander. Sympathie, Neu- gierung verdeutlichen und zugleich die von der Gesamtheit einer Konstellation
gierde entsteht. Zwei verschiedene Wel- Befreiung der politischen Gefimgenen etwas weggelassen wird. Strategie der
ten, und doch die gleiche: Ich komme aus thematisieren - also in dieser \\Uhsel- Tupamaros war es, zuummen mit dem
einer armen Familie, mein Vater war Bäk- wirkung politisch durchsetzen. Das hieß \blk den Proze8 der Macht von unten zu
ker, meine Mutter Hausangestellte. WlI' vor allem: mit dem Volk, für das Volk. So erlernen, zu akkumulieren. Das Richtige
waren neun Geschwister, wo denen noch sollte die Aktion, sollte die geplante Kam- zu tun. Um im und aus dem Alltäglichen
fünf am Leben sind. Auch ich habe Bäcker pagne Katalysator für gesellschaftliche der Menschen das Bewußtsein ihrer Ge-
gelernt, obgleich ich zur Zeit - aufgrund Lern- und Bewu8tseinsprozesse sein. schichtsmächtigkeit reifen zu lassen. Die
der politischen Verant\1iOrtuDg,die mir Denn in der Konfrontation - und ganz bewaffnete Aktion war Mittel zu diesem
die Companeros auferlegt haben - meine besonders in der Konfrontation, die für Zweck. Sie war nicht Gegenmacht, sie
ganze Zeit dem Kampf widme. Ich bin 36 das Volk und die Revolutionäre erfulg- war einer ihrer Katalysatoren. Luis beim
Jahre alt und habe mich sehr jung in den reich, für die Regierung aber als Niederla-
Kampf meines \blkes eingereiht. Da- Besuch: um
ge endet - blitzt für die Menschen die Er- sondern "Es Uberwindung
geht nicht 11mZerstiJnmg,
dessen, WQ$
mals, mit 13 Jahren, bin ich in die Ge- kenntnis auf, daß Ofknsive und Initiative, ist.•• \\:m ihrer Gründung bis heute waren
werkschaft eingetreten. Und mit 15 Jah- Ofteoheit und Solidarität, Plamnä8igkeit und sind die Thpamaros eine Organisation
ren in die Organisation. Mit 19 Jahren war und Diskussion den Prozeß der Macht wo für die soziale Revolution. Huidobro und
ich Gefimgener der Diktatur, und fast bis unten und seine überraschende Effizienz Rosencof sollten auf ihrer Lesereise 1991
ins Alter von 29 Jahreo war ich im Ge- ausmachen. durch die Bundesrepublik aus dem Stau-
fängnis. "Diese Aktion war exemplarisch, ~il nen nicht herauskommen. Guerilla, be-
,.Als ich QlU dem Knast kam, habe ich es im anliimperialistiscJum Kampf ilber- waffneter Kampf, das war für sie immer
mich emeul in den KAmpf eingebmdtt. hDupt 11Ift ~ung geht ..• eine 18ktik im Kampf für die soziale Re-
Zuerst Idondestin, WQ$ tIlIjgrund der Ji'r- fJIIS der Gefangenschaft der totolen Ent- volution gewesen. WlI' sind damit ge-
hilltnisse wrter der DiIctatru notwddig fremdung lI1Id Selbstentfmndung, fJIIS scheitert, der Kampf geht weiter, so Ro-
MGT, danach im RDIImender DU Zeit herr- dem politiscJum lI1Id existentiellen ÄIIs- sedCOf siJmgemi8 im Interview (clock-
schentJen Legalit4l in meinem Land. Seit ~, in dem dDs JbIk im Griff wort 25, S. 7.91). Und weitergeben kann
'84 bi1I ich in der RIhnutg der Organisa- des lmperialismlls, der KonsumIadtur, er, weil das \blk wo Uruguay in diesen
tion. bI dieser lWrktion bi1I ich achora der Medien, der ~ der 20 JlIhreD eindeutig einen politischen
1M1uji:u:II c6ur:h &ropa gereist, 11mEr- herrschenden Klasse, in Abhibtgigkm Lempn1rIJeBclutchlauh hat, Erlebnisse,
jaJuvngera lIIId Ei1tscItIItzMng tIIUTMIaII- W1m Marlt lI1Id W1m Staatsoppamt ZM le- Er&hrungal und ihren Begriff aJdwmu-
sehen lIIId 11mSoIidtuitiJt ZM gewiNtera." ben gezwungen ist !" (Ulrikc über die ~ liert hat. In MODfeVideoist das viel zu spü-
(Aus eiDem Briefwm November '90.) fteiuDg VOll Andreas 1970) ren. Eine Grundlage ist aufgebaut in zwei
Der Film zeigte diese Frauen und Män- Jahr7.dmIie:D,wo der aus die Tupamaros
DeI', illepIe und lcgaIe, ~ und heute eine neue Phase einleiten können.

74
In der Bundesrepublik gehen die rev0- Guerilla gelesen habe, aber nur bei zwei- Anzeigen
lutionären Uhren anders. Um Lichtjahre en Authentizität gespürt habe. Bei Allen-
entfernt von jenem Selbstverständnis der de jedenfiills nicht.
70er Jahre, wonach der strategische Pro- ,,Ja, ja," Luis macht mit dem Daumen
zeß ein gesellschaftlicher und die bewaff- die Bewegung des schnellen Durchblät-
nete Aktion darin ein taktisches Instru- terns, "Allende, eine Modeautorin, das
ment ist, ein Katalysator, ein Exempel, lesen die Leute am Strand ... " "Aber
wird die bewaffnete Aktion nicht mehr als Cabe(JlS, ganz klar ... "

ak ...
"Exempel" gedacht, als Beispiel, das Luis nickt, deutet an, daß er Cabezas
auf soziale ~rallgemeinerung hin konzi- . kennt.
piert ist, sondern als diese strategische "Und tJmrn': sage ich, ,,das zweite sind
Verallgemeinerung an und für sich. Die die Erinnerungen von Huidobro und Ro-
Selbstgewißheit, die die Thpamaros aus sencof an ihre Knastzeit (Rosencof/Fer-
dem gemeinsamen Prozeß mit dem Volk muidez Huidobro: Wie Efeu an der Mau-
ziehen, wird hierzulande zur illusionären er.Erinnerungen aus dem Kerker der
Spiegelung in staatlichen Reaktionen. Der Diktatur, V~r1ag Libertäre Assoziation,
..• damit das
Stoffwechsel (die Akkumulation) findet Hamburg). Da sitzen zwei Menschen im
nicht statt zwischen der politischen Initia- vollkommenen Nichts, zwölf Jahre herme-
Kapital nicht das
tive und Teilen der Gesellschaft, er ver- tische Kontaktsperre, StaalSgeisel, unter letzte Wort behält
läuft in einem parapolitischen Raum, ne- Bedingungen, unter denen eiri TIer binnen
ben der Gesellschaft, zwischen Staats- kurzem eingehen würde, aber in der Isola- Seit 20 Jahren
schutz und Revolutionären. So wiederholt tion zeigt sich schließlich, was eine/r berichten, dokumentieren
sich darin die vom Kapital geprägte Men- wirklich ist: Sie gründen eine J.Jf?lt.Wie und kommentieren wir u.a.:
talität und Entwicklung unserer Zeit: die sie es draußen auch gemacht haben. Sol- • Nazi-Terror und
Versteppung des Sozialen. Diese Verstep- chen Menschen vertraut man. Sie bilden alltäglichen Rassismus
pung des Sozialen ist eine Bedingung für in diesem Jbkuum - und deshalb in jeder • Klassenjustiz
Imperialismus nach außen. Zwischen der anderen Situation - eine J.Jf?lt:die Identi-
Asozialisierung der eigenen Gesellschaft tät der Revolutionäre. Sie gründen eine • die Situation nach dem
und dem Völkermord in der Dritten Welt J.Jf?lt,in der sie diese und jene Fähigkeit, Zerfall der Sowjetunion
besteht durchaus ein innerer Zusammen- dieses und jenes Talent und Bedarfnis in • den Kampf gegen § 218
hang. So weit ist es von den Golfkriegern Marsch setzen. Das ist· die eigentliche • die Frauenbewegung in
Enzensberger und Biermann bis Saarlouis Auskunft ihres Berichts. Nicht das endlose Ost und West
und Hoyerswerda nicht. Eine Resignation Gejammer über die Folter - wer hlitte
der Linken, der Revolutionäre vor der Grund dazu, wenn nicht sie -, nicht die
• Befreiungsbewegungen
in der ,Dritten Welt'
Wrrklichkeit der Metropolengesellschaft moralische Überftihrung der Folterer und
wird Großdeutschland endgültig zum glo- ihrer US- amerikanischen Lehrherren -
• Linke Debatte um das Ende
balen Sprengsatz machen. Dies ist die nein, aus ihrer Sicht eines tätigen und ab- des ,realen Soziatismus'
Sorge der Thpamaros, dies ist die Kritik wechslungsreichen Lebens im Nichts be- und die Folgen ... und ...
an uns: Sorgt euch nicht um die Befrei- kommt die Folter ein ganz anderes Ge- Der ak erscheint vierwöcht/ich im 20. Jahr.
ungskämpfe bei uns, sorgt euch um den sicht. Nicht dieses Gefühl, die Folter Er kostet DM 6 und ist in allen linken Buch-
inneren Zustadtl eurer Nation. könnte ihnen das Leben aussaugen, nein, löden und gut sortierten Zeitschriftenläden
erholt/ich. Oder direkt bei der
umgekehrt: Die Gewißheit, das einzig an-
dere, mit dem sie zwölf Jahre lang kon- Hamb'"1ll.r Satz- und Verlagsk_perative
frontiert sind, das einzig andere, das de- Schulterblatt 58, 2000 Hamburg 36
Es geht nicht monstrativ nur Tod ist, besi~gt zu haben
Tel. 040 / 43 53 20
Der ak kostet im Abonnement:
um Zerstörung ... mit ihrem Mut und ihrer Findigkeit, über-
jährlich DM 72; halbjohrlich DM 38
all eine J.Jf?lttu gründen, hat den Tod ab-
FOrAbonnentinnen in der (ex-)DDR:
Ich entdecke Luis hinter der geöffneten gehängt. Und so sind im Gesicht der Fol- johrlich DM 60; halbjöhrlich DM 33
Tür. Er steht auf, lacht, wir umarmen uns. ter bald die Züge des Verlierers erkenn-
Einzelbestellungen: DM 6 + DM 1 Porto
Wrr sitzen am Tisch, B., die übersetzt, bar. Hbs nicht heißt, daß diese zwölf Jah- Kostenloses Probeexemplar bestellenl
zwischen UDS. Das Gespräch ist gleich da, re. nicht ein barbarisches Verbrechen ge-
wie unter Freunden, die sich eine Woche wesen waren. Aber Menschlichkeit ist
oder einen Monat lang nicht gesehen stlirker, und darin liegt der empirisch ge-
haben. hiirtete Beweis, daß Befreiung den Men-
Er will wissen, was ich lese, ob ich noch schen möglich ist. Huidobro und Rosencof
male. Ein Bild, das er bei T. gesehen hat, sind nur zwei Menschen. Es liegt darin
hat ibm gefiillen. ,,Ja, malen tilt ich schon aber auch der empirisch gehiirtete Be-
gerne, . aber zur Politik und zum Malen weis, daß Befreiung, ohne die Fähigkeit,
brauchst du gute Laune, wenn es was Ge- eine J.Jf?lt ZU grllnden, Simulation bleibt .•,
Die RadiuIIität linker Geeahch8ft88fllllyse und
scheites werden soll. Und wenn ich den Luis: "Wir brauchen eine Strategie des StreitkUtur hat ZUkunft. Und einen Namen:
Kopf und die Zeit nicht frei habe, funktio- Glücks, nicht der Opfer. Die Linke muß
niert das mit dem Malen nicht. Ganz ein- diese Strategie des Glücks spürbar, sicht-
fach nebenbei geht es nicht. Wir alle sind bar verkörpern, Kreuzzüge muß sie dafür
in einer Umbruchsituation, das heißt, es organisieren. Sie muß wegkommen von
SPEZIAL links und radikal
gibt viel zu tun, das Problem hier in der der spartanischen, der dem Leben abge-
Bundesrepublik, vor allem in der Linken wandten Einstellung. Ich bin sehr arm, Erscheint zweimonat6ch für 5 DM
ist ... " "Ach, hör auf', er hebt be- aber ich fühle mich sehr reich. Es geht
Schwerpunkte: Hgh- Tech-KapitalismJs.
schwörend beide Hände, "hör auf mit der nicht um Zerstorung, sondern um Über- Euro-~, Gro8Deutschland. Ra-
Politik, wir haben doch eineinhalb Stun- windung dessen, was ist. Der Reichtum im dkaIe Unke. Ex- ReaISozialsmus. Neuer
den Zeit, laß uns doch erst so ein bißchen Kapitalismus ist, für sich genommen, Antifasctismus. AntiimperiaIismJs heute.
quatschen!" nichts Schlechtes. Aber in deinem Land Neue Linke-neue Chance? u.a.
Wrr reden hier ein bißchen, da ein biß- werden viele Dinge verschwendet, die wir ••••••.•••••••• 25 DII bei SPI!ZIAL,
chen. Über lateinamerikanische Litera- in Uruguay zum Leben bitter nötig hätten. ScIIiS•••••.•• t,
18A, 3 ~
tur. Ich sage ibm, daß ich einige Literatur Reichtum muß man teilen können. Die
TeL05111702528 Pu. 704483
von lateinamerikanischen Autoren über Menschen in deinem Land können das 40 Seiten Probeheft anfordern

75
nicht mehr. Und so sind es meist einsame trauen, daß es mit unserem Besuch klappt, Aber ohne das werden neue Terrains nicht
1
J
Menschen. Hbs mich verblüfft hat, ist, ich wußte, daß es gut geht. Auch wenn es erscWossen. Ein Teufelskreis, in dem sich
daß in der linken dieselbe Unfdhigkeit zur Menschen wie Steine gibt," - Seitenblick jene, die ehedem mit den authentischsten
Solidarität verbreitet ist. Verstehe ich aufs LKA - "wir müssen Vertrauen in Gründen - vielleicht vorpolitischen
nicht, wie du als linker so existieren die Menschen haben. Wir dürfen uns nicht Gründen - aufgebrochen sind, persönli-
kannst. In den Gruppen scheint es immer von jenen Menschen, die wie Steine sind, che und politische Entwicklungsmöglich-
wieder zwei Verhaltensweisen zu geben: irritieren lassen in unserem grUndsätzli- keiten nehmen. Der eigene und der gemei-
Egoismus gegenüber dem Kollektiv und chen Vertrauen." ne Emanzipationsprozeß würde Vertrau-
Unterwürfigkeit gegenüber dem Kollek- Ich werfe ein, daß gerade Vertrauen en in die Fähigkeiten zum selbständigen
tiv. In Uruguay haben wir eine nationale keine losgelöste subjektive Eigenschaft Denken und zur eigenständigen Initiative
Identität von unten, eine gesellschaftli- ist. Sie ist eine erworbene Eigenschaft, entstehen lassen, der Weg, auf dem Wil-
che, soziale Identität. Sie zeigt sich als so- eine grundlegende Gewißheit über das Ei- len entsteht. Willen entsteht immer im
lidarisches und offenes Verhdltnis der gene und das Soziale, die erworben wer- Thn und in der Konfrontation, nicht als
Menschen zueinander. Das gehört sozu- den muß. In einer Gesellschaft, in der So- logische oder ideologische ScWußfolge-
sagen zum guten Ton. A su servicion, zu lidarität und Hilfsbereitschaft hoch be- rung. Es wäre dann nicht ein Prozeß, in
Ihren Diensten, ist nicht nur eine Formel, wertet werden wie in der uruguayischen, dem "mehr" gemacht würde, es wäre ein
es wird auch so gelebt. Im Alltag. Zieht je- ist das leichter, in einer Gesellschaft, die Prozeß, in dem etwas anderes gemacht
mand neu in eine Straße, gehen die Nach- der kapitalistischen Doktrin des Egoismus würde. Und von daher natürlic.h auch
barn auf ihn ZU und helfen ihm. ~nn je- politisch-kulturell so wenig entgegenzu- mehr. Da die Selbstblockade im nicht ge-
mand krank ist, wird Geld gesammelt. stellen hat wie die derzeitige Metropolen- lösten Widerspruch zwischen kapitalisti-
~r da nicht mitmacht, ist nicht gut ange- gesellschaft, ist das erheblich schwerer. scher Mentalität und antikapitalistischer
sehen." Die Doktrin des Egoismus, Motor der Ideologie autbrecl\en, in neuer Gestalt
Ich sage ihm, daß es bei uns eher umge- kapitalistischen Zivilisationsleistung wie identisch, Identität würde und bis dahin
kehrt ist: Wer offen und hilfsbereit ist, der furchtbarsten Verbrechen der nie gespürte Energien freisetzen würde,
wird oft als naiv, wo nicht als lebensun- Menschheitsgeschichte, löst den gesell- Energien, die bis dahin dazu gebraucht
tüchtig angesehen, und ich furchte, Teile schaftlichen Zusammenhalt auf. Dieser werden, den nicht gelösten Widerspruch
der Linken haben sich dieser dummen Prozeß hat sich in den letzten Jahren stark einigermaßen im Zaum zu halten und mit
Kaltschnäuzigkeit angepaßt. bescWeunigt. Soziales, Gesellschaftliches den daraus resultierenden Problemen fer-
muß bestimmte Voraussetzungen vorfin- tig zu werden.
den, um am Leben, vital bleiben zu kön- 1789, Französische Revolution: Die
nen. Wie der Mensch ein soziales Wesen revoltierenden Volksmassen waren nicht
Die Solidarität
ist, so ist die vitale Gesellschaft auf diesen in der Lage, sich etwas anderes vorzustel-
der Menschen ... sozialen Menschen angewiesen. Zu die- len als eine andere Monarchie. Es ist
sen Voraussetzungen gehören also Ein- schwer, neue Welten zu gründen. Der al-
Luis: "Wir haben unsere Politik auf diese stellungen und Verhaltensweisen, die aus ten Welt den Laufpaß zu geben, wäre ein
Solidarität der Menschen aujgebaut. Nur der Dimension des Menschen, soziales entscheidender Schritt.
ein Beispiel : Bei großen Aktionen kam es Wesen zu sein, zoon politicon, fließen.
vor, daß wir 30 oder 40 Autos brauchten. Wo diese sozialen Einstellungen und Ver-
Wir haben die Autos angehalten, die Haf- haltensweisen auf dem Rückzug sind, dort
fen waren nie geladen. Wir sagten den erlischt auch die Erinnerung an sie. Sozia-
Erfahrungen
Fahrern, wer wir sind, viele waren begei- les Verhalten wird unwirklich, scheint der werden nicht aufgearbeitet
stert: Endlich kommt ihr zu mir - ableh- Welt des Egoismus fremd zu sein. Was
nende Haltungen gab es aber auch. mtr- Luis mir von Egoismus und Unterwürfig- Luis: "Sendic dachte auch so - neue so-
de etwa ein Taxi angehalten, wurde dem keit im Kollektiv sagte, scheint ein Signal ziale Räume öffnen. Has mich an der lin-
Fahrer der Verdienstausfall ersetzt. Es dafur zu sein, daß die Erinnerung an diese ken hier ebenfalls erstaunt hat, ist, daß es
gingen welche mit ihm in eine Bar, haben Welt menscWicher Gesellschaft selbst bei keinerlei Akkumulation gibt, weder in-
mit ihm gegessen und getrunken, mit ihm manchen Linken, die doch in ihrer Propa- haltlich noch personell. Erfahrungen wer-
gesprochen. Brauchten wir z. B. einen ganda vorgeben, fur diese Welt zu kämp- den nicht aujgearbeitet, ich habe das Ge-
Chemiker, wurde auch ihm alles bezahlt. fen, ins Dunkel des Vergessens absinkt. fühl, diese linken fangen ständig von vor-
Es wurde genau darauf geachtet, sich so- Oder: Unsere Ziele, Solidarität und Ge- ne an, haben kein Fundament, von dem sie
zial und solidarisch zu verhalten .•• rechtigkeit, werden nur noch gewußt, ausgehen können. Es ist doch wichtig, die
Auf der überzeugenden und beeindruk- aber nicht mehr gespürt und gelebt. Man eigenen Erfahrungen zu sammeln und die
kenden Wirkung des solidarischen Ver- organisiert sich in einer Gruppe, um für Verarbeitung zur Geschichte zu betrei-
haltens wurde die Politik mit aufgebaut. Befreiung zu kämpfen, verhält sich aber ben .••
Immer und immer wieder zu zeigen und egoistisch und / oder unterwürfig. Das "Ja, das ist auch eine Ebene, um dem
vorzuleben, was MenscWichkeit, was Ge- eigentliche Drama ist aber, daß viele zu Verlust des sozialen Gediichtnisses entge-
rechtigkeit und Solidarität sind, statt nur diesem Gespaltensein der eigenen Exi- genzuarbeiten .••
in der Propaganda davon zu reden, hat den stenz keinen Zugang mehr haben. Ein Luis: "Wir arbeiten seit einigen Jahren
Tupamaros Schutz und Hilfe mehr ge- Blinder wird sich mit dem Farbunter- daran. Einige Genossen haben die syste-
bracht als die Vorsichtsmaßnahmen oder schied zwischen rot und grun nicht be- matische Aufarbeitung der Geschichte der
gar eine Unkultur des Mißtrauens, wie sie schäftigen können. Und so haben solche Klassenkämpfe übernommen. Sie konzen-
hier in der Linken oft vorkommt. Denn Linke bis jetzt auch keinen Anlaß fur trieren sich auf diese Arbeit, auf die
diese Kultur frißt die MenscWichkeit und Emanzipationsprozesse entdeckt. Die bei- Durcharbeitung der Geschichte der Orga-
die von ihr herkommende Kraft. den Teile der Persönlichkeit, die antikapi- nisation, des Volkes, des Landes. PUr uns
,,~ißt du, wie Che Guevara von einem talistische Ideologie und die kapitalisti- ist es ungeheuer wichtig, diese geschicht-
Kampjgefdhrten beschrieben wird: ,Er sche Mentalität, stehen sich gegenseitig lichen Verknüpfungen und Kontinuitiiten
wollte immer mehr tun als die anderen. Er im Weg. Das defizitäre Vertrauen in sich herzustellen - denn wir sind, genauso
zweifelte an niemandem. Man fühlte sich selbst und andere, scWießlich in die Ziele, wie ihr hier, mit der Geschichtsschrei-
ihm verpflichtet. Denn man hatte sein Ver- um die es geht, drängt dazu, eine Schein- bung der Bourgeoisie konfrontiert. Das
trauen.'" sicherheit in ideologischen Formeln zu darf man nicht stehen lassen, dem muß die
Luis: "Ja, das ist es. Vertrauen. ~nn suchen. Umgekehrt führt die Gewohn- linke ihre eigene Geschichte entgegen-
du Vertrauen in dich selbst hast, in die heit, sich innerhalb ideologischer Leit- stellen. Aber es handelt sich dabei nicht
Menschen, in deine Genossinnen und Ge- planken vorwärtszubewegen, dazu, daß um die abgeschottete Arbeit von Experten,
nossen, in die Sache, um die es geht - man verlernt, die eigenen Verstandes- die Arbeit ist verknüpft mit dem Volk. Das
dann gehen die Dinge gut. Ich hatte Ver- und Seelenkräfte frei zu gebrauchen. ist schließlich ihr eigentlicher Zweck: Sie

76
den Menschen zu bringen, das Volkin die- menschlichen und sachlichen Produktiv- struktivität des ökonomischen und politi-
sen JJewußt$einsprouß einzubeziehen, in kräfte noch l1ie SO weit war. Heute aber ist schen Prozesses durchsetzen. Eine andere
DiskussiOMTl etc. Durch unser Radio ha- der Reichtum an Möglichkeiten, der Welt gründen. Ein großes Wort, ich weiß,
ben wir heute eiM vollkommen andere Reichtum an entwickelten Produktivkräf- aber dieses Ziel in den nächsten Jahren als
Möglichkeit ZU einem stlbuligen und inten- ten, der Reichtum an menschlicher Kom- femen Horizont auftauchen zu lassen, wä-
siven Dialog mit den Menschen. Wir ma- petenz und Bedürfnissen größer als je zu- re ein wesentlicher Schritt.
chen Sendungen mit diesem oder jenem vor. So daß sich der von Marx nie aufge-
Thema, sie können anrufen, es wird disku- löste Widerspruch zwischen dem "total
tiert. " entfulteten Individuum", aus dem sich
Durch diesen umfassenden Prozeß kann seinen Vorstellungen zufolge die zur so-
Ein allgemeingültiges
das Volk sich selbst als geschichtsmächti- zialistischen Organisation der Gesell- Rezept gibt es nicht
ges Subjekt entdecken, und selbstver- schaft reife Arbeiterklasse zusammenset-
ständlich ist das der fruchtbare Boden, auf zen sollte, und dem Ist-Zustand der Arbei- Luis: "Ein allgemeingültiges Rezept /Ur
dem das Vertrauen der Menschen zu sich ter-Produzenten im Frühkapitalismus : den Sozialismus kann es tatsttchlich nicht
selbst und zu den anderen wächst. körperlich, geistig, seelisch verkrüppeltes geben. Jedes Land muß hier seinen eige-
Luis: "Nach der Befreiung 1985 haben Anhängsel der Maschine zu sein -, so nen ~g finden. ~nn wir von nationaler
wir unter uns intensiv über unsere vergan- daß sich also dieser nicht aufgelöste, das Identität sprechen, sprechen wir nicht von
genen zwei Jahnehnte diskutiert und auch subjektive immer wieder in die Rolle des einem revolutionären Projekt. Selbstver-
öffentliche Ausei1llJ1lClersetzungen dar- Objekts von herrschenden Klassen drän- stltndlich ist das nicht revolutionär. Aber
über gefUhrt. Wir haben systematisch dar- gende Widerspruch aus den Zeiten des wir nehmen es der Bourgeoisie weg. Und
an gearbeitet, und es gab sehr viele kriti- Frühkapitalismus sich heute anders dar- das ist ganz wichtig. Eine nationale Iden-
sche Beiträge dazu, die wir auch nach al- stellt. tität, die nicht von der Bourgeoisie be-
len Richtungen hin angefordert hatten. Sie Die Arbeiterklasse zu Marx' Zeiten war stimmt ist, sondern Resultat der Klassen-
wurden gesichtet, durchgearbeitet, nach eine gesellschaftliche Minderheit, eine kämpfe. Der Hinweis darauf, daß die na-
1hemenschwerpunkten geordnet - und Machtausübung durch sie konnte deshalb, tionale Frage nicht mehr thematisiert wer-
dann haben wir einen Kongreß organi- so Marx, nur eine diktatorische sein: Dik- den könne, weil ihr hier Faschismus ge-
siert, auf dem wir über alles gesprochen tatur des Proletariats. Heute ist die Arbeit habt habt, zieht nicht, wir haben auch Fa-
haben. An dem Kongreß haben Mitglieder total vergesellschaftet, die Arbeitenden schismus gehabt, der war äußerst brutal,
der Organisation teilgenommen, parallel sind in ihrer übergroßen Mehrheit Waren- der hat auch gravierende Nachwirkungen
dazu haben wir uns den Diskussionen auf besitzer, und zwar nicht mehr allein Besit- in der Gegenwart des Volkes. Die Frage
der Straße gestellt. Das Volk in Uruguay zer der Ware Arbeitskraft. Insofern hat ist, ob man konsequent ist und sich dieser
hat in den letzten 20 Jahren ein große poli- ein gewisser Emanzipationsprozeß statt- schwierigen Situation stellt oder ob man
tisches Bewußtsein akkumuliert, es waren gefunden: Der Arbeitende ist nicht mehr das eigene Volkvon sich ausklammert .••
die Kämpfe, und es war ihre Bewußtma- ausschließlich Anhängsel der Maschine .,Ja, ich denke, die deutsche Linke und
chung. Als wir das Referendum machten und Besitzer der Ware Arbeitskraft. Er die deutsche Arbeiterbewegung waren in
(Referendum gegen eine Amnestie der hat in diesem Prozeß signifikante Kompe- diesem Jahrhundert ganz besonders mit
Militärs), als bekmuu wurde, daß sie sich tenzen und Bedürfnisse entwickelt, die unvorstellbaren Übermiichten konfron-
durchgesetzt hatten (genug Unterschriften schon längst über die zu eng gewordenen tiert: Hitler und Stalin. Vondem dabei er-
gesammelt hatten, damit das Referendum Grenzen des Warenverhältnisses hinaus- littenen Zwergentrauma, der Rolle des
zugelassen wird), gingen Hunderttausen- schwappen. Die Gefangenen aus der RAF ewigen Objekts und allenfalls Einklägers
de auf die Straße und riefen: Uruguay, haben in der ersten Hälfte der 70er Jahre von Forderungen bei Staat und Kapital ist
Uruguay. Nationale Identität von unten. diese Tendenz im Begriff der "Vertikalen sie nie ganz losgekommen. So wenig wie
Die Feinde der eigenen Nation sind nicht Klassenanalyse" gefußt. Insbesondere die Deutschen ihr Faschismustrauma in
die Nachbarnationen, auch nicht das US- Holger Meins, der 1974 im Kampf gegen der Gründung einer anderen ~lt über-
amerikanische Volk - es sind die Militärs die Isolationsfolter starb, hat daran gear- wunden haben, so wenig hat die Linke die-
und Imperialisten .•• beitet. Vertikale Klassenanalyse heißt: Es ses ihr historisches Trauma abgestreift.
"Geschichtsbewußtsein, •• sage ich, ist nicht mehr nur eine minoritäre Arbei- Von Generation zu Generation weiterge-
"ist auch so etwas wie Unterscheidungs- terklasse, die ein Interesse gegen die bür- geben. Antifa ist nur ein Resultat davon.
fähigkeit. Zu begreifen, daß wir jetzt in gerliche Klasse hat (und andere Klassen Und so sind wir '68, als dem wohl ein-
eine andere Epoche gehen, heißt begrei- und Schichten allenfulls als Verbilndete schneidendsten Versuch, davon loszu-
fen, was die zurückliegende Epoche war. gewinnen kann), es ist ein großer Teil der kommen, an diesem Punkt über eine
HW mir an dem, was du sagst, klar wird: Gesellschaft, dessen entwickelte Kompe- Schuldzuweisung an die Elterngeneration
daß ihr eure politischen Erfolge nach tenzen und Bedijrfnisse aus dem eng ge- (Kollektivschuld) und damit verbunden
1985 nie erreicht hättet, wenn ihr eure wordenen Gefängnis Warenproduktion, ein Auswandern in die bessere JVelt der
Geschichte nicht öffentlich durchgearbei- derkapitalistisch bestimmten Arbeit in die nationalen Befreiungskämpfe im Trikont
tet hättet. Die Verarbeitung der Vergan- Freiheit drängen. Andererseits ist diese nicht hinausgekommen, jedenfalls nicht
genheit ist die Voraussetzung, sich /Ur Figur des Warenbesitzers zweifellos eine weitreichend genug. Andere Faktoren
eine neue Entwicklung entscheiden zu Charaktermaske: Geschlagen mit allen spielen mit, bestimmte Begriffiapparate,
können, sich /Ur die frei zu machen. Sich Mentalitäten des Markts und der Metro- etwa so ein Begriff wie Arbeiteraristokra-
entscheiden heißt immer auch: sich tren- pole ist es eine ausgesprochen wider- tie. Lenin hat das in seiner Enttäuschung
nen. Von Inhalten, von Personen. Eines sprüchliche Existenz: auf der einen Seite über den widerstandslosen Zusammen-
deiner Stichworte vorhin war: Es geht zu gesellschaftlicher Vernunft und Kom- bruch der 2. Internationalen vor dem im-
nicht um Zerstörung, sondern um Über- petenz und Initiative fähig, wie sie von der perialistischen ~ltkrieg geprägt. Solche
windung dessen, was ist.•• politischen Klasse schon längst nicht mehr Begriffe haben unser Denken und unsere
Dieser Mangel an Weltgründungsfähig- zu erwarten ist, auf der anderen Seite zu Hbhmehmung bis in die 70er Jahre hinein
keit wirft einen Teil der Linken immer all den reaktionären Einstellungen und beeinflußt. Damit ist heute die Wirklich-
wieder auf die Mentalität des Zerschla- Verhaltensweisen bereit, zu denen Klein- keit nicht mehr zu erreichen .••
gens zurück. Mögliche historische Ursa- besitzer aller Zeiten fähig sind. So begeg- Luis: "Die linke hat auch ein Verhält-
chen: einmal das schlichte Faktum, daß net uns heute in der Bevölkerung der Bun- nis zu Man: und seinen Schriften wie zu
die historischen Erfahrungen mit einer desrepublik ein reichlich durchwachsenes einer Bibel, ein religiöses Verhältnis,
sozialistischen Alternative entweder sehr Gemisch aus erstaunlich vernünftigen p0- einen religiösen Dogmatismus. HW Man:
dünn gesät waren (Commune ... ) oder, litischen und sozialen Einstellungen - sagt, wird nicht als ~rkzeug benutzt.
wie der Realsozialismus, nicht gerade aber ebenso reaktionären. Vertikale Klas- sondern als Endprodukt. Auch war es ein
überzeugend waren. Was wohl auch dar- senanalyse heißt: diese Kompetenzen und Fehler der Befreiungsbewegungen, nicht
auf zurückgeht, daß die Entwicklung der Bedürfnisse freisetzen und gegen die De~ wirklich den eigenen ~g gegangen zu

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sein. Auch sie hielten an Konzeptionen, ziihlen allein die Gebote des globalen
wie sie vom Reolsoziolismus ausgingen, '*ttbewerbs. " (Harvardmanager 4191)
fest. So waren sie nicht in der Lage, Das Kapital im ~1tma8stab hat längst
schiJpferisch ZU sein und &freiungslcon- die Flucht nach vorne angetreten. Durch
zepte aus den Bedingungen der einzelnen die Bewegung im Trikont nach dem
lAnder zu entwickeln. Das negatorische 2. Weltkrieg (nationale Befreiungsbewe-
Verhalten der Linken bedeutet, daß sie gungen, Blockfreie, neue ~ltwirt-
kein generelles Gesamtlconzept, keine Ge- schaftsordnung) und die Emanzipations-
somttheorie hot, die me heutigen gesell- versuche in den Metropolen vor die Alter-
schaftlichen Jf!rhilltnisse IcliJrtund erlcl4rt native gestellt, Wachstum der kapitalisti-
und von der aus abgeleitet werden kiJnnte, schen Wntschaft oder menschenwürdige
was zu tun ist. Im 1nIcont werden sich ein- Gesellschaften, bat sich das Kapital für
zelne pmgmatische Initiativen, Lösungs- das erste und gegen das zweite entschie-
vemu:he akkumulieren, neue ~ie- den. Für den 1iikont ablesbar etwa an der
rungsversuche, me einjoch aus der Not- Schuldenkrise, vor allem aber an ihrer
wenmgkeit, das Leben ZU sichern, gebo- Handhabung in den 80er Jahren (die
rerawe1rlen. Das ist schließlich auch unse- Schuldenkrise ist ein zentrales Beispiel
reSitJultion heute in Uruguay. •• dafür, daß eine politisch steuernde inter-
Zum Schluß möchte ich zitieren, was nationale Struktur des Kapitals fehlt), für
Militante der BR·PCC im italienischen die v."e5tlichen Industrieländer am Ab-
Spezia1gefingnis \'Oll Navarra im April sturz des Kcynesianismus in den 80er Jah-
1991 geschrieben haben : "Unter den ren, für die Bundesrepublik an ckr bruta-
hauptsilchlichen Regionen des intematio- len Kolonisierung der DDR oder am
1Ullenkapitalistischen Systems ist die Re- Rückzug aller etablierten Gro8organisa-
gion der EJHJ jene, wo die objektiven Be- tionen, von CSU über SPD/Gewerk-
dingungen zur Erneuerung der starken schaften bis hin zu den GRÜNEN aus
Idee des SotialismIIs und Komnuuaismus ihren gesellschaftlichen oder Basisbezü-
gegeben siNlln '*stewvpa, gerrule wo gen. Das gesellschaftliche Terrain steht
diese Idee geboren wurr:le,tendiert sie da- ot'fim. Seinen· historischen Anspruch,
ZU, erneut zurllt:/c;zuJce. Dieses Mal WOhlstand und Freiheit für alle Menschen
aber kommt sie zurlkk mit der ganzen a1c- zu bringen, bat das Kapital längst über
1cunwlierten ErjQJarungder internationa- Bord geworfen. ~ vom Ende der Ge-
len ~. Bewegung und mit al- schichte die Rede ist, dann ist hier\'OIl die
ler PotentialitiJt, die tburh die heutige Rede.
Epoche eriJf/net wim .••
Denn der ökonomische Prozeß des Ka-
pitals zieht wie eine Naturkatastrophe
dweh die ~lt. Wie die Zeiten der "Dik-
tatur des Proletariats" wrbci sind, so die
Zeiten, wo. es "geschäftsfiihre Aus-
schüsse des Kapitals" gab, ein steuerndes
und kOntrollierendes politisches Subjekt
des kapitalistischen Gesamtprozesses. So
betont Edzard Reuter, daß Daimler-Benz
sich in keiner ~ise verpftichtet fiible, in
den neuen Bundesländern zu investieren:
"Wir sind nicht Pioniere einer nationalen
oder nationalistischen Sache, sondern
Untemeluner. M&ur in Osttleutschlond
Gewinne zu machen sind, investieren wir.
Aber nicht, 11Ift einigen Politikem einen
Geji;dlen zu tun." (Hamu'dmanager 4191)
Der kapitalistische Gesamtprozeß ist in
seiner dominanten Strömung schoo läDgst
international, bürgerliche ~litit aber
noch immer im Nationalen zuhause, mit
natioDalen Instrumentco operierend.
,.AMers als ihn lbJ1'dnger ZU Zeiten,
als Globalisierung noch nicht das 17tema
war, jiJhlen sich suprrl1llllionale Manager
kei1tmt bestimmten Ltmd gegenilber ver-
pJIicJItet. Vielmehr lockern sielt in _
weltweit tiJtigm UnterneIunen immer 111-
scher die herlc6nrmlichen Bande zwischen
,Ilenen' und ,uns: den Bilrgern eines be-
stimmten Ltmdes. Dtzftb' wenIen wir Zeu-
ge. wie sich eine bIo1tk.ere RJnn von KDpi-
tolismas hermwchtJlt. bei der sielt Mona-
ger QIU iIIme traditiortelIet ~ Qft
JbIk und Herlamjtsort liJsen lI1Id ihn Ent-
~ eher disttmziert. gadttJfts-
miIjJig und ktvUch viJUiglcIIIrlwtd lTIIio-
1tal treJJm. JbIerImItbIiebe isllteIIIe bei
den ~ DU' Jf&IIl von ProdIIIc-
tiora und SIoIrtJon nidrt ",.. ~.1Uer

79
Irmgard MöDer

Erklärung vom 15. 4. 1992

wir wollen gleich kurz folgendes sagen: sellschaft und den internationalen zusam- zugeführt werden.
die entscheidung unserer genossen ist menhängen und beziehungen, ein offener das ginge an der wirklichkeit vorbei und
richtig, sie entspricht dem, worauf auch lernprozeß. wäre eine verhöhnung aller, die einen an-
wir gefangene für den politischen prozeß das muß als erstes für die vier haftunfä- deren begriff der politischen geschichte
aus sind. higen realität werden. der letzten 25 jahre der brd haben als die
wir wollen - seit 89 ja schon - eine zä- bemd und güRter müssen sofort raus. sicherheitsapparate und die staatsschutz-
sur im gesamten politischen zusammen- erst mit ihrer freilassung gibt es wieder justiz und die sich ihre politische ge-
hang. ein solcher schritt kann von allen ein rationales moment in der auseinander- schichte nicht rauben lassen wollen.
beteiligten nicht nur am bereich der gefan- setzung zwischen den politischen gefan- geschichte ist kein staatsbesitz, die
genen angepackt werden. genen und dem staat. dabei geht es um staatsoffizielle version ist nicht unsere.
wir sehen auch heute noch um vieles einen gründlicheren schritt für alle betei- es geht nur so, daß mit gesellschaftli-
deutlicher, als es schon mitte der 80er zu ligten. einen einschnitt gegenüber der ge- chen widersprüchen politisch umgegan-
erkennen war und im hungerstreik 89 von schichte von 22 jahren. genwird.
uns das erste mal politisch angepackt und wir spinnen uns nicht an dem, was real wir, die gefangenen aus rat und wider-
in eine praxis umgesetzt wurde, daß die möglich ist, vorbei, wenn wir sagen: wir stand, und die raf haben dafür den raum
globalen und innergesellschaftlichen um- wollen eine perspektive der freiheit für al- aufgemacht.
brüche so tiefgehend sind, daß sie für alle le von uns in einem absehbaren nächsten mit "taktieren" hat das nichts zu tun.
eine einfache fortsetzung der politik und zeitraum. auch in unserer vorstellung geht irmgard möller
praxis der 70er und 80er jahre unmöglich das nicht sofort und nicht auf einmal für für die gefangenen aus raf und wider-
machen. alle von uns. stand,lübeck, 15.4.92
wer weiter an der notwendigkeit revolu- wir sagen aber ganz deutlich: was 22
tionärer umwälzung der bestehenden jahre lang nach politischen erwägungen
weltweiten und innergesellschaftlichen und kriterien der bekämpfung und ver-
ungerechten und zerstörerischen verhält- nichtung auch gegenüber den gefangenen
Bisse festhält, muß diese umbrüche be- entschieden wurde (von den sondergeset-
greifen und zu einer neubestimmung von zen über die staatsschutzgerichte bis zu
inhalten und formen der eigenen politik den details der isolation) - wogegen wir
kommen, auch im verhältnis zu den je- uns als kollektiv durchgekämpft haben,
weils anderen linken erfahrungen und le- neun von uns gefangenen sind in diesem
bensweisen. kampf gestorben, aber in seinen zielen
wir gefangene begreifen das als direkte haben wir es zum scheitern gebracht,
politische zielsetzung für jetzt und "nach kann nicht· nach diesen jahrzehnten als
dem knast": neuorientierung in der ge- scheinnormales verfahren einer "lösung"

83
r.~'

Die Adressen der Autor Innen

Irmgard Möller Michael Dietiker


Marliring 41 Kleebergerstr. 23
2400 Lübeck 6308 Butzbach

Lutz Thufer Bernhard Rosenkötter


Trift 14 Kleebergerstr. 23
3100Celle 6308 Butzbach

Karl-Heinz Dellwo Sven Schrnid


Trift 14 Kleebergerstr. 23
3100Celle 6308 Butzbach

Knut Folkerts RolfHeißler


Trift 14 Ludwigshafener Str. 20
3100Celle 6710 Frankenthal

Rolf-Clemens Wagner Carlos Grosser


Paradeplatz 5 Schönbomstr. 32
~578 Schwalmstadt 7520 Bruchsal

Helmut Pohl
Paradeplatz 5
3578 Schwalmstadt

AliJansen
Paradeplatz 5
3578 Schwalmstadt
Nachweise:

Norbert Hofmeier Karl-Heinz Dellwo: WIr wollen ein Leben ohne


Krümmede3 Verkauf und Verrat - veröffentlicht im "Ange-
46S0Bochum hörigen-Info" 94 vom 5.6. 1992 unter dem Titel
"Beitrag von Karl-Heinz Dellwo für die I. Mai-
Demo in Göttingen"

Andrea Sievering Gabi Hanka, Siggi Rappe: In konkreten Schritten


Rochusstr. 350 für reale Veränderungen - Der Text vom Okto-
5000 Köln 30 ber 1991 wurde im "Angehörigen-Info" 81 vom
6. 12.1991 unter dem Titel "Gabi Hanka und Si-
grid Happe zur Kampagne ,500 Jahre Kolonialis-
mus und Widerstand'" veröffentlicht.
Eva Haule
Obere Kreuzäckerstr. 4
Martina Bick, Rosmarie Prieß, Marelle Schmeg-
6000 Frankfurt 501 ner, Rosita TIßlITI:Unser Kampf für das Leben -
veröffentlicht u. a. in: "u" 341

Sigrid Happe Norbert Hofmeier: Es gab nicht nur den bewaff-


Obere Kreuzäckerstr. 4 neten Kampf, Antwort auf "Unser Kampf für das
6000 Frankfurt 501 Leben" - veröffentlicht in: "u" 342 vom
6.5.1992

Lutz Taufer: Auf der Suche nach der Strategie des


GabiHanka Glücks, Notizen nach einem Gespräch mit dem
Obere Kreuzäckerstr. 4 Thpamaro Luis Rosadilla - veröffentlicht in:
6000 Frankfurt 501 "u" 337 vom 16.12. 1991

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