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Lieber ...

Morgen ist Dein Referat. Schlag Dich gehörig gegen den Duchesne
15, und nimm auch die anderen dran. Wie zeitgemäß das sein wird!
Du hast natürlich in der "Prawda" vom 5.12. den Artikel von
Alexander Ossipow gelesen. Deine Reaktion, wie die jedes
gescheiten Menschen, ist verständlich. Sehr gerne möchte ich
genauer und besser erfahren, wie sich die Studenten dazu
verhielten. Verstehen sie, daß dieser Unglückliche in seinem Artikel
sich als derartige moralische Null erweist (und dies - das ist die
Hauptsache - nicht einmal merkt), daß dieser Artikel auf den Leser
eine Wirkung ausübt, die das Gegenteil von dem ist, was der Autor
erreichen wollte. Weder hat er sich gerechtfertigt, noch hat er der
Religion geschadet, sondern gezeigt, daß der Herr zur rechten Zeit
die versteckten Judasse offenbart und aus der Kirche entfernt.
Hast Du beachtet, daß im Absatz über das Gebet vor dem Wort
"Gottesdienst" drei Pünktchen stehen? Ich bezweifle nicht, daß
dort irgendein unflätiger Ausdruck stand, etwa
"Gebetsgeschwätz". Sogar die Redaktion hielt es nicht für möglich,
dies zu drucken. Der Geist, der seine Feder führt, schüttet seine
Bosheit hauptsächlich auf den Gottesdienst und auf das
Jesusgebet. Achte darauf! Der gefallene Mensch kommt während
des aufrichtigen und rechten Gebets mit dem Weltenerschaffer in
Beziehung, erhält von ihm große Gnade und die Kraft, den
mächtigen Geist zu verjagen, der sich Gott gleich dünkt. Wie kann
man diese Beleidigung ertragen! Mögen alle die Bedeutung und die
Kraft des Gebets und die Gnade verstehen, die Gott uns Sündern
erweist! Der unglückliche Alexander hat mit seinen Worten über
das Gebet gezeigt, daß er nie auch nur ein einziges Mal gebetet
und folglich auch nie an Gott geglaubt hat. Er sagt sich ja auch
nicht von Gott los und nicht vom Christentum, sondern von seiner
Vorstellung von Religion und von Gott. Seine Lossagung selbst ist
nicht das Ergebnis aufrichtigen Zweifels oder einer Suche.

15 Gemeint ist vermutlich Louis Duchesne (1843-19221, Kirchenhistoriker,


Autor einer "Histoire ancienne de l'Eglise", Paris 1906-1910 (seit 1912 aus
dogmengeschichtlichen Gründen auf dem Index). Möglicherweise wurde dieses
Werk in der Leningrader Geistlichen Akademie, von der hier die Rede ist, im
Fach "Kirchengeschichte" als Unterrichts· und Examenstext benutzt.
Nein. Allzu nichtig sind die Gründe, die er dafür vorbringt. Er ist
sichtlich ein praktischer Mensch, ein Mensch von dieser Welt.
Solange seine Lage mehr oder weniger gesichert war und er ein
hübsches Gehalt beziehen konnte maskierte er sich als Gläubiger,
küßte die Hände der Bischöfe, die er verachtete, und "bereitete
die zukünftigen Priester auf ihre seelsorgerische Tätigkeit vor." Als
jedoch seine Position ins Wanken geriet, beschloß er, an der
anderen Front festen Boden unter den Füßen zu gewinnen.
Solange man seine Lossagung noch brauchen und ihn aufnehmen
konnte, beeilte er sich, dies zu tun, bevor es zu spät war.
Als Jesus Christus nach der Sättigung der Fünftausend vom Brot
des Lebens sprach, gingen viele von ihm weg, da sie seine Worte
nicht akzeptieren konnten. Diese Leute handelten ehrlich. Ihre
sinnliche Klügelei konnte sich nicht bis zum Geist der Wahrheit
aufschwingen. Judas hingegen verließ Jesus Christus nicht, da er
Geld in einer Truhe mit sich führte, das er für sich brauchte. Er
hoffte auf noch Größeres. Gleich wie die anderen erwartete auch
er den Anbruch des Reiches des Messias mit all dessen Wohltaten
für sich selbst. Als er jedoch sah, dass Jesus Christus sein Reich
nicht auf Erden errichten wollte und daß Ihn der Tod erwartete,
nützte er auch dies zu seinem Vorteil aus: Er lief ins Lager seiner
Feinde über, verriet Christus und erhielt die dreißig Silberlinge.
Denn Er mußte ja ohnehin sterben! Nicht umsonst vergleicht man
die Menschen, die sich in unseren Tagen von Christus lossagen, mit
Judas. Dies geschieht nicht, um die Abgefallenen zu beleidigen (sie
verdienen großes Mitleid), sondern weil in beiden Fällen die
seelische Haltung dieselbe ist: Ohne Glauben, sondern aus
Gewinnsucht folgten sie Christus, und aus Gewinnsucht verkauften
sie ihn auch. Verräter haben indes noch nie und nirgends
Vertrauen und noch weniger Achtung genossen. "Der Mohr hat
seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen ... "
Alexander war vor der Lossagung unaufrichtig, und er ist es auch
nach der Lossagung. Er ist ein psychologischer Narr, der sein Haus
auf Sand baut. Ob einer kleinen Versuchung stürzte es ein, und
sein Sturz war groß 16.
Wir warten auf einen Brief von Dir. Geh nicht zur Post bei der
großen Kälte. Vielleicht kommst Du zum Sankt-Nikolaus-Tag?
Gott behüte Dich.
16 Anmerkung des Herausgebers: Dieser Brief wurde zur Zeit der
Kirchenverfolgung unter Chruschtschow verfaßt, als einige Priester vom
Glauben abfielen und dies in der Presse kundtaten. Hier ist die Rede von
Alexander Ossipow, Professor für Altes Testament an der Leningrader
Geistlichen Akademie. Zur Zeit seiner Lossagung von der Kirche stand er
wegen Zweitheirat unter Verbot der Ausübung seines Priesterberufs.

http://www.scribd.com/doc/27159986/Briefe-Eines-Russischen-Starzen-an-
Seine-Geistlichen-Kinder

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