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Voitsberger Manuskripte 2/99

Vom Alter ego zum Ich:


Selbstbildung am Selbstbildnis?

VON DR.ULRICH KOBBE,


DIPLOM-PSYCHOLOGE UND PSYCHOTHERAPEUT, LIPPSTADT

Spiegelstadien aus mir gemacht hat" -«d'etre ce que le crime a fait de moi». Wie
In der forensischen Psychotherapie persönlichkeitsgestörter im Dejä-vu tritt sich der Patient in den Selbstbildnissen ge-
Rechtsbrecher hat sich die Arbeit mit kreativen Medien be- genüber und nimmt - wie Genet - sein gewalttätiges, destruk-
währt (Kobbe & Lenfert ! 9 9 6 a ; b). Sie bietet die Chance des tives Selbst, sein anarchisches, halluziniertesSein, diese furcht-
Zur-Sprache-Bringens noch nicht verbalisierbarer Affekte, bare Wahrheit der Delinquenz selbstidentifikatorisch an.
Phantasien, Selbstanteile - der nonverbalen Seibstexploration Die in verfremdenden Selbstbildnissen enthaltene Metamor-
also: sie ermöglicht zugleich ein therapeutisches Arbeiten im phose erweist sich als "existenzsetzendes 11 Medium der Ver-
präverbalen Raum i, S. einer Entwicklung vom egozentrischen wirklichung, der Vermittlung wie der Auseinandersetzung.
Spiegel-Ich («je speculaire») zum sozialen Ich («je social»)*. Mithin ist der Betrachter - analog zu Kafkas ,Er (l 996. 222) -
Denn die Funktion der Selbstspiegelung erweist sich analog Partner und Gegner zugleich. Und zugleich kennen Erkennt-
zum Spiegelstadium als eine spezielle Funktion der Imago, die nissubjekt und narzißtisches Ich des Patienten einander nur
"eine Beziehung zwischen dem Organismus und seiner Realität bedingt, mißlingen Wiederholung und Wiederkennen, wenn
- oder, wie man zu sagen pflegt, der Innenwelt und der Umwelt die Repräsentation das Präsente nicht vollkommen repräsen-
- herstellt" (Lacan l 970, 93). In zum Teil verfremdeten Selbst- tiert und selbst die Wiederholung desselben nicht das Selbe
bildnissen lassen sich sonst nicht gestattete und nicht sicht- sein kann. Ausgemacht wird diese Differenz hier u.a. wesent-
bare Selbstimaginationen darstellen, kann der Patient sich in lich durch die Präsenz des existentiellen Schattens, mit dessen
ihnen selbst und neu wahrnehmen, sich gegenübertreten und künstlerischer Re-Präsentation sich der Patient als lebensfähi-
selbst konfrontieren. Damit stellen sich Fragen nach der im ges Individuum ebenso dekonstruktivistisch erschafft wie
Spiegelbild scheinbar garantierten Identität und zugleich er- selbstkritisch reflektiert.
zeugten Differenz, indem das Ich - mit Ideal-lchanteilen kon-
frontiert - seine Nichtübereinstimmung mit seiner eigenen Rea- Ich ist ein anderer
lität bewältigen muß (Lacan 1970, 64). Denn auch das Selbst- Insofern ist das Selbstbild kein Abbild, erweist sich das Spie-
bildnis erzeugt - wie das Spiegelbild - eine Mischerfahrung auf gelbild als ein Ebenbild, das keineswegs Doublette eines sich
einer "Linie der Fiktion" mit der Möglichkeit, imaginäre Anteile ursprünglich spiegelnden Ich ist, sondern als Spiegelphänomen
grenzüberschreitend in die reale Welt zu integrieren, subjekti- das narzißtische Selbst-Bewußtsein mit konstituiert. Denn:
ve Empfindung zu objektivieren und damit (an)greifbar zu ma- Das Alter ego der Selbst-Bespiegelung stellt diesem Selbst sei-
chen. Insofern beinhaltet die wiederholte Arbeit am Selbstpor- ne gefährdete Ichidentität im Selbst eines anderen sicher. Ich
trait eine Suche nach der eigenen fremden, der randständig-wi- ist ein anderer - «]e est un autre» - punktuiert Rimbaud ( 1 8 7 1 ,
derständigen Identität. 14) diese brisante Dynamik, in der die Identitätsbildung pas-
sager an das Bild und die implizite Erfahrung des anderen dele-
Spiegel-Ich und Dejä-vu giert wird. Denn das kreative Subjekt entäußert sich im Selbst-
In dieser Auseinandersetzung arbeiten sich gerade persönlich- bildnis, "um ein eigenes Außen zu haben, das er - sich selber
keitsgestörte Rechtsbrecher an immer neuen, verfremdeten reflektierend - zur Begegnung zwingen kann [...], indem er den
Selbstbildern ab und entwickeln sie kreative Möglichkeiten der Spiegel gleichsam beschwört, ihn zwingt zu spiegeln, was er
persönlichen Entwicklung und Reifung, der Selbstbefragung [...] will" (Raddatz 1983, 84). Und andererseits provoziert
und Selbstakzeptanz. In der Logik der dialektischen Spiegel-Me- Rimbaud ( 1 8 7 1 . 12) mit der Feststellung: "Es ist falsch zu sa-
tapher Genets (Raddatz l 980, 83) ist es der Versuch, ein sol- gen: Ich denke: man müßte sagen: Es denkt mich". Denn wenn
cher zu werden wie ... sprich, "das zu sein, was das Verbrechen Ich ein anderer ist, denkt und phantasiert "etwas anderes in uns
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[...] in einer Aggression, die zum Gedanken selbst gehört, in ei- se beginnt" (Lacan 1970, 97).
ner Gewalttätigkeit, die der Sprache zugehört, in einer Verviel-
fachung, die dem Körper eigen ist" (Deleuze l 965, 65). * Alle Übersetzungen aus dem Französischen durch den Ver-
fasser.
Identifikationen
In seinen Selbstbildern jedoch unternimmt der Patient auch den
Versuch, sich selbst zu denken, und verwirklicht damit das, Literatur
was Sartre «presence ä soi» nennt. Am Beispiel Genets arbeitet COOPER, D.G.: LAING, R.D. ( 1 9 7 3 ) Vernunft und Gewalt.
der Autor heraus, daß und wie dem spontanen, zur Bedürfnis- Suhrkamp Verlag
befriedigung drängenden Gefühl unmittelbar ein reflexives, ver-
bietendes Bewußtsein entgegengesetzt ist. Mit diesem Dreh- DELEUZE, G. (1979) Pierre Klossowski oder Die Sprache des
spiegel-Phänomen («tourniquet») läßt sich folgendes Grund- Körpers. In: KLOSSOWSKI, P. et al.: Sprachen des Körpers. Mer-
muster erkennen: "Schnelles Hin- und Herpendeln von einer Po- ve Verlag, S. 3 9 - 6 6
sition zu ihrem Gegenteil ruft den Anschein von Identität
hervor, einer falschen Einheit, die augenblicklich von einem KAFKA, F. (1996) »Er«. In: Gesammelte Werke Bd. 4: Beschrei-
weiteren, ähnlich bewältigten Widerspruch gefolgt sein kann" bung eines Kampfes. Fischer Taschenbuch Verlag, S. 2 l 6 - 2 2 2
(Cooper 1973, 83-84).
Variationen und Metamorphosen des Selbst werden zur krea- KOBBE, U.: LENFERT, B. (I996a) "Kaspar Hauser, mein Bruder
tiven Chance der Aufhebung des sonst chiffrierten, stummen ..." Zu bildlichem Ausdruck und kreativer Verarbeitung archai-
Sprechens, das die verbotene Bedeutung oder abweichende scher Ambivalenz. In: HASELBECK, H. et al.: Kränkung, Angst
Meinung dadurch mitteilt, daß es sie verbirgt. So begegnet der und Kreativität. Verlag Integrative Psychiatrie, S. 1 8 1 - 1 8 9
Patient dem nichtssagenden Sprechen durch die Erzeugung
aussagekräftiger Spiegelbilder seiner selbst. Wenngleich das KOBBE, U.: LENFERT, B. (I996b) "Ich ist ein Anderer11: Bildli-
Selbstbildnis nicht unmittelbare, passiv-reflektierte Spiegelung, cher Ausdruck und kreative Verarbeitung archaischer Ambiva-
sondern mittelbar reflektierendes, aktiv-reflexives Spiegelbild lenz. Sympozjum Polsko-Niemieckie Psychiatria i sztuka. Uni-
ist, stellen sich Fragen nach der in ihm scheinbar garantierten versität Krakow, l 3 . - l 5.04.96
Identität. Denn die zugleich erzeugte Differenz entsteht, indem
durch wiederholte Widerspiegelung nicht Identität erlangt, LACAN, J. (l 970) Ecrits I. Ed. du Seuil, S. 89-97
sondern Altentät erzeugt wird. Insofern sucht und eröffnet sich
der Patient in seinen Selbstbildnissen eine Möglichkeit zur wie- RADDATZ. F.j. (1983) Eros und Tod. Fischer Taschenbuch Ver-
derholten Selbstkonfrontation, doch bleibt die der Identitäts- lag
bildung u. U. paradoxerweise verschlossen: Statt von Identifi-
kation könnte man gegensätzliche, quasi oszillierende Impera- RIMBAUD, A. ( 1 8 7 1 ) in:THERRE, H.: SCHMIDT, R.G.: Arthur
tive - »Identifiziere Dich!« versus »Identifiziere Dich nicht!« - be- Rimbaud. Zweitausendeins l 980, S. l l - 1 2 u. 14-1 9
schreiben. Zur erfolgreichen Selbstfindung des Patienten bedarf
es demzufolge eines transitorischen Vor-Gangs, der dem
künstlerischen Subjekt eine Durchquerung des Drehspiegels
und eine Überschreitung seiner Spiegelselbste - mithin eine De-
zentrierung des Subjekts - abfordern wird.

Selbstverlust
Wenn Narziß in den Spiegel schreitet wie in ein Grab, so wird
anhand der Metapher die Gefährdung des sich spiegelnden
Subjekts in der Entäußerung durch Selbstverlust, durch nar-
zißtische Selbstauslöschung offenbar. Selbsthaß und Selbstlie-
be - "dieses Moment des Identitätstauschs, der keiner ist" (Rad-
datz l 983, 86) - findet sich bei Genet in der Figur des Spiegel-
Adam («Adam Miroir»), der erst lebendig wird und zu tanzen
beginnt, wenn er durch Spiegelwände multipliziert wird. Die
Multiplikation unseres Patienten verleiht ihm ebenfalls farbig-
facettenreiche Lebendigkeit, täuscht in den Portraits dennoch
nur Leben vor und vermag die statuenhafte Starre des Double
nicht aufzulösen. Zu Ende gedacht, riskiert dieser Versuch der
Selbstausbeutung und Selbstbelebung bei schwer gestörten
Patienten zur identifikatorischen Selbstaneignung monströser
Varianten von Identität zu geraten. "In der Zuflucht, die wir für
das Subjekt vor dem Subjekt schützen, kann die Psychoanaly-
se den Patienten bis zur ekstatischen Grenze des «Dies bist Du»
begleiten, wo sich ihm das Zeichen seines sterblichen Schick-
sals enthüllt, doch steht es nicht in der unsTherapeuten eige-
nen Macht, ihn zu dem Punkt zu führen, an dem die wahre Rei-

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