BÜCHER MACHEN POLITIK
Geheim wie die Cola-Formel
Warum ein CDU-Außenpolitiker ein Buch verfasst, das aber auf keinen Fall vor der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen bekannt werden darf VON JÖRG LAU
W enn ein Politiker in einem Wahljahr ein
Buch schreibt, möchte er damit — ge-
wöhnlich - zusätzliche Aufmerksamkeit
für seine Positionen erreichen. Aber was, wenn ein
Politiker sein Buch vor einer wichtigen Wahl lieber
nicht besprochen sehen will? So verhält es sich mit
Ruprecht Polenz, der seit vielen Jahren im Bundes-
tag sitzt und der der außenpolitische Kopf der
CDU ist. Sein Buch trägt den Titel Besser ßir
beide. Die Türkei gehört in die EU-•was für einen
CDU-Politiker eine erstaunliche Position ist.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses
des Bundestages widerspricht also der Türkei-
politik seiner Partei und der Kanzlerin, die die
Türkei mit dem Konstrukt einer »privilegierten
Partnerschaft« abspeist? Da würde man gern ei-
nen Blick auf die Druckfahnen werfen — zumal
der Katalog mitteilt: »Erscheint im Mai 2010«.
Nun fragt sich bloß: Wann genau im Mai
2010? Wer sich bei der
Pressestelle um ein Vor-
abexemplar bemüht, wird
von den peinlich berührten
Verlagsmitarbeitern um
Verständnis gebeten. Lei- Noch
der sei es in diesem Fall nicht im
ausnahmsweise nicht mög-
lich, das Buch zeitig he-
Handel
rauszurücken. Doch, doch,
fertig sei es zwar schon
längst. Aber erst für den
10. Mai würden Vorbestel-
lungen entgegengenommen. Ach ja, auch zwei
Diskussionsveranstaltungen seien bereits geplant
- eine in Hamburg mit dem Herausgeber der
Buchreihe, dem ehemaligen ZE/T-Chefredak-
teur Roger de Weck, eine in Berlin mit Hans-
Dietrich Genscher. Vor der Wahl in Nordrhein-
Westfalen jedoch bleibt der »Standpunkt von
Ruprecht Polenz« Betriebsgeheimnis, gehütet
wie die Coca-Cola-Formel.
Der Autor selbst gibt sich ebenfalls zu-
geknöpft. In NRW werde ja auch nicht über den
Türkeibeitritt abgestimmt. Richtig. Allerdings ist
\h
die EU-Erweiterung ein Thema: Ruprecht Po-
lenz schlägt wie allen Wahlkämpfern eine massive
Wut gegen die Griechen entgegen — und gegen
diejenigen, die sie in die EU gelassen haben. Da
wäre es verwegen, gleich über die nächste Erwei-
terung der EU zu reden.
Schade, denn Polenz hätte einiges Interessan-
tes zu sagen darüber, wie rational eigentlich eine
Erweiterungspolitik nach dem Motto »Griechen
rein« und »Türken raus« war, die mit der ver-
meintlich größeren historisch-kultureüen Nähe
der Hellenen argumentiert (von der nun nicht
mehr viel übrig ist). Und warum man die Türken
skrupulösen EU-Reporten und Reformzwängen
unterwirft, wahrend das Mitglied Griechenland
schummeln konnte.
Doch der wahre Grund für das Nichterschei-
nen dieses Buchs bis zur Wahl ist wohl eher ein
innenpolitischer, genauer gesagt: identitätspoliti-
scher. Die Ablehnung des
Beitritts der Türkei ist für
manchen so etwas wie der
Ruprecht Polenz:
Besser für beide. ^ ^ Walfischkno„
chen im Korsett der Partei
Die Türkei gehört
in die EU — nach der Flexibilisierung
Edition von Familien- und Integra-
Körber-Stiftung, tionspolitik. Polenz wettet
10,- Euro, darauf, dass man diesen
erscheint im Mai Knochen nicht mehr
— braucht, ja dass man sogar
freier atmet ohne das alte
Ding. Das ist natürlich
nicht ohne Risiko. Doch Polenz zielt auf einen
inneren Widerspruch der Unionspolitik, den
man nicht mehr verleugnen kann: Zur inneren
Öffnung für Integrationsthemen passt die dog-
matische außenpolitische Schließung nicht mehr.
Hier lebende Türken zu gewinnen und außen-
politisch das islamisch geprägte Land Türkei an
Europa zu binden — das sind zwei Aspekte einer
Politik, die den Frieden mit der muslimischen
Welt gestalten will.
Und warum durften das die Wähler in NRW
nicht erfahren?