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16 Kulturkreatives Spektrum

Das Engagement für Gemeingüter – für die

Zeit für
natürlichen, sozialen und kulturellen Res-

sourcen, von denen wir alle leben – ist ein

Allmende?
gemeinsamer Nenner vieler kultukreativer

Bewegungen weltweit. Es gilt, sich dessen

bewusst zu werden und eine Bewegung für

Gemeingüter zu stärken.
Lara Mallien sprach mit Julio Lambing

S über das Manifest der Heinrich-Böll-Stiftung


eit April 2008 hat im Rahmen des interdiszipli-
nären Salons der grünen Heinrich-Böll-Stiftung
eine Arbeitsgruppe zum Thema „Gene, Bytes
zum Thema Gemeingüter.
und Emissionen: Zeit für Allmende“ regelmäßig getagt.
Daraus entstand das nebenstehende bemerkenswerte
Manifest. Lara Mallien sprach mit Julio Lambing, dem
Geschäftsführer des europäischen Wirtschaftsverbands
„European Business Council for Sustainable Energy“
(abgekürzt „e5“) und einer der Mitautoren des Mani-
fests.
Lara Mallien: Herr Lambing, wie kam es dazu, dass Sie sich
an dieser Veranstaltung der Böll-Stiftung zum Thema
Gemeingüter beteiligt haben?
Julio Lambing: Die ersten Treffen des Salons habe ich
leider verpasst. Ich bin erst im Herbst 2008 angespro-
chen worden, ob ich nicht bei der Runde mitmachen
wolle, und mir erschien das Projekt als politisch sehr
weitsichtig. Als Geschäftsführer von e5 vertrete ich jene
Teile der europäischen Wirtschaft, die sich für eine
starke Klimapolitik und für eine nachhaltige Nutzung
und Produktion von Energie einsetzen. Ein ökologisch
ausbalanciertes, lebensfreundliches Klima ist ein zen-
trales Gemeingut der Menschheit. Das war der Bezug
zum Salon. Eine sichere Energieversorgung ist in entwi-
ckelten Ökonomien ebenfalls ein öffentliches Gut. Eine
dritte Schnittstelle lag für die Böll-Stiftung wohl darin,
dass e5 seit einiger Zeit darauf drängt, „Wissensallmen­
den“ für den Klimaschutz zu nutzen: Es gibt diese inno-
vativen Ansätze der Open-Source-Bewegung, die nicht
mehr nur bei der Erstellung von kostenloser Software,

unknown
sondern auch schon bei der Entwicklung von Hardware
eingesetzt werden. Wir fragen uns: Wie kann man solche
Ansätze für die beschleunigte Entwicklung von sanften Menschen nicht leicht fällt, sofort eine Reihe praktischer verhelfen. Denn es gibt ein bemerkenswertes Poten-
Technologien und deren Verbreitung in Entwicklungs- Beispiele zu assoziieren, wenn dieser Begriff fällt. zial für die Entstehung einer starken Bewegung, auch
und Schwellenländern einsetzen? Ich bin auch nicht ganz glücklich mit dieser Termino- wenn bis jetzt nur viele einzelne Initiativen zu unter-
● Wie ist Ihre persönliche Verbindung mit dem Thema logie, mein Vorschlag in der Runde war, den Begriff schiedlichen Themen in unterschiedlichen Milieus und
„Gemeingüter“? „Allmende“ stärker in den Vordergrund zu stellen, aber Ländern existieren – die noch dazu selten voneinander
Das ist nicht leicht zu beantworten … Vielleicht liegt es das war den meisten zu altertümlich. Man kann den wissen oder gar auf die Idee kommen, es gäbe da einen
daran, dass ich nicht in einer Kleinfamilie, sondern in englischen Begriff der „Commons“ und die Begriffe All- gemeinsamen Nenner zwischen so entfernten Gebieten
einem christlichen Kinderheim aufgewachsen bin. Da mende und Gemeingüter als Synonyme verwenden. Sie wie der Creative-Commons-Bewegung im Internet, dem
wird man durch das Zusammenleben in einer größeren bezeichnen ein sehr weites Spektrum: Es gibt natürliche Protest gegen die Patentierung von Saatgut, Klimaschutz
Gruppe mit den Anliegen anderer konfrontiert. Neben Gemeingüter, wie das Meer, Bodenschätze oder Saatgut, und den Bemühungen indigener Völker um Recht an
politischen und ökologischen Themen haben mich dann soziale Gemeingüter, wie öffentliche Krankenver- ihrem Land.
schon als Dreizehnjähriger Philosophie und Sozialtheo- sorgung, und schließlich unser kulturelles Erbe in Form Der Begriff der Commons schafft da einen Brücken-
rie interessiert. Mein Klavierlehrer lieh mir „Haben oder von Musik, Märchen, Tänzen, Architektur usw. Das Wort schlag. Der Bogen reicht von Open Source, Patentwesen,
Sein“ von Erich Fromm, ein Buch, das mich sehr geprägt „Allmende“ hat für mein Gefühl eine größere Weite als Urheberrecht, Bürgerrechten über Wasser- und Ener-
hat: Wie werden Menschen glücklich, was brauchen sie, „Gemeingut“, weil wir bei „Gütern“ oft an etwas Materi- gieversorgung, der Aneignung von öffentlichem Raum,
damit sie glücklich sind? Und was hat die Gesellschaft elles denken. wie Parks und öffentlichen Plätzen, bis hin zur Wahrung
damit zu tun? Nach dem Abitur lernte ich dann eine ● Das Manifest spricht von einer gesellschaftlichen von Traditionen. Hier können wir Pflege und Schutz von
alternative Gemeinschaft kennen, die sich als Modell für Bewegung für Gemeingüter. Kann man tatsächlich davon Allmenden als gemeinsame Herausforderung begrei-
ein ökologisches und friedliches Leben verstand. Diese sprechen, dass es so eine Bewegung bereits gibt? fen. Auf der einen Seite steht ein jahrhundertalter Trend
Verknüpfung ist bis heute mein Leitfaden in der Ausein­ Von einer übergreifenden, internationalen Bewegung von Einhegung von Allmenden. Etwa wenn Bauern,
andersetzung mit dem Thema Gemeingut. kann man noch nicht sprechen. Das Manifest war ein Feudalherren oder der Staat gemeinschaftliche Wälder,
● Der Begriff „Gemeingut“ klingt auf den ersten Blick erster wichtiger Versuch, einem zarten, andeutungsweise Fischgründe oder Weideland aufteilen, einzäunen und
etwas sperrig und abstrakt. Ich habe festgestellt, dass es vorhandenen Pflänzchen zu einem Wachstumsschub zu sich einverleiben. Etwa wenn im kulturellen Bereich
Kulturkreatives Spektrum 17
Gemeingüter stärken. Jetzt! für alle verfügbarer Schatz an freier Kultur. Gepflegt und Preise für lebenswichtige Medikamente. Die Alternativen
Thesenpapier (gekürzt) des Interdisziplinären Politischen erweitert von vielen, unverzichtbar wie die Wikipedia. Wis- entstehen aus der Bewegung für Gemeingüter. Das belegen
­Salons der Heinrich-Böll-Stiftung „Zeit für Allmende“. senschaftler und Aktivistinnen, Bürger und Politikerinnen zahlreiche Projekte für gerechtere Lizenz- und Anreizmo-
entwickeln neue Ideen für eine robuste Sphäre der Gemein- delle in Wissenschaft und Kultur.
Die Explosion von Wissen, Technologie und Produktivität er- güter – überall. Die Besinnung auf Gemeingüter zwingt zu einer grund-
möglichte eine nie gesehene Mehrung privaten Reichtums. Gemeingüter werden gepflegt und kultiviert. Menschen sätzlichen Neuausrichtung des herrschenden Eigentumsbe-
Dies hat unsere Lebensqualität in vielerlei Hinsicht verbes- unterhalten Nachbarschaftseinrichtungen in ihrem Stadt- griffs. Gemeingüter sind Grundlage des Lebens im doppelten
sert. Doch zugleich haben wir zugelassen, dass die Quellen teil, betreuen Spielplätze, gründen Bürgerstiftungen, über- Sinn. Ohne natürliche Gemeingüter kein Überleben. Ohne
versiegen und der gesellschaftliche Reichtum schwindet. liefern und erweitern Kulturen, Geschichten und Erinne- kulturelle Gemeingüter kein Mensch-Sein. Alle sind von den
Das führen uns die vielfach miteinander verbundenen Kri- rungen. Sie engagieren sich für das Gemeinwohl und neh- hier aufgeworfenen Fragen unmittelbar berührt. Die Unter-
sen von Finanzen, Wirtschaft, Ernährung, Energie, Ökologie men den Staat in die Pflicht. Dafür bekommen sie etwas nehmen brauchen Gemeingüter, um in Zukunft noch Geld
vor Augen. Sie schärfen das Bewusstsein für die Existenz zurück, denn in einer Kultur der Gemeingüter leben, heißt zu verdienen. Wir alle brauchen sie zum (Über-)Leben. Das
und die Bedeutung der Gemeingüter. Gemeingüter bieten geben und nehmen. Das begründet Rechte und Pflichten ist eine wesentliche Erkenntnis, sie begründet, warum bei
Wege aus der Krise, aber sie haben keine systematische An- zugleich. Der Einsatz für unseren gemeinschaftlichen Reich- Gemeingütern die Nutzungsrechte der Allgemeinheit immer
waltschaft. Es gibt in unserer Sprache nicht einmal einen tum entspricht dem Wunsch nach Kreativität und Inspira- höher zu bewerten sind als die Nutzungsrechte privater Un-
machtvollen Begriff für sie. Diese Wortmeldung ist unser tion, nach Selbstentfaltung in sozialen Beziehungen, nach ternehmen. Hier hat der Staat eine Schutzpflicht, aus der
Beitrag, den Gemeingütern eine Stimme zu geben. Achtsamkeit und gegenseitiger Anerkennung. Es geht um er nicht entlassen werden darf. Doch dies bedeutet nicht,
Einfaches: Um das Bedürfnis, voneinander zu lernen und die dass der Staat immer der beste Treuhänder für die Interes-
Was Gemeingüter ausmacht und warum sie wesentlich sind Dinge vortrefflich um ihrer selbst Willen zu gestalten. sen der betroffenen Menschen ist. Die Herausforderung be-
Gemeingüter (Commons, Allmende) sind vielfältig. Sie sind Gemeingüter beruhen auf Gemeinschaften, die sich küm- steht ­darin, ergänzende Institutionen und Organisations-
Grundbestand und Voraussetzung unseres gemeinschaft- mern, eigene Regeln setzen, ihre Fertigkeiten und Wert- formen sowie innovative Zugangs- und Nutzungsregeln für
lichen Reichtums. Dazu gehören Wissen und Wasser, Saat- vorstellungen ausbilden. In diesen immer neuen, durch- Gemeingüter durchzusetzen – nicht nur, aber auch jenseits
gut und Software, Kulturtechniken und die Atmosphäre. Ge- aus konfliktreichen Prozessen entsteht Einbindung in das von Markt oder Staat: „Zum Wohle der Allgemeinheit“.
meingüter sind unabdingbar, doch sie sind kein Ding, denn jeweils Größere. In einer Kultur der Gemeingüter ist Ein-
sie sind mit uns in vielfältiger Art und Weise verbunden. Sie schluss wichtiger als Ausschluss, Zusammenarbeit wichtiger Für eine Gesellschaft, in der Gemeingüter gedeihen
bilden das Netz einer freien Gesellschaft. als Konkurrenz, Autonomie wichtiger als Kontrolle. Aus der So verschieden die Gemeingüter und die Menschen, so
Gemeingüter gehören keinem Einzelnen, aber auch Absage an Monopolisierung von Informationen, Reichtum verschieden die Organisationsformen der Nutzergemein-
nicht niemandem. Sie werden in unterschiedlichen Ge- und Macht entsteht Vielfalt immer wieder neu. Natur er- schaften. Sie begegnen uns überall: selbstorganisiert und
meinschaften, von der Familie bis zur Weltgesellschaft, scheint nicht als allseits verfügbares Eigentum, sondern als vielgesichtig. Als Vereine, private Agenturen, Netzwerke,
geschaffen, erhalten, gepflegt und immer wieder neu defi- gemeinsame Lebensgrundlage. Kooperativen, Genossenschaften und treuhänderische Or-
niert. Wenn dies nicht geschieht, verkümmern sie. Mit ih- Niemand darf den Gemeingütern mehr entnehmen, als ganisationen. Ihre Regeln und ihre Ethik erwachsen aus den
nen schwindet unsere Lebenssicherung. Gemeingüter sind er an sie zurück gibt. Das gilt für Marktteilnehmer wie für Bedürfnissen und den Organisationsprozessen der jeweils
Bedingung dafür, dass Menschen leben und sich entfalten den Staat. Wer die Gemeingüter füllt, anstatt nur aus ih- Betroffenen. Vertretungen der Gemeingüter haben nicht
können. Die Vielfalt der Gemeingüter bedeutet Zukunft. nen zu schöpfen, verdient Prestige und gesellschaftliche ein Zentrum, sondern viele Zentren. Wir brauchen sie lokal,
Gemeingüter sind Grundlage jeden Wirtschaftens. Sie Anerkennung. Das Handeln der Wirtschaft, des Staates und regional und global. Konflikte können in übersichtlichen
müssen deshalb auch Ergebnis unseres Tuns sein. Wir müs- des einzelnen Menschen den Gemeingütern zu verpflichten, Gemeinschaften und Gemeingütersystemen direkt geklärt
sen Gemeingüter ständig reproduzieren, denn wir verwen- muss zur Grundlage wirtschaftlichen, politischen und per- werden. Doch für globale Gemeingüter können sie eine fast
den überliefertes Wissen und verfügbare Rohstoffe zur Her- sönlichen Erfolgs werden. unlösbare Herausforderung darstellen, denn wo kommt die
stellung von Konsumgütern, für Kultur und Bildung. Unser „Weltgemeinschaft“ wirklich zusammen? Wie soll sie sich
Sozialwesen bettet den Wirtschaftsprozess in das gesell- Weder Niemandsland noch schrankenloses Eigentum auf die nachhaltige Nutzung ihrer gemeinschaftlichen Res-
schaftliche Zusammenleben ein. Raubbau an den Ressour- Für Gemeingüter ist nicht allein die Rechtsform des Eigen- sourcen einigen? Je komplexer das System, umso notwen-
cen, Scheitern von Bildung, fehlende Kreativität oder ge- tums entscheidend. Entscheidend ist, ob und wie gemein- diger ein institutioneller, transparenter Rahmen für den
fährdete soziale Bindungen beeinträchtigen das Gesamte. schaftsorientierte Nutzungsrechte an Gemeingütern durch- sorgsamen Umgang mit Gemeingütern. Wo der Staat dies
Gemeingüter werden oft verdrängt – erst aus dem Leben, gesetzt und gesichert werden. „Eigentum verpflichtet. Sein leistet und Gemeingüter schützt, wird staatliches Handeln
dann aus dem Bewusstsein. Ein Grund dafür ist das Bean- Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit die- von der Gesellschaft getragen werden.
spruchen eines grenzenlosen Verfügungsrechts Einzelner nen“ (Art 14 Abs. 2 GG). Diese im Grundgesetz verankerte Gemeingüter brauchen mehr als nur Regeln. Wir müssen
über die Dinge. Doch wo faire Nutzungsrechte von Wasser Einschränkung benennt die Grenzen der Verfügbarkeit des uns bewusst machen, dass Regeln die Kunst ihrer sachge-
und Saatgut im ökonomischen Kalkül oder durch staatliche Einzelnen an unserem gemeinschaftlichen Reichtum. Denn rechten Anwendung voraussetzen. Gemeingüter werden ge-
Willkür beschnitten werden, wo Raubbau unser natürliches jede individuelle Nutzung beinhaltet auch die Nutzung des- tragen von einem spezifischen Ethos sowie vom Willen zum
Erbe zerstört, wo Bresche um Bresche in öffentliche Räume sen, was uns gemeinsam zugehörig ist. Mit meinem Mobil- Erwerb und zur Weitergabe unzähliger Fertigkeiten. Diese
geschlagen wird, wo Patentierung von Software Kreativität telefon funke ich durch das elektromagnetische Spektrum. besondere Kundigkeit braucht einen angemessenen Platz in
und Wirtschaft beschränkt, wo verlässliche Netze fehlen, Mein Auto belastet unsere Luft. Ein markanter Einfall kenn- unserer Gesellschaft. Eine Kultur der Gemeingüter beinhal-
da nehmen Abhängigkeit und Unsicherheit zu. zeichnet mein Werk, doch ich schöpfe es auch aus dem öf- tet deshalb die öffentliche Wertschätzung und die aktive
fentlichen Wissensfundus. finanzielle und institutionelle Förderung jener Ansätze und
Es gibt etwas Neues. Eine gesellschaftliche Bewegung! Exklusive, andere ausschließende private Eigentums- Projekte, die Wissen und Werte für eine lebendige Gemein-
Es ist eine Bewegung, die Aufhebenswertes erinnert. Eine rechte an Gemeingütern kann es daher nicht geben. Egal, gütersphäre vermitteln.
Bewegung, die würdevolles Leben erkämpft und Neues ob die entsprechenden Dinge materieller oder immaterieller Konflikte sind Teil der Vielfalt und ständigen Reproduk-
schafft. Eine Bewegung, die den Horizont dessen zeich- Natur sind; ob sie der natürlichen, kulturellen oder sozialen tion der Gemeingüter. Ergänzend zu rechtsstaatlichen Ver-
net, was in einer Kultur der Gemeingüter möglich ist. Sphäre zugehören. Um Übernutzung und Unternutzung zu fahren setzt Konfliktschlichtung hier institutionelle Neue-
Gemeingüter werden wiederentdeckt und verteidigt. Men- vermeiden, ist jegliche Eigentumsform mehr denn je an zwei rungen voraus; Zukunftsräte und Mediationsstellen, inter-
schen in aller Welt wehren sich gegen die Risse im Netz, das Bedingungen zu messen: Zum einen muss bei jeder Nutzung disziplinäre Netzwerke und Treuhänder. Sie alle entstehen
sie trägt: Gegen Staudamm- und Bergbauprojekte, die Leben gewährleistet sein, dass Gemeingüter nicht in ihrem Be- nach Bedürfnis- und Konfliktlage immer wieder neu.
und Land zerstören. Gegen ein Wirtschaften, das dem Klima- stand zerstört oder verbraucht werden. Zum anderen muss Sich der Gemeingüter zu besinnen heißt: unsere Lebens-
wandel Vorschub leistet. Gegen das Zwängen von Bildungs- gewährleistet sein, dass niemand, der anspruchsberechtigt bedingungen bewusst zu machen und auf allen Ebenen zu
und Gesundheitseinrichtungen in profitorientiertes Denken. oder auf die jeweiligen Gemeingüter angewiesen ist, von erforschen, wieviel Produktivität und Reichtum wir aus den
Gegen die Manipulation unseres Erbguts und die überzogene Zugang und Nutzung ausgeschlossen wird. Gemeingütern schöpfen. Es erfordert ein grundständiges
Einschränkung unseres Zugangs zu Wissen und Kultur. Was öffentlich war oder öffentlich finanziert ist, muss öf- Nachdenken über die Verfasstheit der Gesellschaft. Es heißt,
Gemeingüter werden neu geschaffen und aufgebaut. Un- fentlich zugänglich bleiben. Nur so kann etwa die vom Ge- in Freiheit und selbstbestimmt unseren gemeinschaftlichen
zählige Menschen schaffen Neues für alle und beziehungs- meinwesen getragene Forschung allen dienen. Es gibt kei- Reichtum nutzen, teilen und mehren.
reiche Orte für sich. Sie investieren Energie in interkul- nen überzeugenden Grund, Verleger oder Pharmakonzerne Unsere Gesellschaft brauchen eine große Debatte und
turelle Gärten, betreiben nachhaltigen und ökologischen mit exzessiven und exklusiven Verwertungsrechten an öf- eine allgegenwärtige Bewegung für Gemeingüter. Jetzt!
Landbau oder entwerfen intergenerationelle Wohn- und Ar- fentlichen Forschungsergebnissen auszustatten. Dennoch
beitsprojekte. Sie erstellen freie Software und freies Wis- geschieht es. Das Ergebnis: der Allgemeinheit nahezu unzu- Weitere Informationen: http://www.commonsblog.de.
sen, schaffen freie Filme, Musik und Bilder. So entsteht ein gängliche wissenschaftliche Zeitschriften und überteuerte Kontakt: Silke Helfrich, E-Mail: Silke.Helfrich@gmx.de.
18 Kulturkreatives Spektrum
sich ein Medienkonzern durch Zeichentrickfilme alte lutistisch, reaktionär und kulturimperialistisch, selbst
Märchen und Sagen aneignet, die Bilderwelt unserer der kambodschanische Steinzeit-Kollektivismus von
Kinder damit prägt, aber dann Markenrechte und Pol-Pot wurde als mahnendes Beispiel bemüht. Wenn
Lizenzgebühren für diese Darstellungen geltend macht. bestimmte Milieus mit dem Wort „Gemeinschaft“ kon-
Oder wenn Wissen, das in öffentlich finanzierten Univer- frontiert werden, dann tauchen dort sofort Bilder von
sitäten geschaffen wird, nicht mehr der Allgemeinheit einem stickigen und rigiden mittelalterlichen Dorf auf
zur Verfügung steht, sondern in wenig transparenten – oder die „Volksgemeinschaft“ der Nazis. Aber solche
Verfahren verkauft wird. Auf der andern Seite stehen Verdächtigungen sind absurd, wenn man sich die Liste
erstarkte Bewegungen, die sich gegen die ökologische der Autoren anschaut, selbst wenn ich zugeben muss,
Übernutzung wichtiger Allmenden, wie etwa die Atmo- dass der Begriff Gemeinschaft in dem Manifest etwas
sphäre oder das Meer, zur Wehr setzen. Oder Initiativen, zu unspezifisch verwendet wird. Unter der Klammer
die neue Allmenden schaffen, indem sie freie Musik oder „Nutzergemeinschaft“ wird da allzu viel in einen Topf
Filme ins Internet stellen. geworfen, von der Familie bis zur Weltgemeinschaft, die
Gegenüber der Debatte über eine kulturkreative aber außer einer metaphorischen Wortwendung eigent-
Bewegung hat die Gemeingüter-Diskussion z. B. den lich wenig gemeinsam haben.
Vorteil, dass sie nicht explizit mit der Themenstellung ● Wie würden Sie hier den Unterschied beschreiben?

istockphoto
der Spiritualität herumlaboriert. Trotzdem gibt es auch Ich glaube nicht, dass es Gemeinschaft auf Nationen-
hier eine Art spirituelles Thema: den Bezug zu einem und „Volks“-Ebene geben kann, außer als gemeinge-
„großen Ganzen“. Es geht um etwas Übergeordnetes. sind ebenfalls zentrale Eigenschaften, die mir einfallen. fährliche Illusion. Auf der Ebene von Staaten kann man
Das jeweilige Allgemeingut kann die Erde insgesamt Und ganz wichtig ist natürlich auch das Streben nach nie eine gemeinsame, aussagekräftige Vorstellung von
sein, es kann auch das Zwischenmenschliche sein, eine Vortrefflichkeit – dass man z. B. die denkbar schönsten einem guten Leben entwickeln und deshalb auch keine
Geschichte oder die Umgebung, in der man gerade lebt, kulturellen Gemeingüter schaffen möchte, die pfiffigste gemeinschaftliche Kultur. Ich denke, dass die Griechen
der Wald, die Wiese oder die Stadt. Auf jeden Fall immer Softwarelösung oder den besten Wikipediaartikel. mir ihrer antiken Polis uns einen guten Fingerzeig
etwas Größeres, das nur existieren kann, wenn ich mich ● Aber wie soll eine Kultur all das lernen? für die maximale Größe eines sozial überschaubaren
darum kümmere und es pflege. Daraus folgt ein weiterer Ich denke, der Schlüssel sind hier Gemeinschaften. Ich Zusammenhangs gegeben haben, also etwa 50 000 Bür-
Bezugspunkt zum Spirituellen: Werte und persönliche meine hier tatsächlich lokale Gruppen von Menschen, ger und Bürgerinnen.
Veränderung. Denn das Kümmern um eine Allmende die ein wie auch immer gestaltetes, gemeinsames Leben ● Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, mit einem
bedarf einer Vielzahl von konkreten Handlungen und führen, in dem sie vielfach aufeinander bezogen sind. solchen Aufruf die Menschen zu erreichen und politische
fordert eine Ethik, beispielsweise die „Tugend der Acht- Wenn man heute isoliert in einer Stadt lebt, geht man Veränderung zu bewirken?
samkeit“. Und das nicht aus selbstbezogenen Gründen – meist irgendwo zur Arbeit, trinkt irgendwo anders Bier, Ich weiß es nicht. Sicherlich ist es wertvoll, wenn solche
weil ich erleuchtet werden oder mich spirituell weiter- geht wieder woanders hin zum Fitness-Training. Die Thesen in Umlauf kommen. Aber ein Manifest ist eigent-
entwickeln möchte. Sondern weil nicht nur ich, sondern persönliche Umgebung ist zerrissen, die Rollenanforde- lich eine abgenutzte Ausdrucksform. Früher war es der
auch meine Kinder und alle Menschen gut leben sollen. rungen an einen sind jeweils anders und unverbunden. Aufruf, der von Hand zu Hand weitergereicht wurde,
● „Tugend“, das klingt für viele sehr altmodisch … Was liegt da näher als zu sagen: „Es ist beliebig, wie heute veröffentlicht jede Woche irgendjemand irgendwo
Ja, aber ich glaube, dass es besser ist, im Zusammen- ich handle. Was zählt ist, dass ich jeweils vor Ort Erfolg ein Manifest. Das senkt die Aufnahmebereitschaft.
hang mit Gemeingütern über Tugenden nachzudenken habe mit dem, was ich tue.“ Eine Tugend ist aber eine Ich glaube ja an die Kraft des Erzählens eines Mythos.
statt über Regeln, wie derzeit oft üblich. Im Zentrum des charakterliche Einstellung, die in unterschiedlichen Man spricht heute gerne vom modernen wissenschaft-
Selbstverständnisses der westlichen Kultur stand ein Situationen Handlungen eines ähnlichen Typs verlangt. lichen Zeitalter im Gegensatz zur Vergangenheit, wo die
Regelkatalog, die zehn Gebote. Deshalb glauben wir im Das geht nicht mit zerrissenen, anonymen Verhältnis- Menschen noch im Bann des Mythos gelebt hätten. Aber
Westen bis heute, menschliches Handeln nur durch die sen. „Tapfer“ oder „weise“ ist man immer nur als ganzer das ist Unsinn. Wir haben heute nicht weniger Mythen,
Befolgung von Regeln beschreiben und steuern zu kön- Mensch, nicht als Spieler einer gesellschaftlichen Rolle. nur andere. Der Mythos vom Fortschritt ist tief in unsere
nen. Aber alles zu verregeln – und als Konsequenz alles Das lernt man nur in einer Gemeinschaft, die uns über Kultur und unsere Sprache eingegraben: Der eine ist
zu verrechtlichen – führt in eine Sackgasse. Sicherlich unterschiedliche Rollen herausfordert und bildet. „weiter“, „seiner Zeit voraus“, der andere ist „rück-
sind Regeln für die erste Einweisung in eine Praxis wich- Sicherlich muss ein Teil der Pflege von Gemeingü- schrittlich“. Dieser Mythos, der mit der Aufklärung stark
tig, aber schon bei so elementaren Dingen wir Kochen tern über staatliche Institutionen geregelt sein, z. B. dass geworden ist, sagt: Die menschliche Kultur entwickelt
oder Musik wissen wir, wie begrenzt das ist. Ein rich- Staaten sich verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen sich wie ein einzelner Mensch vom Kind zum reifen
tiger Koch muss weit mehr beherrschen als nur Rezept- zu drosseln. Das gilt nicht nur für die globalen Gemein- Erwachsenen. Die menschliche Kultur wird immer frei-
bücher zu befolgen, und ein Musiker mehr als Noten güter, sondern auch für lokale Zusammenhänge: Wenn er, vernünftiger, gesünder, mächtiger usw. Ob man mit
abspielen. Wenn Gemeingüter gedeihen sollen, dann ist der Nachbarbauer Pestizide auf Ihr ökologisch zertifi- Menschen von den Grünen, der Linken oder der spiritu-
Know-How vonnöten sowie diverse Fertigkeiten – und ziertes Feld streut, braucht es wohl Gesetze und Insti- ellen Bewegung spricht: Immer geht es um diese Bewe-
eben Tugenden. tutionen. Aber der entscheidende Punkt ist: Das reicht gung vom Niederen zum Höherentwickelten. Dazu passt
● Welche Tugenden braucht eine Gemeingüter-Kultur? nicht aus, eine Kultur der Gemeingüter zu verankern, dann auch das Klischee vom dunklen Mittelalter als Ort
Dass diese Tugenden nicht genauer benannt werden, wir brauchen darüber hinaus ein pflegendes Verhalten, der religiösen Hysterie, der Intoleranz und der Unfrei-
ist eine Schwäche des Manifests. Ich glaube, es geht und das kann nur in überschaubaren sozialen Zusam- heit, mit seinen engen Gemeinschaften. Dieser Mythos
vor allem um Achtsamkeit und die Anerkennung der menhängen eingeübt und kultiviert werden. Hätten die mag den Menschen eine Zeitlang viel Kraft in ihren
wechselseitigen Abhängigkeit. Man ist abhängig von den Jugendlichen, die vor wenigen Tagen auf dem Sollner Kämpfen für eine bessere Welt gegeben haben, aber ich
ökologischen Gemeingütern, aber es gibt auch eine reale Bahnhof bei München einen fremden, sie „nervenden“ halte ihn für genauso irreführtend wie sein Gegenstück,
Abhängigkeit von Menschen untereinander. Ältere, Jün- Mann totgeschlagen haben, das gleiche im Kreis der dass die Menschen früher noch „natürlich“, „ungezwun-
gere und Kranke sind elementar abhängig von gesun- Verwandtschaft getan? gen“ und in Einheit mit der Natur lebten, und wir heute
den Menschen, die ihnen helfen. Die Einsicht, dass man ● Wie ist das Manifest in der Öffentlichkeit wahrgenom- nur noch entfremdet dahinvegetieren. Aber Mythen sind
selbst in einen hilfsbedürftigen Zustand geraten kann, men worden, gab es auch Kritik? mächtig, sie strukturieren unser Leben und Fühlen.
ist entscheidend, um sein Verhalten sozial auszurichten. Wie mir berichtet wurde, ist das Papier im Umfeld der Wenn wir heute den Mythos der Allmende ­erzählen
Weitere Tugenden wären Teamgeist, Umsicht, Großzü- grünen Partei auch heftig angegriffen worden. Es gab könnten, davon, wie bestehende Allmenden immer
gigkeit oder Freundlichkeit, einfach das Bestreben, dass unter anderem große Ängste, dass die Verknüpfung mehr ausgehöhlt wurden und jetzt eine Kraft entsteht,
es anderen Menschen gut gehen soll. Auch Klugheit von Gemeinschaft und Gemeingütern ein Rückschritt neue Allmenden aufzubauen und alte zurückerobern
gehört dazu, nicht unbedingt Intellektualität, sondern in vormoderne Zeiten bedeuten würde: die Errungen- – darin könnte das Potenzial für einen starken gesell-
lebenspraktische Klugheit. Mut, Opferbereitschaft, schaften der Aufklärung, die Freiheit des Individuums schaftlichen Impuls liegen.
geistige Unabhängigkeit und autonome Urteilskraft würde angegriffen. Da hieß es gar, das Manifest sei abso- ● Herr Lambing, herzlichen Dank für das Gespräch. ♠

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