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Produktionsästhetik

Sebastian Egenhofer

Produktionsästhetik

diaphanes
1. auflage

isbn 978-3-03734-103-2
© diaphanes, zürich 2010
www.diaphanes.net

alle rechte vorbehalten


layout und druckvorstufe: 2edit, zürich
druck: AZ Druck und Datentechnik gmbh, Kempten
titelabbildung: Michael Asher, Ausstellung in der Galleria Toselli, Mailand, 13. September–8. Oktober 1973,
Blick Richtung Westen aus der Galerie, Foto: Giorgio Colombo, mit freundlicher Genehmigung von Michael Asher.
inhalt

Einleitung 7

Spiegelungen der Intensität 9

Der Ort des Bildes im Neoplastizismus 35

Guss und Projektion


Die Readymades und das GroSSe Glas 79

Einführung zu Thomas Hirschhorns Spinoza-Monument 115

Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher 135

Zum Begriff der Wahrheitsproduktion


Heidegger mit Spinoza 165

Nachweise 225
Abbildungsverzeichnis 227
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Im 20.  Jahrhundert hat das Verhältnis von Werk und Sichtbarkeit eine funda-
mentale Transformation durchlaufen. Aus dem Dispositiv des Zeigens, als das das
repräsentationale Bild der Tradition begriffen werden kann – es gibt, indem es die
Eigenpräsenz seiner Mittel verzehrt, einem Anderen, der Bildfigur, seine schein-
bare Präsenz –, hat das Werk sich im Zug der modernen Abstraktion selbst in ein
nur mehr gezeigtes Objekt verwandelt. Die Sichtbarkeit, im Bild der Tradition als
Zone des Scheins zwischen die texturierte Malfläche und das gezeigte Bildphäno-
men gespannt, hat diesen Ort und Halt im Bild verloren. Die Differenz von Zeigen-
dem und Gezeigtem, in die das Nichts des Bildraums eingelassen war, wurde in der
Malerei der Moderne einer Engführung unterworfen, die Zeigendes und Gezeigtes,
materielle Bildmittel und ideelles Bildphänomen miteinander verschränkt. Als End-
oder Ausfallprodukt1 der Bewegung der modernen Abstraktion hat schließlich das
minimalistische Objekt, das diese Verschränkung zur Verschmelzung werden ließ,
den Status eines nur Seienden in der Welt angenommen, eines massiv selbstiden-
tischen Dings. Es hat damit den Boden verloren, auf dem seine Autonomie sich
behaupten sollte. Es sollte sich freimachen von dem, was es nicht ist, was es nur
repräsentiert. Es sollte die Stelle des materiell existenten Trägers der ideellen Sicht-
barkeit annehmen, die Stelle des Signifikanten, und diesen – der durch eine refe-
renzielle oder reflexive Distanz vom Gezeigten des Werks, dem Signifikat, getrennt
war – mit der opaken Dichte eines hier und jetzt gegebenen Materials ausfüllen. In
dem Moment aber, in dem dies gelingt, in dem die innere Differenz des Bildes defi-
nitiv aufgegeben ist zugunsten der Selbstidentität des Objekts, ist der ehemalige
Träger des Scheins einem übergreifenden Dispositiv der Sichtbarkeitsproduktion
unterworfen, das er so wenig beeinflusst wie die repräsentierte Bildfigur die Pinsel-
bewegung, die den materiellen Bildträger informiert. Die Konstellation ist umge-
schlagen, und das volle Objekt ist zur Bildfigur geworden – exponiert im Raum
einer Sichtbarkeit, eines Scheins, den es in keiner Weise mehr kontrolliert.
In wenigen Zügen ist so die Konstellation angezeigt, in der Michael Ashers
Werk Ende der sechziger Jahre ansetzt. An der Schwelle zwischen abstrakter Male-
rei und ortsbezogener Intervention, die sich anfangs noch des malerischen Idioms

1 Zum minimalistischen Objekt als »by-product« der selbstreflexiven Malerei der Moderne vgl.
Michael Fried: »Shape as Form«, in: ders.: Art and Objecthood: Essays and Reviews, Chicago 1998,
S. 77–99, hier S. 88 (vgl. auch Frieds retrospektive Introduction zu seinen kunstkritischen Arbeiten
der sechziger Jahre im selben Band).

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

bedient,2 und mit Blick auf den Standard minimalistischer Objektinstallationen


entwickelt er ein Werkkonzept, das den Raum der Sichtbarkeit, der seit dem Mini-
malismus der reale Raum realer Objekte ist, als Strukturmoment des Kunstwerks
selbst reklamiert – wie es der Bildraum der repräsentationalen Malerei gewesen
war. Statt materielle Objekte in eine vorgegebene, scheinbar natürliche Sichtbar-
keit wie auf einen neutralen Grund zu projizieren, thematisieren Ashers Arbeiten
die Sichtbarkeit selbst in ihrer Physikalität und Historizität, in ihrem je besonde-
ren Gewordensein, indem sie sie auf den Ort oder das Dispositiv ihrer Produktion
beziehen. Durch die Explikation dieses Bezugs wird die visuelle Gegenwart, in der
spätmoderne, formalistische Kunst das Element ihrer Präsenz und Rezipierbarkeit
fand, in ihrer eigenen Perspektivität und ihrem Scheincharakter fassbar.
Die methodischen Schwierigkeiten der Analyse von Ashers Arbeiten liegen
damit auf der Hand. Sie sind nicht als vorhandene Objekte, auch nicht als Objekte
einer selbstreflexiv gewendeten ästhetischen Erfahrung rezipierbar. Ihre materiel-
len Elemente sind die Mittel einer Intervention, die den Raum und die Zeit ihrer
Sichtbarkeit als intrinsische Momente des Werks definieren. Was und wie ist dann
das Werk, wenn es den Bezirk dieser Immaterialität impliziert? Was heißt ›Werk‹
im Fall dieser meist nur temporären, manchmal geringfügigen Eingriffe in eine
gegebene Situation? Die Antwort, dass Asher die Galerie oder das Museum selbst –
ansonsten nur Hintergrund und Träger der Ausstellungsstücke, die sie zeigen –
zum Werk gemacht habe, dass der Träger nun – freigelegt durch Ashers Interven-
tion – selbst das Werk sei,3 genügt hier nicht. Sie folgt jener positivistischen Logik,
die die moderne Repräsentationskritik in die Sackgasse der Produktion selbst­
referenzieller Objekte geführt hat. Wir werden sehen, welche Mühe es Asher kostet,
von diesem Positivismus, dessen wiederkehrendes Symptom die Fetischisierung
des materiellen Signifikanten ist, loszukommen. Loszukommen – wohin? Zu der
Einsicht, dass das Kunstwerk nie ein Objekt, sondern ein Dispositiv ist, das in sich
die Differenz von Materialität und Phänomenalität, von Zeigendem und Gezeig-
tem, seiner Existenz in der Zeit und der Gegenwart seines Sinns4 artikuliert, indem

2 So die Arbeit in einem Non-Profit-Space in Venice (Kalifornien), 22. März–16. April 1972, die
mit einem schwarz-weiß geteilten Anstrich der Raumbegrenzungen (Decke und zwei Wände weiß,
Boden und zwei Wände schwarz) arbeitete (vgl. Michael Asher: Writings 1973–1983 on Works 1969–
1979, hg. v. Benjamin H. D. Buchloh, Halifax/Los Angeles 1983, hier S. 50–55).
3 Vgl. etwa Whitney Moeller: »George Washington at the Art Institute of Chicago, 1916–2006«, in:
dies., Anne Rorimer (Hg.): Michael Asher: George Washington at the Art Institute of Chicago. 1979 and
2006, New Haven/London 2006, S. 15–27, hier S. 16.
4 ›Sinn‹ bezeichnet nicht ein intelligibles Signifikat sinnlich-materieller Signifikationsprozesse.
Ich verstehe unter Sinn, orientiert an der husserlschen Phänomenologie, das Noema und damit
die innere Grenze des Spielraums einer wie immer gearteten (noetischen) Intentionalität. Der Sinn
als Noema ist nicht die Bedeutung, sondern das Gezeigte des Werks. Über den Modus der Existenz
dieses Gezeigten und seinen Ort in den kausalen Verkettungen der materiellen Welt ist damit noch
nichts gesagt. Auch ein im natürlichen Verständnis reales Objekt kann in der Struktur eines Werks

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

es den Zwischenraum dieser seiner Momente explizit offen hält.5


Das Kunstwerk ist kein Objekt, es ist das Geschehen der Artikulation dieser
Momente, deren Differenz in der repräsentationalen Tradition als das Nichts des
Bildraums stabilisiert war. Diesen Halt hat die Differenz im Zuge der modernen
Repräsentationskritik verloren. Die Werkstruktur hat sich umgestülpt. Die Sicht-
barkeit – die Zone des ästhetischen Scheins – ist nun draußen. Statt diese Sichtbar-
keit für das Element scheinloser Gegenwart zu halten, in das objektförmige Werke
zur sinnlichen Erfahrung ausgesetzt werden können, macht Asher sie in ihrer eige-
nen Bedingtheit und damit in ihrer Perspektivität explizit. Unter nachminimalis-
tischen Bedingungen, die die Einfaltung der Zone des ästhetischen Scheins in den
Körper des Bildes verbieten, hält er daran fest, dass das Kunstwerk das Geschehen
der Sichtbarkeit selbst ist, das sich zwischen dem gezeigten Phänomen und dem
materiellen Träger aufspannt. Das so gefasste Werkgeschehen kann mit Heidegger
als Geschehen des Austrags der ontologischen Differenz von Sein als Unverborgen-
heit gegenüber dem, was sich im Horizont dieser Unverborgenheit zeigt, begriffen
werden. Was sich zeigt, ist das Seiende in seiner konstituierten Gestalt, die Opazität
des Sichtbaren, auf das die Sichtbarkeit bezogen ist und von dem sie erfüllt und
begrenzt wird. Neben dieser Begrenzung durch die Dichte des Sichtbaren rührt die
Sichtbarkeit jedoch an einen andersartigen Widerstand. In ihrem Horizont, ihrer
konstitutiven Grenze, berührt sie ein Außen, das irrepräsentabel bleibt, das sich
nicht zum gegebenen Seienden konsolidiert. Dieses Außen nenne ich den Träger
des Werks. Im Bild der Tradition ist dies die Fläche, in die der Bildschein und das,
was in ihm erscheint, eingefaltet sind. Es ist die Fläche, die in ihrer Materialität

die Stelle des Noemas oder des Sinns, des Gezeigten, einnehmen – analog zu den nur erscheinenden
Äpfeln, Kleidern, Gesichtern in repräsentationalen Bildern. (Vgl. zur Begrifflichkeit Edmund Hus-
serl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch, hg. v.
Karl Schumann, Den Haag 1976, bes. 3. Abschnitt, Kap. 3 und 4.)
5 In Beschränkung auf die von Asher gemeinsam mit Benjamin Buchloh herausgegebene kano-
nische Publikation Writings 1973–1983 on Works 1969–1979, deren Dominanz über die Rezeption
gelegentlich beklagt wurde (vgl. etwa Mathias Poledna: »Technically Sweet«, in: Texte zur Kunst, Nr.
26, Juni 1997, S. 37–43), will ich die Analyse auf die Frage nach dem ontologischen Status, nach der
Seinsweise der Werke fokussieren. Quer zur Diskussion um den angemessenen Interpretationsrah-
men (die Kritische Theorie, die Psychoanalyse, die Soziologie Pierre Bourdieus etc.) geht es um die
Grundzüge eines Werkbegriffs, der den Verhältnissen von Temporalität, Sichtbarkeit und Materialität
in Ashers Werk Rechnung trägt und seinen radikalen Bruch mit der objektförmigen Kunst der Spät-
moderne und des Minimalismus aufzeigt. – Zur neueren Diskussion vgl. Walead Beshty, Mark God-
frey: »Parallax Views. Two Comments on Michael Asher at the Santa Monica Museum«, in: Texte
zur Kunst, Nr. 70, Juni 2008; dort den Kommentar Beshtys zur Lage der Rezeption (S. 205–209); in
ähnlichem Sinn Elisabeth Fritz: Michael Asher – Werke 1979–2007, Diplomarbeit Universität Wien,
2007 (http://othes.univie.ac.at/270 [letzter Zugriff: 08.11.2009]): Hier wird Bourdieus Feldtheorie als
Paradigma der Lektüre vor allem der späteren Arbeiten Ashers vorgeschlagen; die Psychoanalyse hat
vor allem Birgit Pelzer in maßgeblichen Katalogessays als Interpretationsrahmen eingebracht: vgl.
vor allem Birgit Pelzer: »L’instance du détail«, in: Michael Asher, Ausst.-Kat. Musée national d’art
Centre Georges Pompidou, Paris 1991, S. 24–40.

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

und Faktur negiert sein muss, damit sich der Blick auf eine phänomenale Bildwelt
öffnen kann. In der selbstbezüglichen und objektförmigen Kunst der Spätmoderne
scheinen die Ebenen von Materialität und Phänomenalität miteinander identifi-
ziert. Damit tritt der Raum, in dem das Werkobjekt erscheint, in den Vordergrund,
ohne schon selbst ausdrücklich thematisch zu werden. Mit und seit der Minimal
Art wird diese Thematisierung zunehmend als notwendig erfahren. Der Raum der
Sichtbarkeit, den Werk und Rezipienten teilen, wird in seiner eigenen Konsistenz
und spezifischen Bedingtheit erfasst. Was aber sind die Träger dieser Sichtbarkeit?
Und inwiefern sind sie ihr gegenüber ›unsichtbar‹? Die Antwort, dass der Träger
die Institution sei wie der Träger des Sehens der Körper des Subjekts, ist zwar rich-
tig, aber sie bleibt unvollständig, solange nicht geklärt ist, worin seine Inkommen-
surabilität mit der visuellen Gegenwart, dem Element der ästhetischen Erfahrung
der Werke, besteht. Die Analyse wird zeigen, dass sich diese Inkommensurabilität
nur als zeitliche bestimmen lässt. Es ist die Inkommensurabilität der Zeit der Pro-
duktion mit der des Produkts.
In ihren Grundzügen ist so die Topik umrissen, die die folgenden Analysen
von Ashers Arbeiten lenkt. Es wird darum gehen, das Werkgeschehen nicht vom
Prozess der Sinngenese in der hermeneutischen Auslegungsarbeit oder in Voll-
zügen der ästhetischen Erfahrung zu denken, sondern als die Explikation dieser
Inkommensurabilität, die sich als konstitutive Struktur der Zeit selbst erweisen
wird. Die Beziehung auf diese Struktur der Zeit, die Heterochronie von Produktion
und Produkt, von Materialität und Phänomenalität, von Träger und Bild, schreibt
den Werkbegriff in einen der idealistischen Tradition fremden paradigmatischen
Rahmen ein. Hier ist nicht mehr der Organismus, sondern die Maschine das Modell
des Werks. Ashers Arbeiten können darin paradigmatische Bedeutung für eine
materialistische Theorie des Kunstwerks gewinnen: Sie können als Maschinen zur
Produktion von Sichtbarkeit verstanden werden, einer Produktion, die nicht vor-
gibt, autonom zu sein, sondern auf die Institutionen bezogen bleibt, die sich in der
Moderne parallel zur Kritik der Repräsentation im Bild als Orte der Präsentation
visueller Kunst herausgebildet haben. Eine Maschine läuft nicht von allein und sie
läuft nicht ewig. Sie ist nicht automobil wie ein Tier oder ein Geist. Sie läuft unter
bestimmten Anschlussbedingungen und ist in einen Rahmen gespannt, dessen
Widerstand sie begrenzt. Ein Element oder Material, das ihr nicht zugehört, in das
sie eingreift, ist Bedingung ihrer Produktivität. Ich werde einige Arbeiten Ashers
unter dem Aspekt des Maschinischen, hinsichtlich der Funktionen der Zeit, des
Widerstands und der Produktivität analysieren.

Nach seiner Teilnahme an der Documenta V 1972 realisiert Asher eine Reihe von
Ausstellungen in europäischen Galerien, eine davon im Herbst 1973 (4.–28. Sep-
tember) in der Galerie Heiner Friedrich in Köln. Asher hat zu diesem Zeitpunkt
schon mehrere ortsspezifische Installationen realisiert, seine Arbeiten bei Fried-

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

rich, kurz zuvor in der Lisson Gallery in London und kurz darauf in der Galleria
Toselli in Mailand, seine ersten Ausstellungen in kommerziellen Galerien, sind
aber wesentliche Schritte der Präzisierung seines Werkkonzepts.6 »The space«, so
fasst er seinen ersten Eindruck von Friedrichs Galerieräumen zusammen, »was
broken up into what, at the time, seemed to be a disorder too incomprehensible to
work with«.7 Er stellt fest, dass die Möbel, Türen, Türgriffe, Lampen usw. auffällig
gut gestaltet sind und der Galerie eine Art gehobener Eleganz verleihen, aber die
Zusammendrängung der unterschiedlich – als Küche, WC, Büro, Lager und Aus-
stellungsfläche – genutzten Räume (Abb. 1) und die Trennung der beiden Ausstel-
lungsräume erscheint zu inkonsistent für eine Arbeit, die etwas anderes wäre als
ein Ensemble formal autonomer, isolierter Objekte. Gerade diese Inkonsistenz wird
dann zur Grundlage von Ashers Intervention. Sein Eingriff besteht neben Ausbes-
serungsarbeiten (wie der Auffüllung einer Fuge zwischen Wand und Boden) darin,
dass er die Decke in allen Räumen im Farbton des Fußbodens streichen lässt.
Fußboden- und Deckenhöhe sind in allen Räumen gleich, es gibt keine Treppen
und keine Deckenöffnungen. Die Fläche des Fußbodens und die Fläche der Decke
sind kongruent, und sie verlaufen parallel.8 Durch den Anstrich der Decke im
dunklen Braun des Fußbodens spannt Asher den gesamten Raum der Galerie mit
ihren unterschiedlichen und von den vertikalen Architekturelementen getrennten
Funktionen zwischen zwei gleich große horizontale Platten ein. Oben und unten
werden in ihrer formalen Symmetrie und dadurch in ihrer funktionalen Dissym-
metrie – der Polarität von »Zugänglichkeit [und] Unzugänglichkeit«9 von Boden
und Decke – sichtbar gemacht. Durch die Akzentuierung dieser statischen, jeder
Nutzung der Räume vorausliegenden Struktur wird die arbiträre Anordnung und
Beweglichkeit des Mobiliars – der Stühle, die gestapelt im Sekretariat stehen, der
Bücher, der Bilder, die an den Wänden lehnen – auffällig. Die bedeutsamen oder
zuhandenen Dinge okkupieren nachträglich den abstrakten Raum, dessen primäre
Leere und Neutralität durch die formale Symmetrie von Boden und Decke, die ihn
quer zu der Anisotropie von oben und unten durchquert, sichtbar geworden sind.
Mit diesem phänomenalen Effekt von Ashers Eingriff ist aber nur eine erste
Schicht der Arbeit erfasst. Erst eine funktionale Analyse macht die Entstehung die-

6 Frühere Arbeiten in den USA waren Ausstellungsbeteiligungen in Museen, im universitären


Kontext und Ausstellungen in nichtkommerziellen Ausstellungsräumen. In der Folge (und bis heute)
finden kaum Galerieausstellungen statt, da Ashers Produktion nur selten zu verkäuflichen Objekten
führt. Auch deshalb ist Asher, der seit Langem am California Institute of the Arts unterrichtet, zwar
einer der einflussreichsten Künstler der letzten Jahrzehnte, aber noch immer nur einem relativ klei-
nen Publikum bekannt.
7 Asher: Writings on Works, a.a.O., S. 82.
8 Sie sind natürlich nicht genau kongruent: In den Türöffnungen läuft der Fußboden durch, wäh-
rend der Wandsturz darüber die Deckenfläche unterbricht.
9 Asher: Writings on Works , a.a.O., S. 83.

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 1: Grundrissplan der Galerie Heiner Friedrich.

ses Effekts voll verständlich. Die Galerie ist ein Ausstellungsbetrieb. Das Produkt
der Galerie ist die Leere und Transparenz des Ausstellungsraums, des klassischen
White Cube, der den verschwindenden Hintergrund für das Werkobjekt abgibt, das
die Galerie gewöhnlich zeigt.10 Die Abtrennung der Ausstellungsfunktion von den
anderen Funktionen der Galerie ist die Voraussetzung für diese scheinbare Neutra-
lität. Ashers Intervention kehrt diese Bedingung, die in Friedrichs Galerie durch die
gedrängte Anordnung und die Getrenntheit der Räume – nur die beiden Ausstel-
lungsräume sind vom Eingang aus und durch den Flur frei zugänglich, alle ande-
ren Räume haben Türen – besonders greifbar wird, gegen sich selbst. Sein Eingriff
durchbricht die vertikale Trennung und funktionale und hierarchische Gliederung

10 Der White Cube ist die Norm, von der Asher ausgeht. Die klassische Analyse dazu ist natürlich
Brian O’Doherty: In der Weißen Zelle. Inside the White Cube (1976), Berlin 1996. Seit einiger Zeit pro-
duzieren Galerien bekanntlich auch selbst ›Diskurs‹ und ›Kontext‹, und mit Institutionskritik wird
als Dienstleistung gehandelt. Vgl. dazu die paradigmatischen Arbeiten von Andrea Fraser: Please Ask
for Assistance und Preliminary Prospectuses von 1993, dokumentiert in: Andrea Fraser. Works: 1984
to 2003, Ausst.-Kat. Kunstverein Hamburg, IVC Cambridge, Köln 2002, S. 154ff.; eines der Resultate
einer solchen institutionskritischen Dienstleistung ist publiziert als: Andrea Fraser: Bericht. EA Gene-
rali Foundation, Wien 1995. Zu Frasers Verhältnis zu Asher allgemein: Andrea Fraser: »Procedural
Matters: The Art of Michael Asher«, in: Artforum, Summer 2008, S. 374–81 und S. 464.

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 2–4: Asher, Ausstellung in der Galerie Heiner Friedrich, Köln,


4.–28. September 1973.

und lässt die abstrakte Sichtbarkeit, in die im normalen Ausstellungsbetrieb das


objektförmige Kunstwerk eingetaucht ist, in die Betriebsräume der Galerie fluten.
Der phänomenale Effekt von Ashers Eingriff – die fast physische Anhebung der
beweglichen Gebrauchsdinge, zu denen auch die im Sekretariat gelagerten Kunst-
werke gehören, zwischen den Kondensatorplatten von Boden und Decke  – ist
daher nicht allein auf der formal-visuellen Ebene fassbar und nur auf die Spiegel-
beziehung von Boden und Decke zurückzuführen. In ihm kommt die Konsistenz
des Ausstellungsraums zum Ausdruck, die Konsistenz jener abstrakten Leere, in
der alle lebensweltlichen Funktionen zugunsten der reinen Sichtbarkeit suspen-
diert sein sollen. Indem Asher diese Leere in alle getrennten Räume der Galerie
umlenkt, dem Betrieb aber das Ausstellungs- und Tauschobjekt entzieht, dessen
Verkauf die Galerie gewöhnlich für ihr Produkt, die Leere selbst, kompensiert, hat
er die Maschine in vollem Lauf mitsamt den handelnden Personen in ein gezeigtes
Objektensemble verwandelt.

141
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Für einen Galeristen wie Heiner Friedrich, der auf ›erhabene‹ Kunst setzte und
sie überall dort entdeckte, wo formale Strenge, wo gerade Linien sichtbar sind – ob
bei Barnett Newman, Donald Judd, Dan Graham oder Blinky Palermo –, war Ashers
Arbeit schwer zu verkraften. Friedrich hatte Ashers Werkkonzept, motiviert wohl
durch den Beitrag zur Documenta V, auf den ich noch eingehen werde, formalis-
tisch missverstanden; und seine Reaktion auf die Ausstellung in seiner Galerie zeigt,
dass er auf diesem Missverständnis beharrte. Sein Widerstand ist daher mehr als
anekdotisch, er gehört beinahe zur Funktion des Werks. Dass Ashers Arbeit formal
auf die architektonische Situation bezogen ist, aber ebenso von der ökonomischen
Funktion der Galerie abhängt, ist offensichtlich. Sie ist materiell nichts anderes als
die Galerie selbst. Es ist nichts anderes da. Funktional betrachtet aber ist das Werk
überhaupt nichts Materielles, sondern konstituiert sich als jene Konstellation, die
die abstrakte Sichtbarkeit, das immaterielle Produkt der Galerie, auf diese selbst
als den Ort ihrer Produktion zurücklenkt. In die Struktur des Werks ist so explizit
die Zeit integriert: die Zeit, in der die Galerie diese Arbeit von Asher und keine
andere ›zeigt‹. Ashers Arbeit funktioniert offenbar nur, solange die Zeigefunktion
der Galerie auf diese selbst zurückgelenkt bleibt und nicht auf ein anderes Werk-
objekt fokussiert, solange also die Ausstellungsräume leer bleiben. Dafür war die
normale Ausstellungsdauer von einem Monat vorgesehen. Danach sollte die Decke
weiß überstrichen werden, und alles wäre in den Normalzustand eingerückt.
In dieser Bedingung hat Friedrich die Chance einer Aneignung der Arbeit gese-
hen. Er hat sich geweigert, die Decke nach Ablauf der Ausstellungszeit wieder weiß
streichen zu lassen. Offenbar wollte er Ashers Intervention zur formalen Deko-
ration, zum architektonisch gebundenen Bild umdefinieren. Die Permanenz des
Deckenanstrichs sollte rückläufig die prekäre Temporalität der Selbstausstellung
der Galerie absorbieren. Der von Asher konstruierte Antagonismus, der die Ver-
schränkung von kommerzieller Funktion und Ausstellungsfunktion der Galerie
expliziert, sollte nivelliert werden, als hätte der Künstler eine Auftragsarbeit aus-
geführt, eine Verschönerung der Räume. Dieser Aneignungsversuch führt jedoch
nicht weit. Asher berichtet nur kurz darüber und stellt fest, »even though the ceil-
ing was not repainted as requested, the work ceased to exist. Instructions are an
integral part of my work since they define the time frame and the context in which
the work exists«.11 Was in den Galerieräumen verblieb, das Pigment an der Decke,
hat mit Ashers Werk nichts mehr zu tun. Sobald in den Ausstellungsräumen der
Galerie andere Arbeiten ausgestellt werden, ist die Funktion des Werks erloschen.

Ebenfalls im Herbst 1973 hat Asher eine noch schlichtere und rabiatere Art des
Umgangs mit einem Galerieraum getestet, der andere Voraussetzungen bot. Von
einem Durcheinander von Räumlichkeiten und Funktionen kann in Bezug auf die

11 Asher: Writings on Works, a.a.O., S. 84.

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 5: Ausstellung von Robert


Mangold in der Galleria Toselli,
Mailand, 1970er Jahre.

Galerie Franco Tosellis nicht die Rede sein (Abb. 5). Die Galerie besteht aus einem
großen, siebzehn Meter langen Ausstellungsraum und einem kleinen abgetrenn-
ten Büro. Sie wird von einem gepflasterten Hof aus betreten und liegt etwa 1,20 m
unter dessen Niveau. Es ist eher eine Garagensituation, eine Halle mit Betonfuß-
boden und unverdeckten Neonröhren in einer belebten Wohngegend in Mailand,
wo auch ein Warenlager oder eine Werkstatt sein könnte. Ashers Eingriff ist hier
konfrontativ und direkt. Er lässt den Ausstellungsraum der Galerie von allen über
Jahre angesammelten Farbschichten befreien. Die Decke, die Wände, die Pfeiler,
aber auch offen verlaufende Rohre und Leitungen, werden von der weißen Farbe
befreit. Das sind vier Arbeitstage für vier Arbeiter mit dem Sandstrahlgebläse. Die
Produktionskosten trägt die Galerie. Ashers Eingriff versetzt den Raum (nur den
Ausstellungsraum, nicht das Büro) in einen rohen und nackten Zustand, in dem die
materielle Geschichte der Räume – die Bauabschnitte, Spuren von Überschwem-
mungen etc. – lesbar wird (Abb. 6 und 7). Die Schichten der weißen Farbe waren
die Innenhaut der Galerie, die die ästhetische Gegenwart der Ausstellungs­situation
von diesem Körper oder Träger und der ihm eingeschriebenen Geschichte isolierte.
Statt abstrakte Malerei auf diesen verschwindenden Hintergrund zu applizieren
(Abb. 5), füllt Asher die Säure von vier Tagen Sandstrahlgebläse in diese Höhle,
als die der Galerieraum hier erscheint. Vier Tage Sandstrahlgebläse, diese gewe-
sene Arbeit – im Fehlen der weißen Farbe indiziert – ist im Hohlraum der Galerie
gestaut; sie füllt den Raum an wie eine positive Sub­stanz.
Noch deutlicher als die Intervention bei Heiner Friedrich steht diese Arbeit in
der Tradition der selbstreflexiven Malerei der Spätmoderne. Asher behandelt den
gesamten Galerieraum so, wie Robert Ryman einen Bildträger behandelt, indem er
ihn nur halb verdeckt. Die Bewegung der Selbstreflexion, die bei Ryman zur Auf-
lösung des Bildes in jene Readymades führt, aus denen es besteht, wird über den
Rand des Mediums der Malerei hinausgeführt und auf die Ausstellungssituation
als solche bezogen. Damit wird das Element der abstrakten Sichtbarkeit, das auch
die reflektierteste moderne Malerei für ihr Erscheinen nur voraussetzen konnte,
mit den Bedingungen seiner Produktion konfrontiert: den ökonomischen und his-
torischen Bedingungen, die eine stellvertretende materielle Darstellung im archi-

143
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 6 und 7: Asher, Ausstellung in der Galleria Toselli, Mailand,


13. September–8. Oktober 1973

tektonischen Körper der Galerie finden, der sich vom Träger in das Objekt des Zei-
gens verwandelt hat. Wie alles Gezeigte, wie auch die realen Handlungsvollzüge in
den Galerieräumen Friedrichs, ist der Träger zum Bild geworden, zu einem Bild in
den Farben der Vormoderne in diesem Fall, denn ironischerweise taucht unter den
weißen Farbschichten ein brauner (nicht grauer) Zementputz auf.12 Dieses Bild
aber oder dieser unmittelbare Anblick, der in ein gezeigtes Objekt verwandelte Ort,
dessen Erscheinung von seiner eigenen Geschichte erzählt, ist nicht das Werk.
Das Werk ist das Geschehen der Sichtbarkeit, in der dieses Objekt erscheint.
Der Raum selbst, seine Transparenz, ist die Substanz, aus der es besteht. Die-
ser Raum ist durch die Arbeit der Subtraktion der weißen Farbe, deren Spur der
Anblick der Wände ist, mit dem Index der Nachträglichkeit versehen. Er ist selbst
als Produkt ausgewiesen, das in einer seltsam zirkulären Beziehung zu dem steht,
was sich in seinem Licht zeigt. Der zirkuläre Rückbezug der Sichtbarkeit auf den
Ort ihrer Produktion, die immer schon vorüber sein wird und als Produktion im
Licht ihres Produkts nicht exponibel ist, lässt die Gegenwart des Raums – das Ele-
ment der unmittelbar visuellen Erfahrung des Werks – als bloße Schicht, als die
späteste, nämlich aktuale Schicht des Werkgeschehens erfahrbar werden, das als
solches in der zeitlichen Distention zwischen dem Galeriekörper als materiellem,
gealtertem Ort und der aktualen Sichtbarkeit besteht, die aufgrund von Ashers
Eingriff auf diesen Ort durchschlägt und ihn als Bildfigur exponiert. Diese Disten-
tion – die temporale Aufspreizung des Geschehens der Sichtbarkeit zwischen ihrer
aktualen Gegenwart und dem Früher ihrer Produktion – ist die immaterielle und
non-präsente, da nicht mit sich selbst und nicht mit der Gegenwart eines Betrach-
tersubjekts synchronisierbare, dennoch aber physische Gestalt des Werks.

12 Asher verweist selbst auf die »paradoxale« Rückkehr der Brauntöne vorimpressionistischer
Malerei (vgl. ebd., S. 89).

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Ashers erste Arbeit in Europa, die als Scharnier zwischen einer selbstreflexiven
formalistischen Malerei und einer institutionskritischen Reflexion auf die Disposi-
tive der Produktion von Sichtbarkeit gelten kann, wurde 1972 auf der Documenta V
realisiert. Es wird für längere Zeit die letzte Arbeit Ashers sein, die mit dem Prinzip
der symmetrischen Teilung arbeitet – mit einem formalen oder kompositorischen
Prinzip, das er zuvor in anderer Weise verwendet hatte13 und auf das er einige
Jahre später im Stedelijk Museum in Eindhoven (1977) und im Joslyn Art Cen-
ter in Omaha (1979) zurückkommen wird, dort jeweils indem er die selbst schon
achsensymmetrische Struktur des Gebäudes reartikuliert. In Eindhoven wurden in
der einen Hälfte des Museums, die ansonsten leer blieb, während der Ausstellungs-
zeit die Glasplatten der inneren Oberlichtdecke abgenommen, was die Licht- und
Klangsituation der Räume veränderte, in Omaha wurden in der einen Hälfte des
Gebäudes sämtliche mobile Elemente – Exponate, Vitrinen, Aschenbecher, Sitz-
bänke und Topfpflanzen – entfernt.14
In der Documenta-Arbeit ist die symmetrische Teilung noch Moment einer
gewissermaßen malerischen Praxis, die sich als die vertikale Teilung eines quader-
förmigen (9,65 m langen, 3,86 m breiten und 2,28 m hohen) Innenraums in eine
schwarze und eine weiße Hälfte realisiert: eine noch kompositorische Entschei-
dung, während die Eingriffe bei Friedrich und erst recht bei Toselli ohne eine sol-
che auskamen. Die Documenta-Arbeit macht den Rückbezug von Ashers Arbeit auf
das formale Denken des Color-Field-Painting deutlich. Der schwarz-weiße Raum
ist ein betretbares Bild, das ein extrem vereinfachtes und geordnetes Wahrneh-
mungserlebnis initiiert (Abb. 8 und 9).
Dabei ist ein Aspekt entscheidend, der auf den Innenaufnahmen nicht zu sehen
ist. Asher hat keinen vorgegebenen Raum ausgemalt, sondern eine eigens gebaute
Box aus Spanplatten und Holzbalken mit eigenem Boden und eigener Decke, die
ringsum von der Gebäudestruktur abgelöst war, als Bildträger verwendet. Diese
Box stand unter einer Treppe im Kasseler Fridericianum, in einem Raum, der sie
knapp einfasste und sie vorne, wo er von eng stehenden Pfeilern begrenzt war, und
an den Seiten zur Hälfte sichtbar ließ. Asher verfolgt hier also nicht den moder-
nistischen Topos des architektonisch integrierten Bildes. Die von außen sichtbare
Holzkonstruktion ist vielmehr »eine Bühne […] für die Farbe«,15 eine Bühne, die
auf den Kontext der Documenta als Großausstellung und Bühne für Gegenwarts-
kunst verweist. Wenn daher der Innenraum ein dreidimensional expliziertes Bild
ist, so ist es ein Bild, das man von hinten, durch seinen Träger hindurch, betritt.

13 In Venice (Kalifornien) (vgl. Anm. 2) waren Schwarz und Weiß punktsymmetrisch, nicht achsen­
symmetrisch verteilt.
14 Vgl. Asher: Writings on Works, a.a.O., S. 174–183 und S. 190–195.
15 Ebd., S. 60.

145
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 8 und 9: Asher, Beitrag zur Documenta V, Kassel 1972.

Die Sichtbarkeit der Konstruktion, der Schaubudencharakter der Arbeit, konter-


kariert so die Autonomie der visuellen Erfahrung.
Der Einfluss, jedenfalls die methodische Nähe der Reflexionen Daniel Burens
über die verschiedenen Rahmen- und Trägerstrukturen des Bildes, zu denen die
Rückseite und der Keilrahmen gehören,16 ist für diese Arbeit Ashers evident.
Die Momente der Wahrnehmung der präsenten Form und der Reflexion auf die
Produktionsbedingungen dieser Wahrnehmung sind auf den Außen- und Innen-
raum der Arbeit verteilt. Die öffentliche Zeit der Ausstellung, die hundert Tage der
Documenta, und die intime und private Zeit der Wahrnehmung, des ästhetischen
Erlebens, sind räumlich voneinander getrennt. Der Bildinnenraum entspricht der
Rezeptionserwartung eines Betrachters, der aus dem historischen und sozialen
Raum heraustreten will. Doch wird ihm hier kein Ort vertiefter Kontemplation,
sondern ein Bühnenbild geboten, dessen Rückseite dem Ausstellungskontext
zugewandt bleibt. In den Arbeiten bei Friedrich und Toselli sind diese beiden
Momente – die historische, öffentliche Zeit und die kontemplativ-intime Wahr-
nehmungszeit – dann voll integriert. In der Mailänder Ausstellung sieht man, was
bei der Documenta-Arbeit noch Außen- und Innenseite, Bildraum und Träger sind,
gleichzeitig und als dasselbe: die freigelegte Wand, die unmittelbar selbst Erschei-
nung oder Bild wird – wie jeder freigelegte Bildträger. Die Zeit der Ausstellung,
der Produktion der Sichtbarkeit, die auf den Ort ihrer Produktion zurückgelenkt
wird, ist von der Aktualität des Sehens nicht mehr trennbar. In der historischen
Perspektive ist der Bildträger Ort der Produktion der Sichtbarkeit. In der Zeit der

16 Vgl. Daniel Buren: Achtung! Texte 1967–91, Dresden/Basel 1995; dort vor allem »Achtung«
(1969/79), »Grenzen/Kritik« (1970) und »Funktion des Museums« (1970).

146
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Wahrnehmung wird er zur Erscheinung oder zum Bild. Der Wechsel dieser inkom-
patiblen Hinsichten macht das Werkgeschehen aus.

Aus heutiger Sicht erscheinen Arbeiten wie die Installation in der Galleria Toselli
vielleicht archaisch und fundamentalistisch. Asher schreibt selbst, dass er zu die-
sem Zeitpunkt den Galerieraum noch unter den Aspekten der minimalistischen
Spezifik betrachtet habe: Materialspezifik wird als Ortsspezifik interpretiert.17 1973
hat Asher Daniel Buren schon gelesen, aber es sind Anfänge institutionskritischer
Kunst, die das Dispositiv des Zeigens tendenziell selbst als gezeigtes Objekt in den
Blick rücken und zumindest in der Gefahr stehen, in die genannte Sackgasse des
Positivismus zu laufen, der Prozesse der Signifikation und des Zeigens in der welt-
losen Selbstreferenz eines literalen Signifikanten stillstellt. Der Möglichkeit dieses
positivistischen Missverständnisses entziehen sich spätere Arbeiten Ashers, die
sein Paradigma erweitern und durch die Wiedereinführung von Objekten kompli-
zieren. Ashers Beitrag zu Ambiente arte, dal futurismo ad oggi – einer Themenaus-
stellung, die Germano Celant für den Italienischen Pavillon der Biennale Venedig
1976 kuratierte  – bestand darin, in dem ihm zugewiesenen Raum 22 Designer-
klappstühle aufzustellen, die dem Publikum zur Nutzung freistanden und auch auf
die Loggia vor dem Pavillon mitgenommen werden durften. Sie sollten zum Aus-
ruhen da sein, sie sollten verwendet werden (Abb. 10 und 11).
Die Frage von Celants Ausstellungstitel nach dem Verhältnis des Kunstwerks
zu seiner Umgebung oder seiner Umwelt verengt Asher zu der nach dem Verhält-
nis von Kunst und Gebrauchswert. Denn auch seine Arbeit stellt in erster Linie eine
Frage und schlägt nicht, wie es vom Standpunkt der Ambient Art der neunziger
Jahre retrospektiv erscheinen mag, die schnelle Lösung vor, das Kunstwerk, des-
sen falschen Autonomieanspruch man durchschaut hat, durch seine Überführung
in ›Praxis‹ aufzulösen, es durch eine Dienstleistungsfunktion zu ersetzen. Die Frage
des Gebrauchswerts wie überhaupt der Funktion spielt im Diskurs der Kunst der
frühen Moderne und wieder seit den sechziger Jahren bekanntlich eine so entschei-
dende wie zwielichtige Rolle. Ashers Arbeit erlaubt und zwingt dazu, zumindest
drei Ebenen dieser komplexen Frage zu unterscheiden. Der Gebrauchswert kann
erstens derjenige von Objekten wie jener Stühle sein, die hier als Readymades in
eine Installation integriert sind. Ihr faktischer Nutzen ist ein Strukturmoment
der Arbeit, die aber als Werk in der Nützlichkeit der Stühle so wenig aufgeht wie
die Arbeit in der Galerie Friedrich im dekorativen Wert des Deckenanstrichs. Die
zweite Ebene ist die der Funktion des Werks als Werk, der Funktion von Kunst
als Kunst. Wäre eine solche Funktion, wenn es sie gibt und wenn sie bestimmbar
wäre – als Wahrheitsfunktion, als Funktion der Kritik, des Trosts, der Belehrung
oder, doch auch, des Schmucks –, von der alltäglichen Nützlichkeit strikt unter-

17 Asher: Writings on Works, a.a.O., S. 92.

147
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 10 und 11: Michael Asher, Beitrag zu Ambiente arte, dal futurismo ad oggi,
Biennale Venedig 1976.

scheidbar? Und eine dritte Schicht der Frage gibt die im weiten Sinn konstruktivis-
tische Perspektive der frühen Moderne vor, das Telos der Überführung von Kunst
in technisch-utilitaristische Gestaltung und damit bereits in soziale und politische
Praxis. Vermittelt über den spezifischen Kontext der Ausstellung verschränken
sich in Ashers Arbeit diese Ebenen, ohne miteinander zu verschmelzen.
Asher hatte zunächst angefragt, ob eine »Lounge« für den innerhalb des Bien-
nale-Geländes abgegrenzten Bereich der Ambiente-arte-Ausstellung, den Italie-
nischen Pavillon, vorgesehen sei, die er hätte gestalten oder einrichten wollen.18
Das war nicht der Fall. Jedoch wurde ihm ein Raum an der Südseite des Gebäudes
angeboten, der sich über eine überdachte Loggia zu den Giardini öffnete, also an
der Grenze zum informellen Außenraum mit seinen Cafés etc. situiert und zugleich
in den Ausstellungskontext eingebunden war. Jedem der teilnehmenden Künst-
ler (und der einen Künstlerin: Maria Nordmann), die den zeitgenössischen Teil
von Celants Ausstellung bestritten, war ein ähnlich großes Raumkompartiment
zur Realisierung je einer Arbeit zugewiesen worden, deren Abfolge die Besucher
in einer durch die Architektur weitgehend vorgeschriebenen Ordnung durchliefen.
Dieses individuierende Prinzip wurde durch die Abhebung gegenüber dem histo-
rischen Teil der Ausstellung unterstrichen, in dem der Kurator die Fäden spann
und historische Zusammenhänge (re-)konstruierte. Celant behandelte das thema-
tische Verhältnis von Kunst und Umgebung in verschiedenen Stationen, von der
konstruktivistisch inspirierten Moderne der zwanziger Jahre im Westen und in
Russland – mit dem Schwerpunkt auf den Projekten der architektonischen Inte-
gration des skulpturalen und malerischen Objekts von El Lissitzky über Theo van
Doesburg bis Piet Mondrian – über die integralen surrealistischen Ausstellungs-

18 Ebd., S. 138.

148
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

installationen der dreißiger und vierziger Jahre bis zu einer Art kosmischer Ent-
grenzung des Begriffs von Umgebung (ambiente) in Arbeiten von Lucio Fontana
und Yves Klein – eine Perspektive, in die aus europäischer Sicht damals Jackson
Pollock integrierbar schien.19
Nach diesem breit angelegten historischen Überblick folgen unter dem Titel
1966/1976 für die letzten zehn Jahre dreizehn monografische ›Einzelausstellungen‹
oder Installationen. Es ist wie eine Maßstabsvergrößerung, die die zeitliche Annä-
herung illustriert. An der Schwelle zwischen dem historischen und dem aktuellen
Teil der Schau wird die Verantwortung demonstrativ vom Kurator an die noch
lebenden Künstler abgegeben. Die Rhetorik der Inszenierung bringt eine Monu-
mentalisierung und Auratisierung der einzelnen Arbeiten und ihrer Autoren mit
sich, und alle beteiligten Künstler folgten diesem Appell und realisierten beson-
ders prägnante Arbeiten. Dan Graham stellt Public Space/Two Audiences aus, einen
entscheidenden Vorläufer seiner späteren Pavillons, Beuys zeigt Richtkräfte, Bruce
Nauman einen neongelb ausgeleuchteten Raum, Jannis Kounellis kettet Pferde
an die Wand, Douglas Wheeler und Robert Irwin realisieren monumentale Licht-
arbeiten, Mario Merz füllt seinen Raum mit Erde. In der Kette dieser Installationen
wird Ashers Raum als einer der letzten betreten, falls man nicht von den Giardini
her durch die Loggia kommt. Und Asher unterläuft die Vehemenz der Erwartung,
indem er nichts unternimmt, als in dem neu verputzten und gereinigten Raum20
die 22 eleganten, materialarmen Klappstühle aufzustellen und zur Benutzung frei-
zugeben. Er tarnt seinen Raum, in dem in emphatischer Weise ein Werk erwartet
wird, als diese Lounge, diesen spärlich bestückten Aufenthaltsraum, der natürlich
keiner ist.
Was leistet also die Einführung des Gebrauchswerts in diesem Kontext? Ersetzt
der Nutzwert der Stühle, aus denen es materiell besteht, den Ausstellungswert und
die Funktion des Werks als Werk? Was und wie ist hier das Werk? Im Kontrast zu
dem Intensitätsprogramm der anderen Arbeiten produziert Ashers Intervention
vor allem ein Vakuum enttäuschter Erwartung, das die unspektakulären Stühle
weder durch einen ästhetischen noch durch ihren spröden Gebrauchswert zu fül-
len vermögen. Wenn es Asher nur um eine Profanierung gegangen wäre, darum,
den Status des Werks, den die anderen Arbeiten des zweiten Teils der Ausstellung
so nachdrücklich behaupten, durch einen realen Gebrauchswert zu ersetzen, wäre
offenbar mehr nötig gewesen. Dann hätte es hier eine Bar und Stühle mit Lehnen
geben müssen – und Tische, die in einer früheren Phase der Planung einmal vor-
gesehen waren.21 Aber wozu? Zu lesen und abzustellen, ist auch nichts da.

19 Vgl. Germano Celant (Hg.): Ambiente/Arte:  dal Futurismo alla Body Art, Ausst.-Kat. Biennale
Venedig 1976, Venedig 1977.
20 Vgl. Asher: Writings on Works., a.a.O., S. 140.
21 Vgl. ebd., S. 138.

149
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Ashers Arbeit stellt kein Modell der Versöhnung von Ausstellungswert und
Gebrauchswert oder von ›Kunst‹ und ›Leben‹ dar. Sie veranlasst zur Reflexion ihrer
Widersprüche unter Bedingungen der Moderne. Betrachten wir die historischen
Filiationen der Arbeit. Die Stühle sind Readymades. Eine Haupteigenschaft des
duchampschen Readymade ist bekanntlich, dass es seinem lebensweltlichen Kon-
text entzogen, dass sein Gebrauch suspendiert ist. Ohne an faktischer Brauchbar-
keit zu verlieren, ist es durch den Akt der déclaration in den Modus des Sich-Dar-
stellens versetzt. Bei Ashers Stühlen aber bleibt der mögliche Gebrauch erhalten.
Ist damit die ästhetische Schranke durchbrochen? Sind die Stühle doch einfach nur
Stühle? Sie sind es, aber zugleich ist der Gebrauch der Stühle  – seiner Möglich-
keit nach und als realer Vollzug – als Readymade zweiten Grades in Ashers Arbeit
im spezifischen Kontext der Ambiente-arte-Ausstellung integriert. Der mögliche
Gebrauch steht auch als real vollzogener in den Anführungsstrichen der Exposi-
tion, des Gezeigtseins.
Die Situation wird zusätzlich dadurch verkompliziert, dass Asher keine mög-
lichst banalen Alltagsstühle wählt, sondern Design-Objekte. Das verstößt zunächst
gegen das Paradigma Duchamps, demgemäß die déclaration des Readymade in
einem Augenblick der Geschmacksindifferenz geschehen soll: Das Readymade
soll sich durch größtmögliche ästhetische Neutralität auszeichnen. Asher wählt
dagegen elegante Stühle, die am Kode des guten Designs partizipieren. Die Stühle
verweisen so auf den historischen Teil der Ausstellung, der als einen Aspekt die
konstruktivistische Tradition der zwanziger Jahre in Erinnerung rief. Ashers
Klappstühle  – gestaltet von Jørgen Gammelgaard für Strutture d’Interni, Bolo-
gna  – sind demokratisierte Nachfahren der modernistischen Chromstahl-Stühle
von Mies van der Rohe und Marcel Breuer. Im Glanz dieser Chromgestelle ist so die
Hoffnung der frühen Moderne auf die unmittelbare Integration der individuellen
künstlerischen Arbeit in die Lebenspraxis und den Gebrauch widergespiegelt. Dies
aber im Rahmen einer Intervention, die als ›Einzelausstellung‹ eines Künstlers im
Rahmen einer Themenausstellung im Rahmen einer internationalen Biennale in
das Feld der ›Kunst‹ mehrfach eingeschlossen ist. Ashers Arbeit schreibt sich nicht
in den Horizont der Versöhnung von Kunst und Leben ein. Sie gemahnt an den
Versöhnungsgedanken in der Form der Allegorie.22
Dass die Arbeit 1976 als Herausforderung empfunden wurde, zeigt erneut der
Widerstand des Kurators. Celants Abgabe der Verantwortung an die einzelnen
Künstler des zweiten Teils der Ausstellung erwies sich als nur rhetorische Geste.

22 »Konstruktivismus als Allegorie«, so ist ein Text von Helmut Draxler über die Arbeit Heimo
Zobernigs, des in meinen Augen wichtigsten von Ashers zahlreichen ›Erben‹, überschrieben (in:
Heimo Zobernig, Ausst.-Kat. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien/Kunsthalle Basel/K21
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf 2002/2003, hg. von Eva Badura-Triska, Köln 2003,
S. 280–286. Zumindest in der Biennale-Arbeit Ashers ist diese Perspektive schon implizit enthalten.

150
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Als Asher in Venedig ankam, war der in den Grundrissen, mit denen er gearbeitet
hatte, eingezeichnete Durchgang von seinem Raum zu dem angrenzenden Douglas
Wheelers zugemauert, sodass die Installation nur von außen hätte betreten werden
können. Celant und der Ausstellungsarchitekt weigerten sich, die Wand wieder zu
öffnen. So wäre, wie es Heiner Friedrich versucht hatte, die Installation als Dienst-
leistung annektiert gewesen, da die Arbeit nicht mehr als Teil der Ausstellung
lesbar gewesen wäre. Erst ein kollektiver Protestbrief von einigen der beteiligten
Künstler führte dazu, dass ein schmaler Durchgang wieder geöffnet und Ashers
Installation an die Abfolge der Ausstellungsräume angeschlossen und dadurch
funktionsfähig blieb.
Mit den Objekten, den Stühlen, führt Asher so ein spezifisches Thema in sein
Dispositiv ein. Während die Arbeiten bei Friedrich und Toselli das Zeigen selbst –
die Produktion der Sichtbarkeit als Grund der Selbstpräsenz des modernen
Werks – analysierten und die Sichtbarkeit leer ließen, um sie als Geschehen les-
bar zu machen, kehrt hier der Gehalt, das Sujet, man könnte sagen: die Bildfigur,
zurück; ein Sujet allerdings, das wiederum vom Rahmen der Ausstellung aufge-
griffen und das ein denkbar offenes ist, da es den Bezug des Kunstwerks auf die
Welt überhaupt betrifft, der in der Moderne und im tautologisch selbstbezüglichen
Minimalismus so problematisch geworden war.
»The sale of art«, schreibt Donald Judd einmal, »is usually an artist’s main
contact with society«.23 Die Tauschbeziehung scheint die einzige zu sein, deren
Neutralität der tautologischen Unbezüglichkeit des Kunstwerks adäquat korres-
pondiert. Jeder spezifische Gebrauch – außer der schlicht hinnehmenden Wahr-
nehmung – scheint dem Status der autonomen visuellen Kunst der Moderne unge-
mäß. Mit seinen Permanenten Installationen in Marfa im Südwesten von Texas,
die ich für einen Moment als Gegenbild zu Ashers temporären Interventionen
einblenden will, hat Judd der Nivellierung des Weltbezugs des Kunstwerks zur
Warenzirkulation den Versuch entgegengehalten, in monumentaler Isolation ein
Bild seines Werks zu stabilisieren, in dem der Raum und die Zeit der Sichtbarkeit
seiner Kontrolle unterliegen bzw. als Produkte der Natur ausgewiesen sind: natür-
liches Licht, vom Wechsel des Tages- und Jahreslaufs rhythmisiert, ein vom Men-
schen nur wenig manipulierter Landschaftshorizont als parergonaler Hintergrund.
So soll die Wahrnehmung, das Sehen selbst, als der allein adäquate Zugang und
Bezug zum Werk sichergestellt werden. Die Zeit des Werks erscheint als von der
Geschichte abgelöste, stillgelegte, von der Sonne umkreiste Gegenwart. Der Raum
wird von der kristallinen Anordnung der juddschen Boxen, die sonst als Trabanten
im Kunstbetrieb zirkulieren, um gelegentlich, temporär, in Museumsräumen zur
Ruhe zu kommen, induziert. Die Gegenwart der Permanenten Installation ist in
eine Art nunc stans verwandelt, der Gegenwart des repräsentationalen Bildes ana-

23 Donald Judd: Complete Writings 1975–1986, Eindhoven 1987, S. 11.

151
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

log, in dem ebenfalls die Zeit stillgelegt und Licht und Raum unter Kontrolle sind.
Aber ist diese Situation, in der Judd den Grund einer nicht mehr nur formalen,
sondern kulturellen Autonomie des Werks zu finden glaubt, nicht vielmehr eine
in cineastische Maßstäbe projizierte Spiegelung der Ausstellungssituation eines
Werkobjekts im neutralisierten Raum des White Cube? Was Judd nicht sieht, ist,
dass das Element der abstrakten Sichtbarkeit selbst, die räumliche Synchronizi-
tät, nichts anderes ist als das sinnliche Schema (im kantischen Sinn) des Tausch-
gesetzes, der universellen Matrix der modernen Ontologie, die alles, was ist, auf
das homogene Element der Zählbarkeit bezieht. Die bloße Stilllegung, die Kristal-
lisation des Elements der Sichtbarkeit durch die Fixierung der Objekte auf dem
Bildgrund des billigen texanischen Landes gewinnt keinerlei Resistenz gegenüber
diesem Regime. Zwar sind die Objekte der Zirkulation entzogen, das nunc stans
der Permanenten Installation bringt aber erst recht die Kraft des Kapitals zum Aus-
druck, die alle räumlichen, zeitlichen und materiellen Differenzen in der prinzi-
piellen Gleichzeitigkeit ihrer Tauschbarkeit aufeinander bezieht.
In den Arbeiten bei Toselli und Friedrich hat Asher diese Matrix des Welt-
bezugs des Werks, den Tausch, unmittelbar konfrontiert, indem er das Element,
durch das die Galerie das Werk in ein isoliertes aistheton verwandelt, zum Mate-
rial seiner Arbeit gemacht und mit den Vollzügen ihrer Produktion verkoppelt hat.
Darin liegt der Kern der Verzeitlichung der Werkstruktur bei Asher. Es findet hier
kein Prozess statt, der den Rahmen einer Gegenwart nur durchläuft und statt einer
statischen eine sich verändernde und vorübergehende plastische Form in diesen
Rahmen projiziert. Die Gegenwart selbst, das Element der Sichtbarkeit, wird im
Vollzug ihrer Entstehung aufgesucht. Das Geschehen der Sichtbarkeit selbst ist
das Werkgeschehen. Dessen materielle Bedingungen, der Ort in seiner vollen sinn-
lichen Konkretion und historisch bestimmten Bedeutsamkeit, der institutionelle
Kontext, gehen in dieses Geschehen in unterschiedlicher Weise und Funktion ein:
als das, was in der Sichtbarkeit als Bild erscheint, aber auch als das, was sie als ihr
Träger begrenzt. Wenn Asher in Venedig daher das mobile Objekt wiedereinsetzt,
dann nicht, um das Werkgeschehen in diesem Ausstellungsstück zur Ruhe kom-
men zu lassen. In dem Ensemble der Bildfiguren, das die Stühle wie ihre von all
der Kunst ermüdeten Benutzer sind, hat die Frage nach dem Weltbezug des Kunst-
werks eine spezifische Ausrichtung gefunden, die auf den Kontext der Ausstellung
antwortet. Damit ist aber nicht die ontologische Struktur des Werkgeschehens in
die Existenz und formale Gegenwart der Stühle und den Vollzug ihrer Benutzung
kollabiert. Das Werkgeschehen bleibt als die Struktur, die diesen Inhalt als gezeig-
ten in Klammern setzt, vom Vollzug der Benutzung gelöst. Nur eine naiv ikono-
grafische Lektüre, die im ›primären Sujet‹ des Werks den einzigen Einstieg in eine
Deutung findet, wird das übersehen.

152
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

In einer weiteren Arbeit, Ashers Beitrag zu einer Gruppenausstellung mit Richard


Long und David Askevold im Los Angeles Institute of Contempory Art (LAICA),
15. Januar–10. Februar 1977, wird diese Trennung von Werkstruktur und ›Sujet‹
noch deutlicher. Das Areal von Ashers Arbeit ist an der Südseite des Gebäudes,
in Sichtnähe zur Kasse und zum Bookshop, wo auch Büroaktivitäten abgewickelt
werden, situiert (Abb. 12 und 13). Eine Glasvorhangfassade öffnet diesen Bereich
auf den Außenraum. Asher verwendet seinen Anteil des Ausstellungsbudgets, um
drei bis vier Teilnehmer zu bezahlen, die sich während der Öffnungszeiten der Aus-
stellung in diesem Areal aufhalten sollen. Tische und Stühle, Kaffeemaschine etc.
werden bereitgestellt. Die Teilnehmer können tun, was sie wollten. Gefordert ist
ihre zeitlich und räumlich definierte Präsenz. Sie sind die Ausstellungsstücke. Vier
Dollar die Stunde, sechs Stunden täglich, bei fünfzehn Öffnungstagen – damit war
das Budget von 1300 Dollar aufgeteilt. Das Material, mit dem Asher hier arbeitet,
ist die Anwesenheit der Teilnehmer, und das Mittel, diese Anwesenheit auf den
Rahmen der Ausstellung zu spannen, ist abermals, jedoch in anderer Weise als in
den Ausstellungen in kommerziellen Galerien, das Geld, das Präsenz oder Gegen-
wart auf die Matrix der Zählbarkeit bezieht.
Die Arbeit hat widersprüchliche Reaktionen der Beteiligten hervorgerufen.
Asher nimmt in seine Dokumentation den Kommentar eines Teilnehmers auf, der
den progressiven Aspekt hervorhebt: Statt ein verdinglichtes Werk zur passiven
Kontemplation anzubieten, würden hier »menschliche Beziehungen«24 initiiert.
Nur am Rand taucht das Bedenken auf, dass es doch noch einen Autor gäbe, der
die Struktur der Arbeit verantwortet und sich die Situation der offenen Kollabora-
tion unterwirft, jedoch wird dies als »Konzession des Werks an den Status-quo«25
arbeitsteiliger Produktion verbucht. Eine andere Teilnehmerin begründet dagegen
ihren Rückzug nach einem Tag mit der durchdringenden Künstlichkeit der Situa-
tion: »I was arting my lunch and I was arting my coffee.«26 Kollaboration, sozialer
Kontakt, Kommunikation sind, so real die Situation ist, in den Modus theatraler
Performanz versetzt. »›Social interaction‹, you say: big concept.« Aber gesprochen
wird  – »blackly humorous but not particularly relevant«  – über Kunst. »Social
interaction = art discourse. Largest common denominator. – I’d rather be pointing
somewhere else.«27 Während diese Teilnehmerin die Bezahlung als Erleichterung,
als »lubricating agent«, empfindet, fragt eine dritte, deren Kommentar nicht in
Ashers Dokumentation, aber im von ihm mitherausgegebenen Ausstellungskata-
log abgedruckt ist: »Why a money involvement? Would that make me an employee
and add some assurance of proper conduct on my part?« Und sie äußert den Ver-

24 Asher: Writings on Works, a.a.O., S. 149.


25 Ebd.
26 Ebd., S. 150.
27 Ebd.

153
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 12 und 13: Asher, Beitrag zur Gruppenausstellung mit Richard Long und
David Askevold, LAICA, Los Angeles, 15. Januar–10. Februar 1977.

dacht, dass Asher die Sache vor allem arrangiert hatte, um jemanden zum Reden
zu haben: »He really does love to sit and talk. He wandered in often and stayed
indefinitely. He could count on someone usually being there … to talk.«28
Es geht hier nicht um die Auflösung der Werkstruktur in der Utopie unmittel-
barer Kommunikation. Wie die Stühle und ihr Gebrauch in Venedig sind die Teil-
nehmer, ihre Aktivitäten und die Kommunikation, ob reduziert auf »art discourse«
oder nicht, in die Klammer des Gezeigtseins versetzt. Die Teilnehmerin, die den
univoken Sinn aller hier möglichen Aktivitäten im Verb ›to art‹  – »I was arting
my lunch and I was arting my coffee« – kondensiert, hat dies genau erfasst. Im
Paradigma des Werks fungieren die Teilnehmer als Bildfiguren. Die Bezahlung
objektiviert die Zeit, sie objektiviert alle Aktivitäten der Teilnehmer wie ein unent-
rinnbarer und richtungsloser Blick. Diese Struktur wird durch den Kontrast zu
den Museumsangestellten, die an der Kasse und im Bookshop, in Sichtnähe, ihrer
Arbeit nachgehen, und zu den Besuchern,29 die kommen, um zu schauen, verdeut-
licht (Abb. 13). Die minimale und unsichtbare, den Besuchern aber auf einem Saal-
zettel mitgeteilte Objektivation durch die Bezahlung ist nötig, um die Instanzen
von Werk, Autor, Betrachter und Institution in ihrer Differenz sichtbar zu machen
und die Strukturen ihrer Vermittlung zu reflektieren.
Konnte man diese Situation noch als Werk von Asher erfassen und sich als
Betrachter/in von ihr distanzieren? Konnte man die Arbeit auch nur anschauen
wie ein Gemälde oder eine Plastik oder auch und vor allem, wie man Performance-
Kunst anschaut? Verwandelt die Bezahlung und der damit verbundene Auftrag an
die Teilnehmenden, sich hier, in dem Areal der Arbeit Ashers und nicht in dem
der Arbeiten Longs oder Askevolds aufzuhalten, diesen Raum an der Fensterwand
nicht in eine Art Vitrine, ein Aquarium, in dem in diesem Fall die Betrachter sich
mit den Fischen aufhalten? Indem Asher die bezahlte, entfremdete Arbeit in der

28 Michael Asher (Hg.): Michael Asher, David Askevold, Richard Long, Ausst.-Kat. Los Angeles In­
stitute of Contemporary Art 1977, Los Angeles 1978, S. 8.
29 Ob die Besucher Eintritt zahlen mussten, ist der Dokumentation nicht zu entnehmen.

154
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

Abb. 14 und 15: Asher, Ausstellung im MoCA, Chicago, 8. Juni–12. August 1979.

transparenten Form bezahlter Zeit, die den konkreten Tätigkeiten der Teilneh-
mer  – innerhalb der Grenzen ihrer zeitlich und räumlich definierten Präsenz  –
allen Spielraum lässt, zum Element seiner Arbeit macht, zerstört er die Möglichkeit
des abstrakt-ästhetischen Verhaltens zum Werk. Die Sichtbarkeit des Werks, die
Sichtbarkeit der Bildfiguren, die die Teilnehmer sind, hat jedes Moment formaler
Abstraktion und medialer Vermittlung abgestreift und ist dennoch durch die arith-
metische Beziehung der lebendigen Gegenwart, des Horizonts möglicher Interak-
tion, auf die Matrix des Geldes als gezählter Zeit strikt formalisiert.

Ich möchte mit dem Blick auf eine Installation am Museum of Contemporary
Art in Chicago schließen, die anlässlich einer Einzelausstellung vom 8.  Juni bis
12. August 1979 realisiert wurde. Hier ließ Asher einige der großformatigen qua-
dratischen Platten aus eloxiertem Aluminium von ihrem Platz an den Außen-
wänden des neuen Erweiterungsbaus des Museums, wo sie als Verkleidung der
Architektur dienten, entfernen und in den auch von außen einsehbaren, verglasten
Durchgangstrakt versetzen, wo sie, als Wandrelief installiert, das Idiom minima-
listischer autonomer Kunst zu sprechen schienen. Zehn Platten der links der Glas-
front um das Haus herumlaufenden Fassade, sechs Platten der Frontfassade rechts
der Glasfront fehlen so, wenn die Arbeit installiert ist, an ihrem vorgesehenen Platz
im architektonischen Verbund und erscheinen im Innenraum als minimalistische
Reliefs (Abb. 14 und 15). Die Distanz der Gebrauchsweisen von Kunst und Archi-
tektur, die die Einförmigkeit ihres formalen Vokabulars nicht verhindert, wird
hier in einem Sprung durchquert.30 Gerade in der Aneignung eines formalistischen
Idioms wird so die Entschiedenheit von Ashers Bruch mit dem formal-ästheti-

30 Zur Technik des deplacement in dieser Arbeit und einer zur gleichen Zeit (9. Juni–5. August 1979)
am Art Institute in Chicago realisierten Installation vgl. Craig Owens: »From Work to Frame, or, Is
There Life After ›The Death of the Author‹?«, in: ders.: Beyond Recognition. Representation, Power,
and Culture, hg. von Scott Bryson, Barbara Kruger, Lynne Tillman, Jane Weinstock, Berkeley/Los
Angeles/London 1992, S. 122–139.

155
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

schen Paradigma greifbar. Es ist evident, dass nicht die phänomenalen Qualitä-
ten der verschobenen Elemente selbst oder der durch die Verschiebung erzeugten
Situation, sondern der Sprung der Differenz, den sie aufklaffen lässt und den eine
formale und phänomenologische Analyse nicht zum Gegenstand machen kann, die
Funktion des Werks trägt.
Ich habe betont, wie aufmerksam Asher jeweils auf die besonderen materiel-
len Gegebenheiten der Situation reagiert. In der Galerie Friedrich wird neben dem
Anstrich der Decke auch der Spalt zwischen Wand und Boden verspachtelt, in
Venedig wird der Raum vor der Aufstellung der Stühle renoviert, in der Galleria
Toselli spielen die Lage im Souterrain und noch die dominante Farbigkeit der städ-
tischen Umgebung – braun wie die freigelegten Wände – eine Rolle, im LAICA die
Situierung an der Glasvorhangfassade an der Südseite des Gebäudes. Die konkrete
Materialität und die phänomenalen Eigenschaften der Situation sind für Ashers
Entscheidungen ebenso maßgeblich wie deren institutionelle, soziale und ökono-
mische Überdeterminierung.31 Dennoch sind seine Arbeiten auf der Ebene ihrer
phänomenalen oder ästhetischen Effizienz nicht ausreichend rezipierbar. Diese
erfasst nur die Bildseite, den Schnitt anschaulicher Gegenwart, den der präsenti-
sche Blick des Rezipienten durch das Werkgeschehen legt. Was sich diesem Blick
zeigt, ist immer schon Bild, d.h. Anblick geworden. Das Geschehen der Sichtbar-
keit, in dem dieser Anblick sich konstituiert, geht in seiner Unmittelbarkeit nicht
auf. Die Substanz des Werks ist das non-synchrone, immaterielle Geschehen der
Sichtbarkeit selbst, das in dem Anblick – der Bildfigur – nur eine Grenze findet.
So erzeugt in Chicago die Korrespondenz zwischen dem Raster der versetzten
Platten und der Fensterfront zwar eine gewisse formale Harmonie. Das gleichzei-
tige Fehlen der Platten im Architekturverbund bleibt in der ästhetischen Rezeption
dieser Harmonie aber ausgeblendet. Noch wenn man die Elemente des Reliefs als
Bestandteile der Architektur identifiziert und so die von minimalistischer Kunst
und Architektur geteilte »Infrastruktur«32 industrieller Produktion als ikonolo-
gischen Deutungshorizont anvisiert, wie es Asher in seinem Kommentar selbst
tut,33 ist damit das Werkgeschehen nicht erfasst (sondern nur das Sujet der Arbeit
interpretiert). Entscheidend ist über den phänomenalen Eindruck und den iko-
nologischen Deutungshorizont hinaus das Geschehen der Sichtbarkeit selbst, dass
die Verschiebung der Platten – ihre Präsenz im Innenraum so sehr wie ihr Fehlen
im Architekturverbund – als solches aktiviert. Es ist dieses in seiner Temporali-

31 Für die Beteiligung an der Documenta wurde auch deshalb eine eigens gebaute Struktur als Trä-
ger gewählt, weil Asher zur Vorbereitung der Arbeit nicht selbst nach Kassel reisen und den Ort ins-
pizieren konnte (vgl. Asher: Writings on Works, a.a.O., S. 57).
32 Vgl. Robert Morris: »Anmerkungen über Skulptur«, in: Gregor Stemmrich (Hg.): Minimal Art.
Eine kritische Retrospektive, Dresden/Basel 1995, S. 114.
33 Vgl. ebd., S. 197f. Dan Graham hat solche ›ikonografischen‹ Beziehungen von Minimal Art und
Architektur schon seit Homes for America (1966) ironisch durchgespielt.

156
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

tät explizit gemachte Zeigen, das ich als ›maschinisches‹ Geschehen eher denn als
›organischen‹ Prozess beschreiben will.

Eine Maschine ist kein Perpetuum mobile. Sie läuft nur für eine bestimmte Zeit
und unter bestimmten Anschlussbedingungen. In Chicago im Museum of Contem-
porary Art, das Ashers Arbeit – nämlich das Recht zu ihrer wiederholten Installa-
tion – erworben hat, sind die Platten der Gebäudeverkleidung öffentlich eingela-
gert, wenn sie als Architekturelemente angebracht sind. Die materiellen Elemente
existieren, aber das Werk ist ›ausgeschaltet‹. Bei Heiner Friedrich waren es die in
den engen Grundriss zugleich zusammengedrängten und separierten Funktionen
der Galerie, deren Divergenz Ashers Arbeit als Spannungsquelle integrierte. Im
LAICA war es die Bezahlung der Aufenthaltszeit, das Geld, das wie eine warhol-
sche Kamera jede Bewegung der Teilnehmer objektivierte, die dort am Fenster im
Tageslicht saßen. Die Bezahlung schneidet sie aus, trennt sie aus ihrem natürli-
chen Lebensvollzug heraus, und an der unsichtbaren Linie dieses Umrisses wird
die komplexe Matrix – die ökonomische, soziale und politische Matrix –, die die
Positionen von Betrachtern, Museumspersonal, Künstler und Kunstwerk different
hält, in fast unheimlicher Präzision evident.
In allen besprochenen Arbeiten ist der explizite Bezug der visuellen Gegenwart
auf den Zeitverlauf – die Kette zählbarer Augenblicke –, aber ebenso auf die Zeit als
die vertikale Vergangenheit, die in den materiellen und symbolisch-semantischen
Eigenschaften der gegebenen Situation sich niederschlägt, für die Werkfunktion
entscheidend. Die Gegenwart, selbst eine Form der Zeit, und der Horizont, in dem
formal-autonome Kunst das ausschließliche Element ihrer Präsenz und Sinnbil-
dung finden sollte, ist als der Schnitt des je aktuellen Augenblicks durch die ein-
sinnig verrinnende Zeit bestimmt. Was im Licht dieser Gegenwart erscheint, ist
zum Bildphänomen geworden. Es ist der Illusionsform des natürlichen Bewusst-
seins assimiliert. Durch Ashers Eingriffe ist dieses Phänomen in unterschiedlicher
Weise mit den Bedingungen der Produktion – nicht seiner selbst als Objekt, son-
dern seiner Gegenwart als Phänomen – verknüpft. Die gezeigte Bildfigur bleibt mit
dem Rand oder Träger des Elements ihrer Sichtbarkeit verbunden – wie bei der
Arbeit im LAICA die Präsenz der Teilnehmer mittels des ›rinnenden‹ Geldes auf die
Zeitstruktur des Werks bezogen bleibt –, oder sie ist nichts anderes als der Anblick,
die unmittelbare Darstellungsform dieses Rands – wie der nackte Galerieraum in
Mailand. Die Substanz dieses Trägers geht nicht in die visuelle Gegenwart ein. Sie
gehört einer anderen Zeitordnung an: der vertikalen Vergangenheit, der Zeit der
unbewussten Geschichte, die in der Materialität und symbolischen Struktur der
gegebenen Situation ihren Niederschlag und Ausdruck findet.
In unterschiedlicher Weise lassen Ashers Arbeiten die phänomenale Gegen-
wart auf die inkommensurable Dimension des Trägers durchreißen. Diese Risse
strukturieren das Werkgeschehen. Sie verhindern seine Nivellierung mit der syn-

157
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

chronen Gegenwart des Gegebenen. Der Ort in seiner vollen sinnlichen Konkre-
tion, die hinzugefügten oder entfernten Materialien und Objekte, die freiwilligen
und unfreiwilligen Partizipanten und ihre Handlungen sind Elemente der Verzah-
nung dieser Gegenwart mit der Zeit des Trägers, die deren Rückseite bleibt. Die
lineare Zeit, in der die Dauer der Arbeiten ihr Maß und ihre Grenze findet, ist das
Produkt der unmöglichen Beziehung dieser beiden inkommensurablen Ordnun-
gen der Zeit. Als die Kette der Augenblicke, von denen je nur einer, der späteste, ist,
ist die lineare Zeit das Produkt der Beziehung eines Gegenwartshorizonts, der sich
als Sinnhorizont von allem, was ist, begreifen muss, und der vertikalen Vergangen-
heit, deren letzter, spätester Ausläufer und deren Wirkung dieser unhintergehbare
Horizont ist. Die Undenkbarkeit der linearen Zeit, die die Aneignungsversuche der
klassischen Ontologien hat abgleiten lassen, ist Ausdruck dieser ihrer Funktion
einer Vermittlung des unvermittelbaren Risses, der die Gegenwart als Horizont
des Weltzugangs des Bewusstseins von der absoluten Vergangenheit als der Zeit
des Unbewussten und der Sedimentation trennt.
Was stellen Ashers Arbeiten, wenn sie in diesen Riss der Zeit – in den Riss,
der Bild und Träger, Bewusstseinsgegenwart und absolute Vergangenheit trennt –
eingelassen sind und ihn explizieren, also her? Meine schon im Vorgriff gegebene
Antwort war: Sichtbarkeit oder, mit Heideggers Wort, Unverborgenheit – und in
diesem Sinn Wahrheit. Aber was heißt hier ›Wahrheit‹? Und was unterscheidet die
in Ashers Arbeiten ›hergestellte‹ Sichtbarkeit von der vorgegebenen, pseudonatür-
lichen Sichtbarkeit, dem Element der illusionären Transparenz des Bewusstseins
und der bloß formalen Autonomie spätmoderner Kunst? Um diese begrifflich
und sachlich so labilen wie entscheidenden Differenzen zu sichern, greife ich auf
die anfangs umrissene Topik zurück, die den Raum postmedialer Installations-
kunst über die Schwelle des bloß selbstbezüglichen Bildes hinweg auf den Raum
per­spektivischer Malerei bezieht. Mit Blick auf diese Topik habe ich Wahrheit
zunächst mit dem Schein identifiziert, der den in der Welt existenten und der Zeit
unterworfenen materiellen Träger des repräsentationalen Bildes auf das gezeigte
Bildphänomen durchlässig macht, indem er den Zwischenraum zwischen Träger
und Phänomen füllt. Ich habe gesagt, dass dieser Schein, das Nichts der Sichtbar-
keit, in der Moderne den Ort im Bild verloren hat. Er hat in dem prekären Moment
des schieren Selbstverweises der minimalistischen oder literalistischen Kunst der
frühen sechziger Jahre die Bildebene durchquert und ist zum Element der dies-
seitigen Sichtbarkeit geworden, in der reale Objekte, Personen und Handlungen als
Bildfiguren erscheinen können. Die Crux nicht nur des Minimalismus34 liegt darin,
diese Sichtbarkeit im wirklichen Raum für das Element unverstellter Realitäts­
aneignung überhaupt zu halten. Seit den sechziger Jahren lebt eine Vielzahl künst-

34 Vgl. Hal Foster: »Die Crux des Minimalismus«, in: Stemmrich (Hg.): Minimal Art. Eine kritische
Retrospektive, a.a.O., S. 589–633.

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

lerischer Praktiken von der Illusion, die zuletzt als Relationale Ästhetik Konjunk-
tur hatte,35 dass es eine Kontinuität zwischen der ästhetischen und der sozialen
und kommunikativen Unmittelbarkeit gäbe. An institutionskritischen Praktiken
im allgemeinsten Sinn ist entscheidend, dass sie sich dieser Illusion widersetzen.
Sie halten fest, dass alles, was sich im Raum der ästhetischen Gegenwart vollzieht,
von den verleiblichten Wahrnehmungsprozessen der Minimal Art bis zum realen
Gebrauch einer der zahllosen Bars oder Artist’s Lounges, die seit Ashers Biennale-
Beitrag entstanden sind, auf den Status einer allegorischen Figuration reduziert
ist. Das Element dieser Figuration mag nicht mehr der Bildraum sein, der die Bild-
figur auf den körperlosen Aspekt reduziert. Es ist das Element des Scheins, der
die medial und diskursiv gestützte Öffentlichkeit von Kunst heute ist. Wer sich als
Akteur in diesem Element bewegt und sich unmittelbar für wirklich hält, ist einer
Selbstverwechslung mit seinem Spiegelbild erlegen. Die Konsistenz und Konsti-
tutionsbedingungen des Elements der Spiegelung werden von der künstlerischen
Praxis her selten thematisiert.36 Auch der begleitende Diskurs übernimmt primär
kompensatorische und affirmative Funktion. Er flicht vor allem die Nervenstränge
politischer Theorie in den zur Kunstöffentlichkeit verflüssigten ästhetischen
Schein, um seine Resonanzfähigkeit und damit die scheinbare historische (soziale,
politische) Relevanz dessen, was sich in ihm ereignet, zu markieren. Lässt sich aber
unter diesen Bedingungen noch eine Affinität des Scheins mit so etwas wie Wahr-
heit behaupten?
Für den Schein des repräsentationalen Bildes war entscheidend, dass er an den
Ort seiner Entstehung gebunden ist. Die Krise des Scheins ist im Bild der Tradition
immer schon angelegt. Die Kontinuität zwischen der natürlichen Wahrnehmung
und der bildlichen Illusion, die die Perspektivkonstruktion der Renaissance for-
malisiert hatte, ist an der Bildebene vorgebrochen. Das repräsentationale Bild fes-
selt das Subjekt daher gerade nicht in der Bildtiefe, durch die der begehrende Blick
nach der Bildfigur greift, um ihre Bedeutung zu konsumieren; es macht vielmehr,
in dem Moment, da die Illusion sich an der Resistenz des Bildträgers bricht, die
perspektivische Verfasstheit oder den Illusionscharakter der Wahrnehmung selbst
explizit. Ohne dem Subjekt eine Flucht aus dieser Illusionsstruktur seiner Wahr-

35 Nicolas Bourriaud: Esthétique relationelle, Dijon 2001.


36 Welche Sprengkraft eine Analyse dieser Konstitutionsbedingungen gewinnen kann, zeigt eine
Arbeit wie Andrea Frasers Performance Official Welcome (2001). Das virtuose Enactment divergie-
render Modelle, die für die Rolle der ›Künstlerin‹ kursieren, macht die (In-)Konsistenz des Elements
selbst, das die Rollenbilder trägt, evident. Bei der gut besuchten Vernissage der eigenen Retrospek-
tive aufgeführt – so in der Hamburger Version (2003), auf die ich mich beziehe –, ist dieses Element
die Luft, die die Vernissagenbesucher und auch der Betrachter der Filmaufzeichnung atmen. Ich sehe
in Frasers Arbeit eine der wenigen zeitgemäßen Transformationen von Ashers Projekt. Dass auch sie
immer wieder einer Objektivierung – einer imaginären Identifikation und dadurch Konsolidierung –
der Institution nahekommt, so in ihrer investigativen Arbeit zur EA Generali Foundation (vgl. Anm.
11), zeigt die Resistenz der positivistischen Episteme der Spätmoderne an.

159
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

nehmung zu ermöglichen – etwa in die flächige Transzendenz eines Goldgrundes,


in dem das Unendliche sich in substanzieller Dichte in der Welt präsentiert –, stößt
die im Bild fixierte perspektivische Täuschung eine Kritik des Scheins der natür-
lichen Wahrnehmung selbst an. Diese Kritik löst den Schein nicht auf, aber sie
expliziert seine genetische Struktur und begreift seine Defizienz – seine Aspekthaf-
tigkeit – in ihrer Notwendigkeit. Wahrheit als der Horizont der Unverborgenheit,
in dem einem endlichen Subjekt seine Welt erscheint, ist in diesem Sinn mit dem
Schein fast kongruent: Sie ist der hinsichtlich der Struktur seiner Perspektivität
explizit gemachte Schein. Die Krise des Scheins fällt mit der Wahrheitsproduktion
in eins.
Es ist daher ein Trugschluss oder zumindest eine Überhastung, in der moder-
nen Destruktion der Bildillusion pauschal eine Emanzipationsbewegung vom
Schein zu sehen. Das vollflächig opake Bild und das massive Ding, die das Telos
der repräsentationskritischen Bewegung der Moderne sind,37 sind per se nur in die
gleichförmige Positivität dessen, was ist, eingelassen. Diese Positivität nimmt in
der umrissenen Topik die Stelle der konstituierten Wirklichkeit ein. Sie entspricht
jenem natürlichen oder objektiven Schein, dem das perspektivische Bild sich
anmaß, um durch seine artifizielle Verdopplung seine Konstitutionsgesetze und
seine Täuschungsstruktur offenzulegen. Jedoch hat sich die Struktur des Scheins,
den die tautologische Präsenz des minimalistischen Werks verdoppelt, historisch
verwandelt. Der Träger der Repräsentation und Selbstreproduktion der Welt, die
Matrix ihrer Darstellbarkeit, ist in der Moderne nicht mehr das Cogito, das trotz sei-
ner formalen Universalität singularisierte neuzeitliche Subjekt, sondern das Kapi-
tal. Die Form, unter der dieses das Seiende vorstellt, die Warenform, hat die des
Bildes als maßgeblichen Modus der Konstitution des objektiven Scheins ersetzt.
Die moderne Repräsentationskritik kann im Ganzen als Parallelbewegung zu die-
ser grundlegenden epistemologischen Transformation verstanden werden, in der
der abstrakte Tauschwert den mathematischen Raum als universelles Element der
Repräsentation abgelöst hat.38 Das Kunstwerk, das die Differenz des Bildscheins
aus seinem Körper vertreibt, passt sich Bedingungen an, in denen nicht mehr
das menschliche Vorstellen mit seiner Kapazität der aktiven Differenzbildung als
bestimmendes Moment der Wirklichkeitskonstitution erfahren wird, sondern die
Maschinerie eines Markts, in dessen Selbstregulation die menschlichen Subjekte

37 Sicher gibt es keine innere Notwendigkeit einer solchen Entwicklung; es gibt aber vielfache Aus-
formungen teleologischer Motive, die die Entwicklung faktisch geprägt haben. Die Teleologie ist
kunstpolitisch immer ein schlagkräftiges Argument für die historische Relevanz der jeweils eigenen,
gezielt aus dem Vorangegangenen abgeleiteten Position. Es wäre absurd, in Stellas oder Reinhardts
Black Paintings oder im frühen Minimalismus diese argumentative Matrix nicht zu erkennen.
38 Ausführlich zu dieser Beziehung vgl. Egenhofer: Abstraktion  – Kapitalismus  – Subjektivität,
a.a.O.; vgl. auch ders.: »Figuren der Defiguration. Vier Thesen zur Abstraktion«, in: Texte zur Kunst,
Nr. 69 (März 2008), S. 60–71.

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Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

ein statistisches Material unter anderen sind. Ob diese Anpassung, die Mimikry
ans Verhärtete, Verdinglichte, wie Adorno sagen würde, die Kraft hat, die Situ-
ation zu überschreiten und sie so in ihren Grundzügen sichtbar zu machen, ist
damit nicht gesagt. Die tautologische Selbstpräsenz des minimalistischen Werks
steht zumindest in der Gefahr, das Äquivalenzgesetz bloß zu affirmieren. Die Ver-
treibung des Bildscheins aus dem Werk bringt es zwar auf die Höhe der Episteme
der kapitalistischen Moderne; es weicht nicht aus in den ›Humanismus‹ figurati-
ver Repräsentation. Mit der Verschmelzung von Phänomen und Träger des ehe-
maligen Bildes tritt das minimalistische Objekt aber als Bildfigur ins Element der
spektakulären, vom Tauschwert induzierten Sichtbarkeit ein. Die Frage nach dem
Träger dieses Scheins wird tendenziell nicht gestellt, da alle Aufmerksamkeit im
retrospektiven Kampf gegen die obsolet gewordene Bildillusion gebunden ist. Die
buchstäbliche Materialität der Situation, einschließlich der Rezipienten in ihrer
Leiblichkeit, wird daher als Realgrund der Wahrnehmung und ihres Illusionsspiels
begriffen. Die Geschichtlichkeit der Situation, die Konsistenz und das Geworden-
sein dieser Gegenwart, in der sich die neuen Formen einer inkarnierten ästheti-
schen Erfahrung etablieren, bleibt dabei unthematisch. Die Minimal Art kann als
ein Symptom des historischen Moments verstanden werden, in dem die moderne
Repräsentationskritik in der Abstraktion des Tauschwerts ihren Motor erkennt,
ohne diese Erkenntnis schon voll explizieren zu können. Es ist diese epistemo-
logische Ambiguität des Symptoms, das ihre historische Bedeutung ausmacht:
radikal widerständig gegen die Formen klassischer (›humanistischer‹) Repräsen-
tation und darin die Markierung eines epochalen Bruchs in der Entwicklung der
Moderne, aber wehrlos gegen die Subsumtion unters Regime des Spektakels, wie
neben Judds oder Dan Flavins Spätwerk auch die Karriere des minimalistischen
Looks in der Mode, dem Design und der Innenarchitektur zeigt.
Die Generation Ashers ist Ende der sechziger Jahre mit dieser Situation einer
zum Abschluss gebrachten Repräsentationskritik konfrontiert. Vom Boden des
Literalismus aus scheinen die Wege zu einer sozialen und politischen ›Verwirk-
lichung‹ von Kunst offenzustehen. Und wie wir gesehen haben, setzen Ashers
Arbeiten den Anti-Illusionismus der Moderne mit Entschiedenheit fort. Er treibt
die minimalistische Maxime der Materialspezifik weiter und setzt in einigen Fällen
explizit auf den Einschluss sozialer und utilitärer Momente in den Werkprozess.
Immer aber bleibt markiert, dass die so berührte außerkünstlerische Realität nicht
den Werkprozess ersetzt, sondern zu einem seiner Momente wird – zur Figur oder
zum Sujet im Element der abstrakten Sichtbarkeit, die er mit sich führt. Nicht im
realen Gebrauch der Stühle in Venedig, sondern im Aufweis seiner unvermeid-
lichen Derealisierung oder Allegorisierung durch die Integration in den Ausstel-
lungskontext liegt die Relevanz von Ashers Arbeit in Venedig. Von seinen Inter-
ventionen der siebziger Jahre aus wird insgesamt greifbarer, worin die Problematik
jener partizipatorischen und/oder utilitär geöffneten Kunst besteht, die in den letz-

161
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

ten 15 Jahren Konjunktur hatte. Zumindest auf der manifesten Ebene wird hier der
literale Prozess (der Gebrauch von Essen, Möbeln und Information) als der Werk-
prozess selbst inszeniert. Dass die Bedeutungsbildung, die die Gesamtheit dieser
Aktivitäten als Kunst resignifiziert und sie so auch ökonomisch erst ermöglicht,
auf der Ebene der institutionellen Arbeit und des medial vermittelten Diskurses
stattfindet, wird nicht thematisiert. Wie gesagt, liegt dem eine Selbstverwechs-
lung der Beteiligten mit ihren Spiegelbildern zugrunde. Diese Selbstverwechslung
ist aber nichts anderes als eine Fortsetzung des minimalistischen Realismus des
Signifikanten: eine imaginäre Identifikation der konkreten Materialität der Situa-
tion, die das Element, in dem sie sich vollzieht, als solches nicht erfasst. Ob das so
Identifizierte eine minimalistische Box oder eine Schale des vom Künstler berei-
teten Essens mitsamt den so initiierten Prozessen sozialer Interaktion ist, spielt
keine Rolle. Beides sind Bildfiguren im Element des spektakulären Scheins  – in
seiner spezifischen Ausprägung als entformalisierte, im realen Raum ausgebrei-
tete ästhetische Gegenwart. Dieser Derealisierung kann nur die Explikation der
Beziehung dieses Elements auf seine Produktionsbedingungen, entgegenwirken.
Institutionskritik, um nochmals diesen Terminus aufzugreifen, den Asher nicht
verwendet, aber für deren Entwicklung seine Arbeit seit den siebziger Jahren das
radikalste Paradigma darstellt, ist ein Weg, nicht der einzige, diese Explikation zu
leisten. Das verlangt nicht unbedingt einen so programmatischen Bruch mit der
Objekt- und Warenförmigkeit, wie ihn Asher vollzieht. Warhols Arbeit ist das beste
Beispiel dafür, dass der doppelte Fetischismus des ästhetischen und warenförmi-
gen Objekts auch einer immanenten Explikation, einer Sprengung durch Selbst-
überreizung, fähig ist. Jedoch muss das Kunstwerk – angesichts der Ergebnisse der
modernen Repräsentationskritik, die die Fixierung des Scheins in der Bildillusion
zerstört hat – die Sichtbarkeit seiner selbst denaturieren und in ihrer Abhängigkeit
von den historischen Strukturen durchsichtig machen, die heute die Präsenz oder
Öffentlichkeit von Kunst tragen. Diese Explikation ihres Gewordenseins entfaltet
erst die Gegenwart des Werks zum in sich non-synchronen Werkgeschehen, das
sich der ästhetischen Konsumtion wie der Subsumtion unter die Form des Spek-
takels widersetzt.
Auch dieses temporale Verhältnis von Schein und Träger zeichnet sich am
repräsentationalen Bild ab. Hier ist der Schein als die ideelle Gegenwart eines
Anblicks in den existierenden, von den Wirkungen der Zeit durchdrungenen Trä-
ger eingefaltet. Der Träger ist der temporale Rand des Bildscheins. Als eine Art
Zeitkanal gibt er den Blick auf die repräsentierte Vergangenheit frei. Zugleich aber
kann der Träger hier als ein Objekt in der Wahrnehmungswelt des Subjekts auf-
gefasst werden. Und es ist diese Auffassung – eine Fehlinterpretation, denn in dem
gegebenen Objekt ist die Bildfunktion erloschen, und damit verliert die Rede vom
Bildträger ihren Sinn –, die die moderne Repräsentationskritik in die Sackgasse
des Positivismus geführt hat. Ich lese Ashers Werk als Durcharbeitung des Bruchs

162
Zeit und Sichtbarkeit bei Michael Asher

mit dieser positivistischen Episteme. So deutlich es in der Folge modernistischer


Praktiken der Selbstreflexion und Selbstkritik des Mediums steht, macht es doch
klar, dass der Ort der Genese des Scheins nicht als Objekt in der natürlichen Sicht-
barkeit exponibel ist. Die Transparenz der ästhetischen Gegenwart auf ihre Pro-
duktionsbedingungen verwandelt den Ort dieser Produktion in ein Bild, in ein
gezeigtes Sujet. Die Zeit des Trägers, die vertikale Vergangenheit, hat die Gegen-
wart auch dieses Sujets immer schon überholt. Das ist der temporale Zirkel, dessen
formale Struktur Ashers Arbeit in der Galleria Toselli in der schlichtesten Weise
offenlegt. Die Materialität ist früher als das Phänomen, die Produktion ist dem Bild
und der bildförmigen Sichtbarkeit immer voraus. Das Exponierende, die Gesamt-
heit der Faktoren, die die Präsenz der Situation tragen, umhüllt und überbordet
das immer nur aspekthaft Exponierte, die Erscheinung der Situation für den Blick.
Die Erfahrung, die in diesen zeitlichen Zirkel eintritt, wird von seiner paradoxen
Struktur selbst restrukturiert. Sie findet in der ästhetischen Gegenwart nicht mehr
ihr widerstandsbefreites Element, sondern erfährt sie als das, was sie in der Tat ist:
Der Effekt einer unauflöslich opaken Vergangenheit, die ihr vorausgeeilt ist und sie
als die Materialität der Situation umschließt und begrenzt.

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