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Fels- und Tunnelbau

3. Tunnelbau
im Festgestein und
Lockergestein
(Auflage WS 2016/17)

INHALTSVERZEICHNIS

1.  BEGRIFFSDEFINITION ............................................................................................................... 4 


1.1.  Allgemeine Definitionen .................................................................................................. 4 
1.2.  Definitionen aus der ÖGG – Richtlinie für die Geomechanische Planung von
Untertagebauarbeiten mit zyklischem Vortrieb ................................................................ 5 
1.3.  Definitionen aus der ÖVBB – Richtlinie Schildvortrieb .................................................. 6 
1.4.  Weitere Definitionen ........................................................................................................ 8 
2.  GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DES TUNNELBAUS ................................................... 9 
3.  SPANNUNGSZUSTÄNDE IM GEBIRGE ................................................................................. 13 
3.1.  Primärer Spannungszustand ........................................................................................... 14 
3.1.1.  Seitendruckverhältnis K0 .................................................................................................14 
3.1.2.  Ermittlung des primären Spannungszustandes in der Praxis ...........................................17 
3.2.  Sekundärer Spannungszustand ....................................................................................... 18 
3.2.1.  Primärzustand elastisch – Sekundärzustand elastisch .....................................................18 
3.2.2.  Primärzustand elastisch – Sekundärzustand plastisch .....................................................23 
3.2.3.  Primärzustand plastisch – Sekundärzustand plastisch .....................................................30 
3.3.  Tertiärer Spannungszustand ........................................................................................... 30 
3.4.  Wechselwirkung zwischen Gebirge und Ausbau ........................................................... 31 
4.  BERECHNUNGS- UND BEMESSUNGSGRUNDLAGEN FÜR TUNNELBAUWERKE ...... 33 
4.1.  Belastungsansätze – Ermittlung der Primärspannungen................................................. 33 
4.1.1.  Festgesteinstunnelbau ......................................................................................................33 
4.1.2.  Lockergesteinstunnelbau .................................................................................................35 
4.1.3.  Einflussfaktoren auf die Tunnel- und Stollenbemessung – Zusammenfassung ..............38 
4.2.  Berechnungsmodelle für die Tunnelschale..................................................................... 38 
4.2.1.  Überblick .........................................................................................................................38 
4.2.2.  Tunnel als Tragwerk oder gebetteter Stabzug .................................................................39 
4.2.3.  Tunnel als Hohlraum im Kontinuum ...............................................................................44 
4.2.4.  Räumliche Berechnungsmodelle .....................................................................................58 
4.3.  Standsicherheit der Ortsbrust.......................................................................................... 62 
4.3.1.  Belastungsansätze ............................................................................................................62 
4.3.2.  Standsicherheitsnachweis ................................................................................................63 
4.4.  Der Eurocode 1997-1 bei der Tunnelbemessung............................................................ 66 
5.  BERGMÄNNISCHER VORTRIEB (ZYKLISCHER VORTRIEB) ........................................... 67 
5.1.  Vortriebsverfahren .......................................................................................................... 67 

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Fels- und Tunnelbau

5.2.  Alte traditionelle Bauweisen .......................................................................................... 67 


5.2.1.  Deutsche Bauweise (Kernbauweise) ...............................................................................67 
5.2.2.  Englische Bauweise (Längsträgerbauweise) ...................................................................69 
5.2.3.  Belgische Bauweise (Unterfangungsbauweise) ...............................................................70 
5.2.4.  Alte Österreichische Bauweise (Ringbetriebsbauweise, Multiple Drift Methode) .........72 
5.3.  Neue Österreichische Tunnelbaumethode (NÖT bzw. NATM) ..................................... 73 
5.3.1.  Definition der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise ................................................73 
5.3.2.  Prinzipien und Grundsätze der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise ......................73 
5.3.3.  Stützmittel .......................................................................................................................84 
5.3.4.  Voraussicherungsmaßnahmen .........................................................................................96 
5.3.5.  Tunnelausbau und Abdichtung ......................................................................................103 
5.3.6.  NÖT/NATM in verschiedenen Anwendungsbereichen.................................................110 
5.3.7.  Ausbruchsformen, Querschnittsformen und Sonderanwendungen der NATM.............113 
5.4.  Richtlinien .................................................................................................................... 125 
5.4.1.  ÖGG Richtlinie für die geotechnische Planung von Untertagebauten mit zyklischem
Vortrieb .........................................................................................................................125 
5.4.2.  ÖNORM B 2203-1 ........................................................................................................131 
6.  MASCHINELLER VORTRIEB (KONTINUIERLICHER VORTRIEB) ................................. 132 
6.1.  Systematik der Tunnelvortriebsmaschinen ................................................................... 132 
6.1.1.  Nicht druckhaltende Schildmaschinen („offene“ Schilde) ............................................134 
6.1.2.  Druckhaltende Schildmaschinen („geschlossene“ Schilde) ..........................................140 
6.2.  Einsatzbereiche der Schildmaschinen .......................................................................... 143 
6.3.  Boden- und Gesteinsabbau ........................................................................................... 145 
6.3.1.  Abbauwerkzeuge ...........................................................................................................146 
6.3.2.  Verklebung und Abrasivität ..........................................................................................147 
6.4.  Planung von Schildvortrieben ...................................................................................... 148 
6.4.1.  Trassierung ....................................................................................................................148 
6.4.2.  Untergrunderkundung....................................................................................................148 
6.5.  Der maschinelle Vortrieb ............................................................................................. 150 
6.5.1.  Stützdruckberechnung ...................................................................................................150 
6.5.2.  Aus- und Einfahrsicherung ............................................................................................151 
6.5.3.  Massen-/Volumenbilanz zur Aushubkontrolle ..............................................................153 
6.5.4.  Ringspaltverpressung ....................................................................................................155 
6.5.5.  Vortriebsunterbrechungen .............................................................................................156 
6.5.6.  Ausbläser .......................................................................................................................157 
6.6.  Tunnelausbau mittels Tübbingen.................................................................................. 158 
6.6.1.  Tübbingherstellung ........................................................................................................159 
6.6.2.  Tübbingformen ..............................................................................................................159 
6.6.3.  Tübbingbemessung ........................................................................................................161 
6.6.4.  Fugenausbildung............................................................................................................161 
6.6.5.  Querschläge und Nischen ..............................................................................................162 
6.7.  Penetrationsmodell nach Gehring ................................................................................ 163 
6.7.1.  Aufbau des Gehring-Modells ........................................................................................163 
6.7.2.  Stärken und Schwächen des Gehring-Modells ..............................................................165 
6.8.  Richtlinien .................................................................................................................... 165 
6.8.1.  ÖGG Richtlinie für die geotechnische Planung von Untertagebauten mit
kontinuierlichem Vortrieb .............................................................................................165 
6.8.2.  ÖNORM B 2203-2: Untertagebauarbeiten – Werkvertragsnorm, Teil 2: Kontinuierlicher
Vortrieb .........................................................................................................................169 
7.  TUNNELBAU IN OFFENER BAUWEISE .............................................................................. 170 
7.1.  (Konventionelle) Offene Tunnelbauweise (Bottom-Up) .............................................. 170 
7.2.  Deckelbauweise (Top-Down) ....................................................................................... 172 
7.2.1.  Kärntner Deckel.............................................................................................................174 
7.3.  Baugrubenumschließungen .......................................................................................... 175 

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Fels- und Tunnelbau

7.3.1.  Geböschte Baugrube ......................................................................................................175 


7.3.2.  Baugrube mit temporärer Baugrubenumschließung ......................................................176 
7.3.3.  Baugrube mit verbleibender Baugrubenumschließung .................................................176 
7.4.  Grundwasserhaltung ..................................................................................................... 176 
7.4.1.  Methoden zur Grundwasserabsenkung ..........................................................................177 
7.5.  Abdichtung der Baugrubensohle .................................................................................. 178 
7.5.1.  Einbinden in einen natürlichen Grundwasserstauer ......................................................178 
7.5.2.  Unterwasserbetonsohle ohne Verankerung ...................................................................178 
7.5.3.  Unterwasserbetonsohle mit Verankerung ......................................................................179 
7.5.4.  Hoch-, mitteltief- und tiefliegende DSV-Sohle bzw. tiefliegende Injektionssohle .......179 
8.  BEHERRSCHUNG DES WASSERS IM TUNNELBAU ......................................................... 180 
8.1.  Festgestein – Bergwasser ............................................................................................. 180 
8.2.  Lockergestein – Grundwasser, Sickerwasser ............................................................... 180 
9.  GEOTECHNISCHE MESSUNGEN IM TUNNELBAU – QUALITÄTSKONTROLLE ........ 182 
9.1.  Begleitmessungen Untertage ........................................................................................ 182 
9.1.1.  Absolute Verschiebungsmessung ..................................................................................182 
9.1.2.  Konvergenzmessungen ..................................................................................................184 
9.1.3.  Extensometer .................................................................................................................184 
9.1.4.  Ring-Konvergenz-Messsystem ......................................................................................185 
9.1.5.  Spannungs- und Dehnungsmessung im Spritzbeton......................................................185 
9.1.6.  Profilkontrolle mit Tunnelscanner .................................................................................186 
9.2.  Begleitmessungen Obertage ......................................................................................... 187 
9.2.1.  Absolutmessung der Oberflächensetzungen ..................................................................187 
9.2.2.  Kontinuierliche Setzungsüberwachung .........................................................................189 
10.  ROHRVORTRIEB ..................................................................................................................... 190 
10.1.  Prinzip des Rohrvortriebs ............................................................................................. 190 
10.2.  Übersicht der grabenlosen Verfahren („No-Dig“) ........................................................ 191 
10.2.1.  Unbemannt arbeitende, nichtsteuerbare Verfahren .......................................................191 
10.2.2.  Unbemannt arbeitende, steuerbare Verfahren ...............................................................194 
10.2.3.  Bemannt arbeitende Verfahren – Rohrvortrieb .............................................................197 
10.3.  Untergrunderkundung für den Rohrvortrieb................................................................. 199 
10.4.  Start-, Ziel- und Zwischenschächte für den Rohrvortrieb ............................................ 201 
10.4.1.  Aus- und Einfahrsicherung ............................................................................................203 
10.4.2.  Presswand im Startschacht ............................................................................................204 
10.4.3.  Rohrbremse (Rücklaufsperre) im Startschacht ..............................................................207 
10.5.  Vortriebskraft FV .......................................................................................................... 207 
10.5.1.  Brustwiderstand (Eindringwiderstand) FBW ..................................................................207 
10.5.2.  Widerstand zufolge Mantelreibung FM ..........................................................................208 
10.6.  Pressrohre ..................................................................................................................... 209 
10.6.1.  Zwischendehner .............................................................................................................211 
10.6.2.  Rohrbemessung .............................................................................................................212 
11.  LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................... 216 
11.1.  Literatur ........................................................................................................................ 216 
11.2.  Normen, Richtlinien und Vorschriften ......................................................................... 217 

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

1. BEGRIFFSDEFINITION
1.1. Allgemeine Definitionen

Abbildung 1-1: Begriffsdefinition Tunnelquer- und Längsschnitt [Müller, 1978].

Abbildung 1-2: Englische Begriffsdefinition Tunnelquer- und Längsschnitt [Brandl, 2006].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 1-3: Querschnittsunterteilung zweihüftiger Ulmenstollenvortrieb [ÖBB Infrastruktur Bau AG, 2008].

Abbildung 1-4: Bezeichnungen bei Schildmaschinen (schematisch am Beispiel eines Erddruckschildes)


1 … Schneidrad (Bohrkopf), 2 … Schneidradantrieb, 3 … Abbaukammer, 4 … Druckwand, 5 … Vortriebspressen,
6 … Förderschnecke, 7 … Tübbingerektor, 8 … Tunnelauskleidung mit Tübbingen, 9 … Schildschwanz,
10 … Schildschwanzdichtung.

1.2. Definitionen aus der ÖGG – Richtlinie für die Geomechanische Planung von
Untertagebauarbeiten mit zyklischem Vortrieb
GEBIRGE Teil der Erdkruste, zusammengesetzt aus Festgestein (Fels) oder
Lockergestein (Boden), einschließlich der Anisotropien,
Trennflächen und Hohlräume mit Füllungen aus flüssigen oder
gasförmigen Bestandteilen.
GESTEIN Durch natürliche Vorgänge entstandenes Aggregat aus
mineralischen Bestandteilen, gekennzeichnet durch die Art und
Menge der auftretenden Minerale und durch das Korngefüge.
FESTGESTEIN Mineralgemenge, dessen Eigenschaften hauptsächlich durch seine
physikalisch/chemische Bindung bestimmt sind.
LOCKERGESTEIN Anhäufung von anorganischen und verschiedenkörnigen
Feststoffen, fallweise auch mit organischen Beimengungen, deren
Eigenschaften vorwiegend durch die Kornzusammensetzung, die
Lagerungsdichte und den Wassergehalt bestimmt sind.
GESTEINSART Locker- und Festgestein mit gleichartigen Eigenschaften.
TRENNFLÄCHEN Zweidimensional ausgedehnte, i.a. vollständige Unterbrechungen
des mechanischen Zusammenhanges im Festgestein, hervorgerufen
im Zuge der Entstehung und/oder tektonischer, bruchhafter

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Überbeanspruchung des Materials. Integrale (potenzielle)


Trennflächen bewirken Modifikationen des Zusammenhaltes (z.B.
Schichtung – Schieferung – Klüfte) und mechanische Anisotropien.
GEBIRGSART (GA) Gebirge mit gleichartigen Eigenschaften.
GEBIRGSVERHALTEN (GV) Reaktion des Gebirges auf den Ausbruch ohne Berücksichtigung
von Stützung oder Querschnittsunterteilung.
GEBIRGSVERHALTENSTYP Übergeordnete Kategorien von ähnlichen Gebirgsverhalten in Bezug
(GVT) auf Versagensformen oder andere Charakteristika.
ANFORDERUNGEN Definition der erforderlichen Faktoren, um Gebrauchstauglichkeit,
Sicherheit und umweltrelevante Aspekte sicherzustellen.
SYSTEMVERHALTEN (SV) Das Verhalten des Gesamtsystems resultierend aus Gebirge und
gewählten Baumaßnahmen.
RAHMENPLAN Zusammenfassende Darstellung der geotechnischen Planung mit
Vorgaben in Bezug zu Baumaßnahmen und Beschränkungen.

1.3. Definitionen aus der ÖVBB – Richtlinie Schildvortrieb


ABRASIVITÄT Den Werkzeugverschleiß bestimmende Gesteinseigenschaften.
ANFAHREN Beginn des kontinuierlichen Tunnelvortriebs (Vortriebsbeginn) an
einer definierten Stelle (z.B. Anfahrwand). Es wird auch der Begriff
Ausfahren synonym verwendet.
AUSBAU Stützung der Hohlraumlaibung. Bei einschaligem Ausbau übernimmt
der Ausbau die Funktion der Innenschale.
AUSKLEIDUNG Gesamtheit von Ausbau und Innenschale.
BOHRGESCHWINDIGKEIT Eindringtiefe des Bohrkopfs pro Zeiteinheit (m/h) ohne
Berücksichtigung von Unterbrechungen (Netto-
Bohrgeschwindigkeit).
BOHRKOPF Mechanische Vorrichtung zum vollflächigen Abbau des
Tunnelquerschnittes im Festgestein. Der Abbau erfolgt rotierend, die
Werkzeugbestückung des Bohrkopfes erfolgt in Abhängigkeit vom
Gebirge.
DURCHSCHLAG- Abweichung der Tunnelachse am Durchschlagspunkt
GENAUIGKEIT (Vortrieb/Gegenvortrieb).
EFFEKTIVER Tatsächlich gebohrter Durchmesser des Tunnels, der sich in Folge
BOHRDURCHMESSER laufender Abnützung der Bohrwerkzeuge verändert.
EINFAHREN Abschluss des kontinuierlichen Tunnelvortriebs (Vortriebsende) in
einem Bauwerk (z.B. Schacht).
EINSCHALIGER AUSBAU Alle statischen und konstruktiven Anforderungen der
Tunnelauskleidung werden von einem Schalenteil (Außenschale,
auch einschalige Bauweise) erfüllt. Es wird keine Innenschale
ausgeführt (siehe auch ÖVBB-Richtlinie „Spritzbeton“).
GEBIRGSVERHALTEN Im Tunnelbau wird darunter das Verhalten des ungestützten
Hohlraumes verstanden. Das Gebirgsverhalten wird durch die
Eigenschaften des Gesteins und des Trennflächengefüges, der
Spannungs- und Bergwassersituation sowie der Hohlraumform
bestimmt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

GESCHLOSSENE Schildmaschine, bei der durch ein druckhaltendes System eine


SCHILDMASCHINE kontrollierte Ortsbruststützung im Allgemeinen mittels
Stützflüssigkeit oder Erdbrei erfolgen kann. Mittels
wasserdruckabhängiger Druckluftbeaufschlagung der Druckkammer
kann das Grundwasser verdrängt werden.
HINDERNISSE Natürliche oder künstliche Einschlüsse, die ganz oder zum Teil
innerhalb des Querschnittes liegen, wie z.B. Blöcke oder
Fremdkörper, welche mit den vertraglich vorgesehenen Werkzeugen
ohne Behinderung nicht bewältigt werden können.
INNENSCHALE Inneres, flächiges Konstruktionselement zur Erfüllung konstruktiver
und/oder funktionaler Erfordernisse, welches nicht zur unmittelbaren
Hohlraumsicherung dient und außerhalb des Vortriebsbereiches
eingebaut wird.
KONTINUIERLICHER Vortrieb mit Hilfe einer Tunnelvortriebsmaschine, bei welchem die
MASCHINELLER einzelnen Arbeitsvorgänge des Lösens, Ladens und des
VORTRIEB Stützmitteleinbaues im Wesentlichen gleichzeitig ausgeführt werden.
NACHLÄUFER- System von Arbeitsplattformen, Portalwagen u.ä., das allesamt zur
EINRICHTUNG Versorgung und Entsorgung der Tunnelvortriebsmaschine sowie ggf.
die zur Einbringung von Stütz- und Ausbaumaßnahmen notwendigen
Einrichtungen enthält.
OFFENE Schildmaschine, die kein druckhaltendes System zur kontrollierten
SCHILDMASCHINE Ortsbruststützung bzw. keine Druckluft zur Kompensation des
Grundwasserdrucks aufweist. Der Abbau erfolgt unter
atmosphärischem Druck.
PILOTSTOLLEN Vorgängig zur Herstellung des Tunnels aufgefahrener
Erkundungsstollen mit kleinerem Querschnitt.
QUERSCHLAG Verbindungsbauwerk zwischen zwei Tunnelröhren oder zwischen
Tunnelröhre und Schachtbauwerk. Funktionell dienen sie als befahr-
und begehbare Querschläge, als Fluchtwege, allgemeine Zugänge zu
unterirdischen Stationsbauwerken usw.
REGELQUERSCHNITT Geplanter typischer Querschnitt eines Hohlraumbauwerkes.
SCHILD Stahlkonstruktion, die dem Ausbruch folgend in der Tunnelachse
vorgeschoben wird und den Hohlraum gegen das Eindringen des
Gebirges schützt.
SCHILDMASCHINE Gerät zum mechanischen Abbau des Gebirges im Voll- oder
Teilquerschnitt im Schutze eines Schildes.
SCHILDVORTRIEB Vortrieb durch Vorpressen eines Schildmantels, unter Zuhilfenahme
unterschiedlicher Löseverfahren sowie gegebenenfalls
ortsbrustunterstützender Maßnahmen.
SCHNEIDRAD Mechanische Vorrichtung zum vollflächigen Abbau des
Tunnelquerschnittes im Lockergestein. Der Abbau erfolgt rotierend,
die Werkzeugbestückung des Schneidrades erfolgt in Abhängigkeit
vom Gebirge.
STÖRFALL Ein vom bestimmungsgemäßen Betrieb abweichendes Verhalten.
STÜTZDRUCK Druck eines Stützmediums (Stützflüssigkeit, Erdbrei) in der
Abbaukammer einer geschlossenen Schildmaschine, welcher den
Einwirkungen aus Wasser- und Erddruck an der Ortsbrust
entgegenwirkt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

SYSTEMVERHALTEN Verhalten des Gesamtsystems, resultierend aus Gebirge und


gewählten Baumaßnahmen.

TÜBBING Fertigteil aus Beton, bewehrtem Beton, Stahl oder Gusseisen für die
Auskleidung von Tunnel, Stollen und Schächten.
TUNNELBOHRMASCHINE Gerät zum mechanischen Abbau von Festgestein im Vollquerschnitt
mit oder ohne Schutz eines Schildes.
TUNNELVORTRIEBS- Gerät zum mechanischen Abbau von Fest- oder Lockergestein im
MASCHINE Vollquer- oder Teilquerschnitt mit oder ohne Schutz eines Schildes
entweder kontinuierlich oder hubweise.
VERKLEBUNGEN Unter Verklebungen versteht man das Anhaften von Bodenteilchen
an Maschinenbauteiloberflächen und das Zusammenhaften von
Bodenteilchen untereinander (Klumpenbildung und in weiterer Folge
auch Brückenbildung) als Folge einer Adhäsionskraft. Das
Verklebungspotential kann durch die Kombination aus
Konsistenzzahl und Plastizitätszahl charakterisiert werden.
ZYKLISCHER, Vortriebsart, bei der die einzelnen Arbeitsvorgänge des Lösens,
KONVENTIONELLER Ladens und des Stützmitteleinbaues im Wesentlichen zeitlich
VORTRIEB nacheinander und mit Hilfe von Einzelgeräten ausgeführt werden.
(siehe auch ÖNORM B 2203-1).

1.4. Weitere Definitionen


TUNNEL Langgestreckte unterirdische Hohlräume, Ausbruchsquerschnitte i.d.R. > 20 m² bis
ca. 300 m²; Straßen-, Eisenbahntunnel; Längen bis 60 km.
STOLLEN Langgestreckte unterirdische Hohlräume, Ausbruchsquerschnitte funktionsabhängig;
bei Neigungen > 12% Schrägstollen; Freispiegelstollen, Druck-, Umleitungs-,
Erkundungs-, Fenster-, Visier-, Luftschutzstollen; Längen bis 120 km.
SCHÄCHTE Langgestreckte, lotrechte oder steil einfallende unterirdische Hohlräume (Vertikal-,
Schrägschacht); Förderschacht, Wetterschacht, Blindschacht, Wasserschloss; Teufen
bis 4 km, als Zugänge.
KAMMERN Gedrungene, unterirdische Hohlräume, bis ca. 10 m Breite; Abbauhohlräume im
Bergbau (Kammerbau), Bunkeranlagen für Luftschutzwerke, Anlagen zur Lagerung.
KAVERNEN Gedrungene, unterirdische Hohlräume bis ca. 35 m Breite; Maschinenkavernen,
Speicherung von Öl, Gas etc.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

2. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DES TUNNELBAUS


Mitte des 19. Jahrhunderts stieg der Bedarf an Tunnelbauwerken durch die Entwicklung der Eisenbahn
massiv an. Zu diesem Zeitpunkt war die Tunnelbautechnik noch am Anfang. Die Löse- und
Abbautechniken für das Auffahren des Hohlraumes wurden weitgehend aus dem Bergbau
übernommen. Diese Techniken sind jedoch nicht auf den Bau von Infrastrukturtunneln ausgelegt,
sondern im Bergbau war die Ausbeutung des Gebirges das Hauptziel. Bei Verkehrstunneln sind jedoch
die wesentlichen Merkmale eine lange Lebensdauer und eine hohe Betriebssicherheit.
In verschiedenen Teilen Europas entwickelten sich unterschiedliche Tunnelbauverfahren. Sie
unterschieden sich im Verfahrensablauf beim Öffnen des Hohlraumes und bei der Herstellung der
Sicherung. Holzzimmerungen stellten eine vorübergehende Sicherung dar und wurden durch ein
gemauertes Gewölbe ersetzt, welches den endgültigen Ausbau bildete.
Alte Bergmännische Bauweisen
 Deutsche Bauweise (Kernbauweise)
 Belgische Bauweise (Unterfangungsbauweise)
 Englische Bauweise (Längsträgerbauweise)
 Alte Österreichische Bauweise (Ringbetriebsbauweise bzw. Multiple Drift Method)
Die Felsmechanischen Grundsätze des Tunnelbaus waren zwar schon frühzeitig bekannt, jedoch
konnten sie mangels technischer Möglichkeiten nicht umgesetzt werden. Zwischen dem Gebirge und
dem Ausbau (Mauerwerk) konnte nur ein loser Kontakt hergestellt werden. Aufgrund des Rückbaus
des Holzausbaus und des Einbringens des Mauerwerkes kam es zu schädlichen Auflockerungen des
Gebirges. Auch die fehlende Abdichtung führte zu Auflockerungen und Nachbrüchen.
Ende des 19. Jahrhunderts löste der Beton als Ausbaumaterial die Mauerung aus Blocksteinen und
Ziegeln ab. Die Weiterentwicklung zur Sicherung mit Spritzbeton war ein großer Schritt in der
Tunnelbaugeschichte. Mit Spritzbeton war es möglich, eine sofort wirksame Sicherung einzubauen,
die im direkten Verbund mit dem umliegenden Gebirge steht. Dies war die Geburtsstunde der „Neuen
Österreichischen Tunnelbauweise (NÖT, NATM)“.
Der erste Schildvortrieb
Anfang des 18. Jahrhunderts entwickelte der französisch-britische Ingenieur Marc Brunel den
Schildvortrieb. Seine Idee war es, im Jahre 1819, mit einem Schildvortrieb die Themse in London zu
untertunneln. Der Schildvortrieb begann nach der Abteufung eines 20 m tiefen Schachtes, der mit
Senkkästen hergestellt wurde. Bei dem eingesetzten Schild handelte es sich um ein rechteckiges Schild
bestehend aus 12 Einzelrahmen. Jeder Rahmen war in drei Kammern unterteilt, in denen jeweils ein
Mineur arbeitete. Die Abbildung 2-1 zeigt eine Skizze des Brunel- Schildes.

Abbildung 2-1: Brunel Schild [Betonkalender, 2005].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Große Eisenbahntunnel im 19. Jahrhundert


Der Ausbau der Eisenbahnnetze und der Bau der ersten innerstädtischen U-Bahnlinien läuteten Mitte
des 19. Jahrhunderts in Europa eine erste Phase intensiven Tunnelbaus ein. Sie war gekennzeichnet
von einem gewaltigen Personaleinsatz und viel Handarbeit. Ihr Ende kam Anfang des 20. Jahrhunderts
durch die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise.
Die Herstellung dieser Tunnel war gekennzeichnet durch:
 vorwiegend Sprengvortrieb
 vorwiegend Teilausbrüche
 Verwendung von Sprengstoff: Schwarzpulver, später Dynamit
 Stützung durch gewölbeförmiges Tunnelbauwerk

Tabelle 2-1: Die großen Eisenbahntunnel im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Bauwerk Bauzeit Länge [m] Land
Liverpool – Manchester 1826 - 1830 115 England
Dresden – Leipzig 1839 511 Deutschland
Semmeringtunnel 1848 - 1853 1.434 Österreich
Giovitunnel 1850 - 1853 3.275 Italien
Hauensteintunnel I 1853 - 1858 2.495 Schweiz
Fréjustunnel 1857 - 1871 12.234 Italien/Frankreich
Gotthardtunnel 1872 - 1880 14.912 Schweiz
Arlbergtunnel 1880 - 1884 10.250 Österreich
Tendatunnel (stillgelegt) 1883 - 1900 8.099 Italien
Simplontunnel I 1898 - 1905 19.770 Schweiz
Lötschbergtunnel 1906 - 1913 14.612 Schweiz

Abbildung 2-2: Sommeiller‘sche Bohrmaschine [Betonkalender, 2005].

Für die Bauzeit des Fréjustunnels waren ursprünglich 25 Jahre vorgesehen. Die konventionelle
Bohrtechnik mit einer Vortriebsleistung von ca. 0,75 m/d wurde durch die Entwicklung der ersten
Bohrmaschine durch Sommeiller ersetzt. Durch den Einsatz dieser Bohrmaschine konnte die

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Vortriebsleistung auf 3 m/d gesteigert werden und somit die Bauzeit erheblich verkürzt werden. Die
Bohrmaschinen wurden mit Druckluft betrieben. Der Antrieb der Kompressoren, die sich vor dem
Tunnelportal befanden, erfolgte durch Wasserkraft.

Abbildung 2-3: Anordnung der Sommeillerschen Bohrmaschinen für den Fréjustunnels [Betonkalender, 2005].

Entwicklung des Tunnelbaus im 20. und 21. Jahrhundert


Insbesondere dem Zweiten Weltkrieg nahm die Entwicklung des Tunnelbaus wiederum Fahrt auf.
Nach 1950 setzte eine neue Phase des Tunnelbaus ein mit Schwerpunkten in Europa, den USA und
Japan. Damit einher ging eine zunehmende Mechanisierung. Bahnbrechend war Entwicklung der
„Neuen Österreichischen Tunnelbauweise“ (NÖT), die auf der ganzen Welt so bezeichnet wird
(englisch: „New Austrian Tunneling Method (NATM)“), lediglich in Deutschland wird sie als
Spritzbetonbauweise bezeichnet. Als Geburtsstunde gilt das Jahr 1962 mit dem Beginn des Baus des
Massenbergtunnels in der Steiermark (S6 Semmering-Schnellstraße), bei dem erstmals konsequent die
Grundsätze der NÖT nach entsprechenden Umplanungen in der Bauphase umgesetzt wurden. Die
NÖT gilt heute noch als wichtiges „Exportgut“ Österreichs und ist sprichwörtlich Ausdruck höchster
österreichischer Ingenieurskunst.

Abbildung 2-4: Massenbergtunnel (1962 – 1965), links: ursprüngliche Planung nach alten Grundsätzen,
Planung in der Ausführungsphase nach den Grundsätzen der NÖT [50 Years of/ Jahre NATM, 2012].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Der längste in bergmännischer Tunnelbauweise errichtete Straßentunnel ist der Laerdals Tunnelen in
Norwegen (Bauzeit 1995 – 2001), in derartiger Bauweise errichtete Eisenbahntunnel können
wesentlich länger sein. Der in den Jahren 2006 bis 2012 errichtete Lainzer Tunnel ist mit 15,4 km der
längste innerstädtische Eisenbahntunnel.
Durch die technische Weiterentwicklung konnten neue Anwendungsgebiete erschlossen und die
Wirtschaftlichkeit der einzelnen Verfahren gesteigert werden. In offener Bauweise hergestellte Tunnel
bieten heutzutage häufig keine Kostenvorteile mehr gegenüber unterirdisch vorgetriebenen. Da die
geschlossene Bauweise hinsichtlich Trassenführung, Umweltbelastungen und Verkehrsbehinderung
beträchtliche Vorteile aufweist, nimmt ihr Anteil ständig zu.
Der Maschinelle Tunnelvortrieb nahm in den letzten Jahrzehnten gegenüber den anderen Bauweisen
an Bedeutung zu. Große Tunnelbauvorhaben mit Längen bis zu rund 60 km (Basistunnel) bzw. unter
sehr schwierigen Randbedingungen (Untergrundverhältnisse und Grundwasser, geringe
Überlagerungen im innerstädtischen Bereich etc.) erfordern den Einsatz neuer Tunnelbaumethoden.
Beispielhaft seien die in Tabelle 2-2 aufgelisteten im alpinen Raum bereits fertiggestellten bzw. in Bau
befindlichen Basistunnel genannt. Nicht alle Abschnitte wurden bzw. werden maschinell vorgetrieben,
sondern es kamen bzw. kommen bereichsweise auch bergmännische und offene Bauweisen zur
Anwendung.

Tabelle 2-2: Die großen Basistunnel im alpinen Raum am Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert
Bauwerk Bauzeit Länge [m] Land
Lötschberg-Basistunnel 1999 - 2007 34.577 Schweiz
Gotthard-Basistunnel 1993 - 2016 57.104 Schweiz
Brenner Basistunnel seit 2007 64.000 Österreich / Italien
Koralmtunnel seit 2009 32.893 Österreich
Semmering Basistunnel seit 2012 27.300 Österreich

Offene Bauweisen zur Errichtung von Tunnelbauwerken kommen bei geringen Überlagerungshöhen
und in Bereichen ohne bzw. nur mit geringer Bebauung. Erst in den letzten Jahren entstanden in
Ergänzung zur klassischen offenen Bauweise und der Deckelbauweise im Rahmen von
Tunnelprojekten neue bzw. erweiterte Errichtungsstrategien, wie beispielsweise die Trogbauweise und
die Kärntner Deckelbauweise, teilweise unter Anwendung von Sohlabdichtungen,
Unterwasserbetonsohlen, Verdrängung des Grundwassers mittels Druckluft, Bodenvereisung u.v.m.
Beispiel dafür in Österreich sind die Tunnel Rannersdorf und Vösendorf (Schnellstraße S1, Wiener
Südrandstraße) und zahlreiche Tunnel entlang der neuen Eisenbahntrasse im Tiroler Unterinntal.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

3. SPANNUNGSZUSTÄNDE IM GEBIRGE
Beim Auffahren eines Tunnels treten aufgrund des entstehenden Hohlraumes Störungen der
ursprünglichen Gebirgsdruckverhältnisse auf. Dieser sog. primäre Spannungszustand ändert sich in
Längs- und Querrichtung um den Hohlraum, der nach dem Ausbruch als sekundärer
Spannungszustand und nach dem Ausbau als tertiärer Spannungszustand bezeichnet wird. Am
Ausbruchsrand entsteht ein einaxialer (ebene Betrachtung) bzw. ein zweiaxialer Spannungszustand
(räumliche Betrachtung). Abbildung 3-1 zeigt schematisch die im Gebirge auftretenden
Spannungszustände während eines Tunnelvortriebes.

Abbildung 3-1: Spannungszustände im Tunnelbau.

Die theoretische Spannungsermittlung wird für den ebenen Fall an einer Scheibe mit unendlicher
Ausdehnung und einer kreisrunden Lochung, der „gelochten Scheibe“, (siehe Kapitel 4.2.3) mittels
Polarkoordinaten durchgeführt.
mit r … Radialspannungen
t … Tangentialspannungen
… Schubspannungen
pv … die in der Richtung der lotrechten Achse  = 0° wirkende primäre Druckspannung
ph … die parallel zur Achse  = 90° wirkende waagrechte Druckspannung p h  p v  K 0

K0 … Seitendruckbeiwert (alte Bezeichnung: 0)


ra … Halbmesser des Ausbruchsquerschnittes
r… Halbmesser eines beliebigen Punktes im Gebirge r ≥ ra, zu dessen Festlegung
außerdem der Winkel  notwendig ist.
ra
Zur Vereinfachung der Beziehungen wird die Hilfsgröße   eingeführt.
r

Abbildung 3-2: Gelochte Scheibe. Bezeichnungen für die Ermittlung des sekundären Spannungszustandes im
elastisch isotropen Raum („Gebirge“) in Polarkoordinaten.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

3.1. Primärer Spannungszustand


Als primärer Spannungszustand wird der ursprüngliche räumliche (dreidimensionale)
Spannungszustand im Gebirge vor dem Ausbruch des Tunnels bezeichnet.
Der Primärspannungszustand ist durch die absolute Größe der Spannungen, aber auch durch das
Seitendruckverhältnis K0 gekennzeichnet. In einer ersten Näherung wird für die Primärspannungen
üblicherweise der Überlagerungsdruck angenommen:

Abbildung 3-3: Primärer Spannungszustand im Gebirge zufolge Überlagerung.

p v    h ü

p h    h ü  K 0
mit hü … Überlagerungshöhe
K0 … Seitendruckbeiwert
' … Wichte unter Auftrieb (ohne Grundwasser ist ' = )
Primärspannungen sind in den meisten Fällen durch einen primär elastischen Zustand gekennzeichnet.
Das heißt, dass die vorhandenen Schubspannungen kleiner sind als der Scherwiderstand des Gebirges
:
vorh    primär elastisch
In geologischen Störzonen, bei Überlagerungshöhen hü > 10.000 m und beispielsweise in Salzstöcken
ist jedoch auch ein primär plastischer Zustand möglich:
vorh    plastisch

3.1.1. Seitendruckverhältnis K0
Der Seitendruckbeiwert K0 ist das Verhältnis zwischen horizontalen ph und vertikalen Spannungen pv
(im homogenen Fall: Verhältnis der effektiven Hauptnormalspannungen ꞌx, ꞌz):
p h x
K0  
p v z
Das Seitendruckverhältnis und somit der Primärspannungszustand sind abhängig von der Gebirgsart,
den Trennflächen im Gebirge (Schichtung, Schieferung bzw. Klüftung), der Überlagerung, der
Gebirgsentwicklungsgeschichte, der Tektonik und der Topographie (z.B. Hanglage).
Im Lockergestein wird das Seitendruckverhältnis üblicherweise durch den Erdruhedruckbeiwert nach
Jaky (siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik) angegeben:
K 0  1  sin 

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Gerade im Lockergestein ist jedoch der Seitendruckbeiwert keine konstante Größe, sondern auch von
der geologischen Vorbelastung abhängig. In stark überkonsolidierten Böden ist der
Erdruhedruckbeiwert oftmals K0 > 1 (z.B. London Clay bis zu 2).
Im Festgestein wird der Seitendruckbeiwert bei angenommener homogener Isotropie des Gebirges
über die Querdehnzahl m ermittelt:
1  1
K0   m
m 1 1  
Wie die Poisson-Zahl  bzw. die Querdehnzahl m ermittelt werden kann, ist bereits in Thema 1
(Grundlagen der Felsmechanik) diskutiert worden.
Tabelle 3-1: Anhaltswerte für die Poisson-Zahl  und den Seitendruckbeiwert K0 in Abhängigkeit von der
Gesteinsart [adaptiert nach Kastner, 1971].
Festgestein Poisson-Zahl  Seitendruckbeiwert K0
Granit 0,14 – 0,10 0,17 – 0,11
Gneis 0,30 – 0,15 0,44 – 0,18
Diabas 0,32 0,48
Marmor 0,27 – 0,23 0,37 – 0,30
Kalkstein 0,34 – 0,30 0,53 – 0,48
Sandstein 0,17 – 0,10 0,20 – 0,11
Lockergestein
dicht gelagerter Sand 0,40 – 0,45
locker gelagerter Sand 0,45 – 0,50
bindiger Boden, teilgesättigt 0,60 – 0,80
Ton, wassergesättigt 1,0

Geologische oder tektonische Einflüsse auf den Seitendruckbeiwert sind beispielhaft in Abbildung 3-4
und Abbildung 3-5 dargestellt. In Sattellage (Antiklinale) können sich aufgrund eines vom Tunnel weg
gerichteten Gebirgsschubs bzw. einer Gewölbewirkung Seitendruckbeiwerte einstellen, die geringer
als K0 sind. Muldenlagen (Synklinale) bewirken dagegen häufig aufgrund des möglichen seitlichen
Schubs deutlich höhere Seitendruckbeiwerte.
Antiklinale:
p v    h ü

p h    h ü  K    h ü  K 0
Synklinale:
p v    h ü

p h    h ü  K    h ü  K 0
K0 > 1 ist möglich
Abbildung 3-4: Einfluss der Lage auf den Primärspannungszustand [Vogt, 2009].

Ein ähnlicher Einfluss auf den Gebirgsdruck ist in geklüftetem Gebirge gegeben (Störzonen sind
bevorzugte Gleitzonen). Betrachtet man einen Gebirgsstock, der durch Verwerfungen so unterteilt ist,
dass keilförmige Blöcke entstanden sind, so zeigt sich, dass die nach unten verjüngten Keile A von
den benachbarten Blöcken B gestützt und entlastet werden. Die primären Spannungen werden daher in

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

diesen Bereichen geringer sein, während die nach oben verjüngten Keile eine zusätzliche Belastung
erfahren.

Abbildung 3-5: Beeinflussung des Überlagerungsdruckes in einem durch Verwerfungen in Schollen geteiltes
Gebirge nach Kastner.

Bei einem Tunnel in Hanglage mit geringer Überlagerung (Lehnentunnel) ist der Seitendruckbeiwert
wesentlich durch den Böschungswinkel beeinflusst. Die Hauptspannungen richten sich normal und
senkrecht zur nächstliegenden Oberfläche aus. In Kriechhängen (Grenzzustand der Tragfähigkeit) ist
zusätzlich der Kriechdruck zu berücksichtigen.

Abbildung 3-6: Lehnentunnel.

Ist im Gebirge ein ausgeprägtes Trennflächengefüge vorhanden, so verändern sich die Richtungen der
Hauptnormalspannungen. Die Richtung der größeren Hauptnormalspannung 1 weicht von der
Lotrechten ab und neigt sich in Richtung der Trennflächenschar. Je geringer der Scherwiderstand 
entlang der Trennfläche ist, desto stärker neigt sich die Hauptnormalspannung 1, bis sie schließlich
bei  = 0 parallel zur Trennflächenschar verläuft.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

0 p v    h ü

  h ü
0 pv 
sin 

Abbildung 3-7: Verdrehung der Hauptspannungsrichtung aufgrund eines vorgegebenen Trennflächengefüges


mit ( ≠ 0) und ohne Verbandsfestigkeit ( = 0).

Kann das Gebirge homogen idealisiert werden und es stellt sich ein hydrostatischer Spannungszustand
ein, bildet sich eine allseitig gleiche Radialspannung r um den Hohlraum aus:
r  ph  p v

K0 1

Abbildung 3-8: Hydrostatischer Spannungszustand.

3.1.2. Ermittlung des primären Spannungszustandes in der Praxis


In der Praxis wird der primäre Spannungszustand wie folgt ermittelt:
 aufgrund örtlicher Erfahrungen und geologischen Vorerhebungen
 anhand von Analogieschlüssen zu ähnlichen Bauwerken mit vergleichbaren Verhältnissen
 durch Interpretation von Labor- und Feldversuchen (z.B. Entspannungsvorgänge)
 durch In-situ messtechnische Erfassung:
 Überbohrmethode: Die Sonde misst die Entspannung beim Überbohren.
Das Überbohrverfahren ist gut anwendbar in homogenem, isotropem Gestein. Bei einem nicht
homogenen, anisotropen Gestein liefert es sehr fragwürdige Ergebnisse.

a) b) c) d) e)

Abbildung 3-9: Skizze Überbohrmethode: a) Herstellen des Großbohrloches b) Herstellen der Messbohrung
c) Einsetzen des Messaufnehmers d) Überbohren e) entspannter Kern.

 Einbau von Druckmessdosen


Durch den Einbau der Druckmessdosen selbst kommt es bereits zu einer gewissen Entspannung
des Gebirges, sodass der Primärspannungszustand zu einem gewissen Maß verändert wird.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

3.2. Sekundärer Spannungszustand


Als sekundärer Spannungszustand wird jener Spannungszustand bezeichnet, der sich nach Auffahren
(Ausbruch) eines Tunnelquerschnittes im Bereich um den Hohlraum einstellt. Da die freie
Oberfläche keine Spannungen aufnehmen kann, müssen sich die vorhandenen Spannungen im Gebirge
umlagern. Abbildung 3-10 zeigt eine Vorstellung der Umlagerung der Druckspannungstrajektorien
nach dem Ausbruch eines kreisförmigen Hohlraumes.

Abbildung 3-10: Verlauf der Spannungstrajektorien (a) vor und (b) nach dem Ausbruch eines kreisförmigen
Hohlraumes [Széchy, 1969].

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, wie sich die Spannungen im Gebirge ausbilden können:
 primär elastisch – sekundär elastisch (ideal)
 primär elastisch – sekundär plastisch (häufigster Fall)
 primär plastisch – sekundär plastisch (ungünstig, selten)
Der sekundäre Spannungszustand kann selbst dann, wenn die Spannungen unter der Plastizitätsgrenze
bleiben, nur in Ausnahmefällen messtechnisch genau erfasst werden.

3.2.1. Primärzustand elastisch – Sekundärzustand elastisch


Dieser Zustand tritt in erster Linie bei gesundem, standfestem Gebirge auf (Basalt, Granit, Dolomit,
Kalk, Gneis). Bei Betrachtung der „gelochten Scheibe“ sind für einen beliebigen Seitendruckbeiwert
in diesem Fall die auftretenden Spannungen durch folgende Bestimmungsgleichungen gegeben (siehe
Abbildung 3-2):

r 
pv
2
   
 1   2  1  K 0   1  4  2  3  4  1  K 0   cos 2  
t 
pv
2
    
 1   2  1  K 0   1  3  4  1  K 0   cos 2 


pv
2
 
 1  2  2  3  4  1  K 0   sin 2 
r
,   a … Zur Festlegung der örtlichen Lage des betrachteten Teilchens, bezogen auf
r
den Tunnelquerschnitt (siehe dazu Abbildung 3-2)

Vereinfachungen dieser Bestimmungsgleichungen ergeben sich für folgende ausgewählte


charakteristische (Sonder-)Fälle des Seitendruckbeiwertes K0:

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K0  1  p  pv  ph    h m = 2;  = 0,5
K0  0  p v    h, p h  0 m ~ ; ~0
1
K0  pv
3  p v    h, p h  m = 4;  = 0,25
3

3.2.1.1. K0 = 1 (allseitig gleicher primärer Druck: p  p v  p h    h )


Für den Sonderfall eines hydrostatischen Spannungszustands mit K0 = 1 (z.B. in wassergesättigtem
Ton oder auch bei Myloniten) ergibt sich mit der zugehörigen Querdehnzahl m = 2 bzw. der Poisson-
Zahl  = 0,5:
1 
K0   1
m 1 1 
Der radialsymmetrische sekundäre Spannungszustand ist damit unabhängig vom Winkel :

r  p  1 2 
t  p  1    2

 0
ra
Für den Ausbruchsrand r  ra     1 errechnen sich für die Spannungen folgende Werte:
r
r  0
 t  2p v
0

Abbildung 3-11: Verlauf der sekundären Radial- r und Tangentialspannungen t für Ko = 1.

Für den elastischen und radialsymmetrischen primären Spannungszustand (hydrostatisch  K0 = 1)


muss die einaxiale Druckfestigkeit gd im sekundär elastischen Spannungszustand am gesamten
Ausbruchsrand zumindest folgenden Wert annehmen:
 gd   t  2p v

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

3.2.1.2. K0 = 0 (einachsiger primärer Spannungszustand: p v    h , p h  0 )


Dieser Sonderfall mit K0 = 0 tritt am ehesten bei Gesteinen wie Basalt, Porphyr und senkrecht
gelagertem Sandstein auf, bei denen es im primären Spannungszustand nur zu geringen horizontalen
Spannungen kommt, d.h. es ist quasi keine Querdehnung m ≈  bzw.  ≈ 0 vorhanden:

r 
pv
2
   
 1   2  1  4 2  3 4  cos 2 
p
   
 t  v  1   2  1  3 4  cos 2
2


pv
2
 
 1  2 2  3 4  sin 2

ra
Für die Spannungen am Ausbruchsrand    1 ergeben sich folgende Werte:
r
r  0

 2  4  cos 2 
pv
t 
2
0

Randspannungen Randspannungen
am First und in der Sohle:  = 0°,  = 180° an den Ulmen:  = 90°
r  0 r  0
 t   p v  Zugspannungen!  t  3p v
0 0

Abbildung 3-12 und Abbildung 3-13 zeigen den Verlauf der sekundären Radial- und
Tangentialspannungen für  = 0° und  = 90° ( K 0  0 ).

t  ph  0

Abbildung 3-12: Verlauf der sekundären Radialspannungen r für K0 ≈ 0.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

t  ph  0

Abbildung 3-13: Verlauf der sekundären Tangentialspannungen t für K0 ≈ 0.

Im Bereich der Firste und der Sohle treten für K 0  0 Zugspannungen auf!
Für den einachsigen, elastischen primären Spannungszustand (K0 = 0) muss die einaxiale
Druckfestigkeit gd im sekundär elastischen Spannungszustand zumindest folgenden Wert (in den
Ulmen) annehmen:
 gd   t  3p v

Dies entspricht auch dem maximal möglichen Wert im Verhältnis zu pv bei Betrachtung der
„gelochten Scheibe“ für den homogenen Fall ohne Berücksichtigung von Trennflächen.

1
3.2.1.3. K 0  (Sonderfall, bei dem im First und in der Sohle gerade kein Zug auftritt)
3
Dieser (Sonder-)Fall mit K0 = 1/3 tritt bei sehr stark aufgelockertem Fels bzw. im kohäsionslosen
Lockergestein bei der zugehörigen Querdehnzahl m = 4 bzw. der Poisson-Zahl  = 0,25 auf:

r 
pv
3
    
 2  1   2  1  4 2  3 4  cos 2 
p
   
 t  v  2 1   2  1  3 4  cos 2
3


pv
3
 
 1  2 2  3 4  sin 2

ra
Für die Spannungen am Ausbruchsrand    1 ergeben sich folgende Werte:
r
r  0

 1  cos 2 
4 pv
t 
3
0

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Randspannungen Randspannungen
am First und in der Sohle:  = 0°,  = 180° an den Ulmen:  = 90°
r  0 r  0
t  0  spannungsfrei! 8
t  pv
0 3
0

Abbildung 3-14: Verlauf der Tangentialspannungen für Ko=1/3.

Für den elastischen primären Spannungszustand (K0 = 1/3) muss die einaxiale Druckfestigkeit gd im
sekundär elastischen Spannungszustand (in den Ulmen) zumindest folgenden Wert annehmen:
8
 gd   t  pv
3

3.2.1.4. Verformungen am Ausbruchsrand


Die im sekundär elastischen Spannungszustand auftretenden Verformungen am Ausbruchsrand w
(in Firste und Sohle) und u (in den Ulmen) lassen sich für jeden beliebigen Seitendruckbeiwert nach
der Theorie der „gelochten Scheibe“ mittels nachstehender Formeln berechnen:
1   p v  ra 2 m 2  3m  1 Verformung in Firste bzw.
 p v   r 0    p h   t 0  dr 
1
w 
E ra  m  E m  m  1 Sohle (pos. Vorzeichen:
Setzung [Firste] bzw.
Hebung [Sohle])

1   p v  ra m 2  4m  1 Horizontalverformung in
u  p    
1
 p    dr   
E r 
t1 
m  m  1
h r1 v den Ulmen (pos.
a
m  E
Vorzeichen: Verformung
nach innen gerichtet)

   an der Stelle  = 0° (siehe Gleichung Seite 18)

   an der Stelle  = 90° (siehe Gleichung Seite 18)

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

u>0 Konvergenz: Die Ulmen bewegen sich in den Hohlraum hinein, dies gilt für:
2  3  3,73  m  2 bzw. 0,27    0,5
u<0 Divergenz: Die Ulmen werden nach außen gedrückt, dies gilt für:
  m  2  3  3,73 bzw. 0    0,27
In der Praxis hängen die tatsächlichen Verformungen wesentlich vom Bauverfahren und von der
Ringschlusszeit ab.
Für den Sonderfall m = 2 bzw.  = 0,5 (hydrostatischer Zustand), d.h. für allseitig gleichen Druck
K0 = 1 ergibt sich:
w = u … hydrostatischer Spannungszustand
3.2.2. Primärzustand elastisch – Sekundärzustand plastisch
Der sekundäre plastische Spannungszustand tritt nach Ausbruch eines Hohlraumes in einem Gebirge
mit primär elastischem Spannungszustand auf, wenn der innere Gleitwiderstand des Gesteines örtlich
zur Gänze mobilisiert wird, d.h. wenn sich plastische Bereiche ausbilden. Dies kommt vorwiegend in
schlechtem Gebirge aufgrund des geringen inneren Gleitwiderstandes (z.B. im Mergel oder Sandstein)
vor. Aber auch bei standfestem Gebirge, wenn etwa der Gleitwiderstand bereits im primären
Spannungszustand in einem sehr hohen Maß mobilisiert wurde oder es sich um sehr große Ausbrüche
handelt, kann es zu einem sekundären plastischen Spannungszustand kommen.
Für die theoretische Berechnung wird anstatt eines allmählichen Übergangs von einer scharfen Grenze
zwischen linear elastischer und ideal plastischer Zone ausgegangen.
Das Mohr-Coulomb’sche Versagenskriterium wird durch eine Gerade gebildet, welche durch die
Gebirgsdruckfestigkeit bei einachsiger Beanspruchung gd (= einaxiale Druckfestigkeit) und dem
Winkel des inneren Gleitwiderstandes g (=  in Abbildung 3-15) definiert ist, bzw. im Lockergestein
durch die Kohäsion c und den Winkel der inneren Reibung .
Nachfolgende Abbildung zeigt das zur Ableitung der Plastizitätsbedingung herangezogenen Mohr-
Coulomb’schen Versagenskriterium.
Index p … „plastisch“
Plastizitätsbedingung:
 tp   rp
sin  
 tp   rp  2p k

 t   r 2  4 2
sin  
 t   r  2p k

p k  c  cot 

mit  … Reibungswinkel
c … Kohäsion
pk … Binnendruck

Abbildung 3-15: Mohr-Coulomb'schen Versagenskriterium als Grundlage für die Ermittlung des sekundären
plastischen Spannungszustandes rund um den Ausbruchsquerschnitt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

3.2.2.1. K0 = 1 (allseitig gleicher primärer Druck: p  p v  p h    h )


Bei K0 = 1 bildet sich ein radialsymmetrischer sekundärer Spannungszustand aus, der dadurch
gekennzeichnet ist, dass sich die Grenze zwischen plastischem und elastischem Bereich durch einen
zum Ausbruchsrand konzentrischen Kreis darstellt.

Abbildung 3-16: Ausbildung der plastische und elastische Zonen beim radialsymmetrischen Spannungszustand
K0 = 1, begrenzt durch einen zum Ausbruchsrand konzentrischen Kreis.

Ermittlung der Spannungen


Die Bestimmungsgleichungen für die im plastischen Bereich auftretenden Spannungen ergeben sich
als Lösung einer Differentialgleichung, welche durch Einsetzen der Plastizitätsbedingungen in eine
aus den Gleichgewichtsbedingungen ermittelten Spannungsfunktionen F (gültig für den plastischen
und elastischen Bereich) gewonnen wird. Diese ist definiert durch:
d 2F 1 dF
2
   gd  0
dr r dr
Die Spannungen im plastischen Bereich ergeben sich durch Lösung der Differentialgleichung der sog.
Scheibengleichung zu:

 gd  r 
n k 1
 Index „p“ … plastisch
 rp      1 gd … Gebirgsdruckfestigkeit bei einachsiger
n k  1  ra  
 Beanspruchung
 gd  r 
n k 1
 nk … Kritisches Hauptspannungsverhältnis
 tp      n k  1
n k  1  ra   (passiver Grenzspannungszustand Kp)

p  0 1  sin  
nk   tan 2 (45  )
1  sin  2
ra … Ausbruchsradius

Für die Berechnung der Spannungen im elastischen Bereich wird der Grenzkreis zwischen elastischem
und plastischem Bereich als fiktiver Ausbruchsradius angesehen (ra = r0), in welcher jedoch eine
Radialspannung  r 0 wirkt. Die Bestimmungsgleichungen lauten wie folgt:

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

 ro 2  ro
2
 
 re  p  1  2   ro 2
 r  r Index „e“ … elastisch

 r2 r
2
 te  p  1  o2    ro o2
 r  r0 … Grenzradius zwischen elastischem und
   r
 zufolge der plastischem Bereich
zufolge des allseitig Radialspannung r0
gleichen Druckes p

e  0

Randbedingung zwischen elastischem und plastischem Bereich


Für die Grenze zwischen elastischem und plastischem Bereich r0 gilt, dass  rp   re   r 0 und
 tp   te sein muss. Die Auswertung dieser Forderung ergibt die Gleichung für  r 0 und den Radius
r0 des Grenzkreises:
1
 gd  r0  k  p  n k  1   gd  n k 1
n 1
 2
r 0     1 r0  ra   
n k  1  ra    n k  1  gd 

Die folgende Abbildung 3-17 veranschaulicht den Verlauf der sekundären plastischen und elastischen
Spannungen für K 0  1 bei Anwendung des Mohr-Coulomb’schen Versagenskriteriums.

Abbildung 3-17: Verlauf der sekundären Spannungen in der Umgebung eines kreisrunden Tunnelausbruches bei
allseitig gleichem primärem Druck (K0 = 1).

Die Tangentialspannung t,1 kann am Ausbruchsrand nicht größer als die Druckfestigkeit gd bei
einachsiger Beanspruchung werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Hinweis: An der Grenze zwischen plastischem und elastischem Bereich zeigt der theoretische Verlauf
der Tangentialspannung einen Knick, welcher in der Natur jedoch nicht vorkommt. Die realitätsnahe
Ausrundung der Spannungsspitze zieht nur eine unbedeutende Änderung des Spannungsverlaufes mit
sich.
Bei Sprengarbeiten kommt es im Bereich des Ausbruchrandes zu mehr oder weniger starken
Gefügestörungen, welche eine Verminderung der Festigkeitseigenschaft des Gebirges zur Folge haben
(können). Im vorliegenden Beispiel wurde für den in Abbildung 3-18 dargestellten Fall eine
Auflockerungszone berücksichtigt, in der die Kohäsion c gleich Null ist und welcher den Verlauf der
sekundären Spannungen dargestellt. Am Ausbruchrand ist neben  r und  auch  t Null, da für das
aufgelockerte Material mit c = 0 bei einachsiger Beanspruchung auch die Druckfestigkeit gd = 0 ist.

Abbildung 3-18: Verlauf der sekundären Spannungen für den (fiktiven) Sonderfallmit c=0 in der Umgebung
eines kreisrunden Tunnelausbruches bei allseitig gleichem primären Druck (K0 = 1).

Verlauf der Gleitflächen im plastischen Bereich


Der einfachste Fall zur Berechnung der plastischen Zonen bei primär allseitig gleichem Druck
(K0 = 1), bei dem Anordnung und Spannungszustand für einen kreisrunden Tunnelausbruch
rotationssymmetrisch sind, gestattet es auch, die Form der Gleit- bzw. Scherflächen rechnerisch relativ
einfach zu ermitteln.
Die Spannungen im plastischen Bereich rp und tp sind Hauptspannungen. Der ihnen entsprechende
Spannungskreis berührt im Mohr-Coulomb´schen Diagramm die Versagensgerade. Aus dem
Mohr´schen Diagramm lässt sich damit in weiterer Folge der Gleitflächenwinkel  grafisch ermitteln.
Bei homogenen, isotropen Gebirge ist der Winkel  konstant, da er nur vom inneren Reibungswinkel
 (Gleitwiderstand g) abhängig ist. Daraus folgt unmittelbar, dass die Gleitflächen logarithmische
Spiralen sein müssen, deren asymptotischer Punkt im Pol des Koordinatensystems, also im
Mittelpunkt des kreisförmigen Ausbruchsquerschnitts, liegt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

+
=0 cos 
tan  

- 1  sin 

=/2 +

-

Abbildung 3-19: Ermittlung der Gleitflächentangenten in einem Punkt (r, ) im plastischen Bereich rings um
einen kreisrunden Stollenausbruch in einem Gebirge das primär unter allseitig gleichem Druck stand (K0 = 1)
[adaptiert nach Kastner, 1962].

Die Gleichung der Gleitflächen kann daher wie folgt angeschrieben werden:
1 1  sin 
r  a  e k mit k 
tan  cos 
Der in dieser Formel auftretende Parameter a (zugehörige Bogenlänge am Ausbruchsrand) hat auf die
Gestalt der Gleitfläche keinen Einfluss. Nachfolgende Abbildung zeigt den Gleitflächenverlauf
beispielhaft für einen gegebenen Reibungswinkel .

=0

/2

Abbildung 3-20: Gleitflächenverlauf in der plastischen Zone rings um einen kreisrunden Ausbruch bei primär
allseitig gleichem Druck (K0 = 1) [adaptiert nach Kastner, 1962].

Um die Gleitflächenspirale an irgendeiner Stelle zu bestimmen, wird zunächst mit  = 0 und r = ra


(also Punkt A in Abbildung 3-20) beginnend, zu wachsenden Werten von r der entsprechende
Winkel  ermittelt und man erhält die vom Scheitel des Firstes ausgehende Spirale AA1. Jede andere
Gleitfläche, also z.B. jene, die vom Punkt B des Ausbruchsrandes ausgeht, kann nun gezeichnet
werden, indem man die vom Firstpunkt A ausgehende Kurve um den Mittelpunkt des
Ausbruchsquerschnittes dreht. Damit ist eine Gleitflächenschar bestimmt. Die zweite
1
Gleitflächenschar ergibt sich für k   . Der Gleitflächenverlauf hat bei gleicher Form der
tan 
Kurven den entgegensetzten Sinn.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

3.2.2.2. K0 < 1 (überwiegend lotrechter primärer Druck)


Wenn der Seitendruckbeiwert K0 vom Wert 1 abweicht, besteht nicht mehr die Möglichkeit, die
Grenzlinie zwischen plastischem und elastischem Bereich auf analytischem Wege zu ermitteln. Um
dennoch einen Einblick in den Verlauf der Grenzlinie zu erhalten, kann folgende Näherungsmethode
angewendet werden.
Unter der Annahme, es liege ein primär elastischer – sekundär elastischer Zustand vor, berechnet man
die im Gebirge auftretenden sekundären Spannungen. Mittels der unter dieser Voraussetzung
ermittelten Spannungen kann jene Grenzlinie bestimmt werden, für welche die Plastizitätsbedingung
erfüllt ist (siehe dazu Abbildung 3-15):

 t   r 2  4 2
sin  
 t   r  2p k
mit pk … Binnendruck
Dieses Näherungsverfahren lässt sich auch umgekehrt anwenden. Dabei werden die
Bestimmungsgleichungen für  r ,  t und  (siehe Kapitel 3.2.1) in die Plastizitätsbedingung
eingesetzt, womit sich folgende theoretische Ausdrucke für die Grenzen der plastischen Bereiche
ergeben:
  2p  
 1  K 0  k  sin 2  
2
cos 2 2   
1 K0
  4  1  K 0 

 1  2 2  3 4   h 
2  1  K 0 
  cos 2 

 
 
  2p k 
2

      
 
2
1 K sin
1  1  K 0    2 1  2 2  3 4    h 
0

 
 4  1  K 0  2

4 2

4  2
 1  K 2 0
 0 
 
   2  sin 2   2  3 2
r
 a
r
Die Abbildung 3-21 ist ein Beispiel für die Auswertung dieser Näherungsberechnung für bestimmte
Gesteins- bzw. Felskennwerte.
Während sich bei K0 = 1 bekanntlich eine kreisringförmige plastische Zone einstellt, kommt es bei
K0 < 1 zu einer etwa unter 45° geneigten kreuzförmigen plastischen Zone.
Da aufgrund der im Allgemeinen vorherrschenden Gebirgseigenschaften die Querdehnungszahl meist
zwischen m = 3 und 6 variiert, sind für die Praxis vor allem die plastischen Zonen, die sich bei einem
zugehörigen K0 = 0,5 bis 0,2 ausbilden, von Bedeutung. Die Begrenzungen der plastischen Zonen,
welche sich bei einem Seitendruckbeiwert K0 = 0,141 einstellen, erstrecken sich ins Unendliche.

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s = 25 N/cm²; pk = 43,3 N/cm²;  = 30°; h = 600 m; pv = 150 N/cm²


K0 = 0,141; 0,2; 0,3; 0,5; 0,75 u. 1,0
m = 1/K0 + 1 = 6,1; 6,0; 4,3; 3,0; 2,3 u. 2,0

=0

 

=

Abbildung 3-21: Begrenzung der plastischen Zonen in der Umgebung eines kreisförmigen Tunnelausbruches
bei Überwiegen des lotrechten primären Überlagerungsdruckes für verschiedene Werte des
Seitendruckbeiwerts K0 = 0 / 0,141 / 0,2 und 0,3 [adaptiert nach Kastner, 1962].

Die Ausbildung plastischer Zonen lässt sich auch auf spannungsoptischem Weg untersuchen. Dies
führt zu einer fotografischen Darstellung der Isochromaten (Linien gleicher Hauptspannungsdifferenz
3 – 1), wodurch auch die Grenzlinie zwischen plastischem und elastischem Bereich aufgefunden
werden kann. Die Abbildung 3-23 zeigt ein Beispiel für ein Isochromatenbild für pi = 0 und K0 = 0,4.

Abbildung 3-22: Gegenüberstellung gerechneter und gemessener Vertikalspannungen nach erfolgtem


Ringschluss [Meschke, 1996].

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Die plastischen Bereiche um den Tunnelausbruch sind – ebenso wie in dem zuvor behandelten Fall der
kreisringförmigen plastischen Zone bei allseitig gleichem primären Druckverhältnissen – von zwei
Gleitflächensystemen durchzogen. Die Form der Gleitflächen lässt sich aber in diesem Fall
rechnerisch nicht ermitteln.
Abbildung 3-24 und Abbildung 3-25 zeigen bei tunnelartig gelochten Probekörpern aus Carrara-
Marmor versuchstechnisch die Ausbildung der Gleitflächen im plastischen Bereich.

Abbildung 3-24: Plastische Zone in der Abbildung 3-25: Plastische Zone in der
Umgebung eines tunnelartig gelochten Umgebung einer doppelten kreisförmigen
Probekörpers [Kastner, 1962]. Lochung eines Probekörpers [Kastner,
1962].

Abbildung 3-23:
Isochromatenbild
Kastner, 1962].

3.2.3. Primärzustand plastisch – Sekundärzustand plastisch


Wird in einem Medium, das sich in einem primären plastischen Zustand befindet (latentes
Gleichgewicht), ein Hohlraum errichtet, so kann sich im sekundären Zustand kein Gleichgewicht mehr
einstellen (d.h. globale Sicherheit  < 1). Als Folge dessen treten Bewegungen auf, die den Hohlraum
allmählich schließen.
Die Notwendigkeit, Hohlraumbauwerke in einem Gebirge, das sich im Zustand latenter Plastizität
befindet, zu errichten, ergibt sich eher selten. Bei Tongesteinen mit geringer einaxialer Druckfestigkeit
kann allerdings ein latent plastischer primärer Zustand schon bei verhältnismäßig geringer
Überlagerungshöhe auftreten. Im standfesten Fels liegt die Grenze der primär latenten Plastizität in
sehr großer Tiefe unter der Erdoberfläche.

3.3. Tertiärer Spannungszustand


Der tertiäre Spannungszustand ist definiert durch die Phase nach dem vollständigen Tunnelausbau,
es wird quasi der sekundäre Spannungszustand „eingefroren“. Durch den Einbau von Stützmitteln
wird der Ausbauwiderstand pA aktiviert, der die Verformung zur Lochmitte behindert und somit
einen Gleichgewichtszustand erzeugt. Die Abbildung 3-26 zeigt den Verlauf der Radial- und
Tangentialspannungen bei K0 = 1 (primär elastisch – sekundär plastisch) nach Aufbringung eines
Ausbauwiderstandes. Durch die Erhöhung des Ausbauwiderstands, z.B. mittels einer
Spritzbetonsicherung oder einer Systemankerung, wird die Radialspannung von Null ausgehend
erhöht, der Mohr´sche Spannungskreis verschiebt sich, wird kleiner und entfernt sich von der
Bruchgeraden, womit die Sicherheit  sukzessive größer wird.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 3-26: Verlauf der Radial- und Tangentialspannungen (K0 = 1, primär elastisch – sekundär plastisch)
im tertiären Spannungszustand nach Aktivierung des Ausbauwiderstandes pa. mit der Sicherheit :
„Spannungsreserve“ gegenüber (rt,1 – r,1)/2 (Radius des Mohr’schen Kreises)

3.4. Wechselwirkung zwischen Gebirge und Ausbau


Mit der Weiterentwicklung der Tunnelbaumethoden (NÖT, siehe Kapitel 5) konnte der Tunnelausbau
in vergleichsweise wesentlich kürzerer Zeit eingebaut werden als bei den traditionellen Bauweisen
(siehe Kapitel 5.2). Im Gebirge entstehen dadurch keine oder nur mehr vergleichsweise geringe
Auflockerungserscheinungen. Beobachtungen zeigen, dass die Tunnelverformungen von der Stützung
des Hohlraums abhängen.
Das Verhalten des Gebirges nach dem Ausbruch ist durch die sog. Gebirgskennlinie gekennzeichnet,
dem Zusammenhang zwischen der (theoretisch) erforderlichen Radialspannung am Ausbruchsrand
(= Ausbauwiderstand) und der zugehörigen Verformung an der Wandung. Deren Charakteristik hängt
von den sich ausbildenden elastischen und plastischen Spannungszuständen sowie weiteren
Auflockerungen und Entfestigungen des Gebirges (Abnahme der (Scher-)Festigkeit) ab.
Unter der Voraussetzung eines vollkommen elastischen Gebirgsverhaltens ergibt sich beim
Tunnelausbruch ein linearer Zusammenhang zwischen den Verformungen u an der Tunnelwandung
und dem erforderlichen radialen Stützdruck ra infolge der sekundären Spannungsverteilung (Linie 1
in Abbildung 3-27). Der radiale Stützdruck wird als Ausbauwiderstand pa definiert, der vom Ausbau
(in der Regel (bewehrter) Spritzbeton, ggf. Systemankerung etc.) auf das Gebirge aufgebracht werden
muss, um den nicht mehr vorhandenen radialen Druck des Gebirges (Primärspannungen) wieder
herzustellen.
Durch die Verminderung der Stützung nehmen die Radialspannungen ab und die
Tangentialspannungen steigen an, bis das Gebirge (ggf.) plastische Zonen ausbildet. Unter der
Annahme eines ideal plastischen Gebirgsverhaltens entsteht eine nichtlineare Beziehung zwischen
Spannung und Verformung (Kurve 2 in Abbildung 3-27), bei der sich jedoch auch ohne Ausbau ein
Gleichgewichtszustand einstellt, jedoch erst bei vergleichsweise großen Verformungen.
Durch die Verformung bei gleichzeitiger Auflockerung und Entfestigung des Gebirges tritt ein Verlust
der (Scher-)Festigkeit ein, der – dem Verlauf der Gebirgskennlinien 3a und 3b entsprechend – ohne
Stützung zu keinem Gleichgewichtszustand mehr führt. Erfolgt der Ausbau nicht rechtzeitig bei relativ

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

kleinen Verformungen, wird der Ausbauwiderstand mit wachsenden Verformungen zunehmend


größer.
Der infolge der Auflockerung zunehmende Gebirgsdruck belastet den Tunnelausbau, dadurch steigt
der erforderliche Ausbauwiderstand weiter an, wie dies in den beiden Kurven 4dargestellt ist.

Abbildung 3-27: Wechselwirkung zwischen Gebirge und Ausbau (1  Gebirge entspannt sich (elastische
Verformungen), Gleichgewichtszustand stellt sich ohne Stützmittel bei relativ geringen Verformungen ein; 2 
Gebirge lockert sich auf (plastische Verformungen), Gleichgewichtszustand stellt sich auch ohne Stützmittel
ein, jedoch erst bei große Verformungen; 3a, 3b  Gebirge lockert sich zunehmend auf (große plastische
Verformungen), Gleichgewichtszustand stellt sich ohne Stützmittel nicht mehr ein, Ausbau ist schnell
einzubringen, um Verformungen gering zu halten; 4  Gebirge lockert sich zunehmend stark auf (sehr große
plastische Verformungen), Gleichgewichtszustand stellt sich ohne Stützmittel nicht mehr ein, Ausbau ist schnell
einzubringen, um Verformungen gering zu halten, Ausbauwiderstands ist bspw. durch Anker zu erhöhen [nach
Striegler, 1993].

Bei Tunneln mit großer Überlagerungshöhe ist es zweckmäßig, die Steifigkeit des Ausbaus und die
zeitliche Abfolge zwischen Ausbruch und Ausbau so abzustimmen, dass sich das Gebirge bereits
entspannt, jedoch noch nicht aufgelockert hat. Damit wird die Belastung auf den Ausbau gering
gehalten. Bei seichten Tunneln, insbesondere unter Bebauung, wird man versuchen, die
Oberflächensetzungen durch ein rasches Einbringen des Ausbaus so gering wie möglich zu halten. Der
Tunnelausbau wird stärker belastet, da sich das Gebirge bzw. der Boden weniger entspannen konnte.
In Abbildung 3-28 sind typische Ausbaukennlinien bei vorhandener Gebirgskennlinie dargestellt.
1  weicher Ausbau – minimal
erforderlicher Ausbauwiderstand

2  steifer Ausbau, spät eingebaut


(daher große Verformungen bei großem
erforderlichen Ausbauwiderstand)

3  steifer Ausbau, frühzeitig


eingebaut (geringe Verformungen bei
vergleichsweise hohem erforderlichen
Ausbauwiderstand)

Abbildung 3-28: Gebirgskennlinie und Ausbaukennlinien (Zusammenhang zwischen Verformung und


Ausbauwiderstand) [Vogt, 2009].

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4. BERECHNUNGS- UND BEMESSUNGSGRUNDLAGEN FÜR


TUNNELBAUWERKE
4.1. Belastungsansätze – Ermittlung der Primärspannungen
In Bezug auf die Belastungsansätze wird zwischen Tunneln im Festgestein und Tunneln im
Lockergestein sowie zwischen oberflächennahen und tiefliegenden Tunneln unterschieden.
Als Entscheidungskriterium, ob ein Tunnel oberflächennah oder tiefliegend ist, dient folgende
Definition:
hü < 2d oberflächennaher Tunnel (gesamte Überlagerung ohne Lastabminderung)
hü  3d tiefliegender Tunnel (Lastabminderung infolge Gewölbewirkung)
2d  hü < 3d Übergangsbereich (beide Ansätze möglich)
mit d… Tunneldurchmesser eines kreisrunden Tunnels
hü … Überdeckung über der Tunnelfirste
4.1.1. Festgesteinstunnelbau
Bei Tunneln im Festgestein wird ein Teil der Belastung mittels Spannungsumlagerungen direkt über
das Gebirge abgetragen (Gebirgstragring, „Schutzhülle“). Das Gebirge wirkt dabei sowohl als
Belastung als auch als Tragwerk.
Bei der klassischen Gewölbebauweise wurden nach Kommerell die beim Bau gelockerten Massen als
Firstbelastung angesehen. Durch das Sprengen werden Auflockerungen hervorgerufen, das Gewicht
des aufgelockerten Gebirges drückt auf die Stützung (Holzeinbauten). Aus der Firstsenkung s, die
während der Standdauer des hölzernen Hilfsbaues sowie bei dessen Entfernung beobachtet und
gemessen werden kann, bestimmt Kommerell Form und Größe des gelockerten Gebirgskörpers, der
schließlich auf den Tunnelausbau (Mauerwerk) wirkt. Für eine einfache Berechnungsformel wurde die
Parabel durch eine halbe Ellipse von gleicher Höhe und Breite ersetzt, deren Umfangslinie von jener
der Parabel nur unerheblich abweicht (sog. „Druckellipse“).

2B

hs hs

Hinweis:


Abbildung 4-1: Belastung des Tunnelmauerwerks nach Kommerell. Links: ohne Seitendruck, rechts: mit
Seitendruck (aktiver Erddruck) [Müller, 1978].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

100  s max
Höhe der Druckellipse: h  [m]
nb
mit smax … Firstsetzung (gemessen) [m]
nb … bleibende Auflockerung im Bereich des Firstgewölbes (abgeschätzt) [%]
Aus der Literatur sind folgende Richtwerte für die anfängliche und bleibende Auflockerung bekannt:
Tabelle 4-1: Richtwerte für die Gebirgsauflockerung in Abhängigkeit von der Gesteinsart
Auflockerung [%]
anfänglich bleibend
Festgestein na nb
Gebräche Gesteine (z.B. Mergel, weiche Sandsteine, zerklüft. Kalksteine, etc.) 25 – 30 4–8
Leicht sprengbares Gestein (z.B. Kalk- und Kreidegesteine, Konglomerate, etc.) 30 – 35 6 – 12
Schwer sprengbares Gestein (z.B. Granit, Gneis, etc.) 35 – 50 8 – 25
Lockergestein
Sand, Feinkies, sandiger Schluff, etc. 10 – 20 1–3
Grobkies, toniger Schluff (fest), Ton, etc. 20 – 25 2–5

Zusätzlich zur Firstbelastung setzt Kommerell den Seitendruck an, der dem aktiven Erddruck eines auf
der Gleitfläche Ac (gemäß Abbildung 4-1) abrutschenden Prismas entspricht. Für die entspannte Zone
um den Hohlraum im Gebirge ist im bergmännischen Schrifttum auch die Bezeichnung
„Trompeter’sche Zone“ bekannt.

Breite der Druckellipse 2B: 2B  2b  2h s  tan(45  )
2
mit b… Ausbruchsradius
hs … Höhe des Ausbruchsquerschnitts

Abbildung 4-2: Tragfähigkeit verschiedener Gewölbestärken für Tunnel von ca. 10 m Durchmesser in
Abhängigkeit von: der Gebirgsklasse G, der Firstsenkung s und der Auflockerung n [Müller, 1978].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

4.1.2. Lockergesteinstunnelbau
Bei oberflächennahen Tunneln im Lockergestein wird in der Regel davon ausgegangen, dass die
verbleibende Überdeckung nicht ausreicht, um ein Druckgewölbe auszubilden. Das Gebirge trägt nicht
zur Lastabtragung bei und es wird die gesamte Überlagerung als Belastung auf die Tunnelschale
angesetzt. Neben dem Bodeneigengewicht und dem Wasserdruck müssen auch Lasten aus Gebäuden
und Verkehr etc. berücksichtigt werden.
Bei tiefliegenden Tunneln im Lockergestein darf die Belastung aus der Überlagerung abgemindert
werden. Es wird davon ausgegangen, dass sich im Boden ein Druckgewölbe ausbildet und nur ein Teil
der Vertikallast der Überdeckung auf die Tunnelschale wirkt.
Zur Ermittlung dieser Gewölbewirkung kommt üblicherweise die Silotheorie nach Karl von Terzaghi
zur Anwendung (Herleitung des Siloerddrucks: siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik).
Hierbei wird angenommen, dass sich der Boden über dem Rohr zwischen zwei vertikalen Ebenen
abwärts bewegt. Infolge der Reibung in den Scherflächen kommt es zur Aktivierung von nach oben
gerichteten Schubspannungen an den Rändern des betrachteten Bodenkörpers, die mittragend wirken.
Die Gewölbelast (der Silodruck) ergibt sich zu:

  2B  
z
 2 K 0  tan 
pz  1 e 2B 
2  K 0  tan   

mit pz … Druck auf den Tunnelscheitel in der Tiefe z (= Überlagerungshöhe h = hü)
2B … ideelle Silobreite (= Einflussbreite des Bodens über der Tunnelfirste)
… Bodenwichte (bei Wassersättigung: Wichte unter Auftrieb ')
… Wandreibungswinkel (üblicherweise wird  =  gesetzt)
K0 … Seitendruckbeiwert nach der Silotheorie (auch: KSilo)
q

z
hü h
pz

zꞌ px px
d
Hinweis:


Abbildung 4-3: Belastungsannahmen zur Ermittlung des Siloerddrucks nach Terzaghi für einen kreisförmigen
und rechteckigen Tunnelquerschnitt [Müller, 1978].

Bei Böden mit Kohäsion c und unter Wirkung einer äußeren Last q auf der Geländeoberfläche (GOK)
erweitert sich die Gewölbelast pz zu:

  2B  2c  
z z
 2 K 0  tan   2 K 0  tan 
pz  1 e 2B   q  e 2B
2  K 0  tan   

mit c… Kohäsion
q… äußere Last an der GOK
2B … ideelle Silobreite, mit B gemäß Abbildung 4-3, Abbildung 4-4 bzw. Abbildung 4-6

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die auf die Tunnelschale wirkende Horizontalbelastung px kann nach Terzaghi mittels folgender
Gleichung bestimmt werden:

p x  (p z ,z h    z )  tan 2   2c  tan  mit   45 
2
mit pz,z=h … Druck auf den Tunnelscheitel unmittelbar auf Höhe der Firste mit z = h
Es ist zu beachten, dass z von der Tunnelfirste aus definiert ist, z hingegen von GOK. Die horizontale
Belastung nimmt bei einem kreisförmigen Tunnelquerschnitt nur bis zu einer Grenztiefe von
z  r  1  sin   zu, darunter bleibt die horizontale Belastung nach Terzaghi konstant.
Der Faktor tan2 entspricht dem aktiven Erddruckbeiwert Ka. Terzaghi geht also davon aus, dass sich
während der Tunnelherstellung Verformungen einstellen können, die den aktiven Zustand
rechtfertigen, was nicht unbedingt der Fall sein muss.

z B B

 1 
B  r   tan   
 cos  

  45 
2

Abbildung 4-4: Belastungsannahmen zur Ermittlung des Siloerddrucks nach Terzaghi für einen kreisförmigen
Tunnelquerschnitt [Vogt, 2009].

Terzaghi hat den Silo-Seitendruckbeiwert K0 (= KSilo) versuchstechnisch bestimmt. Demnach steigt K0


bis etwa einmal der Einflussbreite (2B) über dem betrachteten Bodenelement auf den Wert 1,5 an und
sinkt anschließend bis zu einer Höhe des 2,5-fachen Einflussbreite (5·B) auf den Wert 0,5 ab (vgl.
Abbildung 4-5). Zur Ermittlung des auf das Prisma wirkenden Seitendrucks K0 (= KSilo) empfiehlt
Terzaghi den konstanten Wert 1.

z

5·B 5·B

2B 2B

Abbildung 4-5: Verlauf vom Seitendruckbeiwert K0 nach der Silotheorie von Terzaghi und Vertikalspannungen
über der Tunnelfirste [Vogt, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Vertikalspannungen z über der Tunnelfirste nähern sich mit der Tiefe einem Grenzwert an.
Oberhalb von 5B über der Firste wirkt nach Terzaghi kein Gewölbe mehr, sodass die
Vertikalspannung in diesem Bereich linear mit der Tiefe zunimmt (vgl. Abbildung 4-5).
Die ideelle Silobreite 2B über der Tunnelfirste ergibt sich zufolge statischer und kinematischer
Überlegungen, auf deren Grundlagen die Lage der begrenzenden Scherflächen im Boden bestimmt
wird. Dazu wurden von verschiedenen Autoren unterschiedliche Ansätze entwickelt (siehe Abbildung
4-6).

Terzaghi: B  d  (1  2  tan )
2

Scherle: B  d  (1  tan )
2

B Terzaghi/Houska: B  d   1  tan  
2  cos  

d  1 
B   tan  * 
Houska: 2  cos  * 
* 2
 *  45  tan  *  tan 
2 3

Körner: B  d
2

Abbildung 4-6: Ideelle Silobreite (2B) nach verschiedenen Autoren [adaptiert aus Stein, 2003].

J. Houska hat den Ansatz von Terzaghi für kreisrunde Tunnelprofile aufgrund von
Baustellenmessungen weiterentwickelt. Er verteilt die vertikalen Drücke von der Firste zusätzlich auf
die Ulmen und erhält größere seitliche Belastungen als Terzaghi (vergleiche Abbildung 4-7). Bei der
Bestimmung der Silolast nach Houska werden nur 2/3 des Reibungswinkels  bzw. der Kohäsion c
angesetzt:
2 2
tan *  tan  bzw. c*  c
3 3

Abbildung 4-7: Belastungsannahmen zur Ermittlung des Siloerddrucks nach Houska für einen kreisförmigen
Tunnelquerschnitt [Vogt, 2009].

Die Belastungsannahme nach Houska führt im Vergleich zur Annahme nach Terzaghi meist zu einer
günstigeren Dimensionierung der Tunnelschale, da sich die Horizontalspannungen erhöhen und die
Vertikalspannungen auf den Tunnelquerschnitt reduzieren. Der Spannungszustand wird damit
„hydrostatischer“.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

B B

Abbildung 4-8: Einflussbreite (2B) nach Houska für einen kreisförmigen Tunnelquerschnitt [Vogt, 2009].

4.1.3. Einflussfaktoren auf die Tunnel- und Stollenbemessung – Zusammenfassung


a) Spannungszustände (Druckhaftigkeit) des Gebirges
b) Tektonische Einflüsse, Trennflächengefüge, Mineralogie (Quellvermögen)
c) Hangkriechen bei oberflächennahen Tunneln
d) Tragfähigkeit der Tunnelauskleidung (Außenschale)
e) Temporäre Stützmaßnahmen und Verformungsverhalten
f) Tragfähigkeit der Tunnelinnenschale
g) Berg- und Grundwasserverhältnisse (Wasserchemismus – Aggressivität)
h) Funktionsfähigkeit des Entwässerungs- und/oder Dichtungssystems

4.2. Berechnungsmodelle für die Tunnelschale


4.2.1. Überblick

Abbildung 4-9: Übersicht der Rechenmodelle im Tunnelbau [Katzenbach/Breth, 1983].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Modelle zur Bemessung eines Tunnelbauwerks bzw. zur Ermittlung der Tunnelstandsicherheit
entstanden aus mechanischen Modellen der Festigkeitslehre. Sie unterscheiden sich stark nach Art und
Umfang der Vereinfachungen, davon hängt wiederum der Berechnungsaufwand ab.
Die ebenen Berechnungsmodelle sind unter der Vorstellung entstanden, dass der Tunnel als eine
langgestreckte Baukonstruktion betrachtet werden kann und dass die Belastungen über einen längeren
Tunnelabschnitt konstant sind.
Die räumlichen Berechnungsmodelle haben das Ziel, den Tunnel und das Gebirge in den
Tunnelvortriebsbereichen vor der Ortsbrust, an der Ortsbrust und hinter der Ortsbrust mit den
zugehörigen vorläufigen und endgültigen Sicherungen abzubilden, um das gemeinsame Trag- und
Verformungsverhalten während des Bauablaufs zu analysieren. Der räumliche Bauablauf
(dreidimensional) wird auch als quasiräumlich durch mehrere ebene Berechnungen (zweidimensional)
für die örtlich verschiedenen Bauzustände simuliert [Maidl, 1988].
4.2.2. Tunnel als Tragwerk oder gebetteter Stabzug
4.2.2.1. Rahmen- oder Bogentragwerke ohne Verbund zum Gebirge
Die Tunnelschale wird als Rahmen- oder Bogentragwerk idealisiert auf welches die Belastungen
gemäß Kapitel 4.1 aufgebracht werden. Da von keiner Interaktion zwischen Tunnel und Gebirge
ausgegangen wird, muss das Tunneltragwerk für sich alleine im Gleichgewicht stehen.
Es wird lediglich der fertige Tunnel im Endzustand untersucht. Dabei ergeben sich aus der
Berechnung auch Verformungen der Tunnelschale, wobei hier jedoch der Einfluss des Gebirges
unberücksichtigt bleibt. Daher stellt das Ergebnis eines derartigen Rechenmodells nur eine sehr grobe
Näherung dar, welche jedoch zur Abschätzung von Schnittkraftverläufen oder zur
Plausibilitätskontrolle komplexer dreidimensionaler FE-Berechnungen ihre Berechtigung hat. Das
Berechnungsmodell eignet sich nicht zur Bestimmung von zu erwartenden Setzungen.
Beispielhaft ist nachfolgend die Herleitung zur Ermittlung des Momentenverlaufs in der Tunnelschale
angeführt:

Abbildung 4-10 Links: Statisches System. Rechts: Freischneiden der statisch Unbestimmten [Vogt, 2009].

Kräfte- bzw. Momentengleichgewicht:


H  0 N F  p x  rz

V  0 N U  p z  rx
1 1
M  0 MF   p z  rx2   p x  rz2
2 2
Die Momenten- und Normalkraftverläufe in der Tunnelschale ergeben sich aus der Überlagerung der
statisch bestimmten Schnittgrößenverläufe mit den entsprechenden Verläufen infolge der statisch
Unbestimmten X = 1. Die Schnittkraftverläufe hängen von den vertikalen und horizontalen

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Belastungen pz und px sowie von den vertikalen und horizontalen Halbachsen rz und rx ab. Die
jeweiligen Verhältnisse werden nachfolgend durch die Parameter K bzw. R ausgedrückt.
px r
Mit K  , R  z und m()  1  K  R 2  2  (sin 2   K  R 2  cos 2 ) ergibt sich:
pz rx

1
M  p z  rx2  m()
4
Zur Ermittlung der Normalkraft wird die Tangentengleichung herangezogen:
x  x 1 z  z1
 2 1
a2 b
x  rx  sin  z  rz  cos 
 1
rx2 rz2

Abbildung 4-11: Tangentengleichung [Vogt, 2009].

px r sin 2   K  cos 2  sin 2   K  cos 2 


Mit K  , R  z und n ()   ergibt sich:
pz rx cos   1  R 2  tan 2  cos 2   R 2  sin 2 
N  p z  rx  R  n ()
Demnach folgt für einen kreisrunden Tunnel:
rz
R 1
rx

1
M  p z  rx2  m()
4
mit m()  1  K  2  (sin 2   K  cos 2 )
Für einen kreisrunden Tunnel ergeben sich in Abhängigkeit vom Seitendruckbeiwert K folgende
Momentenverläufe:

K=1 K = 0,5

 p z  r 2   0,5
1
M
4
Abbildung 4-12: Momentenverläufe für verschiedene Seitendruckbeiwerte bei einem kreisrunden Tunnel.

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4.2.2.2. Elastisch gebetteter Stabzug mit Verbund zum Gebirge (Bettungsmodulverfahren)


Der Tunnel wird durch Knoten und gerade bzw. gekrümmte Stäbe diskretisiert. Auf diese Weise kann
daher praktisch jede beliebige Querschnittsform abgebildet werden. Eine Sonderform des elastisch
gebetteten Stabzugs ist der kreisrunde, elastisch gebettete Ring. Dieses Modell liefert ähnliche
Ergebnisse wie die analytischen Kontinuumsberechnungen zur „gelochte Scheibe“ (siehe Kapitel
4.2.3), da die hierfür benötigten Eingangsgrößen (insbesondere der Bettungsmodul ks) daraus
abgeleitet worden sind.
Die Interaktion zwischen Tunnelschale und Gebirge erfolgt bei den Modellen des elastisch gebetteten
Stabzugs über elastische Federn, dies entspricht dem aus der Bodenmechanik bekannten
Bettungsmodulverfahren.
Der Bettungsmodul ks ist definiert als Verhältnis zwischen Spannung  [kN/m²] und zugehöriger
Verformung s [m]:

ks  Bettungsmodul [kN/m³ (!)]
s
Der Bettungsmodul ist keine Bodenkonstante, sondern u.a. vom Gebirgsdruck, der Gebirgssteifigkeit
und den geometrischen Tunnelabmessungen abhängig (siehe auch Vorlesung Grundbau und
Bodenmechanik). Da die Bestimmung des Bettungsmoduls vorab nicht immer genau möglich ist,
werden in der Praxis häufig Vergleichsberechnungen mit variierenden Bettungsmoduln durchgeführt,
um deren Einfluss auf die Bemessung zu ermitteln.
Für einen kreisrunden Tunnelquerschnitt besteht folgende Näherungsbeziehung zwischen
Bettungsmodul und Verformungsmodul:
E
ks  C 
R
mit C… Beiwert des Bettungsmoduls: 0,5  C  3,0
E… Elastizitätsmodul des Gebirges [kN/m²]
R… Radius des Tunnelquerschnitts [m]
Zwischen dem Elastizitätsmodul E und dem Steifemodul ES besteht bekanntlich ein direkter
Zusammenhang über die Poisson-Zahl  (siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik):
1 
Es  E
(1  2)  (1  )
Es können über den Tunnelumfang natürlich auch unterschiedliche Bettungswerte berücksichtigt
werden.

Allseitig gebettet – tiefliegender Tunnel Bettungsfreie Firste – oberflächennaher Tunnel


Abbildung 4-13: Unterschiedliche Bettung über den Tunnelumfang, links: allseitig gebetteter tiefliegender
Tunnel, rechts: bettungsfreie Firste eines oberflächennahen Tunnels.

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Bei oberflächennahen Tunneln (jedenfalls, wenn die Überlagerungshöhe kleiner als der
Tunneldurchmesser ist) wird üblicherweise im Bereich der Firste kein Bettungsansatz getroffen und
damit der Umstand berücksichtigt, dass sich infolge der geringen Überlagerung kein Gewölbe
ausbilden kann (siehe Abbildung 4-13 rechts). Bei tiefliegenden Tunneln, bei deren Herstellung keine
übermäßige Auflockerung entsteht, ist eine Bettung in der Firste zumeist gewährleistet (siehe
Abbildung 4-13 links).
Basierend auf den Modellen elastisch gebetteter Tunnelbauwerke wurden verschiedene
Berechnungsverfahren und -diagramme zur Bestimmung der maßgebenden Schnittgrößen erstellt. Sie
unterscheiden sich beispielsweise durch die unterschiedliche Art der Berücksichtigung der
Belastungsansätze, der Annahme tangentialer Bettung und Belastung und in der Erfassung von
Längsverformungen und geometrischen Nichtlinearitäten der Tunnelsicherung.

Abbildung 4-14: Vergleich einiger Berechnungsverfahren für oberflächennahe Tunneln bezüglich Belastung,
Bettung und System [Müller, 1978].

Fast alle Verfahren stützen sich auf das Modell des in Sohle und Ulmen gebetteten Kreisrings, in
dessen Kalotte eine Gleichlast wirkt. Die größten Biegemomente treten im Scheitel des Kreisrings auf
und sind (ebenso wie die übrigen Momente) dem Quadrat des Durchmessers und der Belastung
proportional.

Abbildung 4-15: Momentenverlauf des Ringträgers nach Bugajewa [Széchy, 1969].

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Die Momente im oberen Scheitelabschnitt von Ringträgern, die man unter Berücksichtigung einer
seitlichen Abstützung bemisst, überschreiten die Momente an den Ulmen und an der Sohle wesentlich.
Dies folgt aus der Tatsache, dass der anliegende Boden keine Zugbeanspruchungen aufnehmen kann,
weshalb in diesen Abschnitten keine elastische Erdabstützung vorhanden ist.
Die elastischen Bettungsverhältnisse zwischen Ausbau und Gebirge werden durch die relative
Biegesteifigkeit  und die Ring-Dehnsteifigkeit  beschrieben:
ks
R4
ER 3
C
 
ET  I ET  I

ER

ET  A
mit E… Elastizitätsmodul des Gebirges [kN/m²]
R… Radius des Tunnelquerschnitts [m]
ET … Elastizitätsmodul des Ausbaus [kN/m²]
I… Trägheitsmoment des Ausbaus [m4/m]
pro Laufmeter Tunnel (!)
A... Querschnittsfläche des Ausbaues [m²/m]
ks … Bettungsmodul des Gebirges [kN/m³]
C… Beiwert des Bettungsmoduls: 0,5  C  3,0

Der Einfluss der Steifigkeit des Ringträgers geht aus Abbildung 4-16 hervor. Je steifer das Rohr ist,
desto geringer ist der momentenmindernde Einfluss der Rückstellkräfte. Das maximale Moment bei
1
starrster Einbettung m   0 ergibt sich zu ~ 0,032pR2 (mit p = Gleichlast, welche die

Tunnelfirste belastet, R = Tunnelradius). Beim völlig frei stehenden (bettungsfreien) Ring (m = 1)
beträgt das maximale Moment ~ 0,25pR2, also nahezu das Achtfache.
ET  I
Während der Wert von m  von 0 bis 1 anwächst, nimmt das Moment erheblich zu, für m > 1
k
R4  s
C
wird die Zunahme jedoch immer geringer. Selbst ein niedriger Bettungsmodul ks setzt also das
Moment bereits erheblich herab und nach Széchy „lohnt es somit nicht“ bei einer großen
Ringsteifigkeit, welche mit der vierten Potenz des Tunneldurchmessers zunimmt, die Auswirkung
einer seitlichen Abstützung in Rechnung zu stellen.

Abbildung 4-16: Abhängigkeit der Scheitelmomente von der Ringsteifigkeit, anhand zweier Rechenergebnisse
nach Bugajewa und nach Davidow [Müller, 1978 nach Széchy].

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Das Scheitelmoment nimmt mit wachsendem Bettungsmodul ab, jedoch ist die Abminderung ab
kS > 10 kg/cm³ nur mehr gering (vgl. Abbildung 4-17). Im Vergleich zum Zustand ohne seitliche
Abstützung setzen selbst kleine Bettungsmoduln kS < 10 kg/cm³ schon die im Tragwerk auftretenden
Beanspruchungen erheblich herab.

ks
Abbildung 4-17: Abhängigkeit der Scheitelmomente vom Bettungsmodul ks [Müller, 1978 nach Széchy].

4.2.3. Tunnel als Hohlraum im Kontinuum


4.2.3.1. Die Gelochte Scheibe
Das mechanische Modell ersetzt das Gebirge und den Tunnel zweidimensional durch eine unendlich
ausgedehnte, elastische bzw. elastisch-idealplastische Scheibe mit Loch.

Abbildung 4-18: Rechenmodelle im Tunnelbau auf Basis der gelochten Scheibe [Katzenbach/Breth, 1983].

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Die in Kapitel 3.2.1 angeführten Formeln in Polarkoordinaten gem. Abbildung 3-2 sowie die
Vereinfachungen für die charakteristischen Seitendruckbeiwerte werden für die Dimensionierung der
Tunnelauskleidung bzw. für die Standsicherheitsbetrachtungen herangezogen.

r 
pv
2
   
 1   2  1  K 0   1  4  2  3  4  1  K 0   cos 2  
t 
pv
2
   
 1   2  1  K 0   1  3  4  1  K 0   cos 2  
 
   v  1  2  2  3  4  1  K 0   sin 2 
p
2
Mit den Ergebnissen dieser Modellvorstellung lassen sich folgende Auswirkungen des sekundären
Spannungszustandes für einen Kreis- bzw. Ellipsenquerschnitt erklären:
 Zusätzliche Belastungen der Ulmen und der Übergang vom dreiachsigen in den zwei- oder
einachsigen Zustand.
 Auftreten von Zugzonen im First bei geringem Seitendruckbeiwert (K0 < 1/3) und Entstehen von
Auflockerungszonen bei fehlender Zugfestigkeit des Gebirges (Lockergestein).

Abbildung 4-19: Verlauf der Radial- und Tangentialspannungen der gelochten elastischen Scheibe mit
Seitendruckbeiwert K0 = 1,0 (links) und K0 = 0,25 (rechts) [Maidl, 1988].

Das Modell der elastischen Scheibe entspricht einer Tunnellage in großer Tiefe, für die der
Überlagerungsdruck als äußere Belastung angesetzt wird. Die Analogien beziehen sich auf den
Hohlraum ohne Sicherung und auf den lochrandverstärkten Hohlraum.
Theorie der plastischen Zonen
Die rechnerische tangentiale Spannung t am Kreislochrand kann je nach Seitendruckbeiwert K0
zwischen 2pv  t  3pv (Überlagerungsdruck pv = hü) betragen. Wenn t die einachsige
Gebirgsdruckfestigkeit gd übersteigt, entstehen plastische bzw. entfestigte Zonen. Diese plastischen
Zonen werden durch eine Lochrandverstärkung, die einen Tunnelausbau mit Sicherungsmitteln
darstellt, abgemindert. Dabei wird durch den Ausbau ein Ausbauwiderstand pA aktiviert, der die
Verformung zur Lochmitte behindert und einen Gleichgewichtszustand bewirkt.
Durch die Erhöhung des Ausbauwiderstands mittels z.B. einer Spritzbetonsicherung oder einer
Systemankerung entfernt sich der Mohr´sche Spannungskreis von der Bruchgeraden und die (globale)
Sicherheit  wird größer.

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


pA 
pA,G

Abbildung 4-20: Darstellung des Ausbauwiderstands pA am Mohr´schen Spannungskreis.

4.2.3.2. Dickwandiges Rohr


Häufig wird beim Tunnelvortrieb die Scherfestigkeit im Bereich des Ausbruchsrandes überschritten
und es treten dort Plastifizierungen auf. Um dies zu berücksichtigen, wird um das Loch im Kontinuum
ein Kreisring eingeführt, in dem das Gebirge plastifizieren kann. Der im Loch auf die Wandung
(plastische Zone) wirkende Innendruck entspricht allgemein dem Ausbauwiderstand für plastische
Verhältnisse. Er wirkt den Verformungen entgegen und sorgt so für einen Gleichgewichtszustand. Da
sich mit zunehmendem Abstand vom Loch die Spannungen dem Primärspannungszustand annähern,
kann der Grenzradius ra bestimmt werden, bei dem der plastische Zustand des Gebirges in einen
elastischen Zustand übergeht.
Beim Modell eines dickwandigen Rohres werden die Spannungsformeln entsprechend Kapitel 3.2.2,
für den radialsymmetrischen sekundären Spannungszustand (K0 = 1) herangezogen.

Rechenbeispiel:
Vergleich der Elastizitätstheorie des dickwandigen Rohres und der Kesselformel als
Bemessungsgrundlage für Tunnel- und Stollenauskleidung.
ri … innerer Rohrradius ri = 3,0 m
ra … äußerer Rohrradius ra = 3,6 m
d… Rohrdicke d = 0,6 m
pi … Innendruck (~ Ausbauwiderstand)
pa … Druck auf die äußere Rohrmantelfläche
(~ Gebirgsdruck)

Abbildung 4-21: Maße und Bezeichnungen der Tunnelauskleidung, sowie herrschende Druckverhältnisse.

a) Spannungsverlauf bei Außendruck ohne Innendruck (pi = 0)


Ermittlung der Spannungen nach der Theorie des dickwandigen Rohres:
ra ra
mit  und a ist
r ri

a ²  ² ²  1 a ²  ² ²  1
t  pa   pi  ( r  p a   pi  )
a² 1 a² 1 a² 1 a² 1

= 0, wenn pi = 0 kN/m²

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Untersuchung der Spannungen für: r = ri


r = ri + 0,1 m
r = ri + 0,2 m
r = ri + 0,3 m
r = ri + 0,4 m
r = ri + 0,5 m
r = ri + 0,6 m = ri + d = ra

ra 3,6 2a ²
r  ri a   1,2  ti  p a   6,54  p a
ri 3 a² 1
ra 3,6 a²  2
r  ri  0,1    1,16 t  pa   6,337  p a
ri  0,1 3,1 a² 1
3,6
r  ri  0,2    1,125  t  6,15  p a
3,2
3,6
r  ri  0,3    1,09  t  5,977  p a
3,3
3,6
r  ri  0,4    1,059  t  5,82  p a
3,4
3,6
r  ri  0,5    1,028  t  5,678  p a
3,5
a² 1
r  ri  0,6  ra   1  ta  p a   5,545  p a
a² 1

Abbildung 4-22: Spannungsverlauf errechnet nach der Theorie des dickwandigen Rohres für Außendruck pa.

D 2ra  p a 3,6  p a
t     6  pa
d 2d 0,6

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Abbildung 4-23: Mittelwert der Spannungsfläche errechnet nach der Theorie des dickwandigen Rohres.

Ermittlung der Spannung nach der Kesselformel:


pa  r
t 
d
Annahme: r  ra
3,6
t  pa   6  pa
0,6

Abbildung 4-24: Spannungsverlauf errechnet nach der Kesselformel für Außendruck pa.

Der Wert aus der Kesselformel und der Mittelwert nach der Theorie des dickwandigen Rohres sind
gleich. Demnach eignet sich die Kesselformel durchaus beispielsweise auch zur raschen Abschätzung
von Bauzuständen etc.

b) Spannungsverlauf bei Innendruck ohne Druck auf die äußere Rohrmantelfläche (pa = 0)
Ermittlung der Spannungen nach der Theorie des dickwandigen Rohres:
²  1
 t  p i 
a² 1

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r  ri   ti  5,545  p i
r  ri  0,1   t  5,34  p i
r  ri  0,2   t  5,15  p i
r  ri  0,3   t  4,977  p i
r  ri  0,4   t  4,82  p i
r  ri  0,5   t  4,67  p i
r  ri  0,6  ra   t  4,545  p i

Abbildung 4-25: Spannungsverlauf errechnet nach der Theorie des dickwandigen Rohres für Innendruck pi.

Z r p 3  pi
t    i i  pi    5  p i
d d 0,6

Abbildung 4-26: Mittelwert der Spannungsfläche errechnet nach der Theorie des dickwandigen Rohres.

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Ermittlung der Spannung nach der Kesselformel:


 p i  ri
t 
d
Annahme: r  ri
3,0
 t  p i   5  p i
0,6

Abbildung 4-27: Spannungsverlauf errechnet nach der Kesselformel für Innendruck pi.

Ergebnis:
Wird bei der Kesselformel die Belastung entsprechend den äußeren Lasten pa und inneren Lasten pi
(z.B. Innendruck bei Druckstollen) berücksichtigt, d.h.
p a  ra
bei Außendruck ist  ta  und
d
 p i  ri
bei Innendruck ist  ti  ,
d
so ergibt diese Formel Werte für die Außenrandspannung ta und die Innenrandspannung ti, welche
den Mittelwerten der Spannungsfläche nach der Theorie des dickwandigen Rohres entsprechen. Die
Spannungsfläche aus der Kesselformel und dem dickwandigem Rohr ist gleich groß (siehe
Darstellungen in Abbildung 4-22, Abbildung 4-24, Abbildung 4-25, Abbildung 4-27).

4.2.3.3. Schermodell nach Kastner-Rabcewicz


L. Rabcewicz beschrieb als erster das Scherbruchversagen von Gebirgshohlräumen mit hoher
Überlagerung. Er unterteilte die Spannungsumlagerung bzw. den Versagensmechanismus beim
Tunnelausbruch in drei Stufen. Zunächst bilden sich keilförmige Bruchkörper, welche sich normal auf
die Hauptdruckspannung in Richtung Hohlraum bewegen (Abbildung 4-28, I), was auf Grund der
Überschreitung der Mohr´schen Scherfestigkeit in den Gleitfugen möglich ist. Im nächsten Schritt
(Abbildung 4-28, II) verursacht diese Bewegung ein Anwachsen der Spannungen in den Ulmen und
eine Verschiebung der Firste und Sohle in Richtung Hohlraum. Das ständige Anwachsen der
Verschiebungsvektoren in Firste und Sohle führt schließlich zum Ausknicken des Gebirges in diesen
Bereichen (Abbildung 4-28, III).

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 4-28: Sequenzen des Versagensmechanismus eines unter richtungsbetontem Primärdruck stehenden
kreisrunden Hohlraums (I: Scherkeile, II: Richtung der vorherrschenden Spannungen, III: Einknicken von
Firste und Sohle) [Rabcewicz, 1964].

Abbildung 4-28: Sequenzen des Versagensmechanismus eines unter richtungsbetontem Primärdruck stehenden
kreisrunden Hohlraums (I: Scherkeile, II: Richtung der vorherrschenden Spannungen, III: Einknicken von
Firste und Sohle) [Rabcewicz, 1964].

Die Feststellung, dass durch die Ausbildung eines Scherkörpers vergleichsweise stabilere Verhältnisse
entstehen, konnte beispielsweise durch Beobachtungen am Arlberg Straßentunnel bestätigt werden.
Der dort aufgetretene Scherbruch wurde mit massiven Holzstämmen abgefangen (Abbildung 4-29).
Beim Entfernen dieser temporären Sicherung im Zuge der Sanierung traten nur vergleichsweise
geringe zusätzliche Verformungen und keine Schwierigkeiten im Abfangen der ungesicherten
Hohlraumleibung auf [Poisel/Preh, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 4-29: Scherbruch im Arlberg Straßentunnel [Poisel/Preh nach John, 1977].

Als Kirschkernversagen (oder Kirschkerneffekt) wird jenes Schadensbild bezeichnet, bei dem
Versagen im Bereich der Ulmen auftritt und zufolge hoher Vertikalspannungen keilförmige, durch
Scherbrüche begrenzte Bereiche in den Hohlraum gedrückt werden. Dabei werden zerdrückte
Ulmenbereiche („Zwickel“) aufgrund der hohen vertikalen In-situ-Spannungen in den Hohlraum
gedrückt bzw. gequetscht. „Dieses Verhalten ist mit dem Auspressen eines Kirschkerns beim starken
Drücken einer Kirsche vergleichbar“ (überliefert von Leopold Müller).

Abbildung 4-30: Kirschkernversagen – Bildung von Scherbruchkörpern bei anisotropen In-situ-Spannungen


(Vertikalspannungen p0,1 , Horizontalspannungen p0,3) [Poisel/Preh, 2009].

Bei ausreichender Dimensionierung des Tunnelausbaus können die auftretenden Scherspannungen


aufgenommen und eine vollständige Beruhigung des Gebirges kann erreicht werden. Ein Schubbruch
kann, bei Vorhandensein großer Druckbeanspruchungen, nur unter einem flachen Winkel gegenüber
der Normaldruckrichtung erfolgen.
Bei Annahme dieses Bruches unter 30° gegenüber der Radialrichtung ergibt sich nach K. Sattler die
Bruchschubkraft S pro Längeneinheit [kN/m] zu:
S   Br  d

mit  Br … Scherbruchspannung
d… Auskleidungsstärke (Spritzbetondicke) [m]

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die zugehörige Horizontalkraft H [kN/m] des seitlich auszuquetschenden Gebirgskerns ist H  2  S .


Die aufnehmbare Schubkraft erhöht sich beispielsweise durch Bewehrung der Spritzbetonschale oder
bei Stahlgitterbögen nach Sattler um H  2  A St   St (mit Ast … Gesamtstahlquerschnittsfläche).
Der Seitendruck ps,Br [kN/m²], welcher zum Versagen des Ausbaus führt, berechnet sich zu:
4   Br  d
p s ,Br 
b
mit b … Höhe der Scherzone im Tunnelprofil [m]
Die Dimensionierung des Ausbaus kann dann mittels folgender Beziehung erfolgen:
H
d
2   Br
Diese Beziehungen lassen sich darüber hinaus erweitern, indem z.B. auch eine Verankerung der
Spritzbetonschale berücksichtigt wird.
Der Gesamtausbauwiderstand der Außenschale ergibt sich durch Aufsummieren der einzelnen
Ausbauwiderstände:
p a  p aL  p aA  p aR

mit p aL ... Ausbauwiderstand Spritzbeton + Stahleinbauten (Index „L“ … Lining)

p aA ... Ausbauwiderstand der Anker

p aR ... Ausbauwiderstand des Gebirgstragringes (Index „R“ … Rock)

p aL  p SA  p St
A

d  S
p Sa 
b
sin  S 
2
A St  St
a 
p St
b
sin  S 
2
mit p Sa ... Ausbauwiderstand Spritzbeton [kN/m²]

p St
a ... Ausbauwiderstand Stahleinbauten [kN/m²]

 S ... Scherwinkel durch den Spritzbeton [°]


A St ... Stahlquerschnittsfläche pro lfm Tunnel [cm²/m]
S  E St
St 
ES
Est, Es … E-Modul für Stahl bzw. Spritzbeton [kN/m²]
d… Auskleidungsstärke [m]

p aA  p aA1  p aA 2
A St   St
p aA1 
p

ef

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

A St   St
p  a  cos 
p aA 2 
b
ef 
2
mit p aA1 ... Ausbauwiderstand Anker in radialer Richtung

p aA 2 ... Ausbauwiderstand Anker in Scherrichtung


A St ... Stahlquerschnittsfläche eines Ankers [cm²/m]

 St
p ... Spannung an der Streckgrenze [kN/m²]

e, f … Ankerteilung im System [m]


a… Bogenlänge des betrachteten Scherabschnittes [m]

s   R  cos  s   Rn  sin 
p aR  
b d
2 2
mit s… Länge der Scherfläche innerhalb des Gebirgstragrings [m]
 R ... Scherfestigkeit des Gebirges [kN/m²]
 ... Neigung des Mittelpunktes (Achse Gebirgstragring – Scherfläche) des betrachteten
Scherkeilabschnittes zur Horizontalen [°]
 Rn ... Normalspannung an der Schergrenze [kN/m²]
b… Höhe der Scherzone in Tunnelachse [m]
d… Auskleidungsstärke [m]

für K 0  1

r  a  e k 

90    

Abbildung 4-31: „Ausquetschen“ von Scherkeilen aus den Tunnelulmen in Verbindung mit Scherbruch in der
Tunnelauskleidung [Rabcewicz, 1973 – adaptiert].
Zeichenerklärung:  … Ankerneigungswinkel [°], w … Stärke des Gebirgstragrings

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Gleichung für den Verlauf der Gleitflächen bei radialsymmetrischem Primärspannungszustand
(K0 = 1, logarithmische Spirale) wurde in Kapitel 3.2.2 abgeleitet:
1 1  sin 
r  a  e k mit k 
tan  cos 
mit … Reibungswinkel [°]
a… Parameter ohne Einfluss auf die Form der Gleitfläche

Nach Poisel/Preh (2009) haben sowohl kontinuumsmechanische als auch diskontinuumsmechanische


numerische Rechenmodelle gezeigt, dass eine tiefreichende Überbeanspruchungen des Gebirges um
einen Hohlraum unter einem anisotropen Primärspannungszustand in Form von Scherbruchkörpern
(Kirschkernversagen) erst bei Tangentialspannungen am Hohlraumrand von einem Mehrfachen der
Druckfestigkeit auftreten. Gleichzeitige haben die Rechenmodelle keine Hinweise erbracht, dass sich
unter anisotropen In-situ-Spannungsverhältnissen in irgendeinem Stadium im Gebirge ein Gewölbe
oder ein Gebirgstragring um den Hohlraum bilden.
Nach Ausbildung von Scherbruchkörpern werden die Radialverschiebungsgeschwindigkeiten deutlich
geringer. Dies deutet gemäß Poisel/Preh (2009) darauf hin, dass ein höheres Sicherheitsniveau erreicht
wird. Dies legt wiederum die Vermutung nahe, dass die Akzeptanz großer Verschiebungen – und
damit eines großen Überprofils – die Belastung eines Ausbaus mit hoher Verformbarkeit deutlich
reduziert, was zu einer neuen Ausbauphilosophie bei tiefliegenden Tunneln führen könnte.

4.2.3.4. Kennlinienverfahren (Fenner-Pacher-Kurve)


Das Kennlinienverfahren geht auf Fenner und Pacher zurück und wurde u.a. von Lombardi
erweitert. Es basiert auf der Theorie einer kreisgelochten elastischen Scheibe mit
rotationssymmetrischer Belastung (K0 = 1), sowie Modell- und In-situ-Messungen.
Durch die Entspannung infolge des Tunnelvortriebs stellt sich entlang der Tunnelkontur eine zum
Hohlraum hin gerichtete Verformung des Ausbruchrandes ein. Die Gebirgskennlinie ergibt sich aus
der Verformung des Ausbruchrandes in Abhängigkeit vom Gebirgsdruck ohne Ausbauwiderstand.
Stellt sich langfristig ohne Ausbauwiderstand ein Gleichgewicht im Gebirge ein (Gebirgsdruck baut
sich ab), spricht man von einem standfesten Gebirge, ansonsten von einem druckhaften Gebirge.
Die Stützmittel werden durch die Ausbaukennlinie (= Arbeitslinie der Stützmittel) in das
Kennlinienverfahren implementiert. Zur Erreichung eines Gleichgewichts müssen die durch die
Stützmittel erzeugten rückhaltenden Kräfte zumindest gleich groß wie die durch das Gebirge
hervorgerufenen treibenden Kräfte sein.
Die Gebirgskennlinie und die Ausbaukennlinie werden getrennt in das Diagramm eingezeichnet, in
ihrem Schnittpunkt besteht Gleichgewicht zwischen den belastenden Kräften des Gebirges und den
stützenden Kräften des Ausbaus. Gibt es keinen Schnittpunkt der beiden Linien, muss das gewählte
Stützmittelsystem als unzureichend erachtet werden.

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u0 … Vorverformungen (zufolge
Entspannung des Gebirges vor der Ortsbrust
und Verformungen bis zum vollständigen
Einbau des Ausbaus)

Abbildung 4-32: Gebirgsdruck und Ausbauwiderstand nach Pacher [Striegler, 1993].

Bei der rechnerischen Ermittlung der Gebirgskennlinie muss unterschieden werden, ob sich das
Gebirge in Abhängigkeit von der Verformung im elastischen oder im plastischen Bereich befindet.
Der elastische Bereich der Gebirgskennlinie wird beschrieben durch:
p p E
u r ra  ra   (1  A ) Schubmodul: G 
2G p 2  (1  )
mit ra … Ausbruchsradius
E… Elastizitätsmodul
pA … Ausbauwiderstand
… Querdehnzahl
Wenn mit steigender Verformung die Grenztragfähigkeit überschritten wird, treten Plastifizierungen
auf. Im plastischen Bereich können die Verformungen u am Ausbruchsrand r = ra folgendermaßen
ermittelt werden:
2 b
p  2 p  ( n k 1)(1b )
u r ra  ra  sin     
2G  n k  1 p A 

mit … Reibungswinkel
b… Stoffkonstante, welche die Dilatanz (Auflockerung) des Materials beschreibt.

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Volumendehnung    b   r Der Winkel   arctan b kann als Dilatanzwinkel bezeichnet werden.

Die Ausbaukennlinie kann als Beziehung zwischen der Verschiebung u und dem Ausbauwiderstand
pA verstanden werden. Der Umfang des (Spritzbeton-)Ausbaus verkürzt sich um   2  ra , d.h. der
Radius verkürzt sich um u SpC    ra . Daraus folgt:

a  d E  d p  ra2
p A ,max   2  u SpC und u SpC 
ra ra Ed
E… Elastizitätsmodul Spritzbeton
d… Dicke der Spritzbetonschale
a … Druckfestigkeit des Spritzbetons

ra

p  ra2 
a  ,  a
d E

Abbildung 4-33: Beanspruchung des Ausbaus [Kolymbas, 1998].

Da der E-Modul der Spritzbetonschale mit der Zeit zunimmt, ist hier ein mittlerer Wert abzuschätzen,
der die relevante Standzeit berücksichtigt. Wenn die Grenztragfähigkeit des Spritzbetons erreicht ist,
kommt es zur Plastifizierung der Tunnelschale. Es ist keine weitere Erhöhung des Ausbauwiderstands
pa,max möglich.
Der Grenzradius zwischen elastischem und plastischem Bereich (plastischer Radius re) kann berechnet
werden, indem für den Ausbauwiderstand pa die Spannung im Gleichgewicht eingesetzt wird. Somit
lässt sich aus den Kontinuumsberechnungen der gelochten Scheibe mit plastifiziertem Ring,
zusammen mit dem Kennlinienverfahren unter vereinfachten Berechnungsannahmen, auf das
Verhalten von Gebirge und Ausbau schließen.

r0 … plastischer Radius
ra … Ausbruchsradius
.

r0

.uSpC p .u a
. u r  ra  ra  r=r
2G
Abbildung 4-34: Gleichgewicht zwischen Gebirgskennlinie und Ausbaukennlinie [Vogt, 2009].

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Eine wesentliche Vereinfachung beim Kennlinienverfahren ist, dass die Gebirgskennlinie als
zeitunabhängige Größe eingeht. Tatsächlich ist diese jedoch sowohl vom Bauzustand, als auch von der
Zeit abhängig. Weiters kann nur durch eine grobe Abschätzung berücksichtigt werden, dass die
Ausbaukennlinie im Wesentlichen von der Festigkeitsentwicklung des Spritzbetons (bzw. der
Sicherung im Allgemeinen) abhängt. Je schneller der Spritzbeton ansteift, desto geringer sind die
Verformungen während des Abbindens. Daneben hängen die Verformungen der Tunnelleibung und
der damit verbundene, von der Sicherung aufzunehmende Ausbauwiderstand ebenfalls maßgeblich
von der Einbauzeit der Sicherung ab.
4.2.4. Räumliche Berechnungsmodelle
Wie in Kapitel 4.2.3 wird auch bei den räumlichen Berechnungsmodellen von einem ausgehöhlten
Vollraum ausgegangen. Um beliebige Tunnelquerschnitte im Kontinuum berechnen zu können, wird
derzeit überwiegend die Methode der Finiten Elemente (FEM) eingesetzt. Weniger häufig werden die
Boundary-Element-Methode (BEM) und die Distinct-Element-Methode (DEM) eingesetzt.
Bei der FE-Berechnung wird das betrachtete System in „finite“ (begrenzte) Elemente, die nur an den
Knoten zusammen gehalten werden, gegliedert. Durch die Einhaltung der Gleichgewichtsbedingungen
an den Knoten wird das Zusammenwirken der einzelnen Elemente im globalen System erreicht. Die
Spannungs- und Verzerrungsbeziehungen belasteter elastischer Kontinua sind zu ermitteln. Dabei
können vom zweidimensionalen, d.h. ebenen, bis zum vollständigen räumlichen Spannungs- und
Verformungszustand zahlreiche praktische Fälle auftreten.

Abbildung 4-35: Prinzip für den Aufbau eines räumlichen Elementnetzes [Wittke, 1984].

Die Anzahl der auftretenden Verbindungspunkte zwischen den finiten Elementen ist beliebig groß.
Zur Diskretisierung sind folgende Näherungen erforderlich:
 Zerlegung des Kontinuums durch gedachte Linien oder Flächen in eine Anzahl von finiten
Elementen ( FE-Netz). Die Feinheit des FE-Netzes hat großen Einfluss auf die Genauigkeit der
Berechnung.
 Knotenpunkte stellen die Verbindung der Elemente dar, deren Verschiebungen werden als
grundlegende Unbekannte aufgefasst.
 Der Verschiebungszustand innerhalb eines jeden Elements wird mit Hilfe eines Systems gewählter
Funktionen in Abhängigkeit von den Knotenverschiebungen eindeutig festgelegt.
 Aus den Verzerrungen kann unter Anwendung von Anfangsverzerrungen mit dem Stoffgesetz des
Materials die Spannungsverteilung im Element und an den Rändern ermittelt werden.
Nachdem die Steifigkeitsmatrix für alle Elemente vorliegt, kann durch Zusammenfügen der Elemente
zum globalen System ein lineares Gleichungssystem aufgestellt werden. Die Auflösung des
Gleichungssystems liefert die Knotenverschiebungen.
Beim Auffahren eines Tunnels tritt eine Spannungsumlagerung ein. Die Lasten aus dem überlagernden
Gebirge müssen nach dem Aufbruch um den Hohlraum umgeleitet werden. Daraus ergeben sich für
die FE-Methode folgende Besonderheiten:

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1. Die Größe und Form des Berechnungsausschnittes hängen vom Gebirgsdruck, von der
Anisotropie des Gebirges, von der Ausbildung der plastischen Zonen und von den
Inhomogenitäten ab. In der Regel sollte mindestens ein Bereich in der Größenordnung des
Tunneldurchmessers um den gesamten Umfang des Tunnels herum diskretisiert werden.
2. Die Randbedingungen sind so zu wählen, dass der im ungestörten Zustand des Gebirges
herrschende Primärspannungszustand zutreffend simuliert wird.
3. Für die Erfassung von Bauzuständen ist ein besonderer Nachweis erforderlich, der vielfach als
zweidimensionale oder pseudoräumliche Berechnung ausgeführt wird.
4. Das Elementenetz wird sinnvollerweise dort feinmaschiger gewählt, wo große
Spannungsänderungen zu erwarten sind (bspw. rund um die Hohlraumkontur).
Stoffmodelle (auch: Stoffgesetze) sind mathematische Formulierungen, die das Spannungs-
Verformungsverhalten der Materialien mehr oder weniger idealisiert darstellen. In Abhängigkeit von
den zur Verfügung stehenden Rechenprogrammen kann das Verhalten des Gebirges wie folgt
idealisiert werden:
Lockergestein
 Der Boden besitzt ein ausgeprägt nicht-lineares Spannungs-Verformungsverhalten, das heißt
elastische und plastische Formänderungen ohne definierbaren Bereich.
 Dilatanz- oder Kontraktanzverhalten unter Scherbeanspruchung in Abhängigkeit von der Belastung
 Anisotropie des Ausgangszustandes
 Verformungsentfestigung bei Bruchvorgängen
Festgestein
 Bei Fels muss von der Annahme einer elastisch-viskoplastischen Spannungs-Dehnungsbeziehung
ausgegangen werden.
 Durch Korn- und Trennflächengefüge bedingte Anisotropie der Verformbarkeit und Festigkeit ist
zu berücksichtigen. Die Festigkeit von Trennflächen kann im Allgemeinen durch das Mohr-
Coulomb´sche Bruchkriterium beschrieben werden.
 Bei richtungslosem Korngefüge des Gesteins: elastische Dehnungen sind bei ein- oder
mehrachsiger Belastung unabhängig von der Belastungsrichtung. Elastizitätsmodul und
Querdehnzahl reichen für das linear-elastische Spannungs-Verformungsverhalten aus.
 Bei flächigem Gefüge muss transversal isotropes Verhalten angenommen werden, sodass fünf
voneinander unabhängige Elastizitätskonstanten verwendet werden.

linear-elastisch nichtlinear-elastisch elastisch-plastisch elastisch-idealplastisch


Abbildung 4-36: Einfache Stoffmodelle für das Materialverhalten [Maidl, 1988].

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Abbildung 4-37: Einfluss des Stoffgesetzes auf die berechnete Geländesetzung, Vergleich von Messung mit
Berechnungen für den Frankfurter Ton [Katzenbach/Breth, 1983].

Die Problematik der richtigen Erfassung der Gebirgs- bzw. Bodenparameter von der Probenentnahme
oder der In-situ-Messung bis zum Übertragen der Werte in ein Berechnungsmodell eines ebenen oder
räumlichen Trag- und Verformungsverhaltens wird durch die Einflüsse des Bauvorganges erheblich
vergrößert.
Katzenbach empfiehlt daher vor der Wertung von FE-Berechnungen und der Übernahme der
Ergebnisse die Berechnungen wie folgt zu hinterfragen:
1. Welchen Einfluss hat das Elementnetz auf die Rechenergebnisse?  Netzdichte,
Verschiebungsansatz, Anzahl der Stützstellen etc.
2. Wie wird der Primärspannungszustand angenommen?
3. Mit welchem Stoffgesetz wird gerechnet und wie empfindlich reagieren die Rechenergebnisse auf
eine Streuung der Bodenkennwerte?
4. Wie wird der Ausbruch simuliert?
5. Zu welchem Zeitpunkt werden die Sicherungselemente in der Berechnung aktiviert?
6. Was ist das Ziel der Berechnung?  Setzungsprognose, Bemessung des Ausbaus, Abschätzung
der Gebirgsbeanspruchung, Abschätzung der Tunnelstandsicherheit.
4.2.4.1. Quasi-räumliche Berechnungsverfahren
Räumliche Berechnungsmodelle sind der derzeitige Stand der Technik für Berechnungen von
komplexen Tunnelkonstruktionen, wie z.B. räumliche Querungen und Verschneidungen von Tunneln,
Durchbrüche, etc. Allerdings erfordert die räumliche Modellierung einen sehr hohen Ingenieur- und
Rechenzeitaufwand und ist mit sehr großen Datenmengen verbunden. Deshalb werden insbesondere
bei der Berechnung von Streckenvortrieben quasi-räumliche (zweidimensionale) Berechnungen
durchgeführt.
Bei der quasi-räumlichen Berechnung von Tunnelquerschnitten wird an einer ebenen Scheibe der
Bauablauf vor, während und nach dem Einbringen der Sicherung simuliert. Neben dem primären
Spannungszustand werden auch die Festigkeits- und Verformungseigenschaften des Gebirges und der
Auskleidung sowie die Art des Vortriebs berücksichtigt.

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Abbildung 4-38: Darstellung der Berechnungsschritte beim -Verfahren [Vogt, 2009].

Beim -Verfahren wird der räumliche Einfluss des Vortriebs durch Veränderung des
Steifigkeitsverhaltens des Bodens abgebildet. Im ersten Berechnungsschritt wird der
Primärspannungszustand im Boden/ Gebirge berechnet und daraus die entsprechenden Kontaktkräfte
an der Tunnelkontur ermittelt. Im zweiten Schritt wird der Tunnel nahe der Ortsbrust betrachtet. Unter
der Berücksichtigung, dass sich die Ortsbrust zum Tunnel hin verformen kann, werden die
Kontaktkräfte um den Faktor  reduziert. Gleichzeitig wird im späteren Ausbruchsquerschnitt nur
noch der -fache Elastizitätsmodul des Primärspannungszustandes angesetzt. Da zu diesem Zeitpunkt
noch keine Sicherung eingebracht ist, verformt sich der entfestigte Bereich. Durch die
Spannungsumlagerung wird der umliegende Boden durch Ringtragwirkung zur Stützung mit
herangezogen. Im dritten Schritt wird gleichzeitig mit dem Entfernen des entfestigten Bodens aus dem
Hohlraum eine Randverstärkung als Sicherung (Tunnelschale) eingeführt. Die Abtragung der Lasten
erfolgt dann durch das Zusammenwirken des ausgebildeten Gebirgstragrings und der eingeführten
Sicherung.
Die -Werte sind abhängig von den Untergrundverhältnissen und der Art des Vortriebs zu wählen und
im Zuge der Baugrunduntersuchungen mit Planer und Gutachter festzulegen. Häufig werden auf der
sicheren Seite liegend für die Berechnung der Tunnelschale und für die Ermittlung von
Oberflächensetzungen jeweils unterschiedliche Werte angesetzt. Geringe -Werte führen zu größeren

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Verformungen, jedoch zu geringeren Schnittkräften, da durch die Verformungen der umgebende


Boden vor dem Einbau der Tunnelschale stärker zum Mittragen herangezogen wird. Das -Verfahren
wird insbesondere für die Berechnung von NATM-Vortrieben verwendet.

Beim Volume-Loss-Verfahren wird eine quasi-räumliche Berechnung durch Verringerung des


Bodenvolumens simuliert. Im ersten Berechnungsschritt wird analog zum Steifigkeitsverfahren der
Primärspannungszustand simuliert. Im zweiten Berechnungsschritt wird innerhalb des vorgesehenen
Tunnelquerschnitts das Bodenvolumen verkleinert. Damit reduziert sich die stützende Wirkung des
Bodens im Tunnelquerschnitt und das umliegende Gebirge wird zum Mittragen herangezogen. Im
letzten Berechnungsschritt wird die Tunnelschale eingeführt und das in der zweiten Phase im
Querschnitt verbliebene Bodenvolumen vollständig entfernt.
Die Berechnungsergebnisse hängen im Wesentlichen davon ab, um welches Maß das Bodenvolumen
in der zweiten Berechnungsphase reduziert wird. Es gelten die obigen Aussagen zur Ermittlung des -
Werts. Das Volume-Loss-Verfahren wird insbesondere für die Berechnung von Schildvortrieben
eingesetzt.

4.3. Standsicherheit der Ortsbrust


Im Lockergestein, sowie im nicht standfesten Festgestein wird es erforderlich sein, die rechnerische
Standsicherheit der Ortsbrust für den Bauzustand nachzuweisen. Erforderlichenfalls, etwa im
kohäsionslosen Lockergestein, müssen ortsbruststützende Maßnahmen dimensioniert werden (z.B.
Stützkern, Ortsbrustanker  siehe dazu Kapitel 5; Vortrieb mit einer druckhaltenden Schildmaschine
 siehe dazu Kapitel 6).
4.3.1. Belastungsansätze
Bei oberflächennahen Tunneln wird allgemein davon ausgegangen, dass die Belastung des
ortsbrustnahen Gleitkörpers durch das Eigengewicht des darüber befindlichen Bodenprismas erfolgt,
ohne dass zusätzliche Abminderungen durch Gewölbebildung berücksichtigt werden können
(vergleiche auch Kapitel 4.1). Der vorhandene Tunnelquerschnitt (in Abbildung 4-39 kreisrund
dargestellt) wird in ein flächengleiches Rechteck umgerechnet, welches die Stirnfläche des Gleitkeils
(Ortsbrust) darstellt.

Abbildung 4-39: Modellbildung für die Ermittlung der Ortsbrustbeanspruchung infolge Silodruck pz [adaptiert
nach Schad et al., 2003].  … Gleitflächenwinkel, S … Stützkraft, W … Wasserdruckkraft

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Bei tiefliegenden Tunneln (Überdeckungshöhe von mehr als dem 2- bis 3-fachen
Tunneldurchmesser) wirkt nicht das gesamte Bodenprisma auf den Gleitkörper, sondern es können
begünstigende Gewölbebildungen berücksichtigt werden. Man geht davon aus, dass sich ab einem
bestimmten Abstand oberhalb der Tunnelfirste ein Stützgewölbe im Gebirge ausbildet. Sämtliche
Lasten oberhalb dieses Stützgewölbes werden seitlich abgetragen, sodass die vertikalen Lasten
oberhalb des Gewölbes nicht mehr auf den Gleitkeil wirken. Allerdings müssen sämtliche vertikalen
Kräfte unterhalb des Gewölbes auf den Gleitkeil als Belastung angesetzt werden.
Zur Ermittlung der vertikalen Belastung auf den Gleitkörper kann wieder die Silotheorie nach
Terzaghi (ggf. Erweiterungen nach Houska etc.) verwendet werden (siehe Kapitel 4.1). Allerdings sind
die geometrischen Randbedingungen anzupassen. Bei der Ermittlung der Ortsbruststandsicherheit wird
die ideelle Silobreite 2B dem unmittelbar hinter der Ortsbrust stehenden Bruchkörper mit der Breite
des Ausbruchsdurchmessers DA (siehe Abbildung 4-39) gleichgesetzt: 2B = DA
Dementsprechend ist die vertikale Auflast auf den Gleitkeil pz:

   D A  2c  
h h
 2 K 0 tan  0  2 K tan  0
pz   1 e DA   qe 0 DA
[kN/m²]
2  K 0  tan   
 
mit c… Kohäsion
q… zusätzliche äußere Belastung an der Geländeoberfläche
h0 … Höhe der Überdeckung über der Tunnelfirste
K0 … Seitendruckbeiwert nach der Silotheorie [-]
1 
K 0  1  sin  bzw. K 0  
m 1 1 
DA … Ausbruchsdurchmesser
Die seitlich auf den Gleitkeil wirkenden Spannungen px können ebenfalls wie in Kapitel 4.1 erläutert
ermittelt werden:
p x  (   h 0  q    z )  tan 2   2c  tan 


mit   45  und z … von der Tunnelfirste aus definiert
2

4.3.2. Standsicherheitsnachweis
Der Standsicherheitsnachweis wird über den an der Ortsbrust anstehenden Gleitkörper auf einer
zumeist geraden oder ggf. auch einer gekrümmten Gleitfläche (entsprechend ÖNORM B 4434)
geführt. Dabei ist in der Regel durch eine Extremwertbetrachtung die ungünstigste Neigung der
Gleitfläche  zu ermitteln. Als brauchbarer Ausgangswert wird üblicherweise die Neigung der
Gleitfläche zur Horizontalen mit  = 45° + /2 angesetzt. (siehe dazu auch Vorlesung Grundbau und
Bodenmechanik – Thema Erddruck.) Die Belastung des Gleitkörpers durch den Boden bzw.
zusätzlicher Gebäude- oder Verkehrslasten erfolgt je nach der Tiefenlage des Tunnels in der zuvor
beschriebenen Weise. In besonderen Fällen empfiehlt es sich, die Standsicherheit über
dreidimensionale FE-Berechnungen nachzuweisen.

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Abbildung 4-40: Vergleich verschiedener Verfahren zur Ermittlung des Stützdruckes an der Ortsbrust pE [Brandl,
2006]. H … Überdeckung; D … Ausbruchsdurchmesser

Nachfolgend wird ein Gleitkörper mit gerader Gleitfläche betrachtet (siehe Abbildung 4-39). Der
Nachweis der Ortsbruststandsicherheit kann durch einen Vergleich der angreifenden und der
rückhaltenden Kräfte geführt werden.
Vz  p z  D 2A  tan(90  )
mit DA … Ausbruchsdurchmesser
Vz  (G  2R S )
Q
sin(90    )
mit G… Gewichtskraft des Gleitkeils
RS … Reibungskraft an den Flanken des
Gleitkeils:
D A  sin(90  )
RS  c   p x  tan 
2
Abbildung 4-41: Kräftegleichgewicht für die Ermittlung des Stützdrucks S [Schad et al., 2003].

Die erforderliche Stützkraft S an der Ortsbrust ergibt sich dann zu:


S  W  Q  cos(90    )
mit W… allfällige Wasserdruckkraft
Dabei kann mit einem globalen Sicherheitsbeiwert gerechnet werden, oder es können nach dem neuen
Teilsicherheitskonzept – unter Berücksichtigung von Teilsicherheitsbeiwerten – den Einwirkungen
die Widerstände gegenübergestellt werden.

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Da der Anteil der angesetzten Horizontalspannung auf den Gleitkeil die Standsicherheit der Ortsbrust
stark beeinflussen kann, sollten bei Ansatz derartiger einfacher Bruchkörperbetrachtungen immer
Parametervariationen durchgeführt werden. Der Einfluss kritischer Parameter auf das
Berechnungsergebnis kann dadurch besser abgeschätzt und somit das Ergebnis besser beurteilt
werden.
Die Stützkraft S ergibt sich auch aus Integration des Stütz-, oder Bruchdrucks pf über die Fläche der
Ortsbrust. Für kreisförmige Ausbruchsquerschnitte gilt:
  D 2A
S  pf
4
Ist in kohäsivem Boden mit  > 20° kein Grundwasserdruck anstehend, so ist der Bruchdruck nach
Vermeer/Ruse unabhängig von der Tiefenlage des Tunnels. Er hängt nur von den Scherparametern, der
Bodenwichte und dem Tunneldurchmesser ab und lässt sich angeben durch:
pf    DA  N D  c  N C
1
mit ND … Durchmesserbeiwert  ergibt sich empirisch zu: N D   0,05
9  tan 
1
NC … Kohäsionsbeiwert  N C 
tan 
Unter Beaufschlagung der Scherparameter mit einem Sicherheitsbeiwert  ergibt sich somit für
einfache Fälle (kein Grundwasser, dränierte Verhältnisse, keine Schichtung des Baugrunds, etc.):
   c
p f    D A    0,05  
 9  tan   tan 
Durch Umformulieren der Gleichung erhält man für die Standsicherheit der Ortsbrust:
9
  (c  p f  tan )  0,45  tan 
  DA
Ist der Stützdruck pf = 0 (z.B. atmosphärischer NATM-Vortrieb ohne Stützkern), so vereinfacht sich
die Gleichung nach Vermeer und Ruse entsprechend zu:
9c
  0,45  tan 
  DA

Einfluss des Grundwassers auf den Stützdruck an der Ortsbrust:


Liegen undrainierte Verhältnisse an der Ortsbrust vor, so muss bei der Ermittlung des Stützdrucks die
undrainierte Kohäsion cu angesetzt werden. Bei voller Wassersättigung kann der undrainierte
Reibungswinkel u ~ 0 angenommen werden.
Mair/Taylor geben für undrainierte Verhältnisse folgende empirische Formel für  < 20° an:
0, 42
1 c h  h0
p f    (h 0  D A )  N u mit N  5,86   0   6
2   DA  DA

mit DA … Ausbruchsdurchmesser
h0 … Höhe der Überdeckung über der Tunnelfirste

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4.4. Der Eurocode 1997-1 bei der Tunnelbemessung


Seit Mitte 2009 ist in Österreich die ÖNORM EN 1997-1 (Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und
Bemessung in der Geotechnik) anzuwenden (siehe dazu auch Vorlesung Grundbau und
Bodenmechanik). Hinsichtlich der Anwendung des EC7 bei der Bemessung von Tunnelbauwerken
gibt es (noch) keine nationalen Regelwerke bzw. Regelungen.
Die ÖNORM EN 1997-1 kann dahingehend interpretiert werden, dass sie für Bauwerke der
Geotechnischen Kategorie 3 – und das sind jedenfalls Tunnel in Lockergestein – nicht zwingend
anzuwenden ist. Weiters setzt der EC7 ein „hinreichend duktiles Materialverhalten“ voraus, was im
Festgestein nicht zwangsläufig gegeben ist (plötzliches sprödes Versagen ist im Festgestein möglich).
Andererseits entsprechen Tunnelschalen durchaus der Definition von Stützbauwerken nach ÖNORM
EN 1997-1 und der Nachweis der Ortsbruststabilität ist dem Geländebruchnachweis
(Gesamtstandsicherheit) ähnlich.
In Österreich ist die Berechnung und Bemessung von Tunnelbauwerken im Lockergestein unter
Bebauung in der RVS 9.01.42 geregelt, in der im Prinzip die Anwendung des Nachweisverfahrens
NV 2*, also die Erhöhung der errechneten Schnittgrößen mit Teilsicherheitsbeiwerten, vorgesehen ist.
Auf diese Weise kann zufolge Walter (2010) die Dimensionierung der Außen- und Innenschalen
gemäß EN 1992-1-1 (Eurocode 2: Entwurf, Berechnung und Bemessung von Stahlbetonbauten) und
eine Nachweisführung gegen inneres Versagen oder sehr große Verformung (STR) mit dem
Nachweisverfahren NV 2* gemäß ÖNORM B 1997-1-1 erfolgen.
Bei nichtlinearem Materialverhalten (z.B. Spritzbeton) ist das NV 2* jedoch nicht mehr unmittelbar
anwendbar. Daher wird im Tunnelbau voraussichtlich das Nachweisverfahren NV 3, welches die
ÖNORM B 1997-1-1 für alle numerischen Verfahren grundsätzlich zulässt, eine größere Rolle spielen.
Zum Nachweis der Ortsbruststabilität kann gemäß ÖNORM EN 1997-1 der
Gesamtstandsicherheitsnachweis (GEO) sowieso mit dem NV 3 geführt werden.
Als Vorteil des NV 3 vermerkt Walter (2010), dass durch die Abminderung der Scherparameter
mittels Teilsicherheitsfaktoren die Einwirkungen „automatisch“ in den Bereichen erhöht werden, wo
der Boden als Einwirkung wirkt und die Widerstände ebenso „automatisch“ reduziert werden, wo der
Boden als Widerstand wirkt. Die genaue Kenntnis im Vorhinein, wo der Boden Einwirkung und wo er
Widerstand ist, ist im Gegensatz zu den anderen Nachweisverfahren nicht erforderlich.
Andere Autoren weisen jedoch auch auf die Notwendigkeit hin, dass die Teilsicherheitsbeiwerte auf
der Widerstandsseite für den Tunnelbau grundsätzlich neu definiert werden müssen, um ein mit den
bisherigen Bemessungen vergleichbares Sicherheitsniveau beizubehalten.
Schließlich findet die in der ÖNORM EN 1997-1 verankerte Beobachtungsmethode (Überprüfung
und gegebenenfalls Anpassung des Entwurfs während der Bauausführung) im Tunnelbau – vor allem
bei tiefliegenden Tunneln im Festgestein – ein wesentliches Anwendungsgebiet.

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5. BERGMÄNNISCHER VORTRIEB (ZYKLISCHER VORTRIEB)


Bei der bergmännischen Bauweise (zyklischer Vortrieb) handelt es sich um eine geschlossene, von
der Oberfläche unabhängige Bauweise zur Schaffung eines unterirdischen Hohlraumes.
5.1. Vortriebsverfahren
Die wesentliche Voraussetzung für den wirtschaftlichen und technischen Erfolg des Tunnelbaues ist
die zweckmäßige Auswahl des Vortriebsverfahrens für das Auffahren eines unterirdischen
Hohlraumes. Der Tunnelbau weist eine große Entwicklung – von der jahrhundertelangen praktischen
Erfahrung des Bergbaus, dem klassischen Eisenbahntunnelbau am Anfang des 20. Jahrhunderts bis
zum jetzigen Stand der Technik im Tunnelbau und bei Tunnelvortriebsmaschinen – auf. Eine
Tunnelbauweise ist definiert durch den zeitlichen Ablauf von Teilarbeiten, wie Vortriebs-, Sicherungs-
und Ausbauarbeiten. Die Abbildung 5-1 zeigt eine Übersicht über die bergmännischen
Tunnelbauweisen.

Bergmännische
Tunnelbauweisen

Alte traditionelle Bauweisen Neue Österreichische Bauweise


 Deutsche Bauweise
 Englische Bauweise
 Belgische Bauweise Voraussicherungsmaßnahmen Stützmittel

 Alte Österreichische Bauweise  Spieße/ Pfändbleche  Anker


 Rohrschirm  Tunnelbögen
Ausbauarten  Injektionsschirm  Spritzbeton
 Stahlausbau  DSV- Schirm
 Holzausbau  Bodenvereisung
Abbildung 5-1: Übersicht über die bergmännischen Tunnelbauweisen.

5.2. Alte traditionelle Bauweisen


In verschiedenen Teilen Europas entwickelten sich unterschiedliche bergmännische
Tunnelbauverfahren. Sie unterschieden sich im Verfahrensablauf beim Öffnen des Hohlraumes und
bei der Herstellung der Sicherung. Holzzimmerungen stellten eine vorübergehende Sicherung dar und
wurden durch ein gemauertes Gewölbe ersetzt, welches den endgültigen Ausbau bildete.

5.2.1. Deutsche Bauweise (Kernbauweise)


Grundsatz: „Die Herstellung der Widerlager steht vor allen anderen Bauvorgängen!“
Die Deutsche Bauweise wird auch als Kernbauweise bezeichnet. Sie wurde angewendet, wenn durch
das Abstützen der Gewölbekämpfer die Tragfähigkeit des Gebirges überschritten wurde.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-2: Abfolge der Teilausbrüche bei der Deutschen Bauweise (Kernbauweise) [Széchy,1969].

Abbildung 5-3: Bauphasen der Deutschen Bauweise (Kernbauweise) ohne Kämpferstollen [Széchy,1969].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Herstellung der Widerlager steht an erster Stelle vor allen anderen Bauvorgängen. Es wird mit
dem Vortrieb von zwei Sohlstollen entlang der Widerlagerfüße begonnen. In den beiden Sohlstollen
wird die endgültige Sicherung aufgemauert. Nach Fertigstellung der Widerlager werden in
Kämpferhöhe zwei weitere Stollen vorgetrieben. Abbildung 5-2 und Abbildung 5-3 zeigen, wie nach
und nach ein in Teilbereichen das hergestellte Gewölbe entsteht. Der Kern in der Mitte bleibt stehen.
Nachdem das Gewölbe seine vollständige Tragwirkung erreicht hat und eine Abstützung des
temporären Stützgewölbes auf den Kern nicht mehr notwendig ist, kann mit dem Kernabbau begonnen
werden. Abschließend wird das Sohlgewölbe eingezogen.
Vorteile der Kernbauweise sind:
 Die Sohlstollen dienen als Erkundungsstollen.
 Der Kern stützt den Brustbereich ab.
 Nur geringe Setzungen treten auf, durch Abstützmöglichkeiten auf dem Kern und Aufsetzen des
Kalottengewölbes auf ein bereits bestehendes festes Widerlager.
 Der Holzverbrauch für die Zimmerung ist gering.
Nachteile der Kernbauweise sind:
 Es erfolgt erst ein spätes Einbringen des Sohlgewölbes.
 Schwierigkeiten treten beim Förderbetrieb aufgrund der engen Stollen auf.
 Der Zeitaufwand ist vergleichsweise groß.

5.2.2. Englische Bauweise (Längsträgerbauweise)


Grundsatz: „Ausbruch des Gesamtquerschnittes vor der Mauerung!“
Bei der Englischen Bauweise bzw. Längsträgerbauweise wird erst nach dem Ausbruch des
Gesamtquerschnittes die endgültige Mauerung in 3 bis 6 m langen Ringen eingebracht. Der Ausbruch
erfolgt in Teilquerschnitten, die temporär durch eine Jochzimmerung unterstützt werden. Bei dieser
Jochzimmerung handelt es sich um eine Längsträgerzimmerung. Abbildung 5-4 zeigt den Ablauf der
Herstellung im Querschnitt und Abbildung 5-5 zeigt einen Längenschnitt eines Tunnels nach
Englischer Bauweise. Zu beachten ist, dass die Länge des Kronenbalkens aus Stabilitätsgründen nicht
zu kurz sein darf. Dadurch ist die Anpassung der Abschlagslänge an die Gebirgsverhältnisse
beschränkt.
Der Vorteil der Längsträgerbauweise ist der leichte Abbau und die zügige Förderung des
Ausbruchsmaterials. Die einzelnen Arbeitsvorgänge behindern sich nicht und die Belüftung und auch
die Wasserableitung finden im Vollprofil leicht Platz.
Der größte Nachteil der Längsträgerbauweise ist, dass ein deutlicher Mehrausbruch über den
entwurfsmäßigen Mauerquerschnitt hinaus notwendig ist, da die Kronbalken unterfangen werden
müssen. Der verbleibende Spalt zwischen Gebirge und Firstmauerung wird mit Steinen locker
verpackt. Die Ortsbrust steht unter starkem Druck und muss vorübergehend abgestützt werden. Die
gesamte Rüstung benötigt darüber hinaus sehr viel Holz.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-4: Nacheinander folgende Arbeitsphasen der Englischen Bauweise (Längsträgerbauweise)


[Müller, 1978].

Abbildung 5-5: Längenschnitt eines nach der Englischen Bauweise (Längsträgerbauweise) völlig
ausgebrochenen Abschnittes mit schräger Brustabstützung [Széchy,1969].

5.2.3. Belgische Bauweise (Unterfangungsbauweise)


Grundsatz: „… zunächst vor allem die Firste sichern!“
Die Belgische Bauweise bzw. Unterfangungsbauweise beruht auf dem bergmännischen Grundsatz,
zunächst vor allem die Firste zu sichern. Die Tunnelkalotte wird so rasch wie möglich durch die

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

endgültige Mauerung gesichert. Es wird meist auf eine provisorische Jochzimmerung zur temporären
Sicherung der Firste verzichtet. Der Name „Unterfangungsbauweise“ resultiert aus dem nächsten
Arbeitsschritt. Die Kalottenschale wird erst nach dem Abbau der Strosse unterfangen. Dabei wird
abschnittsweise einseitig der Bereich der Ulmen durch Einschlitzen freigelegt und ein Widerlager in
den Schlitz gemauert. Das Kalottengewölbe wird vom aufgemauerten Widerlager unterfangen.

Abbildung 5-6 Belgische Bauweise (Unterfangungsbauweise): a) Schema ohne Sohlstollen und b) mit
Sohlstollen als Förderbasis; c) bis f) Bauphasen [Müller, 1978].

Vorteile der Unterfangungsbauweise:


 Bedeutende Holzersparnis
 Gute Anpassung an die Gebirgsverhältnisse
 Rascher Gewölbeschluss
 Kontinuierliche Bauweise
 Geringe Setzungen
Nachteile der Unterfangungsbauweise:
 Großen Setzungen bei Unterfangungsschwierigkeiten
 Später Sohlschluss
Die belgische Bauweise ist in rolligem Gebirge kaum anwendbar und bei besonders druckhaftem
Gebirge können aufgrund der Schwierigkeiten im Zuge der Unterfangung die Kosten enorm steigen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.2.4. Alte Österreichische Bauweise (Ringbetriebsbauweise, Multiple Drift Methode)


Grundsatz: „Kleinräumiges Auffahren des Tunnels nach altem bergmännischem Grundsatz“
Bei der Alten Österreichischen Tunnelbaumethode bzw. Ringbetriebsbauweise handelt es sich um
ein kleinräumiges Auffahren des Tunnels. Dabei wird nach alten bergmännischen Grundsätzen
gearbeitet. Die Firste wird zuerst gesichert, das heißt, dass nach dem Errichten eines Richtstollens
prinzipiell der Ausbruch von oben nach unten erfolgt. Der Richtstollen verläuft im Bereich der Sohle
des fertigen Profils und dient während des Vortriebes als Förderbasis. Die Mauerung erfolgt nach dem
vollständigen Ausbruch von unten nach oben. Da die Mauerung der Schale erst nach dem Ausbruch
erfolgt, kommt es zu einem hohen Materialaufwand für die Stützung. Der Personalaufwand ist zudem
sehr hoch, während die Vortriebsleistung sehr gering ist. Die Arbeiten können jedoch an mehreren
Stellen gleichzeitig durchgeführt werden. Die Kosten der Errichtung eines Tunnels sind
vergleichsweise hoch.
Die alte Österreichische Tunnelbauweise wird heute noch hauptsächlich in (Nord-)Amerika eingesetzt
und ist dort als „Multiple Drift Method“ bekannt.

Abbildung 5-7: Alte Österreichische Tunnelbaumethode [Müller,1978].

Abbildung 5-8: Doppelspuriger Lehnentunnel der Lötschbergbahn, errichtet nach Alter Österreichischer
Bauweise [Martak, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Gemäß Rabcewicz hat die klassische Verkleidung (Vielgelenksmauerwerksring) den Beanspruchungen


durch seitliche Drücke mit wechselndem Erfolg widerstanden. Die Drücke klangen teils im Zuge der
Bildung der Trompeter’schen Zone, unter gleichzeitiger Verformung der Zimmerung, so weit ab, dass
nach Fertigstellung der Verkleidung ohne sichtbare Zerstörungen, mäßigen Fugenpressungen oder
geringen Abplatzungen ein dauernder Gleichgewichtszustand erreicht wurde. Teilweise wurden die
Verkleidungen jedoch in typischer Weise zerstört und mussten erneuert werden. Als Hauptursache
galt, dass entweder überhaupt kein Sohlgewölbe oder das Sohlgewölbe als letztes Bauglied im Zuge
des Arbeitsfortschrittes eingebracht wurde. Durch das Fehlen des Ringschlusses kam es zu
Verdrückungen, an denen auch eine sehr dicke Außenschale nichts mehr änderte.

5.3. Neue Österreichische Tunnelbaumethode (NÖT bzw. NATM)


5.3.1. Definition der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise
Die Neue Österreichische Tunnelbaumethode (NÖT) bzw. New Austrian Tunneling Method
(NATM) folgt einem Konzept, welches das Gebirge (Fels oder Boden) um den Hohlraum durch
Aktivierung eines Gebirgstragringes zu einem tragenden Bauteil macht. Dabei müssen einige
Grundsätze beachtet werden:
 Berücksichtigung des geomechanischen Gebirgsverhaltens
 Vermeidung von ungünstigen Spannungs- und Verformungszuständen durch den zeitgerechten
Einbau geeigneter Stützmaßnahmen
 Insbesondere rechtzeitig eingebrachter, statisch wirksamer Sohlschluss, welcher dem
Gebirgstragring die statische Funktion der geschlossenen Röhre verleiht.
 Optimierung des Ausbauwiderstandes in Abhängigkeit von den zulässigen Verformungen.
 Messtechnische Überwachung zur Kontrolle sowie zur Optimierung
5.3.2. Prinzipien und Grundsätze der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise
Das wesentlichste Kriterium des modernen Tunnelbaues ist zweifellos die Tatsache, dass der den
Hohlraum umgebende Gebirgsteil zum Mittragen herangezogen wird und somit zum Bauteil wird. Die
Sicherungsarbeiten nach dem Ausbruch müssen daher rasch erfolgen, um eine kritische Entspannung
und Auflockerung des Gebirges zu vermeiden. Bei größeren Tunnelprofilen bzw. bei ungünstigen
Untergrundverhältnissen wird deshalb abschnittsweise ausgebrochen. Abbildung 5-9 und Abbildung
5-10 zeigen den Kalotten-, Strossen- und Sohlbereich im Quer- und Längenschnitt.

Abbildung 5-9: Tunnelquerschnitt: Begriffsdefinition Abbildung 5-10: Längenschnitt: Begriffsdefinition [ÖNORM


[ÖNORM B 2203-1]. B 2203-1].

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Die Stützmittel der NATM umfassen:


 Spritzbeton (mit Baustahlgitter bewehrt)
 Systemankerung
 Injektionen
 Streckenbögen
Mit diesen Stützmaßnahmen ist für den Bauzustand (also für das „Außengewölbe“) ein
Sicherheitsfaktor  = 1 anzustreben. Erst durch den späteren Einbau der Stahlbeton-Innenschale wird
der Sicherheitsfaktor dementsprechend erhöht. Dies bedeutet in der Praxis, dass je nach Heterogenität
der Gebirgsverhältnisse (Verwerfungen, Mylonitisierungen, tektonische Restspannungen etc.)
fallweise örtliche Verdrückungen, Rissbildungen und dergleichen möglich sind. An diesen Stellen
muss dann besonders rasch eine Verstärkung des Verbaus, zum Beispiel durch Nachankern mit
längeren Ankern, vorgenommen werden.
Von den Stützmitteln der NATM sind zur Erreichung eines Gleichgewichtzustandes im
Außengewölbe bzw. eines Verformungszustandes mit einer zulässigen Rest-
Verformungsgeschwindigkeit einerseits die inneren Auskleidungen (Spritzbeton, Bögen) von
Bedeutung, andererseits vor allem jene, welche ins Gebirge reichen und mit diesem einen echten
Verbundkörper bilden (Anker, allenfalls auch Injektionen). Beide Stützmittel verbessern das den
Hohlraum umgebende Gebirge und machen es zu einem Bestandteil des Bauwerkes. Bei extrem
schlechten Gebirgsverhältnissen und großen Stützweiten ermöglichen die Stützmittel der NATM das
notwendige Maß der Entspannung des Gebirges ohne schädliche Auflockerung.
Die innerhalb des Hohlraumes angebrachten Stützmittel, wie Spritzbeton, Stahlbögen, Baustahlgitter
etc., entsprechen dem Hilfsgewölbe der konventionellen Bauweisen und sind vorwiegend temporär im
Bereich der Brust beim Übergang vom räumlichen auf den ebenen Spannungszustand von Bedeutung.
Sie dienen dem Schutz der Mannschaft, da durch sie das Ablösen hohlraumnaher Gesteinspartien
verhindert wird. Im geschlossenen Ring haben sie ebenfalls Anteil am Ausbauwiderstand.
Alle Stützmittel zusammen bilden mit dem durch Anker und Injektionen aktivierten Gebirgstragring
einen Verbundkörper, der eine große Verformbarkeit aufweist, also elastisch und nicht steif (wie
frühere Tunnelbauten) ist. Er lässt daher das für einen wirtschaftlichen Gesamtausbau notwendige
Maß an Druckumlagerung bzw. Spannungsabbau zu.
Wesentlich ist, dass beim Übergang vom primären zum sekundären Zustand die für die Bemessung
des Ausbaues maßgebenden Spannungen abnehmen. Die Verformungen dauern an, bis die
Tangentialspannung t die Größe der einaxialen Druckfestigkeit erreicht hat bzw. solange kein
versteifender Ausbau eingebracht wird. Die Radialspannungen r sinken während des Vortriebs am
Ausbruchsrand auf Null ab, um nach Einbringung der Stützmittel wieder anzusteigen.
Der Zusammenhang zwischen der Radialspannung r, der radialen Verformung r am Ausbruchsrand
und dem Ausbauwiderstand p ist in Abbildung 5-11 dargestellt. Aus der Kurve für r kann man
ablesen, dass der notwendige Ausbauwiderstand umso größer sein muss, je schneller der
Gleichgewichtszustand erreicht werden soll (Ausbauwiderstand 2 in Abbildung 5-11). Je länger man
Verformungen zulässt, desto kleiner wird der für das Gleichgewicht notwendige Ausbauwiderstand
(Ausbauwiderstand 1 in Abbildung 5-11). Ab einer gewissen Größe der Verformungen beginnt
allerdings eine schädliche Auflockerung des den Hohlraum umgebenden Gebirges. Diese
Auflockerungen sind absolut unerwünscht und aus ihnen resultiert ein wieder steigender
Ausbauwiderstand. Die daraus resultierende Kurve des Ausbauwiderstandes wird als Fenner- Pacher-
Kurve bezeichnet. Betrachtet man die Fenner-Pacher-Kurve in Abbildung 5-11, erscheint es sinnvoll,
jene Verformungen zuzulassen, bei denen der notwendige Ausbauwiderstand ein Minimum wird. Die
Praxis lehrt aber, dass es schwierig ist, genau diesen (Zeit-)Punkt zu erreichen. Das
sicherheitstechnische Optimum liegt daher bei etwas geringeren Verformungen bei gleichzeitig etwas
höherem Ausbauwiderstand.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-11: Wechselbeziehung zwischen sr, r, r/R und T: schematische Darstellung für verschiedene
Ausbauwiderstände 1 und 2 und verschiedene Einbauzeitpunkte nach Fenner und Pacher [Brandl, 2006].

Die tatsächlich im Zuge der Baudurchführung festzulegenden notwendigen Stützmaßnahmen sind eine
Funktion folgender Parameter:
 Geologische Bedingungen wie Zerlegungsgrad, Schichtung, Klüftung etc.
 Gesteinsfestigkeiten und Verformbarkeit
 Überlagerung auch in Abhängigkeit von der Geländegestaltung
 Tektonische Restspannungen
 Baumethode
 Zeitfaktor
 Veränderung der Festigkeitseigenschaften infolge der Ausbruchsmethode
 Entfestigung durch Wasser
 Abnahme des Reibungswinkels
Der erzielbare Ausbauwiderstand der Stützmittel ist hingegen eine Funktion der Güte und Menge der
verwendeten Baustoffe und deren Kombination. Er hängt also ab von:
 Ankertragfähigkeit,
 Ankerlänge,
 Ankerdichte,
 Art, Menge und Verteilung des Injektionsgutes,
sowie von der Qualität des Gebirges:
 Grad der Inhomogenität und Anisotropie,
 Größe des Reibungswinkels und der Kohäsion.

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Die Neue österreichische Tunnelbauweise ist eine semi-empirische Bauweise, bei der in erster Linie
die Messergebnisse an der Baustelle für die Art und den Umfang der Sicherungs- und
Ausbaumaßnahmen maßgebend sind. Dafür muss ein umfangreiches Messprogramm an der
Oberfläche, im Boden und im Tunnel mit Oberflächennivellement, Gleitmikrometer, Druckmessdosen
und Konvergenzmessungen etc. erstellt werden. Die Gebirgsverformung und der Spannungsverlauf
zwischen Gebirge und Ausbau muss im Sinne der Beobachtungsmethode laufend gemessen werden,
wodurch die Messergebnisse sofort im laufenden Vortrieb berücksichtigt werden können. Dieses
Iterationsverfahren führt zu einem umso wirtschaftlicheren und sicheren Ausbau, je dichter das Netz
der Messungen gewählt wird. Dies gilt besonders bei stark druckhaftem Gebirge bzw. stark
wechselhaften Gebirge. Bei standfestem, annähernd homogenem Gebirge können die Messungen auf
wenige Punkte beschränkt werden.

Grundsätze der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise nach Leopold Müller (1978)


L. Müller hat erstmals 1978 22 Grundsätze aufgestellt, welche die Grundgedanken des „Neuen
Österreichischen“ Tunnelbaukonzepts zusammenfassen:

1. Grundsatz: Der wesentlich tragende Bauteil eines Tunnels ist das umliegende Gebirge.

Abbildung 5-12: 1.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

2. Grundsatz: Die ursprüngliche Gebirgsfestigkeit muss erhalten bleiben und darf durch die
Massen- und Spannungsumlagerung, welche das Auffahren eines Hohlraums mit sich bringt, nicht
vermindert werden.

Abbildung 5-13: 2.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

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3. Grundsatz: Auflockerungen sind zu verhindern. Sie entfestigen das Gebirge.

Abbildung 5-14: 3.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

4. Grundsatz: Ein- und zweiachsige Spannungszustände sind zu vermeiden, da das Gebirge


Entlastungsverformungen weit schlechter verträgt als zusätzliche Belastungen.

Abbildung 5-15: 4.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

5. Grundsatz: Der Ausbauwiderstand ist so zu wählen, dass er entfestigenden Gebirgsverformungen


zuvorkommt, aber die Ausbildung einer Schutzzone zugelassen wird.

Abbildung 5-16: 5.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

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6. Grundsatz: Der Verbau muss rechtzeitig eingebaut werden, daher nicht so früh wie möglich,
sondern nicht zu früh und nicht zu spät. Der Ausbauwiderstand darf auch nicht zu stark oder zu
schwach gewählt werden.

Abbildung 5-17: 6. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

7. Grundsatz: Der spezifische Zeitfaktor für das jeweilige Gebirge muss berücksichtigt und richtig
eingeschätzt werden.

Stehzeit ohne Sicherung

Abbildung 5-18: 7.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

8. Grundsatz: Vorversuche im anstehenden Gebirge und Verschiebungsmessungen in der


Tunnelröhre während des Baues, sowie Standzeit, Verformungsgeschwindigkeit und
Gebirgsklassifizierung dienen zur besseren Einschätzung des Zeitfaktors.

Abbildung 5-19: 8.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

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9. Grundsatz: Die Sicherung ist kraftschlüssig mit dem Gebirge auszubilden. Die Kombination aus
Spritzbeton, Bewehrungsnetzen, Tunnelbögen und Ankern bildet eine Gebirgsversiegelung, die
kraftschlüssig mit dem Gebirge verbunden ist, aber nicht als Gebirgstragring wirkt.

Abbildung 5-20: 9.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

10. Grundsatz: Verbau und Innenausbau sind möglichst dünnschalig und daher biegeschlaff
auszuführen, weil so die Aufnahme von Biegemomenten und das Auftreten von Biegebrüchen
minimiert wird. Die Spritzbetonschale wirkt als dünne, biegeschlaffe Außenschale.

Abbildung 5-21: 10.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

11. Grundsatz: Verstärkungen der Innen- und Außenschale werden nicht durch Verdickung
vorgenommen, sondern durch Bewehrungsnetze, Tunnelbögen und Anker. Der Einbau von
Ankern führt zu einer Bewehrung des Gebirgstragringes und somit zu einer Verstärkung der
Außenschale.

Abbildung 5-22: 11 .Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

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12. Grundsatz: Nach Konvergenz- und Verschiebungsmessungen in der Tunnelumgebung kann die
Sicherheit der Stabilisierung des Gesamtsystems beurteilt werden. Verstärkungen oder
Abminderungen der Ausbaustärke können daraus ermittelt werden.

Abbildung 5-23: 12. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

13. Grundsatz: Statisch wird der Tunnel als (dickwandiges) Rohr, bestehend aus Gebirgstragring und
Verbau bzw. Ausbau, betrachtet.

Abbildung 5-24: 13.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

14. Grundsatz: Weil ein Rohr statisch nur dann als solches wirkt, wenn es nicht geschlitzt ist, kommt
dem Ringschluss (Sohlschluss) besondere Bedeutung zu.

Abbildung 5-25: 14.Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

15. Grundsatz: Die Ringschlusszeit ist ein wesentlicher Faktor beim Bau eines Tunnels. Sie wird vor
dem Baubeginn abgeschätzt und während des Vortriebes gegebenenfalls an die tatsächlich
auftretenden geologischen Verhältnisse angepasst. Weit voreilende Kalotten verlängern die
Ringschlusszeit, setzen die vorkragende Tunnelhalbschale großen Biegewirkungen in
Tunnellängsrichtung und das Gebirge unter den Kalottenfüßen hohen Belastungen aus.

Abbildung 5-26: 15. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

16. Grundsatz: Es ist tunlichst ein Vollprofilvortrieb anzustreben um die Anzahl der
Spannungsumlagerungen zu minimieren. Kleine Teilvortriebe lockern das Gebirge unnötig oft auf.

Abbildung 5-27: 16. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

17. Grundsatz: Die Vortriebsweise kann für die Sicherheit des Bauwerks entscheidend sein, da sie
den Zeitfaktor des Gebirges beeinflusst. Variierung von Angriffstiefe, Verbauzeit, Sohlschlusszeit,
Kalottenlänge und Ausbauwiderstand werden systematisch zur Steuerung des
Stabilisierungsvorganges im System Gebirge und Verbau benutzt.

Abbildung 5-28: 17. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

18. Grundsatz: Um dem Umstand Rechnung tragen zu können, dass der Tunnel statisch betrachtet
eine Röhre darstellt, sind möglichst runde, kreisförmige oder ovale Querschnitte bevorzugt. Es
kann damit zu keinen Spannungskonzentrationen an einzelnen Ecken und Kanten kommen.

Abbildung 5-29: 18. Grundsatz: Möglichst gerundete Querschnittsform [Müller, 1978].

19. Grundsatz: Auch die Innenschale ist schlank zu halten. Sie soll mit der Außenschale
kraftschlüssig verbunden sein, aber keinen Reibungsschluss oder Schwerverbund mit der
Außenschale haben.

Abbildung 5-30: 19. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

20. Grundsatz: Das Gesamtsystem Gebirge plus Schale soll im Wesentlichen schon durch den
Verbau stabilisiert werden. Die Innenschale dient dann zur Erhöhung der Sicherheit. (Bei
Anwesenheit von aggressivem Bergwasser muss die Innenschale allein zur vollen Stabilisierung
befähigt sein.) Die Verformung u darf nach dem Einbau der Innenschale nicht mehr zunehmen.

Abbildung 5-31: 20. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

21. Grundsatz: Die Vordimensionierung der Außenschale des nächstfolgenden Tunnelabschnittes


erfolgt aufgrund von Messungen der Betonspannungen und der Kontaktspannungen zwischen
Schale und Gebirge des bereits vorgetriebenen Abschnittes. Diese Messungen dienen auch zur
Kontrolle der Sicherheit des Vortriebes.

Abbildung 5-32: 21. Grundsatz der NATM [Müller, 1978].

22. Grundsatz: Die Entspannung des Außenwasserdruckes oder Strömungsdruckes im angrenzenden


Gebirge auf die Außenschale wird durch Abschlauchungen und Drainagen gesichert.

Abbildung 5-33: 22. Grundsatz der NATM: Wasserableitung in Schläuchen aus nachträglich durch die
Betonverkleidung gebohrten Bohrlochdrainagen [Müller, 1978].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.3.3. Stützmittel
5.3.3.1. Anker
Anker werden im Stollen und Tunnelbau als vorübergehende Sicherung des Ausbruchsquerschnittes
bis zum Zeitpunkt des endgültigen Ausbaues verwendet. Größere Verformungen und Ausbrüche
werden dadurch verhindert und die Tragwirkung des Gebirges erhöht sich. Sie sind ein wichtiges
Bauelement der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise. Bei der Dimensionierung der Anker ist
besonders darauf zu achten, dass sie nicht nur entsprechend dicht gesetzt werden, sondern auch tief
genug in das Gebirge reichen, um eine möglichst große wirksame Tragringstärke zu erzielen.
Hinsichtlich der Wirkungsweise und des Tragverhaltens wird zwischen Einzel- und Systemankerung
unterschieden.
Einzelanker dienen zur individuellen Sicherung einzelner Gesteinsblöcke, -keile oder -platten (siehe
Abbildung 5-34). In stark geklüftetem Gebirge dienen sie zur Sicherung der Mannschaft und der
Erhaltung der geometrisch geforderten Ausbruchsform bezüglich der Tragwirkung und des
Mehrausbruchs.

Abbildung 5-34: Sicherung durch einzelne Anker [Vogt, 2009].

Die Systemankerung besteht aus einem System mehrerer Ankertypen nach Abstand, Ankerlänge und
Vorspannung, um neben dem Aufbau eines Gebirgstragringes einen zusätzlichen Verdübelungseffekt
zu erzielen (siehe Abbildung 5-35).

Abbildung 5-35: Entstehen eines Gewölbetragringes durch Systemankerung [Maidl,1984].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Beim Auffahren eines Hohlraumes tritt eine Spannungsumlagerung im Gebirge auf. Der dreiaxiale
Spannungszustand wandelt sich durch das Fehlen der Radialspannungen am Ausbruchsrand in einen
zweiaxialen Spannungszustand. Die Tangentialspannungen werden größer und können bei fehlender
Randverstärkung des Gebirges die einaxiale Gebirgsdruckfestigkeit überschreiten. Durch den sich
bildenden Gebirgstragring wandern die Spannungen tiefer in das Gebirge, es entsteht jedoch eine
entfestigte Zone. Die Abbildung 5-36 zeigt die Spannungsverteilung nach dem Ausbruch des
Hohlraumes.

Abbildung 5-36: Spannungsverteilung nach dem Ausbruch und nach Sicherung [Maidl,1984].

Das schnelle Einbringen einer Systemankerung in Kombination mit Spritzbeton wirkt als
Ausbauwiderstand. Durch den Ausbauwiderstand kann sich am Hohlraumrand ein quasi-dreiaxialer
Spannungszustand einstellen, welcher der Gebirgsentfestigung entgegen wirkt und Auflockerungen
verhindert. Je schneller sich Gleichgewicht zwischen der Tunnelsicherung und dem Gebirgstragring
einstellt, desto geringere Kräfte können sich entwickeln. Berücksichtigt man die räumlichen
Verhältnisse, bildet sich ein mit dem Ausbruch nach vorne wanderndes Gewölbe aus. Abbildung 5-35
zeigt eine einfache Analogie nach Rabcewicz. Die Ankerlänge wird sehr überschlägig mit t =
Abschlagslänge angegeben. Die Höhe des Auflockerungsbereiches beträgt zwischen 1/2 und 2/3 der
Abschlagstiefe t. Insbesondere bei Tunneln mit großen Querschnitten ist die Ankerlänge jedoch zu
gering. Auch bei weniger standfestem Gebirge, bei dem geringere Abschlagslängen gewählt werden,
ist die Annahme von Rabcewicz nicht anwendbar, da in einem solchen Gebirge längere Ankerungen
erforderlich sind.
Bei stark asymmetrischer Belastung eines Tunnelquerschnittes, daher bei einer sehr ungleichmäßigen
Verteilung der Verformungen um den Umfang, hat die Praxis gelehrt, Ankerlänge und Ankerdichte
über den Tunnelumfang zu variieren. Der potenzielle Scherbruch nach Rabcewicz wird dabei gezielt
verhindert. Dort wo der Scherbruch unter kleinem Winkel die Tunnellaibung trifft, werden kurze
Anker mit hoher Ankerdichte versetzt. Diese werden im Sinne einer Bruchbewehrung nur auf
Abscheren beansprucht. In der Mitte des Bruchkeiles liegen die langen Anker mit geringer
Ankerdichte, die ins unzerstörte Gebirge reichen und ausschließlich auf Zug beansprucht werden. Die
Erhöhung der Ankerdichte ist ab einem gewissen Grenzwert nicht mehr sinnvoll. Die
Gewölbewirkung zwischen den einzelnen Ankern nimmt nicht mehr wesentlich zu, gleichzeitig wird
aber die Ausnützung der Anker geringer. Bei einer Verlängerung der Anker hingegen wird der
Tragring vergrößert, da mehr Gebirge zum Mittragen herangezogen wird. Der Ausbauwiderstand
steigt somit noch wesentlich an.
Bei der Anordnung der Anker ist darauf zu achten, dass sie nicht parallel zu Schichtflächen verlaufen.
Die Anker sind möglichst im Winkel von 45 bis 90°, aber keinesfalls unter 30° zur Schichtung zu
setzen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-37: Systemankerung: Anordnung der Anker möglichst senkrecht zu Schichten und Klüften
[Maidl,1984].

Vorteile und Nachteile des Einsatzes von Ankern


Vorteile:
 Anpassung der gewünschten Nachgiebigkeit
 Flexibles Einbringen zusätzlicher Anker
 Kontrolle der Ankerkraft
 Bedingte Möglichkeit des Nachspannens der Anker
 Gute Anpassungsfähigkeit an wechselnde Gebirgsverhältnisse
 Schrägstellung von 60° bis 30° nach Einfallen des Gebirges
 Kombination von Ankern mit und ohne Vorspannung
 Gute Kombination mit anderen Sicherungsmitteln
 Verwendbarkeit zur Sicherung des Ortsbrustbereiches
 Keine Notwendigkeit einer zusätzlichen Einrichtung für das Bohren (z.B. Einsatz von Geräten für
das Bohren von Sprenglöchern)
Nachteile:
 Keine volle Wirkung parallel zu den Schichtflächen
 Ankerfähigkeit des Gebirges (nicht alle Gebirgsarten sind ankerfähig)
 Hoher Material- und Zeitaufwand bei Systemankerung
 Notwendigkeit zusätzlicher (Bohr-)Einrichtung bei maschinellen Vortrieben
 Beschränkung der Bohrlänge durch enge Platzverhältnisse
 Beschränkung der Ankerlänge von 6 m im Regelfall

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Tragverhalten von Ankern


Die Tragkraft eines Ankers setzt sich aus der Tragfähigkeit des Ankerstabes, des Ankerkopfes und der
Übertragung der Ankerkraft in das Gebirge zusammen.
 Ankerstab, Ankerlitzen:
Die Tragkraft des Ankerstabes wird durch seine Bruchlast ermittelt. Die Bruchlast ist die Betriebslast
multipliziert mit dem Sicherheitsfaktor, der in der Größenordnung von 1,5 bis 2,0 liegt.
Normalerweise werden schlaffe Anker aus Baustahl und vorgespannte Anker aus Spezialstahl
hergestellt. Bei großen Ankerlängen kommen auch Litzen oder Seilanker zum Einsatz.
 Ankerkopf, Ankerplatte:
Für die Ankerplatte gibt es verschiedene Ausführungsmöglichkeiten. Die Ankerplatte sollte die Kräfte
möglichst senkrecht zum Ankerstab übertragen. Abbildung 5-38 zeigt Ankerplatten mit
unterschiedlicher Geometrie. Um die Kräfte besser senkrecht übertragen zu können, werden die
Ankerplatten oftmals gekröpft oder mit Langloch hergestellt.

Abbildung 5-38: Beispiele für Ankerplatten [Maidl,1984].

 Übertragung der Ankerkraft in das Gebirge:


Es wird prinzipiell zwischen vorgespannten Ankern und schlaffen Ankern unterschieden.
Schlaffe Anker wirken wie Dübel vollflächig, besonders auf Abscheren. Vorerst schlaffe Anker
werden durch Gebirgsbewegungen gespannt.

Abbildung 5-39: Freispielanker. Einbauprinzip und Schema des Kraftlinienverlaufes [Maidl,1984]:


a) Krafteinleitung in das Gebirge über Expansionseinrichtung (Spreizanker)
b) Krafteinleitung in das Gebirge über Haftstrecke (Beton- und Klebeanker)

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die (Vor-)Spannkraft bei vorgespannten Ankern kann entweder von außen oder auch natürlich durch
die Differenz der Bewegung von Ausbruchlaibung und Verankerungsstrecke im Gebirge
hervorgerufen werden. Die Vorspannkraft wird von außen mittels Drehmomentenschlüssel,
Spannpressen oder Schlagschrauber aufgebracht und überprüft. Die Vorspannung darf natürlich erst
nach der Erhärtung des Mörtels in der Verpressstrecke erfolgen. Vorgespannte Anker können als
Freispielanker, d.h. dauernd nachspannbar und prüfbar ausgeführt werden, oder als blockierte Anker.
Der Korrosionsschutz spielt bei Freispielankern eine wichtige Rolle. Beim Einbau ist daher auf den
Korrosionsschutz zu achten. Abbildung 5-39 zeigt zwei verschiedene Arten der Kraftübertragung von
Freispielankern in das umgebende Gebirge.
Blockierte Anker werden verwendet, wenn keine weiteren Gebirgsbewegungen mehr zu erwarten
sind. Dabei wird das Ankerbohrloch nach Einbau des Ankers auf der gesamten Länge mit Mörtel
verfüllt.
Ankertypen
Tabelle 5-1: Ankertypen [SIA Zürich, 2004]
Mörtelanker,
Bezeichnung Verpressanker Spreizanker Selbstbohranker Reibrohranker
Verpressanker
Einbettung des Zugglieds Freispiel Vollverbund

Werkstoff Stahl/GFK Stahl Stahl/GFK Stahl/GFK Stahl

Form Stab, Litze Stab Stab, Litze Stab Stab


Kunstharz/ Mechanisch Kunstharz/ Kunstharz/ Mechanisch
Art des Verbundes
Zementmörtel (Spreizhülse) Zementmörtel Zementmörtel (Haftreibung)
Nutzungsdauer kurz oder lang

Ankerplatte ja ja ja/nein ja ja/nein

Haftanker:
 Füllmörtelanker (SN-Anker): In das Bohrloch wird mittels eines Schlauches Zementmörtel
eingebracht. Die Schläuche müssen im Bohrlochtiefsten angesetzt und während des Mörtelfüllens
zurückgezogen werden. Bevor der Zementmörtel erhärtet, wird der Ankerstab eingeschoben. Der
SN-Anker wird meist schlaff ausgeführt. Das Aufbringen einer Vorspannung ist erst nach
vollständiger Erhärtung des Mörtels möglich, daher wird schnell härtender Mörtel eingesetzt. Die
Ausführung von SN-Ankern über Kopf wird durch das Auslaufen des Mörtels erschwert.

Abbildung 5-40: Setzen eines Füllmörtelankers (SN-Anker) [Maidl,1984].

 Einschubmörtelanker (Perfo-Anker): Der Mörtel wird in zwei perforierte Blechhalbschalen


gefüllt, die anschließend zusammengeklappt in das Bohrloch eingeführt werden. Durch das
Einschlagen des Ankerstabes quillt der Mörtel durch die Perforation in den Ringraum zwischen
Blechrohr und Gebirge und stellt somit einen Haftverbund zwischen Gebirge und Anker her. Der
Vorteil des Perfo-Ankers ist, dass er auch gut über Kopf eingebaut werden kann, da ein steifer

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Mörtel verwendet wird, der nicht zum Auslaufen neigt. Der Nachteil dieses Ankertyps ist der
erhöhte Arbeitsaufwand und der daraus resultierende hohe Preis.

Abbildung 5-41: Einbau eines Perfo-Ankers [Maidl,1984].

 Ramm-Injektionsanker: Diese Anker kommen in nicht mehr bohrbarem Gebirge, wie


Hangschutt, Moränen bzw. rolligem injizierbaren Lockergestein, zum Einsatz. Der vergrößerte
Rammkopf schafft einen Ringraum, der während des Rammvorganges mit Zementmörtel verpresst
wird. Der Mörtel wird entweder durch ein oder mehrere Injektionsschläuche an die Spitze des
Ankers gebracht,oder durch die Ankerstange, welche in diesem Fall aus einem starkwandigen
Stahlrohr mit Öffnungen in entsprechenden Abständen besteht.

Abbildung 5-42: Ramm-Injektionsanker; a) Profilierte Stahlstange mit Rammkopf und Injektionschlauch, b)


Spitzes Stahlrohr mit Injektionsöffnungen [Maidl,1984].

 Kunstharzanker: Eine Patrone mit zwei Komponenten, der Grundmasse und der Härter werden in
das Bohrloch eingeführt. Durch einschlagen oder eindrehen des Ankerstabes wird die Patrone
zerstört und die beiden Komponenten vermischen sich. Dadurch wird der Aushärtungsprozess
gestartet.

Spreizanker:
Spreizanker werden nur zur vorübergehenden Sicherung eingesetzt. Spreizanker sind immer als
Vorspannanker zu verwenden. Man unterscheidet zwischen den folgenden Typen.
 Schlitzkeilanker: In einem achsparallelen Schlitz am Ankerstangenende steckt ein Keil, der am
Bohrlochtiefsten aufsitzt. Durch Schläge auf den Ankerkopf wird der Keil in den Schlitz getrieben,
dieser weitet sich dementsprechend auf und verspannt so die Ankerstange gegen das Gebirge.
 Gleitkeilanker: Am Ankerstangenende ist ein ringförmiger Keil am Stab befestigt. Auf diesem ist
ein ebenfalls ringförmiger Konus aufgebracht. Beim Ziehen des Ankerstabs verkeilt sich der Anker
mit dem Konus, der dabei durch den Keil auseinandergedrückt wird und sich so gegen das Gebirge
verspannt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

 Spreizhülsenanker: Am Ankerende befindet sich ein Gewinde, auf dem ein konusförmiges Stück
aufgeschraubt ist. Durch Drehen der Ankerstange wird der Konus weiter auf das Gewinde gedreht.
Der Konus spreizt sich in der Folge auseinander und verspannt sich so gegen die
Bohrlochwandung.
 Doppelkeilanker: Am Ankerende sitzen zwei Keile, von denen einer über einen Haken am Ende
der Ankerstange festgehalten wird. Der zweite Keil wird durch Drehen der Ankerstange entlang
dieser bewegt, wobei er den ersten gegen das Gebirge verspannt.

Abbildung 5-43: Von links nach rechts: Schlitzkeilanker, Spreizhülsenanker, Doppelkeilanker [Maidl, 1984].

Reibungsanker:
 Swellex-Anker: Ein gefaltetes Stahlrohr wird in das Bohrloch eingebracht. Dort wird es mittels
Hochdruckwasserpumpe aufgefaltet. Das Rohr passt sich dem Bohrloch an und überträgt die
Ankerkraft über Reibung an das umliegende Gebirge. Ein Vorteil des Swellex- Ankers ist die
sofortige Tragwirkung nach dem Auffalten.

Abbildung 5-44: Funktionsprinzip Swellex- Anker [Diadatenbank Institut für Geotechnik und Tunnelbau UIBK,
2009].

Selbstbohrende Anker:
 Selbstbohrende Anker dienen gleichzeitig zum Herstellen des Bohrloches und sind daher mit
einer Bohrkrone versehen. Nachdem der Anker im Bohrloch bleibt, wird die Bohrkrone auch als
verlorene Bohrkrone bezeichnet. Nach dem Bohrvorgang wird das Rohr und der umgebende
Baugrund mit Zementmörtel verpresst. Diese Anker werden häufig im Lockergestein eingesetzt.

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5.3.3.2. Spritzbeton (shotcrete, sprayed concrete)


Im Tunnel- und Stollenbau ist Spritzbeton das wichtigste Sicherungsmittel. Die Anwendungen des
Spritzbetons sind sehr flexibel. Durch zusätzliche Maßnahmen wie Stahlbögen, Anker, Spieße usw.
wird in Kombination mit dem Spritzbeton ein Gebirgstragring aufgebaut.
Rabcewicz beschrieb bereits 1960 die Wirkungsweise des Spritzbetons folgendermaßen:
Durch das Verkleiden der Oberfläche mit Spritzbeton entsteht keine Vorspannung und daher auch
kein aktiver Ausbaudruck. Das Schwinden des Betons würde sogar ein Nachgeben der Konstruktion
bewirken. Hingegen verhindere eine rasch erhärtende, unmittelbar nach dem Ausbrechen
aufgebrachte Spritzbetonschichte den Entspannungsvorgang gänzlich oder weitestgehend.
Laut Rabcewicz ist die wichtigste Eigenschaft des Spritzbetons die Verbundwirkung. Ein Gebirge mit
geringer Festigkeit wird durch den innigen Verbund zur vergüteten Oberfläche, welche eine hohe
Scher- und Biegefestigkeit aufweist, in ein standfestes Gebirge umgewandelt. Die
Tangentialspannungsspitze, welche beim Öffnen des Hohlraumes in die äußerste Zone fallen würde,
wird vom Spritzbeton aufgenommen. Die Randzugspannungen werden durch die Gewölbewirkung
herabgesetzt und die Biegedruckspannungen werden vom allseits eingeschlossenen Gebirge
aufgenommen. Die Gewölbestärke kann durch den Einsatz von vorgespannten Ankern vergrößert
werden. Falls ein Auflockerungsdruck auftritt, wird dieser nicht in den Spritzbeton geleitet, sondern
durch das Gebirge in den Kämpfern abgeführt.
Spritzbeton wird durch maschinelles Aufspritzen im Trocken- oder Nassspritzverfahren aufgebracht
und gleichzeitig verdichtet. Durch Erstarrungsbeschleuniger erreicht der Spritzbeton sehr schnell hohe
Festigkeiten.
Die Anforderungen an den Spritzbeton sind:
 Tragverhalten: direkter Verbund mit dem Gebirge, Ausbildung eines Gebirgstragringes, Aufnahme
hoher Normal- und Schubkräfte, geringe Biegemomente, ausreichende Wasserdurchlässigkeit;
rechtzeitiger Ausbau verhindert größere Verformungen
 Materialtechnologie: gleichmäßig verdichtet, keine Fehlstellen, garantierte Festigkeiten
 Verfahren und Maschinen: genaues Mischverhältnis der Zuschlagsstoffe, Einhaltung des
Spritzwinkels, um den Rückprall möglichst gering zu halten; Spritzabstand, Spritzen großer und
kleiner Mengen, hohe Leistung
 Arbeits- und Umweltbedingungen: Düsenführer außerhalb des Gefahrenbereiches, geringe
Staubbelastung
Spritzbeton wird durch folgende Komponenten beeinflusst:
 Betontechnologie
 Art des Zementes
 Zementanteil in der Rezeptur
 Mahlfeinheit
 Zuschlagstoffe (Kornverteilung, Kornform)
 Beschleunigungszusätze
 Temperatur der Rohstoffe (z.B. bei Bodenvereisung  Verzögerung der Festigkeit)
 Art der Spritzbetonaufbringung
 Trocken- bzw. Nassspritzverfahren
 Maschinentechnik
 Luftmenge/Druck  Rückprall

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

 Örtliche Bedingungen
 Auftragsfläche (Rauhigkeit, Neigung)
 Entfernung Düse - Fläche
 Umgebungstemperatur, Luftbewegungen
 Innendruck (bei Arbeiten unter Druckluft)
 Menschliche Faktoren
 Akkordarbeit
 Schutzausrüstung
 Ausbildungsstand

Nassspritzverfahren
Beim Nassspritzverfahren wird der fertige Beton pneumatisch oder mit Pumpen zur Spritzdüse
transportiert. Es wird zwischen einer Dünnstrom- und einer Dichtstromförderung unterschieden. Bei
der Dünnstromförderung erfolgt die Förderung pneumatisch. Die Ausgangsmischung wird in einem
Luftstrom schwebend durch die Leitung transportiert. Bei der Dichtstromförderung wird die
Ausgangsmischung mittels Pumpen zur Spritzdüse transportiert. Durch die größeren Reibungskräfte in
der Schlauchleitung kann die Reichweite der Dünnstromförderung nicht erreicht werden.
Vorteile des Nassspritzverfahrens:
 Konstante Spritzbetonqualität
 Geringerer Rückprall
 Geringere Staubbelastung  geringerer Luftmengenbedarf
 Hohe Spritzleistung

Abbildung 5-45: Schema Nassspritzverfahren [Vogt, 2009].

Trockenspritzverfahren
Beim Trockenspritzverfahren wird das Trockengemisch aus Zement, Zuschlagstoff und
gegebenenfalls Erstarrungsbeschleunigern pneumatisch zur Spritzdüse transportiert, wo das
Anmachwasser hinzukommt. Das Gemisch wird mit 20 bis 30 m/s an die Einbaustelle aufgespritzt und
gleichzeitig verdichtet.

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Vorteile des Trockenspritzverfahrens:


 Kein Restbeton
 Höchste Frühfestigkeit
 Fast unbegrenzte Vorhaltezeit
 Leichtere Geräte
 Geringerer Aufwand bei der Reinigung des Gerätes
Das Nassspritzverfahren eignet sich besonders bei großen Spritzbetonmengen. Das
Trockenspritzverfahren kommt bei geringen Spritzbetonmengen, z.B. bei kleinen Querschnitten, zum
Einsatz.

Spritztechnik
Die Auftragung des Spritzbetons über den Querschnitt erfolgt immer von unten nach oben. Über den
gesamten Querschnitt entsteht so ein gleichmäßiges und dichtes Gefüge. Bei standfestem Gebirge wird
meist nur eine 3 bis 5 cm dicke Oberflächenversiegelung aus Spritzbeton aufgebracht, während im
druckhaften Gebirge die Spritzbetonschicht bis zu 20 cm erreichen kann.

Abbildung 5-46: Spritzbetonaufbringung.

Abbildung 5-47: Rückprall abhängig von der Neigung Abbildung 5-48: Rückprall abhängig von der Neigung
der Spritzdüse gegen die Wand [Vogt, 2009]. der Spritzdüse gegen die Horizontale [Vogt, 2009].

Bei Aufbringung des Spritzbetons entsteht ein Rückprall des Mischgutes. Die Menge des Rückpralls
hängt von mehreren Faktoren ab. Der Winkel der Düse zur zu bespritzenden Fläche sollte möglichst
senkrecht sein und der Abstand sollte dabei in etwa 1,5 m betragen. Bei einem geringeren
Düsenabstand kann es zu Gefügeauflockerungen infolge des hohen Druckes kommen und wird der

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abstand zu groß gewählt, ist die Haftung des Spritzbetons nicht mehr gewährleistet. Darüber hinaus
erhöht sich in beiden Fällen der Rückprall. Der Einsatz von Spritzmanipulatoren eignet sich besonders
bei großen Querschnitten. Die Spritzleistung dieser Geräte ist hoch und daher verkürzt sich die Zeit für
die Spritzabläufe. Die Düsenführung kann optimal gesteuert werden und somit erhöht sich die
Sicherheit für Mensch und Gerätschaft.

Frühfestigkeitsklassen von Spritzbeton


Für Spritzbeton gelten nachfolgende Frühfestigkeitsklassen zur Entwicklung der Festigkeit innerhalb
der ersten 24 Stunden. Sie gelten sowohl für Nass- als auch für Trockenspritzbeton.
Hinsichtlich der Anforderungen an die Festigkeitsentwicklung wird der junge Spritzbeton in die drei
Festigkeitsklassen J1, J2 und J3 eingeteilt, welche aufgrund langjähriger Erfahrungen gemäß der
Richtlinie Spritzbeton des Österreichischen Betonvereins festgelegt wurden.
Eine entsprechende Festigkeitsentwicklung in den ersten Minuten ist Voraussetzung für den Auftrag
über Kopf (Festigkeit nach zwei Minuten 0,1 bis 0,2 N/mm2). Die Festigkeitsentwicklung in den ersten
Minuten hat einen großen Einfluss auf die Staubentwicklung und den Rückprall, weil bei einer zu
raschen Festigkeitsentwicklung der Spritzbeton unmittelbar nach dem Auftreffen an der Wand erhärtet
und sich die Grobanteile des nachfolgenden Spritzbetons schlecht einbetten können. Deshalb ist es zur
Verringerung der Staub- und Rückprallentwicklung günstig, wenn der Messwert nach zwei Minuten
bei normalen Verhältnissen für den Spritzbetonauftrag 0,2 N/mm2 nicht übersteigt.
Bei starkem Wasserandrang oder ungünstigem Untergrund ist eine höhere Festigkeit nach den ersten
Minuten erforderlich, dabei ist kurzfristig mit einem höheren Staub- und Rückprallanfall zu rechnen.

Abbildung 5-49: Frühfestigkeitsklassen von Spritzbeton [ÖVBB-Richtlinie Spritzbeton, 2004].

Spritzbeton der Klasse J1 eignet sich für den Auftrag von dünnen Lagen auf trockenem Untergrund
ohne besondere statische Anforderungen und hat den Vorteil von wenig Staubentwicklung und
Rückprall.
Die Anforderung der Klasse J2 ist gegeben, wenn Spritzbeton in dicken Lagen (auch über Kopf) mit
hoher Leistung aufgetragen werden soll; weiters bei leichtem Wasserandrang und bei Beanspruchung
durch unmittelbar nachfolgende Arbeitsvorgänge (z.B. Bohren von Ankerlöchern, Eintreiben von
Dielen, Erschütterungen durch Sprengschlag). Die Anforderung J2 ist auch gegeben bei rasch
auftretenden Einwirkungen aus Gebirgsdruck, Erddruck oder nachdrängenden Lasten. Die Festlegung
des Bereichs richtet sich nach dem Auslastungsgrad des jungen Spritzbetons. Untersuchungen zeigen,
dass bei einem Auslastungsgrad bis 40% für den jungen Spritzbeton ein lineares Kriechverhalten, bei

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einem Auslastungsgrad über 80% ein stark progressives Kriechverhalten mit Gefügestörungen zu
erwarten ist.
Spritzbeton der Klasse J3 sollte wegen erhöhter Staubentwicklung und vermehrtem Rückprall nur bei
echtem Bedarf vorgeschrieben werden (z.B. bei großem Wasserandrang).

Faserspritzbeton
Spritzbeton weist eine sehr gute Druckfestigkeit auf, seine Zug- und Biegezugfestigkeit ist jedoch sehr
gering. Durch den Einbau von Bewehrungsmatten wird die geringe Zug- und Biegezugfestigkeit
verbessert, was jedoch Zeit kostet. Daher wird versucht mit Stahlfaserbeton oder auch mittels Beton
mit Kunststoff-, Glas-, oder Kohlenstofffasern die Zug- und Biegezugfestigkeit des Spritzbetons zu
verbessern. Die Faserlängen variieren je nach System des Spritzgerätes (Düsenverstopfung) zwischen
1 und 5 cm. Das Arbeitsvermögen ist bei Faserspritzbeton wesentlich größer. Aufgrund dessen kann
die Dicke des Spritzbetons deutlich reduziert werden. Der Einsatz von Faserspritzbeton bringt einen
zeitlichen und arbeitstechnischen Gewinn.

Abbildung 5-50: Stahlfaserbeton [www.holcim.com, 2009].

5.3.3.3. Tunnelbögen
Tunnelbögen dienen nach dem Ausbruch zur sofortigen wirksamen Abstützung des Gebirges und
zum Schutz des Arbeitsraumes. Sie kommen daher bei nachbrüchigem, nicht standfestem,
druckhaftem Gebirge zum Einsatz. Die Tragwirkung der Tunnelbögen beruht auf der Bogenwirkung.
Sie müssen eine hohe Normalkraftaufnahmefähigkeit und Biegetragfähigkeit aufweisen. Der Verbund
zwischen Stahlbogen und Spritzbetonschale muss ebenfalls gewährleistet sein. Bei der Profilwahl ist
daher auf eine gute Einspritzbarkeit hinsichtlich des Spritzschattens und des Rückpralls zu achten. Die
unterschiedlichen Profilformen sind in Abbildung 5-51 dargestellt.

Abbildung 5-51: Profilformen Tunnelbögen [Girmscheid,2008].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Bögen werden meist in mehreren Teilen auf die Baustelle transportiert und dort gestoßen. Die
Stoßverbindungen können je nach Anforderung starr oder nachgiebig ausgeführt werden. Bei
besonders druckhaftem Gebirge werden die Stoßverbindungen nachgiebig ausgeführt, um dem
Gebirge die Möglichkeit zu geben sich zu verformen. Die Tunnelbögen werden senkrecht zur
Vortriebsrichtung aufgestellt. Sie erreichen sofort ihre vollständige Tragfähigkeit. Erfolgt der
Ausbruch des Tunnels in Teilquerschnitten (Kalotte, Strosse, Sohle), werden die Kalottenbögen auf
temporäre Auflager im Bereich der Kalottensohle gestellt. Diese Fußauflager können erforderlich
werden, damit die Kräfte aus dem Tunnelbogen ohne Gefahr eines Grundbruchs in die Sohle
eingeleitet werden. Abbildung 5-52 zeigt Beispiele für Fußauflager.

Abbildung 5-52: Beispiele von Fußauflagern für Tunnelbögen [Maidl,1984].

Durch sofortiges Einbetten der Stahlbögen mittels Spritzbeton kommt es zu einem guten
Gebirgskontakt. Die wandartige Tragwirkung und der Kontakt zum Gebirge bilden eine
zusammenhängende Verbundwirkung.

5.3.4. Voraussicherungsmaßnahmen
5.3.4.1. Spieße und Pfändbleche/Dielen
Die einfachste Möglichkeit, das Gebirge voraus zu sichern, bildet der Einsatz von Spießen und
Pfändblechen. In nichtbindigem Lockergestein eignen sich Pfändbleche/Dielen besonders gut, da sie
eine flächenhafte Sicherung darstellen. Dies verhindert das Auflockern des Gebirges vor dem Einbau
der Spritzbetonsicherung. Der Einbau von Pfändblechen erfolgt mittels Pressluft- oder
Hydraulikhämmern. Die Pfändbleche werden dabei 2 bis 4 m tief, entweder mit einem geringen
Abstand zueinander oder überlappend, ins Gebirge eingeschlagen. Aus herstellungstechnischen
Gründen werden die Pfändbleche mit einer Neigung von etwa 10° bis 15° zur Tunnelachse eingebaut.

Abbildung 5-53: Beispiel für Querschnitte von Pfändblechen/Dielen [Maidl,1984].

Die Voraussicherung mit Spießen kommt in zerklüftetem Gebirge, wie zum Beispiel bei mit
Harnischflächen durchzogenen Tonen und Schluffen, zum Einsatz. Die Spieße führen zu einer

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Verdübelung des Gebirges und somit kann sich ein vorauseilender Tragring ausbilden. Spieße sind
Rohre mit geringem Durchmesser und werden hauptsächlich auf Abscheren beansprucht. Der Einbau
erfolgt entweder bohrend oder rammend. Die Länge eines Spießes beträgt zwischen 3 und 5 m. Der
Abstand zwischen den einzelnen Spießen variiert je nach den geologischen Verhältnissen
üblicherweise zwischen 30 und 50 cm. Wie bei den Pfändblechen werden die Spieße mit einer
Neigung zwischen 10° und 15° zur Tunnelachse eingebaut.

Abbildung 5-54: Einbau von Spießen [www.dywidag-systems.at, 2009].

In rolligem Gebirge kann noch ein zusätzliches Verpressen der Spieße erforderlich werden. Dabei
wird Injektionsgut in die Spieße gepresst, welches durch Perforationen der Spieße in das umgebende
Gebirge eindringt und somit einen Injektionskörper erzeugt.

Abbildung 5-55: Beispiel für Anordnung der Spieße im Abbildung 5-56: Anordnung der Spieße im
Querschnitt [Schikora, 2003]. Längenschnitt [Schikora, 2003].

5.3.4.2. Rohrschirm
Der Tunnel wird im Schutz einer, aus einer Vielzahl von Rohren gebildeten, temporären Sicherung
hergestellt. Diese Sicherung wird als Rohrschirm bezeichnet. Die Rohre werden von der Ortsbrust in
Längsrichtung des zu errichteten Tunnels vorgetrieben.
Rohrschirme kommen bei kohäsionslosem und verwittertem Gebirge mit kurzer Standzeit oder zur
Setzungsminimierung im Lockergestein zum Einsatz. Mittels Injektionen kann ein geschlossenes
Schirmgewölbe hergestellt werden. Gegenüber Spießschirmen haben Rohrschirme den Vorteil der
wesentlich größeren Trägheitsmomente. Ein weiterer Vorteil des Rohrschirmverfahrens ist die größere
Einbaulänge (12 - 15 m). Der Rohrschirm muss somit weniger oft nachgesetzt werden. Der weit
vorauseilende Rohrschirm verhindert Gebirgs- bzw. Bodenentspannungen, welche durch den Vortrieb
entstehen können, schon weit vor der Ortsbrust.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-57: Beispiel für die Anordnung eines Rohrschirmes im Querschnitt [Züblin, 2009].

Die Haupttragwirkung des Rohrschirmes ist in Gewölberichtung. Durch eine Membrantragwirkung


können Normalkräfte übertragen werden und ein versteifter Tragring entsteht. In Längsrichtung
weisen die einzelnen Rohre eine Tragwirkung eines elastisch eingespannten, biegesteifen Rohres auf.
Querkräfte und Momente können so übertragen werden. Um die Beulsicherheit der Rohre zu erhöhen
werden diese mit Beton verpresst.
Die Rohrlängen betragen üblicherweise 12 bis 15 m. Theoretisch wären bis zu 30 m möglich,
allerdings wird der Aufwand für das Bohren zu groß und außerdem entsteht ein großes Überprofil
(Sägezahnprofil), das wieder verfüllt werden muss. Aus wirtschaftlichen Gründen werden daher
kürzere Rohrlängen gewählt. Die Rohrübergreifung in Längsrichtung beträgt zwischen 2 und 4 m. Sie
ist von der Tragfähigkeit des Gebirges abhängig. Der Außenrohrdurchmesser beträgt in der Regel
zwischen 140 und 200 mm und ist von dem Ausbruchsdurchmesser des Tunnels abhängig. Die
Rohrwandstärke beträgt zwischen 8 und 25 mm, die Neigung der Bohrungen zur Tunnelachse rund 4°
bis 5° und der Rohrabstand am Gewölbeumfang üblicherweise 40 bis 60 cm. Abbildung 5-57zeigt ein
Beispiel für die Anordnung der Rohre im Querschnitt.
Eine Überlappung der Rohrschirme ist aus statischen und aus sicherheitstechnischen Gründen
notwendig.
Ein Nachteil bei der Herstellung überlappender Rohrschirme ist die Erfordernis eines sogenannten
Sägezahnprofils (analog zum Injektionsschirm vgl. Abbildung 5-60) beim Ausbruch. Durch das
Sägezahnprofil kommt es zu einem Mehrausbruch an Material. Der Querschnitt weitet sich immer
mehr auf und springt beim nächsten Rohrschirm wieder ins Innere. Die so entstehenden Zwickel
müssen mit Spritzbeton verfüllt werden, damit eine gleichmäßig dicke Innenschale eingebaut werden
kann.
5.3.4.3. DSV-Schirm
Das Düsenstrahlverfahren (DSV), auch Jet Grouting bzw. früher in Österreich
Hochdruckbodenvermörtelung (HDBV) oder in Deutschland Hochdruckinjektion (HDI) genannt,
kommt im Tunnelbau zur Sicherung der Firste zum Einsatz, wenn die Standzeit des Gebirges sehr kurz
ist. Der DSV-Schirm kann entweder von der Oberfläche aus, insbesondere bei seicht liegenden
Tunneln, oder von der Ortsbrust aus vorauseilend hergestellt werden (vgl. Abbildung 5-58). Die
Tragwirkung des DSV-Schirmes ist vergleichbar mit der eines Rohrschirmes (Verfahrensbeschreibung
im Detail siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik).

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Abbildung 5-58: DSV- Säulen als Firstsicherung [Wiener Linien, 2000].

Zur Herstellung des DSV-Schirmes werden Bohrlängen bis ca. 25 m in Tunnellängsrichtung erreicht.
Die Bohrlänge hängt jedoch stark von der gewünschten Bohrgenauigkeit ab, da mit der Länge die
Abweichungen zunehmen. Es kann beim Bohren von einer Abweichung von ca. 1-2% ausgegangen
werden. Geringere Abweichungen erfordern einen höheren Aufwand. Genauere Bohrungen können
zum Beispiel durch steifere Bohrwerkzeuge und mit einem erhöhten Vermessungsaufwand erreicht
werden. In der Regel betragen die Durchmesser der einzelnen DSV-Säulen zwischen 50 und 100 cm,
in Abhängigkeit vom gewählten Verfahren und vom anstehenden Boden. Die Herstellung von
horizontalen Düsenstrahlschirmen oder nach oben verlaufenden ist äußerst schwierig, da zur
Vermeidung von Hebungen die Suspension jederzeit kontrolliert aus dem Bohrloch abfließen können
soll, aber keinesfalls zu viel Suspension aus dem Bohrloch ausfließen darf. Um diese gegensätzliche
Bedingung erfüllen zu können, müssen insbesondere in nichtbindigen Böden Zusatzmaßnahmen
(Packer etc.) ergriffen werden.

Abbildung 5-59:Tunnelquer- und Längenschnitt mit DSV-Säulen [Wiener Linien, 2008].

5.3.4.4. Injektionsschirm
Eine weitere Möglichkeit zur Stabilisierung der Ortsbrust stellen Injektionen dar. Dabei werden die
Poren im Boden mit Injektionsgut verpresst und nicht wie bei dem Düsenstrahlverfahren geschnitten
(Verfahrensbeschreibung im Detail siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik). Durch die
Verfüllung der Poren im Boden wird die Tragfähigkeit erhöht und die Durchlässigkeit geringer. Eine

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Verringerung der Durchlässigkeit kann z.B. einen Druckluftvortrieb ermöglichen. Um die Ortsbrust zu
sichern, werden die Injektionen, wie auch beim Düsenstrahlverfahren, von der Oberfläche aus oder
von der Ortsbrust aus eingebracht. Die Länge der vorauseilenden Sicherung von der Ortsbrust aus
beträgt ungefähr 10 bis 15 m und wird durch die Bohrungenauigkeit beschränkt. Ein Nachteil bei der
Herstellung eines Injektionsschirmes ist analog zum Düsenstrahlverfahren die Erfordernis eines
sogenannten Sägezahnprofils (siehe Abbildung 5-60) beim Ausbruch.

Abbildung 5-60: Längenschnitt eines Injektionsschirmes [Schikora, 2003].

Der erforderliche Abstand zwischen den Bohrungen für die Einbringung des Injektionsgutes und die
erzielbare Festigkeitserhöhung ist abhängig vom Injektionsgut und vom Baugrund. Abbildung 5-61
zeigt verschiedene Injektionsmittel und ihre Einsatzbereiche.

Abbildung 5-61: Injektionsmittel und deren Einsatzgebiete [Vogt, 2009].

5.3.4.5. Bodenvereisung
Die Bodenvereisung ist eine weitere vorauseilende Sicherungsmethode, die im
Lockergesteinstunnelbau zum Einsatz kommt. Durch einen temporären Vereisungsschirm kann
vorübergehend die Tragfähigkeit des Bodens erhöht werden und die Durchlässigkeit des Bodens wird
temporär reduziert. Diese Sicherungsmethode kann und soll daher auch im Grundwasser angewendet
werden. Die Herstellung des Vereisungsschirmes kann entweder durch Bohrungen von der
Geländeoberfläche, von der Ortsbrust oder von einem Pilotstollen aus erfolgen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-62: Gewölbevereisung. Vorstollen mit Abbildung 5-63: Herstellung der Gefrierwände von
Quergefrierung [Maidl,1984]. der Oberfläche aus [Maidl, 1984].

Der Abstand der Gefrierrohre und ihre Lagegenauigkeit beeinflussen die Größe des
Vereisungskörpers. Wenn ein durchgängiger, dichter Schirm erforderlich ist, muss besonders auf die
Lagegenauigkeit der Bohrungen geachtet werden. Der Boden muss auch bestimmte Voraussetzungen
erfüllen, damit sich ein Gefrierkörper ausbilden kann. Es muss ausreichend Porenwasser vorhanden
sein und die Strömungsgeschwindigkeit des Grundwassers muss gering sein.
Untersuchungen des Einflusses einer Grundwasserströmung auf den Gefrierprozess haben gezeigt,
dass für größere Filtergeschwindigkeiten das Frostkörperwachstum an kritischen Stellen zum Erliegen
kommt, sodass kein vollständiger Frostkörperschutz erzielt werden kann. Die tatsächliche
Grundwassersituation ist daher schon in der Planungsphase zu berücksichtigen. Abbildung 5-64 zeigt
den Frostkörperfortschritt nach 20 Tagen. Für den nicht durchströmten Fall ist zu diesem Zeitpunkt
der gesamte Gefriervorgang beendet. Erwartungsgemäß hat sich die angeströmte Seite unabhängig von
der Fließgeschwindigkeit als gefrierzeitbestimmend herausgestellt. Ab einer kritischen
Fließgeschwindigkeit des Grundwassers geht die Gefrierzeit gegen unendlich und der Frostkörper
schließt sich nicht.

Abbildung 5-64: Frostkörperfortschritt nach 20 Tagen bei unterschiedlichen


Grundwasserfließgeschwindigkeiten [Ziegler, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Um eine Vergleichmäßigung des Frostfortschritts in den durch die Strömung unterschiedlich


beanspruchten Bereichen zu erreichen, können zum Beispiel zusätzliche Gefrierrohre angeordnet
werden. Die zusätzlichen Rohre führen zu einer Vorkühlung des Grundwassers und es bildet sich ein
keilförmiger Frostkörper aus, der zu einer Ablenkung des Grundwassers führt (vgl. Abbildung 5-65).

Abbildung 5-65: Gefrierphasen am modifizierten System mit zusätzlichen Gefrierrohren im Zustrom für
f=0,75 m/d [Ziegler, 2009].

Durch die Anordnung von zusätzlichen Gefrierrohren kommt es zu einer beachtlichen


Gefrierzeitverkürzung. Es entsteht ein gleichmäßiger Fristfortschritt über den kompletten Umfang.
Ein Beispiel für einen Vortrieb mit Bodenvereisung ist die U2-Station Schottenring, die unter dem
Donaukanal verläuft. In den Bohrungen, die parallel zur Tunnelachse hergestellt wurden, wurden
Vereisungsrohre verlegt. Die bis zu 40 m langen Bohrungen wurden aus Schächten auf beiden Seiten
des Donaukanals hergestellt. In der Mitte war ein Übergriff der beiden Vereisungsschirme von 5 m
vorgesehen. Um die genaue Lage der langen Bohrungen zu ermitteln, wurden diese laufend räumlich
vermessen.
Es gibt zwei verschiedene Vereisungsverfahren, die Solevereisung und die Vereisung mit flüssigem
Stickstoff:
Bei der Solevereisung zirkuliert eine auf ca. -35° C gekühlte Solelösung (CaCl2) in einem
geschlossenen Kreislauf. Über ein Gefrieraggregat wird die Sole durch das Rohrsystem gepumpt.
Bei der Stickstoffvereisung wird flüssiger Stickstoff mit -196° C in die Vereisungslanzen
eingebracht. Der flüssige Stickstoff verdampft bei dieser Temperatur und gibt sofort seine Kälte an
den umliegenden Boden ab. Die rund -110° C kalten (ungefährlichen) Abgase entweichen in den
Boden und an die Oberfläche.
Bei der Herstellung der U2-Station Schottenring kam eine kombinierte Sole- und Stickstoff-
Baugrundvereisung zum Einsatz. Daher wurden für jedes dieser Verfahren gesondert Bohrungen
hergestellt.
Zu beachten ist, insbesondere beim städtischen Tunnelbau, dass es in feinkörnigem Boden infolge der
Eislinsenbildung (insbesondere bei der Solevereisung durch die höheren Temperaturen) zu Hebungen
an der Geländeoberfläche kommt, die nach Abtauen des Frostkörpers nur teilweise wieder
zurückgehen.
Der Vorteil der Bodenvereisung gegenüber Injektionen oder eines DSV-Schirmes ist, dass die
Bodenvereisung keine bleibende Maßnahme ist und die hydrologischen Verhältnisse im Boden nicht
nachhaltig beeinflusst werden.
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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-66: Bodenvereisung U2/1 – Station Schottenring

5.3.5. Tunnelausbau und Abdichtung


Ausbauarten
Der Ausbau eines Tunnelquerschnittes dient zur bleibenden Sicherung des aufgefahrenen Tunnels.
Eine weitere gebräuchliche Bezeichnung für den Ausbau ist „Tunnelauskleidung“. Tunnel erfordern
einen Ausbau, der sich je nach Standfestigkeit des Gebirges auf den Umfang des Ausbruchsprofils
oder nur auf einzelne Teile beschränkt. In Sonderfällen besteht auch die Möglichkeit, keine
Auskleidung einzubauen. Nichtausgebaute Tunnel aber können nur in standfestem Fels hergestellt
werden. Im standfesten Gebirge kann auch der Einbau eines Gewölbes ausreichen, während Gebirge
mit einer mittleren Festigkeit zusätzliche Widerlager benötigen. Im druckhaften Gebirge müssen
Sohlgewölbe zwischen den Widerlagern angeordnet werden. Die Abbildung 5-67 zeigt die
verschiedenen Ausbauarten, die im Tunnelbau zur Anwendung kommen. Das hinterpackte Gewölbe
wurde hauptsächlich bei den alten Bauweisen angewendet. Der ein- oder zweischalige Ausbau
kommen am häufigsten zum Einsatz.

Abbildung 5-67: Ausbauarten der Tunnel; a) hinterpacktes Gewölbe mit Widerlagern, b) einschaliger Ausbau,
c) zweischaliger Ausbau, d) nicht ausgebaut [Striegler, 1993].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Tabelle 5-2: Tunnelauskleidungssysteme

Ausbausysteme Ausbauart Funktionen


Anker, Spritzbeton und Stahlausbau
Spritzbetonauskleidung
übernehmen die Tragfunktion
Einschalige Systeme
Tübbingauskleidung übernimmt
Tübbingauskleidung
Tragfunktion
Anker, Spritzbeton und Stahlausbau
Außen: Spritzbetonauskleidung übernehmen temporär die Tragfunktion,
Innen: Ortbetonauskleidung die Innenschale übernimmt die
Zweischalige Systeme endgültige Tragfunktion
Tübbingauskleidung übernimmt die
Außen: Tübbingauskleidung
Tragfunktion, die Innenschale erhöht
Innen: Ortbetonauskleidung
die Sicherheit

Abdichtungen
Die Aufgabe einer Tunnelabdichtung ist, das Eindringen des Bergwassers in den Tunnel zu
verhindern. Folgende verschiedene Anforderungen an die Abdichtung sowie unterschiedliche
Randbedingungen beeinflussen den Abdichtungsaufwand:
 Trockenhalten des Tunnels (auch geringfügige Nässe schränkt die Nutzung ein)
 Schutz der Auskleidung vor Beschädigungen infolge Wasserwirkung
 Verhinderung von Frostbildung zufolge Wasserzutritten (der Betrieb könnte dadurch gefährdet
werden)
 Der Bergwasserhaushalt ist so gering wie möglich zu stören, um z.B. die Quellnutzung im
Einzugsgebiet zu sichern.
 Verhinderung des Wasserzutrittes, um Kosten für die Ableitung und Behandlung zu minimieren.
Abdichtungssysteme:
 Drucklose Abdichtung („Regenschirm-Abdichtung“)
Die drucklose Abdichtung wird verwendet, um Wassereintritte im Nutzraum zu vermeiden. Im alpinen
Raum ist die drucklose Abdichtung die gebräulichste Methode zur Abdichtung von
Verkehrstunnelbauten. Es handelt sich dabei um ein zweilagiges Abdichtungssystem, bestehend aus
einem Geotextil zur Ableitung von Bergwässern und einer Isolierfolie, die die Abdichtung gegen den
Hohlraum darstellt. Die anfallenden Bergwässer werden durch die Drainagewirkung des Geotextils in
die Ulmendrainage eingeleitet. Aus der Ulmendrainage werden die Bergwässer entweder direkt oder
über eine Hauptdrainage in die Vorflut eingeleitet. Abbildung 5-68 zeigt die Abfolge der einzelnen
Schichten eines zweilagigen Abdichtungssystems.

Abbildung 5-68: Zweilagiges Abdichtungssystem [Schubert, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Das Geotextil erfüllt dabei eine Doppelfunktion: auf der einen Seite dient es als Drainage und
ermöglicht eine weitgehend drucklose Ableitung des Bergwassers, auf der anderen Seite bietet das
Geotextil der Dichtungsbahn einen Schutz vor Beschädigungen durch die raue Oberfläche der
Spritzbetonschale.
Die Drainagebahn wird in der Regel mit Kunststoffrondellen mittels Nagel und Beilagscheibe an der
Spritzbetonschale angebracht. An den Rondellen wird die Abdichtungsbahn mittels
Heißluftschweißung befestigt. Die Abdichtungsbahnen weisen meist eine Stärke zwischen 1,5 und
2 mm auf. Dicken über 3 mm sind aufgrund der zunehmenden Bahnsteifigkeit im Allgemeinen nicht
zu empfehlen. Die Anzahl der Rondellen zur Befestigung der Dichtungsbahn sollte im Sohlbereich
mindestens ein Stück, im Ulmenbereich mindestens zwei Stück und im Kalottenbereich mindestens
drei Stück pro Quadratmeter betragen. Die Abdichtungsbahnen bestehen meist aus Polyvinylchlorid
(PVC), Polyäthylen (PE) oder Äthylencopolymerisat (ECB).

Abbildung 5-69: Abdichtungsfolie [ÖBB- Infrastruktur AG, 2009].

Die einzelnen Bahnen werden an den Rändern um mindestens 5 cm überlappt, um die Dichtigkeit
sicherzustellen. Die Bahnen werden anschließend mittels einer Doppelschweißnaht miteinander
verbunden. Durch die Doppelschweißung ist eine Dichtigkeitskontrolle der Schweißnähte möglich.
Dafür wird in den Kanal zwischen den beiden Schweißnähten Druckluft eingebracht. Entweicht diese
Luft, ist die Schweißnaht fehlerhaft.

Abbildung 5-70: Detail eines Abdichtungsfußpunktes mit Längssammler, Querleitung und


Tunnelhauptentwässerung [Maidl, 1984].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Ulmendrainage besteht in der Regel aus geschlitzten PVC-Rohren. Das Drainagerohr wird
entweder durch Drainagekies oder Filterbeton ummantelt. Aufgrund der Gefahr der Versinterung des
Drainagerohrs müssen in regelmäßigen Abständen Putzschächte angeordnet werden. Der
Drainagendurchmesser richtet sich nach dem prognostizierten anfallenden Bergwasser und dem
Reinigungsgerät. Eine Ulmendrainage hat einen Durchmesser von mindestens 150 mm.
 Druckwasserdichte Abdichtungssysteme
Ist eine Ableitung der Wässer aufgrund der Erhaltung des ursprünglichen Wasserhaushaltes nicht
erwünscht oder wirtschaftlich, müssen die Tunnelschalen druckwasserdicht ausgeführt werden.
Bei einem zweischaligen Ausbau kann entweder eine Auskleidung mit wasserundurchlässigem Beton
oder eine Rundumabdichtung mit Dichtungsfolien zur Anwendung kommen. Die Innenschale muss
auf den resultierenden Wasserdruck bemessen werden. Diese Art der Abdichtung ist somit nur für
oberflächennahe Tunnel geeignet, da ansonsten die auf die Innenschale wirkenden Kräfte zu groß
werden.
Bei der Anwendung von wasserundurchlässigem Beton (WU-Beton) sind die besonderen
Anforderungen an den Beton und besonders an die Fugenabdichtung zu stellen.
Rissbreitenbeschränkungen, Korrosionsgefahr der Bewehrung und eventuell Stoffe im Grundwasser,
die den Beton angreifen könnten, sind bei der Bemessung der Betonstärke und der Bewehrung zu
berücksichtigen. In allen Block- und Arbeitsfugen sind Bleche oder Fugenbänder einzubauen. Weiters
sind die unterschiedlichen Schwindverhalten von zu verschiedenen Zeiten betonierten Bauteilen, die
miteinander verbunden werden, zu beachten.
Kommen Rundumabdichtungsfolien zum Einsatz, ist darauf zu achten, dass Querabschottungen in
regelmäßigen Abständen eingebaut werden. Durch diese Querabschottungen können Fehlstellen in der
Abdichtung lokalisiert und nachträglich abgedichtet werden.

Abbildung 5-71: Fugenkonstruktionen zur Wasserabdichtung [Maidl, 1984].

Abbildung 5-72: Arten der Tunnelabdichtung [Striegler,1993].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

In der Abbildung 5-72 sind verschiedene Möglichkeiten der Tunnelabdichtung abgebildet. In den
beiden unteren Zeichnungen ist jeweils eine Rundumabdichtung zu erkennen.

Beherrschung des Bergwasserandrangs beim Tunnelvortrieb im Festgestein


Maßnahmen zur Wasserfassung:
 Punktförmige Fassungen
 Abschlauchen
 Linienförmige Fassung
 Halbschalendrainage
 Filterstreifen
 Filterschläuche
 Halbschalendrainierung
 Filterstreifen
 Filterschläuche
 Flächenhafte Fassung

Sondermaßnahmen:
 Injektionen
 Quellfassung

Innenschale
Bei den alten Bauweisen erfolgte der Ausbau vorwiegend mit Naturstein- oder Mischmauerwerk.
Später wurden Ziegelklinker, Betonformsteine, Beton und Stahlbeton verwendet.
Ortbetonausbau
Ein großer Vorteil des Ortbetonausbaus ist, dass er sich den Unebenheiten des Ausbruchsprofiles
anpasst. Dies ist für das Gewölbe und das Widerlager günstig.
Zur Betonierung werden fahrbare Schalungen aus Stahl oder Leichtmetall verwendet. Die Betonierung
erfolgt in Abschnitten oder kontinuierlich. Der flüssige Beton wird durch Fenster in den
Schalungselementen eingebracht und mit Innenrüttlern verdichtet. Ist die Betondicke gering, können
auch Außenrüttler verwendet werden.

In den folgenden Bildern wird die Herstellung der Innenschale mit WU-Beton am Beispiel des Lainzer
Tunnels, Baulos LT 31, Wien [ÖBB- Infrastruktur AG, 2009] gezeigt:

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.3.6. NÖT/NATM in verschiedenen Anwendungsbereichen


5.3.6.1. NÖT/NATM im Festgestein mittels Sprengvortrieb
In den meisten Festgesteinen ist der Sprengvortrieb einsetzbar, wenn keine allzu strengen
Erschütterungsgrenzen einzuhalten sind. Der Arbeitszyklus beim Sprengvortrieb setzt sich aus Bohren,
Laden, Sprengen, Lüften, Absichern, Schuttern und Stützmitteleinbau zusammen.
Die Sprengladung wird in Borlöcher eingebracht und zur Explosion gebracht. Im Bohrloch entwickeln
sich dadurch in kurzer Zeit extrem hohe Gasdrücke, wodurch sich dynamische Druckwellen radial im
Gebirge ausbreiten. Das Gestein um das Bohrloch versagt aufgrund des hohen Druckes, dem es nicht
mehr standhalten kann. Die Druckwellen reflektieren an freien Oberflächen, wodurch Zugspannungen,
die das Gestein ablösen, entstehen. Das Trennflächengefüge kann die Sprengung beeinflussen, da die
Druckwelle auch an den Trennflächen reflektieren kann und zusätzliche Ablösungen des Gesteins
entlang der Trennflächen entstehen können.

Abschlagstiefe, Abschlagslänge
Die Tiefe eines Abschlages hängt vor allem vom Ausbruchsquerschnitt und von den
Gebirgseigenschaften ab. Die größte Abschlagstiefe beträgt in etwa 4 m, da größere Abschlagslängen
meistens an der zu großen Verspannung des Gebirges scheitern.

Bohr- und Zündschema


Im Tunnelbau werden drei Arten von Bohrlöchern und -schüssen unterschieden:
 Einbruchsschüsse – Aufbrechen der Verspannung an der Ortsbrust
 Helferschüsse – Vergrößerung des durch den Einbruch geschaffenen Hohlraums
 Kranzschüsse – Erweiterung des Hohlraums auf das gewünschte Profil
Um ein befriedigendes Sprengergebnis zu erzielen, ist ein auf die örtlichen Verhältnisse abgestimmtes
Sprengschema erforderlich. Das Sprengschema zeigt die Aufteilung der Bohrlöcher, die Zündfolge
und die Sprengmittelmenge und -art für jedes Bohrloch (siehe z.B. Abbildung 5-73).

Abbildung 5-73: Beispiel eines Zündschemas [Petri, 2005].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Der Einbruch ist für den Sprengerfolg sehr wichtig. Er schafft zur einzig vorhandenen freien Fläche
(Ortsbrust) eine zweite freie Fläche. Auf die Optimierung des Einbruches ist besonderer Wert zulegen,
da ein „stehengebliebener“ Einbruch zur Folge hat, dass die Folgeschüsse meist ebenfalls nicht
auswerfen. Dies führt nicht nur zu einem Zeit- und Materialverlust, sondern trägt auch noch zur
Gebirgszerrüttung und zu hohen Erschütterungen bei, die unnötige Auflockerungen hervorrufen.
Besonders bei den Kranzlöchern ist auf schonendes Sprengen zu achten. Die Auswirkungen der
Sprengung sollen sich möglichst auf den Ausbruchsbereich beschränken, um unnötige
Auflockerungen zu vermeiden.
Durch die Anordnung einer künstlichen Schwächezone, in Form von in kurzen Abständen
aneinandergereihten Bohrlöchern, kann eine schonende Wirkung der Sprengladung erzielt werden. Die
Bohrlöcher werden nur mit einer geringen Sprengstoffmenge geladen, deren Energie zu niedrig ist, um
die Löcher zu zerstören, und das Gebirge zu lösen. Die Sprengung soll lediglich einen Trennspalt
zwischen den Bohrlöchern herstellen. So kann eine maßgenaue Begrenzung ohne zusätzlichen
Mehrausbruch hergestellt werden und das umliegende Gebirge wird geschont.
5.3.6.2. NÖT/NATM im druckhaften Gebirge
Druckhaftes Gebirge entsteht durch eine Kombination aus einer hohen Überlagerung (tiefliegende
Tunnel), tektonischen Spannungen und ungünstigen Gesteinseigenschaften. Es stellen sich ohne
Gegenmaßnahmen große langanhaltende Verformungen ein. Der Hohlraum tendiert dazu, sich wieder
zu schließen. Die Spritzbetonschale kann den vom Gebirgsdruck hervorgerufenen Bewegungen nur
eine gewisse Zeit entgegenwirken. Drückt das Gebirge weiter gegen die Spritzbetonschale, kann diese
dem Druck nicht mehr standhalten und versagt.
Um eine Schädigung der Spritzbetonschale zu vermeiden, werden sogenannte Kontraktionsschlitze
in die Spritzbetonschale eingebaut. Die Schale kann sich somit entlang der vorgegebenen
Schwächungszone verformen, ohne in anderen Bereichen Schaden zu nehmen. Die
Kontraktionsschlitze werden nicht zugespritzt und bei besonders druckhaftem Gebirge werden
zusätzliche Stauchelemente in die Kontraktionsschlitze eingebaut, um die Spannungen kontrolliert
abbauen zu können. Die Stoßverbindungen der Tunnelbögen werden ebenfalls beweglich ausgeführt.
Die Laschenverbindungen werden nach dem Einbau der Tunnelbögen wieder geöffnet.

Abbildung 5-74: Stauchelemente für stark druckhaftes Gebirge [www.tat-ti.ch, 2009].

5.3.6.3. NÖT/NATM unter Druckluft


Der Druckluftvortrieb ist eine Alternative zur Grundwasserabsenkung oder -entspannung. Es ist
daher keine großflächige Grundwasserhaltung notwendig und Bauwerkssetzungen zufolge der
Absenkung/Entspannung werden vermieden. Der aufzubringende Überdruck muss größer sein als der
maximale an der Ortsbrust wirkende Wasserdruck (vgl. Abbildung 5-75).
Die Druckluft wird mittels einer Kompressoranlage erzeugt. Der Personen- und Materialtransport
erfolgt über Schleusen. Die Abbildung 5-77 zeigt schematisch die Baustelleneinrichtungen die für
einen Vortrieb mit Druckluft notwendig sind. Zur Dimensionierung der Kompressorstation ist der
Druckluftverbrauch, der sich auch aus Verlusten an der Ortsbrust, durch das Schleusen und durch die
Tunnelschale ergibt, zu ermitteln. Die Verordnung über den Schutz des Lebens und der Gesundheit
der Arbeitnehmer bei Arbeiten unter Druckluft sowie bei Taucharbeiten (Druckluft- und

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Taucharbeitenverordnung) regelt die sicherheitstechnischen Aspekte beim Druckluftvortrieb sowie


auch die Schleusungszeiten in Abhängigkeit vom Luftüberdruck. Druckluftvortriebe mit mehr als
1,4 bar, das entspricht 14 m Wassersäule, sind in der Regel nicht mehr wirtschaftlich, da die
Schleusungszeiten für das Personal stark ansteigen.

Abbildung 5-75: Prinzip Druckluftstützung [Maidl, 1984].

Schutterschleuse

Materialschleuse

Personenschleuse

Abbildung 5-76: Beispiel einer Drucklufteinrichtung [Kölner Verkehrsbetriebe AG, 2009].

Abbildung 5-77: Baustelleneinrichtung bei Vortrieb mit Druckluftstützung [Wiener Linien, 2000].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Werden bei einem Druckluftvortrieb Bereiche mit stärker luftdurchlässigem Boden durchfahren,
müssen diese vorher mittels Injektionen abgedichtet werden.
5.3.6.4. NÖT/NATM im Lockergestein
Auch (nahezu) kohäsionslose Böden können nach den Grundsätzen der Neuen Österreichischen
Tunnelbauweise durchfahren werden. Stahlbögen und Stollendielen bilden in Kombination mit einer
bewehrten Spritzbetonschale ein tragfähiges Gewölbe. Dieses Außengewölbe wird auch am Ulm bis
zur Betonsohle heruntergezogen und mit dieser zu einem geschlossenen Ring verbunden. Allerdings
treten bei kohäsionslosem Material größere Setzungen auf, da Hohlräume über der Firste durch
Materialverluste unvermeidlich sind. Da sich kein Gewölbetragring ausbilden kann, wirkt hier oft die
gesamte Überlagerung als Auflast. Die Bauweise mit Stollendielen im Lockergestein ist daher im
bebauten Gebiet nicht anwendbar. Damit sich rund um den Hohlraum dennoch ein Tragring ausbilden
kann, muss das umliegende Gebirge z.B. mittels Injektions- oder DSV-Schirmen vergütet werden. Im
Ton und Schluff werden Stahlspieße zur Firstsicherung herangezogen (vgl. Kapitel 5.3.4.1).
5.3.6.5. NÖT/NATM im innerstädtischen Raum
Im besiedelten Gebiet unterliegen oberflächennahe Hohlraumbauten meist strengen
Verformungsbeschränkungen und es ist für größtmögliche Sicherheit zu sorgen. Die Setzungs- und
Verformungsbeschränkungen sollen Schäden an Gebäuden und an der Infrastruktur vermeiden. Der
Baugrund ist oft gering kohäsiv und sehr weich. Diese Randbedingungen zwingen zu einer
Mehrfachunterteilung des Ausbruchsquerschnittes. Durch die Teilung des Ausbruchsquerschnittes,
und damit eine Begrenzung des Ausbruchsvolumens, sowie durch den sofortigen Einbau von
Stützmitteln wird die Entspannung des Gebirges verringert. Durch die Verkleinerung der
Ausbruchsquerschnitte wird die Gefahr der Ortsbrustinstabilität vermindert. Bei seicht liegenden
Hohlraumbauten würde aufgrund der Ortsbrustinstabilität die Gefahr von Tagbrüchen bestehen.
Ein Bespiel für die Querschnittsunterteilung ist der Ulmenstollenvortrieb. Der Ulmenstollenvortrieb
wird näher im Kapitel 5.3.7.1 erläutert.
5.3.6.6. NÖT/NATM im Hochgebirge
Im Hochgebirge kann es insbesondere zu Frost-Taubeanspruchungen in der Tunnelstrecke kommen.
Besonders die Portalbereiche sind gefährdet, da die kalte Umgebungsluft dort in den Tunnel eindringt.
Das anstehende Gebirge ist daher auf das Verhalten bei Frost-Tauwechseln zu untersuchen.

5.3.7. Ausbruchsformen, Querschnittsformen und Sonderanwendungen der NÖT/NATM


5.3.7.1. Ausbruchsformen
Die Unterteilung des Gesamtquerschnittes in einzelne Teilvortriebe hängt unter anderem auch von
der Hohlraumform und -größe ab. Ein weiterer Faktor, der die Unterteilung beeinflusst, ist die
Organisation des Tunnelvortriebes. So ist es zum Beispiel bei guten Gebirgsverhältnissen möglich, im
Vollausbruch aufzufahren, jedoch aus Gründen des Geräteeinsatzes und der Zeiteinsparung
wirtschaftlich sinnvoller im Kalotten-Strossen-Vortrieb. Eine Tunnelbaustelle ist eine Linienbaustelle
und daher liegen praktisch alle Vorgänge an der Ortsbrust auf dem kritischen Weg und eine
Unterteilung des Profils in mehrere Einzelvorgänge ist oftmals sinnvoller. So können zum Teil
Arbeiten parallel ausgeführt werden.
Im Lockermaterial ist ein Auflösen des Querschnittes aufgrund der Ortsbruststabilität und aus
Gründen der Setzungsminimierung oftmals erforderlich.

Vollausbruch
Beim Vollausbruch wird das gesamte Profil in einem Arbeitsgang ausgebrochen. Dieses Verfahren
kommt meist nur bei Tunnelbauwerken mit Querschnittsflächen von maximal 100 m² und geeigneten
Baugrundverhältnissen zur Anwendung. Dabei können mechanische Lösemethoden und
Vollschnittmaschinen zum Einsatz kommen oder der Vortrieb erfolgt mittels Sprengen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-78: Tunnelortsbrust in Vollausbruch [www.alptransit.ch, 2010].

Die Vorteile des Vollausbruchs sind, dass der Einsatz von größeren Geräten möglich ist und es zu
einem raschen Ringschluss der Auskleidung kommt. Weiters kommt es nur zu einer einmaligen
Spannungsumlagerung im Gebirge. Ein großer Nachteil des Vollausbruchs ist die Instabilität der
Ortsbrust. Es kommt zu großen Verformungen, teilweise schon vor dem Ausbruch. Durch die langen
Zykluszeiten können die Stützmittel erst sehr spät eingebaut werden. Die langen Zykluszeiten
resultieren aus der großen Querschnittsfläche, da das Bohren, Laden, Schuttern und Sichern relativ
lange dauert. Eine ausreichende Standzeit des Gebirges ist für die Anwendung des Vollausbruches
daher eine Grundvoraussetzung. Ein weiterer Nachteil des Vollausbruches ist die geringe
Anpassungsmöglichkeit bei variierenden Gebirgsverhältnissen. Dies führt häufig zum Einsatz von
Zusatzmaßnahmen.

Teilausbruch der Querschnittsfläche


Beim Teilausbruch wird die Ortsbrust in Teilen gelöst. Die Teilung des Querschnittes in Kalotte,
Strosse, Sohle ist die gebräuchlichste Methode der Unterteilung (vgl. Abbildung 5-79). Die Kalotte
wird der Strosse und Sohle vorauseilend ausgebrochen und bei Bedarf gestützt.
Vorteile des Teilausbruches:
 Minimierung des Aufwandes für die Ortsbruststützung
 Rascher Einbau der Stützmittel aufgrund der kurzen Zykluszeiten
 Möglichkeit des parallelen Vortriebs der Teilquerschnitte
Nachteile des Teilausbruches:
 Beengte Platzverhältnisse und daher keine Möglichkeit des Einsatzes von größeren Geräten
 Neuerliche Spannungsumlagerung bei jedem Teilausbruch
 Zeitintensiv

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Kalotte

Strosse

Sohle

Abbildung 5-79: Teilausbruch, Querschnittsunterteilung Kalotte, Strosse, Sohle [Schubert, 2009].

Ulmenstollenvortrieb (side-wall-drift)
Der Ulmenstollenvortrieb kommt hauptsächlich dort zum Einsatz, wo Setzungen des Überbaues zu
minimieren sind.
Ein Nachteil dieser Querschnittsunterteilung ist die große Zahl an verloren gehenden Stützmitteln. Die
innere Wand der Ulmenstollen wird nach Fertigstellung des Kernes entfernt. Die beschränkten
Platzverhältnisse in den Ulmen und im Kern beschränken die Größe der Baugeräte.
Man unterscheidet zwischen einhüftigem und zweihüftigem Ulmenstollenvortrieb.
 Zweihüftiger Ulmenstollen
Es werden zwei symmetrische Ulmenstollen aufgefahren, wobei der eine Stollen dem anderen
vorauseilt.

Abbildung 5-80: Querschnittsunterteilung, Zweihüftiger Ulmenstollenvortrieb [ÖBB Infrastruktur Bau AG,


2008].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-81: Zweihüftiger Ulmenstollenvortrieb, Lainzertunnel LT 33.

 Einhüftiger Ulmenstollen

Abbildung 5-82: Bauphase eines einhüftigen Abbildung 5-83: Auffahren eines einhüftigen Ulmenstollens
Ulmenstollens [Wiener Linien, 2000]. [Wiener Linien, 2000].

Zwillingsröhren

Abbildung 5-84: Bauphasen bei einer Zwillingsröhre [Brandl,2006].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Beispiele für weitere Querschnittsunterteilungen


 Wiener U-Bahn

Abbildung 5-85: Ausbruchsfolgen der in NÖT hergestellten dreiröhrigen U3-Station "Westbahnhof" [Wiener Linien, 2000].

 Abzweigung Brenner

Abbildung 5-86: Abzweigung Brenner [Schubert, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.3.7.2. Querschnittsformen

Abbildung 5-87: Querschnittsformen der Tunnel: a) Kreisprofil, b) Kreisprofil mit abgeflachter Sohle
(Maulprofil), c) Hufeisenprofil, d) nordisches Profil, e) Rechteckprofil, f) Trapezprofil, g) Doppelröhrenprofil,
h) Zwillingsröhren [Striegler, 1993].

Abbildung 5-88: Querschnitt zweigleisiger Abbildung 5-89: Dreigleisiger Querschnitt mit seitlichen
Streckentunnel [Schimetta, 2007]. Pfeilerstollen [Schimetta, 2007].

5.3.7.3. Querschläge
Unter einem Querschlag versteht man einen Verbindungstunnel, z.B. zwischen zwei Tunnelröhren
oder zwischen einem Tunnel und einem Sonderbauwerk. Bei zwei parallelen Tunnelröhren (z.B. U-
Bahn) werden Querschläge als Fluchtwege genutzt. Personen können im Bedarfsfall aus der einen
Röhre über den Querschlag in die andere Röhre fliehen. Baubetrieblich können Querschläge ebenfalls
genutzt werden, indem beispielsweise das Schuttern durch den Paralleltunnel erfolgt.

Abbildung 5-90: Querschläge [www.vde8.de, 2010; www.alptransit.ch, 2010].

5.3.7.4. Engstehende Tunnel (zweiröhrige Tunnel)


Das Problem der engstehenden Tunnel ist vor allem im städtischen Tunnelbau aktuell, da es im
verbauten Gebiet beschränkte Platzverhältnisse gibt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie sich das Gewölbe bei engstehenden Tunneln ausbildet (siehe
Abbildung 5-91). Bilden sich zwei Einzelgewölbe aus, so entsteht zwischen den beiden Röhren ein
Bereich (Abbildung 5-91, Fall 1), in dem sich die Spannungen konzentrieren. Im kritischen Zustand
berührt der Spannungskreis die Bruchgerade. Bildet sich nur ein Gewölbe über beide Tunnelröhren
aus (Abbildung 5-91, Fall 2), kommt es an den äußeren Seiten der beiden Tunnelröhren zu
Spannungskonzentrationen.
Ein Einzelgewölbe kann sich nur bei ausreichender Überdeckung ausbilden, da dieses eine große
Gewölbehöhe aufweist.
Welcher Spannungszustand sich ausbildet ist abhängig von:
 den Fels- und Bodeneigenschaften,
 der Überdeckungshöhe,
 dem Abstand zwischen den beiden Tunnelröhren,
 dem Bauablauf.
Der Bauablauf spielt eine entscheidende Rolle. Bei synchronem Vortrieb der beiden Röhren bilden
sich häufig zwei Einzelgewölbe aus. Bei schlechtem Gebirge ist die Ausbildung von zwei
Einzelgewölben zu vermeiden und der Bauablauf auf einen asynchronen Vortrieb umzustellen, sodass
sich ein größeres Einzelgewölbe ausbildet. Falls dies nicht möglich ist, sollte der Bereich zwischen
den beiden Tunnelröhren, z.B. durch Injektionen bzw. mit dem Düsenstrahlverfahren, verbessert
werden.

Abbildung 5-91: Tragverhalten des Zwischenstützkörpers bei engstehenden Tunneln [adaptiert nach Brandl,
2006].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Im kritischen Bereich kommt es zu Spannungskonzentrationen, die zum Versagen des Bodens/


Gebirges führen können. Es bildet sich ein eindimensionaler Spannungszustand zwischen den beiden
Tunnelröhren aus. Um ein Versagen des Bodens in diesem Bereich zu verhindern, können folgende
Maßnahmen ergriffen werden:
 Injektionen
 DSV
 Ersatz des Bodens durch Beton
 Gegenseitiges Verspannen der beiden Tunnelröhren mit Ankern
Das Problem engstehender Tunnel entsteht auch beim Übergang von einem zweiröhrigen Tunnel zu
einem einröhrigen Tunnel. Abbildung 5-93 zeigt die verschiedenen Querschnitte im
Übergangsbereich.
Bei abnehmendem Pfeilerverhältnis p/D steigen die Setzungsdifferenzen an der Oberfläche durch die
Überlagerung der Setzungsmulden deutlich an. Der Grund dafür ist in erster Linie die höhere
vertikale Spannung im Pfeiler, infolge der zusätzlichen Krafteinleitung, die aus der Gewölbewirkung
über der Firste des zweiten Tunnels entsteht (vgl. Abbildung 5-91, Fall 1). Weiters führt der synchrone
Vortrieb zu größeren Setzungen als der versetzt synchrone Vortrieb. Beim versetzt synchronen
Vortrieb nimmt die schon vorhandene Spritzbetonschale des ersten Vortriebes Kräfte aus der
Gewölbewirkung auf und der Boden wird daher weniger belastet.

Abbildung 5-92: Überlagerung der Setzungsmulden [Vogt, 2009].

5.3.7.5. Aufweitungen (Trompeten)


Bei zusammenlaufenden Tunnelröhren treten Spannungskonzentrationen im Aufweitungsbereich
zwischen den beiden Röhren auf. Diese würden zum Versagen des Bodens führen und daher wird im
Übergangsbereich der Boden zwischen den beiden Tunnelröhren meist durch Beton ersetzt, der die
Druckspannungen aufnehmen kann.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-93: Übergang von einem zweiröhrigen Tunnel zu einem einröhrigen Tunnel [Brandl, 2006].

5.3.7.6. Sanierung von alten Eisenbahntunneln


Die meisten Eisenbahntunnelbauwerke wurden Ende des 19. Jahrhunderts gebaut und sind
mittlerweile sanierungsbedürftig. Es gibt mehrere Möglichkeiten zur Sanierung alter Eisenbahntunnel:
 Neuverfugen von Mauerwerk
Durch brüchigen Mörtel in den Fugen ist der Schubverbund zwischen den einzelnen Mauersteinen
nicht mehr gewährleistet. Der brüchige Mörtel muss aus den Fugen geräumt werden und
anschließend satt mit Spritzbeton verfüllt werden. Durch den Spritzbeton wird der Schubverbund
im Gewölbe wieder hergestellt.
 Einbau einer Spritzbetonschale
Vor dem Aufbringen des Spritzbetons muss die Auflagefläche gesäubert werden und etwaige
Schadstellen im Mauerwerk ausgebessert werden. Anschließend wird eine mindestens 5 cm dicke
unbewehrte oder eine mindestens 7,5 cm dicke bewehrte Spritzbetonschicht aufgespritzt.
 Einbau von Drainagen
Beim Einbau einer Spritzbetonschale muss vorauseilend eine Drainage eingebaut werden. Dies ist
notwendig, damit sich kein Wasserdruck hinter der Spritzbetonschale aufbauen kann. Für den
Einbau der Drainage werden rippenförmige Schlitze in das Mauerwerk eingeschnitten und in
diesen Schlitzen wird die Drainage verlegt. Anschließend wird die Spritzbetonschicht aufgebracht.
Alternativ können Filtervliese zwischen Mauerwerk und Spritzbetonschicht verlegt werden, die das
Wasser in ihrer Ebene abführen.
 Injektionen
Durch Injektionen zwischen Tunnelmauerwerk und dem anstehenden Gebirge können Hohlräume
verfüllt werden. Somit wird ein kraftschlüssiger Verbund zwischen Gebirge und Mauerwerk
hergestellt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.3.7.7. Auffahren sehr großer Felshohlräume (Kavernen)


Rib-in-Roc-Methode
Hierbei werden vor dem Ausbruch des Hohlraumes Schächte bzw. Stollen in Form vertikaler Ringe in
einem gewissen Abstand um die spätere Kaverne herum ausgebrochen. Von hier aus wird eine
systematische Felsankerung in Richtung des zukünftigen Hohlraumes versetzt. Die Schächte selbst
werden bewehrt und ausbetoniert. Auf diese Weise entsteht vor dem Hauptausbruch ein
Verbundtragwerk aus bewehrten Betonrippen und geankertem Fels.

Abbildung 5-94: Isometrische Ansicht des Rib-in-Roc Systems [Brandl, 2006].

Methode mit ringförmigen Stollen

Abbildung 5-95: Anordnung bei einem großen Hohlraum mit ringförmigen Stollen für Spannglieder und einem
perimetrischen Stollen [Brandl, 2006].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Ringschlitz-Methode

Abbildung 5-96: Ausbruchschema nach dem Ringschlitzverfahren im unteren Kuppelbereich [Brandl, 2006].

Ein Ringschlitz wird spiralförmig ansteigend ausgebrochen und die Sicherung einschließlich des
bewehrten Betons der Innenschale wird sofort eingebaut (Kaverne). Die Kalotte wird hingegen mit
radial zum Scheitel führenden Einzelstollen aufgefahren.

Spiralstollen-Methode
Zur Lösung dieser Aufgabe wird vorgeschlagen, einen Stollen spiralförmig an der Peripherie des
zukünftigen Hohlraums von einem Zugangsstollen aus hochzuführen. Als Beispiel zu diesem
Ausbruchsverfahren ist eine kreisförmige Kaverne mit 65 m Durchmesser und 70 m Höhe in
Abbildung 5-97 und Abbildung 5-98 dargestellt. Zwei Bauzustände sind aufgezeigt.

Kavernenabmessungen: Spiralstollenabmessungen:
Kavernendurchmesser 65 m Querschnitt 25 m²
Kavernenhöhe 70 m Länge 1300 m
Gesamtausbruch 200.000 m³ Steigerung 4,8-5,5 %
Schutterschacht 20 m²

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-97: Auffahren des Spiralstollens zur Abbildung 5-98: Betriebsweise beim Kernausbruch
Erschließung und Sicherung [Brandl, 2006]. [Brandl, 2006].

Diese Bauweise mittels Spiralstollen erfüllt folgende Aufgaben:


 Die Peripherie des Hohlraums wird systematisch für geologische Untersuchungen und
felsmechanische Messungen erschlossen. Diese Messung können während des Auffahrens des
Spiralstollens und während des Ausbruches des Kerns fortgeführt und die Veränderung der
Messwerte beobachtet werden.
 Die nach Auswertung der Aufschlüsse und Messungen erforderlichen Sicherungsarbeiten können
vor Ausbruch des Kerns durchgeführt werden.
 Störungen im Gebirge können von diesem Spiralstollen aus frühzeitig erkannt, sorgfältig saniert
und beobachtet werden, ohne den Ausbruchsbetrieb zu stören oder ihn einstellen zu müssen.
 Das spiralförmige Sicherungsband bleibt bis zum Kernausbruch auf die jeweilige Ausbruchssohle
zugänglich. Nachträglich notwendige Verstärkungen, wie etwa zusätzliche Anker, können mühelos
und ohne Störung des übrigen Betriebs eingebaut werden.
 Die Sekundärspannungen werden sukzessiv in dem gesamten Baukörper geweckt. Sie werden mit
dem fortschreitenden Ausbruch des Spiralstollens kontinuierlich, jedoch wegen der zwischen den
einzelnen Gängen verbleibenden Felsbank nicht in voller Höhe, erzeugt. Die Sicherung kann aber
im vollen erwarteten Umfang, dem Vortrieb des Spiralstollens folgend, eingebaut werden. Eine
Teilvorspannung der Felsanker ist in dieser Bauphase möglich.
 Bei einem von oben dem Spiralsollen folgenden Abbau des Kerns kann die noch vorhandene
Verbindung des Kerns mit dem umgebenden Gebirge durch Bohrungen reduziert werden. Er ist
damit fast vollständig abgelöst und kann ohne störende Einwirkung auf Gebirge und Sicherung
abgetragen werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.4. Richtlinien
5.4.1. ÖGG Richtlinie für die geotechnische Planung von Untertagebauten mit zyklischem
Vortrieb
Ziel der geotechnischen Planung ist die wirtschaftliche Optimierung der bautechnischen Maßnahmen
unter Berücksichtigung der jeweils vor Ort anstehenden Gebirgsverhältnisse bei Gewährleistung der
Sicherheit, der Umwelterfordernisse und der Langzeitstabilität.
Die Richtlinie der Österreichischen Gesellschaft für Geomechanik (ÖGG) gibt ein klar strukturiertes
geotechnisches Dimensionierungskonzept mit der bestmöglichen Anpassung der Baumaßnahmen an
die jeweiligen Verhältnisse des Untergrundes vor Ort.
Die geotechnische Planung setzt sich aus zwei Phasen zusammen:
Phase 1: Planung
Die Phase 1 umfasst die Bestimmung der Gebirgsarten und des Gebirgsverhaltens, die Wahl eines
tunnelbautechnischen Konzeptes, die Abschätzung des Systemverhaltens und die Erstellung eines
tunnelbautechnischen Rahmenplanes.
Phase 2: Bauausführung
Die geotechnisch relevanten Gebirgsparameter zur Bestimmung der aktuellen Gebirgsart werden
während des Baues erfasst und ausgewertet. Auf Basis dieser Auswertung wird unter
Berücksichtigung der Einflussfaktoren das aktuelle Systemverhalten im Ausbruchsbereich
abgeschätzt. Unter Beachtung des tunnelbautechnischen Rahmenplans werden die bautechnischen
Maßnahmen für das prognostizierte Systemverhalten festgelegt.
Definitionen aus der ÖGG Richtlinie:
 Gebirgsart (GA): Gebirge mit gleichartigen Eigenschaften
 Gebirgsverhalten (GV): Reaktion des Gebirges auf den Ausbruch ohne Berücksichtigung von
Stützung oder Querschnittsunterteilung
 Gebirgsverhaltenstyp (GVT): Übergeordnete Kategorien von ähnlichen Gebirgsverhalten in
Bezug auf Verformungscharakteristika und Versagensmechanismen
 Systemverhalten (SV): Verhalten des Systems aus Gebirge und gewählten Baumaßnahmen,
unterteilt in:
 Systemverhalten im jeweiligen Ausbruchsbereich
 Systemverhalten im gesicherten Bereich
 Systemverhalten im Endzustand

Abbildung 5-99: Unterteilung der Bereiche für das Systemverhalten [ÖGG-Richtlinie, 2008].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.4.1.1. Phase 1 – Planung


Die Abbildung 5-100 zeigt ein Flussdiagramm, welches den grundsätzlichen Ablauf der
geotechnischen Planung von der Bestimmung der Gebirgsart bis hin zur Erstellung des
Tunnelbautechnischen Rahmenplans zeigt.

Abbildung 5-100: Schematischer Ablauf der geotechnischen Planung (Phase 1) [ÖGG- Richtlinie, 2008].

Der Ablauf gliedert sich in die folgenden Schritte:

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

1. Schritt – Bestimmung der Gebirgsarten (GA)


Unter Gebirgsart versteht man ein geotechnisch relevantes Gebirgsvolumen, bestehend aus Matrix,
Trennflächen und tektonischer Struktur (Gebirge), welches gleichartig ist in Bezug auf folgende
Eigenschaften:
 im Festgestein: mechanische Eigenschaften (Gestein – Gebirge), Trennflächencharakteristika und -
eigenschaften, Gesteinsart, Gesteins- und Gebirgszustand, hydraulische Eigenschaften
 im Lockergestein: mechanische Eigenschaften, Parameter des Korngemisches, Parameter der
Bodenkomponenten, Parameter der Matrix, Lagerungsdichte, Bodenwasser, hydraulische
Eigenschaften
Nach der Bestimmung der Gebirgsarten sind diese den einzelnen Bereichen des Untertagebauwerkes
zuzuordnen.
2. Schritt – Bestimmung des Gebirgsverhaltens (GV)
Das Gebirgsverhalten beschreibt die Reaktion des Gebirges auf den Ausbruch des
Gesamtquerschnittes. Es wird ein unendlich langer, ungestützter Hohlraum ohne
Querschnittsunterteilungen und ohne Stützmittel betrachtet.
Folgende Einflussfaktoren werden für die Bestimmung des Gebirgsverhaltens (GV) berücksichtigt:
 Gebirgsart
 Primärspannungszustand
 Form, Lage und Länge des Hohlraumes
 Lage des Hohlraumes zur Oberfläche
 Orientierung des Trennflächengefüges zum Hohlraum
 Schichtgrenzen von Gebirgsarten
 Bergwasser, hydrostatischer Druck, Strömungsdruck

Folgende Untersuchungen werden zur Bestimmung des Gebirgsverhaltenstypen herangezogen:


 Kinematische Untersuchungen um gefügebedingte Nachbrüche zu erfassen
 Analytische oder numerische Berechnungen, um die Gebirgsbeanspruchung zu ermitteln. Die
Gebirgsbeanspruchung beschreibt das Verhältnis zwischen dem vorherrschenden räumlichen
Spannungszustand und den Verformungs- und Festigkeitseigenschaften des Gebirges
 Untersuchung von Bruchmechanismen und qualitative Beschreibung
Die Abbildung 5-101 zeigt die 11 verschiedenen Gebirgsverhaltenstypen (GVT) nach der ÖGG
Richtlinie. In einem Querschnitt können auch mehrere GVT auftreten.
Für jeden GVT sind folgende Mindestangaben erforderlich:
 Gebirgsart(en)
 Orientierung der Trennflächen zum Hohlraum
 Beanspruchung des Hohlraumrandes
 Bergwasserverhältnisse: Abgrenzung von Mengen und Druck unter denen der GVT gültig ist
 Skizze der zu erwartenden Gebirgsstruktur
 Gebirgsverhalten (GV)
 Größenordnung der Verschiebungen des ungestützten Hohlraumrandes und Angabe der
Hauptverschiebungsrichtung und Unterscheidung, ob es sich um rasch abklingende, oder lang
anhaltende Verschiebungen handelt.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 5-101: Übergeordnete Kategorien von Gebirgsverhaltenstypen [ÖGG- Richtlinie, 2008].

3. Schritt – Wahl eines Tunnelbautechnischen Konzeptes


Das Tunnelbautechnische Konzept basiert auf der Bestimmung der Gebirgsart und des
Gebirgsverhaltens. Es beinhaltet folgendes:
 Baugrundverbessernde Maßnahmen
 Grundwasserabsenkung, Drainagemaßnahmen
 Lösemethode
 Querschnittsunterteilungen (Kalotte, Strosse, Sohle) und Teilflächen (Unterteilung der Kalotte in
Teilflächen)
 Vorauseilende Sicherungsmaßnahmen
 Ausbaukonzept (welche Sicherungsmaßnahmen werden benötigt)
 Mögliche Abschlagslängen

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

4. Schritt – Abschätzung des Systemverhaltens (SV) im Ausbruchsbereich


Basierend auf dem Tunnelbautechnischen Konzept wird das Systemverhalten im Ausbruchsbereich
abgeschätzt. Die Faktoren, die das SV beeinflussen, sind:
 Gebirgsverhalten
 Form, Größe und Unterteilung des Ausbruchsquerschnittes
 Abschlagslänge
 Lösemethode
 räumliche Spannungszustand
 Bergwasser
 räumliche Entwicklung des Bauablaufes (Sohlschlussdistanz, möglicherweise temporärer
Ringschluss)
 Stützmittel, wenn diese das Verhalten im Ausbruchsbereich beeinflussen
5. Schritt – Detailfestlegung der bautechnischen Maßnahmen und Ermittlung des
Systemverhaltens im gesicherten Bereich
Die vorangegangene Abschätzung des Systemverhaltens im Ausbruchsbereich dient als Basis für die
Festlegung der bautechnischen Maßnahmen im Detail. Das Systemverhalten wird nach der Festlegung
der bautechnischen Maßnahmen untersucht und den Anforderungen gegenübergestellt. Der Bauablauf
und die Baumaßnahmen sind so lange zu variieren und das jeweilige Systemverhalten zu ermitteln, bis
eine sichere und wirtschaftliche Vorgangsweise gefunden ist.
6. Schritt – Erstellung des Tunnelbautechnischen Rahmenplanes
Die Schritte eins bis fünf der geotechnischen Planung dienen als Basis zur Abgrenzung von
bautechnisch gleichartigen Vortriebsbereichen. Die Angaben für Ausbruch und Stützung sind im
bautechnischen Rahmenplan anzugeben. Weiters sind die Grenzen und Kriterien der möglichen
Anpassung der bautechnischen Maßnahmen vor Ort für jeden Bereich zu definieren.
Der Tunnelbautechnische Rahmenplan soll folgende Angaben enthalten:
 Geologisches Modell mit Verteilung der erwarteten Gebirgsarten im Längsschnitt
 Darstellung des erwarteten Systemverhaltens im Ausbruchsbereich für die jeweiligen Gebirgsarten
und Einflussfaktoren
 Vorgaben für die Festlegung der Baumaßnahmen vor Ort, bezogen auf das Systemverhalten im
Ausbruchsbereich
 Kriterien für die Zuordnung der bautechnischen Maßnahmen
 Vorgaben für Ausbruch und Stützung (z.B. Abschlagslängen, Abbaufolgen, Übermaß,
Vortriebsgeschwindigkeiten, Sohlschlussbedingungen, Stütz- und Sicherungsmaßnahmen etc.)
 Anwendungskriterien für die bautechnischen Maßnahmen
 Angabe jener Maßnahmen, die vor Ort festzulegen sind (z.B. vorauseilende Stützmaßnahmen,
Ortsbruststützung, Entwässerungsmaßnahmen etc.)
 Angaben zum erwarteten Systemverhalten in den gesicherten Bereichen (Verformungsverhalten,
Auslastungsgrad der Stützmittel etc.)
 Warnkriterien und Alarmwerte sowie Angabe der durchzuführenden Maßnahmen entsprechend
dem geotechnischen Sicherheitsmanagementplan
7. Schritt – Ermittlung der Vortriebsklassen
Der letzte Planungsschritt ist die Ermittlung der Vortriebsklassen nach ÖNORM B2203-1. Die
Vortriebsklassen dienen der Erstellung der Vergütungsregelungen in den Ausschreibungsunterlagen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.4.1.2. Phase 2 – Bauausführung


Die tatsächlichen Gebirgsverhältnisse sind vor Baubeginn nicht vollständig bekannt. Daher müssen die
bautechnischen Maßnahmen während des Baues an die tatsächlichen Gebirgsverhältnisse angepasst
werden. Die Abbildung 5-102 zeigt schematisch den Ablauf der Festlegung und Überprüfung der
Baumaßnahmen.
a) Bestimmung der aktuellen Gebirgsart und Prognose der Gebirgsverhältnisse
b) Abschätzung des Systemverhaltens im Ausbruchsbereich
c) Festlegung von Ausbruch und Stützung, Prognose des Systemverhaltens im gesicherten
Bereich
d) Überprüfung des Systemverhaltens

Abbildung 5-102: Grundsätzlicher Ablauf der Festlegung und Überprüfung von Baumaßnahmen während der
Ausführung (SVp= prognostiziertes Systemverhalten, SVb=beobachtetes Systemverhalten) [ÖGG- Richtlinie,
2008].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

5.4.2. ÖNORM B 2203-1


Die ÖNORM B 2203-1 enthält Verfahrens- und Vertragsbestimmungen für die Ausführung von
Untertagebauarbeiten im zyklischen Vortrieb.
Einteilung in Vortriebsklassen
Bei den Ausbruchsarbeiten sind technisch erforderliche Lösemethoden (z.B. Sprengen, mechanisches
Lösen), Unterteilung der Teilquerschnitte und Längsentwicklung des Vortriebsablaufes anzugeben.
Der Vortrieb ist unter Beachtung der geotechnischen Planung in Vortriebsklassen zu unterteilen. Die
Einteilung der Vortriebsklassen, die zweckmäßigerweise in einer Matrix dargestellt werden, ist
folgendermaßen vorzunehmen:
 Der Ausbruch der Kalotte, der Strosse oder des Querschnittes von Kalotte mit Strosse wird nach
dem Abschlagslängenbereich unterteilt. Daraus ergibt sich die erste Ordnungszahl.
 Der Ausbruch der Sohle wird nach dem Öffnungslängenbereich unterteilt.
 Die Stütz- und Zusatzmaßnahmen der Kalotte, der Strosse oder des Querschnittes von Kalotte mit
Strosse werden bewertet und die Stützmittelzahl als zweite Ordnungszahl errechnet. Die Größe
des Gültigkeitsbereiches der zweiten Ordnungszahl ist in den Grenzen festzulegen.
 Bei der Sohle bestimmt die Ausbauart die zweite Ordnungszahl.

Abbildung 5-103: Vortriebsklassenmatrix für den Vortrieb der Kalotte, der Strosse oder der Kalotte mit Strosse
[ÖNORM B 2203-1, 2001].

Abbildung 5-104: Gültigkeitsbereich der zweiten Ordnungszahl [ÖNORM B 2203-1, 2001].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

6. MASCHINELLER VORTRIEB (KONTINUIERLICHER VORTRIEB)


Der maschinelle Tunnelvortrieb hat, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, eine
rasante und in vielen Ländern zeitgleich stattgefundene technische Entwicklung durchlaufen. Unter
Einbeziehung des Wissenstands vom konventionellen Tunnelbau und den grabenlosen Technologien
ist der maschinelle Tunnelbau im Wesentlichen von Bauausführenden, Maschinenherstellern und
Tunnelplanern anhand ihrer Praxiserfahrungen ständig verbessert worden.
Als Konsequenz dieser Entwicklung besteht heute jedoch im deutschsprachigen Raum eine gewisse
Vielfalt an Bezeichnungen für die Maschinentypen, die durch die international üblichen englischen
Bezeichnungen noch zusätzlich vergrößert wird. Aus diesem Grund sollte daher versucht werden, die
prinzipielle Funktionsweise der verschiedenen Maschinentypen zu verstehen und sich nicht auf die
z.T. irreführenden Bezeichnungen zu verlassen.
6.1. Systematik der Tunnelvortriebsmaschinen
Tunnelvortriebsmaschinen (TVM) werden grundsätzlich in Tunnelbohrmaschinen (TBM) und
Schildmaschinen (SM) unterschieden.
Es gibt geschildete Tunnelbohrmaschinen und solche ohne Schild, welche im Prinzip bei einem
klassischen NATM-Vortrieb eingesetzt werden.
Bei den Schildmaschinen wird in Vollschnitt- und Teilschnittmaschinen unterschieden, wobei es in
jeder dieser Kategorie Maschinentypen mit und ohne Ortsbruststützung gibt.
Eine übersichtliche Darstellung der verschiedenen Maschinentypen gibt die Abbildung 6-1.

Abbildung 6-1: Systematik der Tunnelvortriebsmaschinen [ÖVBB-Richtline Schildvortrieb, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Darauf aufbauend soll folgende Übersicht die systematische Einteilung der Tunnelvortriebsmaschinen
erläutern. Die Tabelle ist im ÖVBB-Arbeitsausschuss zur Erstellung der Richtlinie Schildvortrieb
entstanden und in etwas abgeänderter Form auch im Anhang der Richtlinie enthalten.
Schildmaschinentypen, welche gegenwärtig in der Praxis kaum Verwendung finden, sind in der
Auflistung nicht enthalten.
Tabelle 6-1: Tunnelvortriebsmaschinen – Systeme [ÖVBB-Richtline Schildvortrieb, 2009 – adaptiert]

Kurz-
Sicherung Beschreibung, beispielhafte
Maschinen- bezeichnung Einsatzbereich
des Arbeits- TVM Systeme Abbau Darstellung
typ gemäß RVS (Baugrund)
bereichs
09.01.31

nicht Gegenstand der Richtlinie


Schild (wird auch dem zyklischen
Vortrieb zugerechnet)
Teilschnittmaschine / Festgestein mit
teil-
Boom-type tunneling --- mittlerer bis hoher
flächig
machine Standzeit

nicht Gegenstand der


Art des Abbaus

Richtlinie Schild
Keine
TBM

Festgestein mit
Gripper TBM / voll-
TBM-O geringer
Main-beam TBM flächig
Nachbrüchigkeit

nicht Gegenstand der


Richtlinie Schild
teil- mit Pilotstollen im
Aufweitungs-TBM /
auf Festgestein mit
Tunnel reaming TBM-A
voll- geringer
machine
flächig Nachbrüchigkeit

(Hauben-) Schild mit Teilschnitt-


teil-
SM-T1 Löseeinrichtung (Bagger, Fräse,
flächig
etc.)
Schild mit Lockergestein,
Schneidrad. standfest bis
longitudinal: Mechanische nachbrüchig, kein
TBM mit voll- Grundwasserdruck
SM-V1 Stützung der
flächig
(mit atmosphärischen Druckverhältnissen)

Einfachschild / Ortsbrust im
Single shield Stillstand
möglich.
Ableitung der Vorschubkräfte

Schild mit Bohrkopf. Mechanische


Festgestein,
voll- Stützung der Ortsbrust im
TBM-S standfest bis
offene Schilde

Tunnellaibung

flächig Stillstand möglich.


nachbrüchig

Bohrkopf mit Front- und


Gripperschild; Vortriebskräfte
werden im DS-Modus über Gripper
auf das Gebirge, im S-Modus auf
den Fertigteilausbau übertragen;
im DS-Modus kann der
radial bzw. Tübbingausbau kontinuierlich Festgestein,
longitudinalTBM mit voll- erfolgen oder auch entfallen.
TBM-DS standfest bis
Doppelschild / flächig
nachbrüchig
Double shield

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Kurz-
Sicherung Beschreibung, beispielhafte
Maschinen- bezeichnung Einsatzbereich
des Arbeits- TVM Systeme Abbau Darstellung
typ gemäß RVS (Baugrund)
bereichs
09.01.31

wie SM-T1, jedoch mit


Tunnellaibung und Ortsbrust

Ortsbruststützung durch
Stützung der Ortsbrust
(mit atmosphärischen

horizontale Zwischenbühnen
Druckverhältnissen)

(aktive Stützung)

und/oder segmentweises
offene Schilde

Andrücken von Brustplatten Lockergestein, mit


mechanisch /
geringer
mechanical teil-
SM-T2 Standfestigkeit,
(Haubenschild, flächig
wenig oder keinem
Stützplatten, Erdkeil)
Wasserzutritt

wie SM-T1,
jedoch mit Druckwand;
Schildschwanzdichtung

teil- SM-T3 Festgestein und


mit Druckluft flächig kohäsives
beaufschlagt / Lockergestein
geschlossene Schilde(Druckverhältnisse entsprechenddem Grund- oder Bergwasserdruck)

compressed air geringer


(lediglich Durchlässigkeit
Verdrängung des bzw. eine
anstehenden undurchlässige
Wassers) Ortsbruststützung nur durch Schicht in der
zusätzliche mechanische Überdeckung
voll-
SM-V3 Einrichtungen; Druckwand
flächig
erforderlich;
Schildschwanzdichtung.
Tunnellaibung und Ortsbrust(aktive Stützung)

Stützdruckregelung mittels Grob- bis


Luftblase (Tauchwand); in der feinkörniges
Stützung der Ortsbrust

Regel Steinbrecher und Rechen Lockergestein,


mit Suspension / voll- vorhanden; geringe bis hohe
SM-V4
slurry flächig Schildschwanzdichtung; Durchlässigkeit,
geschlossener Spül- bzw. auch mit
Förderkreislauf mit Festgesteins-
Separationsanlage abschnitten

Grob- bis
feinkörniges
Stützdruckregelung über Lockergestein,
Penetration und Drehzahl der wenn es in der
mit Erddruck / Förderschnecke bei gefüllter Abbaukammer zu
voll-
earth pressure SM-V5 Abbaukammer; einer weichen bis
flächig
balance Schildschwanzdichtung; steif-plastischen
Förderschnecke Masse verarbeitet
werden kann. Auch
mit Festgesteins-
abschnitten.
Kombination
unter-
schiedlicher
Abschnittsweise
Betriebsmodi
unterschiedliche
voll- erfordert
veränderbar / mixed SM-V-M Böden, von
flächig zumeist
Lockergestein bis
teilweisen
hin zum Festgestein
Umbau der
TVM; Schildschwanzdichtung

6.1.1. Nicht druckhaltende Schildmaschinen („offene“ Schilde)


Als offene Schilde werden Vortriebsmaschinen bezeichnet, die kein geschlossenes System zum
Druckausgleich an der Ortsbrust besitzen. Das heißt, es ist keine Abbaukammer definiert. TBM mit

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Schild werden bei brüchigen Felsformationen oder weichem Gestein eingesetzt. Sie weisen ein sehr
großes Einsatzspektrum im Festgestein auf.
6.1.1.1. Geschildete Teilschnittmaschinen
Die besondere Flexibilität der Schilde mit Teilflächenabbau wird anhand der Möglichkeit des
schnellen Wechsels der Abbautechnik sichtbar. Auf einem Basisgerät können verschiedene
Abbauwerkzeuge installiert werden, der Wechsel ist mit nur geringem Aufwand verbunden und kann
in kürzester Zeit realisiert werden.
Teilschnittmaschinen können aufgrund ihrer offenen Bauweise an der Ortsbrust keinen Stützdruck
über ein Stützmedium aufbauen. Daher werden verschiedene andere Verfahren angewendet, um eine
Stützung der anstehenden Geologie zu erreichen. Eine Möglichkeit ist der Einsatz eines
Haubenschildes, bei dem die Firste des Schildmantels verlängert (nach vorne auskragend) ist. Dabei
wird die Schildschneide an den Reibungswinkel des Bodens angepasst, um einen permanenten
Kontakt zur Ortsbrust zu realisieren. Dadurch kann kein Boden von oben nachbrechen und
übermäßige Setzungen werden vermieden. Als weitere Maßnahme kann über eine oder mehrere
Querbühnen der Schuttwinkel zusätzlich verkürzt werden.

Abbildung 6-2: Ortsbruststützung mittels waagrechter Brustlamellen im rolligen Boden [Széchy, 1961].

Steine oder Blöcke im Untergrund sind für ein Haubenschild oftmals problematisch, da diese –
insbesondere bei Lage in der Firste oder in den Ulmen – ein Hindernis für die Schildschneide
darstellen können.
Bei offenen Teilschnittmaschinen können zudem ausfahrbare Verbauplatten installiert werden, die bei
Bedarf als weitere Sicherheitsmaßnahme hydraulisch gegen die Ortsbrust gedrückt werden.

Abbildung 6-3: Mechanische Ortsbruststützung bei einer Teilschnittmaschine [www.herrenknecht.de, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Bei Messerschilden wird der Schildmantel in einzelne „Messer“ aufgelöst, welche sich – ähnlich dem
Haubenschild – dem Vortrieb voreilend in den Untergrund drücken.

Abbildung 6-4: Schemaschnitt durch ein Messerschild [Brandl, 2006].

In gering wasserführenden Böden wird üblicherweise eine vortriebsbegleitende, offene


Wasserhaltung installiert. Eine Grundwasserabsenkung, wie beispielsweise beim Tunnelbau in offener
Bauweise (siehe Kapitel 7), ist ebenfalls denkbar. Ist dies nicht möglich oder nicht gewünscht, so
können bei Vortrieb unter Grundwasser die Teilschnittmaschine und ein Teil des Tunnels über ein
Schleusensystem mit Druckluft beaufschlagt werden (siehe Kapitel 6.1.1.6).
6.1.1.2. Aufweitungstunnelbohrmaschinen (Aufweitungs-TBM)
Bei großen Querschnitten besteht die Möglichkeit, eine Pilot-Gripper-TBM mit einer Aufweitungs-
TBM zu kombinieren. Beide Maschinentypen können entweder getrennt voneinander oder
miteinander verbunden arbeiten.
Zunächst wird über die gesamte Tunnellänge ein Pilotstollen kleineren Durchmessers aufgefahren.
Danach wird die Aufweitungsmaschine eingesetzt, die sich mit einem vorlaufenden Grippersystem in
den Pilotstollen abstützt.
Das Nachläufersystem, mit den Versorgungs- und Antriebsaggregaten, wird an die
Erweiterungsbohrmaschine angehängt. Damit steht unmittelbar hinter dem Bohrkopf mit dem
Enddurchmesser der gesamte Querschnitt für Abdichtungs- und Ausbauarbeiten zur Verfügung.

Abbildung 6-5: Aufweitungs-TBM, Schemaschnitt durch eine zweistufige Erweiterungsbohrmaschine Fa. Wirth [Maidl,
1984].

Die Aufweitungs-TBM ergänzt in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht den Einsatzbereich der
Vollschnittmaschinen. Sie eignet sich besonders in Gebirgsverhältnissen, in denen durch
Sondierstollen besondere Risikofaktoren erfasst werden sollen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

6.1.1.3. Einfachschildmaschinen (Einfachschild-TBM)


Die Einfachschild-TBM gehört zum Maschinentyp der mit einem offenem Schild und Bohrkopf bzw.
Schneidrad ausgestattet ist. Im Schutz des Schildes wird der Tunnel weitgehend automatisiert
aufgefahren und ausgebaut. Im Lockergestein wird häufig ein weitgehend geschlossenes Schneidrad
eingesetzt, da von einer gewissen Stützwirkung des Schneidrads ausgegangen wird.

1 Schild(mantel), 2 Vortriebspressen, 3 Tübbingauskleidung, 4 Bohrkopf, 5 Räumer, 6 Förderband

Abbildung 6-6: Schemadarstellung einer Einfachschild TBM [www.herrenknecht.de, 2009].

Um sich vorzubohren, stützt sich die Einfachschild-TBM mittels hydraulischer Vortriebspressen am


zuletzt eingebauten Tübbingring ab. Der Bohrkopf ist im Festgestein mit Disken bestückt, die an der
Ortsbrust abrollen und diese einkerben. Die Räumer, die sich etwas hinter den Disken zurückgesetzt
befinden, führen den abgebauten Fels hinter das Schneidrad. Über Fördereinrichtungen wird das
abgebaute Material dann über Tage transportiert.
Das benötigte Antriebsdrehmoment des Bohrkopfes kann bei Einfachschild-TBM am genauesten von
allen Vollschnittvortriebsmaschinen berechnet werden. Das Moment richtet sich nach dem Grad der
Penetration der Disken und ihrem Anpressdruck.
6.1.1.4. Gripper-TBM
Für das Funktionsprinzip einer Gripper-TBM sind vor allem das Bohrsystem, das Verspann- und
Abstützsystem sowie das Sicherungssystem entscheidend. Der Bohrkopf ist mit Rollenmeißeln
(Disken) bestückt, die mit hohem Druck gegen die Ortsbrust gepresst werden und so das anstehende
Gebirge lösen. Das Bohrklein, allgemein als Chips bezeichnet, wird von Öffnungen im Bohrkopf, sog.
Räumern, aufgenommen und über Rutschen auf ein Förderband befördert. Das Maschinenband
transportiert das Material über die Länge der TBM auf das Übergabeband zwischen TBM und
Nachläufer. Von dort gelangt der Aushub entweder direkt über Bänder nach Außen oder zur
Beladestelle eines Tunnelzuges.
Die TBM verspannt sich radial mit Grippern an der Tunnelwand. Hydraulikzylinder pressen dabei den
Bohrkopf an die Ortsbrust, so dass ein weiteres Stück Tunnel aufgefahren werden kann. Der maximale
Bohrhub ist abhängig von der Länge der Kolben im Vorschubzylinder. Nach dem Abbohren eines
Bohrhubs wird der Bohrvorgang unterbrochen und die Maschine nach vorne umgesetzt. Dabei wird
die Gripper-TBM von einem zusätzlichen Abstützsystem stabilisiert.
Die Vortriebsleistung einer Gripper-TBM hängt entscheidend vom Zeitbedarf für die
Felssicherungsmaßnahmen ab. Zur Sicherung werden die aus dem konventionellen Tunnelbau
stammenden Sicherungsmittel Felsanker, Bögen, Netze und Spritzbeton sowie der TBM-
charakteristische Sohltübbing und besonders geeignete Stahleinbauten verwendet. Die Gripper-
Maschine ermöglicht bereits kurz hinter dem Bohrkopf, im so genannten L1*-Arbeitsbereich,

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

umfassende Felssicherungsmaßnahmen. Für den Stützmitteleinbau können beispielsweise


Ringerektoren, Ankerbohrgeräte oder Netzversetzeinrichtungen vorgesehen werden. Im
Nachläuferbereich erfolgt der Einbau des Spritzbetons sowie der Sohltübbinge.

L1*-Arbeitsbereich

7
2
5

6
4
3

1 Spannschild, 2 Fingerschild, 3 Ringerektor, 4 Ankerbohrgeräte, 5 Arbeitskorb mit Schutzdach,


6 Netzversetzeinrichtung, 7 Gripperplatten

Abbildung 6-7: Darstellung einer Gripper-TBM [www.herrenknecht.de, 2009 – adaptiert].

6.1.1.5. Doppelschild TBM


Im vorderen Teil einer Doppelschild-TBM befindet sich ein vorpressbarer Frontschild. Die beim
Bohren auftretenden Reaktionskräfte (Drehmoment und Längskräfte) werden durch die ausgefahrenen
Gripperschuhe, die im mittleren Abschnitt der Tunnelbohrmaschinen angeordnet sind, in das Gebirge
abgeleitet. Durch die Trennung des Kraftflusses können die Tübbingsegmente, im Gegensatz zur
herkömmlichen Vorgehensweise, während des Tunnelvortriebs gesetzt werden, was hohe
Vortriebsleistungen gewährleistet. Nach Abschluss eines Vorschubtaktes werden die Gripperschuhe
eingefahren und der hintere Maschinenabschnitt durch die Hilfsvortriebspressen gegen das Frontschild
vorgeschoben. Die Umsetzphase dauert nur wenige Minuten und anschließend kann der nächste
Tunnelabschlag aufgefahren werden.

1 Frontschild, 2 Bohrkopf, 3 Gripperschuhe, 4 Hilfspressen, 5 Tübbingauskleidung

Abbildung 6-8: Schemadarstellung einer Doppelschild TBM [www.herrenknecht.de, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Doppelschilde zählen zu den technisch anspruchsvollsten Tunnelbohrmaschinen im


Festgesteinstunnelbau. Sie können flexibel an die jeweilige Geologie der Tunneltrasse angepasst
werden, da sie das Gripper-Prinzip und den Segmentausbau in einem fein aufeinander abgestimmten
Prozessverfahren verbinden. Dieser Maschinentyp ist damit prädestiniert für das Auffahren langer
Tunnel im Festgestein, bei denen geologische Störzonen auftreten.
Der kontinuierliche Vortrieb (DS-Modus) kann allerdings nur in ungestörten Gebirgsabschnitten
gefahren werden, denn die Gripperschuhe benötigen das umliegende Gestein als Widerlager. Erreicht
das Doppelschild einen Gebirgsabschnitt mit Störzonen, wird das teleskopierbare Frontschild
zusammengefahren. Die gesamte Bohrmaschine wird für den Vortrieb dann nur noch mit den
Hilfsvortriebspressen vorgetrieben, die sich auf die Tunnelauskleidung abstützen. Diese Vortriebsart
wird als diskontinuierlich (S-Modus) bezeichnet, da hier wie bei einem konventionellen Schild der
Vortrieb mit den Pressen nur nach Abschluss eines Tübbingringes möglich ist.

6.1.1.6. Druckluftbeaufschlagte Schildmaschinen


Der Einsatz von Druckluft verhindert bei Schild- oder TBM-Vortrieben – ebenso wie beim
konventionellen Tunnelbau (NÖT) – den Zutritt von Grundwasser durch die Ortsbrust in den Vortrieb.
Die Druckluft-“Stützung“ darf – besonders bei durchlässigen Böden – nicht zur Aufnahme des
Erddrucks angesetzt werden. Dieser ist zusätzlich nach dem Prinzip der natürlichen Stützung
(standfeste Ortsbrust) oder durch mechanische Ortsbruststützung (wie beispielsweise bei geschildeten
Teilschnittmaschinen) aufzunehmen.
Der Luftdruck ist in der gesamten Abbaukammer gleich groß und muss dem Wasserdruck an der
Sohle des Ausbruchsquerschnitts entsprechen. Dadurch kommt es in der Firste der Abbaukammer
zwangsläufig zu einem resultierenden Überdruck (siehe Abbildung 6-9 links). Durch diesen
Überdruck besteht bei zu geringer Überdeckungshöhe die Gefahr eines Ausbläsers (siehe dazu weiter
in Kapitel 6.5.6).

Abbildung 6-9: Prinzip der Druckluftstützung (links) im Gegensatz zur Ortsbruststützung mittels Erdbrei oder
Suspension (rechts) [Maidl, 1994].

Abbildung 6-10: Schemadarstellung Druckluftschild [Brandl, 2006].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Eine Weiterentwicklung des Druckluftschilds ist der sog. Membranschild, bei dem in der
Abbaukammer Bentonitsuspension auf die Ortsbrust gespritzt wird. Dadurch entsteht eine einige
Millimeter dicke, undurchlässige „Membran“, wodurch der aufgebrachte Luft-Überdruck auch dem
Erddruck entgegenwirkt.

Abbildung 6-11: Schemadarstellung Membranschild [Brandl, 2006].

6.1.2. Druckhaltende Schildmaschinen („geschlossene“ Schilde)


Bei jedem Tunnelvortrieb besteht das Risiko, dass sich während des Auffahrvorgangs das umgebende
Gebirge entspannt und auflockert. Dadurch verschlechtert sich die Bettung der einzubauenden
Tunnelauskleidung und an der Geländeoberfläche können Schäden an Gebäuden und Einbauten
entstehen. Diese nachteiligen Folgen des Tunnelbaus können vermieden werden, wenn es gelingt, den
primären Spannungszustand im umliegenden Gebirge während des Auffahrvorgangs weitgehend zu
erhalten.
Dieser ideale Auffahrvorgang kann durch die Verfahrenstechnik des maschinellen Tunnelbaus
annähernd verwirklicht werden, indem einerseits die Entspannung an der Ortsbrust durch
druckhaltende Schildmaschinen hintangehalten wird und andererseits der Ringspalt zwischen
Tunnelauskleidung und Gebirge sofort hinter der Schildmaschine (Schildschwanz) verpresst wird
(siehe dazu Kapitel 6.5.4).
6.1.2.1. Erddruckschildmaschinen (Earth-Pressure-Balanced-Shield = EPB-Schild)
Beim Erddruckschild dient, im Gegensatz zu anderen Schilden, die auf ein sekundäres Stützmedium
angewiesen sind, der vom Schneidrad gelöste Boden zur Stützung der Ortsbrust. Allenfalls wird der
Boden in der Abbaukammer mit Konditionierungsmitteln (i.d.R. Tenside oder Bentonit) aufbereitet
und zu breiiger Konsistenz vermischt.
Der Schildbereich, in dem das Schneidrad rotiert, wird als Abbaukammer bezeichnet und ist vom unter
atmosphärischem Druck stehenden Schildabschnitt durch die Druckwand getrennt.
Ein unkontrolliertes Eindringen des Bodens von der Ortsbrust in die Abbaukammer wird durch die
Übertragung der Vortriebspressenkräfte von der Druckwand auf den Erdbrei vermieden. Wenn der
Erdbrei in der Abbaukammer durch den anstehenden Erd- und Wasserdruck nicht weiter verdichtet
wird, ist der Gleichgewichtszustand erreicht.
Das abgebaute Material wird durch einen Schneckenförderer aus dem Abbauraum gefördert. Die
Regelung der Fördermenge erfolgt über die Schneckendrehzahl und den Öffnungsquerschnitt des
oberen Schneckenschiebers. Die Stützdruckregelung erfolgt daher ganz wesentlich über die
Fördermenge der Schnecke im Verhältnis zur Vortriebsgeschwindigkeit.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Förderschnecke übergibt den Abraum an das erste Förderband der Förderband-Kaskade. Über
diese Bänder gelangt das abgebaute Material zum so genannten Reversierband, über welches die
Abraumtransportwagen in den Nachläufern im Reversierbetrieb beladen werden.

1 Schneidrad, 2 Abbaukammer, 3 Druckwand, 4 Vortriebspressen, 5 Förderschnecke, 6 Erektor,


7 Tübbingausbau

Abbildung 6-12: Schemadarstellung eines EPB-Schilds [www.herrenknecht.de, 2009].

Erddruckschilde besitzen gegenüber Vortriebsmaschinen mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust den


Vorteil, dass ein schlagartiger, großvolumiger Einbruch in die mit breiigem und verdichtetem Material
gefüllte Abbaukammer aus dem System her gesehen nicht möglich ist. Die breiige Konsistenz des
Materials bringt jedoch Nachteile bei der Messung und Kontrolle des Stützdrucks.
6.1.2.2. Suspensions-Schildmaschinen (Hydro-Schild)
Bei überwiegend kohäsionslosen Böden, die eine instabile Ortsbrust oder eine Mischgeologie erwarten
lassen, werden Schilde mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust eingesetzt. Die Stützflüssigkeit dringt an
der Ortsbrust in den anstehenden Boden ein und versiegelt ihn mit einem Filterkuchen. Auf diese
Weise kann der Stützdruck über die Suspension auf den Boden übertragen werden.

1 Schneidrad, 2 Abbaukammer, 3 Druckwand, 4 Speiseleitung, 5 Luftblase (Druckluftpolster),


6 Tauchwand, 7 Tübbingausbau, 8 Erektor

Abbildung 6-13: Schemadarstellung eines EPB-Schilds [www.herrenknecht.de, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Der Boden wird an der Ortsbrust vollflächig durch das in der Bentonitsuspension rotierende
Schneidrad (i.d.R. mit Schälmessern und Rollenmeißeln bestückt) gelöst und vermischt sich mit der
Suspension. Der Schildbereich in dem das Schneidrad rotiert wird als Arbeitskammer bezeichnet und
ist vom unter atmosphärischem Druck stehenden Schildabschnitt durch die Druckwand getrennt.
Die durch die Speiseleitung zugeführte Bentonitsuspension wird in der Arbeitskammer über eine
Luftblase mit Druckluft beaufschlagt, der dem anstehenden Erd- und Wasserdruck entspricht und
somit ein unkontrolliertes Eindringen des Bodens bzw. einen Stabilitätsverlust an der Ortsbrust
verhindert. Die Steuerung des Stützdruckes in der Abbaukammer erfolgt nicht direkt über den
Suspensionsdruck, sondern über ein kompressibles Luftpolster. Aus diesem Grund ist die
Abbaukammer hinter dem Schneidrad durch eine sogenannte Tauchwand von der Druckwand
getrennt. Der Bereich Tauch- und Druckwand wird als Druck- bzw. Arbeitskammer bezeichnet.
Zusammen mit der Suspension wird der gelöste Boden durch eine Förderleitung herausgepumpt.
Größere Steine oder Blöcke zerkleinert ein Steinbrecher (Backen-, Kasten-, Greifer- oder
Konusbrecher). Außerhalb des Tunnels werden Boden und Suspension in einer Separieranlage
voneinander getrennt und die gereinigte Bentonitsuspension wird anschließend durch die Speiseleitung
der Maschine wieder zugeführt.
Im Unterschied zum Hydro-Schild verfügt ein sog. Slurry-Schild über keine Luftblase zur aktiven
Stützdruckregelung. Der Stützdruck wird beim Slurry-Schild über die Zu- und Abfuhrmenge der
Fördersuspension gesteuert, was vergleichsweise ungenau ist. Der Einsatz beschränkt sich daher auf
Vortriebe mit kleinerem Durchmesser (Rohrvortriebe).
Beim sog. Thixschild wird eine Teilschnittmaschine innerhalb der suspensionsgefüllten
Abbaukammer zum Bodenabbau eingesetzt.

Abbildung 6-14: Schemadarstellung eines Thixschilds [Brandl, 2006].

Abbildung 6-15: Fräsarm und Abbaukammer eines Thixschilds [Brandl, 2006].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

6.1.2.3. Schildmaschinen mit veränderbarer Ortsbruststützung


Heterogenem Boden kommt dieses Prinzip mit besonderer Anpassungsfähigkeit bei: Durch den
mittenfreien Antrieb mit schwimmender Lagerung des Schneidrades und dem modularen Aufbau der
Maschine kann der Betriebsmodus je nach den angetroffenen Bodenverhältnissen im Tunnel
gewechselt werden. Alle Kombinationen von Flüssigkeits-, Erddruck-, Druckluft- oder offenem Schild
sind bei umbaubaren Schilden generell möglich.

6.2. Einsatzbereiche der Schildmaschinen


Schildmaschinen werden sowohl bei Festgesteinsvortrieben als auch im Lockergestein eingesetzt.
Hinsichtlich der möglichen Schild- bzw. Tunneldurchmesser reichen diese von unbegehbaren
Querschnitten (siehe dazu Kapitel 10.2.2) bis zu den derzeit maximal realisierten Durchmessern von
mehr als 15 m (z.B. 4. Röhre Elbtunnel, Hamburg, D = 14,2 m [1999/2000]).
Aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Maschinentypen kann praktisch für jeden Boden eine
passende Maschine konzipiert werden. Die geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse im
Bereich der Vortriebstrasse haben nicht nur auf die Berechnung und Bemessung der Auskleidung
(siehe Kapitel 6.6.3) Einfluss, sondern auch auf die Wahl des Vortriebsverfahrens. Dabei sind gewisse
grundsätzliche Vorzüge bzw. Nachteile zu berücksichtigen, worüber nachfolgende Tabelle einen
Überblick vermitteln sollte.
Tabelle 6-2: Bewertung der Eignung von Schildmaschinen in Abhängigkeit von der Bodenart [ÖVBB-Richtlinie
Schildvortrieb, 2009 – adaptiert] (Bezeichnungen des TVM Typs gemäß Abbildung 6-1).
Lockergestein Fels / Festgestein
Grund-,
Berg- Tone, sandige Tone nach-
TVM Typ Sand, Kies, Sand, Kies, hoher Anteil standfest
wasser- Schluffe, oder Schluffe, brüchig
locker dicht Steine, bis nach-
druck steif bis schluffige bis
gelagert gelagert Blöcke brüchig
halbfest Sande gebräch
TBM-S – 1) + 2)  2) –  2)  7) + 
TBM-DS – 1) + 2)  2) –  2)  7) + 
1)
+ 2)    + 8) 
2) 2) 7)
SM-T1 – –
SM-T2 – 1) + + + 3) + 2) 3) + 7)  8) + 3)
+ 2) 4)   2)
4) 7) 8)
SM-T3 + + + – +
SM-V1 – 1) + 2)  2) –  2)  7) + 
  2)
2) 4) 4) 7)
SM-V3 + + + – + +
 + 5)
5)
SM-V4 + + + + + +
   + 6) + 6)
6) 6)
SM-V5 + + +

+ geeignet – nicht geeignet  mit Sondermaßnahmen geeignet

Anmerkungen zu Tabelle 6-2:


1)
Ohne Grundwasserabsenkung während der Bauphase nicht geeignet.
2)
Nur bei ausreichender Standfestigkeit der Ortsbrust und der Leibung im Bohrkopf-/Schneidradbereich.
3)
Wirksame mechanische Stützung der Ortsbrust ist Voraussetzung.
4)
Nur bei geringer Durchlässigkeit des Bodens.
5)
Bei der Separierung bzw. der Suspensionszusammensetzung zu berücksichtigen.
6)
Aufbereitung des abgebauten Materials zu einem Erdbrei ist Voraussetzung.
7)
Zur Beurteilung der Ortsbruststandfestigkeit ist die Bodenmatrix, in welcher die Steine oder Blöcke eingebettet
sind, wesentlich.
8)
Abhängig von der Gebirgsfestigkeit.

Die in Tabelle 6-2 angegebenen Eignungen der Schildmaschinen beziehen sich ausschließlich auf die
Boden- und Grundwasserverhältnisse, jedoch nicht auf die Anforderungen aus speziellen
Anlageverhältnissen und Nutzungen aus dem Umfeld. Für die Beurteilung der Eignung ist auch die
Größe des Ausbruchsquerschnitts einzubeziehen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Bei Suspensions-Schildmaschinen (SM-V4) muss das Ausbruchsmaterial nach der Abförderung von
der Stützflüssigkeit separiert (getrennt) werden. Je feinkörniger der Boden ist, umso aufwändiger
gestaltet sich dieser Vorgang. Bei feinkörnigen Böden besteht in Abhängigkeit von der Plastizität auch
die Gefahr von Verklebungen im Abbaubereich, die den Vortrieb stark beeinträchtigen können.
Schilde mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust werden daher hauptsächlich bei Sanden und Kiesen
angewendet. Die Durchlässigkeit des anstehenden Bodens darf dabei i.d.R. nicht mehr als ca. 1x10-
3
m/s betragen, damit nicht zu viel Stützflüssigkeit durch die Ortsbrust entweicht. Bei größerer
Durchlässigkeit sind Zusatzmaßnahmen (z.B. Porenrauminjektionen) erforderlich.
Erddruckschilde (SM-V5) können in bindigen Böden mit breiiger bis weicher Konsistenz gut und
vorteilhaft eingesetzt werden. Günstig sind relativ undurchlässige Böden (kf < 1x10-5 m/s), deren
Konsistenz die Bildung eines Erdbreies möglichst ohne Wasserzugabe ermöglicht. In feinkörnigen
Böden hoher Konsistenz mit geringem Wassergehalt wird viel Energie zur Verbreiung des Bodens
benötigt. Unterhalb der Grenz-Körnungslinie steigen die Wasserdurchlässigkeit und die innere
Reibung des Bodens stark an. Die Anwendbarkeit von Erddruckschilden hängt hier stark vom
anstehenden Grundwasser ab. Gegebenenfalls ist bei diesen Böden die Zugabe von
Konditionierungsmitteln vorzusehen, sodass noch ein stützender Erdbrei hergestellt werden kann.

Abbildung 6-16: Empfehlung eines Schildmaschinenherstellers bezüglich Einsatzbereich von Schildmaschinen


mit flüssigkeitsgestützter bzw. erdbreigestützter Ortsbrust [www.herrenknecht.de, 2009].

Der Einsatz von Druckluftschilden (SM-T3, SM-V3) beschränkt sich im Wesentlichen auf Sande,
bzw. Wechselschichten aus Sanden mit feinkörnigen Böden. Da die Luftdurchlässigkeit von Boden
rund 70-mal höher ist als die Wasserdurchlässigkeit, ist bei stark durchlässigen Böden mit etwa
kf > 1x10-4 m/s der Druckluftverbrauch zu groß, sodass nur nach vorheriger Reduzierung der
Durchlässigkeit (z.B. durch Injektionen) eine Druckluftstützung möglich ist.
Über der Tunnelfirste ist in homogenen Untergrundverhältnissen eine Mindestüberdeckung von ca.
dem zweifachen Schilddurchmesser zur Gewährleistung der Ausbläsersicherheit (siehe Kapitel 6.1.1.6
und 6.5.6) zu berücksichtigen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 6-17: Einsatzbereich von Druckluftschilden.

6.3. Boden- und Gesteinsabbau


Für den teilflächigen Abbau im Zuge eines maschinellen Vortriebs kommen Teilschneidköpfe,
Baggerarme, Zughacken und Hydraulikhammer in Betracht.
Für den vollflächigen Abbau bei einem Schildvortrieb kommt grundsätzlich ein Schneidrad
(Lockergestein) bzw. ein Bohrkopf (Festgestein) zum Einsatz. Form, Ausführung, konstruktive
Auslegung und Werkzeugbestückung sind in erster Linie von Geologie und Hydrologie sowie von
projektspezifischen Randbedingungen abhängig.
Für eine bessere Steuerbarkeit ist es von Vorteil, wenn das Schneidrad gelenkig gelagert ist. Weiters
wird das Schneidrad üblicherweise mit größerem Durchmesser ausgebildet (Überschnitt), sodass sich
der sog. Steuerspalt ausbildet. Im Lockergestein sind im Überschnittbereich auch radial verstellbare
Werkzeuge möglich.
Ein Zentrumsschneider ist ein mit Schälwerkzeugen bestückter, meist konischer Bohrkopf im
Zentrum eines Schneidrads (Durchmesser i.d.R. 15% – 20% des Schneidraddurchmessers), der dazu
dient, der Verklebungsproblematik am Schneidradwerkzeug entgegenzuwirken.

Abbildung 6-18: Schemadarstellungen unterschiedlicher Schneidradformen [STUVA, 2001].

Ist eine mechanische Stützung der Ortsbrust nicht erforderlich, kann das Schneidrad als Speichenrad
ausgebildet werden. Auf diese Weise wird eine gute Zugänglichkeit zu den installierten Werkzeugen
erreicht. Der gelöste Boden kann zwischen den Speichen hindurch nach hinten fallen. Da jede einzelne
Speiche in der Lage sein muss, den auftretenden Kräften aus Drehung und Vorschub zu widerstehen,
ist eine stabile Konstruktion erforderlich.
Bei inhomogenen Schichten oder beim Auftreten von Vortriebshindernissen ist dagegen ein
Felgenspeichenrad vorzuziehen, da es einseitige Überbeanspruchungen verhindert, indem es die
örtlich angreifenden Kräfte über eine umlaufende Felge auf mehrere Speichen verteilt. Bei

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

entsprechend großem Schilddurchmesser können die Speichen begehbar gestaltet werden, sodass ein
Auswechseln der Abbauwerkzeuge möglich ist.
Eine geschlossene Schürfscheibe – mit vergleichsweise schmalen Durchlassschlitzen für den
abgebauten Boden – bietet den Vorteil, dass eine gewisse mechanische Stützwirkung durch das
Schneidrad auf die Ortsbrust aufgebracht werden kann. Weiters bietet die Schürfscheibe ausreichend
Platz für die Unterbringung der erforderlichen Abbauwerkzeuge. Als nachteilig sind das große
erforderliche Antriebsdrehmoment und die klassifizierende Wirkung (es wird nur Abbaumaterial das
kleiner ist als die Durchlassöffnungen abtransportiert) zu nennen.
6.3.1. Abbauwerkzeuge
Der Bohrkopf bzw. das Schneidrad einer Schildmaschine ist mit jeweils auf den zu erwartenden
Boden abgestimmten Abbauwerkzeugen bestückt. Für den Bodenabbau kommen im Regelfall
folgende Werkzeugtypen bzw. Kombinationen daraus in Betracht:
 Rollende (Rollmeißel)
 Ritzende (Reißzähne)
 Schälende (Rundschaftmeißel, Schälmesser)
Einen Überblick über mögliche Werkzeugbestückungen soll Tabelle 6-3 verschaffen.
Tabelle 6-3: Abbauwerkzeuge in Abhängigkeit der Bodenklasse [Girmscheid, 1997 – adaptiert]
Nr. Bodenklasse Abbauwerkzeug / konstruktive Gestaltung
1 Leicht lösbare Bodenarten Schälmesser
Nicht bis schwach bindige Sande, Kiese, etc. Durchgehende Schneidkante
2 Mittelschwer lösbare Bodenarten
Bindige Böden leichter bis mittlerer Plastizität
Sande, Kiese  Schälmesser, Stichel
Schluffe, Tone  Zusätzlich vorauseilender Zentrumsschneider
3 Schwer lösbare Bodenarten
Wie 1 und 2, jedoch Korngröße > 63 mm, Wie bei 2 sowie Rollendisken und kleine
Steine bis 0,1 m³, Findlinge bis 1 m³ Steinbrecher
4 Leicht lösbarer Fels oder vergleichbare Bodenarten
o Fels, bröckelig, schiefrig, weich, verwittert Disken
o Vergleichbare verfestigte, nichtbindige sowie Rollenmeißel
bindige Böden Meißel
Abräumzähne
5 Schwer lösbarer Fels, Disken
hohe Gefügefestigkeit Rollenmeißel
Meißel

Abbildung 6-19: Meißelformen: a, b  Ein- und Zweischeiben-Diskenmeißel; c  Diskenmeißel mit


Hartmetallknöpfchen; d  Warzen- und Zahnrollenmeißel [Maidl, 1984].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Rollenmeißel zerstören das Gestein durch Druck, den die hohen punktförmigen Warzen oder
linienförmigen Disken ausüben. Es kommt zu örtlichen Überbeanspruchungen im Gestein, dadurch
entstehen Zugspannungen (radiale Risse, siehe Abbildung 6-20) die zu Abplatzungen führen. Die
Abplatzungen sind in der Regel scheibenartig und werden Chips genannt.

Abbildung 6-20: Bruchvorgänge im Gestein durch Rollenmeißel: a  Warzenrollenmeißel im zähen Gestein;


b  Warzenrollenmeißel im spröden Gestein; c  Diskenrollenmeißel [Maidl, 1984].

6.3.2. Verklebung und Abrasivität


Unter Verklebungen versteht man das Anhaften von Bodenteilchen an den Oberflächen von
Maschinenbauteilen der Tunnelbohrmaschine (Schneidrad, Fördereinrichtungen etc.) und das
Zusammenhaften von Bodenteilchen untereinander (Klumpenbildung und in weiterer Folge auch
Brückenbildung). Das bedeutet zunächst einen erhöhten Energieaufwand für den Vortrieb, führt aber
auch nicht selten zu kostenintensiven Blockaden und in der Folge zu Stillständen der Maschine.
Verklebungen können beispielsweise durch die Zugabe von Polymeren und Tensiden
(Konditionierungsmittel), die die Adhäsion des Materials an den Schneidwerkzeugen verringern
sollen, besser bewältigt bzw. vermieden werden.
Als wesentlicher Bodenparameter charakterisiert das Adhäsionsverhalten und damit die Konsistenz
bzw. die Plastizität die Tendenz des Bodens zu verkleben. Neben den bodenmechanischen
Eigenschaften können auch maschinentechnische bzw. baubetriebliche Beweggründe für
Verklebungen verantwortlich sein.

1,5

1,4 fest
fest
1,3

1,2 Hohes
halb-
halb- Verklebungspotential
hohes
1,1 fest
Konsistenzzahl Ic

fest Verklebungspotential
1

0,9 steif
steif
0,8 Tunnel Westerschelde

0,7
weich mittleres Verklebungspotential
0,6 w eich

0,5
breiig Niedriges
niedriges Verklebungspotential
Verklebungspotential
0,4
breiig
0,3
0 10 20 30 40 50 60 70
Plastizitätszahl lp [%]

Abbildung 6-21: Beurteilung der Klebrigkeit von Böden (Thewes, 1999) Hinweis: Nach neuer Definition
Konsistenzzahl 0,25 < Ic < 0,5  „sehr weich“, Ic < 0,25  breiig.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abrasivität wird in der ÖN B2203-2 definiert als die „den Werkzeugverschleiß bestimmende
Gesteinseigenschaft“. Der Werkzeugverschleiß (Abrasivverschleiß aber auch Gewaltverschleiß) ist
mittlerweile bei maschinellen Vortrieben sowohl im Festgestein als auch im Lockergestein ein
wesentlicher Leistungs- und damit Kostenparameter.

Abbildung 6-22: Extremer Verschleiß am Werkzeug einer Suspensions-Schildmaschine, Abrasivverschleiß


(„primary wear“) und Gewaltverschleiß („secondary wear“) [Nilsen, et al., 2007].

6.4. Planung von Schildvortrieben


6.4.1. Trassierung
Hinsichtlich der Trassierung in Längsrichtung sind beim maschinellen Vortrieb, aufgrund der Länge
der Schildmaschine inklusive Nachläuferkonstruktion und des starren Tübbingausbaus, gewisse
Mindestradien einzuhalten.
Bei Kurvenradien kleiner 300 m verbessert ein Gelenk in der Schildmaschine die Steuermöglichkeit
und die Qualität des Ausbaus. Die Tübbinggeometrie (Breite, Teilung, Ring- und Längsfugen) ist
dementsprechend anzupassen.
An die Toleranzen der Schildfahrt werden üblicherweise sehr hohe Anforderungen gestellt, wenige
Zentimeter seitliche Abweichungen oder Höhenabweichungen von der Solllage sind im Lockergestein
durchaus möglich.
6.4.2. Untergrunderkundung
Bereits in der Aufschlussphase sind für maschinelle Vortriebe hinsichtlich der erforderlichen
Untergrunderkundung einige Spezifika zu beachten. Das Untersuchungsprogramm ist daher in
Abstimmung auf das vorgesehene Maschinenkonzept zusammenzustellen.
Für die Erkundung der Untergrundverhältnisse im Festgestein sind neben den Kennwerten zur
Beurteilung des Gebirgsverhaltens und der Stabilität des Hohlraumes auch die Einflussfaktoren auf die
Bohrleistung und den Werkzeugverschleiß zu erkunden.
Das Auftreten von größeren Wassermengen kann zu Problemen für den Maschinenvortrieb führen.
Neben der direkten Beeinträchtigung durch den Wasserandrang kann Kluft- oder Schichtwasser auch
die Gebirgs-/Bodenfestigkeit (Druckfestigkeit, Scherfestigkeit) beeinflussen.
Im Lockergestein sind neben den üblichen physikalischen und mechanischen Eigenschaften auch
Untersuchungen im Hinblick auf Verschleiß (Abrasivität der Minerale), Klebrigkeit, Quellverhalten,
Förder- und Deponierfähigkeit und Separierverhalten durchzuführen.
Besondere Bedeutung kommt auch der Wechselhaftigkeit der anstehenden Bodenschichten sowie der
Häufigkeit und Größe von Steinen und eingelagerten Blöcken („Vertragsstein“) zu.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Nachfolgende Tabellen sollen einen Überblick über mögliche Einflüsse der Boden- bzw.
Felseigenschaften auf die wesentlichen Verfahrensprozesse des maschinellen Vortriebs verschaffen.
Tabelle 6-4: Zu erkundende Baugrundeigenschaften und Angabe ihrer Einflüsse auf den Schildvortrieb im
Festgestein [ÖVBB-Richtline Schildvortrieb, 2009]
Einfluss auf

Verformungs-
Eigenschaften im

entsorgung
Separation
Förderung
Ortsbrust-

sicherheit
Material-
verhalten
Festgestein

stützung

Arbeits-
Abbau
Gesteinsfestigkeit x x x x x x
Mineralogischer Aufbau x x x
Mineralhärte x
Abrasivität x x
Zähigkeit x x x x
Trennflächen x x x x
Klüftigkeit x x x
Wasseranfall x x x x x x
Durchlässigkeit x x x
Gase x x x x x
Wasser- und Bodenchemismus x x x x x

Tabelle 6-5: Zu erkundende Baugrundeigenschaften und Angabe ihrer Einflüsse auf den Schildvortrieb im
Lockergestein [ÖVBB-Richtline Schildvortrieb, 2009]
Einfluss auf
Verformungs-

Eigenschaften im
entsorgung
Separation
Förderung
Ortsbrust-

sicherheit
Material-
verhalten

Lockergestein
stützung

Arbeits-
Abbau

Kornverteilung x x x x x x x
Kornform x x x x x x x
Steine x x x x
Lagerungsdichte x x x
Konsistenz x x x x x x
mineralogische Zusammensetzung x x x
Chem./mineralogische Verfestigungen x x x x
Klebrigkeit x x x x
Abrasivität x x
Grundwasser x x x x x
Durchlässigkeit x x x
Bodenschichtung x x x x
Scherfestigkeit x x
Natürlicher Wassergehalt x x x x x
Gase x x x x x
Wasser- und Bodenchemismus x x x x x

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

6.5. Der maschinelle Vortrieb


6.5.1. Stützdruckberechnung
Bei mittlerer bis hoher Standzeit des Bodens kann im Festgestein und im Lockergestein auf eine
Stützung der Ortsbrust verzichtet werden, allenfalls wird zur Grundwasserverdrängung Druckluft
eingesetzt. In allen anderen Fällen muss die Stabilität der Ortsbrust gewährleistet werden, indem der
Druck des Stützmediums so eingestellt wird, dass er im Gleichgewicht mit dem vorhandenen
äußeren Druck steht. Wenn die Kräfte nicht mehr im Gleichgewicht sind, kann auf der einen Seite bei
zu geringem Druck die Ortsbrust instabil werden, auf der anderen Seite kann es durch einen zu hohen
Druck zu Ausbläsern des Stützmediums kommen.
Eine exakte Ermittlung des Erddrucks zufolge des Bodeneigengewichts ist aufgrund der räumlichen
Tragwirkung des Bodens und der Verformbarkeit der Ortsbrust nicht möglich. Es werden daher in den
verschiedenen Berechnungsmodellen idealisierende Annahmen getroffen, um die Belastung zufolge
Erddruck zu ermitteln (siehe dazu Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik, sowie Kapitel 4.3.1).
Die Annahme des Wasserdrucks erfolgt als hydrostatische Druckzunahme mit der Tiefe.
Auf Grundlage der berechneten angreifenden Erd- und Wasserdruckkräfte wird der Stützdruck an den
maßgebenden Berechnungsquerschnitten und in Abhängigkeit vom jeweiligen Betriebszustand so
festgelegt, dass die erforderlichen Nachweise
 der inneren Standsicherheit,
 der äußeren Standsicherheit und
 gegen Bodenaufbruch und Ausbläser
an der Orstbrust erfüllt sind.
Die Wahl des Berechnungsansatzes und der Nachweisführung sind im deutschsprachigen Raum nicht
einheitlich geregelt.
Beim Schildvortrieb mit suspensionsgestützter Orstbrust werden die Ansätze für die
Standsicherheitsnachweise der Schlitzwandtechnologie angewendet (siehe dazu auch Vorlesung
Grundbau und Bodenmechanik). Demnach wird die innere Standsicherheit ( „Sicherheit gegen
Abgleiten von Einzelkörnern oder Korngruppen“) und die äußere Standsicherheit ( „Sicherheit
gegen den Schlitz gefährdende Gleitflächen im Boden“) nachgewiesen.
Bei der Nachweisführung gegen Bodenaufbruch und Ausbläser finden entweder das Modell der
totalen Spannungen oder das Reststützdruck-Modell Anwendung. Der erforderliche globale
Sicherheitsbeiwert wird dabei in der Literatur im Bereich von  = 1,1 – 1,2 angegeben.
Ansatz der totalen Spannungen:
z   w  z

p0

mit z … Spannungen aus Bodenauflast (effektiv)


w·z … Wasserdruck in der Tiefe z
p0 … Stützdruck an der Tunnelfirste
Ansatz des Reststützdruckes:
z z
 
Sr p 0  p w 0

mit z … Spannungen aus Bodenauflast (effektiv)


Sr … Reststützdruck an der Firste
p0 … Stützdruck an der Tunnelfirste
pw0 … Wasserdruck in Höhe der Firste

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Unabhängig von dem gewählten statischen Ansatz der Kräfte übernimmt die Spannung aus
Bodenauflast beim Nachweis der Aufbruch- und Ausbläsersicherheit eine wichtige stützende
Funktion.
6.5.2. Aus- und Einfahrsicherung
Zu Beginn eines maschinellen Vortriebs im Festgestein liegt aufgrund der Gebirgstopografie zumeist
eine grundsätzlich andere Anfahrsituation vor als im Lockergestein. Oberflächennah anstehende
instabile Gebirgsformationen (z.B. Hangschutt) sind bei der Projektplanung ebenso zu beachten, wie
die Forderung einer ausreichenden Firstüberdeckung. Derartige Randbedingungen können es unter
Umständen erforderlich machen, den Anfahrbereich (bzw. ggf. auch den Durchschlagsbereich) vorab
konventionell (nach den Grundsätzen der NATM) oder mittels Voreinschnitt in offener Bauweise
herzustellen.
Im Lockergestein wird ein Schildvortrieb üblicherweise von einem Startschacht aus begonnen bzw. in
einem Zielschacht beendet. Liegt die Vortriebstrasse unter dem Grundwasserspiegel, sodass der
Einsatz einer geschlossenen Schildmaschine erfolgt, sind gesonderte Maßnahmen zur Aus- bzw.
Einfahrsicherung erforderlich, um den Gradient des Wasserdrucks zu beherrschen. Der
Grundwasserdruck hinter der Baugrubenwand steht den atmosphärischen Bedingungen im Schacht
gegenüber.
Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass Stahlbewehrung der Schachtumschließung oder
Stahlspundbohlen etc. üblicherweise nicht vom Abbauwerkzeug der Schildmaschinen durchörtert
werden können. Aus diesem Grund muss der Aus- bzw. Einfahrquerschnitt frei von Stahlteilen
gehalten werden, wodurch insbesondere bei tiefen Schächten Sondermaßnahmen zur Aufnahme des
anstehenden Erd- und Wasserdrucks erforderlich sind.
Eine praxiserprobte Möglichkeit zur Aus- bzw. Einfahrsicherung bei Schildvortrieben stellen erdseitig
angeordnete Dichtblöcke dar, die die auftretenden Erd- und Wasserdrücke nach dem („händischen“)
Öffnen der Schachtwand und Entfernen der statischen Bewehrung aufnehmen und gleichzeitig die
erforderliche Abdichtfunktion erfüllen, bis der hergestellte Tübbingtunnel ausreichende Länge dafür
besitzt.
Eine andere Möglichkeit ist der Einbau von Glasfaserbewehrung (GFK-Bewehrung) in den zu
durchörternden Bereichen der Baugrubenwand. Die Glasfaser-Stabbewehrung hat ähnliche
Zugfestigkeitseigenschaften wie Stahl, bringt jedoch den wesentlichen Vorteil der Spanbarkeit mit
sich. Somit ist es den Schneidwerkzeugen der Tunnelvortriebsmaschine möglich, die Schlitzwand-
Außenschale rotierend zu durchörtern. Zusätzlich sind zumeist innen liegende Dichtkonstruktionen
(z.B. Anfahrbrille, unbewehrter Dichtblock) erforderlich.
Schließlich sind auch Sonderverfahren, wie beispielsweise ein vorgesetzter Dichttopf zum Aufbrechen
der Schachtwand unter Druckluft oder eine Grundwasserabsenkung zur alleinigen oder ergänzenden
Aus- bzw. Einfahrsicherung, möglich.
Möglichkeiten für außenliegende Dichtblöcke zur Aus- bzw. Einfahrsicherung
Die Unstetigkeitsstelle, die entsteht, wenn sich die Schildmaschine durch die Schachtwandung in den
Boden arbeitet, bis die ersten Tübbingringe gegen die Schachtwand hin abgedichtet werden können
(i.d.R. mittels Injektionen), muss überbrückt werden, wofür verschiedene Möglichkeiten bestehen.
Bei erosionsstabilen Böden und geringem Wasserdruck kann eine Bodenverbesserung (z.B. mittels
Rütteldruckverfahren, Niederdruckinjektionen usw. (siehe dazu Vorlesung Grundbau und
Bodenmechanik) hinter der Ausfahrwand bereits ausreichend sein.
Bei hohen Wasserdrücken und erosionsgefährdeten Böden ist es Stand der Technik, dass in jeder
Phase der Anfahrsituation zwei unabhängige redundante Dichtebenen wirksam sind. Die erste
Sicherheitsebene ist ein erdseitig angeordneter Dichtkörper, welcher durch eine im Schacht
angeordnete sog. Anfahrbrille (Lippendichtung) unterstützt wird.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Zur Herstellung des vorgelagerten Dichtkörpers kommen folgende Verfahren in Betracht:


 Düsenstrahlverfahren
 überschnittene und unbewehrte Schlitzwandlamellen oder Bohrpfähle
 „konventionelle“ Herstellung eines Betonblocks, z.B. temporäre Spundwandsicherung und
Unterwasserbetonblock
 Dichtwandkasten mittels Schlitzwandlamellen oder Bohrpfählen (ev. mit ergänzender innen
liegender Wasserhaltung) oder DSV-Lamellen, Schmalwände etc.
 Bodenvereisung
 Senkkastenlösungen

Abbildung 6-23: Schemadarstellung eines Dichtwandkastens mit vorgelagertem Verfestigungskörper


[Schwarz, 2005].

Bei allen Verfahren zur Herstellung eines Dichtblocks muss berücksichtigt werden, dass ein
unbeabsichtigt verbleibender Stahlteil im Ausfahrquerschnitt (z.B. verlorenes Bohrgestänge, nicht
mehr zu ziehende Spundbohle etc.) zu massiven Problemen beim Anfahr- (bzw. Einfahr-)vorgang
führt!
Einfahren in einen Zielschacht (unterhalb des Grundwasserspiegels)
Für das Einfahren in den Zielschacht stehen im Prinzip dieselben Maßnahmen zur Verfügung wie
beim Ausfahren aus dem Startschacht. Atmosphärische Bedingungen im Zielschacht sind während des
Einfahrvorganges jedoch nicht zwingend notwendig. Ist der Einfahrquerschnitt der Schachtwand frei
von Stahlteilen (z.B. indem in diesem Bereich GFK-Bewehrung vorgesehen wurde), kann in den
aufgefüllten und/oder gefluteten Zielschacht eingefahren werden und der Grundwasserdruckgradient
wird somit ausgeglichen bzw. zumindest reduziert. Der „Vortrieb“ erfolgt dann im Zielschacht so
lange, bis der letzte Tübbingring gegen die Schachtwandung abgedichtet werden kann (z.B. mittels
Injektionen vom Schild aus). Anschließend wird der Schacht ausgehoben bzw. gelenzt und die
Schildmaschine kann geborgen werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 6-24: Beispiele für Schildeinfahren in Zielschächte [Japanese Standard for Shield Tunneling, 2001].

Dichtungssysteme
Einfachdichtung  Verwendung bei größeren Tunneldurchmessern
Vorteile:
 Geringeres Gewicht der Dichtung, Stahlbau zur Befestigung der Dichtung ist nicht so stabil
ausgebildet.
 Ausgleich größerer Toleranzen im Stahlbau der Anfahrdichtung bei der TBM und bei der
Anfahrsituation der Maschine ist erforderlich.
Nachteile:
 Zwei separate Dichtungsaufnahmen im Stahlbau werden benötigt.
 Montageaufwand ist größer.
Doppellippendichtung  Verwendung bei kleineren Tunneldurchmessern
Vorteile:
 Es wird nur eine Dichtungsaufnahme (Stahlbau) benötigt, dadurch geringerer Stahlbauaufwand.
 Montageaufwand der Dichtung ist geringer.
Nachteile:
 Der Abstand der einzelnen Lippen ist geometrisch vorgegeben, d.h. nur dieser Abstand kann zum
Toleranzausgleich genutzt werden
 Das Gewicht ist höher.
6.5.3. Massen-/Volumenbilanz zur Aushubkontrolle
Bei der Volumen- oder Massenbilanz, die ein wesentliches Kontrollsystem im maschinellen
Tunnelbau ist, wird der tatsächliche Aushub (z.B. pro Hub) der theoretisch hergestellten
Hohlraumkubatur im selben Abschnitt gegenüber gestellt. Auf diese Weise lassen sich unerwünschte
Auswirkungen des Tunnelvortriebs (z.B. Hohlraumbildung außerhalb der Tunnelauskleidung und ggf.
daraus resultierende Geländesetzungen bei Mehraushub bzw. Geländehebungen bei Minderaushub)
rechtzeitig erkennen und im Vortrieb können ggf. entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Aufzeichnung der Aushubmengen (Massen- oder Volumenstrom) während der Schildfahrt ist,
neben anderen wesentlichen Maschinendaten, als Teil der Qualitätssicherung und -dokumentation des
Vortriebs zu betrachten.
Alle Bilanzierungssysteme zur Aushubkontrolle vergleichen einen Zahlenwert für den effektiv
geförderten Boden mit einem theoretischen Sollwert. Derartige Bilanzen können jedoch nur so genau
sein, wie es gelingt, den theoretischen Sollwert exakt zu ermitteln, der im Lockergestein ganz
entscheidend von der Lagerungsdichte abhängig ist und im Festgestein von der Kluftgröße, -anzahl
etc.
6.5.3.1. Möglichkeiten der Volumenbilanz
Bei allen Varianten einer Volumenbilanz bei Erddruckschilden kann als Zahlenwert für das
eindringende Volumen nur ein oberer Grenzwert angegeben werden. Dieser Grenzwert ergibt sich aus
dem Ausbruchsquerschnitt multipliziert mit der Vortriebsgeschwindigkeit. Er entspricht damit dem
Volumen der Bodenkörner und dem Porenvolumen, auch wenn gemäß dem Stützprinzip der abgebaute
Boden in der Förderschnecke so undurchlässig sein soll, dass nur Boden ausgetragen und eventuelles
Grundwasser zurück gehalten wird. Gegebenenfalls ist die Zugabe von Konditionierungsmittel mit zu
berücksichtigen.
Eine Volumenbilanz über die Messung der Umdrehungen der Förderschnecke sollte aufgrund zu hoher
Unsicherheiten unterlassen werden.
 Volumenbilanz über Durchflussmessungen
Bei Tunnelvortriebsmaschinen mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust (oder auch nur mit Nassförderung
des Bohrguts) werden sowohl in der Speiseleitung als auch in der Förderleitung
Durchflussmengenzähler installiert. Bei der Bilanzierung wird für jeden Vortriebszyklus die Differenz
der zu- und abgeführten Volumenströme ermittelt.
Die Volumenbilanz beinhaltet die grundsätzliche Problematik, die in den umgebenden Boden
abfließende Suspensionsmenge nicht zu kennen. Gleichzeitig tritt auch Grundwasser über die
Ortsbrust in die Abbaukammer ein. Die Menge ist abhängig von der Eindringtiefe der Stützsuspension
und von der Penetrationstiefe der Abbauwerkzeuge, jedoch nicht eindeutig quantifizierbar. Die
Aussagekraft der Volumenbilanz beim flüssigkeitsgestützten Schildvortrieb wird deshalb geringer als
die einer Massenbilanz (Wägung des separierten Aushubmaterials) erachtet.
 Volumenbilanz über Zählung der gefüllten Aushubwagen
Die Zählung der gefüllten Aushubwagen ist eine gängige Vorgehensweise beim Vortrieb mit offenen
Schilden und bei Erddruckschilden. Üblicherweise sind die Wagen an der Innenwand mit einer
Markierung versehen, bis zu der sie mit Aushub befüllt werden. Auflockerungsfaktor (Schüttdichte),
Quelleffekt und Bodenkonditionierung beeinflussen das Ergebnis, können aber bei vergleichenden
Analysen der Ringwerte, bei gleichbleibenden Bodenverhältnissen, vorsichtig abgeschätzt werden.
 Volumenbilanz über Zählung der Kolbenhübe bei Verwendung von Dickstoffpumpen
Bei Anordnung einer Dickstoffpumpe als Verschlussorgan am Austrag des Schneckenförderers kann
aus den Hubzahlen der Pumpe pro Vortrieb auf das geförderte Volumen unter der Voraussetzung
geschlossen werden, dass das mögliche Fördervolumen der Pumpe vollständig genutzt werden kann.
Der Förderzustand der Dickstoffpumpe ist abhängig von der vorgeschalteten Förderschnecke, der
momentanen Bodenbeschaffenheit und den Druckverhältnissen.
6.5.3.2. Möglichkeiten der Massenbilanz
Alle Varianten der Massenbilanz beim Erddruckschild basieren auf einer Wägung des
Aushubmaterials. Es wird der komplette Aushub erfasst, ein eventuell mit ausgetragener Wasseranteil
geht in das Messergebnis mit ein. Als Zahlenwert für die in die Abbaukammer eindringende Masse
können deshalb nur Grenzwerte angegeben werden. Als unterer Grenzwert fungiert die Feststoffmasse
der Bodenkörner. Den oberen Grenzwert stellt die Feststoffmasse des Aushubs zuzüglich der Masse
des Wassers für den Vortriebszyklus dar.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Generell ist die Durchführung einer Massenbilanz, einer Volumenbilanz vorzuziehen, da


Auflockerungsfaktor und Quelleffekt des geförderten Bodens nicht berücksichtigt werden müssen. Als
vorteilhaft bei der Massenbilanz erweist sich die einfache, vergleichsweise genaue Erfassung der
Konditionierungsstoffe, sowohl auf der theoretischen Eingangsseite als auch auf der messtechnischen
Seite beim Wiegen des Aushubs.
 Massenbilanz über Wägung des Aushubs mit Bandwaagen
Die Bandwaage ist üblicherweise bereits im Nachläufer der Schildmaschine innerhalb des Förderbands
installiert. Anbackungen von bindigem Fördermaterial am Fördergurt, welche mehrfach in die
Messung eingehen würden, werden durch die Installation von Abstreifern vermieden.
 Massenbilanz über Wägung der Aushubwagen
Zur Wägung der Aushubwagen kann z.B. direkt unter der Abwurfstelle des Förderbands eine
Schienenbrücke auf Wägezellen angeordnet werden. Bei Anhaftungen von bindigem Bodenmaterial an
den Aushubwagen werden diese jeweils leer und gefüllt gewogen und daraus resultierende
Abweichungen erfasst.
 Massenbilanz über Wägung am Portalkran des Startschachts oder der LKW bei
Materialübergabe
Bei der Wägung am Portalkran besteht noch die Möglichkeit der Zuordnung der Messwerte zum
jeweiligen Vortriebszyklus. Bei der Wägung der LKW kann im Allgemeinen ein Massenvergleich nur
über einen gewählten Zeitraum, z.B. 24 Stunden, durchgeführt werden. Auf diese Weise ist eine grobe,
überschlägige Aushubkontrolle mit einem Zeitversatz möglich, eine Rückkoppelung der Ergebnisse
auf die Vortriebsweise (z.B. Stützdruckkorrektur) kann in der Regel nicht mehr erfolgen.
 Massenbilanz über Wägung des separierten Aushubmaterials
Bei Suspensionsschilden wird in der Separieranlage die Stützflüssigkeit vom Aushubmaterial getrennt.
Zur Massenbestimmung des separierten Aushubmaterials wird am Ausgang der Separieranlage eine
Bandwaage installiert, welche in Kombination mit der Bandgeschwindigkeit die transportierte
Gesamtmasse ermittelt.
Bei dieser Methode ist von Nachteil, dass die Masse des Bodenaushubs der einzelnen Vortriebszyklen
zeitversetzt ermittelt wird, da erst der Materialdurchgang durch die Förderleitung und die
Separieranlage abgewartet werden muss. Gerade bei längeren Vortrieben liegt das Messergebnis
unakzeptabel spät vor. Weitere Fehlerquellen sind z.B. das Anbacken von bindigem Bodenmaterial am
Fördergurt der Bandwaage oder der in der Suspension verbleibende Feinstanteil des Aushubs. Der
Wasseranteil im separierten Aushubmaterial ist abhängig von der Kornverteilung des geförderten
Bodens und vom Betrieb der Separationsanlage und kann somit ebenfalls das Messergebnis
verfälschen.
 Feststoffmassenbilanz über Dichte- und Durchflussmessung
Jeweils an der Speise- und an der Förderleitung werden mit einer gleichzeitig durchgeführten
induktiven Durchflussmessung und einer radiometrischen Dichtemessung die Feststoffmasseströme
ermittelt. Für die Feststoffmasse, die theoretisch während eines Vortriebszyklus vom Schneidrad
abgebaut wird, sind die Messung der tatsächlichen Vortriebsstrecke (Pressenhub) und die Kenntnis
Lagerungsdichte im Vortriebsbereich notwendig.
Um die messtechnischen Fehlereinflüsse sowie die Bandbreite der Lagerungsdichte zu
berücksichtigen, wird beim Tunnelvortrieb entweder das Messergebnis auf einer Kalibrierstrecke
mittels eines Proportionalitätsfaktors der zu erwartenden Feststoffmenge angepasst oder die
Auswertung der Vortriebszyklen erfolgt durch Vergleich mit den Werten der vorangegangenen
Vortriebszyklen (qualitative Massenbilanzkontrolle).
6.5.4. Ringspaltverpressung
Der sog. Ringspalt befindet sich an der Außenwand der maschinell hergestellten Tunnelröhre,
zwischen Tübbing und Gebirge. Er setzt sich aus dem Maß des Schneidrad-Überschnitts (Steuerspalt),

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

der Schildkonizität, der Dicke des Schildmantels sowie der Dicke der Schildschwanzfuge zusammen
und kann zwischen 8 cm bis 25 cm dick sein. Verformungen des Tübbingrings können die
Ringspaltdicke ebenfalls beeinflussen.

Abbildung 6-25: Entstehung des Ringspalts [Schmitt/Stahlmann, 2009].

Ziel ist es, beim Auffahren eines Tunnels den ursprünglichen Spannungszustand im umgebenden
Gebirge weitgehend zu erhalten, bis die Tunnelauskleidung kraftschlüssig mit dem Gebirge eingebaut
ist. Dazu muss die Schildschwanzfuge zeitgleich mit dem Vorschub der Vortriebsmaschine unter
einem vorbestimmten auf den Primärspannungszustand abgestimmten und konstanten Druck verpresst
werden. Dadurch wird verhindert, dass sich das Gebirge in den Ringspalt hinein verformt, wodurch es
sich entspannen und auflockern würde.
Das Verpressmaterial wird während des Vorschubs durch mehrere am Umfang des Schildmantels
verteilte Öffnungen in den Ringspalt eingepresst. Die elastische Schildschwanzdichtung (Gummi-
oder Bürstendichtung) hindert das Verpressmaterial am Eindringen in die Schildmaschine zwischen
Tübbingaußenseite und Schildmantel. Wird zu wenig Verpressmaterial zugeführt, fällt der
Verpressdruck ab, wobei Boden und Grundwasser in den Ringspalt eindringen können, was Setzungen
an der Geländeoberfläche zur Folge hätte. Wird zu viel zugeführt, steigt der Verpressdruck über das
vorgesehene Maß an und Hebungen können entstehen. Aus diesem Grund erfolgt die
Ringspaltverpressung i.d.R. volumen- und druckgeregelt. Als Verpressmaterial können Zementmörtel,
Zweikomponenten-Mörtel (mit Härter) oder Trockengranulat (sog. Perlkies) verwendet werden.
6.5.5. Vortriebsunterbrechungen
Vortriebsunterbrechungen sind Stillstandszeiten, die nicht dem Vortrieb bzw. Ringbau zuzuordnen
sind. Es sind planmäßige und unplanmäßige Unterbrechungen zu unterscheiden.
Als planmäßige Vortriebsunterbrechungen sind gemäß ÖVBB-Richtlinie Schildvortrieb folgende,
stetig wiederkehrende Ereignisse definiert:
 Wartungs- und Reinigungsarbeiten
 Geplante Reparaturarbeiten
 Logistikarbeiten (Band-, Hochspannungskabelverlängerung etc.)
 Begehung der Abbaukammer (Werkzeugkontrolle etc.)
 Umrüsten der TVM, Wechsel des Vortriebsverfahrens und der Betriebsweise
Als unplanmäßige Vortriebsunterbrechungen sind ebendort als nicht im Vorhinein erkennbare
Stillstände definiert. Als Ursachen kommen in Betracht:
 Bewältigung von Vortriebshindernissen
 Instabilitäten der Ortsbrust und der Tunnelleibung, Festfahren der TVM
 Unzulässige Setzungen
 Wasser-, Schlammeinbruch, Gasvorkommen

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

 Geologische Störzonen (Erkundung)


 Ausfall von bzw. Schäden an Maschinenkomponenten
 Ausfall von Versorgungs- und Logistikeinrichtungen
 Unsachgemäße Bedienung (Fehlfahrt der TVM)
 Unplanmäßige Mehrförderung von Ausbruchmaterial
 Schäden des Ausbaus (unzulässige Verformungen, Risse, Abplatzungen)
 Unfall, Brand
Arbeiten in der Abbaukammer erfordern während diesem Zeitraum eine entsprechende Sicherung
bzw. Stützung der Ortsbrust, um die Sicherheit des Personals zu gewährleisten und evtl. Schädigungen
von Gebäuden an der Geländeoberfläche zu minimieren.
Bei druckhaltenden Schildmaschinen (Flüssigkeits- und Erddruckschilden) erfolgt die Stützung der
Ortsbrust im Einstiegsfall durch den Einsatz von Druckluft. Dazu wird die Abbaukammer teilweise
oder vollständig vom Stützmedium geleert und gleichzeitig mit Druckluft beaufschlagt (statischer
Nachweis erforderlich!). In kohäsionslosen Böden bewirkt der Filterkuchen, der sich infolge der
Flüssigkeitsstützung während des Vortriebs ausbildet hat, eine luftundurchlässige Schicht an der
Ortsbrust. Erforderlichenfalls wird auch die Ortsbrust beim Erddruckschild vor/während der
Druckluftbeaufschlagung mit Bentonitsuspension „versiegelt“. Für den Einstieg des Personals in die
Abbaukammer sind alle für Druckluftarbeiten erforderlichen Einrichtungen und
Sicherheitsvorkehrungen vorzusehen (siehe Kapitel 5.3.6.3). Die Schildmaschinen haben hierzu eine
entsprechende Druckluftschleuse und Zugangsmöglichkeiten zum Schneidrad zumeist fix installiert.
Zusätzlich zu den vorgenannten Maßnahmen ist eine Erhöhung der Ortsbrustsicherheit, z.B. durch
Bodenertüchtigungsmaßnahmen von der Maschine bzw. von Obertage aus, möglich. Die
Schildmaschine muss die dafür erforderlichen konstruktiven Anforderungen erfüllen. Eventuelle
Maßnahmen von Obertage sind planerisch zu berücksichtigen.
6.5.6. Ausbläser
Bei zu geringer Überdeckungshöhe besteht bei Druckluftschilden oder bei Erddruck- und Flüssigkeits-
Schilden im Betriebszustand Druckluftstützung beim Einstieg in die Abbaukammer die Gefahr eines
Ausbläsers. Dabei dringt Luft aufgrund des Druckgefälles in den Boden ein und versetzt die
Bodenteilchen in ein labiles Gleichgewicht, da die aufströmende Luft der Gewichtskraft des Bodens
entgegenwirkt. Die Druckluft entweicht explosionsartig und es kommt zu einem Wassereinbruch in
die Abbaukammer.

Abbildung 6-26: Betriebszustand Druckluftstützung beim Hydroschild [Babendererde Ingenieure, 2009].

Um die Ausbläsergefahr (siehe Kapitel 6.5.1) zu reduzieren – etwa bei Gewässerunterquerungen –


kann vorsorglich ein abgestufter Belastungsfilter an der Geländeoberfläche (Gewässersohle)
aufgebracht werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

6.6. Tunnelausbau mittels Tübbingen


Die Auskleidung eines maschinell aufgefahrenen Tunnels erfolgt in der Regel mit sog.
Stahlbetontübbingen, die im Schildbereich (hinter der Druckwand, unter atmosphärischen
Druckverhältnissen) mittels Erektor zu einem Ring zusammen gebaut werden. Gusseisen war lange
Zeit, heute als duktiler Sphäroguss bekannt, das vorherrschende Material für Tübbing-
Tunnelauskleidungen (z.B. U-Bahnlinie U1 in Wien, Bereich Karlsplatz). Heute werden, zumeist für
Sonderverwendungen (z.B. Öffnungen für Querschläge), auch Stahltübbinge hergestellt. Bei
besonderen Brandschutz-Anforderungen werden beispielsweise auch Faserzement-Tübbinge
verwendet (z.B. U-Bahnlinie U1 in Wien, Bereich Kagraner Platz).

Abbildung 6-27: Bezeichnungen beim Tübbingausbau [STUVA, 2001].

Die Vorteile eines Tübbingausbaues liegen in der sofort nach dem Einbau zur Verfügung stehenden
Tragfähigkeit, der Geometrietreue und der einfach zu kontrollierbaren Qualität. Als Nachteile sind die
praktisch nicht gegebene Flexibilität in der Geometrie, der fehlende Schubverbund zum Gebirge und
die wegen des Produktionsvorlaufes geringe Abstimmbarkeit auf die jeweiligen Gebirgsverhältnisse
zu nennen.
Der Tübbingeinbau in der Schildmaschine erfolgt mit Hilfe eines sog. Erektors, welcher zumeist mit
Vakuumsaugplatten die einzelnen Tübbingsteine aufnimmt und positioniert.
Tübbingtunnel haben grundsätzlich (aufgrund des fixen Schilddurchmessers) einen über die gesamte
Länge gleichbleibenden Durchmesser. Variable Durchmesser können in Ausnahmefällen durch ein
Spreiztübbingsystem realisiert werden, wobei als Schlussstein ein Spreizelement eingesetzt wird,
welches den Tübbingring an das umgebende Gebirge anpresst.

Doppelte Dichtungsbahnen

Erektor

Verschraubungslöcher

Holzdübel als Zentrierhilfe

Spanholzplatten zur Druckverteilung

Abbildung 6-28: Ringbau [ÖBA WSKE, 2004].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Der Schlussstein ist das Segment welches beim Ringbau zuletzt eingesetzt wird und somit den
kompletten Ring schließt und zentriert. Er ist i.d.R. keilförmig. Es gibt auch Tübbingkonstruktionen
bei denen auf einen Schlussstein verzichtet wird (siehe Abbildung 6-29).
Zur Lagesicherung werden die Tübbinge temporär gegenseitig verschraubt, die Verschraubungen
können i.d.R. im Nachläuferbereich wieder gelöst werden. Nur in den Portalbereichen und bei
Sonderbauwerken (Querschläge, Nischen, etc.) bleiben die Tübbinge gegebenenfalls permanent
verschraubt.
Zur dauerhaften Übertragung von Querkräften werden sog. „Topf-Nocke-Systeme“ ausgebildet.
Der verbleibende Spalt zwischen Tübbingaußenseite und Gebirge wird über Injektionsöffnungen im
Schildschwanz oder direkt über Öffnungen im Tübbing kontinuierlich z.B. mit Mörtel verpresst (siehe
Kapitel 6.5.4).
Bei Tunnelvortrieben unterhalb des Grundwasserspiegels sind spezielle Dichtkonstruktionen an den
Tübbingfugen vorzusehen.
Eine zweischalige Ausführung eines maschinell aufgefahrenen Tunnels ist ebenfalls möglich.
Hinsichtlich der Innenschalenausbildung sind die Ausführungen in Kapitel 5 sinngemäß zu beachten.
6.6.1. Tübbingherstellung
Stahlbetontübbinge werden als Betonfertigteile im Werk vorgefertigt. In Bezug auf den Tübbing-
Beton werden Anforderungen an die Festigkeitsklasse und Expositionsklassen, sowie – je nach
Herstellungsverfahren – an die Frühfestigkeitsentwicklung gestellt. Neben den Anforderungen an den
Baustoff Beton werden auch Qualitätskriterien an die Oberfläche von Tübbingen gestellt.
Die ÖVBB-Richtlinie Tübbingsysteme aus Beton legt darüber hinaus weitere Anforderungen an die
Produktion fest, z.B. hinsichtlich Schalungen, Manipulation und Lagerung im Werk, sowie Prüfungen
und Produktionskontrollen. Üblicherweise kann jeder einzelne Stein vom Zementwerk, bzw.
Steinbruch der Zuschlagstoffe, über den Tag und die Stunde der Betonierung bis hin zum Einbau in
den Tunnel nachverfolgt werden. Diese aufwendige Qualitätssicherung ist – insbesondere beim
einschaligen Tübbingausbau – dadurch zu begründen, dass ein einmal eingebauter, schadhafter
Tübbingstein nur mit größtem Aufwand saniert oder sogar ausgetauscht werden kann.
6.6.2. Tübbingformen
Gemäß ÖVBB-Richtlinie „Tübbingsysteme aus Beton“ werden rechteckige, trapezförmige,
rhomboidale und hexagonale Tübbinggeometrien unterschieden. In Abbildung 6-27 sind
Blocktübbinge schematisch dargestellt, weitere mögliche – jedoch seltener eingesetzte –
Tübbingformen sind in Abbildung 6-29 gezeigt.

Wendeltübbinge Tübbinge in Achtform

Abbildung 6-29: Mögliche Tübbinggeometrien [STUVA, 2001].

Zur Realisierung von Raumkurven der Tunneltrasse gibt es ebenfalls verschiedene Möglichkeiten.
Bei Parallelringen können Richtungskorrekturen und Kurvenfahrten (eingeschränkt) durch Beilagen in
den Ringfugen, oder durch Einbau von Korrekturringen bewerkstelligt werden.
Tübbingdichtungssysteme sind dann nur mehr aufwendig realisierbar.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Häufiger werden planmäßige Raumkurven der Tunneltrasse durch den Einsatz von sog. Rechts-Links-
Tübbingsystemen oder durch Universalring-Systeme realisiert. Hierbei ist die Tübbinggeometrie
derart, dass die Ringfuge beidseitig oder einseitig zur Orthogonalen der Tunnelachse abgewinkelt ist.
Durch Rotation des Tübbingrings kann eine beliebige Raumkurve, mit gegebenem minimalen
Systemradius realisiert werden.

Abbildung 6-30: Möglichkeiten der gekrümmten Tunnelführung mit Tübbingauskleidung, schematisch. Links:
Uni-Ring. Rechts: Parallel-, Rechts- und Linksring. [STUVA, 2001].

Die Vorteile der Uni-Ring bzw. Links-Rechts-Ringsysteme liegen in der vergleichbaren hohen
Flexibilität (z.B. hinsichtlich Korrekturfahrten) und insbesondere sind gedichtete Tübbingschalen
ausführbar. Als nachteilig kann sich der erhöhte Logistik-Aufwand herausstellen (Gefahr von
Fehlversatz), bei Links-Rechts-Ringen sind verschiedene Schalungssätze bei der Tübbingherstellung
notwendig.
Sohltübbinge
Bei maschinellen Vortrieben im Festgestein mit konventionellem Ausbau (Spritzbeton, etc.) werden
häufig sog. Sohltübbinge eingesetzt, die während der Bauphase dem Nachläufer als Gleisfahrbahn
dienen und für das endgültige Bauwerk bereits die Einbauten enthalten (z.B. Sohldrainage etc.).

Abbildung 6-31: Kombinierter Ausbau Spritzbeton mit Sohltübbingen – Lötschberg Basistunnel.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

6.6.3. Tübbingbemessung
Zur Bemessung der Tunnelauskleidung kommen grundsätzlich analytische Verfahren, Kontinuums-
oder Diskontinuumsmodelle sowie gebettete Stabwerksmodelle (siehe Kapitel 4) in Frage. Der Einsatz
von Schildmaschinen macht es jedoch i.d.R. erforderlich, dass die Vortriebs- und Steuerkräfte in den
Tübbingring eingeleitet werden. Die Tübbingringe sind daher in jedem Fall für diese Kräfte zu
bemessen (ausgenommen Doppelschild TBM, wenn die Einleitung der Vortriebskräfte über die
Gripperverspannung radial in das umliegende Gebirge erfolgt).
Die RVS 09.01.31 gibt beispielsweise folgende zusätzliche Einwirkungen an, welche bei einer
Tübbingauskleidung zu berücksichtigen sind:
 Anpressdrücke der Vortriebspressen
 Lasten aus der Ringspaltverpressung
 Lasten aus Zusammendrückung der Dichtungen
 Lasten beim Transport der Tübbinge
 Lasten aus dem Einbau der Tübbinge

6.6.4. Fugenausbildung
Die Wahl der Tübbinggeometrie bestimmt die Fugenausbildung und Einbaubedingungen.
Tabelle 6-6: Tübbinggeometrie [RVS 09.01.31]

Geometrie Längsfuge Ringfuge Schlussstein Einbaufolge


Rechteckig versetzt durchgehend erforderlich Ring für Ring
Rhomboidal versetzt durchgehend erforderlich Ring für Ring
Trapezförmig versetzt durchgehend nicht erforderlich Ring für Ring oder
kontinuierlich
Hexagonal verzahnt / durchgehend verzahnt / durchgehend nicht erforderlich kontinuierlich

Tabelle 6-7: Kriterien der Anwendung verschiedener Fugenarten [RVS 09.01.31]

Fugenart Anwendung Vorteile Nachteile

Vollflächig ebene Fuge


Für nicht gedichtete,
Schalungstechnisch Schäden bei
niedrig belastete
einfache Lösung geringfügiger Verkantung
Ringfugen

Ebene Teilflächenfuge Für gedichtete


Zentrale
Ringfugen und niedrig
Lastübertragung, gut Kerbbeanspruchung bei
belastete Längsfugen
mit Selbstzentrierung geringfügiger Verkantung
(konvex/konkav oder
kombinierbar
konvex/konvex)
Wälzgelenkfuge Zentrale
Lastübertragung auch
Für hochbelastete Spaltzugbewehrung
bei geringfügiger
Längsfugen erforderlich
Verdrehung und/oder
Ausmittigkeit

Selbstzentrierende Fuge Schäden bei nicht


Für Längs- und Systemsteifigkeit der exaktem Einbau,
Ringfugen Tübbingauskleidung Lastkonzentration an den
Nutkanten

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

6.6.5. Querschläge und Nischen


Sowohl an die Planung als auch an die Herstellung von Querschlägen und Nischen werden bei
schildvorgetriebenen Tunneln mit Tübbingauskleidung besondere Anforderungen gestellt.
Im Bereich von Anschlüssen (z.B. Querschläge, Nischen, Pannenbuchten) werden im Haupttunnel
nicht die normalerweise verwendeten Stahlbetontübbinge gesetzt, sondern es werden üblicherweise
Sondertübbinge eingebaut, welche nachträglich ohne Zerstörung der gesamten Tunnelauskleidung
ausgebaut werden können. Solche Sondertübbinge sind häufig aus Stahl gefertigt oder bestehen z.B.
aus einem Stahlrahmen mit entfernbarem Füllbeton.
Wichtig ist die funktionale Wasserhaltung im Querschlagsbereich, z.B. durch Grundwasser-
absenkung, Druckluft oder Vereisung. Auch Bodenverfestigungen, etwa mittels Injektionen, kommen
in Frage. Bei Vereisungen ist darauf zu achten, dass der Boden-Frostkörper den Haupttunnel nicht
unzulässig belastet und verformt (Eislinsenbildung). Die Anschlüsse zwischen den Haupttunneln und
dem Querstollen bzw. der Nische müssen generell wasserdicht ausgeführt werden.
Die Herstellung von Nischen und Querschlägen erfolgt nach dem Öffnen der Tübbingauskleidung in
der Regel bergmännisch nach den Grundsätzen der NATM. Querschläge können im Prinzip auch
maschinell aufgefahren und mit Tübbingen oder Pressrohren ausgekleidet werden, jedoch wird in den
meisten Fällen wegen der üblicherweise kurzen Längen der Verbindungstunnel die klassische NATM
gewählt.

Abbildung 6-32: Herstellung des Querschlags zwischen zwei Tunnelröhren, schematisch [STUVA, 2001].

Bei Anordnung und Ausbildung von Nischen und dem Anschluss von Querschlägen ist darauf zu
achten, dass:
 das Tragsystem der Tübbingauskleidung zur Aufnahme der Lasten erhalten bleibt,
 die Bettung der verbleibenden Tübbinge erhalten bleibt, d.h. im Falle einer Kiesbettung diese durch
Injektionen gewährleistet wird und
 die Spannungsumlagerungen im Tübbinggewölbe zufolge Öffnungen in der Auskleidung mit
ausreichender Sicherheit aufgenommen werden können.
In der Regel werden die Tübbinge rund um die Öffnung und auch einige Ringe vor und nach der
Öffnung gegenseitig verschraubt und ggf. werden zusätzliche Abstütz- oder Zugverbindungen
angebracht.

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Abbildung 6-33: Herstellung eines Querschlags mit Vereisung Herrentunnel Lübeck [Weigl, 2005].

6.7. Penetrationsmodell nach Gehring


Zur Leistungs- und Verschleißprognose bei TBM-Vortrieben hat Gehring Mitte der 90er Jahre ein
Penetrationsmodell entwickelt, um die Anforderungen des damaligen Maschinenherstellers Voest
Alpine Bergtechnik zu erfüllen. Folgende Anforderungen an das Prognosemodell wurden gestellt:
 Repräsentation der damaligen neuesten Maschinentechnik
 Verwendung von einfach gewinnbaren und vergleichbaren Parametern (z.B. auf Grundlage der
Ausschreibungsparameter)
 Anwendung von gesicherten (sowohl bewiesenen als auch vermuteten) Zusammenhänge und
Korrelationen
 Einfach und schnell anwendbares Modell, nicht streng wissenschaftlich (Dimensionsreinheit)
6.7.1. Aufbau des Gehring-Modells
Das Penetrationmodell von Gehring baut auf der einaxialen Gesteinsdruckfestigkeit auf und ermittelt
daraus die Basisfunktion der Penetration. Anschließend wird die Basisfunktion unter Berücksichtigung
verschiedener Korrekturfaktoren an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst (vgl. Abbildung 6-34).

Abbildung 6-34: Vorgangsweise zur Ermittlung der Penetration nach dem Gehring-Modell [Leitner, 2004].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

In der folgenden Formel ist die Basisfunktion p200 nach Gehring dargestellt, die für folgende
Randbedingungen gültig ist (c … Schneidring bzw. Meißel):
 Schneidspurabstand s = 80 mm
 Schneidringdurchmesser DC = 17´´
 Schneidringbreite BC = 5/8´´
 Mittlere Andruckkraft eines Meißels FN = 200 kN
p 200  a   d b
mit p200… Penetration in mm/rev bei einer Andruckkraft eines Schneidringes von FN = 200 kN/c
a… Koeffizient gemäß Tabelle 6-8
b… Exponent gemäß Tabelle 6-8
d … einaxiale Gesteinsdruckfestigkeit in MPa

Tabelle 6-8: Funktionsparameter für die Basisfunktion auf Basis der Ansätze verschiedener Autoren [Leitner,
2004]

Die Basisfunktion mit den Parametern a und b aus Tabelle 6-8 gilt für den Bereich der einaxialen
Gesteinsdruckfestigkeiten zwischen d = 100 – 250 MPa. In diesem Bereich liefern die
Untersuchungen der verschiedenen Autoren sehr ähnliche Ergebnisse.
Gehring hat aus den zuvor dargelegten Zusammenhängen folgende Basispenetration p unter
Berücksichtigung der Andruckkraft FN=200 kN pro Meißel abgeleitet, wobei hier auch schon die
Anwendung der verschiedenen Korrekturfaktoren ki (durch Linearkombination) mit eingearbeitet ist:
4  FN
p  k 1  k 2  ...  k n
  
d Korrekturfaktoren
Basispenetration

mit p… Penetration in mm/rev bei einer Andruckkraft eines Meißels von FN = 200 kN/c
FN … Andruckkraft eines Meißels in kN/c
d … einaxiale Gesteinsdruckfestigkeit in MPa
k1…n… Korrekturfaktoren zur Berücksichtigung von Abweichungen der Modellbildung

Folgende Faktoren werden durch die Korrekturfaktoren (ki) berücksichtigt:


 k1 Bruchenergie Wf
 k2 Abstand und Orientierung der Trennflächen a und α0
 k3 Spannungszustand
 k4 Schneidringdurchmesser DC
 k5 Schneidspurabstand

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6.7.2. Stärken und Schwächen des Gehring-Modells


Folgende Stärken und Schwächen weist das Penetrationsmodell nach Gehring auf:
 Stärken:
 Modularer Aufbau: Das Modell kann leicht um Korrekturfaktoren erweitert werden.
 Alle „hard facts“ können im Modell berücksichtigt werden (Einflussparameter).
 Die Eingangsparameter (σd, Wf, …) basieren auf Standardtestverfahren und sind somit einfach
zu ermitteln.
 Schwächen:
 Es steht nur eine kleine Datenbasis für Regressionsanalysen und deren Validierung zur
Verfügung.
 Die Datenbasis beruht auf Werten aus den 1990-er Jahren mit Ausbruchsdurchmessern von
3,5 – 4,5 m.
 Die Prognoseformel des Modells ist nicht dimensionsrein (reines Ingenieurmodell).

6.8. Richtlinien
6.8.1. ÖGG Richtlinie für die geotechnische Planung von Untertagebauten mit
kontinuierlichem Vortrieb
Ziel der geomechanischen Planung ist die wirtschaftliche Optimierung der bautechnischen
Maßnahmen unter Berücksichtigung der jeweils vor Ort anstehenden Gebirgsverhältnisse bei
Gewährleistung der Sicherheit, der Umwelterfordernisse und der Langzeitstabilität.
Die Richtlinie der Österreichischen Gesellschaft für Geomechanik (ÖGG) gibt ein klar strukturiertes
geotechnisches Dimensionierungskonzept mit der bestmöglichen Anpassung der Baumaßnahmen an
die jeweiligen Verhältnisse des Untergrundes vor Ort.
Die geotechnische Planung setzt sich aus drei Phasen zusammen:
Phase 1: Planung
Phase 1 umfasst die Bestimmung der Gebirgsarten (GA) und des Gebirgsverhaltens (GV), die Wahl
der TVM, die Festlegung der bau- und maschinentechnischen Maßnahmen unter Berücksichtigung der
Randbedingungen, die Abschätzung des Systemverhaltens (SV) und die Ermittlung der
Vortriebsklassen nach ÖN B 2203-02.
Phase 2: Planung TVM für die Bauausführung
Seitens des Bieters ist im Rahmen der Angebotsbearbeitung ein maschinentechnisches Konzept der
vorgesehenen Tunnelvortriebsmaschine (TVM) auszuarbeiten.
Die maschinentechnische Detailplanung der TVM erfolgt für die Bauausführung durch den
Auftragnehmer unter Berücksichtigung des Bauvertrages und der geotechnischen Planung.
Phase 3: Bauausführung
Die geotechnisch relevanten Gebirgsparameter zur Bestimmung der aktuellen Gebirgsart (GA), bau-
und maschinentechnische Maßnahmen sowie TVM-betriebstechnische Daten werden während des
Baues erfasst und ausgewertet. Auf Basis dieser Auswertung wird unter Berücksichtigung der
Einflussfaktoren das aktuelle Systemverhalten (SV) im Ausbruchsbereich abgeschätzt. Unter
Beachtung des Tunnelbautechnischen Rahmenplans werden die bautechnischen Maßnahmen für das
prognostizierte Systemverhalten (SV) festgelegt.
6.8.1.1. Phase 1 – Planung
Abbildung 6-35 zeigt ein Flussdiagramm, welches den grundsätzlichen Ablauf der geotechnischen
Planung von der Bestimmung der Gebirgsart bis zur Erstellung des Ausschreibungsunterlagen zeigt.
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Abbildung 6-35: Schematischer Ablauf der geotechnischen Planung (Phase 1) [ÖGG- Richtlinie, 2013].

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6.8.1.2. Phase 2 – Planung TVM für die Bauausführung


Die maschinentechnische Detailplanung der TVM durch den Arbeitnehmer erfolgt auf Basis der
geotechnischen Planung des Arbeitgebers (Baugrundmodell). Die Detailplanung der tatsächlich zum
Einsatz kommenden TVM ist das Ergebnis eines Optimierungsprozesses der maschinentechnischen
Möglichkeiten und der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der geotechnischen Anforderungen
der Ausschreibung.
Vor Vortriebsbeginn wird die Entscheidungsmatrix gemäß dem geotechnischen
Sicherheitsmanagementplan unter Berücksichtigung der tatsächlich zum Einsatz kommenden TVM
überprüft und ggf. adaptiert. Diese Matrix enthält die der Planung zugrundeliegenden Parameter mit
folgenden SOLL-Werten:
 Detaillierte Festlegung der maßgebenden Maschinenparameter und der Betriebsweisen vor
Vortriebsbeginn
 Detaillierte Festlegung für den Einsatz von Zusatz- und Sondermaßnahmen und der Kriterien für
die Betriebsweisen

6.8.1.3. Phase 3 – Bauausführung


Die tatsächlichen Gebirgsverhältnisse sind vor Baubeginn nicht vollständig bekannt. Daher müssen die
bautechnischen Maßnahmen während des Baues an die tatsächlichen Gebirgsverhältnisse angepasst
werden. Die Abbildung 6-36 zeigt schematisch den Ablauf der Festlegung und Überprüfung der
Baumaßnahmen:
 Bestimmung der aktuellen Gebirgsart (GA) und Kurzzeitprognose der Gebirgsverhältnisse
 Abschätzung des Systemverhaltens
 Detailfestlegung Vortrieb und Vortriebsvorschau (SOLL)
 Vortriebsnachschau (IST), Überprüfung des Systemverhaltens und Fortschreibung des
Tunnelbautechnischen Rahmenplan und der Entscheidungsmatrix
 Freigabe für nachfolgende Gewerke

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Abbildung 6-36: Schematischer Ablauf der Geotechnischen Planung, Phase 3 Bauausführung [ÖGG-
Richtlinie, 2013].

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6.8.2. ÖNORM B 2203-2: Untertagebauarbeiten – Werkvertragsnorm, Teil 2:


Kontinuierlicher Vortrieb
Die ÖNORM B 2203-2 enthält Verfahrens- und Vertragsbestimmungen für die Ausführung von
Untertagebauarbeiten im kontinuierlichen Vortrieb.
Einteilung in Vortriebsklassen
Der Vortrieb ist unter Beachtung der Gebirgscharakterisierung in Vortriebsabschnitte und innerhalb
dieser Abschnitte gegebenenfalls in Vortriebsklassen zu unterteilen. Die erste Ordnungsgruppe
(Vortriebsabschnitt) ist abhängig vom Löseverhalten (Gesteinsart, Mineralbestand, Zerlegungsgrad
u.a. oder Penetration, Verschleiß u.a.) und kann auch vom Gebirgsverhalten (GV) abhängig gemacht
werden.
Die zweite Ordnungsgruppe ist abhängig von Art und Umfang der leistungsbestimmenden
Maßnahmen. Sie unterscheidet sich je nach Typ der eingesetzten TVM.

Abbildung 6-37: Vortriebsklassenmatrix TBM-O, TBM-A[ÖNORM B 2203-2, 2005].

Abbildung 6-38: Vortriebsklassenmatrix TBM-S, TBM-DS, SM [ÖNORM B 2203-2, 2005].

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7. TUNNELBAU IN OFFENER BAUWEISE


Die offene Tunnelbauweise wird durch das Einschneiden von der Oberfläche in den Baugrund und
die anschließende Überdeckung des Bauwerks definiert. Die offene Tunnelbauweise wird auch als
„Cut and Cover“-Bauweise bezeichnet. Grundsätzlich unterscheidet man zwei verschiedene
Vorgangsweisen: Bei der eigentlichen konventionellen offenen Tunnelbauweise (Bottom-Up) wird
der Tunnel von der Sohle in einer offenen Baugrube hergestellt. Bei der Deckelbauweise (Top-Down)
werden die Tunnelwände und die Tunneldecke von der Oberfläche hergestellt und der weitere
Tunnelbau erfolgt untertage unter der schon fertigen Tunneldecke.

Tabelle 7-1: Übersicht über offene Tunnelbauweisen

Offene Tunnelbauweise Deckelbauweise

Baugrubenumschließung

geböschte verbleibende
temporäre Sicherung
Baugrube Sicherung

Trägerbohlenwand Spundwand Schlitzwand Bohrpfahlwand

Um einen Tunnel in offener Bauweise errichten zu können, müssen folgende Aspekte berücksichtigt
werden:
 Die Baugrundverhältnisse beeinflussen die Rammbarkeit langer Träger, vor allem in von Geröll
und Gesteinen durchsetztem Baugrund. Die Rammträger müssen gegebenenfalls in vorgebohrte
Löcher gesetzt und anschließend noch einige Meter gerammt werden.
 Um die Baugrube trocken zu legen, kann eine großflächige Absenkung des Grundwasserspiegels
erforderlich sein. Während des Absenkvorganges muss die geförderte Wassermenge die
zuströmende Grundwassermenge übersteigen. Dafür müssen ausreichend bemessene
Regenwasserkanäle und Rohrleitungen vorhanden sein. Die Wasserhaltung ist ein maßgebender
Kostenfaktor bei der offenen Tunnelbauweise. Durch die großen anfallenden Wassermengen
infolge großer Baugrubentiefen ist bei etwa 20 m Tiefe die Wirtschaftlichkeit der offenen
Bauweise erreicht.
 Die Auftriebssicherheit des im Grundwasser liegenden Tunnelkörpers muss durch eine
ausreichende Überdeckung oder durch zusätzlichen Ballast-Beton sichergestellt sein.
 Die Grundwasserfließrichtung wird durch dichte bauzeitliche Baugrubenwände, durch den
Tunnelkörper, aber auch durch die Grundwasserabsenkung beeinflusst. Aufgrund dessen sind
Filterschichten um den Tunnelkörper zum Ausgleich der Grundwasserströmung anzuordnen.

7.1. (Konventionelle) Offene Tunnelbauweise (Bottom-Up)


Die konventionelle offene Bauweise wird bei geringer Überdeckung oder auf freier Strecke (keine
Überbauung) angewendet. Abbildung 7-1 zeigt einen Kostenvergleich zwischen offenem und
geschlossenem Vortrieb. Die Baugrube bleibt bei der herkömmlichen offenen Bauweise während der
gesamten Bauzeit offen.

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Abbildung 7-1: Vergleich Kosten pro lfm an Abhängigkeit von der Überdeckung bei bergmännischer und
offener Tunnelbauweise [Spang, 2006].

In den meisten einfachen Fällen wird zunächst die entsprechende Baugrubenwand hergestellt und
anschließend wird mit dem Baugrubenaushub begonnen. Dabei können je nach Bedarf und
Möglichkeit begleitende Maßnahmen, wie Verankerungen der Baugrubenwände, (mit Zugpfählen
verankerte) Unterwasserbetonsohlen etc., gesetzt werden. Nach Herstellen der (dichten)
Baugrubensohle kann mit dem Aufbau der Bauwerkskonstruktion begonnen werden.

Abbildung 7-2: Herstellungsschritte eines Tunnels in offener Baugrube mit Schlitzwänden und einer verankerten
Unterwasser-Betonsohle.

Die Herstellung des Tunnels kann entweder mit Ortbeton oder mit Fertigteilen erfolgen. Der große
Vorteil der offenen Bauweise ist, dass auf einfache Weise ein Rechteckquerschnitt hergestellt werden
kann. Das Lichtraumprofil der Eisenbahn oder einer Straße entspricht eher einem Rechteckquerschnitt
als einem Kreis.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 7-3: Bauphasen der Berliner und der Hamburger Bauweise [Striegler,1993].

7.2. Deckelbauweise (Top-Down)


Im Unterschied zur oben beschriebenen, konventionellen Bauweise, wird bei der Deckelbauweise
eine Bauwerksdecke nahe der Geländeoberkante als aussteifendes Element für die Baugrubenwände
herangezogen. Ein Teilaushub der Baugrube vor Errichtung der Decke ist möglich. Der restliche
Aushub erfolgt unter der bestehenden Decke. Entsprechende, logistische Maßnahmen müssen dafür
getroffen werden. Der Vorteil dieser Bauweise liegt in der Tatsache, dass keine Verankerungen der
Baugrubenwände hergestellt werden müssen. Im städtischen, eng verbauten Bereich werden dadurch
keine fremden Rechte durch Ankerungen berührt.

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Bauphase 1  Herstellung einer bewehrten Betonwand


Bauphase 2  teilweiser Aushub
 ev. temporäre Aussteifung der Baugrube
 Herstellung der Tunneldecke
Bauphase 3  Aushub der Erdmassen unter der Tunneldecke
 Herstellung der Straßenoberfläche
Bauphase 4  Betonieren der Tunnelsohle
 Abdichtung
 Innenauskleidung

Abbildung 7-4: Bauphasen der Deckelbauweise [Striegler, 1993].

Vorteile:
 Die Tunneldecke und die seitlichen Baugrubenwände sind eine gute Aussteifung der Baugrube.
 Es gibt keine Behinderungen des Erdaushubes durch die Aussteifungen.
 Der Verkehr wird nur teilweise gestört. Eine völlige Sperrung der Oberfläche ist nur für die Zeit
des Aushubes des oberen Bereiches der Baugrube und der Herstellung der Tunneldecke
erforderlich.
 Felsige, harte Schichten können durchfahren werden.
 Nennenswerte seitliche Verformungen und Erschütterungen können weitestgehend vermieden
werden.
 Bei einer sorgfältigen Herstellung der Baugrubenwände aus Stahlbeton können diese als Teil der
Tunnelauskleidung herangezogen werden.
 Die Beeinträchtigung von Anrainern ist gering.

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Nachteile:
 In Bereichen mit Grundwasser müssen die Baugrubenwände auf den vollen Wasserdruck bemessen
werden.
 Durch zahlreiche Leitungsbauten im Untergrund kann es zu einer teuren Verlegung dieser
Rohrleitungen kommen.
 Der Einbau von Unterstützungen für Behelfsfahrbahnen während des Baues ist teuer und
schwierig.

7.2.1. Kärntner Deckel


Der sog. „Kärntner Deckel“ ist gekennzeichnet durch eine gekrümmte bzw. gewölbeartige
Tunnelgeometrie.
Vorteile:
 Gewölbewirkung: Die Lasten aus der Überlagerung werden durch die Gewölbewirkung im Beton
in die Seitenwände übertragen.
 Tunnelausbau: Falls sowohl der bergmännischer Vortrieb als auch die offene Bauweise auf einer
(Linien-)Baustelle zur Anwendung kommen, ist nur ein einziger Schalwagen für die Innenschale
erforderlich.

Abbildung 7-5: Schema der Kärntner Deckelbauweise [http://tu-freiberg.de/fakult3/gt/bilder/exkurs/02b-66.jpg,


2009].

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Abbildung 7-6: Kärntner Deckel: oben: in geböschter Baugrube, unten: mit Bohrpfahlwand [www.tk-
perschling.at, 2009].

7.3. Baugrubenumschließungen
7.3.1. Geböschte Baugrube
Auf freien unbebauten Flächen außerhalb der städtischen Bebauung kann der Tunnel in geböschten,
nicht eingefassten Baugruben errichtet werden (siehe Abbildung 7-7 a). Eine geböschte Baugrube
benötigt jedoch viel Platz. Weiters ist das Aushubvolumen und dadurch der Umfang an Transport-,
Zwischenlagerungs- und Verfüllarbeiten sehr groß. Die Reichweite der Hebezeuge und
Baumaschinen, die außerhalb der Baugrube arbeiten, muss daher größer sein. Demgegenüber wirken
sich der Wegfall der Verbauarbeiten und die dadurch fehlende Behinderung in der Baugrube positiv
auf die Tunnelherstellung und den Bauablauf aus.
Als Alternative können teilweise geböschte Baugruben ausgeführt werden (siehe Abbildung 7-7 b,
c). Dies führt zu einer Einsparung des Platzbedarfs und zu einer Verringerung des notwendigen
Erdaushubs.
Zur Stabilisierung steiler, erosionsgefährdeter Böschungen können Spritzbeton, Vernagelungen oder
Geotextilien Anwendung finden. Man spricht in diesen Fällen von einer mittels
Spezialtiefbaumaßnahmen gesicherten Böschung.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 7-7: Abgeböschte Baugruben: a) normale Ausführung; b) senkrechter Verbau in der


Baugrubensohle; c) senkrechter Verbau an der Böschungsoberkante [Striegler, 1993].

7.3.2. Baugrube mit temporärer Baugrubenumschließung


(siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik)
Zu den temporären vertikalen Baugrubensicherungen zählen die Trägerbohlwand
(Bohrträgerverbau) und die Spundwand. Beide Verbauarten können nur bedingt neben bestehenden
Gebäuden eingesetzt werden. Temporäre Baugrubensicherungen können rückgebaut und zum Großteil
wiederverwendet werden. Die Spundwand gilt als technisch dichte Verbauwand und unterscheidet sich
in diesem Merkmal von der Trägerbohlwand, welche nicht im Grundwasser eingesetzt werden kann.
7.3.3. Baugrube mit verbleibender Baugrubenumschließung
(siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik)
Besonders verformungsarme Methoden der Baugrubensicherung, wie Schlitzwände und
Bohrpfahlwände (überschnitten, tangierend, aufgelöst, ev. mit DSV-Zwickelabdichtung), können
als tragende Bauteile in das statische System des Bauwerkes mit eingebunden werden. Dies hat nicht
nur den Synergieeffekt der Materialeinsparung zur Folge, sondern ermöglicht auch eine gute
Ausnutzung des vorhandenen Bauplatzes. Je nach Ausführung der Wand kann diese auch als technisch
dichte Maßnahme im Grundwasser herangezogen werden.

7.4. Grundwasserhaltung
(siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik)
Wenn der natürliche Grundwasserspiegel oberhalb der Aushubsohle einer Baugrube liegt, würde –
ohne weitere Maßnahmen zur Beherrschung des Grundwassers – Wasser in die Baugrube eintreten
und die Baugrube geflutet werden. Maßnahmen, um dies zu vermeiden, sind:
 Wasserhaltung: Grundwasserabsenkung durch offene Wasserhaltung bzw. geschlossene
(Brunnen-)Wasserhaltung, Grundwasserentspannung, Elektroosmose.

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 Abdichtung von Baugruben: durch eine wasserundurchlässige Baugrubenumschließung (z.B.


Spundwand, Schlitzwand, überschnittene Bohrpfahlwand), welche in einen natürlichen
Grundwasserstauhorizont einbindet oder an eine dichte Baugrubensohle anschließt;
erforderlichenfalls mit einer Grundwasserabsenkung oder -entspannung kombiniert.
 Grundwasserverdrängung: aus geschlossenen Arbeitsräumen (z.B. Senkkasten) durch Druckluft.
Welche der Möglichkeiten zur Beherrschung des Grundwassers angewendet wird, hängt in der Praxis
von den Projektrandbedingungen ab. Neben dem Boden sind zumeist das zu errichtende Bauwerk
selbst (Art der Gründung, Abmessungen etc.), das Projektumfeld (benachbarte Bebauung, Naturschutz
etc.), bauverfahrenstechnische sowie bauzeitliche Überlegungen maßgebend.
7.4.1. Methoden zur Grundwasserabsenkung
7.4.1.1. Offene Wasserhaltung
Die Grundwasserabsenkung erfolgt gleichzeitig mit dem Baugrubenaushub bzw. ist dem Aushub nur
wenig vorauseilend. Das vorhandene und zufließende Wasser wird in Drainagegräben gesammelt und
aus Pumpensümpfen („offen“) in der Baugrube selbst entnommen.
7.4.1.2. Geschlossene Wasserhaltung (Brunnenwasserhaltung)
Grundwasserabsenkung
Mittels Brunnen, die unter die Baugrubensohle reichen, wird das zuströmende offene Grundwasser
abgepumpt und dadurch der Grundwasserspiegel unter die gewünschte Ebene (i. d. R.
Baugrubensohle) abgesenkt.
Grundwasserentspannung
Bindet die Baugrubenumschließung in eine dichte Bodenschicht ein, unter der jedoch gespanntes
Grundwasser ansteht, so besteht ggf. die Gefahr des Aufschwimmens der Baugrubensohle. In solchen
Fällen wird oft die Grundwasserdruckhöhe des gespannten Horizonts unter jenes Niveau abgesenkt
(entspannt), damit ein Aufbrechen der Baugrubensohle verhindert wird. Dies wird mittels Brunnen,
die innerhalb oder außerhalb der Baugrubenumschließung situiert sein können, erreicht. Innen
liegende Brunnen können auch als Überlaufbrunnen (Entspannungslanzen) betrieben werden, also
ohne aktives Abpumpen des Grundwassers.

GW GW

kf1

kf2 << kf1

Abbildung 7-8: Links: Grundwasserabsenkung schematisch, Mitte: Grundwasserabsperrung durch


Einbindung in einen Stauerhorizont, rechts: Grundwasserentspannung.

Eine Grundwasserentspannung innerhalb einer Baugrubenumschließung kann auch erforderlich


werden, wenn sich der Nachweis der Sicherheit gegen hydraulischen Grundbruch nicht anders führen
lässt.
Arten von geschlossenen Wasserhaltungen:
 Flachhaltungen
 Wellpointanlagen
 Tiefbrunnenanlagen
 Vakuumverfahren
 Horizontale Brunnenanlagen
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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

7.5. Abdichtung der Baugrubensohle


(sieheVorlesung Grundbau und Bodenmechanik)
Zur Herstellung einer wasserdichten Baugrube, ohne das Grundwasser in der Umgebung abzusenken,
kann diese auch als abgeschlossener, dichter Trog ausgebildet werden. Abhängig von den
vorliegenden geologischen Verhältnissen kann eine natürliche Stauerschicht als Abdichtung nach
unten hin dienen (Abbildung 7-9 a), b)), oder eine künstliche hoch- oder mitteltief- bzw. tiefliegend
hergestellte Dichtsohle innerhalb der Baugrubenumschließung (Abbildung 7-9 c), d)).

hd
hd

hd

Abbildung 7-9: Ansatz der Kräfte beim Nachweis der Sicherheit gegen Aufschwimmen [EAB, 2006].

7.5.1. Einbinden in einen natürlichen Grundwasserstauer


Wenn die Baugrubenwände zusammen mit einer in Höhe der Baugrubensohle oder darunter liegenden,
den Wasserzutritt stark behindernden natürlichen Bodenschicht einen geschlossenen, trogartigen
Baukörper bilden, dann ist der Nachweis einer ausreichenden Sicherheit gegen Aufschwimmen (=
Auftriebsnachweis) zu erbringen [EAB, 2006].
Zusätzlich zum Nachweis der Sicherheit gegen Auftrieb kann auch der Sicherheitsnachweis gegen
hydraulischen Grundbruch erforderlich sein.
7.5.2. Unterwasserbetonsohle ohne Verankerung
Die Ermittlung der Dicke der erforderlichen Unterwasserbetonsohle aus unbewehrtem Beton erfolgt
direkt aus der Sicherheit gegen Aufschwimmen (= Auftriebsnachweis). Wie die Kräfte beim
Sicherheitsnachweis gegen Auftrieb anzusetzen sind, ist ausführlich in der Vorlesung Grundbau und
Bodenmechanik behandelt.

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7.5.3. Unterwasserbetonsohle mit Verankerung


Wird die erforderliche Dicke der Bodenplatte zu groß, ist eine Verankerung der Sohle mit
Zugpfählen zumeist wirtschaftlicher.
Nach dem Unterwasseraushub der Baugrube werden zunächst (z.B. von Pontons oder Brücken aus)
Zugpfähle zur Verankerung der Unterwasserbetonsohle in die Baugrubensohle eingebracht. Derartige
Verankerungspfähle sind in der Regel Mikropfähle (z.B. GEWI-Pfähle oder Rüttelinjektions-Pfähle
(RI-Pfähle)). Dann wird nach den bereits erwähnten Verfahren die Unterwasserbetonsohle hergestellt.
Der dichte Anschluss des Betons an die Pfähle (z.B. auch die höhenmäßige Einrichtung der
Kopfplatten) und an die Baugrubenwände (Reinigung) erfordert üblicherweise die Mitwirkung von
Tauchern, die auf solche Arbeiten spezialisiert sind.
Die (unbewehrte) Betonsohle leitet über Gewölbewirkung die von unten auf sie wirkenden
Wasserdruckkräfte in die Ankerpfähle und in den Boden ein.
Bei Planung und Ausführung der Verankerung ist darauf zu achten, dass die die Berechnung und
Bemessung nach den Regeln für Zugpfähle (und nicht für Anker!) durchgeführt wird.
Bei der Ausführung ist darauf zu achten, dass der Betoniervorgang für die gesamte
Unterwasserbetonsohle in einem Arbeitsgang ohne Unterbrechung erfolgt (ggf. auch Tag-Nacht), die
sich durch das Betonieren bildende Schlammwalze aufgrund der langsam im Wasser abgesunkenen
Feinteile ist kontinuierlich und gewissenhaft mit speziellen Pumpen abzusaugen.
7.5.4. Hoch-, mitteltief- und tiefliegende DSV-Sohle bzw. tiefliegende Injektionssohle
DSV- und Injektions-Dichtsohlen werden von der Geländeoberfläche oder von einem
Voraushubniveau aus hergestellt, d.h. man vermeidet damit einen Unterwasseraushub. Man
unterscheidet – je nach ihrer Tiefenlage in Relation zur Baugrubensohle – hoch-, mitteltief- und
tiefliegende Dichtsohlen. Mitteltiefliegende Dichtsohlen sind als Kombination der Vor- und Nachteile
der beiden grundsätzlichen Varianten zu verstehen. Für die Herstellung der Injektionsbohrungen
werden sog. Produktionsbohrverfahren angewandt, das sind z.B. Spülbohrungen oder
Überlagerungsbohrungen (= verrohrte Imlochhammerbohrungen). Man unterscheidet:
 Hochliegende DSV-Sohlen mit Verankerung
 Mitteltiefliegende DSV-Sohlen mit Bodenauflast und Verankerung (Kombination)
 Tiefliegende Injektions- oder DSV-Sohlen mit Bodenauflast
Undichte Stellen können durch entsprechende Lagegenauigkeit der Bohransatzpunkte und eine
möglichst geringe Abweichung der Bohrungen von der Vertikalen mit einem entsprechenden
Überschnitt der planmäßigen DSV- bzw. Injektionskörper weitgehend vermieden werden, Düs- bzw.
Injektionsschatten können durch einzelne im Boden befindliche Blöcke (Findlinge) auftreten, derartig
bedingte undichte Stellen sind nur schwer zu lokalisieren und zu sanieren.

Abbildung 7-10: Schemabilder von Injektionssohlen. Links: verankerte mitteltief liegende DSV-Sohle; rechts:
tiefliegenden Sohldichtung [Vogt, 2001].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

8. BEHERRSCHUNG DES WASSERS IM TUNNELBAU


Die Durchführbarkeit und die Art der Ausführung eines Tunnelbauprojektes hängen wesentlich von
den Grund- bzw. Bergwasserverhältnissen ab. Behinderungen durch Wasserzutritte können oft ein
erhebliches Maß annehmen. In der Erkundungs- und Planungsphase ist daher auf die zu erwartende
Wassersituation sowohl qualitativ als auch quantitativ Rücksicht zu nehmen.

8.1. Festgestein – Bergwasser


Eine systematische Entwässerung oder Abdichtung des Gebirges (wie im Lockergestein) ist im
Festgestein eher die Ausnahme, stattdessen werden die angetroffenen Wässer üblicherweise im
Vortrieb gefasst.
In gering bis mittel wasserführendem Gebirge wird man sich meist darauf beschränken können,
Kluftwasserdrücke in Hohlraumnähe durch gezielte Entwässerungsbohrungen abzubauen. Das aus den
Entwässerungslöchern zutretende Wasser wird in Schläuchen gefasst und in die offene Drainage oder
in einen Pumpensumpf abgeleitet.
Bei flächig zutretendem Bergwasser werden zur Ableitung in die Drainage Noppenfolien oder PVC
Dichtungsbahnen verwendet.
Sind konzentrierte Wasserzutritte zu erwarten (Vorauserkundung!), können diese ggf. durch
vorauseilende Bohrungen gefasst werden, sodass der Vortrieb selbst durch das Bergwasser so wenig
wie möglich beeinträchtigt wird.

Abbildung 8-1: Abbau von Kluftwasserdrücken durch Entwässerungsbohrungen.

8.2. Lockergestein – Grundwasser, Sickerwasser


Wenn der natürliche Grundwasserspiegel oberhalb der Tunnelnivellette liegt, würde – ohne weitere
Maßnahmen zur Beherrschung des Grundwassers – Wasser eindringen und dies bei kohäsionslosen
Böden zu Ortsbrustinstabilitäten, hydraulischen Grundbrüchen etc. führen. Mit eindringendem
Grundwasser ist im Lockergestein auch zumeist Eindringen von Boden verbunden, was außerhalb des
Tunnelvortriebs zu Hohlräumen und nachfolgenden Geländesetzungen führen kann. Aus diesen
Gründen ist die Beherrschung des Grundwassers beim Lockergesteinstunnelbau wesentliche
Grundlage, ohne die ein Hohlraumbau nicht möglich wäre.
Die Maßnahmen, die im Lockergestein zur Beherrschung des Grundwassers angewendet werden, sind
in der Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik ausführlich erläutert. Nachfolgend wird auf die
Besonderheiten, der ein Tunnelbau unterhalb des Grundwasserspiegels mit sich bringt, eingegangen.
 Grundwasserhaltung (Grundwasserabsenkung bzw. Grundwasserentspannung): Dem
Vortrieb vorlaufend, durch geschlossene (Brunnen-)Wasserhaltung von Obertage aus und/oder
vortriebsbegleitende Maßnahmen von Untertage (Vakuumlanzen, Horizontalfilterbrunnen).

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

 Grundwasserabschirmung:
 Tunnelbau in offener Bauweise:
Wasserundurchlässige Baugrubenumschließung (z.B. Spundwand, Schlitzwand, überschnittene
Bohrpfahlwand), welche in einen natürlichen Grundwasserstauhorizont einbindet oder an eine
dichte Baugrubensohle anschließt; erforderlichenfalls mit einer Grundwasserentspannung zur
Vermeidung von Aufschwimmen der Baugrubensohle kombiniert.
 Tunnelbau in geschlossener Bauweise:
Unmittelbar außerhalb des Ausbruchsprofils werden Dichtkörper beispielsweise mittels DSV
oder Vereisung angeordnet. Diese Sondermaßnahmen können je nach örtlicher Zugänglichkeit,
der Tiefenlage des Tunnels oder anderer maßgebender Projektrandbedingungen von der
Geländeoberfläche aus durchgeführt werden oder von einem Schacht aus bzw. unmittelbar vom
Vortrieb aus.
 Grundwasserverdrängung: aus geschlossenen Arbeitsräumen durch Druckluft
Druckluftvortriebe werden sowohl bei der geschlossenen Bauweise (NATM) als auch bei der
offenen Bauweise eingesetzt. Weiters lassen sich druckhaltende Schildmaschinen (EPB-Schild,
Hydro-Schild, Druckluft-Schild) dieser Kategorie zur Grundwasserbeherrschung mittels
Verdrängung zuordnen.
Beherrschung des
Grundwassers beim
Tunnelbau im Lockergestein

Entwässerung Verdrängung Abschirmung

Grundwasser- Grundwasser- Druckluft- Druckhaltende Offene Geschlossene


haltung von haltung von vortrieb Schildmaschinen Bauweise Bauweise
Obertage Untertage • EPB-Schild
(Absenkung, • Vakuum- • Hydro-Schild
Entspannung) lanzen dichte Sonder-
• Druckluft-
Umschließung maßnahmen
• Brunnen • Horizontal- schild
• Drains brunnen der Baugrube • Vereisung
• DSV-Schirm
• Injektionen

Sohlabdichtung Grundwasser-
entspannung
Abbildung 8-2 Übersicht der Möglichkeiten zur Beherrschung des Grundwassers im Lockergesteinstunnelbau.

Welche der Möglichkeiten zur Beherrschung des Grundwassers zur Anwendung kommt, hängt in der
Praxis von den Projektrandbedingungen ab. Neben dem hydrogeologischen Gegebenheiten
(Vorerkundung!) sind zumeist das zu errichtende Bauwerk selbst (Tunnelnivellette,
Querschnittsgestaltung, Sonderbauwerke etc.), das Projektumfeld (benachbarte Bebauung,
Naturschutz etc.), bauverfahrenstechnische sowie bauzeitliche Überlegungen maßgebend.
Unter Sickerwasser werden unterirdische Wässer verstanden, welche sich üblicherweise durch
Niederschläge bilden und entlang einer stauenden Bodenschicht sammeln. Im Unterschied zum
Grundwasser ist der Wassernachschub begrenzt und von der Witterung abhängig. Eine vorlaufende
Grundwasserabsenkung wird bei Sickerwasserandrang nicht unbedingt zweckmäßig sein, da die
Brunnensituierung und -dimensionierung, aufgrund der schwankenden Wasserzufuhr und dadurch
kaum prognostizierbaren hydraulischen Verhältnisse, kaum sinnvoll möglich ist. Im Tunnelbau
werden daher Sickerwässer üblicherweise vor Ort (im Zuge des Vortriebs) gefasst.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

9. GEOTECHNISCHE MESSUNGEN IM TUNNELBAU –


QUALITÄTSKONTROLLE
Die Beobachtung des Gebirgsverhaltens (im Sinne der Beobachtungsmethode) während und nach
dem Ausbruch von Tunneln ist eine wichtige Basis für Entscheidungen über die Art und Menge der
erforderlichen Stützung, sowie ein wesentlicher Faktor in der Beurteilung der Standsicherheit.
Systematische Messungen von Verschiebungen des ausgebrochenen Hohlraumrandes als Funktion der
Zeit wurden vor allem von Rabcewicz bereits frühzeitig als wichtiges Mittel zur Erkenntnis
gebirgsmechanischer Vorgänge erkannt. Die Verbreitung der Neuen Österreichischen
Tunnelbaumethode (NATM) führte zu einem entscheidenden Fortschritt in der Messtechnik sowie der
Auswertung und Interpretation der Messdaten. Einer der Faktoren, der wesentlich zum Erfolg dieser
Methode beigetragen hat, ist die Erhöhung der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit durch die laufende
Anpassung sowohl des Bauablaufes, als auch der Stützmittel an das aktuelle Gebirgsverhalten.
Die Messtechnik im Tunnelbau hat durch die Erfassung der absoluten Verschiebungen mit
geodätischen Methoden im vergangenen Jahrzehnt einen Quantensprung erlebt. Durch die
Bestimmung der Verschiebungen im Raum ist der Informationsgehalt über das Gebirgsverhalten
gestiegen.

9.1. Begleitmessungen Untertage


Insbesondere bei tiefliegenden Tunneln werden vortriebsbegleitende geotechnische Messungen zur
Überwachung des Systemverhaltens bzw. der Reaktion des Gebirges auf Ausbruch und Einbau der
Stützmittel herangezogen.
Üblicherweise werden in regelmäßigen Abständen Messquerschnitte im Tunnel errichtet, die je nach
den Projekt- und Gebirgsanforderungen sowie der jeweiligen Problemstellungen unterschiedlich
ausgestattet sein können. Die Anordnung der Messquerschnitte und allfälliger Sondermessstellen
sowie die Anzahl der durchzuführenden Messungen werden nach geotechnischen Gesichtspunkten
bestimmt.

A  Messanker mit Kraftmessdose


B  Sohlvermessungspunkte
C  Hydraulische Konvergenz-
bolzen für mechanische und
geodätische Vermessung
(Konvergenzmessung)
D  Extensometer mit hydraulischen
Ankerpunkten in
Einzelbohrlöchern
E  Inklinometer von Obertage

Abbildung 9-1: Beispiel für einen Messquerschnitt [Firmenprospekt GLÖTZL – adaptiert, 2010].

9.1.1. Absolute Verschiebungsmessung


Bei der geodätischen Absolutmessung werden die Raumbewegungen von einzelnen, mit Zielmarken
signalisierten Punkten berührungslos gemessen. Das Verfahren erlaubt die freie Positionierung des

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Aufnahmeinstrumentes. Zur Messung wird ein elektro-optischer Theodolit mit koaxialem


elektronischem Distanzmesser (Totalstation) verwendet. Es können beliebig viele Punkte bis zu einer
Entfernung von max. rund 150 m von einem Standpunkt aus gemessen werden. Der räumliche
Verschiebungsvektor oder die einzelnen Komponenten können so für jeden Punkt ermittelt und
dargestellt werden.
Jeder Messquerschnitt kann beliebig viele Messbolzen aufweisen.

Abbildung 9-2: Freie Stationierung; Schematische Darstellung einer optischen 3D-Verschiebungsmessung


mittels elektronischem Theodolit [Schubert, 2007].

Zur Darstellung von Einflusslinien werden die zu einem bestimmten Zeitpunkt erhobenen Messwerte
entlang der Tunnelachse an einer Messlinie (z.B. Firste oder Ulme) verbunden. Mehrere Messepochen
können auf einem Diagramm dargestellt werden, wodurch sich nach Vavrovsky (1994) sowohl ein
guter räumlicher als auch zeitlicher Überblick über das Verformungsgeschehen ergibt.

Abbildung 9-3: Veränderungen der Einflusslinien der Setzung (rechter Ulmenpunkt) zufolge Gebirgsstörungen
am Beispiel Inntaltunnel [Schubert, 2007].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die vortriebsorientierte Darstellung von Einzelkomponenten bietet einen sehr guten Überblick über
das Verformungsgeschehen eines größeren Bereiches. In einem Bereich mit weitgehend
gleichmäßigem Gebirgsverhalten sind die einzelnen Einflusslinien in Form und Größe gleich. Eine
Änderung im Gebirgsverhalten zeigt sich in dieser Darstellung durch eine Veränderung der Form der
Einflusslinie. Damit ist die rasche Identifikation von Problemzonen möglich.
9.1.2. Konvergenzmessungen
(siehe auch Thema Felsbau)
Es wird bei der Konvergenzmessung die Relativverschiebung zwischen zwei Punkten gemessen.
Gegenüber der Absolutmessung hat diese Methode den Vorteil, dass der gerätemäßige Aufwand
geringer ist, den Nachteil, dass nur Relativverschiebungen gemessen werden und bei einer Vielzahl
von Messstrecken der zeitliche Aufwand und die Behinderung des Betriebes beträchtlich sind.
9.1.3. Extensometer
(siehe auch Thema Felsbau)
Der Einsatz von Extensometern dient dazu, die Relativverschiebung zwischen zwei oder mehreren
Punkten im Gebirge zu messen. Extensometer können von der Geländeoberfläche aus eingebaut
werden, um bspw. die Auswirkungen vor, während und nach dem Vortriebsdurchgang beobachten zu
können, oder sie werden radial vom Vortrieb aus eingebaut.
Messanker
Der Messanker ist die Kombination eines vollwertigen Systemankers mit einem
Präzisionsextensometer. Er besteht aus einer hohlen Ankerstange, deren Querschnitt und Werkstoff
dem projektspezifischen Systemankertyp entspricht. Im Inneren sind die Messgestänge des
Extennometers fest mit den Verankerungspunkten verbunden. Die Gestänge führen zum Messkopf,
der den Referenzpunkt darstellt, zu dem die Verschiebungen gemessen werden. Mittels Messuhr
werden die Längenänderungen zwischen den einzelnen Messpunkten bestimmt.

Abbildung 9-4: Schemaschnitt Messanker [Firmenprospekt GLÖTZL, 2010].

Durch Umrechnen der Dehnung in Spannung und Kräfte lässt sich die jeweilige Beanspruchung des
Messankers in verschiedenen Teufenintervallen ermitteln, sofern sich die Dehnung im linear
elastischen Bereich des Messankerwerkstoffes befindet.
Darüber hinaus können mit den gewonnenen Messdaten Rückschlüsse auf den Auslastungsgrad der
Ankerung gezogen werden. Diese Erkenntnisse dienen sowohl der Optimierung der Ankerlänge als
auch des Rasters der Systemankerung.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

9.1.4. Ring-Konvergenz-Messsystem
Beim maschinellen Tunnelvortrieb kann zur permanenten Verformungsüberwachung ausgewählter
Tübbingringe ein sog. Ring-Konvergenz-Messsystem eingesetzt werden (z.B. beim Citytunnel
Leipzig, 2007). Beim Ring-Konvergenz-Messsystem wird in dem zu beobachtenden Ring ein
Inklinometer pro Segment positioniert. Dabei wird angenommen, dass sich die Segmente des Rings
wie eine Gliederkette verhalten, bei der jedes einzelne Glied in sich starr bleibt. Bewegungen können
allerdings in den Längsfugen stattfinden, deshalb werden sie als Gelenke betrachtet. Ausgehend von
den beobachteten Neigungsänderungen der Inklinometer an den Segmenten werden die Verformungen
des Gesamtringes abgeleitet. Für jeden Datensatz wird ein Ringpolygon in einem lokalen
Koordinatensystem berechnet. Die dabei ermittelten Koordinaten der Gelenkpunkte erlauben die
Berechnung sämtlicher Konvergenzstrecken, die zur Beobachtung von Interesse sein können. Die
Differenzen der interessierenden Strecken zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten ergeben die
gesuchten Konvergenzen bzw. Divergenzen.

Abbildung 9-5: Messprinzip Ring-Konvergenzmessung [www.vmt-gmbh.de, Februar 2010].

9.1.5. Spannungs- und Dehnungsmessung im Spritzbeton


Betondehnungsgeber
Betondehnungsgeber werden zur Ermittlung von Dehnungen und Stauchungen in Spritzbeton- und
Betonbauteilen eingesetzt. Aufgrund der Spannungs- und Dehnungsbeziehungen lassen sich aus den
gemessenen Verformungen die zugehörigen Spannungen und Schnittkräfte rückrechnen.
Darüber hinaus werden Dehnungsmessungen auch häufig zur Langzeitüberwachung von
Tunnelinnenschalen verwendet.
Funktionsprinzip: Zwei mit definiertem Abstand und parallel im Beton eingebettete Stahlstäbe
zwingen bei einer Relativverschiebung einem Zentralrohr eine Verformung auf, die der mittleren
Stauchung oder Dehnung des Betons innerhalb dieses Abstands entspricht. Diese Verformung wird
mittels Dehnmessstreifen erfasst.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

1 Querelement
2 Silikonkautschuk
3 Bolzen
4 Profil aus biegesteifem Material
5 Kunststoffhülle
6 Tragkörper
7 Dehnungsmessstreifen
8 Kompensations-Dehnungsmessstreifen
9 Plättchen
10 Abdeckmaterial
11 Kunststoffrohr
12 Querschnittsfläche
13 Spritzbeton
14 Gerade Achse

Abbildung 9-6: Betondehnungsgeber schematisch [Firmenprospekt Geodata, 2010].

Druckmessdosen
Das Haupteinsatzgebiet der Druckmessdosen liegt in der Beobachtung der Spannungsentwicklung in
Spritzbeton- und Betonauskleidungen. Druckdosen werden zur Messung der Radial- bzw.
Tangentialdrücke im Ausbau gewöhnlich paarweise installiert.
Funktionsprinzip: Eine Druckdose besteht aus zwei, meist rechteckigen Blechen, die an den Rändern
zusammengeschweißt sind. Der auf die Dose wirkende Druck wird über die Füllflüssigkeit auf einen
elektrischen Drucksensor übertragen. Um den möglicherweise ausgebildeten Schwindspalt zwischen
Beton und Dose kraftschlüssig zu überbrücken, können Betondruckdosen nachträglich “aufgepumpt”
(= nachgespannt) werden.

Abbildung 9-7: Kombination einer Druckdose mit Dehnungsgebern [Firmenprospekt Geodata, 2010].

9.1.6. Profilkontrolle mit Tunnelscanner


3D-Laserscan-Systeme revolutionieren die Möglichkeit, Tunneloberflächen (und andere Objekte) zu
vermessen, zu visualisieren und zu modellieren. Im Zuge der Messung wird die Tunneloberfläche in
einem dichten Raster mit Laserimpulsen abgetastet. Der Laserscanner rotiert während der Messung
gleichförmig um seine Längsachse. Gleichzeitig wird ein Laserstrahl, abgelenkt durch einen
rotierenden Spiegel, in einem Öffnungsbereich von 90° ausgesendet. Bei vertikaler Aufstellung des
Scanners sind somit 360° Panoramaaufnahmen möglich.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 9-8: Prinzipdarstellung Leibungsscan [Firmenprospekt Geodata, 2010].

9.2. Begleitmessungen Obertage


9.2.1. Absolutmessung der Oberflächensetzungen
Die gemessenen Setzungen an der Geländeoberfläche vor, während, und nach „Durchgang“ des
Tunnelvortriebs bieten wertvolle Zusatzinformationen über das Systemverhalten von Gebirge,
Vortrieb und Ausbau. Zudem ist die Beobachtung und Dokumentation der Setzungen – insbesondere
beim (seicht liegenden) Tunnelbau unter bebautem Gebiet – Teil eines sachgemäßen
Risikomanagements und dient in weiterer Folge zur Beweissicherung der unterfahrenen Objekte.

Abbildung 9-9: Lainzer Tunnel: Monitoring an einem unterfahrenem Gebäudekomplex [Moritz et al., 2008].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 9-10: Lainzer Tunnel: Konturplot der Oberflächensetzungen , räumlicher Verlauf, Verteilung und
Gesamtausmaß der Oberflächensetzungen [Moritz et al., 2008].

Abbildung 9-11: Lainzer Tunnel: Setzungsanteile der Teilvortriebe (Ulmenstollen U9, U7 und Kern I, Kern II)
an den gemessenen Gesamtoberflächensetzungen entlang der Tunnelachse in den Versuchsfeldern und
Gegenüberstellung zu den dokumentierten geologischen Verhältnissen im Längsschnitt [Moritz et al., 2008].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

9.2.2. Kontinuierliche Setzungsüberwachung


Werden besonders sensible Objekte (beispielsweise hochrangige Verkehrswege, setzungsempfindliche
Hochbauten oder Einbauten) von einem Tunnelvortrieb unterfahren, sind unter Umständen
kontinuierlich messende Systeme zu installieren, welche die Setzungen registrieren und bei
Erreichen der projektspezifischen Warnwerte automatisch einen Alarm auslösen können. Für diese
Zwecke kommen Schlauchwaagensysteme oder fix installierte Laser zum Einsatz.

Abbildung 9-12: Funktionsprinzip einer Schlauchwaage: Prinzip der kommunizierenden Gefäße [www.getec-
ac.de, 2009].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

10. ROHRVORTRIEB
Für die Leitungs- und Kollektorherstellung in geschlossener Bauweise sind nur vergleichsweise kleine
Ausbruchsdurchmesser erforderlich, welche überwiegend – bei nicht mehr begehbaren Querschnitten
– ausschließlich maschinell aufgefahren werden.
Der Rohrvortrieb im heutigen Sinne begann in den 60-er bis 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts mit
Nennweiten von 1,0 bis 2,0 m, bei Vortriebslängen von mehreren hundert Metern. Daran anschließend
setzte ein deutlicher Entwicklungsschub ein; heute werden Vortriebslängen bis mehrere tausend Meter
und Nennweiten bis zu 4,0 m und darüber ausgeführt.

10.1. Prinzip des Rohrvortriebs


Beim Rohrvortrieb wird – wie beim maschinellen Tunnelvortrieb – im Schutze eines Schildes ein
Hohlraum geschaffen, den zunächst der Schild gegen den Druck des Bodens stützt. Der Schild wird
aus der Startposition (z.B. Pressschacht) mittels Hydraulikpressen in den Boden gedrückt,
anschließend werden in den vom Schild vorgeschnittenen Hohlraum weitere Rohre nachgepresst. Die
Rohre übernehmen vom Schild die Last des Bodens und bilden zugleich die fertige Röhre. Die
einzelnen Rohre, von denen jedes für sich allein Bestandteil des ganzen Bauwerkes ist, werden auf
diese Weise zum betriebsfertigen Bauwerk zusammengefügt.
Zur Herabsetzung der beim Vorpressen auftretenden Mantelreibung wird an der gesamten
Rohraußenwandung laufend Bentonitsuspension verpresst. Die Rohre werden von der Hauptstation im
Startschacht gepresst sowie im Bedarfsfall von im Rohrstrang mitgeführten Zwischenstationen
(Dehnern). Ein wesentliches, vielleicht das wesentlichste, Kriterium des Rohrvortriebes ist es, dass
der gesamte Rohrstrang so lange in Bewegung bleibt, bis das letzte Rohr aus dem Startschacht
ausgefahren ist. Die Endposition des Rohrstrangs ist üblicherweise erst dann erreicht, wenn auch die
Zwischendehner wieder zusammengefahren (und ausgebaut) sind.

Abbildung 10-1: Schema eines Rohrvortriebs mit Teilschnittmaschine [Schad et al., 2003].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

10.2. Übersicht der grabenlosen Verfahren („No-Dig“)


Das Rohrpressverfahren ist als Bauweise den sog. grabenlosen Technologien zuzuordnen. Beim
grabenlosen Leitungsbau hat sich, insbesondere bei den unbemannten Verfahren, eine Vielzahl
unterschiedlicher Verfahren entwickelt, welche in Abhängigkeit von den Untergrund- und
Projektverhältnissen Anwendung finden. Die ÖNORM EN 12889 (Grabenlose Verlegung und Prüfung
von Abwasserleitungen und -kanälen) enthält eine Übersicht der Verfahren.

Abbildung 10-2: Grabenlose Verfahren nach ÖNORM EN 12889.

10.2.1. Unbemannt arbeitende, nichtsteuerbare Verfahren


Nichtsteuerbare Verfahren nach dem Prinzip der Bodenverdrängung (siehe dazu Abbildung 10-3)
werden üblicherweise für Rohrnenndurchmesser bis DN 150 mm (200 mm) und Vortriebslängen von
max. 30 m eingesetzt. Es sind lediglich geradlinige Streckenführungen möglich.
Für größere Durchmesser und Vortriebslängen werden Bodenentnahmeverfahren angewendet (siehe
Abbildung 10-4). Welches der möglichen Verfahren zum Einsatz kommt, ist maßgeblich von den
Baugrundverhältnissen abhängig. Wichtige Beurteilungskriterien sind die Standsicherheit der
Bohrlochwände und die Bohrbarkeit des Bodens sowie z.B. die Kornverteilung, Korngröße und
Festigkeit des Bodens. Bohrungen unterhalb des Grundwasserspiegels können nicht ausgeführt
werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 10-3: Übersicht der unbemannt arbeitenden, nichtsteuerbaren Bodenverdrängungsverfahren beim


Rohrleitungsneubau [Stein, 2003].

Beim Rohrberst- und beim Rohrauszieh-Verfahren handelt es sich um Technologien zum Insitu-
Austausch vorhandener Leitungen. Die vorhandene, sanierungsbedürftige Rohrleitung wird entweder
von innen aufgebrochen und zusammen mit dem umgebenden Boden durch ein Aufweitungsteil
verdrängt (Rohrberst-Verfahren), oder durch Ziehen und Pressen aus dem Untergrund entfernt.
Gleichzeitig wird – dem Aufweitungsteil bzw. der herausbeförderten alten Leitung folgend – die neue
Rohrleitung eingebracht, welche auch einen größeren Durchmesser als die vorhandene Leitung haben
kann.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 10-4: Übersicht der unbemannt arbeitenden, nichtsteuerbaren Bodenentnahmeverfahren [Stein,


2003].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

10.2.2. Unbemannt arbeitende, steuerbare Verfahren


Auch bei den steuerbaren, unbemannten Verfahren kann zwischen Bodenentnahmeverfahren
(Abbildung 10-5) und Bodenverdrängungsverfahren (Abbildung 10-8) unterschieden werden.
Die ausführbaren Bohrdurchmesser sind grundsätzlich beim Bodenentnahmeverfahren größer als bei
den Bodenverdrängungsmethoden (aus der Literatur sind beim Spülbohrverfahren Durchmesser bis zu
DN 1800 mm bekannt, während beim Mikrotunnelbau mit Bodenverdrängung Durchmesser von
DN 600 mm dokumentiert sind). Gleichzeitig sind die erzielbaren Vortriebslängen beim
Bodenentnahmeverfahren (bis 1800 m) deutlich größer als bei den Bodenverdrängungsverfahren (bis
25 m).

Abbildung 10-5: Übersicht der unbemannt arbeitenden, steuerbaren Verfahren nach dem Prinzip der
Bodenentnahme [Stein, 2003].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Beim sog. Pipe-Eating wird eine vorhandene Rohrleitung, gemeinsam mit dem umgebenden Boden
mittels Mikrotunneling, abgebaut.
In der ÖNORM EN 12889 wird Mikrotunnelbau (Microtunneling) definiert als steuerbares,
einstufiges Verfahren zum Vortrieb von Rohren mit üblicherweise bis zu 1 m innerem Durchmesser,
von einem Steuerstand außerhalb des Tunnels ferngelenkt. Die Rohrleitung folgt der
Tunnelbaumaschine. Auch größere Durchmesser als DN 1000 sind möglich.
Beim Mikrotunnelbau mit Bodenentnahme kann nach Art der Förderung des Bohrguts unterschieden
werden zwischen:
 Schneckenförderung  AVT … Automatische Vortriebsmaschine mit Trockenförderung
 Hydraulischer Förderung  AVN … Automat. Vortriebsmaschine mit Nassförderung
 Pneumatischer Förderung (Spülmittel Luft)  AVP
 Andere mechanische Förderungen (z.B. Schrapperanlage)
1 Schneidrad, 2 Hartmetallwerkzeuge,
3 Brecherkammer, 4 Brecherschnecke,
5 Wasserdüse, 6 Hauptlager,
7 Drehantrieb, 8 Steuerzylinder,
9 Förderschnecke, 10 Zieltafel,
11 Laserstrahl, 12 Ventilblock

1 Schneidrad, 2 Hartmetallwerkzeuge,
3 Abbau- und Brecherkammer,
4 Einspritzdüsen, 5 Hauptlager,
6 Drehantrieb, 7 Gelenkdichtung,
8 Steuerzylinder, 9 Abbauförderung,
10 Zuförderleitung, 11 Zieltafel,
12 Laserstrahl, 13 Bypass,
14 Ventilblock

Abbildung 10-6: Längsschnitte von Microtunneling-Maschinen. Oben: Schneckenförderung mit direkt


angetriebenem Bohrkopf (Herrenknecht AVT). Unten: hydraulische Förderung (Herrenknecht AVN) [Stein,
2003].

Automatische Vortriebsmaschinen mit Nassförderung (AVN) werden auch Slurry-Schild genannt.


Das abgebaute Material wird in der Abbaukammer an einen geschlossenen Spülförderkreislauf
übergeben. An der Oberfläche wird das abgeförderte Material wieder von der Spülflüssigkeit getrennt
(Separation).
Die so genannten AVND-Maschinen verfügen über eine erweiterte AVN-Technik mit Steuerung des
Stützdruckes über ein regelbares Druckluftpolster. Sie werden häufig auch als Mixschild oder
Hydroschild bezeichnet.
Beim sog. Directional Drilling wird für die Verlegung von Rohrleitungen eine Bohranlage eingesetzt.
Eine Pilotbohrung wird durch einen steuerbaren Bohrkopf mit flexiblem Bohrgestänge vorgetrieben.
Die Bohrung wird mit Räumern erweitert, bis der für die Rohrleitung erforderliche Durchmesser
erreicht ist, und anschließend wird/werden das Rohr/die Rohre in die erforderliche Position
eingezogen oder eingeschoben (HDD-Verfahren … Horizontal Directional Drilling).

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 10-7: Beispiel für Directional Drilling [ÖNORM EN 12889].

Abbildung 10-8: Übersicht der unbemannt arbeitenden, steuerbaren Verfahren nach dem Prinzip der
Bodenverdrängung [Stein, 2003].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

10.2.3. Bemannt arbeitende Verfahren – Rohrvortrieb


Die DIN EN 12889 definiert Rohrvortrieb als ein Verfahren, bei dem Rohre unter ständigem
Aufbringen von Kräften von einem Startort aus zu einem Zielort vorgetrieben werden.
Rohrvortriebssysteme sind immer steuerbar und erlauben den Vortrieb in gerader Linie oder Kurven.
Die Grenze zum Microtunneling (siehe Kapitel 10.2.2) ist fließend und vielleicht noch am ehesten bei
der „Begehbarkeit“ der aufzufahrenden Leitung zu setzen. Die zum Einsatz kommenden Technologien
sind praktisch dieselben, mit dem einzig wesentlichen Verfahrensunterschied „bemannter – nicht
bemannter Vortrieb“. Auch eine Abgrenzung zum maschinellen Tunnelvortrieb (Kapitel 6) ist nicht
auf Basis der eingesetzten Vortriebstechnologie zu treffen, sondern aufgrund der unterschiedlichen
Tunnelauskleidungssysteme (Tübbing – Pressrohr). Daraus ergibt sich auch der, im Wesentlichen
wirtschaftlich und kaum technologisch bedingte, maximale Vortriebsdurchmesser für
Rohrvorpressungen von derzeit etwa 5,5 m (in Österreich). Bei großen Durchmessern werden die
Stahlbetonpressrohre in einer Feldfabrik hergestellt, sodass der Antransport zum jeweiligen
Startschacht möglich ist.
Beim Rohrvortrieb kann der Boden manuell, mechanisch oder hydraulisch an der Ortsbrust abgebaut
werden. Das Rohrvortriebsverfahren beinhaltet daher den Einsatz von folgenden Schildtypen:
 Offene Schilde mit oder ohne Druckluft bzw. mit oder ohne Absenkung des Grundwassers
( Haubenschild etc.)
 Geschlossene Schilde mit oder ohne Druckluft oder anderen Systemen zur Stützung der Ortsbrust
( Slurry-Schild, Hydro-Schild, EPB-Schild etc.)

Abbildung 10-9: Blick auf die Ortsbrust eines Rohrvortriebs mit Teilschnittmaschine in einem Haubenschild mit
Zwischenbühne [Firmenprospekt PORR Tunnelbau].

Rohrvortriebe sind nicht auf den Kreisquerschnitt beschränkt, auch wenn Sonderquerschnitte nur
selten ausgeführt werden.

Abbildung 10-10: Links: Ansicht einer DPLEX-Schildmaschine (H/B ~ 4 / 4,5 m). Rechts: Prinzipskizze der
exzentrischen Rotation des Schneidrahmens.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

In Abbildung 10-11 sind Möglichkeiten der Ortsbruststützungen beim Rohrvortrieb gezeigt, welche
im Prinzip mit jenen des maschinellen Tunnelvortriebs übereinstimmen.

Abbildung 10-11: Prinzipien der Ortsbruststützung bei druckhaltenden Maschinen [Schad et al., 2003].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 10-12: Prinzipdarstellung eines Hydrojetschildes [Brandl, 2006].

Vorteile des Rohrvortriebsverfahrens (bzw. des Microtunnelings):


 In nahezu allen Bodenarten, mit und ohne Grundwasser, einsetzbar
 Unterfahren von Gewässern, Gebäuden und Verkehrswegen etc. möglich
 Reduktion der Erdarbeiten (Aushubmengen) bei größerer Tiefenlage der Leitung
 Hohe Vortriebsleistungen möglich (Reduktion der Bauzeit)
 Hoher Qualitätsstandard bei Vorpressrohren
 Baudurchführung weitestgehend witterungsunabhängig
 Geringe bzw. nur punktuelle Belastung der Anrainer durch Lärm, Schmutz etc.

Nachteile des Rohrvortriebsverfahrens (bzw. des Microtunnelings):


 Hohe Personalqualifikation und Spezialmaschinen sind erforderlich.
 Hebungen und Setzungen können während des Vortriebs auftreten.
 Hindernisse (z.B. alte Fundierungen, Findlinge) sind vortriebsbehindernd.
 Relativ große Start- und Zielschächte sind erforderlich, unabhängig von der Stranglänge.
 Einschränkungen der Leitungstrassierung aufgrund der Limitierung der möglichen Kurvenradien
 Oberhalb Grundwasser: wirtschaftlicher Nachteil im Vergleich mit offenen Bauweisen
 Begrenzung des Leitungsdurchmessers zufolge Antransport der Pressrohre

Weitere bemannte Verfahren sind z.B. Einbringen eines Liners oder vorgefertigter Rohre in einen
(z.B. konventionell aufgefahrenen) Tunnel.

10.3. Untergrunderkundung für den Rohrvortrieb


Reste früherer Bebauungen oder unbekannte Einbauten in der Vortriebstrasse können für die
Vortriebsmaschine ein entscheidendes Hindernis darstellen oder zu kritischen Situationen im Vortrieb
führen (z.B. Ausbläser, Suspensionssturz). Auf eine sorgfältige Erkundung des Untergrundes sowie
des Projektumfeldes ist daher im Hinblick auf die Anforderungen des geplanten Vortriebsverfahrens
besonderes Augenmerk zu legen. Erforderlichenfalls muss das Vortriebshindernis vorab entfernt oder
die Leitungstrasse angepasst werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Verkehrsbelastung

Bebauung

Vor- Baugrund +
bebauung Grundwasser

Abbildung 10-13: Innerstädtische Randbedingungen beim Rohrvortrieb [Sochatzy/Drucker, 2008].

Insbesondere im städtischen Umfeld wird der Baugrund hinsichtlich der Trassenentscheidung zumeist
nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die spezifischen Anforderungen an den Betrieb der
projektierten Infrastrukturleitung sowie die zahlreichen Einschränkungen aus dem Projektumfeld sind
innerstädtisch üblicherweise maßgebend für die Leitungstrassierung. Ausreichende Informationen über
die Untergrundverhältnisse werden aber nichtsdestoweniger für die Konzeption der Vortriebsmaschine
bzw. der Abbaugeräte, die grundbautechnische Planung und erdstatische Bemessung der Schächte, der
Bauhilfsmaßnahmen und der Pressrohre (und schlussendlich auch als Grundlage für den Bauvertrag)
benötigt.
In Tabelle 10-1 werden die Empfehlungen verschiedener einschlägiger Regelwerke bezüglich Abstand
und Tiefe von vorlaufenden Baugrunderkundungen für Linienbauwerke, bzw. Rohrleitungen
gegenüber gestellt.
Tabelle 10-1: Empfehlungen für die Baugrunderkundung (Untergrundaufschluss) von Leitungsbauwerken

ÖNORM EN 1997-2
ÖNORM B 4402 DWA–A125
(Anhang B – informativ)
Abstände der
50 – 200 m 20 – 200 m 50 m
Aufschlusspunkte
Untersuchungstiefen Ausbruchsbreite, 1 bis 2 mal die 2 m (oberhalb GW)
unter Ausbruchsohle jedoch mind. 5,0 m Ausbruchsbreite bzw. 3 m (unter GW)

Abgesehen von den Widersprüchen zwischen den einzelnen Regelwerken, die sich bei den
vorgeschlagenen Untersuchungstiefen ergeben, ist im bebauten Gebiet oft auch ein Maximalabstand
der Aufschlusspunkte von ca. 200 m nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand realisierbar.
Entsprechend ÖNORM B 4402 darf jedoch bei gleich bleibenden geologischen Verhältnissen auch ein
größerer Abstand der Aufschlüsse gewählt werden. Für Rohrvortriebe werden letztendlich
Erkundungsbohrungen bei allen Start-, Ziel- und Zwischenschächten unverzichtbar sein und je nach
technischer und wirtschaftlicher Möglichkeit wird der Untergrundaufschluss längs der Trasse
verdichtet.
Grundsätzlich gilt für alle grabenlosen Verfahren: je kleiner der Durchmesser ist, desto kleiner ist
i.d.R. auch das maßgebende (geogen bedingte) Hindernis (z.B. Steine, Blöcke, Holzstämme) und die
Aufschlussdichte ist dieser Forderung anzupassen. Der in der DWA-A 125 geforderte Mindestabstand
der Aufschlusspunkte ist daher unter dem Gesichtspunkt der für die Wasserver- und
Wasserentsorgungsleitungen üblichen Rohrdurchmesser zu sehen.
In der DWA-A 125 ist darüber hinaus festgehalten, dass je nach den Erfordernissen des Einzelfalls die
in Tabelle 10-2 angeführten Eigenschaften und Merkmale des Untergrundes zu untersuchen sind.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Tabelle 10-2: Beschreibung der Baugrund- und Grundwasserverhältnisse [DWA-A 125]

Lockergestein und Festgestein


Maximaler und minimaler Grundwasserstand, Ganglinien
Grad einer Kontaminierung von Boden, Bodenluft und Grundwasser
Entsorgungshinweise gemäß geltender Gesetze
Bestandteile an abrasiven Mineralien und Quarzgehalt zur Bestimmung der Abrasivität
Aggressive Wirkung von Boden und Grundwasser
Quellverhalten
Verwitterungsanfälligkeit des Gesteins, bzw. Veränderung beim Zutritt von Luft oder Wasser /
Stützflüssigkeiten
Verklebungspotenzial
Schichtenverzeichnisse
Wichte
Störungszonen, Hohlräume
Lockergestein Festgestein
Kornverteilung, Kornform Verwitterungsgrad
Wasserdurchlässigkeitsbeiwert Trennflächengefüge und Schichtstärke von
Gesteinsplatten, Kluftkörper (RQD) und räumliche
Orientierung
Lagerungsdichte Härte
Plastizitätsgrenzen, Wassergehalt Gesteins- und Gebirgsfestigkeit, Abbaubarkeit
Scherparameter, Reibungswinkel, Kohäsion Spaltzugfestigkeit
Verformungsmodul und Erddruckbeiwert Cerchar Abrasivity Index zur Bestimmung der
Abrasivität
Steingröße und Steinanteil, max. Druckfestigkeiten Wasseranfall, Durchlässigkeit, Schichtwasserführung
Wasserführung und Wasserdruck Karsterscheinungen, Klüfte, Fugen
Organische Bestandteile, Kalkgehalt
Neigung zur Liquefaktion

10.4. Start-, Ziel- und Zwischenschächte für den Rohrvortrieb


Der Startschacht bildet den Ausgangspunkt der Rohrvorpressung. Hier erfolgen z.B.:
 Installation der Hauptpressstation und der Presswand
 Positionierung der Vortriebsmaschine
 Einbau der einzelnen Vortriebsrohre
 Abförderung des an der Ortsbrust gelösten Bohrkleins bzw. Bohrgutes nach Obertage
Demzufolge muss die Hauptbaustelleneinrichtung (z.B. Separieranlage, Schutterbox,
Rohrzwischenlager, Mobil- oder Portalkran etc.) für den Rohrvortrieb beim Startschacht situiert sein,
was – insbesondere innerstädtisch – für die Situierung des Schachtes maßgebend sein kann.
Der Vortrieb endet in einem Zielschacht, welcher beim Rohrvortrieb hauptsächlich zur Bergung der
Vortriebsmaschine dient. Die Aufgaben von Start- und Zielbaugrube müssen nicht auf die Bauphase
beschränkt bleiben, sie können darüber hinaus für spätere Betriebszwecke der Leitung genutzt werden.
Zwischenschächte werden in der Regel von der Vortriebsmaschine durchfahren. Sie können einerseits
aufgrund der geplanten Leitungsnutzung (z.B. Abzweigungen, Zugangs- oder Lüftungsschächte),
andererseits auch bereits für den Vortrieb (z.B. zum planmäßigen Werkzeugaustausch oder anderer
Wartungsmaßnahmen an der Vortriebsmaschine) erforderlich werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Schachtabmessungen ergeben sich entsprechend entweder aus der späteren Schachtnutzung oder
aber mindestens aufgrund der zum Einsatz vorgesehenen Vortriebsmaschine bzw. Länge der
Pressrohre und Länge der (eingefahrenen) Hauptpressen – und damit wesentlich in Abhängigkeit vom
Vortriebsdurchmesser.

Vortriebsrichtung
Schildmaschine
DN 2200

Anfahrbrille
Presswand

Hauptpressen Druckring
(4 Stk.)

Abbildung 10-14: Schildmaschine in achteckigem Schlitzwand-Startschacht vor Beginn der Vortriebsarbeiten


[Drucker, 2009].

Die Schachtformen betreffend findet man bei tiefen Schächten häufig kreisförmige, elliptische oder
polygonale (z.B. achteckige) Grundrisse, da diese aufgrund ihrer räumlichen Tragwirkung ohne
Aussteifungshorizonte auskommen.
Hinsichtlich der Verbauarten von Schächten sei auf die Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik
verwiesen. Wesentlichste Besonderheit beim Schachtverbau für Pressschächte ist die
Berücksichtigung des Aus- und Einfahrquerschnitts in der Schachtwandung.

Abbildung 10-15: Schematische Darstellung der Situation im Startschacht einer unbemannten Rohrpressung
[Brandl, 2006].

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10.4.1. Aus- und Einfahrsicherung


Wie bei jedem maschinellen Vortrieb muss der Ausfahrquerschnitt der Vortriebsmaschine beim
Startschacht – ebenso wie der Einfahrquerschnitt beim Zielschacht, sowie sinngemäß bei allen
Zwischenschächten – frei von Stahlteilen gehalten werden, da diese vom Schneidrad der
Schildmaschine nicht abgebaut werden könnten (siehe dazu auch Kapitel 6.5.2).
Bei seicht liegenden Vortrieben oberhalb des Grundwasserspiegels mit kleineren Durchmessern
(Microtunneling) wird dies oftmals einfach durch Zurückziehen der Spundbohlen an der Ausfahrwand
erreicht. Die Schildmaschine wird soweit als möglich nach vorne geschoben, das Schneidrad bzw. der
Schneidschuh der Schildmaschine wirkt dann bereits ortsbruststützend und ein geringes Nachfallen
des anstehenden Bodens im Bereich des „Ringspalts“ wird in Kauf genommen.

Abbildung 10-16: Anfahrwand einer Rohrpressung DN 800 [ÖGL, 2008].

In rolligen Böden werden auch Passstücke (z.B. aus Schalplatten) eingesetzt, die das Nachbrechen des
Bodens neben dem Vortriebsquerschnitt in den Schacht hinein verhindern sollen. Auch
Bodenverbesserungsmaßnahmen, z.B. Injektionen oder DSV-Körper, können hinter der Aus-
/Einfahrwand zu diesem Zweck hergestellt werden. Derartige Maßnahmen werden auch oft zur
Herabsetzung der Durchlässigkeit als zusätzliche Dichtmaßnahmen (siehe weiter unten) eingesetzt.
Bei Rohrpressungen mit größerer Überdeckung müssen Ersatzmaßnahmen zur Übertragung des
Erddrucks oberhalb der Öffnung in der Schachtwand auf die Nachbarbereiche vorgesehen werden. Bei
Spundwänden wird dies in der Regel mittels Abfangungen über Querträger erreicht, bei
Spritzbetonschächten kann aber auch eine Schirmkonstruktion, z.B. mit Bodennägeln, ausgeführt
werden.
Bei Vortrieben unterhalb des Grundwasserspiegels sind Sondermaßnahmen notwendig, die das
Einströmen von Grundwasser und den damit verbundenen Bodeneintrag verhindern müssen. Aufgrund
der Besonderheit des Rohrvortriebs, dass der gesamte Rohrstrang bis Vortriebsende in Bewegung
bleibt, ist eine flexible Dichtkonstruktion erforderlich. Diese sog. Anfahr- oder Dichtbrille wird vor
die Aus-/Einfahrwand gesetzt und dichtet die Schachtwandung zuerst gegen den Vortriebsschild und
in der Folge gegen das jeweilige aus dem Schacht hinaus gedrückte Vortriebsrohr ab. Die Dichtbrille
muss somit bis Vortriebsende funktionstüchtig bleiben.
Das Einfahren in den Zielschacht kann entweder in gleicher Weise mit einer Dichtbrille erfolgen oder
aber es wird in den aufgefüllten oder gefluteten Zielschacht eingefahren. Der Ringspalt zur
Schachtwandung wird dann, wenn der Rohrstrang die Endposition erreicht hat, mittels Injektionen
abgedichtet, bevor der Schacht wieder ausgehoben/gelenzt und die Maschine geborgen werden.
Dichtblöcke sind bei Rohrpressungen üblicherweise nur in Ausnahmefällen erforderlich, z.B. wenn ein
Bestandsschacht als Press- oder Zielschacht dienen soll. In solchen Fällen ist wie in Kapitel 6.5.2
beschrieben vorzugehen sein.

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Abbildung 10-17: Beispiel für eine Einfach-Elastomerdichtung einer Dichtbrille [Schad, 2003].

10.4.2. Presswand im Startschacht


Die Presswand im Startschacht wirkt als Widerlager für die Einleitung der Vortriebskräfte in den
Baugrund und erfährt im Lockergestein eine ausgeprägte Wechselbeanspruchung: Wenn nicht gepresst
wird, wird die Widerlagerwand wie alle anderen Verbauwände durch den aktiven Erddruck (und ggf.
den Wasserdruck) beansprucht. Beim Pressvorgang wirkt die Presswand als Widerlager, das gegen
den Boden gedrückt wird.
Für Presswände ist nachzuweisen, dass sie standsicher sind, das heißt, dass der Baugrund in der Lage
ist, die Reaktionskräfte aus den Vortriebspressen ohne schädliche Bewegung aufzunehmen. Aus dem
Standsicherheitsnachweis ergeben sich die Breite und Höhe der Druckwand als Grundlage für den
Tragfähigkeitsnachweis. Im Tragfähigkeitsnachweis ist die Dicke der Presswand und – bei
Ausführung in Stahlbeton – die Bewehrung festzulegen. Als Belastung ist mindestens die zulässige
Vorpresskraft, verteilt auf die Anzahl der Pressen, erhöht um einen „angemessenen“
Sicherheitszuschlag [Scherle, 2003] zugrunde zu legen.
Die Kraft, die von der Hauptpressstation im Startschacht aufzubringen ist (FV), wird durch die Summe
aus Brustwiderstand (FBW) und Widerstand zufolge Mantelreibung entlang des vorzuschiebenden
Rohrstrangs (FM) bestimmt. Die Mantelreibung wird durch den Einbau und Betrieb von sog.
Zwischenpressstationen begrenzt und durch die Schmierung des Ringspalts maßgebend beeinflusst.
FV  FBW  FM (siehe dazu auch Kapitel 10.5)

Abbildung 10-18: Vortriebskraft FV setzt sich aus Brustwiderstand FBW und Mantelreibung FM zusammen.

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Scherle/Rößler geben folgende Erfahrungswerte für den Brustwiderstand FBW und den Widerstand
zufolge Mantelreibung FM von Rohrvortrieben an (genaue Ermittlung siehe Kapitel 10.5):
d a2  
FBW  B
4
mit da … Ausbruchsdurchmesser
B = 500 – 1.500 kN/m²

FM  d a    L  M
mit L … Vortriebslänge
M = 1 – 25 kN/m²
Auf den Ansatz eines etwaigen Außenwasserdruckes als stützende Kraft für das Pressenwiderlager
sollte verzichtet werden.
Die Oberkante der Presswand ist wegen des über die Tiefe linear zunehmenden Erddrucks als
maßgebender Punkt für den Standsicherheitsnachweis anzusehen (Punkt NP in Abbildung 10-19).

FV

Abbildung 10-19: Annahme der Spannungsverteilung infolge Vortriebskraft FV hinter dem Schachtverbau
[Stein, 2003].

Im Punkt NP muss gelten (die Belastungslinie muss innerhalb der Linie des Erdwiderstands liegen):
e p  K p    h 1    p red

mit Kp … passiver Erddruckbeiwert; für ebenes Gelände und ebene Mauerrückwand gilt:

K p  tan 2 (45  )
2
… (globaler) Sicherheitsfaktor (z.B.  = 1,5)
FV
Die Vortriebskraft FV wirkt über die Fläche der Presswand verteilt auf den Boden: p  . Die
b  h2
tatsächliche Belastungslinie wird mit hinreichender Genauigkeit durch die flächengleiche Figur in
Abbildung 10-19 ersetzt. Es gilt:
p red  h 1 p h
p  h2   p red  h 2  red 3
2 2

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Daraus folgt:
2h 2
p red  p
h 1  2h 2  h 3
Die zulässige Vortriebskraft FV,zul ergibt sich somit zu:
K p    b  h1
FV ,zul   ( h 1  2h 2  h 3 )
2
Die vom Schacht aufnehmbare Vortriebskraft ist demnach wesentlich abhängig von:
b… Breite der Presswand
h1 … Überlagerungshöhe der Presswand
Schachttiefe h = h1 + h2
h2 … Höhe der Presswand
h3 … Einbindetiefe des Schachtverbaus

Abbildung 10-20: Standsicherheitsnachweis der Druckwand bei einstufigem Verbau des Pressschachtes:
a) Sicherheitsbeiwert > 1  ausreichend standsicher b) Sicherheitsbeiwert = 1  noch standsicher
c) Sicherheitsbeiwert < 1  nicht standsicher! [Scherle, 1977]

Vzul … zulässige Vortriebskraft [kN]


bwid … Breite der Presswand
h… Schachttiefe
Es … E-Modul des Bodens im
Bereich der Presswand [kN/m³]
… (effektive) Wichte des Bodens
[kN/m³]
… (effektiver) Reibungswinkel
des Bodens [°]
Kurven   Tragfähigkeit maßgebend
ES
Kurven  Verformung maßgebend
h

Abbildung 10-21: Diagramm zur Abschätzung der Tragfähigkeit des Pressenwiderlagers [Schad, 2003 nach SIA
195, 1992, adaptiert].

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In der SIA 195, Ausgabe 1992, war ein Diagramm enthalten, mit dessen Hilfe eine genauere
Abschätzung der Widerlagertragfähigkeit möglich war. Zusätzlich zum Kräftegleichgewicht fand
hierbei die bei der Einleitung der Vortriebskraft auftretende horizontale Verschiebung des Widerlagers
Berücksichtigung.
Kann der Schacht die einzuleitenden Vortriebskräfte nicht aufnehmen, sind entweder Maßnahmen zur
weiteren Reduzierung der Pressenkräfte (insbesondere Mantelreibung) und/oder Maßnahmen zur
Erhöhung des Erdwiderstands hinter der Schachtwand zu treffen.
Bei Doppelpressschächten (Doppelstartbaugruben) erfolgt der Vortrieb aus einem Startschacht in zwei
zumeist entgegengesetzten Richtungen. Dazu sind zwei Druckwände erforderlich, da es unzulässig ist,
die zuerst vorgepresste Rohrstrecke nach Abschluss des Vortriebes als Widerlager für den Vortrieb in
entgegengesetzter Richtung in Anspruch zu nehmen.
10.4.3. Rohrbremse (Rücklaufsperre) im Startschacht
Eine weitere für den Rohrvortrieb typische Einrichtung im Startschacht ist die sog. Rohrbremse,
welche zur Aufgabe hat, das zuletzt eingebaute Rohr nach dem Zurückziehen der Hauptpresse
festzuhalten. Die ölhydraulisch wirksame Rohrbremse wird an der Ausfahrwand montiert, sie spannt
das Pressrohr zangenartig ein und leitet die Kräfte, welche nicht durch die Mantelreibung
aufgenommen werden können, in die Baugrubenwand ein.
Folgende Kräfte in Rohrachse können nach Entlastung durch Rückziehen der Hauptpressen wirksam
werden:
a) Reaktionskraft der Ortsbruststützung bei druckhaltenden Schildmaschinen. Diese kann bei
ausreichend langem Vortrieb durch die Mantelreibung entlang des Rohrstrangs abgetragen
werden, die Reaktionskraft der Ortsbruststützung nimmt also mit der Vortriebslänge ab.
b) Rückfederung der Rohrstrecke infolge elastischer Entspannung der Druckausgleichsringe
(siehe Kapitel 10.6). Als Richtwert kann angenommen werden:
Rückfederweg = 0,05  d Ausgleichsringe  Anzahl Rohre

Der Rückfederweg nimmt mit der Vortriebslänge zu.


c) Eigengewichtsanteil der Rohre in Vortriebsachse bei stark steigendem Vortrieb (vermindert
um die Mantelreibung)

10.5. Vortriebskraft FV
Die Vortriebskraft FV dient zur Überwindung des Brustwiderstands der Vortriebsmaschine bzw. des
Schneidschuhs FBW und der Reibungswiderstände der Mantelfläche der Vortriebsmaschine sowie des
Rohrstrangs FM:
FV  FBW  FM
Die richtige Einschätzung der Vortriebskraft im jeweiligen Anwendungsfall ist nicht nur für die
Bemessung der Vortriebsrohre (siehe Kapitel 10.6.2) von großer Bedeutung, sondern auch für die
Festlegung der Vortriebslänge bzw. Anzahl und Abstand der Zwischenpressstationen (siehe Kapitel
10.6.1) und für die Ausbildung des Startschachts und der Presswand (siehe Kapitel 10.4.2).
10.5.1. Brustwiderstand (Eindringwiderstand) FBW
Der Brustwiderstand FBW (auch: Eindringwiderstand, wenn ein Schneidenwiderstand vorhanden ist)
setzt sich entsprechend Tabelle 10-3, je nach Vortriebsverfahren, zusammen aus:
FBW  FS  FA  FSt
mit FS … Schneidenwiderstand [kN]
FA … Andrückkraft des Abbauwerkzeugs [kN]
FSt … Stützkraft = Ortsbrustfläche da2·/4 · Stützdruck pf (z.B. gemäß Kapitel 4.3)

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Tabelle 10-3: Zusammensetzung des Brustwiderstandes (Eindringwiderstand) FBW in Abhängigkeit vom


Vortriebsverfahren (unmittelbarer Brustwiderstand ohne Schneidenwiderstand FB = FA + FSt) [Stein, 2003]
FBW Verfahren
FS FB
FA FSt
x x x Schildmaschinen mit teilflächigem Abbau und Druckluftstützung (SM-T31))
x x Handschilde mit Druckluftstützung (im nicht standfesten Lockergestein);
Schildmaschinen mit hydraulisch teilflächigem Abbau; offene Schildmaschinen mit
mechanisch teilflächigem Abbau und Teilstützung (SM-T2); Sonderfälle SM-T2S und
SM-T4S sowie Blindschilde (SM-B)
x x Offene, mechanisch teilflächig abbauende Schildmaschinen (in der Regel mit fest
installiertem Exkavator) und natürlicher Stützung der Ortsbrust (Ortsbrust ohne
Stützung)
x x Alle Mikrotunnelbauverfahren mit Ausnahme des Mikrotunnelbaus mit
Schneckenförderung und Antrieb des Bohrkopfes über Förderschnecke, Schildmaschinen
mit vollflächigem Abbau (außer offene, vollflächig abbauende Schildmaschinen mit
natürlicher Stützung (Ortsbrust ohne Stützung)), Schildmaschinen mit mechanisch
teilflächigem Abbau und Druckluftstützung (SM-T31))
x Horizontal-Pressbohrverfahren, Mikrotunnelbau mit Schneckenförderung und Antrieb
des Bohrkopfes über die Förderschnecke, offener Handschild mit natürlicher Stützung
(Ortsbrust ohne Stützung)
x Offene, mechanisch teilflächig abbauende sowie offene, vollflächig abbauende
Schildmaschinen, beide mit natürlicher Stützung (Ortsbrust ohne Stützung)
x Handschilde mit Druckluftstützung (nur im Festgestein)
Handschilde mit natürlicher Stützung (Ortsbrust ohne Stützung) im Festgestein (FBW = 0)
1) Gilt nur für Schilde mit mitgeführter Druckluftschleuse im Nachläufer.

10.5.2. Widerstand zufolge Mantelreibung FM


Nach dem Reibungsgesetz errechnet sich die erforderliche Kraft zur Überwindung des
Mantelreibungsanteils FM beim Vorpressen eines Rohrstrangs zu:
FM  d a    L  M
mit da … Außendurchmesser Pressrohr [m]
L… Länge des betrachteten Abschnitts [m]
M     r … Spezifischer Mantelreibungswiderstand (ohne Adhäsion) [kN/m²]
mit  ... Reibungsbeiwert [-]:  = tan  (mit  … Wandreibungswinkel)
r … Von außen auf das Rohr wirkende Radialspannung, die sich aus dem Erddruck
(Auflast + Seitendruck) oder aus dem Suspensionsdruck ergibt [kN/m²].

Tabelle 10-4: Richtwerte für den Reibungsbeiwert  nach [Scherle,1977]


Gleitreibung Gleitreibung
Haftreibung
(ohne Gleitmittel) (mit Gleitmittel)
Beton auf Kies oder Sand 0,5 – 0,6 0,3 – 0,4 Für Flüssigkeitsreibung, bei
Beton auf Ton 0,3 – 0,4 0,2 – 0,3 Verwendung einer Bentonitsuspension
Faserzement auf Kies oder als Gleitmittel ist  abhängig von der
0,3 – 0,4 0,2 – 0,3
Sand Fließgrenze der Bentonitsuspension:
Faserzement auf Ton 0,2 – 0,3 0,1 – 0,2 0,1 <  < 0,3

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Die Größe der Mantelreibung lässt sich durch Verwendung von Gleitmitteln deutlich herabsetzen. So
reduziert sich der Reibungskoeffizient bei Verwendung von Bentonitsuspension als Stütz- und
Gleitmittel auf Werte  = 0,1 – 0,3, abhängig auch von der dynamischen Fließgrenze der Suspension
(siehe Vorlesung Grundbau und Bodenmechanik).
Der mit Gleitmittel ausgefüllte Spalt zwischen Rohr und Boden, als Ringspalt bezeichnet, muss
während des gesamten Vortriebes aufrechterhalten werden. Um dies zu ermöglichen, muss das
Gleitmittel den Boden daran hindern, sich an das Rohr anzulegen. Das heißt, das Gleitmittel muss den
Boden gegen den jeweils herrschenden Bodendruck abstützen. Daraus folgt, dass im Gleitmittel
ständig ein Flüssigkeitsdruck aufrechterhalten werden muss, der dem Druck des Bodens entspricht.
Damit wird das Gleitmittel gleichzeitig zum Stützmittel. Die Reaktionskraft für den Stützdruck
übernimmt das Vortriebsrohr (siehe Abbildung 10-22).

Abbildung 10-22: Schema der Stützung des Ringspalts [nach Scherle/Rößler, 2003].

Damit der zwischen Rohr und Boden erforderliche Spalt entstehen kann, wird der Durchmesser des
Schildes (bzw. des Schneidrads) um ein geringes Maß größer ausgeführt als der Durchmesser der
Rohre, der als Überschnitt bezeichnet wird.
Da die Größe der Mantelreibung bei Verwendung von Gleitmitteln von zahlreichen
baustellenspezifischen, geotechnischen und schmiertechnischen Faktoren abhängt, können
zuverlässige Zahlenwerte oft erst im Zuge des Pressvorganges bestimmt werden. Für die Planung und
Dimensionierung der Pressrohre muss üblicherweise auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden.
Es ist zu beachten, dass auch baubetriebliche Aspekte einen entscheidenden Einfluss auf die
Mantelreibung beim Rohrvortrieb haben. So wird bei einem Durchlaufbetrieb der Rohrstrang laufend
bewegt und geschmiert, was sich minimierend auf die Mantelreibung auswirkt. Bei Einschichtbetrieb
oder bei längeren Vortriebsunterbrechungen besteht jedoch das Risiko, dass die Schmiersuspension in
den Boden verdriftet und der stützende Ringraum verbricht. Das Wiederanfahren kann in diesen Fällen
problematisch werden.

10.6. Pressrohre
Wesentliches Element bei jeder Rohrvorpressung ist, dass der gesamte Rohrstrang zwischen Start- und
Zielschacht während der gesamten Vortriebsdauer in Bewegung bleiben muss. Dadurch ergeben sich
spezielle Anforderungen an die Pressrohre und an die Verfahrenstechnologie.
Die Pressrohre (inkl. Sonderrohre) werden in den meisten Fällen als Stahlbetonfertigteile im
Betonwerk vorgefertigt. Es kommen aber auch andere Werkstoffe beim Rohrpressverfahren zum
Einsatz, so sind Pressrohre aus Gusseisen, Stahl, Glasfieber (GFK), Steinzeug, Faserzement etc.
durchaus üblich. Darüber hinaus kann auch eine Vielzahl an möglichen Querschnittsformen realisiert
werden.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 10-23: Querschnittsvielfalt [Firmenprospekt, 2009].

Dichtung der Rohrfugen


Bei Rohrpressungen unterhalb des Grundwasserspiegels sind die Pressrohrfugen mit Dichtungen zu
versehen.

Abbildung 10-24: Prinzipskizze einer Rohrverbindung mit einseitig befestigtem Führungsring bei
Vortriebsrohren aus Beton, Stahlfaserbeton und Stahlbeton [DWA-A 125].

Druckübertragungsringe (Druckausgleichsringe)
Die zentrale Problematik bei der Übertragung der Vortriebskräfte von Rohr zu Rohr besteht darin,
dass sich bei Kurvenfahrten und Steuerbewegungen der Rohrstrang nicht kontinuierlich krümmt,
sondern dass das recht steife Rohr weitgehend gerade bleibt und in den Rohrverbindungen
Abwinkelungen entstehen. Dabei kann sich eine sogenannte klaffende Fuge ausbilden, wodurch sich
die Druckübertragungsfläche verkleinert und die Kontaktdruckspannungen zwangsläufig ansteigen.
Dieser unerwünschte Effekt wird in der Regel durch die Verwendung von Druckübertragungsringen
aus Holz oder Holzprodukten gemildert, die sich unter Last infolge ihrer geringeren Steifigkeit
verformen und beidseitig an die Rohrspiegel anlegen, den Kontaktbereich vergrößern und somit
spannungsreduzierend wirken.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 10-25: Lastverteilende Wirkung des Druckübertragungsringes bei Abwinklung der Rohrfuge
(sD … ursprüngliche Dicke, max … maximale Stauchung, pl … bleibende Stauchung als Funktion der
Vorbelastung 1) [Firmenprospekt CoJack, 2007].

Dabei wird infolge der großen Kräfte der Werkstoff Holz weit über seine Elastizitätsgrenze hinaus
beansprucht. Es entstehen plastische Stauchungen, die nicht reversibel sind und somit auch nach einer
Entlastung bestehen bleiben. Im Laufe eines räumlich gekrümmten Vortriebs wird jeder
Druckübertragungsring vielfach be- und entlastet, wobei sich zudem ständig die Abwinkelung ändert.
Er verliert zunehmend seine lastverteilende Wirkung und „verhärtet“. Mit gut ausgeführten
Rohrvortrieben mit mäßigen Pressenkräften und guter Steuerung lässt sich dieses Phänomen zwar in
der Auswirkung mildern, aber nicht vermeiden.
10.6.1. Zwischendehner
Zwischenpressstationen, oder Dehner(-stationen) bestehen aus mehreren Vorschubzylindern, die
gleichmäßig verteilt im Schutze eines speziellen Stahlführungsringes zwischen den Rohrstirnflächen
zweier Sonderrohre – sog. (Dehner-)Vorlauf- und Nachlaufrohre – eingebaut werden.
Durch die Zwischendehner wird der Rohrstrang in separate Vortriebsabschnitte unterteilt, die bei
Bedarf taktweise mit entsprechend reduzierter Mantelreibung vorgedrückt werden.

1  Ausgangsstellung
2  Vortrieb der Schildmaschine,
Vorpressen bei C um das Maß a
3  Vorpressen bei B um das Maß a,
Zusammenfahren des Dehners bei C
4  Vorpressen bei A (Hauptstation) um
das Maß a, Zusammenfahren des
Dehners bei B

Abbildung 10-26: Arbeitsprinzip beim Einsatz von Zwischenpressstationen [Stein, 2003].

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Abbildung 10-27: Für den Vortrieb vorbereitetes Dehnerrohr [Drucker, 2009].

10.6.2. Rohrbemessung
Wie bei jedem unterirdischen Hohlraumbauwerk wird auch der Pressrohrstrang normal zur Rohrachse
belastet. Die für diesen Bemessungsfall verwendeten Belastungsansätze und Rechenverfahren wurden
bereits im Kapitel 4 vorgestellt.
Als Besonderheit muss jedoch beim Rohrvortriebsverfahren auch der Bauzustand mit den
maßgebenden Belastungen in Richtung der Rohrachse untersucht werden. Die Pressrohre müssen auf
die zu erwartenden Vortriebskraft (siehe Kapitel 10.5) dimensioniert werden, oder anders ausgedrückt,
die zulässigen Pressenkräfte sind auf die von den Rohren schadlos aufnehmbaren Normalkräfte zu
beschränken.

Abbildung 10-28: Typische Überlastungsschäden an Vortriebsrohren – fatal für die Dauerhaftigkeit, jedoch von
innen nicht erkennbar [Firmenprospekt].

Bei der Bemessung von Vortriebsrohren wird davon ausgegangen, dass


 die Spannungsverteilung linear verläuft,
 der E-Modul der Fugenzwischenlage konstant ist und
 das gewählte Verhältnis z/da während des Vortriebs nicht überschritten wird.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Schließlich müssen die Pressrohre, insbesondere die Rohrlängen, auf die aufzufahrenden
Kurvenradien dimensioniert sein.
Die maximal zulässige Vorpresskraft für Pressrohre wird auf der Grundlage des Arbeitsblattes
ATV-A 161 (Arbeitsblatt der Abwassertechnischen Vereinigung Deutschlands) festgelegt. Sie wird
für eine theoretische Rohrverwinkelung z/da ermittelt.
z a 0  a min  s  m a max  a min
 mit m
d a a max  a min  2  s  m di
mit a0 … Dicke des Druckübertragungsringes im vorbelasteten Ruhezustand [mm]
amin … kleinste Fugenspaltweite [mm]
amax … größte Fugenspaltweite [mm]
s… Rohrwanddicke am Spitzende [mm]
da … Rohraußendurchmesser [mm]
di … Rohrinnendurchmesser [mm]
z
Bei geradem Rohrvortrieb ist 1.
da

Abbildung 10-29: Schematische Darstellung zur Ableitung des Kennwertes z/da [Scherle/Rößler, 2004].

Die Berechnung der Vortriebskraft ist nach DIN EN 1916 abhängig von der vom Rohrhersteller
angegebenen charakteristischen Betondruckfestigkeit fck (abgemindert mit einem Sicherheitsfaktor von
0,6) und von der auf Druck beanspruchten Stirnfläche Ac.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

da

Linie 1  „geschlossene“ Fuge


Linie 2  „klaffende“ Fuge

Abbildung 10-30: Auf Druck beanspruchter Bereich der Stirnfläche und Spannungsdiagramm bei Abwinkelung
[DIN EN 1916].

Die maximale theoretische Vortriebskraft ist mit der Annahme zu berechnen, dass die Vortriebskraft
rechtwinkelig zu den Stirnflächen wirkt (ohne Abwinkelung und mit vollkommen rechtwinkligen
Rohstirnflächen):
Fzul,max  0,6  f ck  A c

mit fck … Betondruckfestigkeit des Vortriebsrohrs


Ac … auf Druck beanspruchte Stirnfläche

Ac   (d a2  d i2 ) … bei Rohren mit Führungsringen
4
Im Falle eines von der Geraden abweichenden Rohrvortriebs ist ein Zustand „klaffende Fuge“
gegeben. In diesem Zustand darf die größte Druckspannung am Rande der Stirnfläche 0,6·fck nicht
überschreiten. Die zulässige Vortriebskraft ist kleiner als bei geradem Vortrieb. Der auf Druck
beanspruchte Bereich der Stirnfläche muss mit den kleinsten Wanddicken im Fugenbereich (da-di)
berechnet werden.
1 z
Fzul  A c    Rand 
2 da

 Rand  0,6  f ck
Auch die Druckübertragungsringe müssen in der Lage sein, die Spannung Rand aufzunehmen.

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

Kurvenfahrt
Anlass von Steuerungen beim Rohrvortrieb können geplante und/oder ungeplante (Korrekturfahrt)
Änderungen der Vortriebsgradiente sein. Geplante Änderungen ergeben sich im Allgemeinen aus den
örtlichen Planungsvorgaben. Ihre Ausführung erfolgt meist auf Grundlage von Kreisbögen deren
Radien Grenzen gesetzt sind.
Das Maß der Rohrklaffung begrenzt den möglichen Kurvenradius bei Rohrvortrieben:
l  di
k
R
mit k… Differenz der Fugenspaltweiten zweier gegenüberliegender Fugen
l… Länge der beidseitigen Rohre einer Fuge
di … Innendurchmesser der beidseitigen Rohre einer Fuge
R… Radius der beidseitigen Rohre einer Fuge, bezogen auf deren Achsen

Abbildung 10-31: Schema des Fugenklaffens [Scherle/Rößler, 2003].

di
R  R 
2
ABC ist ähnlich CEM k
di  l
R   cos  2  d i  k  d i
k 1 R l R
ABD ist ähnlich ABC
k
k  2
cos 

Daraus folgt für den möglichen Kurvenradius Rꞌ des Pressrohrstranges:


di  l d
R   cos   i
k 2

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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

11. LITERATURVERZEICHNIS
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Richtlinie für die Geomechanische Planung von Untertagebauarbeiten mit kontinuierlichem Vortrieb –
Gebirgscharakterisierung und Vorgangsweise zur nachvollziehbaren Festlegung von
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Richtlinie für die Geomechanische Planung von Untertagebauarbeiten mit zyklischem Vortrieb –
Gebirgscharakterisierung und Vorgangsweise zur nachvollziehbaren Festlegung von
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Tunnelbau im Festgestein und Lockergestein

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Vortrieb.
ÖNORM B 2203-2: 2005 01 01: Untertagebauarbeiten – Werkvertragsnorm, Teil 2: Kontinuierlicher
Vortrieb mit Tunnelvortriebsmaschinen.
ÖNORM EN 1997-1: 2009 Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik Teil
1: Allgemeine Regeln
ÖNORM B 1997-1-1: 2013 Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik Teil
1: Allgemeine Regeln, Nationale Ergänzungen
ÖNORM EN 12889: 2000 06 01 Grabenlose Verlegung und Prüfung von Abwasserleitungen und -
kanälen.

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