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Inhaltsverzeichnis
1 Leben
1.1 Kindheit und Jugend
1.2 Studium der Medizin – medizinische Praxis – Freud
1.3 Aufbau der Individualpsychologie – Theoretische
Grundlagen
1.4 Blütezeit der Individualpsychologie – Praktische Anwendung
1.5 Verfolgung der Tiefenpsychologie in Europa – Verlagerung
in die USA
1.6 Emigration und Tod
1.7 Würdigung
2 Werk
2.1 Menschenkenntnis
2.2 Neurosenlehre
2.3 Lehre vom Heilen und Bilden – Erziehungskunst für Ärzte
und Pädagogen
2.4 Philosophischer Anspruch
3 Verein für Individualpsychologie
4 Siehe auch
5 Schriften
6 Literatur
7 Weblinks
8 Einzelnachweise
Leben
Kindheit und Jugend
Alfred Adler war das zweite von sieben Kindern des Getreidehändlers Leopold
Adler (ca. 1833 Köpcsény Ungarn, (ab 1920 Kittsee, Burgenland, Graf
Batthány-Strattmann Grundbesitz) bis 1922 Wien) und der Pauline Beer (1845
Trebitsch, Mähren, bis 1906, Wien). Als Kind versuchte er seinem älteren
Bruder Sigmund Adler (geb. 1868 Fünfhaus bei Wien) nachzueifern, der später
ein erfolgreicher Kaufmann wurde. Er war das Lieblingskind seines fleißigen
und mutigen Vaters, während die Beziehung zu seiner Mutter weniger intensiv
war. Adler hatte eine Organminderwertigkeit, er litt an Rachitis und einem
Stimmritzenkrampf beim Weinen. Mit vier Jahren hatte er eine
Lungenentzündung, die ihn fast das Leben kostete. Dieses Erlebnis und der Tod
seines jüngeren Bruders sollen seine spätere Berufswahl bestimmt haben. Adler
besuchte das Hernalser Gymnasium Kalvarienberggasse (heute: Hernalser
Gymnasium Geblergasse), wo er 1888 die Reifeprüfung ablegte.
Er arbeitete zunächst als Augenarzt und eröffnete kurz darauf eine Praxis für
Allgemeinmedizin im 2. Bezirk, Leopoldstadt, Praterstraße 44, nahe dem Wiener
Prater – in einer Gegend, in der seine Patienten teilweise in ärmlichen
Verhältnissen lebten, was ihn in seinen Ansichten über die Notwendigkeit der
sozialmedizinischen Betreuung der Wiener Bevölkerung bestärkte. Ab 1902
nahm Adler an den Diskussionsrunden der Mittwochabendgesellschaft von
Sigmund Freud teil, entwickelte jedoch schon bald eine von der Psychoanalyse
abweichende, eigenständige Lehre. Er sah den Menschen nicht von Trieben
bestimmt, sondern als freies Wesen, das die kulturellen Aufgaben lösen muss,
die ihm das Leben stellt. Diese Gegensätze konnten immer weniger überbrückt
werden, und so kam es 1911 zum Bruch mit Freud.
Der plötzliche Tod Alfred Adlers versetzte vor allem in den 1930er Jahren in
Deutschland und Österreich der Individualpsychologie einen schweren Schlag.
Adlers Schüler wurden von den neuen Machthabern verfolgt. Die aufblühende
Tiefenpsychologie musste ihr Zentrum im deutschsprachigen Europa verlassen
und ihr psychologisches Aufklärungswerk in anderen Teilen der Welt
fortsetzen. Die Diktaturen und der Zweite Weltkrieg haben die Entwicklung der
psychologischen Wissenschaft auch insgesamt nachhaltig gestört.
Würdigung
Im Jahr 2009 wurde in Wien Favoriten (10. Bezirk) bei der Baustelle des neuen
Hauptbahnhofes der zwischen Quartier Belvedere und Sonnwendviertel
projektierte Verkehrsweg Alfred-Adler-Straße benannt.
Werk
Menschenkenntnis
Als praktizierender Arzt, der körperliche Leiden behandelte, und als aktiver
Teilnehmer an Sigmund Freuds neuartigen psychoanalytischen
Diskussionsrunden entdeckte Adler, dass bei jeder Lebensäußerung des
Menschen körperliche und seelische Vorgänge immer gemeinsam wirksam sind
und eine unteilbare Einheit (Individuum) bilden. Diese Entdeckung bildet heute
die Grundlage der Psychosomatik.
Neurosenlehre
Neben der Beschreibung der Normalpsyche zum Verstehen der menschlichen
Persönlichkeit – oder, wie Adler es nannte, zum Erwerb von Menschenkenntnis
– untersuchte der Arzt Adler auch die abweichenden und die krankhaften
psychischen Erscheinungen. Nach seinem Prinzip der Einheit seelischer
Vorgänge sah er diese als irrtümliche Antworten auf die Anforderungen des
Lebens. Ein verstärkt erlebtes Minderwertigkeitsgefühl, dem Adler den Begriff
Minderwertigkeitskomplex gab, konnte zu einer Überkompensation in Form
eines überhöhten Geltungsstrebens oder zum sogenannten Willen zur Macht
führen. Adler beschrieb den nervösen Charakter als Übergang zwischen
Normal- und Neurosenpsychologie. Die Psychose verstand er als lediglich
schärfere Ausprägung der Neurose, weshalb aus seiner Sicht beide der
psychologischen Analyse zugänglich sind.
Philosophischer Anspruch
In seinem Alterswerk „Der Sinn des Lebens“ (1933) fasste Adler seinen der
Individualpsychologie zugrunde liegenden philosophischen Tenor zusammen.
Der Ausdruck „Sinn des Lebens“ hat bei Adler zwei verschiedene Bedeutungen.
Einmal den Sinn, den ein bestimmter Mensch in seinem Leben sucht und findet
und der aufs engste zusammenhängt mit der Meinung, die er von sich, den
Mitmenschen und der Welt hat. Zweitens wird darunter der „wahre“ Sinn des
Lebens verstanden, jener Sinn, der außerhalb unserer Erfahrung liegt und der
auch von jemandem verfehlt werden kann, der fest davon überzeugt ist zu
wissen, worauf es im Leben ankommt. „Nach einem Sinn des Lebens zu fragen
hat nur Wert und Bedeutung, wenn man das Bezugssystem Mensch-Kosmos im
Auge hat“. Die stete Anforderung aus dem Kosmos heißt „Entwicklung“,
welche aus dem nativen Minderwertigkeitsgefühl nach Selbsterhaltung,
Vermehrung, Kontakt mit der Außenwelt und Streben nach einer „idealen
Gemeinschaft der Zukunft“ im Sinne von Immanuel Kant drängt. Für dieses Ziel
der Entwicklungsbewegung verwendet Adler Begriffe wie „Vollendung“ und
„Vollkommenheit“; er meint, dass das Streben nach Vollkommenheit ein
„angeborenes Faktum ist, das in jedem Menschen vorhanden ist“. Adler beruft
sich dabei auf Charles Darwin, auf die Abstammungslehre Jean-Baptiste de
Lamarcks und auf die holistische Theorie von Jan Christiaan Smuts. Ein oft
verwendeter Begriff dafür, dieser Vollkommenheit näher zu kommen, ist bei
Adler die „Überwindung“ der Minderwertigkeit des Menschen. Der Begriff baut
eng auf Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche auf. Adler sieht
Schopenhauers Intention der bewussten Leidensüberwindung als fundamental
positiven Aspekt in der menschlichen Entwicklung. Der bei Schopenhauer
pessimistisch unterlegte Weltwille (mit der Konsequenz, diesen – wie bereits im
Buddhismus angelegt – zu negieren zu versuchen) wird bei Adler aber – in der
Nachfolge von Friedrich Nietzsches „Wille zur Macht“ betont wertfrei – als das
ursprünglich schöpferische Element in jedem Lebewesen interpretiert.
Verein für Individualpsychologie
Aufgrund seines Zieles, die psychologische Menschenkenntnis als Prophylaxe
zum Allgemeingut werden zu lassen, war Adlers Verein für jedermann offen.
Sein Ziel war es, alle zu integrieren, wenn sie nur die gleiche Grundtendenz
vermuten ließen. Aus diesem Grund forderte er für den Verein die politische
Neutralität. Doch bereits auf dem Berliner Kongress von 1925 versuchten
politische Bewegungen sich der Ideen der Individualpsychologie zu
bemächtigen. Adlers Ziel scheiterte an der Wirtschaftskrise, ideologischer
Voreingenommenheit und dem Nationalsozialismus. Die kommunistische Die
Rote Fahne schrieb in einer Glosse zum Tage, dass der Versuch Adlers, den
Sozialismus durch seine Psychologie zu ersetzen, gescheitert sei. Nach dem
Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich wurde der Verein am 26. Jänner
1939 von Amtes wegen aufgelöst.
Siehe auch
Das Unbewusste
Liste verbotener Autoren während des Dritten Reichs
Schönbrunner Erzieherschule
Schriften
Alfred Adler Studienausgabe. 7 Bände. Herausgegeben von Karl Heinz
Witte, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2007–2010:
Band 1: Persönlichkeit und neurotische Entwicklung – Frühe
Schriften (1904–1912). Herausgegeben von Almuth Bruder-Bezzel.
ISBN 978-3-525-46051-1
Band 2: Über den nervösen Charakter (1912). Herausgegeben von
Karl Heinz Witte, Almuth Bruder-Bezzel und Rolf Kühn. 2.
Auflage. ISBN 978-3-525-46053-5
Band 3: Persönlichkeitstheorie, Psychopathologie, Psychotherapie
(1913–1937). Herausgegeben von Gisela Eife. ISBN 978-3-525-
46054-2
Band 4: Schriften zur Erziehung und Erziehungsberatung (1913–
1937). Herausgegeben von Wilfried Datler, Johannes Gstach und
Michael Wininger. ISBN 978-3-525-40106-4
Band 5: Menschenkenntnis (1927). Herausgegeben von Jürg Rüedi.
ISBN 978-3-525-46052-8
Band 6: Der Sinn des Lebens (1933). Herausgegeben von Reinhard
Brunner. – Religion und Individualpsychologie (1933).
Herausgegeben von Ronald Wiegand. ISBN 978-3-525-40554-3
Band 7: Kultur und Gesellschaft (1897–1937). Herausgegeben von
Almuth Bruder-Bezzel. ISBN 978-3-525-46055-9
Alfred Adlers Individualpsychologie. Eine systematische Darstellung
seiner Lehre in Auszügen aus seinen Schriften Herausgegeben und
bearbeitet von Heinz L. Ansbacher und Rowena R. Ansbacher 1956,
Reinhardt Verlag München/Basel 1982
Gesundheitsbuch für das Schneidergewerbe, Carl Heymanns Verlag,
Berlin 1898
Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg,
Berlin/Wien 1907.
Zur Kritik der Freudschen Sexualtheorie des Seelenlebens 1911
Über den nervösen Charakter. Grundzüge einer vergleichenden
Individualpsychologie und Psychotherapie. (Hauptwerk). J. F. Bergmann,
Wiesbaden 1912. (Auch: ungekürzte Ausgabe; Fischer-Taschenbücher,
Band 6174, ISSN 0173-5438; Fischer Bücherei, Frankfurt am Main 1972,
ISBN 3-436-01588-1).
Heilen und Bilden 1914, Fischer Taschenbuch 1973
Die andere Seite. Eine massenpsychologische Studie über die Schuld des
Volkes. Verlag Leopold Heidrich, Wien 1919. – Volltext online
(http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/457174).
Praxis und Theorie der Individualpsychologie. Vorträge zur Einführung
in die Psychotherapie für Ärzte, Psychologen und Lehrer. J. F. Bergmann,
München (u.a.) 1920. (Fischer Taschenbuch, ISBN 3-596-26236-4). –
Internet Archive
(http://www.archive.org/details/praxisundtheori00adlegoog).
Menschenkenntnis 1927, Fischer Taschenbuch 1966, ISBN 3-596-26080-
9
Die Technik der Individualpsychologie. Erster Teil: Die Kunst, eine
Lebens- und Krankengeschichte zu lesen 1928/1930, Fischer
Taschenbuch, ISBN 3-596-26260-7
Individualpsychologie in der Schule – Vorlesungen für Lehrer und
Schüler 1929, Fischer Taschenbuch 1973
Lebenskenntnis 1929, Fischer Taschenbuch 1978, ISBN 3-596-26392-1
Neurosen. Fallstudien. Zur Diagnose und Behandlung 1929, Fischer
Taschenbuch, ISBN 3-596-26735-8
Kindererziehung 1930, Fischer Taschenbuch 1976, ISBN 3-596-26311-5
Die Technik der Individualpsychologie. Zweiter Teil: Die Seele des
schwererziehbaren Kindes 1930, Fischer Taschenbuch 1974
Das Leben gestalten - Vom Umgang mit Sorgenkindern 1939, Fischer
Taschenbuch 1979
Das Problem der Homosexualität und sexueller Perversionen 1930,
Fischer Taschenbuch 1977, ISBN 3-596-26337-9
Wozu leben wir? 1931, Fischer Taschenbuch 1979, ISBN 3-596-26708-0
Der Sinn des Lebens 1933, Fischer Taschenbuch, ISBN 3-596-26179-1
Religion und Individualpsychologie – Eine prinzipielle
Auseinandersetzung über Menschenführung Koautor Ernst Jahn, 1933,
Fischer Taschenbuch 1975, ISBN 3-436-02112-1
Lebensprobleme. Vorträge und Aufsätze 1937, Fischer Taschenbuch
1994, ISBN 3-596-11718-6
Literatur
Ernst Aeppli: Der Traum und seine Deutung. Rentsch, Erlennbach 1943;
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Paul Rom: Alfred Adler und die wissenschaftliche Menschenkenntnis.
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Jürg Rüedi: Die Bedeutung Alfred Adlers für die Pädagogik: Eine
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H. Ruediger Schiferer: Alfred Adler: Eine Bildbiographie mit bisher
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unveröffentlichten Abbildungen. E. Reinhardt, München/Basel 1995,
ISBN 3-497-01322-6.
Manès Sperber: Alfred Adler: Der Mensch und seine Lehre. Ein Essay.
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Manès Sperber: Alfred Adler oder Das Elend der Psychologie. Ullstein,
Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-548-39074-9.
Weblinks
Commons: Alfred Adler
(//commons.wikimedia.org/wiki/Category:Alfred_Adler?uselang=de) –
Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Alfred Adler – Zitate
Wikisource: Alfred Adler – Quellen und Volltexte
Einzelnachweise
1. Henri F. Ellenberger: Die Entdeckung des Unbewussten. Huber, Bern
1973, ISBN 3-456-30577-X. Neuauflage: Diogenes, Zürich 2005, ISBN
3-257-06503-5.
2. Alfred Pritz (Hrsg.): Einhundert Meisterwerke der Psychotherapie.
Springer, Wien/New York 2008, ISBN 978-3-211-25214-7, S. 11–14
(GoogleBooks (http://books.google.ch/books?
id=sdXlLnhl85UC&pg=PA11)).
3. Alfred Adlers Asche nach 74 Jahren entdeckt.
(http://www.orf.at/#/stories/2052414/) In: orf.at, news. 10. April 2011,
abgerufen am 13. Juli 2011.
4. Asche von Adler kommt nach 74 Jahren zurück.
(http://wien.orf.at/stories/509607/) In: orf.at, wien. 11. April 2011,
abgerufen am 13. Juli 2011.
5. Späte Heimkehr. In: Profil. Nr. 26/2001 (27. Juni 2011), S. 84.
6. Individualpsychologe Adler kehrt in Urne nach Wien heim.
(http://diepresse.com/home/panorama/wien/677316/Individualpsychologe-
Adler-kehrt-in-Urne-nach-Wien-heim?
_vl_backlink=/home/panorama/wien/index.do) In: Die Presse.com. 12.
Juli 2011, abgerufen am 13. Juli 2011.