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Fragmentierung oder ökumenische Öffnung der Orthodoxie?

Plädoyer für eine neue Beziehung zwischen


Universalität und Lokalität der Kirche*

A t h a n a s io s V letsis

7. Universalität contra Ethnizität - was war zuerst da?


Die Fragmentierung der Orthodoxie

Der Streit „zwischen Universalität und Ethnizität",*1 wie diese Einheit von den
Organisatoren der Tagung betitelt wurde, erinnert mich an das uralte Rätsel: Was
war zuerst da - die Henne oder das Ei? Auf die Kirchen bezogen kann die Frage
auch so gestellt werden: War zuerst die kleine Institution der lokalen, später nati­
onalen Kirchen da, aus denen sich dann die universale, „katholische" Kirche bil­
dete oder war es eher umgekehrt?2 Könnten vielleicht diese zwei Prinzipien, Uni­
versalität und Ethnizität, wenn man sie etwas plakativ auf die Patriarchate von
Konstantinopel und Moskau bezieht, noch eine andere Spannung ans Licht brin­
gen: jene zwischen einer ökumenisch-universalen Dimension kirchlichen Lebens
und einer introvertierten, sich auf das eigene, kirchliche-nationale Territorium
abkapselnden Orthodoxie? Denn wollte man das Problem auf jenes einer zeitli­
chen Priorisierung reduzieren, dann wäre die eingangs gestellte Frage einfach zu
beantworten: Zuerst war Konstantinopel da, das sogar als Mutterkirche der Ortho­
doxen Kirche in Russland gilt. Dies allein garantiert jedoch keine funktionierende
Einheit, weder auf der Ebene der Beziehung zwischen diesen beiden Kirchen
noch auf der Ebene der Gesamtorthodoxie. Denn zum einen ist diese (die Gesam­
torthodoxie) sicherlich älter als Konstantinopel - die Orthodoxe Kirche behauptet
jedenfalls, treu die Tradition der Urkirche fortzusetzen - und zum anderen setzt
sie sich aus weiteren lokalen autokephalen Kirchen zusammen. Gerade ihre Zu­
sammengehörigkeit bzw. ihre funktionierende Universalität scheint neuerdings
aus den Fugen geraten zu sein, jedenfalls was ihre Fähigkeit betrifft, ein tatsäch­
lich gemeinsames Großes Konzil einzuberufen. Khulap spricht - gerade ange­
sichts der drohenden Spaltung im konziliaren Prozess der Orthodoxen Kirche-
von ihrer „Fragmentierung" und plädiert für eine „Defragmentierung", z.B. durch
„neue, proaktive, ekklesiologische Modelle". Das könnte auch eine Antwort auf

* Vortrag im Rahmen einer vom johann-Adam-Möhler-lnstitut in Kooperation mit der Konrad-


Adenauer-Stiftung und Renovabis veranstalteten Fachtagung am 13./14. Oktober 2016 in Berlin.
1 Zitate ohne eigene Anmerkung verweisen auf den Vortrag von Vladimir Khu ap, auf den dieser
Beitrag antwortet.
2 Das Thema Universal- bzw. Ortskirche wird selbst innerhalb der katholischen Kirche und Theologie
seit langem spannungsvoll und kontrovers diskutiert, wie die theologische Debatte zwischen Walter
Kasper und Joseph Ratzinger (v.a. zwischen 1999-2001) belegen kann. Zu dieser Debatte im Kon­
text auch der orthodoxen Theologie vgl. P. McPartlan, The Local and the Universal Church: Ziziou-
las and the Ratzinger-Kasper Debate, in: D.H. Knight (Hg.), The Theology of John Zizioulas: Per-
sonhood and the Church, Hampshire 2007, 171-182.

Cath(M) 71 (2017)44-51
Fragmentierung oder ökumenische Öffnung der Orthodoxie?

die momentan ungelöste Frage der Universalität der Orthodoxie geben, denn die
Prozedur der Panorthodoxen Synode hat - wieder einmal - gezeigt, dass die Or­
thodoxie derzeit in „nationale" Kirchen zerteilt („fragmentiert") ist. Khulap hat
jedenfalls keine konkrete Antwort bezüglich des Prozesses einer Defragmentie-
rung gewagt, aber er hat einen großen Bogen gespannt bezüglich der Probleme,
mit denen die Orthodoxie noch fertig werden sollte und deren Kern die Spannung
zwischen Konstantinopel und Moskau zu bilden scheint. Ich w ill versuchen, in
der gebotenen Kürze auf die wichtigsten der dargestellten Probleme einzugehen.
Dabei sollte m.E. der Akzent in der oben gestellten Frage nicht auf einer Priorisie-
rung der jurisdiktionellen Macht des einen oder anderen Patriarchats liegen, son­
dern vielmehr auf der „universalen" Öffnung der christlichen Verkündigung. Die
kritische Frage wird sein: Welche Strukturen können dieser ökumenischen Öff­
nung der Orthodoxen Kirche heute dienlich sein?

2. Ein gescheitertes Konzil? Warum die Orthodoxen Kirchen ihre


„Heilige und Große Synode" nicht einvernehmlich abhalten konnten

Die Einberufung der Panorthodoxen Synode wurde Ende Januar 2016 in Cham-
besy von allen Orthodoxen Kirchen beschlossen, wenn man von den Vorbehalten
der Kirche Antiochiens bezüglich der Satzung der Synode3 und von der geäußer­
ten Zurückhaltung der Kirche Georgiens zum Vorlagentext über die Ehe absieht.
Khulap beginnt seinen Vortrag nur mit dem Verweis auf die vorherige Entschei­
dung der orthodoxen Vorsteher, vom März 2014, und spricht dann vom Eintreten
„unvorhergesehener"4 Schwierigkeiten, die zur Absage der Teilnahme von vier
autokephalen Kirchen führten, ohne diese Schwierigkeiten auch konkret zu be­
nennen.5 Khulap gibt aber klar zu verstehen, dass das größte Problem dabei mit

3 Den Text der Satzung, ohne die Unterschrift der Orthodoxen Kirche von Antiochien findet man auf
der offiziellen Homepage der Heiligen und Großen Synode der Orthodoxen Kirche: https://
www.holycouncil.org/-/procedures. Auf der Homepage der Synode sind auch alle Vorlagentexte
sowie alle von der Synode beschlossenen Dokumente zu lesen und zwar in den vier amtlichen
Sprachen der Synode.
4 Das Abschluss-Kommunique des Treffens der orthodoxen Oberhirten in Konstantinopel/Istanbul
(6. bis 9. März 2014) hatte die Einberufung der Heiligen und Großen Synode für den Juni 2016 an­
gesetzt, „es sei denn unvorhergesehene Hindernisse erscheinen". Eine tabellarische Übersicht des
Weges zur Heiligen und Großen Synode der Orthodoxen Kirche findet sich auf: https://
www.orthodoxcouncil.org/preparation-of-a-council-timeline. Für die lange Geschichte des Weges
zur Einberufung der Panorthodoxen Synode siehe die wertvollen Publikationen von: A. Kallis, Auf
dem Weg zum Konzil. Ein Quellen- und Arbeitsbuch zur Orthodoxen Ekklesiologie, Münster 2013;
V. lonita, Towards the Holy and Great Synod of the Orthodox Church. The Decisions of the Pan-
Orthodox Meetings since 1923 until 2009, Basel 2014; A. Jensen, Die Zukunft der Orthodoxie,
Konzilspläne und Kirchenstrukturen, Zürich 1986; vgl. auch Th. Meimaris, The Holy and Great
Council of the Orthodox Church and the Ecumenical Movement, Thessaloniki 2013.
5 Eine Ausnahme macht Khulap hier mit seinem Verweis auf die „ungelöste Qatar-Frage, die zur
Abwesenheit der Antiochenischen Kirche geführt hat", nämlich die strittige Frage ob Qatar Jurisdik­
tionen der Kirche von Antiochien oder von Jerusalem zugeordnet werden soll. Das Rätsel der Nicht­
teilnahme von vier autokephalen Kirchen kann nur aufgrund des vorsichtigen Studiums der offiziel­
len Bekanntmachung ihrer Ablehnung (zu finden auf der jeweils offiziellen Homepage dieser Kir­
chen) sowie unter Berücksichtigung der Reihenfolge ihrer Absagen (Bulgarien am 01.06.; Antio-

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Athanasios Vletsis

„der höchsten kirchlichen Autorität und ihren Verwirklichungsformen verbunden"


ist. Ist es dann nicht berechtigt, die Frage zu stellen, ob vielleicht gerade die feh­
lende Bereitschaft der vier Orthodoxen Kirchen, die nicht an der Synode teilge­
nommen haben, allen voran des Moskauer Patriarchats, diese Instanz bzw. die
Autorität Konstantinopels - etwa im Blick auf den Vorsitz in der Synode - anzuer­
kennen, der tiefere Grund der Absage an die Synode war?
Es war sicherlich eine Kompromisslösung für die Satzung der Synode, die Balance
zwischen Mehrheit und Einstimmigkeit aufrechterhalten zu wollen: Wenn bei­
spielsweise die zahlenmäßig größte Orthodoxe Kirche, nämlich die Russische,
nicht entsprechend der Zahl ihrer Gläubigen in panorthodoxen synodalen Orga­
nen repräsentiert werden kann, dann kann der Modus der E nstimmigkeit (omofo-
nialunanimity) von vierzehn autokephalen Kirchen ein Ausgleich dafür sein, der
aber bei der Entscheidungsfindung die Rechte einer „höchsten Instanz bzw. Auto­
rität" deutlich abschwächt. Denn jede autokephale Kirche hätte als Kirche - nicht
durch einzelne Bischöfe - gemäß Satzung das Recht, ihre Stimme bei der Verab­
schiedung der vorgelegten Dokumente zu verweigern, was als Veto-Recht inter­
pretiert werden kann. In der Begründung ihrer Absage haben al e vier Kirchen
stets auf die fehlende Einstimmigkeit hingewiesen, womit sie aber eben von vorn­
herein ihre fehlende Bereitschaft zum Ausdruck brachten, sich in einem Konsens­
verfahren zu bemühen, eine wirklich tragbare Entscheidung herbeizuführen. Erst
die vollständige Anwendung eines Konsensverfahrens, wie es z.B. für die Beteili­
gung der Orthodoxie beim Ökumenischen Rat der Kirchen gilt ,**6 hätte die Rolle
des Vorsitzenden besonders akzentuieren können. 7 Zu dieser Anwendung kam es
auch in der Praxis der Entscheidungsfindung der Synode, wenn auch nur indirekt:8

chien am 06.06.; Georgien am 10.06. und Russland am 13.06.2016) etwas beleuchtet werden; die­
se Frage kann in diesem Beitrag nicht weiter verfolgt werden. Interessante Beiträge auch zur Frage
der Absage finden sich u.a. in folgenden Heften einschlägiger Zeitschriften, die hier nicht einzeln
mit Autoren und Titeln aufgeführt werden können: Cath(M) 67 (2013) Heft 2; HerKorr 70 (2016)
Heft 2; ÖR 64 (2015) Heft 3 und 66 (2017) Heft 2; zahlreiche Beiträge ir: Religion und Gesellschaft
in Ost und West 44 (2016), Heft 1, 2, 5, 6, 7 und 11; US 70 (2015) Heft 2. Die Zeitschrift Contacts
(Revue Frangaise de I 'Orthodoxie) 65 (2013), Heft 243, hat die Beiträge einer großen Tagung zum
Panorthodoxen Konzil in Paris (18.-20. Oktober 2012) dokumentiert.
6 Den Bericht der Sonderkommission für die Zusammenarbeit der Orthocoxen Kirche im ÖRK, wo
auch sehr ausführlich die Entscheidungsfindung nach der Konsensmetiode erläutert wird, findet
man auf: https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/assembly/2006-porto-alegre/3-prepa-
ratory-and-background-documents/final-report-of-the-special-commission-on-orthodox-participation-
in-the-wcc?set_language - de.
7 Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios bemühte sich in seiner gewichtigen Rede beim Vorbe­
reitungstreffen der orthodoxen Vorsteher im Januar 2016 in Chambesy, auf den Unterschied zwi­
schen „consensus" und „unanimity" aufmerksam zu machen. Seine Interpretation der Satzung der
Synode kann eindeutig als Unterstützung der Konsensmethode wahrgenommen werden, was aber
offensichtlich nicht von allen Kirchen auch so gesehen wurde. Vgl. https://www.orthodoxcouncil.
org/web/ecumenical-patriarchate/-/keynote-address-by-his-all-holiness-ecLmenical-patriarch-bartholo
mew-to-the-synaxis-of-the-primates-of-the-orthodox-churches-geneva-22-C1-2016-.
8 Die Anwendung einer Art Konsensmethode darf man mittelbar aus der Weigerung einiger synodaler
Bischöfe schlussfolgern, bestimmte Texte mit zu unterschreiben. Ich spreche nur von einer mittelba­
ren Anwendung der Konsensmethode, wie diese jedenfalls für die Kooperation der Orthodoxen Kir­
chen im ÖRK vorgesehen ist, weil die Bischöfe, die einige Dokumente nicht unterschrieben haben,
ihre offensichtlich anders lautende Meinung nicht zum Protokoll der verabschiedeten Dokumente
geben konnten. Die Dokumente gelten nämlich laut Satzung der Synode als von allen anwesenden

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Fragmentierung oder ökumenische Öffnung der Orthodoxie?

Wie Teilnehmer an der Synode berichten, war der Ökumenische Patriarch Bartho-
lomaios durchaus ein sehr moderater und geduldiger Vorsitzender der Panortho-
doxen Synode und stets bemüht, den Konsens im Saal herzustellen.
Für den aufmerksamen Beobachter lassen sich noch weitere Gründe anführen, die
die Zurückhaltung der erwähnten autokephalen Kirchen, ja die Ablehnung der
Synode in konservativen Kreisen erklären und die eingangs erwähnte Spannung
zwischen Universalität und Ethnizität noch aus einem anderen Blickwinkel be­
leuchten. Der Text, der von allen die massivste Kritik erfahren hat, war jener über
„Die Beziehung der Orthodoxen Kirche zur übrigen christlichen Welt" . 9 Die An­
erkennung der anderen christlichen Kirchen als Kirchen konnte offensichtlich von
vielen Orthodoxen nicht angenommen werden. Die Kompromisslösung im verab­
schiedeten Dokument kann nur als ein Provisorium wahrgenommen werden,
denn erst die Klärung der ekklesiologischen Frage in ihrer gesamten Komplexität
(die Lehre über Sakramente, Gnade, Priestertum und apostolische Sukzession)
kann für klare Verhältnisse sorgen, wie es auch im Dokument selbst heißt. 10 Berei­
tet nun die ökumenische Öffnung der Orthodoxie auf die anderen hin die größte
Schwierigkeit und stellt gerade diese Schwierigkeit einen Spaltungsgrund in den
eigenen Reihen dar? Die Zukunft wird zeigen, wie tragfähig die beschlossenen
Formulierungen sein werden.
Die Spannung zwischen „Universalität und Ethnizität" in der orthodoxen Welt
sollte zudem nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Zusammenhang mit der
Unfähigkeit der Panorthodoxen Synode, die Diasporafrage zu einer endgültigen
Lösung zu führen. Zwar ist die von der Synode beschlossene Gründung von Or­
thodoxen Bischofsversammlungen in vielen Ländern der Diaspora, in denen or­
thodoxe Christen in entsprechender Zahl und seit geraumer Zeit leben, ein äu­
ßerst wichtiger Schritt hin zu einer zur Formierung der Orthodoxie weltweit, dies
wird jedoch von der Panorthodoxen Synode selbst nur als eine Zwischenetappe
bezeichnet, bis zur „strikten kanonischen Ordnung" . 11 Die weltweite Strukturie-

Kirchen - in ihrer je selbstständigen Entscheidung als autokephale Kirche - angenommen, wenn ei­
ne autokephale Kirche nicht von ihrem Veto-Recht Gebrauch macht.
9 Dies kann mittelbar oder auch unmittelbar aus der Begründung der Absage der vier autokephalen
Kirchen abgelesen werden. Die Dokumente der Panorthodoxen Synode in deutscher Sprache wer­
den zitiert nach: Einheit in Synodalität. Die offiziellen Dokumente der Orthodoxen Synode auf Kre­
ta 18. bis 26. Juni 2016. Hg. v. B. Hallensieben, Münster 2016 (Epiphania 12). Das Dokument über
die Beziehungen mit den Nichtorthodoxen findet sich ebd., 78-86. Eine deutsche Übersetzung aus­
gewählter Konzilsdokumente bietet auch die Zeitschrift der Orthodoxen Bischofskonferenz in
Deutschland (OBKD) „Orthodoxie Aktuell" in den Heften 5/6 und 7/8 von 2016.
10 Ebd., Nr. 6: „Ihrer ontologischen Natur nach kann die Einheit der Kirche niemals gestört werden.
Die Orthodoxe Kirche akzeptiert (korrigiert vom Autor: AV) jedoch die historische Benennung an­
derer nicht-orthodoxer christlicher Kirchen und Konfessionen, die nicht mit ihr in Gemeinschaft
stehen. Sie glaubt aber, dass ihre eigenen Beziehungen zu diesen Gemeinschaften auf der so zügig
und objektiv wie möglich erfolgenden Klärung der gesamten ekklesiologische Frage beruhen sollte,
insbesondere über deren allgemeine Lehren über Sakramente, Gnade, Priestertum und apostolische
Sukzession". Damit wurde in einer nicht unbedeutenden Passage der Vorlagetext korrigiert, wie
dieser von der V. Panorthodoxen Vorkonziliaren Konferenz (Genf/Chambesy 2015) verabschiedet
worden: „Die Orthodoxe Kirche erkennt die historische Existenz anderer Kirchen und Konfessionen
an."
11 Die orthodoxe Diaspora, Nr. 1.b, in: Einheit in Synodalität (Anm. 9), 70-77, hier 70: „Ebenso wird
festgestellt, dass während der gegenwärtigen Phase aus historischen und pastoralen Gründen ein

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Athanasios Vletsis

rung der orthodoxen Diaspora macht erst recht die Schwierigkeiten anschaulich,
die das Autokephaliesystem mit sich bringt: Wem gehört die Diaspora? Und gera­
de das Diasporaproblem stellt mit noch größerer Dringlichkeit die Frage nach der
Beziehung der Orthodoxie zu den anderen christlichen Kirchen, denn gerade in
jenen Ländern, in denen die Orthodoxe Kirche in der Minderheit lebt, kann sie es
sich schlecht leisten, sich in ihre Absonderung zurückzuziehen. Die Frage ist
vielmehr: Wie kann die Orthodoxie, gerade in ihrer Diaspora, zusammen mit
vielen anderen Kirchen leben und Zeugnis ihrer Einheit in einer zerrissenen Welt
ablegen?
Auf das Problem der ökumenischen Ftaltung der Orthodoxie den anderen Kirchen
gegenüber ist Khulap in seinem Text nicht eingegangen, wohl aber auf das
Diaspora-Problem, das er als ein Testfall sieht, der u.a. das Ende „d e r,imperialen'
Periode der orthodoxen Kirchengeschichte" einleitet. Was wird aber als Alternati­
ve zu dieser „imperialen Periode" vorgeschlagen?

3. Autokephalismus - zwischen Ethnophyletismus


und eucharistischer Ekklesiologie?

Khulap behauptet, dass die Autokephaliefrage in der Orthodoxie „das Ergebnis der
globalen Transformationsprozesse der letzten zwei Jahrhunderte war, die das
Organisationssystem der Orthodoxen Kirche geprägt haben"; dabei verweist er
konkret auf das „Entstehen der souveränen Nationalstaaten". Unweigerlich stellen
sich hier weitere Fragen wie z.B. die Frage, wann denn die Russische Orthodoxe
Kirche autokephal geworden ist: nicht Ende des 16. Jahrhunderts (1589) oder -
aus russischer Sicht - sogar schon Mitte des 15. Jahrhunderts (1448)? Die Kir­
chengeschichte des Ostens lehrt uns, dass das Autokephal esystem keine neue
Erfindung und keine bloße Reaktion der östlich-orthodoxen Kirchen auf die politi­
schen Prozesse in Europa vor zwei Jahrhunderten war, sondern einer uralten Pra­
xis folgt. Obschon es ein gewisser Anachronismus ist, von Autokephalien im heu­
tigen Sinn zu sprechen, hat doch das Grundprinzip, „dass die kirchlichen Gege­
benheiten sich den politischen anzugleichen haben,"12 immer schon die Ge­
schichte der Strukturierung der Ostkirchen geleitet. Es ist hier nicht der Ort, die
Entstehung der anderen autokephalen Kirchen, insbesondere der Kirchen in der
slawischen Welt, genauer zu betrachten. Aber gewiss wire die große Mehrheit
dieser Kirchen ihre Autokephalie viel älter datieren wollen als ihre nominale Pro­
klamation in den letzten zwei Jahrhunderten. Es dürfte aus der Kirchengeschichte
bekannt sein, dass die Kirche Jesu Christi im Osten in mehreren bedeutenden
kirchlichen Zentren parallel aufwuchs (Alexandrien, Antiochien, später Konstan­
tinopel und Jerusalem), aus denen sich dann auch die Theorie der „Pentarchie"
herauskristallisiert hat (vgl. Kanon 36 des Quinisextum 690/91).

unmittelbarer Übergang zu der strikten kanonischen Ordnung der Kirche in dieser Frage nicht mög­
lich ist, d.h. zur Existenz nur eines Bischofs an demselben Ort.“
12 Dieses Prinzip wurde integriert in den Kanon 17 des IV. Ökumenischen Konzils von Chalcedon
( 451).

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Fragmentierung oder ökumenische Öffnung der Orthodoxie?

Ich finde, hier kann man auch eine konsequente Anwendung des Prinzips der
eucharistischen Ekklesiologie durchbuchstabieren: Wo die Eucharistie gefeiert
wird, dort ist die Kirche verwirklicht.13 Das eigentliche Problem dabei ist, dass die
Kirchen die Kriterien und die Voraussetzungen ihrer eucharistischen Gemein­
schaft nicht geklärt haben: was denn diese eucharistische Gemeinschaft zusam­
menhält und was die Abspaltung in viele lokale bzw. autokephale Kirchen behin­
dert. Diesem Ziel, der Gemeinschaft von in der Eucharistie geeinten Kirchen,
sollte das synodale Leben dienen. Wenn nun im ersten kirchlichen Jahrtausend
die Realität eines christlichen Reiches die Abhaltung und Funktionalität der gro­
ßen ökumenischen Synoden - irgendwie - begünstigt hat und auch garantieren
konnte, so wurde im Laufe des zweiten Jahrtausends, aufgrund einer ganz anderen
Entwicklung der Kirchen im Westen wie auch im Osten und vor allem als Resultat
epochaler politischer Umwälzungen, das Zusammenleben der Christen und noch
konkreter die Gemeinschaft der Orthodoxen auf eine harte Probe gestellt. Im
Jahrhundert der Globalisierung - und dies kann zumindest ab dem Ende des
19. Jahrhunderts datiert werden, als auch die anderen westlichen Kirchen, zu­
nächst protestantischer Provenienz, durch die ökumenische Bewegung und paral­
lel dazu die Römisch-katholische Kirche durch das Erste und Zweite Vatikanische
Konzil, sich der neuen Weltkonstellation zu stellen scheinen - ist das „Vakuum"
einer funktionierenden Gemeinschaft, die zu den Problemen ihrer Zeit Stellung
beziehen kann, in der Geschichte der Orthodoxen Kirchen sehr groß geworden.
Khulap spricht von einem „rechtlichen Vakuum", nämlich „die Kanones des ersten
Jahrtausends auf diese neuen Umstände anwenden" zu wollen. Gerade die
Diaspora-Frage macht diese Verlegenheit der Orthodoxie anschaulich. Die Frage,
zu wem die Orthodoxen in der Diaspora des 21. Jahrhunderts gehören, kann
sicherlich nicht einfach unter Verweis auf Kanones aus der Mitte des ersten christ­
lichen Millenniums beantwortet werden. Hier bin ich mit Khulap einer Mei­
nung.14 Doch ich vermisse in seinem Text einen konkreten Vorschlag.

4. „Primus sine paribus" oder Synodalität als „ekklesiologische Arznei"?


Die Suche nach einer neuen ökumenisch offenen Strukturierung der Kirche

Die Diasporafrage kann mit der Frage nach der Instanz oder der Autorität in der
Ausübung eines universalen „Primats" in der Orthodoxie gekoppelt werden. Die
„Erschaffung einer planetaren Oikumene" seitens des Ökumenischen Patriarchats
kann nicht einfach als Teil seiner „Überlebensstrategie" interpretiert werden, wie

13 Ausführlicher habe ich einige Crundmerkmale eucharistischen Ekklesiologie erläutert in meinem


Beitrag: „Die Eucharistie macht die Kirche" - oder doch umgekehrt? Chancen und Unwegsamkeiten
der „eucharistischen Ekklesiologie", in: OrthFor27 (2013) 153-167.
14 Wie strittig die Interpretation des berühmten 28. Kanons des IV. Ökumenischen Konzils (Chalcedon
451), gerade bzgl. seiner Anwendung für die Lösung des Diaspora-Problems, heute ist, hat Anargy-
ros Anapliotis gezeigt: A. Anapliotis, Der Kanon 28 von Chalcedon. Ein kirchenrechtlicher Zankap­
fel der interorthodoxen und ökumenischen Beziehungen (auch in Westeuropa), in: US 63 (2008)
194-206.

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Athanasios Vletsis

Khuiap dies tut .15 Auch wenn das Ökumenische Patriarchat sein Kirchenvolk in
Kleinasien weiterhin intakt hätte, wäre die Frage nach einer funktionierenden
Gemeinschaft der Welt-Orthodoxie und damit die Diaspora-Frage weiterhin mit
Dringlichkeit zu stellen. Wenn w ir alle in der Orthodoxie uns mit der heutigen
Realität der Zuordnung der orthodoxen Diaspora-Bistümer zu den Mutterkirchen
weiterhin nicht zufrieden geben wollen, und davon geht auch Khuiap aus, dann
bekommt die Aufgabe erste Priorität, dieses Problem anzupacken in d nach Lö­
sungen zu suchen, die nicht nur für die Strukturierung der Gesamt-Orthodoxie
eine Kettenreaktion auslösen könnte. Eine neue Strukturierung dei orthodoxen
Diaspora würde auch enorm zur Wahrnehmung der anderen christlichen Kirchen
als Kirchen beitragen, mit denen die Orthodoxie in ihrer Diaspora zusammenlebt.
Ich w ill hier eine Arbeitshypothese aufstellen: Könnte die Diaspora-Orthodoxie
nicht doch unter die Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats gestellt werden,
selbstverständlich unter Auflagen, was damit auch die Regelung der Frage nach
einer „Panorthodoxen Instanz" einleiten könnte? Zu diesen Auflagen könnte u,a.
gehören, dass diese orthodoxe Diaspora auch den Ökumenischen Patriarchen
wählen kann, der dann die Verantwortung eines „Primus inter pares" 16 für die
Gesamtorthodoxie viel effektiver ausüben könnte. Die Vielfalt der orthodoxen
Diaspora und parallel dazu eine konkrete Vorkehrung, dass alle sonst in der
Diaspora nicht gleichermaßen vertretenen autokephalen Kirchen in einer Art „En-
demousa Synodos" (ständiger Synod) 17 des Ökumenischen Patriarchats vertreten
wären, könnte nicht nur zur Überwindung der (heutigen) „Ethnizität" des Ökume­
nischen Patriarchats und zur „Defragmentierung" in den Orthodcxen Kirchen
beitragen. Damit könnte auch das Vertrauen gewonnen werden, dass die Belange
der Mutterkirchen unmittelbar auf der Ebene der Weltorthodoxie Gehör finden
können. Die konkreten Befugnisse einer solchen („Endemousa"-)Synode und eines
ersten Thrones in der Orthodoxie könnten dann aufgrund der langen Erfahrung
der Kirchengeschichte einvernehmlich durch die Konsensmethode neu konkreti­
siert werden, ohne dass die Rechte der autokephalen Kirchen tangiert werden.
Dies lässt m.E. auch Khuiap offen, wenn er von der „Suche nach neuen Formen
der Umsetzung" orthodoxer Ekklesiologie spricht, „z.B. regelmäßig stattfindende
Konzile oder ständige panorthodoxe synodale Beratungsgremien". Es ist an dieser

15 Der Vergleich, den Khuiap zwischen der Idee des „Pan-Slawismus" seitens des Moskauer Patriar­
chats und der „Megali Idea* seitens des Ökumenischen Patriarchats zieht, ist m.E. nicht berechtigt.
Die „Megali Idea" (die Wiederherstellung eines großen unabhängigen Griechenlands nach der all­
mählichen Befreiung des Landes von der osmanischen Herrschaft) hatte überhaupt nichts mit den
Anstrengungen des Ökumenischen Patriarchats zu tun. Zum Begriff der „Megali Icea" vgl. I. Zele-
pos, Die Ethnisierung griechischer Identität 1870 - 1912. Staat und private Akteure vor dem Hinter­
grund der „Megali Idea", München 2002.
16 Die Theorie eines „Primus sine paribus" kann nicht pauschal als Stellungnahme de: Ökumenischen
Patriarchats interpretiert werden, wie dies Khuiap in seinem Text annimmt. Diese Ansicht hat ledig­
lich Metropolit Elpidophoros von Proussa vertreten (siehe den Verweis auf den Beitiag des Metropo­
liten im Artikel von Khuiap).
17 Für eine kurze Erläuterung zu Begriff und Funktion der „Endemousa Synodos“ vgl. den Beitrag von
L.J. Patsavos, The Synodal Structure of the Orthodox Church, auf: http:Avww.goarch.org/ourfaith/
synodal-structure (31.01.17). Vgl. auch sein Buch: Primacy and Conciliarity. Studie in the Primacy
of the See of Constantinople and the Synodal Structure of the Orthodox Church, Brookline MA
1995 (dort auch die ältere Literatur zum Thema).

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Fragmentierung oder ökumenische Öffnung der Orthodoxie?

Stelle nur zu begrüßen, wenn Khulap die Synodalität als „eine ekklesiologische
Arznei gegen kirchlichen Provinzialismus" darstellt. Die kritische Frage lautet
jedoch: Was tun, wenn einige autokephalen Kirchen ihre Blockade-Politik gegen
jede konziliare Regelung fortsetzen wollen? Die bisherige Praxis der Orthodoxie
hat jedenfalls gezeigt, dass ein solches Szenario wie die aufgestellte Arbeitshypo­
these vorerst eher eine fromme Phantasie bleiben wird. Vielleicht lässt sich das
Problem der Überwindung der engen Grenzen der eigenen Autokephalie erst in
einer wahren und sichtbaren Gemeinschaft aller christlichen Kirchen beantwor­
ten, wobei aber dann die Frage nach einem „Ersten" bzw. nach synodalen Struktu­
ren in der gesamten Christenheit ganz neu und ganz anders gestellt werden sollte.
„War die Henne zuerst? Oder war das Ei vor der Henne da? Wer dieses Rätsel
löst, schlichtet den Streit um den Gott", so hat einmal Johann Wolfgang von Goe­
the scharfsinnig gedichtet. Diese Prioritäten verlieren jedenfalls ihre Schärfe als
Alternative in einer Gemeinschaft, die an erster Stelle ein Werk der Liebe des
Dreieinen Gottes ist. Die Christen sind zuversichtlich, dass die Liebe Gottes des
Vaters durch die Gnade des Herrn Jesus Christus uns in der Gemeinschaft des
Heiligen Geistes als Kirche zusammenruft und sammelt. Jesus Christus ist und
bleibt das Haupt der Kirche. Die Überwindung jeder Partikularität - der Ethnizität
oder welcher „Fragmentierung" auch immer - und die Öffnung in jene Katholizi-
tät der weltweiten universal-ökumenischen Christenheit ist nicht zuletzt eine Sa­
che der Reife der Gläubigen in der kirchlichen Gemeinschaft und in ihrem Glau­
ben.

Summary
To divide Orthodoxy in autocephalous ("national") churches can be interpreted as
an expression of that kind of polycentric evolvement of church life in eastern
Christianity which also shows a link to "Eucharistic Ecclesiology". Nevertheless,
an overemphasis of locality, combined with close ties to national life, leads to
that "fragmenting’ of the Orthodox Church that has shown its dysfunctionality in
the process of convocation and conduction of the Pan-orthodox council. As Or­
thodoxy is not only unable to install a ministry of unity commonly agreed in their
church life but also to keep the golden mean when taking decisions, the urgent
question for new regulations of their ecclesiastical life arises. In particular, the
fragmented shape of the Orthodox Church perceived in their Diaspora leads to
the question whether a re-organisation of the orthodox Diaspora could lead to her
"defragm entationThere, all Diaspora churches would elect the ecumenical
patriarch who could then represent the concerns of all autocephalous churches as
primus inter pares and could therefore co-ordinate the world orthodoxy more
effective.

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