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Diese Notation wurde zuerst publiziert im Artikel “Breaking into a new world of sound” in:
Perspectives of New Music, Vol. 29 (1991), S. 212-235.
Die Entwicklung der mehrstimmigen Musik in Europa hat in einem langen historischen
Prozess dazu geführt, dass die Musiker nur noch in normierten Halbtonstufen, die die Oktave in
zwölf gleich große Schritte unterteilen, denken und komponieren, obgleich von Natur aus eine
unendlich feine Nuancierung der Tonhöhen möglich ist. Dem Vorteil, in diesem System frei
transponieren und modulieren zu können, steht der Nachteil gegenüber, dass der auf zwölf
Alternativen reduzierte Tonvorrat gegenüber der Vielfalt der von den Völkern im Laufe der
Geschichte benutzten Tonstufen wesentlich verarmt ist. Viele Komponisten unseres
Jahrhunderts haben daher Möglichkeiten erkundet, die Beschränkungen des zwölfstufigen
Systems zu überwinden.
In der uns vertrauten Musik ist es üblich, von Ton zu Ton stufenweise fortzuschreiten. Die
Tonbewegung kann aber auch gleitend („glissando“) erfolgen. Dies wurde inzwischen in
vielfältiger Weise als Mittel der Komposition genutzt. Andere Komponisten haben vom
traditionellen Halbtonsystem abweichende Tonhöhen benutzt, um die Distanzen zwischen
gleichzeitig erklingenden Tönen zu minimieren und das Klanggewebe zu verdichten. In diesem
Falle werden Dichte und Verwebung der Strukturen musikalisch maßgebend gegenüber
Diastematik, Konsonanz und Dissonanz. Die Intervallphysiognomie der Linien verschwimmt,
und klangfarbliche Aspekte erhalten vorrangige Bedeutung. Ein dritter Weg besteht darin, in
der Komposition wie früher mit eindeutig wahrnehmbaren Tonhöhen zu arbeiten, mit diesen
aber Intervalle zu bilden, die vom Raster der traditionellen zwölf Halbtonstufen abweichen. Die
neuartigen Intervalle werden einerseits als melodische Schritte und andererseits als Elemente
von Zusammenklängen verwendet. Die melodischen oder harmonikalen Aspekte können
jeweils Vorrang haben oder – der Tradition des abendländischen Kontrapunkts entsprechend –
eng miteinander verknüpft sein. Hat die Intervallgröße aber eine spezifische, genau intendierte
Bedeutung, so wird deren exakte Realisierung durch die Interpreten – sowie das entsprechend
eindeutige Erfassen durch die Hörer – zur Bedingung, wenn nicht der durch die neu
hinzugewonnenen Intervalle erzielte Gewinn an Möglichkeiten zur Differenzierung des
Ausdrucks durch Ungenauigkeit oder Verwechslungen wieder nivelliert werden soll. Die
erforderliche Genauigkeit steigt mit der Anzahl der Tonstufen, die der Komponist innerhalb des
Oktavraumes verwendet. Hier nun, in dieser im speziellen Sinne mikrotonalen Musik, gewinnt
die Notation eine entscheidende Bedeutung.
Sowohl Hábas Vierteltonnotation als auch Fokkers System sind – für sich allein
genommen – einfach. Aber: Die erste unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Halbtönen,
und das zweite kennt keine Vierteltonstufen. Sollen in einer Komposition beide Alterationen
vorkommen, so könnte man beide Notationen verbinden, würde nun aber zwischen den auf
mehrfache Weise modifizierten #- und b-Vorzeichen sehr leicht die Orientierung verlieren. Es
wäre daher besser, anstelle der integrierten Mikrotonzeichen die gewohnten Akzidentien zu
verwenden und diese – je nach Erfordernis – mit zusätzlichen Intonationszeichen, die eine
bestimmte Erhöhung oder Vertiefung anzeigen, zu versehen. Eine einzige einfache Schrift ist
für den Interpreten zweifellos einfacher als mehrere Schriften, auch wenn jede für sich einfach
sein sollte.
Die Mikrotonstufen sind durch nur drei – die traditionelle Notenschrift ergänzende –
Zeichen zu notieren. Diese bedeuten eine Erhöhung bzw. Vertiefung um 1/12, 2/12 (= 1/6) oder
3/12 (= 1/4) eines Ganztones. Die neuen Zeichen sollten gut lesbar sein und durch ihre Form
sowohl Richtung als auch Größe der gemeinten Tonhöhenabweichung sehpsychologisch richtig
ausdrücken, damit die Abstufung der Tonhöhen bei aufeinander folgenden Noten unmittelbar
abzulesen ist. Nach vielen Experimenten hat der Verfasser ein Zeichensystem entwickelt, das
sich inzwischen sowohl im Theorieunterricht als auch in der Aufführungspraxis vielfach
bewährt hat. Diese Mikroton-Notation bezeichnet die Differenz gegenüber der gleichstufig
temperierten Klavierstimmung. Sie benutzt dazu drei Zusatzzeichen, die vor die Note bzw. vor
die Akzidentien (# oder b) gesetzt werden.
Die Wahl des Zwölfteltons als Einheit ist an Intervallen der Naturtonreihe ausgerichtet, da
man diese nach Gehör gut intonieren kann. Die Naturterzen und ihre Oktavkomplemente – die
Sexten – unterscheiden sich von den Werten der zwölfstufigen Temperatur um etwa 1/12-Ton,
die Naturseptime um 2/12 und das Alphorn-Fa, der 11. Naturton, um 3/12. Manche
Kompositionen bieten die Möglichkeit, die Feinintonation von Intervallen anhand von
Zusammenklängen zu überprüfen bzw. zu justieren. Gerade in diesen Fällen ist es sehr
hilfreich, wenn der optische Zeichencode der Notation leicht in eine akustische
Intervallvorstellung umgesetzt werden kann.
Das geschilderte 72stufige System wird als Notations-System verwendet und nicht als
gleichstufig temperiertes Intonations-System verstanden. Gemeint sind jeweils die den
notierten Tonhöhenwerten nächstgelegenen, durch einfache Frequenzproportionen bestimmten,
reinen Intervalle sowie vom Komponisten beabsichtigte Abweichungen von diesen. Beides
wird mittels dieser Schrift mit hinreichender Genauigkeit bezeichnet. Im
Duoseptuagesimalsystem werden die ersten zwölf Naturtöne mit einer Genauigkeit
repräsentiert, die sie von den Werten der reinen Stimmung um weniger als +/– 3 Cent
abweichen lässt.
Eine allgemeine Akzeptanz dieser standardisierten Notation für Mikrotöne würde die
Chance vergrößern, dass Musiker überall bereits während ihrer Ausbildung mit ihr vertraut
gemacht werden könnten. Das aber würde der Aufführung hochsensibler, feinstufig
organisierter Musik nur förderlich sein. Wir appellieren daher an alle Komponisten
mikrotonaler Musik, eine einheitliche Schrift zu akzeptieren, selbst wenn der eine oder andere
dadurch auf einige gewohnte und liebgewordene Zeichen verzichten müsste.