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Günther Maihold
Zusammenfassung
Die deutsche Lateinamerika-Politik ist immer wieder – meist
durch Anstöße von außen – auf ihre Leistungsfähigkeit und ihren
Fokus überprüft worden. Angesichts des gegenwärtigen Wandels
in dieser Region erscheint eine Neubestimmung von Programmen
und Partnern für die Außen- und Entwicklungspolitik nicht nur
überfällig sondern auch bezogen auf Design und interministerielle
Organisation dringend erfoderlich. Deutschland läuft Gefahr wei-
ter seine Präsenz in Lateinamerika einzubüßen, wenn nicht eine
Neuausrichtung des Engagements in der Region erfolgt. Nach ei-
ner kurzen Einschätzung der Lage in Lateinamerika werden
Schwerpunkte und Felder für politische Initiativen aufgezeigt, die
sich insbesondere auch auf eine gemeinsame Führungsverantwor-
tung bei Fragen globaler Politik beziehen.
Schlagwörter: Lateinamerika, deutsche Außen- und Entwicklungspolitik
Günther Maihold
, geb. 1957, Dr. phil., stv. Direktor der Stiftung Wissenschaft und
Politik (SWP), Berlin sowie Hon.-Prof. an der Freien Universität Berlin
SWP, Ludwigkirchplatz 3-4, 10719 Berlin
E-Mail: guenther.maihold@swp-berlin.org
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Resumen
Günther Maihold
Prioridades, coherencia e iniciativa política. Elementos
de un nuevo perfil de la política alemana en torno a
América Latina
Summary
Günther Maihold
Priorities, Coherence, and Political Iniciative. Elements of
a New Profile for Germany’s Latin America Policy
Nicht erst seit der Wahl der sogenannten „linken Regierungen“ befindet sich
Lateinamerika in einem umfassenden Umbruch, der vom Grundverständnis
demokratischer Herrschaft bis zur Rolle des Subkontinents in der internatio-
nalen Politik reicht. Obwohl das Bild der Region sicher vielfältiger und die
Akteure vielgestaltiger geworden sind und sich damit die vordergründige
Homogenität des Subkontinents zu verflüchtigen scheint, bieten sich für
externe Akteure dennoch auch weiterhin gemeinsame Handlungsansätze
gegenüber der Region an, so dass ein Rückfall in einen rein bilateralen Ansatz
für das Handeln deutscher Außenpolitik nicht das Instrument der Stunde ist.
Dies gilt insbesondere angesichts eines spürbaren Präsenz- und Profilverlusts
Deutschlands in Lateinamerika, so dass es gegenwärtig angezeigt erscheint,
politische Anstöße zu geben, die jenseits etablierter Integrationsräume ange-
siedelt sind und themenbezogen offene Gruppenkoordination zwischen Staa-
ten und nichtstaatlichen Akteuren eröffnen.
Deutsche Außen- und Entwicklungspolitik verlieren in Lateinamerika an
Präsenz. Diese Feststellung wird typischerweise von mit diesem Subkontinent
befassten Personen hervorgehoben. Außen- und entwicklungspolitisches
Handeln muss sich heute bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen
Deutschlands mit Knappheitsproblemen (Faust 2006: 97f.) auseinanderset-
zen, die klare Prioritätensetzungen verlangen. Wenn denn aber solche Res-
sourcen knapp sind, so ist Politik gefordert, sich besonders der Gestaltung
von Kohärenz anzunehmen, die den außenpolitischen Auftritt Deutschlands
in der Region bestimmen sollte. Insofern gilt es jenseits der unterschiedlichen
Aufmerksamkeitsschwellen im globalen Maßstab auch jene im Bereich der
Politikformulierung liegenden Ursachen bei inneren Koordinationsproblemen
in den Blick zu nehmen und das fehlende Interesse anzugehen, gemeinsame
Initiativen für deutsche und internationale Politik mit den Partnern in Latein-
amerika zu erarbeiten.
Dieser Notwendigkeit, Anschlussfähigkeit zu den neuen Zielgruppen und
Trägern politischer und gesellschaftlicher Verantwortung in Lateinamerika
aufzubauen, ist der vorliegende Beitrag gewidmet.1 Hierzu wird zunächst
versucht, in einem ersten Abschnitt den Wandel der jüngeren Zeit in Latein-
amerika kurz zu charakterisieren, um anschließend nach den strategischen
Interessen Deutschlands in der Region zu fragen. Wichtig ist dabei selbstver-
ständlich das Interesse deutscher Außenpolitik, eine zentrale Rolle in der
multilateralen Ordnung durch die Gestaltung internationaler Ordnungspolitik
zu spielen. Mit Lateinamerika als „best performer“ globaler Ordnungspolitik
im westlichen Sinne unter den Entwicklungsregionen bietet sich ein Gestal-
1 Für wichtige Hinweise zu einer früheren Fassung dieses Textes danke ich Wolf Grabendorff, Bert
Hoffmann, Wilhelm Hofmeister, Manfred Mols und vielen anderen Gesprächspartnern, die mir
in verschiedenen Diskussionsrunden wertvolle Anregungen gegeben haben.
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wickelte Projekt darstellt und mit einer Preisgarantie durch Venezuela gegen-
über den Staaten der Karibik und Zentralamerikas ausgestattet ist, ist ein
Erfolg der venezolanischen Bemühungen um Fortschritte bei PETROSUR
angesichts des hinhaltenden Widerstands Brasiliens nur schwer absehbar.
Gegenwärtig sind diese Bestrebungen aber noch sehr stark als Projekte ohne
große Bindungswirkung für die beteiligten Staaten zu verstehen (Altmann
2008), die sich vielmehr aus „opportunistischen“ Gründen diesen Zusam-
menschlüssen anschließen bzw. nicht verweigern.
Für externe Akteure wie die EU und ihre Mitgliedstaaten stellen sich inso-
weit einige zentrale Fragen: Angesichts der sich nun konstituierenden neuen
Institutionalität in Südamerika ist zu prüfen, ob die bisherige Zusammenarbeit
mit etablierten Regionalakteuren (wie etwa der Río-Gruppe) zugunsten anderer
Formate (wie etwa UNASUR) aufgegeben werden soll. Bislang ist allerdings
offen, wie belastbar die Allianzpolitik der neuen Akteure in Lateinamerika ist.
Angesichts des jüngsten Säbelrasselns zwischen Ecuador und Venezuela auf der
einen und Kolumbien auf der anderen Seite ist unklar, ob die neuen Institutio-
nen fähig sein werden, dauerhaft politisches Handeln der nationalen Regierun-
gen und in Verbindung miteinander zu vereinbaren und aufeinander abzustim-
men. Wenn man sich auf diese neue Strukturen als Partner einlassen will, wäre
vorher zu klären, wer letztlich die Träger der neuen politischen Strömungen in
Lateinamerika sind und welche dauerhaften Strukturen zu schaffen sie in der
Lage sind. Neue Turbulenzen zwischen den einzelnen Staaten sind nicht auszu-
schließen, da angesichts der starken Rolle nationalistischer Positionen der Re-
kurs auf als „unverletztlich“ angesehene Souveränitätsrechte nahe liegt. Wenn
heute die „lateinamerikanische Integration nicht mehr überzeugt“ (Mols 2008:
24), dann hat dies nicht nur mit dem gegenwärtig ambivalenten Verhalten Ve-
nezuelas mit seinen Mitgliedschaften im Andenraum (CAN) und MERCOSUR
zu tun, sondern auch mit einer insgesamt abnehmenden Kohäsion dieser Integ-
rationsräume, die sich in einem geringen Umfang an Ratifizierungen des jeweili-
gen aquis comunautaire ablesen lässt.
Bezogen auf diese neuen Integrationsdynamiken sind deutliche Anzeichen
zu erkennen, dass einige der traditionellen Formate (MERCOSUR, CAN,
Sistema de la Integración Centroamericana – SICA) von wichtigen lateinamerikani-
schen Staaten selbst in Frage gestellt werden bzw. die Identifikation mit ihnen
nachgelassen hat. Das ihnen zugrunde liegende Muster einer auf Weltmarktin-
tegration abzielenden Politik ist in der Region zunehmend unter Druck gera-
ten, stärker binnenzentrierte Orientierungen haben an Boden gewonnen. Die
umfassende Förderung dieser Integrationsräume durch die EU scheint ver-
pufft zu sein. Es wurde viel an institutionellen Formen geschaffen, die jedoch
die erwünschte Bindewirkung für das Handeln der Akteure nicht entfalten
konnte (Maihold 2006b). Heute gilt es, sich zu den neuen Integrationsformen
zu verhalten, auch wenn diese bislang mehr Projekt als Realität sind, so dass
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entscheidend sein wird, wo die Regierungen der Region ihre Prioritäten setzen
werden. Angesichts der bereits laufenden Assoziierungsverhandlungen zwi-
schen der EU und Zentralamerika (SICA) sowie der andinen Staatengemein-
schaft (CAN) und des Abschluss eines Partnerschaftsabkommens (EPA) mit
15 karibischen Staaten im Dezember 2007 ist erkennbar, dass sich die europä-
ische Politik auf die etablierten subregionalen Räume bezieht. Die starken
zentrifugalen Kräfte in den alten Integrationsräumen wie dem MERCOSUR
und im andinen Raum werden die Verhandlungen von Assoziierungsverträ-
gen mit der EU erschweren, es gilt flexiblere Formate der Zusammenarbeit zu
entwickeln. So sind perspektivisch Formen der offenen Gruppenkoordination
zu bevorzugen, die den in Lateinamerika vorhandenen Positionen zu einfa-
cher Politikkoordination stärker entgegenkommen und möglicherweise besse-
re Resultate erbringen. Positive Erfahrungen in diesem Beziehungsmuster
konnte die EU bereits beim Sektordialog zu Drogen-Fragen gewinnen.
2.3 Die USA und EU sind immer weniger in der Lage, auf die Ereignisse
auf dem Subkontinent Einfluss zu nehmen
Die Partnerschaft mit Europa ist heute für Lateinamerikas Regierungen ange-
sichts der Präsenz Chinas immer weniger Notwendigkeit sondern verstärkt
nurmehr eine Option. Wenn als Folge der zwischen Europa und Lateinameri-
ka sehr unterschiedlichen Anpassung an den Globalisierungsprozess die „ge-
meinsame Weltsicht“ weitgehend verloren gegangen ist (Grabendorff 2007:
16), wird zunehmend fraglich, ob die „gewachsene Affinität zum Westen …
immer noch eine funktionierende Nabelschnur bildet“ (Mols 2008: 24). Die
lateinamerikanische Selbstperzeption als Globalisierungsverlierer (Graben-
dorff 2007: 10), die sich für die großen Nationen wie Brasilien und Mexiko
oder auch Chile sicherlich anders ausnimmt, setzt insofern einen neuen Be-
zugsrahmen für das beiderseitige Verhältnis zwischen Europa und Lateiname-
rika. Der traditionelle Ansatz eines europäischen (vor allem spanischen) Sen-
dungsbewusstseins findet hier seine Grenzen (Maihold 2006a: 8): Der Vor-
bildcharakter des alten Kontinents, der in Lateinamerika vor allem eine ver-
gangene Attraktivität ausstrahlt, muss sich heute angesichts der neuen Präsenz
Chinas neu legitimieren. Eine quasi „automatische“ euro-lateinamerikanische
Interessengemeinschaft ist damit international nur sehr eingeschränkt gege-
ben, gemeinsame Positionen müssen mittelfristig entwickelt werden, wenn sie
tragfähig sein sollen.
Zentral ist dabei die Präsenz und Einsatzbereitschaft Brasiliens, das seine
weltpolitische Gestaltungsrolle zwischen den USA, der EU und seinem
Selbstverständnis als Führungsmacht des Südens zu etablieren versucht. Trotz
seiner von den lateinamerikanischen Nachbarn kritisch beobachteten Füh-
rungsansprüche ist Brasilien entscheidend bei der Konfliktregelung in Süd-
Ein neues Profil deutscher Lateinamerika-Politik 199
amerika, ihm kommt auch eine Sprecherfunktion für die Staaten des Südens
zu, die sich im Rahmen der WTO und durch die Einbeziehung in den G8-
outreach-Prozess weiter ausgeprägt hat. Sicherheitspolitisch muss es daher vor
allem darauf ankommen, Brasilien auf eine tragende Position in der Region
(wie etwa bei der Stabilisierungsmission in Haiti) zu verpflichten und die
Konfliktprävention zu stärken. Auf diese gestaltende Einflussnahme Brasi-
liens setzen auch die USA, die sich in vielen anderen Ländern der Region mit
der Welle des Populismus einem anti-amerikanischen Diskurs gegenüber
sehen, der ihr Handeln in der Region einschränkt (Pérez Llana 2007: 23).
Indes bewegen sich die Beziehungen zwischen Lateinamerika und den USA
zwischen den Polen ideologischer Dogmatismus und einer pragmatischen
Politik auf beiden Seiten (Domínguez 2007), so dass sich keine akuten Kon-
fliktkonstellationen (selbst in den schwierigen Beziehungen zu Venezuela)
ausgebildet haben. Gleichzeitig ist Washingtons Interesse an Lateinamerika
wegen anderer weltpolitischer Interessen gesunken, so dass sich auch durch
diese Neuorientierung eine größere Distanz zu Südamerika ausgeprägt hat,
während das Karibische Becken im Rahmen der Drogenpolitik nach wie vor
den unmittelbaren nationalen Sicherheitsinteressen der USA zuzuordnen ist.
Bezogen auf die Gesamtregion verlieren Deutschland und Europa weiter
an Präsenz, ohne dass dies auf eine mögliche Konfrontation mit den USA
zurückzuführen wäre. Diese Entwicklung ist gleichermaßen Folge anderer
Prioritäten der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik wie auch abneh-
mender Attraktivität des deutschen und europäischen Standortes in Latein-
amerika (Werz 2006). Da nicht mit einem unmittelbaren Umschwung in der
politischen Agenda zu rechnen ist, gilt es, neue Prioritäten für die Umsetzung
deutscher Interessen im europäischen Sinne zu setzen. Dies sollten neben den
ohnedies kaum zu bestreitenden außenpolitischen Länderschwerpunkten in
Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko4 vor allem regional angelegte Pro-
gramme sein, die geeignet sind, eine Fülle unterschiedlicher Akteure auf staat-
licher und nichtstaatlicher Ebene einzubeziehen. Dies bedeutet vor allem die
Notwendigkeit, Themenfelder zu identifizieren, die bestimmte Länder bzw.
-gruppen zusammenführen können. Inhaltlich meint dies vor allem zweierlei:
Die Bereitschaft zur Formulierung außenpolitischer Ziele gegenüber Latein-
amerika in mittelfristiger Perspektive sowie eine stärkere Politisierung der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit, was gleichzeitig einen höheren
Wiedererkennungswert sichert. Dabei müssen Kompetenzfelder deutscher
Außen- und Entwicklungspolitik besonders profiliert werden, d.h. Umweltpo-
litik und -technologie sowie Fragen lokaler und regionaler governance (Dezen-
tralisierung etc.). Letztlich sollte überlegt werden, ob nicht andere Aufgaben –
4 Dies folgt nicht zuletzt aus der Präsenz der deutschen Wirtschaft in diesen Ländern; als Überblick
hierzu vgl. (Rösler 2006).
200 Günther Maihold
ren, mit diesen Ländern auf Regierungsebene und darüber hinaus eine mittel-
fristige Strategie zu entwickeln.5
Eine stärkere politische Profilierung und Prioritätensetzung bleibt also
notwendig: Neben der Gewährleistung gewachsener Außenbeziehungen sollte
deutsche Außenpolitik in der Lage sein, politische Initiativen zusammen mit
Partnern in Lateinamerika zu entwickeln, sei es zum Thema Klima, sei es zu
Fragen der Nuklearpolitik etc. Durch Ausbau einer solchen Initiativrolle
könnte es gelingen, die besonderen Partnerqualitäten lateinamerikanischer
Staaten im globalen Konzert für deutsche Außenpolitik sichtbar zu machen.
Eine solche Positionierung setzte allerdings voraus, dass die Bereitschaft zur
Definition von Schwerpunkten besteht und die Suche nach Anschluß- und
Dialogfähigkeit aktiv betrieben wird bzw. entsprechende Kompetenzen dafür
vorgehalten werden.
Zudem stehen den deutschen Außenvertretungen oftmals keine finanziellen
Mittel zur Verfügung, um signifikante Aktivitäten jenseits der Kleinprojekte mit
Experten etc. unterlegen zu können. Hier sollte Ausgleich geschaffen werden in
Form eines Fonds der „politischen Zusammenarbeit“, aus dem die Außenver-
tretungen entsprechende Mittel beziehen können. Dies würde es auch erlauben,
vermehrt durch Einzelmaßnahmen (im Gegensatz zur Programm- und Projekt-
arbeit der EZ) politisch signifikante Aktivitäten umzusetzen.
5 Vgl. hierzu die bislang wenig ermutigenden Resultate des deutsch-brasilianischen Zivilgesellschaftsdi-
alogs (vgl. die Analyse von Schwamborn 2005) sowie die bislang ungeklärte Umsetzung der Gemein-
samen Erklärung beider Regierungen vom 17. April 2007 mit dem Titel „Gemeinsame Perspektiven
für eine intensivere Zusammenarbeit“. Zum mexikanischen Fall vgl. (DusselPeters/Maihold 2007).
6 Vgl. zu der aktuellen Debatte um dieses und andere Konzepte zur Beschreibung neuer Füh-
rungsmächte als Partner der deutschen Außenpolitik vgl. (Flemes/ Nolte 2008).
204 Günther Maihold
fert, die sich seit der „Paris-Erklärung über die Wirksamkeit der Entwicklungs-
zusammenarbeit“ der OECD vom März 2005 (Drescher 2006) als innerstaatli-
che und europäische Geberkoordination darstellt. Zwar sind die Abstim-
mungsprobleme zwischen europäischer und nationaler EZ unbestritten, aller-
dings sollte damit nicht das bisherige Qualitätsmerkmal dezentraler Koopera-
tion rückgebaut werden zugunsten eines vereinheitlichten Portfolios, das alle
Geber und Mittler in ein gemeinsames Korsett zwängt. Dies zumal angesichts
der Aversion, die in vielen Ländern Lateinamerikas aus der Tradition eines
„defensiven Multilateralismus“ einer überbordenden global governance-Euphorie
entgegen gebracht wird.
Die Verselbständigung der Durchführungsorganisationen: Der Steuerungs-
verlust, den das BMZ gegenüber seiner wichtigsten Durchführungsorganisation
erlitten bzw. hingenommen hat, erweist sich als zentrales Hindernis für eine
Neuausrichtung der EZ. Die Eigeninteressen und das Eigengewicht der Durch-
führungsorganisationen müssen zurückgeführt werden, um dem BMZ die poli-
tische Steuerung der EZ wieder in die Hand zu geben. Dies setzt allerdings
voraus, dass sich die politischen Vorgaben als belastbar erweisen und nicht in
kurzfristigen Wendebewegungen solche Zusagen untergraben werden.
Die Bedeutung nichtstaatlicher Akteure: Nicht zuletzt aufgrund der Krisen
von Staatlichkeit und guter Regierungsführung in Lateinamerika wurden die
nicht-staatlichen Akteure zur zentralen Zielgruppe und zu Partnern neben staat-
lichen Stellen in der Entwicklungspolitik. Inzwischen ist diese Euphorie ge-
schwunden, da insbesondere die NGOs oftmals in die bestehenden Mechanis-
men von Kooptation und Klientelismus hineingewachsen oder zu dauerhaften
„Kostgängern“ der verschiedenen Agenturen internationaler EZ geworden
sind. Gleichwohl kommt die EZ jenseits der „NGO-Welt“ nicht ohne Stiftun-
gen, Unternehmensverbände und Public-Private Partnerships als Träger aus, sie
sind wichtige Akteure, um gesellschaftlichen Wandel in den stark vermachteten
Gesellschaften Lateinamerikas zu induzieren, auch wenn sie nicht als dessen
Gestalter fungieren können. Hier ist die EZ gefordert, Wirkungsbeobachtungen
durchzuführen, um eine klare zielgerechte Ausrichtung der EZ-Maßnahmen
sicherzustellen. Vor allem muss es darauf ankommen, den Dialog und das ge-
meinsame Handeln verschiedener Gruppierungen zu stärken, um die Tendenz
zu Gruppenegoismen und gegenseitiger Blockade zu mindern.
nern wachsen, die neben der multilateralen Einbindung der EZ an die MDGs
den außenpolitischen Prioritäten dienen sollte. Sinnvoll wäre es, wenn dazu
(dem Transatlantik-Programm des Auswärtigen Amtes vergleichbar) ein ge-
meinsamer Fonds geschaffen würde, der Projekte mit dem Ziel des mittelfris-
tigen Dialogs bedienen kann.
4.5 Suche nach neuer Anschlussfähigkeit in der Region: Alte und neue Partner
Deutschland besitzt als eines der wenigen EU-Mitgliedstaaten neben Spanien
und Frankreich ein erkennbares Perzeptionsprofil in Lateinamerika. Indes ist
dieses Deutschlandbild bestimmt von historischen Bezügen Deutschlands als
Kulturnation, mit denen sich vor allem die älteren Generationen identifizieren
und die von diesen getragen werden. Debatten zur Gegenwartskultur müssen
mit großen Anstrengungen gestiftet werden, um Deutschland als Bezugs-
punkt sichtbar werden zu lassen. Zunehmend verändern sich jedoch die Eli-
tenkonstellationen auf dem „jungen“ Subkontinent Lateinamerika, neue Mei-
nungsträger und Führungsschichten, die sehr viel stärker an den USA ausge-
richtet sind, rücken in Positionen politischer und sozialer Verantwortung ein
(Werz 2007). Dabei kann nicht mehr auf die weitere Attraktivität des traditio-
nellen Deutschlandbild gesetzt werden: Neue Bezüge müssen gestiftet wer-
den, um die Anziehungskraft Deutschlands als Alternative zum angelsächsi-
schen Muster sichtbar werden zu lassen. Dabei geht es um mehr als Rezepti-
onslenkung und public diplomacy-Aktivitäten für die kulturelle und gesell-
schaftspolitische Dimension wie auch für das entwicklungspolitische Leitbild;
es gilt die Anschlussfähigkeit zu Diskursen in Lateinamerika herzustellen und
gemeinsames (Kennen)Lernen zu organisieren.
Es muss insoweit darauf ankommen, eben solche Anschlusspunkte zu er-
arbeiten, da sie sich nicht mehr einfach aus der Strahlkraft der eigenen Gesell-
schafter ergeben. Dies steht zudem im Kontext sich wandelnder Elitenkons-
Ein neues Profil deutscher Lateinamerika-Politik 211
mehr ertastet als gedacht. Hier liegen entscheidende Unsicherheiten der Zu-
kunft: Wenn die Ressourcenländer Lateinamerikas erneut die Einnahmen-
schwemme ohne Verbesserung bei den grundlegenden Versorgungsindikato-
ren der Bevölkerung verwenden, dann sind die Chancen des Subkontinents in
der Konkurrenz zu anderen Weltregionen vertan. Es muss daher darauf an-
kommen, jetzt die Weichen mit zu stellen, dass der Subkontinent sich nicht
auf das Abstellgleis manövriert, sondern seine Chancen nutzt. An dieser Stelle
müssen Außen- und Entwicklungspolitik gemeinsam ansetzen.
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