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EIKON

DAS SPRACHLICHE BILD BEI PLATON

Catharina Graf, 2005

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Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS.................................................................................2

1. EINLEITUNG................................................................................................ 3

2. VON DER IDEE ZUM BILD..........................................................................5


2.1 Die Idee .............................................................................................................................................5

2.2 Das Bild ............................................................................................................................................ 8

2.3 Mimesis ...........................................................................................................................................11


2.3.1 Die mimetische Produktion...................................................................................................... 11
2.3.2 Die mimetische Rezeption........................................................................................................13

3 DAS SPRACHLICHE BILD.........................................................................16


3.1 Produktion des sprachlichen Bildes..............................................................................................16

3.2 Rezeption des sprachlichen Bildes................................................................................................ 18

4 SCHLUSS: VOM BILD ZUR IDEE?........................................................... 21

5 BIBLIOGRAPHIE........................................................................................ 24
Sekundärtexte...................................................................................................................................... 24

Lexika und Wörterbücher: ............................................................................................................... 25

© Catharina Graf, 2003 2


info@catharinagraf.ch
1. Einleitung
Die Rolle des Bildes im platonischen Weltbild scheint klar definiert zu sein.
Im allseits bekannten Höhlengleichnis beispielsweise wird das Bild als
Täuschung bezeichnet, die von der Erkenntnis der Wahrheit, der Idee,
ablenkt: Der Mensch sieht in erster Linie Abbilder einer Wirklichkeit, die über
das wahre, unsichtbare Wesen der Dinge hinwegtäuschen. Menschen, die
handfeste Bilder wie Gemälde verfertigen, sitzen nicht nur dieser Lüge auf,
sondern verbreiten sie auch noch und stehen damit der wahren Erkenntnis
im Wege. Doch untersucht man Platons Gebrauch des Wortes Bild,
griechisch 
, genauer, scheint er sich selbst in überraschender Weise
auf Bilder zu verlassen: Mit 
wird nicht nur das „Bild“ im herkömmlichen
Sinne bezeichnet, sondern auch die Gleichnisse, deren sich Platon
haufenweise bedient – an vorderster Stelle das Höhlengleichnis.
Wie lässt sich dieser Gebrauch des Bildes innerhalb einer Philosophie
verstehen, die ikonoklastische Züge trägt?

Das griechische Wort 


wird von Platon aus seinem ursprünglichen
Bedeutungsfeld, nämlich dem Bild im Sinne von „Porträt“ oder „Statue“, in die
Rhetorik übertragen und damit zu einem „sprachlichen Bild“. 1
Die Vorstellung eines sprachlichen Bildes scheint widersprüchlich - denn
zeichnet sich das Bild nicht in erster Linie durch seine Materialität aus, durch
die Tatsache, dass es sinnlich erfahrbar ist? In modernen Diskussionen um
sogenannte linguistic und iconic turns werden Sprache und Bild gar als
gegensätzliche Konzepte betrachtet und gegeneinander ausgespielt. Vor
diesem Hintergrund ist ein „sprachliches Bild“ nur in einem übertragenen
Sinne zu verstehen. Der Begriff „Bild“ wird in diesem Zusammenhang selbst
wiederum zum Bild, zum Bild für eine Form des sprachlichen Ausdrucks, die
an die Fähigkeiten des eigentlichen, des materiellen Bildes anlehnt.
1
„Before being used as a rhetorical term, eikwn meant „statue“, „portrait“ or „image.“ McCall,
Marsh H.: Ancient Rhetorical Theories of Simile and Comparison, Cambridge, Mass.: Harvard Univ.
Press, 1969.

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Der erste Schritt zum einer Erklärung, warum Platon das sprachliche Bild an
zentralen Stellen seiner Dialoge benutzt, besteht daher darin, die Stellung
des materiellen Bildes in der platonischen Philosophie nachzuzeichnen. Da
das Abbild in erster Linie über seine Distanz zu der Wahrheit der Ideen
definiert wird, ist es sinnvoll genauer zu definieren, was Platon unter dem
Begriff Idee versteht.
In einem zweiten Schritt soll an zwei Beispielen von sprachlichen Bildern
deren Beschaffenheit beschrieben werden. Die sprachlichen Bilder, wie sie
Platon benutzt, weisen erstaunliche Ähnlichkeiten zu dem auf, was er als
Idee bezeichnet. Sind die sprachlichen Bilder nun als Bilder der Idee zu
verstehen? Wenn ja, wie ist dies zu begründen? Diesen Fragen soll im
Schlusswort nachgegangen werden.
Diese Untersuchungen sollen verdeutlichen, dass Platons Gebrauch von
sprachlichen Bildern nicht nur in einem rhetorischen Sinn zu verstehen ist,
sondern als Teil seines philosophischen Systems funktionieren. Die
Grundlage für diese Erörterung bieten die Dialoge der Politeia. Zwar lassen
sich in fast allen Dialogen Platons sprachliche Bilder finden, doch in der
Politeia sind sie jeweils an Schlüsselstellen der Argumentation eingesetzt
und nehmen eine zentrale Stelle in der Begründung des platonischen idealen
Staates ein.

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2. Von der Idee zum Bild
2.1 Die Idee

Um die Stellung des Bildes zu erläutern lässt Platon Sokrates die Trias Idee
– Ding – Bild vorstellen. Das Grundprinzip ist schnell erklärt: Das Ding, so
Sokrates, stelle eine Ausführung der Idee dar, das Bild beziehe sich auf das
Ding und stehe somit in einer grossen Entfernung von der Wahrheit, sprich:
von der Idee.2 Mit dieser Analogie soll in erster Linie verdeutlicht werden,
weshalb das Bild verwerflich sei. Doch aus ihr lassen sich interessante
Rückschlüsse auf das Verständnis dessen ziehen, was Platon mit dem
Begriff der Idee, griechisch 
oder 
bezeichnet:
Ausgehend von der Trias Idee –Ding – Bild entwirft Sokrates eine zweite
Analogie, die vom „Wesensbildner“, der die Ideen gemacht habe, über den
„Werkbildner“, der Dinge herstelle, zum Maler führt, der die hergestellten
Dinge nachahme.3
Die seltsame Annahme eines Wesensbildners gibt den Ideen den Hauch von
Materialität, denn sie legt nahe, dass die Ideen in gewisser Weise hergestellt
worden sind, wie alles andere auch. Seltsam ist die Einführung des
Wesensbildners deshalb, weil etwas Ähnliches an keiner anderen Stelle in
den erhaltenen platonischen Schriften auftaucht.4 Es wird daher vermutet,
dass sie aus einem rhetorischen Zwang gewachsen sei.5
Es soll hier nicht darum gehen zu entscheiden, wie ernst zu nehmen die
Vorstellung des Ideen-Machers ist, sondern darum, was uns diese Annahme

2
Politeia 595a ff.
Die Zitate stammen aus folgender Ausgabe: Platon, Sämtliche Werke in der Übersetzung von
Friedrich Schleiermacher, hrsg. v. Otto, Walter F. und Grassi, Ernesto, Reinbeck bei Hamburg:
Rowohlt, 1969 (1958), Band III.
3
Politeia 597a ff.
4
Vgl.: „The idea that a god has created ideas has disturbed every careful reader of Plato.“ Chermiss,
Harold: „On Plato’s Republic x, 597b“, in: American Jounal of Philology, 53, 1932, S. 233.
5
„[Plato’s] talk of a god making the Form can be explained as the completion of a hierarchy of
producers to match that of the picture, the bed, the Form.“
Janaway, Christopher: Images of Excellence: Plato’s Critique of the Arts, Oxford: Clarendon Press,
1995, S. 112.[= Janaway]

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über die Beschaffenheit der Ideen sagen könnte.
„Gott ( ) [hat], weil er wahrhaft der Verfertiger des wahrhaft seienden
Bettgestells (     ) sein wollte und nicht eines
einzelnen Bettgestells, noch auch ein Tischler, es als eines dem Wesen ( )nach
gebildet.“6

Die Vorlage für eine Idee, beispielsweise die Idee des Bettes, sei die Natur
oder das „Wesen“ des Bettes. Die Idee des Bettes zeichne sich vor allen
anderen Betten dadurch aus, dass sie die einzige sei, die „wahrhaft ist“.
Ideen sind per definitionem einzigartig, es gibt nichts, was mit der Idee des
Bettes identisch ist.
Anstelle des deutschen „wahrhaft“ wird im griechischen das „sein“ fast schon
tautologisch wiederholt, was zu der Vermutung einlädt, dass es sich bei
diesem „sein“ um eine reine Form des „Seins“ handeln muss. Sokrates stösst
uns mit der Nase auf die Tatsache, dass die Ideen „sind“, und zwar in einer
reineren Form des Seins als alles Andere: Eine Idee ist nichts Anderes als
sich selbst. Die Idee des Bettes nimmt einen klar definierten Platz ein
gegenüber allen anderen Ideen, Dingen sowieso. Der Idee des Bettes ist
keine andere Idee ähnlich, die teilt ihr Sein mit nichts Anderem. Und weil es
nichts gibt, was der Idee des Bettes ähnelt, ist sie nicht darstellbar –
zumindest nicht in einer Darstellungsform, die über die Ähnlichkeit
funktioniert.

Die Analogie Bild – Ding – Idee legt jedoch nahe, dass nicht nur das Bild ein
Abbild eines Dinges darstellt, sondern dass auch zwischen der Idee und dem
Ding eine Form von Abbildungsverhältnis besteht.
„[Es gibt doch] viele Bettgestelle und Tische? – Wie sollte es nicht. – Aber Begriffe
( )gibt doch nur zwei für diese Geräte [...] Und pflegen wir nicht zu sagen, dass
die Verfertiger jedes dieser Geräte, auf den Begriff sehend
  ) , so der eine Bettgestelle macht, der andere Tische [...] ?“7

Für jede Klasse von Dingen ist eine Idee zuständig. Wenn ein Mensch nun

6
Politeia, 597d
7
Politeia 596 abc

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ein Ding herstellen möchte, so muss er auf die Idee blicken. Es scheint, als
ob die Idee die Fähigkeit einer inneren Optik, ein inneres Auge voraussetze.
Die Formulierung legt die Vermutung nahe, dass die Idee in einer Form von
Sichtbarkeit existiert, in einer Form, auf die der Mensch visuell zurückgreifen
kann.

Die Etymologie des Wortes 


bestätigt diese Vermutung.8

wurzelt im Verb 
,
was sehen bedeutet. selbst ist wiederum als
Vergangenheitsform aus dem Verb 
i,wissen, entstanden. Die
Vergangenheitsform des Aorists bedeutet laut Grammatik eine einmalige
Handlung, die sich aber auf die Zukunft auswirkt - man könnte daher sagen,
dass ein Ding zu sehen im griechischen Sprachgebrauch eigentlich bedeutet,
dass das Ding in der Vergangenheit einmal „gewusst“ , oder besser
verstanden, worden ist und von da an gesehen werden kann.
Die Begriffe sehen und wissen sind sprachlich eng miteinander verknüpft.
Der Idee liegt eine Form von Visualität zugrunde, Visualität wiederum scheint
ein grundlegendes Verständnis der Dinge zu beinhalten. Drückt sich diese
Verschränkung von Sehen und Wissen auch inhaltlich im Begriff der
platonischen Idee aus?

„Also sind durch eine nicht geringe Sache (  


)[=das Licht] der Sinn
des Gesichts ( 
) und das Vermögen des Gesehenwerdens
(  mit einem köstlicheren Bande als die anderen solchen
Verknüpfungen aneinander gebunden [... Der Gesichtsinn ist] das sonnenähnlichste,
denke ich, [...] unter allen Werkzeugen der Wahrnehmung.“9

Der Sehsinn, so Sokrates, sei durch seine Abhängigkeit vom Licht der
höchste aller Sinne. Die Idee Licht ist die Ursache, moderner ausgedrückt
die Bedingung der Möglichkeit jeder Visualität. Die Sonne wird wiederum von
Platon als sinnliche Analogie der Idee des Guten verstanden. 10 Das Licht, so
8
Die Informationen in diesem Abschnitt sind folgender Quelle entnommen:
Ars Graeca. Griechische Sprachlehre, hrsg. v. Leggewie, Otto, Paderborn: Schöningh, 1981.
9
Politeia 507e und 508b
10
Politeia 508b/c: „ich verstehe unter jenem [= das Licht / die Sonne] einen Sprössling des Guten

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lässt Sokrates verlauten, sei für die Sinne dasjenige, was die Idee des Guten
für das Denken sei: Diese ist die Bedingung der Möglichkeit des Denkens
und der Wahrheit. So wie die Sonne die Dinge zeige, wie sie wirklich sind, so
bestrahle die Idee des Guten die Gedanken und zeige deren Wahrheit.
Die Visualität ist somit für die Welt der Sinne dasjenige, was für die Idee des
Guten für das Denken ist. Die Idee des Guten, so viel steht fest, existiert
zwar nur in der Sphäre des Denkens. Doch zu einem Verständnis der Idee
des Guten, so legen die Ausführungen des Sokrates nahe, kommt man über
die Idee des Lichtes und damit über die Sichtbarkeit. Weshalb, so fragt man
sich, steht es um das Bild in der platonischen Philosophie dermassen
schlecht? Unterliegt das Bild nicht auch der Voraussetzung der Sichtbarkeit,
dem Besten und Schönsten der sinnlichen Welt? Was ist ein Bild im
platonischen Sinne?

2.2 Das Bild

Platon lässt Sokrates in der Politeia eine klare Defintion des Begriffes 
geben:
„Ich nenne aber Bilder [
 
] zuerst die Schatten [ ], dann die
Erscheinungen  ] im Wasser und die sich auf allen dichten, glatten und
glänzenden Flächen finden, und alles dergleichen [...].“11

(),
welchen das Gute nach der Ähnlichkeit mit sich gezeugt hat
( 
).“
11
Politeia, 510a

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Ein 
ist definiert als das natürliche Abbild eines Dinges.
Das „erste“ Bild, sozusagen der Prototyp des Bildes, so Sokrates, ist der
Schatten. Die Beziehung vom Schatten zu seinem „Urbild“ ist, so würde man
annehmen, in erster Linie durch Ähnlichkeit definiert – der Umriss des
Schattens ähnelt demjenigen des Dinges. Doch fast ebenso zentral wie die
Ähnlichkeit ist für die Definition des Bildes die Tatsache, wie das Bild
zustande kommt; dass das Abbild durch sein „Urbild“ generiert wird, wie
eben der Schatten. Das Bild wird nicht durch die Art und Weise definiert, wie
es etwas abbildet, sondern durch die Tatsache, dass es etwas abbildet. Die
Ähnlichkeit scheint sogar eine sekundäre Rolle zu spielen. Sonst könnte der
Schatten kaum als das „erste“ Bild bezeichnet werden, der seinem Urbild
offensichtlich weniger ähnlich ist als die übrigen Erscheinungen von Bild,
beispielsweise das Spiegelbild.

Das Abbild, so argumentiert Sokrates ein paar Dialogzeilen weiter, sei die
Darstellung eines realen Dinges. Da das reale Ding nun nur eine Ausführung
einer Idee und damit eine Reduktion der Wahrheit darstelle, stehe das Bild in
doppelter Entfernung von der Wahrheit. So weit so gut. Vor dem Hintergrund
eines Bildbegriffes, der jedem Bild ein konkretes, sichtbares Urbild zugrunde
legt, ist diese Argumentation nachvollziehbar. Für den modernen Menschen
ist das Verständnis vom Bild als Abbild der sichtbaren Erscheinungen
absurd. Bildern wird spätestens seit der malerischen Moderne
zugeschrieben, zur Darstellung von abstrakten, unsichtbaren Dingen fähig zu
sein. Liegt der Haken des platonischen Bildverständnisses einzig und allein
darin, dass Platon dem längst überholten Missverständnis aufsitzt, dass die
bildliche Darstellung mit der Abbildung von Sichtbarem gleichzusetzen sei?

„Gar weit von der Wahrheit ist die Nachbildnerei  und deshalb, wie es
scheint, macht sie auch alles, weil sie von jeglichem nur ein Weniges  )
trifft und das im Schattenbild “12
12
Politeia, 598b

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Das Problem, das Platon mit dem Bild hat, liegt weniger in der Entfernung
des Bildes von der Wahrheit – denn Sokrates gesteht der sogar Malerei zu,
dass in ihr zumindest ein Körnchen der Wahrheit steckt; dass sie einen
kleinen Teil der Idee eines Dinges treffen kann. Das Bild stellt also per se
keine Lüge dar. Vielmehr scheint es der Umgang mit Bildern zu sein, vor
allem deren Herstellung, die Platon problematisch erscheint.
Angenommen, man betrachte Bilder immer mit dem Bewusstsein, dass sie
nie völlig der Wahrheit entsprechen, wäre dann die Gefahr des Bildes nicht
gebannt?
Die etwas kryptische Formulierung, dass die Technik des Nachbildens alles
mache führt zum eigentlichen Problem, das Platon im Abbild sieht.
Als Prototypen des Nachbildners nennt Sokrates den Spiegel: Ein Spiegel
kann zwar alles, was sich vor ihm befindet, täuschend echt nachahmen.
Er macht in einem gewissen Sinne alles. Der Maler funktioniert wie ein
verstandesloser Spiegel. Er ist nicht darauf angewiesen, in Hinsicht der
Ideen zu arbeiten, um das perfekte Abbild eines Tisches zu machen.
Abbilden bedeutet nicht, den dargestellten Gegenstand zu verstehen.
Ein Maler kann das perfekte Abbild eines Tisches herstellen, müsste er aber
einen Tisch aus Holz zimmern, wäre er aufgeschmissen.
„Dieses also, wie sich zeigt, ist uns ziemlich klar geworden, dass der Nachbildner
 
 nicht der Rede Wertes versteht von dem, was er nachbildet, sondern die
Nachbildung  
 eben nur ein Spiel ist und kein Ernst.“13

Das Prinzip des Abbildens ist die sogenannte Mimesis, die Nachahmung
oder Imitation. Dieses Prinzip bezieht sich nicht nur auf das Abbild, sondern
auch auf die Schauspielerei oder die Literatur: Eine mimetische Darstellung
bedeutet grundsätzlich, dass der dargestellte Gegenstand oberflächlich
imitiert wird. Dazu ist, wie wir gesehen haben, kein Verständnis nötig,
weshalb mimetische Darstellungen nicht ernst zu nehmen seien. Doch
wieder stellt sich die Frage: Wenn man die Mimesis als Spiel bezeichnet,

13
Politeia, 602b

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wird eine mimetische Darstellung dann nicht automatisch entschärft?

Platons Verhältnis zur mimetischen Darstellung scheint ein zwiespältiges zu


sein, was sich vor allem in seinen Plänen zur Erziehung der Jugend im Staat
äussert. Einerseits zensuriert er eine Reihe von Mythen (die als literarische
Erzählungen unter die mimetische Darstellung fallen), weil sie der Erziehung
hinderlich seien. Andererseits spielen Erzählungen eine zentrale Rolle in der
Erziehung der Jugend, es ist sogar die Rede davon, dass sich die Jungen in
der erzählerischen Mimesis üben sollen.

2.3 Mimesis
2.3.1 Die mimetische Produktion

Das Prinzip der Mimesis ist, wie gesagt, nicht auf die Herstellung von Bildern
beschränkt, sondern kommt auch in der Literatur vor. Einerseits ahmt die
poetische Literatur selbst Charaktere und deren Handlungen nach,
andererseits wird Literatur in der griechischen Kultur vor allem über die
Lesung rezipiert, die auch mimetisch sein kann. Die Mimesis ist es, was das
Bild als solches definiert und gleichzeitig als Vermittler von wahren Inhalten
disqualifiziert.
Es scheint, als ob der Nachbildner an der Verurteilung der mimetischen
Darstellung die meiste Schuld trage. Denn würde er sich nicht wie ein

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Spiegel verhalten, sondern die Dinge, die er darstellen will, zu verstehen
suchen, wäre die mimetische Darstellung vielleicht gar nicht so verwerflich.
Die schlechten Eigenschaften des Bildes scheinen weniger von dem Prinzip
der Mimesis herzukommen, als vom Produzenten einer Darstellung.
In der Tat gibt es Hinweise darauf, dass eine mimetische Produktion nicht
unbedingt schlecht sein muss:
Sokrates unterscheidet zwei Erzählweisen14, die diegetische einerseits und
die mimetische andererseits. Die diegetische Erzählweise stellt eine
emotionslose Nacherzählung des Plots dar, in der mimetischen ahmt der
Erzähler die verschiedenen Charaktere und deren Emotionsäusserungen
nach. Man könnte meinen, dass sich Sokrates ganz gegen die mimetische
Erzählweise ausspricht. Aber nein, nicht nur soll die erzählerische Mimesis
erlaubt sein, die Jugendlichen sollen sich sogar darin üben, eine Erzählung
mimetisch wiederzugeben.
Doch es gibt Auflagen bezüglich der mimetischen Wiedergabe von
Erzählungen:
„der verständige Mann, wenn er in der Erzählung auf eine Handlung oder Rede
eines wackeren Mannes kommt, wird er sie wohl als selbst jener seiend vortragen
wollen und sich einer solchen Nachahmung nicht schämen.“15

Eine mimetische Darstellung sei nur dann erlaubt, wenn über sie ein „guter“
Charakter und damit gute Prinzipien dargestellt werden. Die Mimesis wird zu
einem an sich neutralen und damit bekanntlich ungefährlichen Prinzip, das
zu positiven oder negativ bewerteten Zwecken genutzt werden kann. Das
würde bedeuten, dass die Gefährlichkeit einer mimetischen Darstellung von
der Intention ihres Herstellers abhängt, namentlich ob dieser etwas Gutes
und Schönes darstellen will oder nicht.
Zwischen der Möglichkeit einer sinnvollen und einer gefährlichen
mimetischen Darstellung zu unterscheiden, bedeutet demnach, zwischen
moralisch „guten“ und „schlechten“ Künstlern zu differenzieren. 16 Diesen

14
Politeia 396a-c
15
Politeia 396c
16
Vgl.:„The distinction between the good and bad senses of imitation is [...] a distiction between two

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Ansatz zum Verständnis der Mimesis ohne Widerrede anzunehmen würde es
sehr leicht machen, Platons Gebrauch des sprachlichen Bildes zu
rechtfertigen: Er darf das, weil er zu den Guten gehört und daher nur gute
mimetische Darstellungen herstellt.
Doch so einfach ist es nicht. Wenn die mimetische Darstellung von
schlechten Charakteren verboten wird, kommt das einer staatlichen Zensur
gleich, die aus Angst vor deren Auswirkungen „schlechte“ Inhalte tilgt.
Doch die schlechten Charaktere dürfen ja weiterhin vorkommen, bloss
mimetisch sollen sie nicht dargestellt werden. Das bedeutet, dass das Prinzip
der mimetischen Darstellung die dargestellten Inhalte in irgendeiner Form
beeinflusst – dass Mimesis an sich doch eine Gefahr birgt.

2.3.2 Die mimetische Rezeption

Platon lässt Sokrates die Wirkungsweise der mimetischen Darstellung


folgendermassen verdeutlichen: Die Malerei und die natürliche Mimesis
beruhten auf optischen Täuschungen, die durch den Verstand entlarvt
werden könnten.17 Werde der Verstand eingeschaltet, werde die Täuschung
entlarvt und das Bild zerfiele in Farben und Formen. Die Mimesis baue also
darauf auf, den Verstand auszuschalten. Am Beispiel der Poesie verdeutlicht
Sokrates die Gefährlichkeit der mimetischen Darstellung. Die poetische
Mimesis gebe in erster Linie handelnde Menschen wieder,
„welche durch diese Handlungen glauben, sich Gutes oder Schlimmes erhandelt zu
haben, und in dem allem betrübt sind oder erfreut.“18

Die künstlichen Charaktere könnten sich so verhalten, wie es Gesetz und


Verstand befehlen, nämlich sich ihren Emotionen nicht hinzugeben, sondern
kinds of artists, the ignorant on the one hand and the enlightened on the other.“
Tate, J.:„Imitation in Plato’s Republic“, in: Classical Quaterly, 22, 1928, S. 16-23, S. 21.
17
Politeia 602c f.
18
Politeia 603 a

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auch unter widrigsten Umständen ruhig und ausgeglichen zu erscheinen.
Doch die Nachahmung eines solchen lobenswerten Charakters, so Sokrates,
entbehre der Möglichkeit diejenige erzählerische Spannung zu erzeugen,
nach der es die Hörer unweigerlich verlangen wird. An den Verstand der
Rezipienten zu appellieren, auf dass sie das Gute im Langweiligen erkennen,
sei besonders schwierig, als dieser ja ausgeschaltet werden müsse, um sich
auf die Fiktion überhaupt einlassen zu können.
Wieder gibt Sokrates dem Produzenten die Schuld:
„Offenbar also, dass der nachbildende Dichter nicht für dieses [=Gleichmut] in der
Seele geartet ist [...] sondern für die gereizte und wechselreiche Gemütsstimmung
eignet er sich, weil diese leicht ist nachzubilden. “19

Würde der Dichter der Verbreitung der Wahrheit zuliebe auf Ruhm und Ehre
verzichten, wäre das Problem aus der Welt geschafft. Aber kurz darauf räumt
Sokrates ein, dass er nie im Leben auf die Poesie verzichten wollte, da sie
doch einfach Lust bereite.20 So schlimm kann es um die mimetische
Darstellung also nicht stehen. Das einzige wirkliche Problem, das sie stellt,
ist die Tatsache, dass sie gegen den Verstand arbeitet – aber das bereitet
wie gesagt wiederum Lust, was ja auch nichts völlig Verwerfliches sein kann.
Doch eine Frage bleibt: Weshalb wird einem Prinzip, das auf der
Verkümmerung der Verstandestätigkeit beruht, in der Erziehung der Jugend,
dem Fundament eines Staates, ein so zentraler Platz eingeräumt?

Hinter den Ausführungen zur mimetischen Darstellung verbirgt sich eine


Rezeptionstheorie.
„There is [...] the assumption that if the young guardians make use of mimetic poetry
in their learning, their learning itself will be mimetic.“21

Die Kraft einer mimetischen Darstellung liegt in der stillschweigenden


Annahme, dass Lernen an sich über die Nachahmung funktioniere. Denn die
Nachahmung eines schlechten, unausgeglichenen Charakters kann nur dann

19
Politeia, 605a
20
Politeia, 607c
21
Janaway, S. 98

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einen schlechten Einfluss auf die Menschen haben, wenn er ihnen als Modell
dient, als Vorbild, das sie selbst wiederum nachahmen. Ein Mensch, der von
klein auf immer und immer wieder derselben Nachahmung ausgesetzt ist -
besonders, wenn er sie selber immer wieder ausführt - verinnerlicht diese mit
der Zeit und macht sich den nachgeahmten Charakter zueigen, so
Sokrates.22
Das Problem und gleichzeitig die Stärke der Mimesis liegt darin, dass sie
gegen den Verstand arbeitet und damit direkt auf die Menschen einwirkt.
Wenn der Verstand ausgeschaltet ist, wird es unmöglich, vernünftige
Selektionskriterien zu treffen und Informationen werden wie von einem
Schwamm aufgesogen und setzen sich im Inneren der Seele fest.
Das Prinzip der Mimesis ist dem Verstand diametral entgegengesetzt.
Doch genau das scheint Platon ausnutzen zu wollen: Anstatt nur an den
Verstand zu appellieren, kann die Erziehung mit mimetischen Darstellungen
unterstützt werden. Die Mimesis eröffnet die Möglichkeit, jegliche Ansichten
und Verhaltensmuster direkt ins Innere der Menschen zu verpflanzen.

Damit ist der Begriff der Mimesis auf eine Formel gebracht: Mimesis bedeutet
„Nachahmung“ oder „Imitation“, die einfache Wiedergabe eines Dinges. Auf
der Seite des Produzenten ist eine Differenzierung zwischen „guter“ und
„schlechter“ Mimesis denkbar, es kommt dabei auf die Wahl des
Nachgeahmten an.
Auf der Seite des Rezipienten wirkt Mimesis zwar entweder gut oder
schlecht, die Wirkungsweise bleibt jedoch stets dieselbe: Da die Imitation auf
einer Täuschung beruht, muss, um eine mimetische Darstellung richtig
wahrnehmen zu können, der Verstand des Rezipienten ausgeschaltet
werden. Das macht die Mimesis einerseits zu einer Gefahr, andererseits
bietet sie die Möglichkeit zu einer Erziehung, die nicht ausschliesslich über
die Verstandesebene funktioniert. Die mimetische Darstellung bedeutet im
22
„Oder hast du nicht bemerkt, dass die Nachahmungen, wenn man es von Jugend an stark damit
treibt, in Gewöhnungen und in Natur übergehen [...]?“
Politeia, 595d

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Prinzip eine Gehirnwäsche – die für gute wie für schlechte Zwecke
ausgenutzt werden kann. Die „gute“ Mimesis bezieht sich in den
Ausführungen des Sokrates immer auf die poetische Mimesis, in der
Charaktere und Handlungen wiedergegeben werden. Ist das Bild weniger
gefährlich als eine mimetisch erzählte Geschichte, weil es keine ethischen
und andere philosophische Grundsätze darstellen kann, wie einige Autoren
annehmen?23 Wie lässt sich dann erklären, dass Platon an zentralen Stellen
seiner Ausführungen auf Bilder, seien sie auch sprachlich, zurückgreift?
Macht er mit der Hilfe des Bildes nicht gerade philosophische Ideen evident?

3 Das sprachliche Bild


3.1 Produktion des sprachlichen Bildes

In den platonischen Abhandlungen über die Darstellung und die Mimesis fällt
nie der Begriff des .
Wann immer von Bildern die Rede ist, wird vom

gesprochen, das von Schleiermacher mit „Schattenbild“ übersetzt
wird. Zufall? Oder könnte es sein, dass das Wort 
, wie es von Platon
benutzt wird, eine Sonderform von Bild darstellt, die nicht auf derselben
niederen Stufe rangiert, wie die „Schattenbilder“?

„Du wirfst, sprach ich, eine Frage auf, welche einer Antwort durch ein Bild
(  
) bedarf. – Du aber, sagte er, denke ich, pflegst ja nicht
durch Bilder zu reden (  
). – Sei’s drum! Antwortete ich. Du
spottest also noch, nachdem du mich in einen so schwer auszuführenden Gegenstand
hineingeworfen? Höre denn mein Bild, damit du besser siehst, wie mühsam ich es
bilde. Denn so schwierig ist das, was gerade den Vortrefflichsten mit dem Staate
begegnet, dass es auch nirgends etwas ganz Ähnliches gibt, sondern von vielerlei her
muss man zusammenbringen, womit man sie vergleichen und was man zur
Verteidigung für sie sagen will, wie die Maler Bockhirsche und andere dergleichen
Mischlinge zeichnen.“24

23
Vgl. z.B.: „[Plato] says neither that painting is dangerous not that he will exclude it from the
model state. And the reason is plain: in Plato’s experience of it, painting neither masquerades falsely
as knowledge, nor corrupts our moral judgements by the appeal it makes to emotions. Poetry does
both.“
Janaway, S. 132.
24
Politeia 487e /488a

© Catharina Graf, 2003 16


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Als Sokrates die Rolle des Philosophen, der kurz vorher für unbrauchbar
erklärt wurde, rechtfertigen soll, muss er auf ein sprachliches Bild
zurückgreifen. Sein Hörer macht sich deswegen über ihn lustig; er scheint
von der Argumentationskraft eines Bildes nicht besonders überzeugt zu sein.
Das bringt Sokrates dazu, den Einsatz des sprachlichen Bildes zu
rechtfertigen. Denn der Sachverhalt sei dermassen komplex, dass die
dialektische Sprache daran scheitern muss. Überdies sei dieser Sachverhalt
so einzigartig, dass eine einfache Analogie, wie er sie mit dem Beispiel des
Malers vorexerziert, unmöglich herzustellen sei. Sokrates sieht sich genötigt,
die Rolle des Philosophen in einem Bild zu begründen, weil diese Vorstellung
einzigartig ist und sich daher der herkömmlichen Sprache entzieht.
Ein sprachliches Bild sei mit dem gemalten Bild eines fiktiven Tieres zu
vergleichen. Der Maler eines solchen Tieres kann unmöglich auf eine
existierende Erscheinung dieses Tieres zurückgreifen, weil es eine solche
Erscheinung in der Natur nicht gibt. Um dieses Problem zu lösen nimmt er
einzelne Teile verschiedener, in Fleisch und Blut existierender Tiere und
setzt sie so zusammen, dass ein neues Lebewesen entsteht, das von nun an
über dieses Bild existiert. Dieses Tier gibt es in der Natur nirgends, doch
werden einzelne bekannte Teile anatomisch glaubwürdig zusammengesetzt.
Das gemalte Tier ist theoretisch – im Bild – zur Existenz fähig.
„Gleichnis heisst [...:] Das von den Menschen Ausgesagte ist ebenso empirisch und
epistemisch unmöglich wie hinsichtlich seiner anthropologischen Deutbarkeit
möglich. [...] Metaphern und Gleichnisse [stellen] epistemisch unmögliche
Verbindungen von Verschiedenem dar, die zugleich als möglich beurteilt werden.“25

Zwar gibt es nirgends ein Schiff, das genau so beschaffen ist, auf dem sich
genau dieselben Ereignisse abspielen, wie dasjenige, das Sokrates in
seinem sprachlichen Bild zur Verteidigung des Philosophen beschreibt.
Es ist auch ziemlich unwahrscheinlich, dass es dieses Schiff je geben wird.
Trotzdem ist es denkbar – und an dieser Stelle sogar sehr sinnvoll, es zu

25
Taureck, Bernhard H. F.: Metaphern und Gleichnisse in der Philosophie, Frankfurt a. M.:
Suhrkamp Verlag 2004, S. 340.

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denken. Keine der in einem sprachlichen Bild beschriebenen Vorgänge sind
unmöglich. Erst die Vereinigung all dieser Dinge an einem Ort, dem fiktiven
Schiff, macht die beschriebenen Vorgänge zu einem Vorgang, der von
verständigen Menschen als unmöglich bezeichnet wird. Es ist nicht der
beschriebene Inhalt an sich, der ein sprachliches Bild auszeichnet, sondern
die Vereinigung von möglichen Handlungen zu einem neuen, nur in
Gedanken möglichen Vorgang. Über ein sprachliches Bild dargestellte
Sachverhalte sind, aber sie existieren ausschliesslich in der Sphäre des
Denkens.

3.2 Rezeption des sprachlichen Bildes

Ein Bild kann einen Sachverhalt nur klären, wenn der Rückbezug zu dem
stattfindet, was das Bild eigentlich, jenseits seiner Oberfläche, darstellen soll.
Diesen Rückbezug überlässt Sokrates dem Hörer, er weist lediglich darauf
hin, dass dieser Rückbezug stattfinden soll.
„Ich glaube auch nicht, sprach ich, dass du das Bild erst wirst vorerklärt sehen
wollen, wie es wirklich dem Verhalten der Staaten gegen die wahren Philosophen
gleicht, sondern dass du schon verstehst, was ich meine. – Sehr wohl, sagte er
[=Adeimantos].“ 26

Der Hörer eines sprachlichen Bildes, in diesem Falle der Gesprächspartner


des Sokrates, Adeimantos, ist nicht darauf angewiesen, dass ihm Sokrates
die eigentliche Bedeutung seines Bildes erklärt. Die eigentliche Bedeutung
eines sprachlichen Bildes zu erklären wäre tautologisch, weil der Rückbezug
vom Hörer des Bildes ohnehin ausgeführt worden ist, sobald er es versteht.
Das Verständnis dessen, was über das sprachliche Bild eigentlich ausgesagt
werden soll, findet nicht über Worte statt, sondern über einen Verstandesakt.
Denn die eigentliche Bedeutung des sprachlichen Bildes ist nur im Akt der
Übertragung denkbar. Das sprachliche Bild erhält seine Bedeutung erst im
Vollzug eines Gedankens durch den Hörer.

26
Politeia 489a

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„[Bei der bildlichen Rede hatte es sich] sich in Wahrheit gar nicht um eine
Unterbrechung des dialektischen Gesprächs [gehandelt], sondern nur um
seine Verlagerung auf eine andere Ebene.“ 27
Das sprachliche Bild ist keine rhetorische Formel, die ausschliesslich dazu
dient, den Hörer in den Bann zu ziehen. Das sprachliche Bild bei Platon ist
ein Argument, das auf einer anderen Ebene funktioniert, als das wörtliche
Argument. Sokrates gibt Adeimantos sogar die Anweisung, den Menschen,
die die Rolle des Philosophen in Frage stellten, mit dem eben gehörten Bild
zu antworten.28 Das Bild scheint hier nicht nur an die Stelle eines
unaussprechlichen Inhaltes gestellt zu werden, sondern auch in gewissen
Fällen bessere Überzeugungsarbeit zu leisten, als das dialektische
Gespräch. Denn immer dann, wenn die zu beschreibende Realität zu
komplex scheint, als dass sie einfach so verstanden werden kann, kommt
das sprachliche Bild zum Zuge. Um die Komplexität zu brechen werden
schon bekannte und daher leicht imaginierbare Bestandteile genommen, und
zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt.
Doch, könnte man einwerfen, würde es nicht reichen, eine Geschichte, einen
Mythos zu erzählen, um denselben Effekt zu erzielen? Weshalb ist es
ausgerechnet das sprachliche Bild, das die komplexesten Inhalte vermitteln
soll?
Das prominenteste aller sprachlichen Bilder, das Höhlengleichnis, gibt eine
entscheidende Antwort auf diese Frage. Es beginnt mit der Aufforderung des
Sokrates an seinen Partner, dieser solle sehen:
„Nächstdem, sprach ich, vergleiche dir unsere Natur in Bezug auf Bildung und
Unbildung folgendem Zustande. Sieh ( )nämlich Menschen wie in einer
unterirdischen Höhle [...]- Ich sehe 
[...Glaukon:] Ein gar wunderliches Bild ( ) [...] stellst
du dar, und wunderliche Gefangene.“ 29

Im Unterschied zu einer fiktiven Erzählung stellt das sprachliche Bild


27
Mesch, Walter: „Die Bildlichkeit der platonischen Kosmologie.“, in: Janka, Markus (Hrsg.): Platon
als Mythologe, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 2002, S. 196.
28
Politeia 489a: „Zuerst also zeige dem, welcher sich wundert, dass die Philosophen in den Staaten
nicht geachtet werden, dieses Bild und versuche ihn zu überzeugen, dass es viel wunderbarer wäre,
wenn sie geachtet würden.“
29
Politeia, 514a, 515a und 517b

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offensichtlich eine Form von Visualität dar, es verlangt die Aktivierung eines
inneren Sehsinnes. Nachdem Sokrates Glaukon dazu aufgefordert hat, das
Beschriebene zu visualisieren, zieht dieser automatisch den Schluss, dass
es sich bei dem beschriebenen nicht um eine Erzählung, sondern um ein
Bild, ein 
, handle. Die Sichtbarkeit geht also Hand in Hand mit dem
Begriff des Bildes.
Es ist aber nicht wie in der Malerei die Produktion eines sprachlichen Bildes,
die sich auf die Sichtbarkeit stützt. Ähnlich einer Erzählung werden im
sprachlichen Bild Menschen und Handlungen in bestimmte Situationen
beschrieben. Es stellt also nicht ausschliesslich Sichtbares dar. Um ein
sprachliches Bild jedoch richtig handhaben zu können, muss man sich das
Beschriebene wörtlich vor die Augen stellen - der Rezipient muss so tun, als
ob er das Beschriebene mit eigenen Augen wahrnehmen würde.
Es ist also der Rezipient, der so tun muss, als ob, der etwas imitieren muss.
Der Hörer eines sprachlichen Bildes wird somit zum eigentlichen
Produzenten der mimetischen Darstellung. Das sprachliche Bild macht den
ursprünglichen Rezipienten in zweifacher Hinsicht zu seinem Produzenten:
Erstens muss dieser ausgehend von Worten sehen, zweitens muss er die
eigentliche Bedeutung eines sprachlichen Bildes selber generieren.

Im sprachlichen Bild werden die Verstandestätigkeit mit der Rezeption und


Produktion von Mimesis und der Aktivierung eines inneren Sehsinnes
miteinander vermengt, dass daraus etwas entsteht, was ausschliesslich in
einer gedanklichen Form erlebbar ist. All diese Eigenschaften kommen, wie
im ersten Teil beschrieben wurde, auch der Idee zu.
Das sprachliche Bild stellt eine Sonderform von Bild dar, weil es nicht als
schlichte Abbildung zu verstehen ist. Das sprachliche Bild, so scheint es, ist
die Darstellung der Idee.

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4 Schluss: Vom Bild zur Idee?

„images are quite clearly distinguished from truth or reality and are offered merely
as the next best thing when truth or reality is, for whatever reason, impossible to set
out or explore.“30

Das Bild sei, so die These, das nächstbeste, um einen schwer in Worte zu
fassenden Gegenstand darzustellen. Überhaupt sei, so andere Autoren, sei
das Hauptargument für die Benutzung eines sprachlichen Bildes die
Tatsache, dass es eben Dinge gebe, die anders nicht fassbar seien als im
Bild. Doch damit bleibt die Frage noch nicht geklärt, was das Bild denn
tatsächlich gegenüber einer Erklärung, die nach dialektischen Prinzipien
funktioniert, für Vorteile hat.

Das sprachliche Bild stellt in jeder Hinsicht eine Analogie zu den Ideen dar.
Die Ideen, so haben wir im ersten Teil gesehen, zeichnen sich dadurch aus,
dass sie in der Sphäre der Gedanken existieren, aber gleichzeitig in einer
Form von innerer Visualisierung abrufbar sind. Ebenso das sprachliche Bild
bei Platon: Es existiert nur in der Sphäre der Gedanken, einerseits weil
essprachlich ist, andererseits weil es in der wahrnehmbaren Welt nichts gibt,
was dem gleicht, was es darstellen soll. Gleichzeitig funktioniert das
sprachliche Bild über die Aktivierung eines inneren Sehsinnes. Der Befehl
„Sieh!“ steht implizit am Anfang jedes sprachlichen Bildes Platons.
Die Verlegung des höchsten sinnlichen Prinzips ins Innere des Menschen, in
die Welt der Gedanken, resultiert in einer Form von Wahrnehmung, die
derjenigen der Ideen sehr nahe kommt. Die Kombination von Sichtbarkeit
und Denken scheint das Tor zu den Ideen weiter zu öffnen, als es dem
abstrakten Begriff möglich ist.
Das sprachliche Bild funktioniert als mimetische Darstellung nicht auf der
Verstandesebene.

30
Pender, Elisabeth E.: Images of Persons Unseen. Plato’s Metaphor for the Gods ans the Soul, Sankt
Augustin: Academia, 2000, S. 44.

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Das würde eigentlich gegen die These sprechen, dass das sprachliche Bild,
wie es von Platon benutzt wird, zu Verständnis in irgendeiner Form führten
kann. Der mimetischen Darstellung kommt zwar die Fähigkeit zu, Inhalte
ohne Weiteres an die Menschen weiterzugeben, doch gerade ohne dass die
Menschen dabei zu einer Verstandesleistung aufgefordert werden. Das
Lernen durch mimetische Darstellungen funktioniert auf einer Ebene, die
man heute als „unterbewusst“ bezeichnen könnte. Mimetisch dargestellte
Inhalte werden in einem automatischen Prozess verinnerlicht.
Das sprachliche Bild Platons jedoch macht aus seinem Betrachter
Rezipienten und Produzenten einer Darstellung zugleich. Der Hörer eines
sprachlichen Bildes generiert vor seinem inneren Auge eine Szene, die er
gleichzeitig als Augenzeuge wahrnimmt. Damit ist nicht nur die tiefgreifende
Form von „Lernen“ garantiert, die durch das mimetische Prinzip zustande
kommt, sondern Platon – bzw. Sokrates – ist von dem Vorwurf, ein
unverständiger Nachbildner zu sein, enthoben. Denn der Erzähler des
sprachlichen Bildes gibt nur den Anstoss dazu, aus einem Inhalt eine
mimetische Darstellung zu machen. Ausgeführt wird die Mimesis vom Hörer
selbst, er wird Maler und Betrachter zugleich.
Und nicht nur das. Das sprachliche Bild stellt immer etwas anderes dar, als
die Oberfläche zeigt. Dieses Andere kann nur über eine Leistung des
Verstandes begriffen werden, über einen Denkakt – wozu bekanntlich der
Verstand gebraucht wird. Im Unterschied zu herkömmlichen Bildern löst sich
das dargestellte Bild zwar in eine Oberfläche aus Farben und Formen,
besser: aus Subjekten und Objekten auf, sobald der Verstand gebraucht
wird. Doch diese Abstraktion ist nötig, um von einem sprachlichen Bild
überhaupt zu einem Verständnis dessen zu gelangen, was es eigentlich
darstellen soll. Das sprachliche Bild im Sinne Platons vereint das mimetische
Prinzip mit dem Gebrauch des Verstandes.
„Weil die Ideen nicht in der Weise sinnlicher Bilder zur Erscheinung kommen,
bedarf es für die Umkehr zu ihnen auch des Mittels der sie veranschaulichenden
Bilder.“31
31
Vetter, Helmuth: „Das Fass der Danaiden. Anmerkungen zur Funktion des Mythos am Beispiel von

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Es ist tatsächlich so: Gerade weil die Ideen in keiner sinnlich erfassbaren
Form erscheinen können, muss auf Erscheinungen zurückgegriffen werden,
um deutlich zu machen, wie Ideen beschaffen sind. Die Idee des Guten
beispielsweise wird erst über ihre Analogie zur Idee Licht - die zwar Idee ist,
aber doch über die Erscheinung der Sonne sinnlich erfahrbar - wirklich
einsehbar. Alle Eigenschaften, die der Idee zukommen, sind im sprachlichen
Bild, wie es Platon benutzt, vorhanden. Das sprachliche Bild funktioniert wie
eine Idee, man könnte es sogar selbst wiederum als das 
, als
natürliches Abbild einer Idee verstehen. Das sprachliche Bild ist eine
Imitation der Idee.
Der Nutzen, den Platon davon zieht, ist in didaktischer Hinsicht beträchtlich.
Wir haben gesehen, dass Platon in der Imitation eine tiefgreifende Lehrform
sieht. Die Menschen immer wieder einer Imitation auszusetzen -
insbesondere wenn man sie dazu bringt, die Imitation selbst auszuführen -
führt dazu, dass die Imitation als reale Eigenschaft verinnerlicht wird. Wenn
Platon nun seine Hörer dazu bringt, immer und immer wieder etwas zu
denken, das in seiner Beschaffenheit der Idee gleicht, werden sie diese
Denkfigur verinnerlichen und automatisch ausführen, um komplexen
Sachverhalten näher zu kommen.
Mit dem sprachlichen Bild bringt Platon seine Schüler klammheimlich dazu,
dass sie ihre Gedankengänge in Hinsicht auf die Idee der Idee, die Idee des
Guten ausführen. Und damit ist fast schon garantiert, dass die Wahrheit ihren
Weg ins Volk findet.

Platons Dialog Gorgias“, in: Heinrich, Richard (Hrsg.): Bilder der Philosophie, Wien/München:
Oldenbourg Verlag, 1991, S. 173.

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5 Bibliographie

Primärtext
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Das griechische Original ist folgender Quelle entnommen:


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Chermiss, Harold: „On Plato’s Republic X, 597b“, in: American Jounal of


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Cohn, Dorrit: „The Poetics of Plato’s Republic: A Modern Perspective“, in:


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Cüsgen, Dirk: Die Rationalität des Mythischen, Berlin: De Gruyter, 2002.

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Heinrich, Richard (Hrsg.): Bilder der Philosophie, Wien/München:


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Janaway, Christopher: Images of Excellence: Plato’s Critique of the Arts,


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Kardaun, Maria: Der Mimesisbegriff in der griechischen Antike, Amsterdam


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