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41
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Seite 2365 – 2428
13. Oktober 2017
70. Jahrgang

www.der­betrieb.de

Herausgeber Betriebswirtschaft
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Ballwieser  Ulrich Bantleon/Jens Siebert
Prof. Dr. Johanna Hey  Zweiterwerb von Inhaberschuldverschreibungen über pari durch
Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff  Kreditinstitute 2365
Friedrich Merz
Steuerrecht
Cornelius Link
Die Lizenzschranke – Legitime Reaktion des Gesetzgebers auf
schädliche Präferenzregime 2372
Magazin
Martin Wulf
Gastkommentar Steuerstrafrechtliche Tatentdeckung durch ausländische
­Korruptionsermittlungen? 2377
Lars Christian Möller
Gesetzlicher Mindestlohn: Drei Keine nachträglichen Anschaffungskosten gem. § 17 EStG nach
Jahre und schon ziemlich weise Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts durch das MoMiG (F. Werth) 2383

Standpunkte Haftung der Organgesellschaft bei mehrstufiger Organschaft (BFH) 2392


Stefan Greil/Dirk Schilling
Christian M. Scholz/Hanjo Köhler Unternehmensidentität bei einer gewerblich geprägten
Personen­gesellschaft (BFH) 2393
Grenzüberschreitende
Konzernfinanzierungen und Wirtschaftsrecht
angemessene Zinssätze Detlev Fischer
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung des steuerlichen
Beraters in den Jahren 2015-2017 (Teil 1) 2401

Squeeze-Out: Zur Bestimmung der angemessenen Barabfindung unter


Berücksichtigung des Börsenkurses (F. Ruthardt) 2405

Befreiung des Kommanditisten von Außenhaftung durch Befriedigung


von Gläubigerforderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH) 2407

Arbeitsrecht
Volker Matthießen
Die Kontrolle der Ermessensentscheidung nach § 16 BetrAVG im Konzern 2417

Existenz eines Anspruchs auf Teilurlaubstage bleibt ungeklärt (T. Isenhardt) 2423

Unbeabsichtigter Rücktritt vom Wettbewerbsverbot (S. Vielmeier) 2424

Bestätigung der Grundsätze zur Abordnungsvertretung (P. Winter) 2425

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EDITORIAL
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das Gute in NRW.

Enger Rahmen für


Selbstanzeigen
Liebe Leserinnen und Leser,
mit seiner im Sommer dieses Jahres veröffentlichten „Panzerhaubitzen“-Entscheidung
hat der BGH in einem Steuerstrafverfahren geurteilt, dass auch Angehörige auslän-
discher Behörden „Tat-Entdecker“ sein können. Damit wurde der Rahmen der Mög-
lichkeiten einer strafbefreienden Selbstanzeige enger gezogen. Auch wenn der Fall ein
besonderer war, ist die Entscheidung für die Beratung von erheblicher Bedeutung. Das
Urteil enthält eine Fülle von Aspekten zur Steuerhinterziehung und strafbefreienden
Selbstanzeige, wie Wulf erörtert. Insbesondere die Ausführungen zum Vorliegen einer
Steuerstraftat wegen nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben sind für die Praxis von
großer Wichtigkeit.
Für Anteilseigner von Kapitalgesellschaften und deren Berater von großer
Bedeutung ist auch der 27.09.2017: Denn an diesem Tag hat der BFH seine Ent-
scheidung veröffentlicht, wonach eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen
nicht mehr als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen sind. In
ihrem Kompaktbeitrag stellt Werth die maßgeblichen Entscheidungsgründe
sowie die vom BFH gewährte Vertrauensschutzregelung vor.
Neben vielen anderen Vorschriften müssen international tätige Unternehmen
ab 2018 zusätzlich die Regeln des neu geschaffenen § 4j EStG zur Lizenzschranke
beachten. Möglicherweise hat der deutsche Gesetzgeber hiermit einen weiteren
„Exportschlager“ geschaffen – die Zinsschranke gilt mittlerweile als ein solcher.
Der Beitrag von Link behandelt den Hintergrund zur Einführung der Vorschrift und
deren Regelungsinhalt.
Welche Haftungsfolgen eine Nichtbeachtung des aktuellen Rechtsrahmens für
den steuerlichen Berater nach sich ziehen kann, zeigt Fischer in seinem Beitrag zur Sabine Baumann-Duvenbeck
höchstrichterlichen Rechtsprechung in den vergangenen drei Jahren. und ihr Kraftpaket – unter-
Mit diesen und den weiteren Themen dieser Ausgabe wünsche ich Ihnen eine
informative Lektüre. stützt durch die Fördermittel
Ihr der NRW.BANK.
Die Stärke mittelständischer Unternehmen
ist ein wichtiger Motor der Wirtschaft
in unserer Region. Eine Eigenschaft, die
es wert ist, gefördert zu werden. Z. B.
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Auf der Fachtagung von DER BETRIEB am 07.12.2017 in Düsseldorf werden die
wichtigen Änderungen durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungs-
anweisungen für die Praxis behandelt. DER BETRIEB-Abonnenten sparen 200 €.
Informationen und Anmeldung: www.fachmedien.de/koerperschaftsteuer

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


Inhalt KOMPAKT

Gewinnermittlung
Keine nachträglichen Anschaffungskosten gem. § 17 EStG
nach Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts durch das
MAGAZIN
MAGAZIN MoMiG
RiBFH Prof. Dr. Franceska Werth, München
Gastkommentar
Gastkommentar M4
Mxx DB1251869 S. 2383
xxxxxxx
Lars Christian Möller

Aktuelle
Aktuelle Rechtsprechung
Rechtsprechung M6
Mxx VERWALTUNGSANWEISUNGEN

Meldungen
Anhängige Verfahren M8
Mxx Gewinnermittlung/Körperschaftsteuer
Behandlung von nach ausländischem Recht gegründeten
Kurzbeiträge
Kurzbeiträge M10
Mxx grundstücksverwaltenden Körperschaften und von ver­
mögensverwaltenden gewerblich geprägten PersGes.
Interview
Meldungen M17
Mxx mit ausländischen Gesellschaftern ab dem Vz. 2009
xxxxxxxxxxx OFD NRW, Verfügung vom 05.09.2017
Handelsblatt Nachrichten M24 DB1250201 S. 2384
Standpunkte Mxx
xxxxx
Neue Datenbankinhalte M25 Einkommensteuer
xxxxx Abzugsverbot § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG
Standpunkte M26 OFD NRW, Kurzinformation ESt vom 06.09.2017
Stefan Greil/Dirk Schilling DB1251098 S. 2388
Christian M. Scholz/Hanjo Köhler
Internationales Steuerrecht
Handelsblatt Gastkommentar M30 Anwendung des § 1 AStG auf Fälle von Teilwert­
abschreibungen und anderen Wertminderungen auf
Worte der Woche M32 Darlehen an verbundene ausländische Unternehmen
OFD NRW, Verfügung vom 01.08.2017
DB1250897 S. 2388

BETRIEBSWIRTSCHAFT
ENTSCHEIDUNGEN
AUFSATZ
Gewinnermittlung
Handelsbilanzrecht/Rechnungslegung Verklammerung der Teilakte einer Fondsgesellschaft
Zweiterwerb von Inhaberschuldverschreibungen über zu einer einheitlichen Tätigkeit – Zuordnung des Ver­
pari durch Kreditinstitute kaufs des Anlagevermögens bei Betriebseinstellung
WP/StB Prof. Ulrich Bantleon, Offenburg / StB Prof. Dr. Jens BFH, Urteil vom 08.06.2017 – IV R 6/14
­Siebert, Villingen-Schwenningen DB1250008 S. 2389
DB1245600 (Kurzfassung vgl. S. M10) S. 2365
Körperschaftsteuer
Haftung der Organgesellschaft bei mehrstufiger Organ­
STEUERRECHT schaft
BFH, Urteil vom 31.05.2017 – I R 54/15
AUFSATZ DB1252256 S. 2392

Internationales Steuerrecht Gewerbesteuer


Die Lizenzschranke – Legitime Reaktion des Unternehmensidentität bei einer gewerblich geprägten
Gesetzgebers auf schädliche Präferenzregime PersGes.
Regierungsdirektor Cornelius Link, LL.M., Berlin BFH, Urteil vom 04.05.2017 – IV R 2/14
DB1251812 (Kurzfassung vgl. S. M12) S. 2372 DB1250777 S. 2393

Steuerstrafrecht Umsatzsteuer
Steuerstrafrechtliche Tatentdeckung durch Zur Steuerbefreiung der Verwaltung von Unterstüt­
ausländische Korruptionsermittlungen? zungskassen
RA Dr. Martin Wulf, Berlin BFH, Urteil vom 26.07.2017 – XI R 22/15
DB1247839 (Kurzfassung vgl. S. M13) S. 2377 DB1250015 S. 2395

M2 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


Umsatzsteuer/Abgabenordnung ARBEITSRECHT
Verein zur Förderung der Open-Source-Software als
Zweckbetrieb AUFSATZ
BFH, Urteil vom 21.06.2017 – V R 34/16
DB1252257 S. 2398 Betriebliche Altersversorgung
Die Kontrolle der Ermessensentscheidung
nach § 16 BetrAVG im Konzern
WIRTSCHAFTSRECHT RiArbG a.D. Dr. Volker Matthießen, Offenbach/M.
DB1249260 (Kurzfassung vgl. S. M15) S. 2417
AUFSATZ

Steuerberaterrecht KOMPAKT
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung
des steuerlichen Beraters in den Jahren 2015-2017 Urlaubsrecht
(Teil 1) Existenz eines Anspruchs auf Teilurlaubstage
Richter am BGH a. D. Dr. Detlev Fischer, Karlsruhe bleibt höchstrichterlich ungeklärt
DB1251534 (Kurzfassung vgl. S. M14) S. 2401 RA/FAArbR Dr. Tilman Isenhardt, Köln
DB1249839 S. 2423

KOMPAKT Wettbewerbsverbot
Unbeabsichtigter Rücktritt vom nachvertraglichen
Unternehmensbewertung Wettbewerbsverbot
Squeeze-Out: Zur Bestimmung der angemessenen RA/FAArbR Dr. Stephan Vielmeier, Hamburg
Barabfindung unter Berücksichtigung des Börsen­ DB1237546 S. 2424
kurses
Dr. Frederik Ruthardt, Stuttgart Befristungsrecht
DB1251993 S. 2405 Bestätigung der Grundsätze zur
Abordnungsvertretung
RA Dr. Philipp Winter, LL.B., Berlin
ENTSCHEIDUNGEN DB1249270 S. 2425

Personengesellschaftsrecht Gleichbehandlung/Öffentlicher Dienst


Befreiung des Kommanditisten von seiner Außenhaf­ Auswirkungen eines nicht ordnungsgemäßen
tung durch Befriedigung von Gläubigerforderungen Auswahlverfahrens auf die Stellenbesetzung
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens RAin/FAinArbR Kathrin Vossen, Köln
BGH, Urteil vom 25.07.2017 – II ZR 122/16 DB1244338 S. 2426
DB1252265 S. 2407
Betriebsverfassungsrecht
GmbH-Recht Begrenzte Mitbestimmung des Betriebsrats
Anforderungen an Kapitalerhöhung beim Übergang beim Gesundheitsschutz
der Unternehmergesellschaft zur Voll-GmbH RAin/FAinArbR Christina Kamppeter, LL.M., München
OLG Celle, Beschluss vom 17.07.2017 – 9 W 70/17 DB1249134 S. 2427
DB1249442 S. 2409

ENTSCHEIDUNGEN
Insolvenzrecht
Vorsatzanfechtung: Zur mitwirkenden Rechtshand­ Verfahrensrecht
lung des Schuldners bei Vollstreckung eines Gläubi­ Zeugnisverweigerungsrecht bei unmittelbarer
gers aus einem Anerkenntnisurteil ­K ausalität zwischen Aussage und vermögens­
BGH, Urteil vom 14.09.2017 – IX ZR 108/16 rechtlichem Schaden
DB1252267 S. 2411 BAG, Beschluss vom 02.08.2017 – 9 AZB 39/17
DB1250848 S. 2428

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M3


GASTKOMMENTAR

»DB1251383

Gesetzlicher Mindestlohn: Drei


Jahre und schon ziemlich weise
Entwicklungen im Bereich des Mindestlohngesetzes (MiLoG)

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns vor fast drei Jahren bedeutete für das
Arbeitsrecht eine Zäsur. Das als Grundlage dienende Mindestlohngesetz (MiLoG)
­geriet, zumal mit Blick auf den mit ihm verbundenen Eingriff in die Privatautonomie und
viele absehbare Fragen, erstaunlich kurz. Was haben Rechtsprechung und Praxis bis
heute daraus gemacht?

„Mindestlöhne im Arbeitsrecht sind doch nicht neu.“ Dieser


Einwand gegenüber dem gesetzlichen Mindestlohn ist nur
bedingt richtig. In der Tat gab es auch schon vor Inkrafttre-
ten des Mindestlohngesetzes (MiLoG) Mindestlöhne, nur
handelte es sich dabei eben nicht um gesetzliche, sondern
letztlich um tarifvertraglich geregelte Entgeltansprüche, z.B.
im Bereich des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG). Ein
originärer gesetzlicher Anspruch ist etwas völlig anderes, er
ist „neu“. Zumal dann, wenn nicht nur eine bestimmte Ent-
gelthöhe vorgeschrieben, sondern der Anspruch auf den Min-
destlohn mit Dokumentationspflichten gem. § 17 MiLoG und
erheblichen Bußgeldandrohungen gem. § 21 MiLoG flankiert
wird. Weiter verschärft wird dieser Ansatz durch die fehlende
Herausnahme von solchen Arbeitnehmern aus dem Anwen-
dungsbereich des Gesetzes, die oberhalb des Mindestlohns
verdienen. Im Ergebnis stellen sich deswegen grundsätzlich in
jedem Arbeitsverhältnis alle Anwendungs- und Auslegungs-
probleme des Mindestlohngesetzes.

Vom Inkrafttreten bis zur ersten Erhöhung


Mit diesem „Setting“ trat das MiLoG am 01.01.2015 in Kraft.
Denkbare Folge war, dass sich Vergütungssysteme plötzlich
als nicht „mindestlohnfest“ erweisen würden oder die Beschäf-
RA/FAArbR Lars Christian Möller tigung von Praktikanten fürderhin mit erheblichen (Bußgeld-)
KLIEMT.Arbeitsrecht, Berlin Risiken verbunden sein könnte. Bürokratischer Mehraufwand
Kontakt: autor@der-betrieb.de
ist überdies in den Dokumentationspflichten gem. § 17 Abs. 1
und 2 MiLoG hinsichtlich der Arbeitszeit aller (sic) Arbeit-
nehmer der in § 2a Abs. 1 SchwarzArbG genannten Branchen
und von geringfügig Beschäftigten gem. § 8 SGB IV angelegt.
Durch die Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung
(MiLoDokV) und die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung
(MiLoAufzV) wurden hier mittlerweile Erleichterungen
geschaffen. Demnach entfallen die Dokumentationspflich-
ten ab einer bestimmten Entgeltgrenze bzw. gelten bei sog.
ausschließlich mobilen Tätigkeiten (z.B. Botendienste) nur
reduziert. Gesetzliche Eingriffe sind dagegen bislang ebenso

M4 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


„Die Rechtsprechung tut, wie

GASTKOMMENTAR
ihr ­geheißen: Sie füllt das
­M indestlohngesetz mit Inhalt.“

ausgeblieben wie Entscheidungen über die Unionsrechts- MiLoG stellt, ist der Praxis daher zur Vorsicht bei der Ver-
oder Verfassungskonformität des MiLoG. Mit Wirkung zum tragsgestaltung zu raten. Auch wenn das LAG Nürnberg am
01.01.2017 hat die Mindestlohnkommission dann die erste 09.05.2017 (7 Sa 560/16) entschied, dass es einer solchen Her-
Erhöhung des Mindestlohns auf 8,84 € brutto auf den Weg ausnahme von Ansprüchen nach dem MiLoG nicht bedürfe,
gebracht. Ob es dagegen je zu der nach dem Gesetzeswort- bleibt letztlich eine Entscheidung des BAG abzuwarten.
laut möglichen Senkung kommt (gefordert wird in § 9 Abs. 1 Am 28.09.2016 (5 AZR 220/16) bestätigte das BAG, dass
MiLoG nur eine „Anpassung der Höhe“ und keine „Erhöhung“), Sonderzahlungen (wie z.B. Urlaubs- und Weihnachtsgeld)
ist fraglich. auf den Mindestlohnanspruch anrechenbar seien, wenn sie
Gegenleistung für erbrachte Arbeit wären und dem Arbeit-
Wie sich das BAG bislang positioniert hat nehmer dauerhaft verblieben. Vorsicht ist allerdings geboten
Nachdem das MiLoG Kernfragen (z.B. Für welche Tätigkeiten bei Frage des Auszahlungszeitpunkts: Dem BAG zufolge
muss der Mindestlohn bezahlt werden? Mit welchen Zah- sollen zwar auch Zahlungen, die später als bis zum Ende des
lungen kann der Mindestlohnanspruch erfüllt werden?) mit Folgemonats geleistet werden, Erfüllungswirkung haben. Eine
dröhnendem Schweigen beantwortet, war die erste Entschei- solche verspätete Zahlung würde indes ein Bußgeld gem. § 21
dung des BAG nur eine Frage der Zeit. Mittlerweile gibt es vier Nr. 9 MiLoG auslösen, so dass nur monatliche Sonderzahlun-
– streng genommen fünf – Urteile des höchsten deutschen gen „bußgeldfreie“ Erfüllungswirkung haben.
Arbeitsgerichts, die insoweit Beachtung verdienen:
Grundlegend, quasi ein wahrer „Fundus an Erkenntnis- Die jüngste Entscheidung des BAG
sen“, ist die Entscheidung des 5. Senats vom 25.05.2016 (5 AZR Jüngst entschied das BAG, dass sich die Höhe der Entgelt-
135/16). Das BAG stellt darin zunächst klar, dass sich alle fortzahlung an Feiertagen gem. § 2 Abs. 1 EFZG nach dem
Arbeitnehmer, auch solche mit höherem Lohn, auf das Min- gesetzlichen Mindestlohn richte und überdies tarif liche
destlohngesetz als Anspruchsgrundlage berufen könnten. Nacht­a rbeitszuschläge sowie ein tarifliches Urlaubsentgelt
Der Anspruch nach dem MiLoG entstehe für jede tatsächlich auf dessen Grundlage zu berechnen wären. Außerdem könne
geleistete Arbeitsstunde, also z.B. nicht bei Krankheit oder Urlaubsgeld nicht auf den Mindestlohnanspruch angerechnet
Urlaub, und müsse bezogen auf den Kalendermonat erfüllt werden. Auch bei der Bewertung dieser Entscheidung vom
werden. Erfüllung träte daher ein, wenn alle tatsächlich pro 20.09.2017 (10 AZR 171/16) ist Vorsicht geboten, denn Urlaubs-
Kalendermonat geleisteten Arbeitsstunden mindestens mit geld ist nicht gleich Urlaubsgeld. Eine Anrechnung wird nur
dem Mindestlohn vergütet würden. Zur Anrechenbarkeit von dann ausscheiden, wenn es sich dabei nicht um eine Gegen-
Leistungen vertritt das BAG einen umfassenden Entgeltbe- leistung für erbrachte Arbeit handelt. In der Praxis ist also
griff, d.h. alle im Synallagma stehenden Geldleistungen des stets genau zu prüfen, was für eine Leistung sich hinter dem
Arbeitgebers, die dem Arbeitnehmer dauerhaft verbleiben, als solchen bezeichneten „Urlaubsgeld“ verbirgt. Und auch der
erfüllen den Mindestlohnanspruch, außer, sie werden ohne Satz „Zuschläge berechnen sich auf der Basis des Mindestlohns“
Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht oder gilt längst nicht in jedem Fall. Bei nicht gesetzlich vorgeschrie-
beruhen auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestim- benen Zuschlägen ist es vielmehr möglich, eine Berechnung
mung (als Lehrbuchfall hat sich der Nachtarbeitszuschlag auf der Basis eines niedrigeren vertraglichen Stundenlohns zu
gem. § 6 Abs. 5 ArbZG etabliert). vereinbaren. Dies hat das BAG bereits in seiner Grundsatzent-
Es folgte eine Entscheidung des 5. Senats vom 29.06.2016 scheidung vom 25.05.2016 (a.a.O.) klargestellt.
(5 AZR 716/15), in der dieser klarstellt, dass auch „Bereit-
schaftszeit“ mit dem Mindestlohn zu vergüten sei, denn das Fazit und Ausblick
Mindestlohngesetz differenziere nicht nach dem Grad der Die Rechtsprechung tut wie ihr geheißen: Sie füllt das MiLoG
tatsächlichen Inanspruchnahme. Voraussetzung sei, was nach und nach mit Inhalt. Grundlegende Fragen sind zwi-
in jedem Einzelfall zu prüfen ist, dass „vergütungspflichtige schenzeitlich geklärt. Die damit verbundene Rechtssicherheit
Arbeitszeit“ vorliege. ist erfreulich. Weitere Entscheidungen, insbesondere zur
Dagegen betrifft das Urteil des BAG vom 24.08.2016 (5 mindestlohnfesten Gestaltung von Ausschlussfristen, bleiben
AZR 703/15) nur mittelbar das MiLoG. Dort ging es darum, abzuwarten. Gleiches gilt für das Ergebnis der gem. § 23 MiLoG
ob Mindestentgelte nach der PflegeArbbV explizit von einer für das Jahr 2020 vorgeschriebenen Evaluation des MiLoG,
arbeitsvertraglichen Verfallklausel ausgenommen werden die womöglich eine neue Koalition ohne Beteiligung der SPD
müssen, damit diese nicht unwirksam ist. Weil das BAG dies durchführen muss. Das Thema Mindestlohn bleibt also (min-
bejahte und sich die gleiche Frage für Ansprüche aus dem destens) spannend.

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M5


Aktuelle Rechtsprechung
RECHTSPRECHUNG

BUNDESFINANZHOF Sonstige Steuerarten


VO (EG) Nr. 1234/2007 Art. 79; VO (EU) Nr. 1308/2013 Art. 230;
Körperschaftsteuer VO (EG) Nr. 1788/2003; VO (EG) Nr. 595/2004; AO § 167 Abs. 1, § 168;
AO § 73; KStG § 14 Abs. 1 Satz 1 MilchQuotV § 40 Abs. 3 und Abs. 4
Der Gegenstand der Haftung (§ 73 Satz 1 AO) ist für eine 1. Durch Überlieferungen im Zwölfmonatszeitraum 2014/2015
körperschaftsteuerrechtliche Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 entstandene Milchabgabe (sog. Überschussabgabe) durfte
KStG) auf solche Steueransprüche beschränkt, die gegen den auch nach dessen Ablauf und dem damit einhergehenden
durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Ende des Milchquotensystems festgesetzt werden.
Organträger gerichtet sind. Dies ist auch bei mehrstufigen 2. Sog. interinstitutionelle Vereinbarungen zwischen den am
Organschaften zu beachten. Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen der Union
BFH, Urteil vom 31.05.2017 – I R 54/15 sind keine Rechtsvorschriften und begründen keine Rechte
»RS1252256 (vgl. im Heft S. 2392) Einzelner.
3. Die Erhebung der im Zwölfmonatszeitraum 2014/2015
entstandenen Überschussabgabe verstößt weder gegen den
Einkommensteuer/Abgabenordnung Grundsatz der Rechtssicherheit noch gegen den Grundsatz
InvZulG 1999 § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, § 5, § 6 Abs. 1 Satz 1; AO § 155 der Verhältnismäßigkeit.
Abs. 4, § 164 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1, BFH, Beschluss vom 13.07.2017 – VII R 29/16
Abs. 3, § 171 Abs. 3a, Abs. 4 Satz 1, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, Abs. 2 Satz 1; »RS1252260
FGO § 94, § 103, § 119 Nr. 1; ZPO § 160 Abs. 1 Nr. 2, § 164 Abs. 1, Abs. 2, § 165
Satz 2
1. Ein Betrieb, der das im Steinbruch frisch abgebaute BUNDESGERICHTSHOF
Gestein durch Brechen, Sieben, Trennen und Mischen
zu Schüttgütern (Schotter) auf bereitet, ist nicht dem Insolvenzrecht/Rechtsanwaltsrecht
verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen; dies gilt auch BGB § 280 Abs. 1, § 675; InsO §§ 88, 129 ff.
dann, wenn Sand und Wasser beigemischt werden. Eine Der mit der Durchsetzung einer Forderung beauftragte RA
abweichende Beurteilung folgt nicht aus den Senats­ kann verpflichtet sein, den Mandanten auf die insolvenzrecht-
urteilen vom 23.10.2002 – III R 40/00 (BStBl. II 2003 liche Anfechtbarkeit freiwilliger Zahlungen des Schuldners
S. 360 = RS0753265) und vom 22.09.2011 – III R 64/08 und das hiermit verbundene Ausfallrisiko hinzuweisen.
(BStBl. II 2012 S. 358 = DB 2012 S. 1014). BGH, Urteil vom 07.09.2017 – IX ZR 71/16
2. Die Änderung eines Investitionszulagenbescheids nach »RS1252005
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 AO setzt grds.
voraus, dass ein (rückwirkendes) Ereignis nachträglich
eingetreten ist. Rechtsanwaltsrecht
3. Die Ablaufhemmung i.S.d. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO tritt BGB § 611 Abs. 1, § 675 Abs. 1
grds. nur für die Investitionszulage ein, auf die sich Übernimmt es der anwaltliche Mediator, einvernehmliche
die Außenprüfung auf der Grundlage der Prüfungs­ rechtliche Lösungsvorschläge zu entwickeln, kann eine Rechts-
anordnung erstreckt; ohne Bedeutung für den Umfang dienstleistung vorliegen; die Haftung des Mediators bestimmt
der Ablauf hemmung ist, ob die für eine bestimmte sich dann regelmäßig nach den Maßstäben der Anwaltshaftung.
Investitionszulage angeordnete Außenprüfung ggf. BGB § 280 Abs. 1, § 611 Abs. 1, § 675 Abs. 1
auch Auswirkungen auf Investitionszulagen anderer Ein anwaltlicher Mediator, der von Eheleuten zu dem Zweck
Investitionszeiträume hat, die nicht Gegenstand der beauftragt wird, mit ihnen eine einverständliche Scheidungs-
Außenprüfung sind. folgenvereinbarung auch über den Versorgungsausgleich zu
BFH, Urteil vom 18.05.2017 – III R 20/14 erarbeiten, ist einem Ehegatten wegen des Verlusts des Versor-
»RS1252255 gungsausgleichs zu Schadensersatz verpflichtet, wenn er die
für den Versorgungsausgleich maßgeblichen Tatsachen nicht
feststellt und der von ihm nicht ordnungsgemäß unterrichtete
Umsatzsteuer/Abgabenordnung RA des geschädigten Ehegatten in dem Ehescheidungsverfah-
AO § 14, § 65, § 68 Nr. 8; GewStG § 3 Nr. 7; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9; UStG § 4 ren einen Verzicht auf den Versorgungsausgleich erklärt.
Nr. 22 Buchst. a, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a BGH, Urteil vom 21.09.2017 – IX ZR 34/17
Kongressveranstaltungen eines Vereins zur Förderung der »RS1252269
Open-Source-Software können Zweckbetriebe i.S.v. § 68 Nr. 8
AO sein, wenn dabei Vorträge, Kurse und andere Veranstal-
tungen wissenschaftlicher und belehrender Art durchgeführt Insolvenzrecht
werden. InsO § 133 Abs. 1 Satz 1
BFH, Urteil vom 21.06.2017 – V R 34/16 a) Vollstreckt ein Gläubiger aus einem Anerkenntnisurteil,
»RS1252257 (vgl. im Heft S. 2398) führt das Anerkenntnis durch den Schuldner zu keiner eige-

M6 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


RECHTSPRECHUNG
nen mitwirkenden Rechtshandlung, wenn die anerkannte Bekanntgabe von Ort, Tag und Zeit der Stimmauszählung an
Forderung bestand und eingefordert werden konnte und alle Arbeitnehmer des Unternehmens oder Konzerns ist bei der
der Schuldner dem Gläubiger durch das Anerkenntnis nicht Wahl durch Delegierte nicht erforderlich. Die hohe Bedeutung
beschleunigt einen Titel verschaffen wollte. der öffentlichen Stimmauszählung für eine demokratische
b) Vollstreckt ein Gläubiger aus einem Anerkenntnisurteil, das Wahl gebietet es nicht, bei der Wahl durch Delegierte sämt-
auf einem Vergleich beruht, kann in dem Vergleichsschluss lichen Arbeitnehmern des Unternehmens oder Konzerns ein
nur dann eine mitwirkende Rechtshandlung des Schuldners Anwesenheitsrecht bei der Stimmauszählung zu ermöglichen.
liegen, wenn der Vergleichsinhalt den Bereich verlässt, der BAG, Beschluss vom 17.05.2017 – 7 ABR 22/15
bei objektiver Beurteilung ernstlich zweifelhaft sein kann. »RS1252183
BGH, Urteil vom 14.09.2017 – IX ZR 108/16
»RS1252267 (vgl. im Heft S. 2411)
Betriebliche Altersversorgung
BetrAVG § 1 Ablösung; AktG § 82 Abs. 1, § 111 Abs. 4 Satz 2; BetrVG § 77
Personengesellschaftsrecht Abs. 3; BGB § 288 Abs. 1 Satz 2, § 291
HGB § 171 Abs. 1 1. Sieht ein Tarifvertrag vor, dass Änderungen bestehender
a) Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver- Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung
mögen der Gesellschaft kann der Kommanditist grds. nur mit der Zustimmung der Tarifvertragsparteien wirk-
einen beliebigen Gesellschaftsgläubiger mit der Wirkung sam werden, so sind die durch Betriebsvereinbarungen mit
befriedigen, dass er in Höhe des Nennwerts der getilgten Zustimmung der Tarifvertragsparteien vorgenommenen
Forderung von seiner Außenhaftung nach § 171 Abs. 1 Eingriffe in bestehende Versorgungsrechte anhand der für
HGB im Verhältnis zu den anderen Gläubigern frei wird. Betriebsvereinbarungen geltenden Maßstäbe zu überprüfen.
b) Mit einem Erstattungsanspruch gem. § 110 HGB aus der 2. Veränderungen der Versorgungsordnung nach dem Eintritt
Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers vor Eröffnung des Arbeitnehmers in den Ruhestand sind unmittelbar
des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesell- anhand der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des
schaft kann der Kommanditist auch nach Eröffnung des Vertrauensschutzes zu überprüfen. Das vom Senat entwi-
Insolvenzverfahrens gegen eine Einlageforderung in Höhe ckelte dreistufige Prüfungsschema für Eingriffe in die Höhe
des Nennwerts der getilgten Forderung aufrechnen. von Versorgungsanwartschaften findet insoweit keine
BGH, Urteil vom 25.07.2017 – II ZR 122/16 Anwendung.
»RS1252265 (vgl. im Heft S. 2407) 3. Die zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Versorgungsrechte
angeführten Gründe müssen gerade den vorgenommenen
Eingriff tragen und folglich in einem inneren Zusammen-
BUNDESARBEITSGERICHT hang mit ihm stehen.
(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)
Tarifvertragsrecht BAG, Urteil vom 11.07.2017 – 3 AZR 513/16
GG Art. 9 Abs. 3; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 1, §§ 65, 72 Abs. 3, § 83 Abs. 3, »RS1251961
§ 93 Abs. 2; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1; BetrVG § 23 Abs. 3, § 77
Abs. 4; TVG § 3 Abs. 1 und Abs. 3, § 4 Abs. 5; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2,
ANZEIGEN
§ 554 Abs. 2 Satz 2; TTVöD-BT-K §§ 18, 20, 40, Nr. 1 der Vorbem.
Der gewerkschaftliche Anspruch auf Unterlassung tarif-
widriger Regelungsabreden und deren einzelvertragliche
Umsetzung nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 9
Abs. 3 GG erfordert eine unmittelbare und zwingende Bindung
des in Anspruch genommenen Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1
oder 3 TVG an die maßgebenden Tarifbestimmungen. Nach
Beendigung der Tarifgebundenheit kann das Recht auf koali- Akademie Henssler
tionsgemäße Betätigung durch vom Tarifvertrag abweichende Bad Herrenalb
betriebliche Regelungen als Voraussetzung eines negatorischen
Unterlassungsanspruchs nicht mehr beeinträchtigt werden.
BAG, Beschluss vom 07.06.2017 – 1 ABR 32/15 Kurse und Seminare
»RS1252184
s Steuerberater-Examen
s Steuerfachwirt
Betriebsverfassungsrecht s Mitarbeiterschulung
MitbestG § 22 Abs. 1 und Abs. 2; 3. MitbestG WO i.d.F vom 10.10.2005 s Wirtschaftsrecht
§ 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 79 Abs. 1, § 87; ArbGG § 83 Abs. 3; ZPO § 167 s Aktuelle Rechtsprechung
Erfolgt die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat
Waldseestraße 29
durch Delegierte, hat der Hauptwahlvorstand jedem Delegier- 76332 Bad Herrenalb
ten spätestens zwei Wochen vor dem Tag der Delegiertenver- Fon (0 70 83) 92 54-0, Fax -42
sammlung Ort, Tag und Zeit ihrer Durchführung sowie der www.akademie-henssler.de
öffentlichen Stimmauszählung mitzuteilen. Eine zusätzliche

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M7


Auswahl neuer anhängiger Verfahren
ANHÄNGIGE VERFAHREN

Gericht Aufnahme Aktenzeichen Rechtsfrage


BFH-Daten­ BFH / BVerfG /
bank EuGH / EuG

BVerfG 29.09.2017 1 BvR 1440/17 Erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten – Aufrechnung von
Steuererstattungsansprüchen
– Verfassungsbeschwerde –
Vorgehend: BFH, Beschluss vom 08.03.2017 (VII R 13/15), RS1241311

EuGH 25.09.2017 Rs. C-548/17 Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom 21.06.2017, eingereicht am
21.09.2017, zu folgenden Fragen:
1. Ist Art. 63 MwStSystRL unter Berücksichtigung der dem Stpfl. zukom-
menden Aufgabe als Steuereinnehmer für den Fiskus einschränkend
dahingehend auszulegen, dass der für die Leistung zu vereinnahmende
Betrag
a) fällig ist oder
b) zumindest unbedingt geschuldet wird?
2. Bei Verneinung der ersten Frage: Ist der Stpfl. verpflichtet, die für die
Leistung geschuldete Steuer für einen Zeitraum von zwei Jahren vor­
zufinanzieren, wenn er die Vergütung für seine Leistung (teilweise) erst
zwei Jahre nach Entstehung des Steuertatbestands erhalten kann?
3. Bei Bejahung der zweiten Frage: Sind die Mitgliedstaaten unter Berück-
sichtigung der ihnen nach Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL zustehenden
Befugnisse berechtigt, bereits für den Besteuerungszeitraum der Steuer­
entstehung von einer Berichtigung nach Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL
auszugehen, wenn der Stpfl. den zu vereinnahmenden Betrag mangels
Fälligkeit erst zwei Jahre nach Eintritt des Steuertatbestands verein­
nahmen kann?
Vorgehend: Vorgehend: BFH, Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 21.06.2017
(V R 51/16), DB 2017 S. 2270; vgl. dazu Jacobs, Blog, DB1251456

BFH 20.09.2017 IV R 7/17 Sind bei einer GmbH & atypisch Still Forderungsverluste des stillen Gesell-
schafters gegen die GmbH bereits im Zeitpunkt der Veräußerung sämt-
lichen Anlagevermögens der GmbH und der Einstellung ihres Geschäfts-
betriebs realisiert, wenn mit einer Auskehrung von Vermögen an den
Forderungs­i nhaber im Rahmen der Liquidation nicht mehr zu rechnen ist,
oder kommt es – infolge der Gleichstellung mit anderen Mitunternehmer-
schaften – auf den Zeitpunkt der Betriebseinstellung der atypisch stillen
Gesellschaft an?
– Zulassung durch FG –
Rechtsmittelführer: Steuerpflichtiger
Vorgehend: FG Niedersachsen, Entscheidung vom vom 22.03.2017 (9 K 92/15),
RS1244106; vgl. dazu Kreft, StR kompakt, DB1244192

BFH 20.09.2017 X R 8/17 Ist nach Einführung des § 10 Abs. 4b EStG durch das Steuerverein­
fachungsgesetz 2011 bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkom-
mens der Verlustabzug gem. § 10d Abs. 2 EStG auch dann von dem um
den Erstattungsüberhang aus KiSt nicht erhöhten Gesamtbetrag der
Einkünfte vorzunehmen, wenn sich die erstatteten KiSt-Zahlungen in den
betreffenden Jahren als Sonderausgaben nicht steuermindernd ausgewirkt
haben?
– Zulassung durch FG –
Rechtsmittelführer: Steuerpflichtiger
Vorgehend: FG Baden-Württemberg, Entscheidung vom 02.02.2017 (3 K 834/15)

Die vollständige Liste finden Sie unter:


www.bundesfinanzhof.de/anhaengige­verfahren

M8 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


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Zukunft Aufsichtsrat
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im Amt)

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Herausforderungen für den Aufsichtsrat LMU München, Geschäftsführender Herausgeber
„Der Aufsichtsrat“, Tagungsleiter
· Corporate Compliance:
Die neue Verantwortung des Aufsichtsrats › Dr. Christine Hohmann-Dennhardt
Ehemaliges Vorstandsmitglied der
· Corporate Social Responsibility: Daimler AG und der Volkswagen AG,
Die neue CSR-Richtlinie und Auswirkungen Bundesverfassungsrichterin a.D.
auf die Überwachungstätigkeit › Georg F. Thoma
· Der gläserne Aufsichtsrat: Transparenz und Of Counsel, Shearman & Sterling LLP, Ehemaliges
Mitglied des Aufsichtsrats Deutsche Bank AG
neue Verhaltens-Kodizes für Aufsichtsräte
› Simone Menne
· Vergütung von Aufsichtsrat und Vorstand:
Mitglied der Unternehmensleitung / CFO,
Bemessung, Transparenz und rechtliche Boehringer Ingelheim, Mitglied im Aufsichtsrat
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Betriebswirtschaft | Kurz gefasst » DBL1245600
KURZBEITRAG

Zweiterwerb von Inhaberschuld-


verschreibungen über pari
Zusammenfassung des Aufsatzes „Zweiterwerb von Inhaberschuldverschreibungen über pari durch
­K reditinstitute“ von Bantleon/Siebert (DB1245600) auf S. 2365

In der aktuellen Niedrigzinsphase ist es üblich, dass Kreditinstitute Inhaberschuldver­


schreibungen für ihr Anlagevermögen über pari erwerben. Der Beitrag untersucht die
Bilanzierung dieses Anschaffungsvorgangs im Detail.

I
n der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen zur andere Forderungen beschränkt. Deutschland hat von seinem
Zugangsbewertung für den Fall des Über-Pari-Erwerbs Wahlrecht für eine planmäßige Abschreibung des Unter-
börsenfähiger festverzinslicher Inhaberschuldverschrei- schiedsbetrags zwischen den Anschaffungskosten und dem
bungen vertreten. Auch die Bilanzierungspraxis der Banken ist Rückzahlungsbetrag einer Schuldverschreibung weder durch
hier nicht einheitlich. Nach h.M. wird die Schuldverschreibung § 340 e HGB noch einer anderen Regelung Gebrauch gemacht.
mit den vollen Anschaffungskosten aktiviert. Bei voraussicht- So stellt sich die Frage, ob in Deutschland die Nominalwert-
lich dauernder Wertminderung wird der Unterschiedsbetrag bilanzierung der Bankbilanzrichtlinie umgesetzt wurde.
anteilig abgeschrieben. Nach einer anderen Ansicht wird die Ansatzpunkt für einen aufwandswirksamen Anschaffungs-
Inhaberschuldverschreibung mit den Nominalwert aktiviert vorgang bietet der Wortlaut des § 253 Abs. 1 Satz HGB mit
und für das Aufgeld ein aktiver RAP gebildet, der über die dem Wort „höchstens“. Im Sinne einer richtlinienkonformen
Restlaufzeit aufgelöst wird. Schließlich wird die Meinung ver- Auslegung werden über pari erworbene Inhaberschuldver-
treten, den Unterschiedsbetrag zwischen Anschaffungskosten schreibungen zum Nominalwert bilanziert und der Unter-
und Nominalwert im Jahr der Anschaffung als Aufwand zu schiedsbetrag als Aufwand behandelt.
behandeln. Diese unterschiedlichen Ansichten in Theorie und
Praxis gilt es zu untersuchen.

Richtungsweisende Bankbilanzrichtlinie FAZIT


Gedanklicher Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Recht-
sprechung des BFH. Nach dieser ist eine Inhaberschuldver- ■■ Börsenfähige festverzinsliche Inhaberschuldver-
schreibung trotz ihrer Verbriefung wirtschaftlich betrachtet schreibungen des Anlagevermögens, die Kredit-
eine Kapitalüberlassung des Inhabers der Schuldverschrei- institute aufgrund des gesunkenen allgemeinen
bung an den Emittenten. Besonders relevant für die Untersu- Zinsniveaus von Zwischenerwerbern über pari
chung ist Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtli- erwerben, sind in der Bilanz mit dem Nominalwert
nie. Dieser regelt den Erwerb von Schuldverschreibungen über anzusetzen.
pari. Dabei gilt der sehr bedeutsame Grundsatz: Der positive ■■ Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Nominal-
Unterschiedsbetrag zwischen den Anschaffungskosten und wert und den Anschaffungskosten ist als Aufwand
dem Rückzahlungsbetrag einer Schuldverschreibung ist als zu erfassen.
Aufwand in der GuV zu verbuchen (Bilanzierung zum Nomi- ■■ Rechtsgrundslage ist § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB, der
nalwert). Diesen Grundsatz kann der nationale Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der
für Kreditinstiute (auch) durch einen aufwandswirksamen Bankbilanzrichtlinie richtlinienkonform auszu-
Anschaffungsvorgang umsetzen (Zugangsbewertung). Eine legen ist. Dies widerspricht weder dem Einsichts­
Abschreibung des Unterschiedsbetrags ist gem. der Bank­ gebot noch den GoB.
bilanzrichtlinie nur bei Ausübung des Mitgliedstaatenwahl- ■■ Eine Ausübung des Wahlrechts gem. Art. 35 Abs. 3
rechts geregelt. Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie durch
deutsche Rechnungslegungsvorschriften scheidet
Umsetzung in Deutschland aus.
Der RegE zum Bankbilanzrichtlinie-Gesetz ging davon aus, ■■ Steuerbilanziell sind die gesamten Anschaffungs-
dass Art. 35 der Bankbilanzrichtlinie in Deutschland durch kosten anzusetzen. Aus dieser Abweichung ergibt
§ 340e HGB umgesetzt wurde. Hier wurde in Abs. 2 eine sich das Aktivierungswahlrecht für latente Steuern
Regelung zur aufwandswirksamen Nominalwertbilanzierung gem. § 274 Abs. 1 Satz 1 HGB.
aufgenommen, diese allerdings auf Hypothekendarlehen und

M10 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


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bedingungen für interne Kon ntrollsysteme (IKS) Leiter Konzernsteuerabteilung, Siemens AG
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Steuerrecht | Kurz gefasst » DBL1251812
KURZBEITRAG

Mit nationalen Regeln gegen inter-


nationalen Steuertourismus
Zusammenfassung des Aufsatzes „Die Lizenzschranke – Legitime Reaktion des Gesetzgebers auf
schädliche Präferenzregime“ von Link (DB1251812) auf S. 2372

Das Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken soll Missbrauch im Zusammenhang mit


Rechteüberlassungen unterbinden. Das ist keine leichte Aufgabe, denn die internationa­
len Rahmenbedingungen sind schwierig.

I
mmaterielle Wirtschaftsgüter wie Patente oder Lizenzen Steuerwettbewerb gleich und würde die Vorbehalte gegen-
lassen sich leicht auf andere Rechtsträger bzw. über Staats- über der Aufgabe nationaler Besteuerungsrechte zugunsten
grenzen hinweg übertragen. Das hat in der Vergangenheit sekundärrechtlicher Vorgaben bestärken. Auch habe der
den internationalen Steuerwettbewerb angeheizt und bewirkt, Gesetzgeber weder die Grundfreiheiten der Unternehmen in
dass viele Staaten sogenannte Präferenzregelungen geschaffen ungerechtfertigter Weise beschnitten noch gegen den Gleich-
haben, die multinationale Konzerne zur Gewinnverlagerung heits- bzw. Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen.
nutzen konnten. Die Mitgliedstaaten von OECD und G20
haben solche Präferenzregime inzwischen als schädlich
eingestuft, wenn deren Anwendung nicht wenigstens an ein
Mindestmaß tatsächlicher Geschäftstätigkeit geknüpft ist. FAZIT

Komplexes Verfahren ■■ Ab dem Veranlagungszeitraum 2018 sind konzern-


Auch der nationale Gesetzgeber hat reagiert und mit dem interne Aufwendungen für Rechteüberlassungen
Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken den neuen § 4j EStG nicht oder nur teilweise abziehbar, wenn die Zah-
eingeführt. Aufwendungen für Rechteüberlassungen durch lung beim Empfänger wegen eines als schädlich
eine nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG sind ab dem einzustufenden Präferenzregimes bevorzugt be-
Veranlagungszeitraum 2018 nur noch beschränkt abziehbar, steuert wird.
wenn die Einnahmen beim Empfänger einer niedrigen Besteu- ■■ Trotz der engen unions- und verfassungsrechtlichen
erung aufgrund eines Präferenzregimes unterliegen, das nicht Vorgaben hat der Gesetzgeber eine ausgewogene
dem von OECD und G20 vereinbarten Nexus-Ansatz entspricht und administrierbare Regelung geschaffen, die ei-
(sog. Lizenzschranke). Die nationale Regelung orientiert sich nen Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit leisten und
damit an den von diesen Organisationen für das Vorliegen einer Wettbewerbsverzerrungen vermeiden wird.
schädlichen Steuerpraxis herangezogenen Merkmalen. ■■ Anders als von Teilen der Literatur kritisiert ist der
Die Herausforderung für den Gesetzgeber lag darin, unter neue § 4j EStG sowohl mit unionsrechtlichem Pri-
Beachtung der verfassungs- und unionsrechtlichen Rahmen­ märrecht als auch mit dem Grundgesetz vereinbar.
bedingungen eine wirksame und gestaltungsresistente,
dabei aber auch ausgewogene und gut zu administrierende
Regelung zu finden. Aus Sicht des Autors ist das gelungen. Die
von Teilen der Literatur gegen die Neuerung vorgebrachten
unions- und verfassungsrechtlichen Bedenken teilt er nicht.

Legitimer Eingriff
Insbesondere den Kritikpunkt, jeder Mitgliedstaat müsse
akzeptieren, dass andere Staaten ihre Steuersätze – auch qua
Präferenzregelung – nach eigenem Ermessen festlegen dürfen,
hält er für nicht (mehr) haltbar. Das Unionsrecht sei nicht als
Foto: istock/ TheaDesign

Einbahnstraße zu verstehen, die den Wirtschaftsteilnehmern


einen weitestgehenden Schutz vor staatlichen Eingriffen
in den Binnenmarkt gewährt. Vielmehr bedürfe es regula-
tiver Elemente, die es den Mitgliedstaaten erlauben oder
sie sogar verpflichten, steuerliche Unwuchten zu beheben.
Jedes andere Ergebnis käme einer Kapitulation vor unfairem

M12 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


Steuerrecht | Kurz gefasst » DBL1247839

KURZBEITRAG
Korruptionshandlungen: Ein
Musterfall im Steuerstrafrecht
Zusammenfassung des Aufsatzes „Steuerstrafrechtliche Tatentdeckung durch ausländische Korruptions­
ermittlungen?“ von Wulf (DB1247839) auf S. 2377

Im Mai hat der BGH mit der „Panzerhaubitzen“­Entscheidung über einen Sachverhalt
entschieden, der Stoff für eine Vielzahl steuerstrafrechtlicher Probleme bietet. Es ging
um Bestechungsgelder im internationalen Geschäftsverkehr.

A
ngeklagt in dem Verfahren (1 StR 265/16, RS1243072) § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG sein muss, dass der Steuerpflichtige die
war der Prokurist (A) eines deutschen Rüstungsunter- strafbare Zuwendung veranlasst hat. Das bedeutet für Gesell-
nehmens. Er war in die Bemühungen zum Verkauf von schaften, dass die Korruptionshandlungen den vertretungs­
Panzerhaubitzen an die griechische Regierung eingebunden. In berechtigten Personen oder Organen zuzurechnen sein müssen.
diesem Zusammenhang hatte er eine Provisionsrechnung (P1) Handeln einfache Mitarbeiter ohne Auftrag und Kenntnis der
einer anderen deutschen Gesellschaft (B-GbR) freigezeichnet Geschäftsführung, greift das Abzugsverbot nicht ein. A hatte
und an die Buchhaltung weitergegeben. Die B-GbR leitete die aber erst nach der Zahlung von der Bestechung erfahren.
Zahlung an den damaligen griechischen Verteidigungsminister
weiter, der zugesagt hatte, den Kauf wohlwollend zu prüfen. Eine War die Tat vor der „Selbstanzeige“ entdeckt?
zweite Provision (P2) floss an einen in Griechenland ansässigen Rechtlich problematisch war hier vor allem die objektive
Handelsvertreter. Dieser nutzte einen Teil des Geldes, um – ohne Komponente. Im Zeitpunkt der Nacherklärung verfügten nur
Absprache mit A – einen Rüstungsdirektor in Athen zu beste- die griechischen Behörden über Erkenntnisse zur Tat, sodass
chen. Einen anderen Teil überwies er an A auf dessen Schweizer es darauf ankam, welche Voraussetzungen an eine Tatent­
Konto zurück. Wegen dieser „Kickbacks“ und den daraus resultie- deckung durch ausländische Behörden zu stellen sind. Der
renden Kapitaleinnahmen hatte A eine Selbstanzeige eingereicht, Autor meint, der BGH habe sich dabei nicht ausreichend mit
nachdem in Griechenland Korruptionsermittlungen eingeleitet der Frage beschäftigt, ob die griechischen Behörden zum Zeit-
worden waren. punkt der Nacherklärung bei vorläufiger Bewertung bereits
Der Autor setzt sich detailliert mit den Urteilsgründen ausein­ davon ausgingen, dass eine Verurteilung wegen Steuerhinter-
ander. Unter anderem thematisiert er folgende Rechtsprobleme: ziehung in Deutschland wahrscheinlich war. Auch musste die
Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Griechen die erlangte
Strafbarkeit wegen der Weiterleitung von P1 Information wirklich an die zuständigen deutschen Strafver-
Es stellte sich die Frage, ob und in welchem Umfang sich A folgungsbehörden weitergeben. Der BGH behalf sich bei dieser
durch die Weiterleitung der durch die B-GbR eingereichten Frage mit einem – vom Autor kritisierten – Kniff: Er stellte
Provisionsrechnung, die später zu einem unrechtmäßigen darauf ab, dass die gewonnenen Erkenntnisse allein deshalb
Betriebsausgabenabzug geführt hat, nach § 370 AO strafbar weitergeleitet worden wären, weil in der konkreten Situation
gemacht hat. Der BGH bejahte eine Beihilfe zur Steuerhinter- ein Rechtshilfeersuchen aus Deutschland sehr wahrscheinlich
ziehung, weil As Beitrag die Begehung der Haupttat gefördert war.
hat und er dabei – in seiner Rolle als leitender Mitarbeiter, der
als Diplomkaufmann über langjährige Berufserfahrung in
Unternehmen verfügt – in dem Bewusstsein handelte, dass
der tatbestandliche Erfolg eintreten wird. Die Ausführungen FAZIT
des Senats machen deutlich, dass auch für Mitarbeiter, die
nicht unmittelbar mit der Bearbeitung der Steuererklärung ■■ Der BGH trifft viele wichtige und richtige Aussagen
im Unternehmen befasst sind, steuerstrafrechtliche Risiken zur Reichweite von § 370 AO.
bei der Verbuchung nicht abzugsfähiger Ausgaben bestehen. ■■ Die Sperrwirkung einer „Tatentdeckung“ durch
ausländische Behörden wird in dem Urteil jedoch
Strafbarkeit wegen der Bestechung durch den Vertreter bejaht, obwohl nach vorangegangenen Entschei-
Laut BGH führte auch diese nicht mit A abgestimmte Beste- dungen anderer BGH-Senate Anlass bestanden
chung durch den eingeschalteten Agenten zu einem unrecht- hätte, eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung
mäßigen Betriebsausgabenabzug, zu dem A Beihilfe geleistet zu veranlassen.
hat. Aus Sicht des Autors übersieht der BGH dabei jedoch, dass
Auslöser für die Nichtabzugsfähigkeit von Aufwendungen nach

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M13


Wirtschaftsrecht | Kurz gefasst » DBL1251534
KURZBEITRAG

Steuerberaterhaftung: Aktuelle
Urteile im Überblick
Zusammenfassung des Aufsatzes „Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung des steuerlichen Be­
raters in den Jahren 2015-2017 (Teil 1)“ von Fischer (DB1251534) auf S. 2401

Wie hat sich der IX. Zivilsenat des BGH in der jüngeren Vergangenheit zur Haftung des
Steuerberaters geäußert? Eine komprimierte Darstellung der maßgeblichen Entschei­
dungen in der Zeit von Oktober 2015 bis August 2017.

I
n seinem Update zur Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des ernsthafte Anhaltpunkte für einen möglichen Insolvenzgrund
BGH zur Steuerberaterhaftung legt der Autor einen ersten offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche
Schwerpunkt auf den Umfang der Pflichten, die Steuerberatern Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist. Ohne einen
aus dem Mandatsverhältnis erwachsen. Maßgeblich dafür ist entsprechenden Auftrag müsse der StB aber nicht nach Insol-
der Auftrag, den der Mandant ausdrücklich oder den Umstän- venzgründen forschen. Ihn treffe keine Untersuchungspflicht
den nach erteilt. Aus ihm kann sich auch ergeben, dass bei hinsichtlich der Wirtschaftslage des Unternehmens.
einer Gestaltung die Interessen eines Dritten Gegenstand der
Beratungsleistung sind. Ebenfalls auf Basis des Auftrags ist zu
beurteilen, in welchem Umfang der Steuerberater Angaben seines
Mandanten bzw. die Unterlagen prüfen muss, die dieser ihm FAZIT
zum Erstellen des Jahresabschlusses vorlegt. Denkbar ist eine
Erstellung ohne Prüfung, ein bloßer Plausibilitätscheck oder eine ■■ Die verdichtete Darstellung der BGH-Rspr. ergibt
umfassende Beurteilung. Darlegungs- und beweispflichtig für den Leitlinien für die pflichtgemäße Mandatsarbeit.
Inhalt des Auftrags ist der Mandant. ■■ Das Pflichtenheft des Beraters bestimmt sich nach
dem Mandat, wobei sich die Rspr. bzgl. der Anfor-
Prüfungsmaßstab zur Belehrung von Mandanten derungen bei der Erstellung von Jahresabschlüssen
In den durch seinen Auftrag gezogenen Grenzen hat der Steu- und der Warn- und Hinweispflichten bei möglicher
erberater Mandanten ungefragt über die bei der Bearbeitung Insolvenzreife der Gesellschaft geändert hat.
auftauchenden steuerrechtlichen Fragen zu belehren. ■■ Die Grundsätze zur konsolidierten Schadensbe-
Den dabei anzulegenden Prüfungsmaßstab hat der BGH rechnung hat der BGH weiter präzisiert: sind bei
2016 präzisiert: Der Berater hat sich bei der Auslegung ein- einer Gestaltungsberatung die Berücksichtigung
schlägiger Rechtsnormen grundsätzlich an der höchstrichter- der Interessen eines Dritten zum Gegenstand der
lichen Rechtsprechung zu orientieren. Fehlt solche Judikatur, Beratungsleistung gemacht worden, ist die Scha-
kann er die erforderlichen Kenntnisse etwa durch die Lektüre densberechnung auch unter Einbeziehung dieser
von Fachliteratur erwerben. Ungewöhnliche Gestaltungen, die Drittinteressen vorzunehmen.
weder Eingang in die Rechtsprechung noch in die Literatur
gefunden haben, hat er auf der Grundlage eigener, steuerrecht-
lich begründeter Überlegungen zu bearbeiten. Entscheidet er
sich auf dieser Grundlage für eine von mehreren vertretbaren
Lösungen, handelt er nicht schuldhaft.

Pflichten bei Erstellung eines Jahresabschlusses


Anfang 2017 hat der BGH seine Rechtsprechung zu den Pflichten
des Beraters beim Erstellen von Jahresabschlüssen für Unterneh-
men in der Krise modifiziert. Hat der StB Kenntnis von Umstän-
den, die einer Bilanzierung nach Fortführungswerten entgegen-
stehen können, oder hätte er Kenntnis haben müssen, besteht
ein Hinweispflicht gegenüber dem Mandaten; ohne Abklärung
Foto: istock/TBE

der Umstände oder eine ausdrückliche Weisung des Mandanten


ist eine Bilanzierung nach Fortführungswerten pflichtwidrig.
Anders als früher bejaht der BGH nun eine Hinweis- und
Warnpflicht, wenn der StB einen Insolvenzgrund erkennt oder

M14 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


Arbeitsrecht | Kurz gefasst » DBL1249260

KURZBEITRAG
Berechnungsdurchgriff bei der
Betriebsrentenanpassung
Zusammenfassung des Aufsatzes „Die Kontrolle der Ermessensentscheidung nach § 16 BetrAVG im
­Konzern“ von Matthießen (DB1249260) auf S. 2417

Welche Rolle spielt die Wirtschaftslage des Konzerns, wenn eine Tochtergesellschaft über
die Anpassung oder Nichtanpassung der Betriebsrenten entscheiden muss? Die Rechtspre­
chung hierzu entwickelt sich konstant – leider nicht immer zum Besseren.

N
ach § 16 BetrAVG sind Arbeitgeber verpflichtet, alle drei ressen der Betriebsrentner. Denn während Arbeitgeber bei Beste-
Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der hen eines Beherrschungsvertrags und guter Wirtschaftslage der
betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und darüber Konzernmutter eine Anpassung nur schwer verweigern können,
nach billigem Ermessen zu entscheiden. Zu berücksichtigen tun Betriebsrentner sich im Vertragskonzern sehr schwer, einen
sind dabei einerseits die Belange des Versorgungsempfängers Anpassungsanspruch durchzusetzen, wenn die ökonomische
und andererseits die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Umstritten Situation des ehemaligen Vertragsarbeitgebers schlecht ist.
ist, wann bei konzernabhängigen Unternehmen auch die
Wirtschaftslage der Konzernobergesellschaft in die Ermes-
sensentscheidung einfließen muss. Der Beitrag widmet sich
dieser Frage und unterzieht die Rechtsprechung des BAG einer FAZIT
kritischen Überprüfung.
■■ Bei der Berufung auf eine schlechte Wirtschaftslage
Keine Erhöhung um jeden Preis geht es allein darum, ob dem Versorgungsschuldner
Schon bevor das BetrAVG die Anpassungsprüfungspflicht im eine ausreichende Eigenkapitalverzinsung verbleibt,
dreijährigen Turnus vorschrieb, nahmen BAG und BGH Unter- sodass seine Wettbewerbsfähigkeit nicht leidet.
nehmen nach Treu und Glauben in die Pflicht. Sie verlangten, ■■ Es wäre wünschenswert, den Abwägungsdurchgriff
unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Pensionär über die auf die Konzernmutter nicht nur bei Bestehen eines
Anpassung der Betriebsrente zu verhandeln und dabei dessen Beherrschungsvertrags, sondern auch im Vertrags-
Wunsch nach Erhalt des Lebensstandards ebenso zu berück- konzern zuzulassen. Mit Blick auf die Darlegungs-
sichtigen wie die eigene Wirtschaftslage. Hieraus hat sich der und Beweislast bedürfte es dann einer Differenzierung
bis heute geltende Rechtssatz entwickelt, dass die Anpassung je nach Gesellschaftsform der Untergesellschaft.
der Betriebsrente ganz oder teilweise unterbleiben kann, wenn ■■ In die Interessenabwägung einfließen müsste zudem
und soweit sie eine übermäßige Belastung des Unternehmens die Frage, wie die betroffene Gesellschaft die Lasten
verursachen würde. Das ist auch deshalb bedeutsam, weil die der Anpassung gegenüber anderen Konzernunterneh-
Vorgaben des § 16 BetrAVG grundsätzlich unabhängig von der men oder der Konzernmutter durchsetzen kann.
Einbindung des Arbeitgebers in einen Konzern sind und sich
somit die Frage stellt, wann ein Durchgriffs auf die Wirtschafts-
lage der Konzernmutter erlaubt oder gar geboten ist.

Entwicklung in die falsche Richtung


Die Rechtsprechung hat bereits in den 1980er Jahren Ansätze
entwickelt, wie die Wirtschaftslage des Konzerns oder der
Muttergesellschaft bei der Anpassungsentscheidung einer
Konzerntochter zu berücksichtigen ist und diese seither
konstant weiterentwickelt. Der Prozess ist bis heute im Fluss.
Aktuell differenziert das BAG danach, ob ein Beherrschungs-
vertrag vorliegt, oder ob es sich um einen faktischen Konzern
Foto: istock/ oluolu3

handelt. Während Erfurt in der ersten Konstellation einen


Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage des herr-
schenden Unternehmens unter bestimmten Voraussetzungen
erlaubt, schließt es diese Möglichkeit im Vertragskonzern so gut
wie aus. Das verdient Kritik, vor allem im Hinblick auf die Inte-

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M15


DER BETRIEB
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Wochenzeitschrift für Betriebswirtschaft, Steuerrecht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht

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M16 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


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Handelsbilanzrecht/Rechnungslegung »DB1245600
WP/StB Prof. Ulrich Bantleon, Offenburg / StB Prof. Dr. Jens Siebert, Villingen-Schwenningen

Zweiterwerb von Inhaberschuldverschreibungen


über pari durch Kreditinstitute
– Nominalwertbilanzierung im Anlagevermögen? –

Nach einer anderen Ansicht wird die Inhaberschuldverschreibung


WP/StB Prof. Ulrich Bantleon, Hochschule Offenburg. StB Prof. Dr. Jens
mit dem Nominalwert von 1.000.000 € aktiviert und ein aktiver
Siebert, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Villingen-Schwenningen.
Kontakt: autor@der-betrieb.de
RAP i.H.v. 100.000 € gebildet. Dieser wird zeitanteilig aufgelöst.3
Schließlich wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass
der Unterschiedsbetrag von 100.000 € in unionskonformer Aus­
Der Unterschiedsbetrag beim Zweiterwerb von börsennotier­ legung des § 340e Abs. 2 HGB als Sofortabschreibung zu behan­
ten festverzinslichen Inhaberschuldverschreibungen im Anla­ deln ist.4 Nach einer Durchsicht von aktuellen Jahres­abschlüssen
gevermögen über pari muss nach der Bankbilanzrichtlinie als weisen tatsächlich einige Kreditinstitute den gesamten Unter­
Aufwand in der GuV erfasst werden. Deutschland hat von dem schiedsbetrag im Jahr des Erwerbes als Aufwand aus.5
Verteilungswahlrecht keinen Gebrauch gemacht. Bei Kredit­ Die erste und zweite Auffassung beeinflussen die Höhe des
instituten ist unionskonform ein aufwandswirksamer Anschaf­ Jahresüberschusses häufig in vergleichbarer Weise. Dieser
fungsvorgang gem. § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB gegeben. wird durch den Unterschiedsbetrag über die Restlaufzeit der
Schuldverschreibung gemindert. Nach der dritten Ansicht
I. Einführung wird der Jahresüberschuss hingegen im Jahr des Erwerbs der
Im Rahmen ihrer Anlagepolitik haben Kreditinstitute bör­ Schuldverschreibungen einmalig verringert. Dafür fallen die
senfähige festverzinsliche Inhaberschuldverschreibungen mit nachfolgenden Jahresüberschüsse entsprechend höher aus.
langer Laufzeit von Zwischenerwerbern gekauft, um diese bis Diese unterschiedlichen Ansichten in Theorie und Praxis gilt
zur Endfälligkeit zu halten. Sie sind dazu auch in der Lage. es zu untersuchen.
Diese Schuldverschreibungen werden gem. § 7 RechKredV
i.V.m. § 16 Abs. 1 RechKredV unter dem Bilanzposten Aktiva II. Beschränkung auf Bilanzen im Rechtssinne
5 „Schuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wert­ Nachfolgend wird die Zugangsbewertung börsenfähiger fest­
papiere“ des Formblatts 1 (Gliederungsschema für Kredit­ verzinslicher Inhaberschuldverschreibungen vom Zwischen­
institute) ausgewiesen. erwerber nur für Bilanzen im Rechtssinne 6 (handelsrechtlicher
Im Fall einer Überverzinslichkeit im Verhältnis zum allgemeinen Einzelabschluss, Steuerbilanz) untersucht. Rechtsökonomi­
Marktzinsniveau erfolgt ein Über-Pari-Erwerb. Der Kaufpreis für sche oder -politische Überlegungen werden nicht angestellt.
eine börsenfähige festverzinsliche Inhaberschuldverschreibung Davon losgelöste, rein (betriebs-)wirtschaftliche Aspekte wie
mit fünfjähriger Restlaufzeit und einem Nominalwert (Rückzah­ die Informationsversorgung der Allgemeinheit bleiben ebenso
lungsbetrag) von 1.000.000 € beträgt z.B. vereinfacht 1.100.000 € wie aufsichtsrechtliche Folgen unberücksichtigt.
(„über pari“). Der Über-Pari-Betrag sei ausschließlich auf das Im Rahmen dieser Untersuchung wird ein besonderes
inzwischen gesunkene allgemeine Zinsniveau im Vergleich zum Augenmerk auf die Richtlinie über den Jahresabschluss und
Emissionszeitpunkt zurückzuführen. Aufgrund des aktuell den konsolidierten Abschluss von anderen Finanzinstituten
historisch sehr niedrigen Zinsniveaus in Deutschland geht das (nachfolgend Bankbilanzrichtlinie) der EWG vom 08.12.1986
Kreditinstitut angesichts der Rückzahlung zum Nominalwert (RL 85/635/EWG)7 und deren Umsetzung gelegt. Nicht in den
während der Restlaufzeit ein beachtliches Risiko ein, dass es auf­ Anwendungsbereich der Richtlinie fallende Unternehmen in
grund von Zinsänderungen zu einem unerwarteten Wertverfall Deutschland werden daher nicht näher betrachtet.
der Schuldverschreibung kommen kann.
In der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen zur III. Inhaberschuldverschreibung als Kapitalüberlassung
Zugangsbewertung für den Fall des Über-Pari-Erwerbs bör­ aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise
senfähiger festverzinslicher Inhaberschuldverschreibungen Gedanklicher Ausgangspunkt der nachfolgenden Über­
vertreten. Nach der h.M. wird die Schuldverschreibung mit legungen ist die Rspr. des BFH. 8 Nach dieser ist eine Inhaber­
Anschaffungskosten1 von 1.100.000 € aktiviert. Bei voraus­
sichtlich dauernder Wertminderung wird der Unterschieds­ 3 Vgl. Gaber, Bankbilanz nach HGB, 2014, S. 208, 187 ff. Beispielhaft Bürgschaftsbank Branden-
burg GmbH, Jahresabschluss 2015, S. 11.
betrag anteilig abgeschrieben, 2 allerdings ohne ausdrückliche
4 Vgl. Schorr/Fritz, DStR 2017 S. 1223 (1226 f.); ähnlich auch Krumnow/Sprißler et al., Rechnungs-
Nennung des § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB. Nur im Fall eines wäh­ legung der Kreditinstitute, 2. Aufl. 2004, § 340e HGB Rn. 51.
rend der Restlaufzeit der Schuldverschreibung unveränderten 5 Vgl. beispielhaft Bürgschaftsbank Thüringen GmbH, Jahresabschluss 2015, S. 9; Leipziger Volksbank
Zinsniveaus löst sich der Unterschied quasi planmäßig auf. eG, Jahresabschluss 2015, S. 17; Niedersächsische Bürgschaftsbank (NBB) GmbH, Jahresabschluss
2015, S. 11; VR-Bank Mittelfranken West eG, Jahresabschluss 2016, S. 21; VR-Bank Rhein-Neckar eG,
1 Vgl. Burghardt, in: IDW (Hrsg.), WP-Handbuch, Band I, 14. Aufl. 2012, J. Tz. 324; DGRV, Jahres­ Jahresabschluss 2015, S. 21; Sparda-Bank München eG, Jahresabschluss 2015, S. 18; Internationales
abschluss der Kreditgenossenschaft, 6. Ergz. zur 5. Aufl. 2017, B. II, S. 54, Rn. 363; Scharpf/Scha- Bankhaus Bodensee AG, Jahresabschluss 2016, S. 22, alle unter www.unternehmensregister.de.
ber, Handbuch Bankbilanz, 6. Aufl. 2015, S. 315. 6 Vgl. dazu Moxter, Bilanzlehre, Bd. I, 1984, S. 149 ff.
2 Vgl. DGRV, a.a.O. (Fn. 1), B. II, Rn. 363; Scharpf/Schaber, a.a.O. (Fn. 1), S. 315; Birck/Meyer, Die 7 ABlEG 1986, Nr. L 372 S. 1, zuletzt geändert durch die RL 2006/46/EG, ABlEU 2006, Nr. L 224 S. 1.
Bankbilanz, 3. Aufl., Teillieferung 5, 1989, S. 108. 8 Zur Berücksichtigung der Finanzrechtsprechung durch den Abschlussprüfer siehe IDW PS 201, Tz. 8.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2365


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schuldverschreibung trotz ihrer Verbriefung wirtschaftlich lend“ geregelt.22 Eine generelle Regelung einer wirtschaftlichen
betrachtet eine Kapitalüberlassung des Inhabers der Schuld­ Betrachtungsweise lässt sich dem aber nicht entnehmen.23
verschreibung an den Emittenten.9 Die entgeltliche Kapital­ Die EU hat durch Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie
überlassung ist nach der BFH-Rspr. ein schwebendes Geschäft. 2013/34/EU24 ausdrücklich eine generelle Berücksichtigung
Der Zinsanspruch wird nur zeitanteilig bis zum jeweiligen des wirtschaftlichen Gehalts für die Bilanz und die GuV gere­
Bilanzstichtag aktiviert und wird erst dann zu einem eigen­ gelt, allerdings bezogen auf den jeweiligen Geschäftsvorfall.
ständigen Vermögensgegenstand (Wirtschaftsgut). An den Davon kann der nationale Gesetzgeber gem. Art. 6 Abs. 3 der
Zwischenerwerber gezahlte Stückzinsen (Zwischenzinsen) Richtlinie 2013/34/EU abweichen, wovon der Gesetzgeber des
führen zwar zu einem eigenständigen Vermögensgegenstand, BilRUG25 allerdings keinen Gebrauch machen wollte.26
der aber in dem regulär entstandenen Zinsanspruch gegen Aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2013/34/EU lässt sich
den Emittenten später aufgeht.10 Das bedeutet, dass das Kre­ aber keine Bestätigung der umfassenden wirtschaftlichen
ditinstitut nach dem Erwerb der Schuldverschreibung keine Betrachtung i.S. von Moxter ableiten, 27 da in der Richtlinie
zukünftigen Zinsansprüche aktiviert. explizit auf den einzelnen Geschäftsvorfall und eben nicht auf
Im Hinblick auf den Ausgangspunkt muss geklärt werden, ob die Rechtsnorm abgestellt wird. Allerdings ist hinreichend klar,
und welche Rolle die wirtschaftliche Betrachtungsweise im dass die Ausgestaltung der zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse
Handelsbilanzrecht spielt. Zunächst lohnt sich jedoch noch mit ihren mannigfaltigen Gestaltungsmöglichkeiten weder die
ein kurzer Blick auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise Handelsbilanz noch die GuV beeinflussen darf.28 Insoweit lässt
im Steuerrecht. Dort ist die wirtschaftliche Betrachtungs­ sich von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise sprechen.
weise nicht gänzlich unumstritten11 und hat eine wechselvolle In der Gesetzesbegründung29 des BilRUG wird davon ausgegan­
Geschichte erlebt. Diese ist durch Überschwang, aber auch gen, dass diese wirtschaftliche Betrachtungsweise in Deutsch­
durch ein Zurückdrängen zugunsten einer zivilrechtlichen land bereits unter Berücksichtigung der GoB umgesetzt ist. 30
Sichtweise geprägt.12 Eine konkrete Norm im HGB wird jedoch nicht angegeben. Sys­
U.E. ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Handels­ tematisch sind die GoB gem. § 238 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 1 HGB
bilanzrecht weniger umstritten als im Steuerrecht, wobei es dafür der passende Ort, da auf die Buchführung und damit auf
allerdings auch deutliche methodische Unterschiede gibt. Geschäftsvorfälle Bezug genommen wird. Diese wirtschaftliche
Moxter vertritt die wirtschaftliche Betrachtungsweise als teleo­ Betrachtungsweise steht damit jedoch auch unter dem Vorbehalt
logische Auslegung aller Handelsbilanznormen und beruft sich anderer GoB. Das widerspricht nicht dem Unionsrecht, da die
dafür auf die Struktur des Handelsbilanzrechts.13 Andere Auto­ Richtlinie 2013/34/EU eine solche Abweichung durch die Mit­
ren sehen die wirtschaftliche Betrachtungsweise in § 246 Abs. 1 gliedstaaten gem. Art. 6 Abs. 3 ausdrücklich zulässt.
Satz 2 HGB verankert,14 andere hingegen in § 238 Abs. 1 HGB.15 Es kann hier ungeklärt bleiben, ob der von Beisse vertretenen
Eine ausschließlich teleologische Auslegung des Handelsbilanz­ Ansicht zu folgen ist, die Bilanzrichtlinien der EU hätten wegen
rechts i.S. einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise lässt sich u.E. ihres eingeschränkten Anwendungsbereichs keine Auswirkung
nicht begründen, weil sie die subjektiv-historische Auslegung16 auf die Vorschriften für alle Kaufleute.31 Das wiederum hängt mit
jeder einzelnen Norm unberücksichtigt lässt. Die subjektiv-histo­ der Frage zusammen, ob es rechtsform- oder branchenspezifische
rische Auslegung wird zutreffend als demokratische17 Auslegung GoB geben kann.32 Der nationale Gesetzgeber ist über den zwin­
bezeichnet18 und spielt in der Rspr. des BVerfG (mittlerweile) eine gend erforderlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/34/
bedeutende Rolle.19 Dies wird auch als eine Rückbesinnung der EU hinausgegangen. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise von
Rspr. eingeschätzt.20 Außerdem ist noch das höherrangige Unions­ Geschäftsvorfällen gilt somit insb. auch für Einzelkaufleute.
recht zu beachten (vgl. Abschn. V. und VII.). Zusammenfassend lässt sich aufgrund der oben skizzierten
Der Gesetzgeber des BilMoG21 hat in § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB die wirtschaftlichen Betrachtungsweise feststellen, dass die Inha­
wirtschaftliche Zurechnung i.S. der bisherigen Praxis „klarstel­ berschuldverschreibung eine Kapitalüberlassung des Inhabers
an den Emittenten ist. Damit ist jedoch nicht entschieden, ob
9 Vgl. BFH vom 29.11.2006 – I R 46/05, BStBl. II 2009 S. 955 = DB 2007 S. 718; a.A. Plewka/Schim-
§ 340e Abs. 2 Satz 3 HGB auf Inhaberschuldverschreibungen
mele, DB 1998 S. 2494 (2496), Hahne, DB 2003 S. 1397; a.A. für das BewG BFH vom 15.07.1998
– II R 40/97, BStBl. II 1999 S. 337 = DB 1998 S. 2503. anzuwenden ist. Dies erfordert insb. eine Beschäftigung mit
10 Vgl. BFH vom 18.12.2002 – I R 11/02, DStR 2003 S. 499 = DB 2003 S. 694. der Gesetzgebungsgeschichte des § 340e Abs. 2 Satz 3 HGB, die
11 Vgl. z.B. Kruse, Steuerrecht, Bd. I, 1991, § 6 IV 2. e), m.w.N. nicht durch eine generelle teleologische Betrachtung des Han­
12 Vgl. ausführlich Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, S. 1630 ff., m.w.N. delsbilanzrechts i.S. einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise
13 Vgl. Moxter, StuW 1989 S. 232 ff.
ersetzt werden kann.
14 Vgl. Böcking/Gros, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), HGB, 3. Aufl. 2014, § 243 Rn. 6;
Ballwieser, in: MüKo-HGB, 3. Aufl. 2013, § 246 HGB Rn. 9; Braun, in: Clausen/Scherrer (Hrsg.), 22 Vgl. RegE BilMoG, BT Drucks. 16/10067 S. 47.
Kölner Komm. z. Rechnungslegungsrecht, 2011, § 246 HGB Rn. 38. 23 Vgl. Naumann/Breker/Siebler/Weiser, in: Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann (Hrsg.),
15 Vgl. Körner, BB 1986 S. 1950 (1951); W. Müller, in: Mellwig/Moxter/Ordelheide (Hrsg.), Einzel­ Handbuch des Jahresabschlusses, April 2017, I/7 Rn. 87; möglicherweise a.A. Kußmaul/Gräbe,
abschluß und Konzernabschluß, Beiträge zum neuen Bilanzrecht, 1988, S. 23; wohl auch Kuß- a.a.O. (Fn. 15), S. 384.
maul/Gräbe, in: Petersen/Zwirner (Hrsg.), BilMoG, 2009, S. 384. 24 ABlEU 2013, Nr. L 182 S. 19.
16 Vgl. weiterführend Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl. 2015, Rn. 778 ff. 25 BGBl. I 2015 S. 1245.
17 Aus diesem Grund auch differenzierend nach dem demokratischen Gehalt Waldhoff, in: Fleischer 26 Vgl. RegE BilMoG, BT Drucks. 16/10067 S. 47.
(Hrsg.), Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 2012, S. 86 f. 27 A.A. Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, NZG 2014 S. 892 (894).
18 Vgl. Hillgruber, in: Maunz/Düring (Hrsg.), GG, September 2016, Art. 97 Rn. 57; ausführlich Rüthers/ 28 Vgl. Hennrichs, WPg 2015 S. 315 (319).
Fischer/Birk, a.a.O. (Fn. 16), Rn. 730c, 778 ff.; dem Grunde nach auch Tipke, a.a.O. (Fn. 12), S. 1602 f. 29 Vgl. BVerfG vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, DStR 2017 S. 1094; BGH vom 16.09.2016 – VGS 1/16,
19 Vgl. BVerfG vom 31.10.2016 – 1 BvR 871/13, 1 BvR 1833/13, NVwZ 2017 S. 617 und 25.01.2011 r+s 2017 S. 101; BFH vom 28.11.2016 – GrS 1/15, DStR 2017 S. 305; ablehnend Hohmann, StuW
– 1 BvR 918/10, NJW 2011 S. 842, beide m.w.N; ausführlich zur Entwicklung der Rspr. Fleischer, 2017 S. 177 ff., m.w.N.
in: Fleischer (Hrsg.), Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 2012, S. 11 ff. 30 Vgl. RegE BilRUG, BT-Drucks. 18/4050 S. 44; skeptisch Lüdenbach/Freiberg, BB 2014 S. 2219 (2225).
20 Vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse (Hrsg.), AO/FGO, April 2017, § 4 AO Rn. 294. 31 Vgl. Beisse, BB 1999 S. 2181 (2184).
21 BGBl. I 2009 S. 1102. 32 Vgl. Ballwieser, a.a.O. (Fn. 14), § 243 HGB Rn. 72 ff., m.w.N.

2366 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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IV. Einführung in die Bankbilanzrichtlinie sischen46 Sprachfassungen ergibt sich nur der – wenn auch sehr
An einer Bankbilanzrichtlinie der damaligen EG wurde seit bedeutsame – Grundsatz: Der positive Unterschiedsbetrag
den 1970er Jahren gearbeitet. Erst nach langwierigen Arbei­ zwischen den Anschaffungskosten und dem Rückzahlungs­
ten33 konnte sie am 31.12.198634 veröffentlicht werden. Sie ist im betrag einer Schuldverschreibung ist als Aufwand in der
Kontext der Einrahmung durch die Vierte Richtlinie über den GuV zu verbuchen (Bilanzierung zum Nominalwert). Diesen
Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen Grundsatz kann der nationale Gesetzgeber für Kreditinstitute
(RL 78/660/EWG)35 und der Siebenten Richtlinie über den konso­ (auch) durch einen aufwandswirksamen Anschaffungsvor­
lidierten Abschluss (RL 83/349/EWG)36 einzuordnen. Trotz der gang umsetzen (Zugangsbewertung).
Regelung als selbstständige Richtlinie sollte kein unabhängiges Eine Abschreibung des Unterschiedsbetrags ist gem. Art. 35
Normenwerk von der Vierten bzw. der Siebenten Richtlinie Abs. 3 Buchst. b Satz 2 der Bankbilanzrichtlinie nur bei Ausübung
geschaffen werden, da „die Kreditinstitute nicht außerhalb des des Mitgliedstaatenwahlrechts geregelt. Danach dürfen die Mit­
für alle Unternehmen konzipierten Normenwerks stehen“37 kön­ gliedstaaten als Ausnahme regeln, dass der Unterschiedsbetrag
nen. Vielmehr sollten nur branchenbedingte Abweichungen von zeitanteilig bis zur Rückzahlung abgeschrieben wird oder den
der Vierten und Siebenten Richtlinie geregelt werden.38 Kreditinstituten – wie in Österreich erfolgt – ein entsprechen­
In den Erwägungsgründen der Bankbilanzrichtlinie ist ausge­ des Wahlrecht gewähren. Gem. Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 3
führt, dass eine bessere Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse der Bankbilanzrichtlinie muss der Mitgliedstaat im Fall der
gewährleistet werden soll.39 Die Erwägungsgründe sind Teil des Gewährung des Wahlrechtes weiterhin regeln, dass der Unter­
Rechtsaktes,40 also der Richtlinie. schiedsbetrag in der Bilanz oder im Anhang ausgewiesen wird.
Besonders relevant für die Untersuchung ist Art. 35 Abs. 3 Diese andersartige Regelung ist abschließend und gewährt keine
Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie. Dieser regelt den darüber hinausgehenden Optionen für die Mitgliedstaaten.47
Erwerb von Schuldverschreibungen über pari, während Art. 35
Abs. 3 Buchst. c Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie den Erwerb V. Verhältnis der Richtlinie zu nationalem Recht
unter pari regelt. Das Verhältnis von dem hier interessierenden Art. 288 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Umsetzung
Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 Bankbilanzrichtlinie zu Art. 35 von Richtlinien in ihr nationales Recht. Es besteht eine Verpflich­
Abs. 3 Buchst. a der Bankbilanzrichtlinie ist die speziellere tung zur richtlinienkonformen Auslegung48 der entsprechenden
Regelung zur allgemeineren. Das bedeutet, dass der Unter­ HGB-Regelungen. Grenze der richtlinienkonformen Auslegung
schiedsbetrag – vorbehaltlich der Ausübung des Mitgliedstaa­ bildet die Rechtsmethodologie.49 Soweit eine Richtlinie der EU
tenwahlrechts – zwingend als Aufwand zu behandeln ist. nicht oder nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt
Offenbleiben kann an dieser Stelle die Frage, inwieweit bei wurde, kann sie auch unmittelbar wirksam werden.50 Voraus­
der Folgebewertung für eine Schuldverschreibung noch auf setzung dafür ist zunächst, dass die Richtlinie hinreichend klar
Art. 35 Abs. 3 Buchst. a Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie zurück­ und bestimmt ist. Die Wirkung der Richtlinie erstreckt sich auf
gegriffen werden könnte und ob dieser wegen der späteren den säumigen Mitgliedstaat und seine Behörden.
Einlösung der Schuldverschreibung zum Nominalbetrag eine Der EuGH fasst den Begriff des Staates recht weit, 51 sodass die
außerplanmäßige Abschreibung bei der Erhöhung des allge­ Einbeziehung des Abschlussprüfers oder des genossenschaft­
meinen Zinsniveaus verhindert.41 lichen Prüfers als möglich erscheint. Der EuGH beschränkt
Noch nicht erörtert wurde bislang im Rahmen dieser Unter­ die unmittelbare Wirkung von Richtlinien im horizontalen
suchung, ob Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie Verhältnis zwischen Privaten nur dann, wenn diesen unmit­
eine bestimmte Art der Umsetzung der Aufwandsbuchung regelt. telbar eine Verpflichtung auferlegt würde.52 Dieser Fragekreis
Schorr/Fritz gehen von einer erfolgsneutralen Anschaffung der kann jedoch an dieser Stelle noch offenbleiben, weil zuerst eine
Schuldverschreibung mit anschließender Sofortabschreibung richtlinienkonforme Auslegung des Gesetzes zu versuchen ist.
aus (Folgebewertung).42 Schwartze hingegen nimmt wohl an,
dass Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie eine VI. Umsetzung der Bankbilanzrichtlinie in Österreich
„Anschaffungskostenbewertung“ i.H. des Nominalwerts gebietet.43 Österreich hat im Hinblick auf den Beitritt zur EG das österrei­
U.E. regelt der Wortlaut des Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 chische KWG durch das BWG53 abgelöst.54 Das Wahlrecht für
Bankbilanzrichtlinie weder das eine noch das andere. Aus den Unterschiedsbetrag wurde in Österreich entsprechend der
den deckungsgleichen deutschen44 , englischen45 und franzö­ Bankbilanzrichtlinie in § 56 Abs. 2 BWG geregelt.55
46 „…la difference doit être prise en charge au compte de profits et pertes.“
33 Zu den Einzelheiten vgl. Bader, in: Sonnemann (Hrsg.), Bankbilanzierung und Bankprüfung, 47 Zu dieser Unterscheidung vgl. Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 122 f.
1988, S. 15, 23 ff. und Göth, Bilanzrecht der Kreditinstitute, Bd. I, 1995, S. 28 ff. und Najderek, 48 Vgl. EuGH vom 10.04.1984 – Rs. 14/83, Colson und Kamann, ECLI:EU:C:1984:153 = DB 1984
Harmonisierung des Europäischen Bilanzrechts, 2009, S. 7 ff. S. 1042; st. Rspr. vgl. nur Geismann, in: v. d. Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Uni-
34 ABlEG 1986, Nr. L 372 S. 1. onsrecht, 2015, Art. 288 Rn. 55, m.w.N. und Hennrichs, WPg 2015 S. 315.
35 ABlEG 1978, Nr. L 222 S. 11. 49 Vgl. BVerfG vom 26.09.2011 − 2 BvR 2216/06, NJW 2012 S. 669; EuGH vom 24.01.2012 −
36 ABlEG 1983, Nr. L 193 S. 1. C-282/10, Maribel Dominguez/Centre informatique du Centre Ouest Atlantique, Préfet de la
37 Siehe Erwägungsgründe Bankbilanzrichtlinie, ABlEG 1986, Nr. L 372 S. 1. région Centre, ECLI:EU:C:2012:33 = DB 2012 S. 354.
38 Siehe Erwägungsgründe Bankbilanzrichtlinie, ABlEG 1986, Nr. L 372 S. 1. 50 Vgl. EuGH vom 22.09.1983 – Rs. 271/83, Ministère Public/Auern, EUGHE 83, 2727 = NJW 1984
39 Siehe Erwägungsgründe Bankbilanzrichtlinie, ABlEG, 1986, Nr. L 372 S. 1. S. 2022; weitere Nachweise bei Geismann, a.a.O. (Fn. 48), Art. 288 Rn. 47.
40 Weiterführend vgl. Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 178. 51 Vgl. EuGH vom 12.07.1990 – Rs. C – 188/89, Foster/British Gas, ECLI:EU:C:1990:313 = NJW 1991 S. 3086.
41 Vgl. zu Letzterem Schwartze, Deutsche Bankenrechnungslegung nach europäischem Recht, 52 Vgl. EuGH vom 07.01.2004 – C-201/02, Wells, ECLI:EU:C:2004:12 = NVwZ 2004 S. 593; ausführ-
1990, S. 217 f. lich Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 63 ff.
42 Vgl. Schorr/Fritz, DStR 2017 S. 1223 (1226). 53 öBGBl. 1993 S. 3903.
43 Vgl. Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 218. 54 Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Göth, a.a.O. (Fn. 33), S. 41 ff.
44 „…muss der Unterschiedsbetrag als Aufwand in der GuV verbucht werden.“ 55 Vgl. Regierungsvorlage Finanzmarktanpassungsgesetz, 1130 der Beilagen zu den Stenographi-
45 „…the difference must be charged to the profit and loss account.“ schen Protokollen des Nationalrates XVIII. GP S. 146.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2367


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§ 56 BWG Eine Ansicht in der Literatur wendet trotzdem § 340e Abs. 2


… HGB auf verbriefte Forderungen i.S. der §§ 7, 16 RechKredV
(2) Sind die Anschaffungskosten dieser Wertpapiere höher als der an, 64 soweit sie als Buchforderung in der Rechnungslegung
Rückzahlungsbetrag, so ist der Unterschiedsbetrag als Aufwand in des Kreditinstituts ausgewiesen werden.65 Die Gesetzgebungs­
der GuV zu verbuchen. Der Unterschiedsbetrag kann auch zeitantei- geschichte schließt jedenfalls die hier in Rede stehenden
lig abgeschrieben werden. Dieser ist jedoch gesondert in der Bilanz erworbenen börsenfähigen festverzinslichen Inhaberschuld­
oder im Anhang auszuweisen. verschreibungen sogar auf der Basis des großzügigeren RegEs
… klar aus, 66 sodass § 340e Abs. 2 HGB in dem hier diskutierten
Als Grundregel ist die aufwandswirksame Nominalwertbilan­ Fall keine Anwendung findet. Der Streit kann im Übrigen hier
zierung vorgesehen. 56 Allerdings können die Kreditinstitute dahingestellt bleiben. Für eine analoge Anwendung des § 340e
den Unterschiedsbetrag auch planmäßig abschreiben und Abs. 2 HGB auf Schuldverschreibungen ist daher kein Raum.
diesen Aufwand gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 BWG als Ertragsminde­ Die Gesetzgebungsgeschichte spricht eindeutig dagegen und
rung in der GuV behandeln. Steuerbilanziell sind allerdings die durch die Verweisung des § 340e Abs. 1 Satz 2 HGB auf die all­
Anschaffungskosten anzusetzen.57 gemeinen Bilanzierungsregeln gibt es keinen Regelungsbedarf.
Als Zwischenergebnis lässt sich Folgendes festhalten: Deutsch­
VII. Umsetzung der Bankbilanzrichtlinie in Deutschland land hat von seinem Wahlrecht nach der Bankbilanzrichtlinie
In Deutschland erfolgte die Umsetzung der Bankbilanzrichtlinie zu einer planmäßigen Abschreibung des Unterschiedsbetrags
durch das Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates zwischen den Anschaffungskosten und dem Rückzahlungs­
der Europäischen Gemeinschaften über den Jahresabschluss betrag einer Schuldverschreibung durch § 340e Abs. 1 Satz 2
und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen HGB keinen Gebrauch gemacht.
Finanz­instituten (Bankbilanzrichtlinie-Gesetz),58 wodurch u.a. Überprüft werden muss noch, ob Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 2
ein neuer, Vierter Abschnitt in das Dritte Buch des HGB ein­ der Bankbilanzrichtlinie durch eine andere Regelung des HGB
gefügt wurde. Gem. Art. 30 Abs. 1 EGHGB war das neue Recht richtlinienkonform umgesetzt worden ist. Dies könnte entweder
grds. auf Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.1992 durch eine planmäßige Abschreibung des Unterschiedsbetrags
begonnen hatten. Gestützt auf § 330 Abs. 2 HGB i.d.F. des Bank­ (als Ausübung Mitgliedstaatenwahlrechtes) oder durch Regelung
bilanzrichtlinie-Gesetzes wurde die RechKredV erlassen.59 eines aufwandswirksamen Anschaffungsvorgangs erfolgt sein.
Der RegE zum Bankbilanzrichtlinie-Gesetz ging davon aus, dass
Art. 35 der Bankbilanzrichtlinie durch § 340e HGB umgesetzt VIII. Keine planmäßige Abschreibung einer
wurde.60 Deutschland hat dabei eine Regelung zur aufwands­ Inhaberschuldverschreibung
wirksamen Nominalwertbilanzierung in § 340e Abs. 2 HGB Schuldverschreibungen, die bis zur Endfälligkeit gehalten werden
aufgenommen, diese allerdings auf Hypothekendarlehen und sollen, dienen dauernd dem Geschäftsbetrieb eines Kreditinstitu­
andere Forderungen beschränkt. Der Gesetzgebungsgeschichte tes. Damit finden gem. § 340e Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. § 340e Abs. 1
lässt sich entnehmen, dass schon die damalige Bundesregie­ Satz 1 HGB die allgemeinen Regelungen für Anlagevermögen gem.
rung erworbene Schuldverschreibungen davon ausschließen § 253 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 HGB67 i.S. einer partiellen Rechts­
wollte.61 Der Rechtsausschuss des Bundestags sah es in seinem grundverweisung Anwendung. Eine Rechtsgrundverweisung im
Bericht und seiner Beschlussempfehlung für das Plenum des Gegensatz zu einer Rechtsfolgenverweisung ist gegeben, wenn die
Bundestages – wegen einer Änderung des Wortlauts des § 340e Rechtsfolge der anderen Rechtsnorm nur bei der Erfüllung von
Abs. 2 HGB im Gesetzgebungsverfahren – noch enger: Danach deren Tatbestandsmerkmalen eintritt.68 Partielle Rechtsgrund­
sollte ein Wertpapier nur dann gem. § 340e Abs. 2 HGB bilanziert verweisung bedeutet, dass nicht alle Tatbestandsmerkmale für
werden, wenn dieses als Forderung ausgewiesen wird62 (nach der den Eintritt der Rechtsfolge erfüllt sein müssen.
RechKredV). Die h.M. geht davon aus, dass § 340e Abs. 2 HGB auf Partiell ist die Verweisung durch § 340e Abs. 1 Satz 2 HGB, weil
Hypothekendarlehen und andere Forderungen beschränkt ist.63 der Jahresabschluss eines Kreditinstitutes nicht durchgehend in
Im Fall der Ausübung des Mitgliedstaatenwahlrechtes zur Anlage- und Umlaufvermögen aufgegliedert wird, vgl. §§ 12 ff.
ausschließlich zeitanteiligen Abschreibung des Unterschieds­ RechKredV. Dies entspricht der Gesetzgebungs­geschichte
betrags gem. Art. 35 Abs. 3 b Satz 2 Bankbilanzrichtlinie hätte anlässlich der Umsetzung der Bankbilanzricht­linie.69 Trotzdem
zudem auch der zwingende Ausweis des Unterschiedsbetrags müssen die übrigen Voraussetzungen jeweils erfüllt sein. Das
in der Bilanz oder dem Anhang gem. Art. 35 Abs. 3 Buchst. b ergibt sich daraus, dass § 340e Abs. 1 Satz 2 HGB grds. nur
Satz 3 Bankbilanzrichtlinie geregelt werden müssen. Ein pauschal auf die Vorschriften (Mehrzahl) für Umlaufvermögen
solcher Ausweis wurde aber weder im HGB noch in der Rech­ bzw. über den Verweis auf Satz 1 pauschal über die Vorschriften
KredV ausdrücklich geregelt. (Mehrzahl) für Anlagevermögen verweist. Da § 253 HGB mehrere
Rechtsfolgen für Anlage- und Umlaufvermögen enthält, ist eine
56 Vgl. Chini/Oppitz, Bankwesengesetz, 3. Aufl. 2011, § 56 BWG Rn. 8. bloße Rechtsfolgenverweisung ausgeschlossen.
57 Vgl. VwGH vom 26.07.2005 – 2002/14/0039.
Anders als bei einem Gebäude eines Kreditinstitutes scheidet
58 BGBl. I 1990 S. 2570.
59 BGBl. I 1992 S. 203. eine planmäßige Abschreibung einer Schuldverschreibung
60 Vgl. RegE Bankbilanzrichtlinie-Gesetz, BT Drucks. 11/6275 S. 15. gem. § 253 Abs. 3 Satz 1 HGB aus. Nach allgemeiner Meinung
61 Vgl. RegE Bankbilanzrichtlinie-Gesetz, BT Drucks. 11/6275 S. 22 f.
62 Vgl. Rechtsausschuss BT Drucks. 11/6786 S. 26. 64 Vgl. Schorr/Fritz, DStR 2017 S. 1223 (1226 f.).
63 Vgl. Scharpf/Schaber, a.a.O. (Fn. 1), S. 129: Böcking/Morawietz/Torabian, in: MüKo-HGB, 3. Aufl. 65 Vgl. Krumnow/Sprißler et al., a.a.O. (Fn. 4), § 340e HGB Rn. 51.
2013, § 340e HGB Rn. 20; Böcking/Gros/Helke/Morawietz, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn 66 Vgl. RegE Bankbilanzrichtlinie-Gesetz, BT Drucks. 11/6275 S. 23.
(Hrsg.), HGB, 3. Aufl. 2014, § 340e HGB Rn. 12.; Löw, in: Hennrichs/Kleindiek/Watrin (Hrsg.), MüKo- 67 Vgl. Löw, a.a.O. (Fn. 63), § 340e HGB Rn. 1.
Bilanzrecht, 2013, § 340e HGB Rn. 14; Merkt, in: Baumbach/Hopt (Hrsg.), HGB, 37. Aufl. 2016, § 340e 68 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, a.a.O. (Fn. 16), Rn. 132.
HGB Rn. 6; Morck, in: Koller/Kindler/Roth/Morck (Hrsg.), HGB, 8. Aufl. 2015, § 340e HGB Rn. 2. 69 Vgl. RegE Bankbilanzrichtlinie-Gesetz, BT Drucks. 11/6275 S. 22.

2368 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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sind Finanzanlagen nicht abnutzbar und können somit auch Wort „höchstens“ wird dementsprechend als missverständlich
nicht planmäßig abgeschrieben werden.70 Das muss insb. für bezeichnet.76
börsenfähige festverzinsliche Schuldverschreibungen gelten, Als Argumente für diese Neutralität von Anschaffungsvorgängen
deren Nominalwert (Rückzahlungsbetrag) sich über deren werden neben dem Realisationsprinzip gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB,77
Restlaufzeit nicht verändert. Schwartze hat bereits früher das Einblicksgebot (Fair Value-Bewertung) gem. § 264 Abs. 2 Satz 1
zutreffend darauf hingewiesen, dass sich allgemeine Zinsverän­ HGB78, § 5 Abs. 7 EStG79 und die richtlinienkonforme Auslegung im
derungen nicht auf die Substanz einer Forderung auswirken.71 Hinblick auf die Art. 35 Abs. 1 Buchst. a und 39 Abs. 1 Buchst. a der
Mögliche Wertveränderungen am Markt sind u.a. vom Zins­ Vierten Gesellschaftsrichtlinie80 (RL 78/660/EWG) angeführt.
niveau und Zinserwartungen abhängig, deren Entwicklungen Der Hinweis auf § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB gegen einen aufwands­
sich aber auch nicht zwingend planmäßig vollziehen. Die oben wirksamen Anschaffungsvorgang vermag bei einem niedrigeren
dargestellte h.M. zur Bilanzierung von über pari erworbenen Wertansatz als den Anschaffungskosten nicht zu überzeugen. Die
Schuldverschreibungen stützt sich daher wohl – ohne aus­ (Zins-)Politik der EZB spricht im Fall der festverzinslichen Schuld­
drückliche Nennung – auf § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB. verschreibungen sogar eher für eine vorsichtige Bewertung i.S. des
Eine außerplanmäßige Abschreibung ist jedoch keine plan­ Imparitätsprinzips gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 HGB. Es drohen
mäßige, wie es Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 2 der Bankbilanz­ nämlich Verluste. Eine systematische Gesetzesauslegung ausge­
richtlinie fordert. Außerplanmäßige Abschreibungen können hend vom EStG hin zum HGB würde einen entsprechenden Plan
den Jahresüberschuss rein rechnerisch gesehen zwar wie eine des Gesetzgebers voraussetzen. Ein solcher ist nicht erkennbar, eine
planmäßige Abschreibung beeinflussen, solange das Zinsniveau umgekehrte Maßgeblichkeit besteht nicht (mehr).
während der Restlaufzeit der jeweiligen Schuldverschreibung Anhand der Gesetzgebungsgeschichte lässt sich zunächst noch
unverändert bleibt. Das ist alles andere als gesichert und würde erklären, warum der Gesetzgeber das Wort „höchstens“ verwandt
bei einer späteren Erhöhung des Zinsniveaus zu einem entspre­ hatte. Es sollte nämlich eine rechtsformübergreifende Wert­
chend hohen außerplanmäßigen Abschreibungsbedarf führen. obergrenze geregelt werden, aber keine rechtsformübergreifende
Es ist auch mit dem Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der Bank­ Wertuntergrenze. Eine solche sollte nur im Anwendungsbereich
bilanzrichtlinie innewohnenden Vorsichtsprinzip72 unvereinbar. der Vierten Gesellschaftsrichtlinie greifen. Durch § 253 Abs. 4 HGB
Eine Ausübung des Wahlrechtes gem. Art. 35 Abs. 3 Buchst. b a.F. sollte im Übrigen sichergestellt werden, dass es über die GoB zu
Satz 2 der Bankbilanzrichtlinie durch deutsche Rechnungs­ keiner allgemein geltenden Wertuntergrenze kommt.81 Der etwas
legungsvorschriften scheidet damit aus.73 Unionsrechtlich ist spätere RegE zur Umsetzung der Bankbilanzrichtlinie passt dazu
in Deutschland der Ansatz von über pari erworbenen Schuld­ nicht mehr. Dort wird ausgeführt, dass eine weitreichende Nomi­
verschreibungen zum Nominalwert geboten. nalwertbilanzierung zu einer grundsätzlichen Durchbrechung des
Anschaffungskostenprinzips führen würde.82
IX. Ausnahmsweise aufwandswirksamer Angesichts dieser Ausführungen ist ein wenig überraschend, wenn
Anschaffungsvorgang im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum BilMoG83 von einer
Es stellt sich aber die Frage, ob in Deutschland Art. 35 Abs. 3 rein redaktionellen Änderung des § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB ausge­
Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie – Nominalwertbilan­ gangen und gleichzeitig von einem grundsätzlich fortbestehenden
zierung – richtlinienkonform umgesetzt worden ist. Anschaffungskostenprinzip ausgegangen wird.84 Nicht weiter aus­
Der Wortlaut des § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB mit dem Wort „höchs­ geführt wurden die Ausnahmen von diesem Grundsatz. Zusam­
tens“ lässt den Ansatz einer Schuldverschreibung mit dem menfassend lässt sich festhalten, dass die Gesetzgebungsgeschichte
Nominalwertbetrag – und damit unter den höheren Anschaf­ zu § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB aufgrund der widersprüchlichen Aus­
fungskosten – zu. In Höhe des Differenzbetrags entsteht ein führungen sich als wenig ergiebig für dessen Auslegung erweist.
sofortiger Aufwand (siehe Abschn. X.); dies ist aber keine Sofort­ Vor dem Hintergrund der vorhandenen Rechnungslegungsricht­
abschreibung. Dadurch würde Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der linien ist eine richtlinienkonforme Auslegung des § 253 Abs. 1
Bankbilanzrichtlinie ausreichend Rechnung getragen werden. Satz 1 HGB überlegenswert. Art. 6 Abs. 1 Buchst. i der (neuen)
Die Behandlung des Zweiterwerbs einer Schuldverschreibung Vierten Richtlinie über den Jahresabschluss von Gesellschaften
als aufwandswirksamer Anschaffungsvorgang passt jedoch bestimmter Rechtsformen (2013/34/EU) enthält zwar noch das
nicht zu der ganz h.M. Diese geht vom Grundsatz der Erfolgs­ Anschaffungskostenprinzip,85 allerdings wird dieser Grundsatz
neutralität der Anschaffung aus 74 und nimmt damit eine durch Art. 8 Abs. 1 derselben Richtlinie aufgeweicht. Damit
Wertuntergrenze für die Zugangsbewertung zu Anschaffungs­ wurde das Anschaffungskostenprinzip gegenüber Art. 35 Abs. 1
kosten an.75 Der Wortlaut des § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB mit dem Buchst. a der früheren Vierten Gesellschaftsrichtlinie etwas rela­
tiviert. Dies bedarf hier jedoch keiner weiteren Vertiefung, da das
70 Vgl. Schubert/Andrejewski/Roscher, in: Ellrott et al. (Hrsg.), Beck‘scher Bilanz-Kommentar, Verhältnis der Richtlinie (2013/34/EU) zur Bankbilanzrichtlinie
10. Aufl. 2016, § 253 HGB Rn. 460; Tiedchen, in: Hennrichs/Kleindiek/Watrin (Hrsg.), MüKo- für die richtlinienkonforme Auslegung entscheidend ist.
Bilanzrecht, 2013, § 253 HGB Rn. 12; Böcking/Gros, a.a.O. (Fn. 14), § 253 HGB Rn. 52; Merkt,
a.a.O. (Fn. 63), § 253 HGB Rn. 11; Kleindieck, in: Staub (Hrsg.), HGB, 5. Aufl. 2014, § 253 HGB, 76 Vgl. Tiedchen, a.a.O. (Fn. 70), § 253 HGB Rn. 12.
Rn. 85; Walz, in: Heymann (Hrsg.), HGB, 2. Aufl. 1999, § 253 Rn. 53. 77 Vgl. Tiedchen, a.a.O. (Fn. 70), § 253 HGB Rn. 13; Ballwieser, a.a.O. (Fn. 14), § 253 HGB Rn. 8.
71 Vgl. Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 218 f. 78 Vgl. Ekkenga, a.a.O. (Fn. 75), § 253 HGB Rn. 16.
72 Vgl. Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 218. 79 Vgl. Krumm, a.a.O. (Fn. 74), § 5 EStG Rn. 242.
73 Im Ergebnis auch Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 219. 80 Vgl. Ekkenga, a.a.O. (Fn. 75), § 253 HGB Rn. 16.
74 Vgl. BFH vom 14.12.2011 – I R 72/10, DB 2012 S. 488 und vom 26.04.2006 – I R 49, 50/04, BStBl. II 81 Vgl. Rechtsausschuss BT Drucks. 10/4268 S. 100; zur historischen Entwicklung vgl. ausführlich
2006 S. 656 = DB 2006 S. 1531; Ballwieser, a.a.O. (Fn. 14), § 253 Rn. 8; weiterführend Krumm, in: Blü- Leuschner, Die Anschaffungskosten, 2005, S. 15 ff.
mich (Hrsg.), EStG/KStG/GewStG, November 2016, § 5 EStG Rn. 241c, mit umfangreichen Nachweisen; 82 Vgl. RegE Bankbilanzrichtlinie-Gesetz, BT Drucks. 11/6275 S. 22.
einschränkend Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 7. Aufl. 2016, § 253 Rn. 13. 83 BGBl. I 2009 S. 1102.
75 Vgl. Tiedchen, a.a.O. (Fn. 70), § 253 HGB Rn. 12; Ekkenga, in: Clausen/Scherrer (Hrsg.), Kölner 84 Vgl. RegE BilMoG, BT Drucks. 16/10067 S. 52.
Komm. z. Rechnungslegungsrecht, 2011, § 253 HGB Rn. 16. 85 Vgl. Gröpl, in: Dauses (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht, Juni 2016, J. Steuerrecht, Rn. 378.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2369


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Die Bankbilanzrichtlinie enthält die spezielleren, sektoralen führen daher regelmäßig zu keinem ARAP, es sei denn diese ist
Regelungen.86 Die Notwendigkeit solcher speziellen Regelungen ebenfalls zeitraumbezogen.95 Der Zwischenerwerber (= Verkäufer
war im Übrigen auch schon vor Inkrafttreten der Vierten Gesell­ der Schuldverschreibung) selbst erbringt i.H. des Unterschiedsbe­
schaftsrichtlinie offen zu Tage getreten.87 Daher sah Art. 1 Abs. 2 der trags keine zeitraumbezogene Leistung an das Kreditinstitut.
Vierten Gesellschaftsrichtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten diese Trotzdem wird von Schwartze unter Berufung auf eine wirt­
nicht vor der Bankbilanzrichtlinie anwenden mussten. Bestätigt schaftliche Betrachtungsweise vertreten, dass es sich bei dem
wird diese Einschätzung durch Erwägungsgründe der Bankbilanz­ Unterschiedsbetrag um zinsähnliche Aufwendungen handele.
richtlinie, wonach diese kein unabhängiges Regelwerk gegenüber Außerdem würden sich die Auswirkungen in engen Grenzen hal­
den allgemeinen Bilanzrichtlinien sein soll. Materiell gerechtfertigt ten.96 Schon die aktuelle Zinsentwicklung – verursacht durch die
ist die Nominalwertbilanzierung durch das Vorsichtsprinzip des Politik der EZB – spricht gegen diese Sichtweise. Entscheidend ist,
Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie.88 dass die wirtschaftliche Betrachtung nicht auf den Unterschieds­
Dagegen spricht u.E. auch nicht das Einblicksgebot gem. Art. 4 betrag beschränkt werden kann. Wirtschaftlich betrachtet ist
Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2013/34/EU. Das Einblicksgebot hat die Schuldverschreibung nach der BFH-Rspr. ein Darlehen des
nach der EuGH-Rspr. zu Art. 2 Abs. 3 der Vierten Gesellschafts­ Inhabers an den Emittenten (siehe Abschn. III.). Der Veräußerer
richtlinie jedenfalls dann keine Auswirkungen auf den Bilanz­ ist der vormalige Darlehensgeber, der sich für die Übertragung
ansatz (und damit auf die GuV), wenn dieser gerade durch eine dieser Position von neuen Darlehensgeber hat bezahlen lassen.
Bilanzierungsrichtlinie vorgegeben wird und dies dem Grund­ Gegen die Behandlung des Unterschiedsbetrags als ARAP
satz der Vorsicht entspricht.89 Die gegen diese Rspr. des EuGH im spricht ebenso die Bankbilanzrichtlinie selbst. Ausweislich der
Hinblick auf Art. 6 Abs.1 Satz 1 Buchst. h der Richtlinie 2013/34/ Erwägungsgründe der Bankbilanzrichtlinie sollte eine bessere
EU erhobenen Einwände spielen hier keine Rolle.90 Bei dem Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse von Kreditinstituten
Zweiterwerb von Schuldverschreibungen über pari sind nämlich aus verschiedenen Mitgliedstaaten erreicht werden. 97 Dazu
keine verdeckten Einlagen durch Gesellschafter gegeben. war es ausweislich der Erwägungsgründe erforderlich, auch
Gegen einen erfolgswirksamen Anschaffungsvorgang können einzelne Geschäfte grundlegend zu regeln.
auch nicht die GoB gem. § 238 Abs. 1 HGB angeführt werden. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 250 Abs. 1
Zum einen können diese nur dann greifen, wo Regelungen im HGB oder § 340e Abs. 2 HGB auf den Unterschiedsbetrag sind nicht
HGB fehlen.91 Zum anderen können die GoB nicht im Wider­ erfüllt. Dafür wäre zunächst eine planwidrige Lücke im HGB erfor­
spruch zum Unionsrecht stehen. derlich. Planwidrig ist eine Lücke, wenn etwas im Gesetz geregelt
Somit ist Folgendes festzuhalten: Aufgrund der richtlinienkon­ sein sollte, dies tatsächlich aber nicht der Fall ist.98 Aufgrund obiger
formen Auslegung des § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB werden über pari richtlinienkonformer Auslegung des § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB fehlt
erworbene börsenfähige, festverzinsliche Inhaberschuldver­ es bereits an einer planwidrigen Lücke im Gesetz. Abgesehen davon
schreibungen zum Nominalwert bilanziert und der Unterschieds­ wäre eine Analogie zu § 250 Abs. 1 HGB oder § 340e Abs. 2 HGB
betrag als Aufwand behandelt. Daher bedarf es keines Rückgriffs wegen fehlender Richtlinienkonformität ausgeschlossen.
auf eine unmittelbare Wirkung der Bankbilanzrichtlinie.
XI. Ausweis des Unterschiedsbetrags in der GuV
X. Keine Bildung eines Aktiven Rechnungsabgrenzungs­ Es stellt sich noch die Frage, wie die aufwandswirksame
postens Anschaffung einer Schuldverschreibung in der GuV nach der
Für den Unterschiedsbetrag ist kein Aktiver Rechnungs­ RechKredV ausgewiesen wird. Bei Kreditinstituten gibt es
abgrenzungsposten (ARAP) zu bilden. In einer Kommentierung im Hinblick auf Art. 27 Nr. 18 bzw. Art. 28 A. Nr. 11 der Bank­
des § 340e Abs. 2 Satz 3 HGB wird ausgeführt, dass ohne diese bilanzrichtlinie immer noch außerordentliche Aufwendun­
Regelung der Unterschiedsbetrag als ARAP gem. § 250 Abs. 1 HGB gen. Trotzdem scheidet ein Ausweis als außerordentlicher
darzustellen wäre.92 Diese Ansicht ist zwar im Kontext mit § 340e Aufwand gem. § 340a Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. Formblatt 3
Abs. 2 Satz 1 HGB geäußert worden. Allerdings führt die Nominal­ Posten 21 (Staffelform) grds. aus, da es sich beim Erwerb von
wertbilanzierung gem. § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB zu einer ähnlichen Schuldverschreibungen über pari bei einem Kreditinstitut nor­
Lage, sodass eine Überprüfung dieser Ansicht geboten ist. malerweise um eine gewöhnliche Geschäftstätigkeit handelt.
Im steuerlichen Schrifttum wird die Bildung eines ARAP abgelehnt, Für die Frage der Außerordentlichkeit von Aufwendungen
wenn ein Zwischenerwerb der Schuldverschreibung stattgefunden kann auf § 277 Abs. 4 HGB a.F.99 zurückgegriffen100 werden.
hat. Begründet wird es mit der fehlenden Zinsregulation durch den Für den Fall der ebenfalls aufwandswirksamen Anschaffung
Zwischenerwerber.93 Diese Ansicht ist u.E. zutreffend. In Überein­ einer Forderung gem. § 340e Abs. 2 Satz 1 HGB fehlt eine spe­
stimmung mit der BFH-Rspr. und der h.M. ist davon auszugehen, zielle Regelung in der RechKredV.101 Die h.M. behandelt den
dass die Bildung eines ARAP neben einer Ausgabe auch eine Vor­ Sofortaufwand bei einem Forderungserwerb über pari nicht
leistung für eine Gegenleistung erfordert.94 Zahlungen an Dritte als Zinsaufwand, sondern als Minderung des Zinsertrags. Es
86 Vgl. Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 132.
87 Ausführlich Bader, a.a.O. (Fn. 33), S. 15, 23. 95 Vgl. BFH vom 19.01.1978 – IV R 153/72, BStBl. II 1978 S. 262; Schiefelbein, Transitorische RAP
88 Vgl. Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 218. nach Handels-/Steuerbilanz und IAS/IFRS, 2015, S 48.; ähnlich Göth, a.a.O. (Fn. 33), S. 312.
89 Vgl. EuGH vom 03.10.2013 – C-322/12 (GIMLE SA), ECLI:EU:C:2013:632 = NZG 2014 S. 36; vgl. 96 Vgl. dazu Schwartze, a.a.O. (Fn. 41), S. 218 f.
dazu Dziadkowski, IStR 2014 S. 461, 463 f., m.w.N. 97 Siehe Erwägungsgründe Bankbilanzrichtlinie, ABlEG, 1986, Nr. L 372 S. 1.
90 Vgl. Schön, ZHR 178 (2014) S. 373, 385. 98 Vgl. ausführlich zur Lückenfüllung Rüthers/Fischer/Birk, a.a.O. (Fn. 16), Rn. 832 ff. und Larenz,
91 Vgl. Pöschke, in: Staub (Hrsg.), HGB, 5. Aufl. 2014, § 238 HGB, Rn. 43, m.w.N. Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 370 ff., m.w.N.
92 Vgl. Böcking/Morawietz/Torabian, a.a.O. (Fn. 63), § 340e HGB Rn. 24. 99 Vgl. Kessler/Freisleben, in: Hennrichs/Kleindiek/Watrin (Hrsg.), MüKo Bilanzecht, § 277 Rn. 88,
93 Vgl. Werndl, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Hrsg.), EStG, April 2017, § 6 Rn. B 600 „Wertpapiere“. m.w.N., insb. zum Abstellen auf das jeweilige Unternehmen.
94 Vgl. BFH vom 14.11.2012 – I R 19/12, HFR 2013 S. 987 = RS0767676; weitere Nachweise zur 100 Vgl. Rechtsausschuss BT Drucks. 18/5256 S. 86.
Rspr. und Literatur bei Scheel, RAP und steuerliche Gewinnermittlung, 2010, S. 43 ff. 101 Vgl. Kröll/Balzer, in: Heymann (Hrsg.), HGB, 2. Aufl. 1999, § 340e HGB Rn. 19.

2370 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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handele sich nämlich wirtschaftlich um eine Korrektur des im Es ist keine Anhangangabe gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 RechKredV
Marktvergleich zu hohen Nominalzinses.102 zu machen, solange es zu keinem entsprechenden Wertverlust
Da es sich im Fall des Sofortaufwands bei Über-pari-Erwerb durch eine Erhöhung des Zinsniveaus oder zu einer Bonitäts­
gerade nicht um Aufwendungen mit Zinscharakter handelt, die verschlechterung des Emittenten der jeweiligen Schuldver­
im Zusammenhang mit der zeitlichen Verteilung eines Unter­ schreibung kommt. § 35 Abs. 1 Nr. 2 RechKredV verpflichtet
schiedsbetrags stehen, greifen die Grundgedanken des § 28 Satz 2 nämlich (nur) zur Offenlegung von noch nicht vorgenomme­
RechKredV bzw. des § 29 Satz 2 RechKredV nicht. Gegen die nen Abschreibungen auf den Buchwert.106
Behandlung als Zinsaufwand im Fall des Sofortaufwands spricht Aufgrund der Üblichkeit des Erwerbs von Schuldverschreibungen
zudem, dass es sich bei der Zahlung des Differenzbetrags an den über pari liegt grds. kein außerordentlicher Sachverhalt vor (siehe
Zwischenerwerber um keinen Zins handelt (s.o. Abschn. X.).103 Abschn. XI.), sodass die Anhangangabe gem. § 340a Abs. 2 Satz 5
Der Unterschiedsbetrag ist auf den Zwischenerwerber und nicht Hs. 2, Satz 6 HGB sowie § 35 Abs. 1 Nr. 4 RechKredV nicht greift.
auf den Schuldner der Schuldverschreibung zurückzuführen. Die Intransparenz im Anhang ist die Folge des durch den
Es handelt sich damit um keine Zinsregulierung. Abgesehen Gesetzgeber gem. § 340c Abs. 2 Satz 1 HGB gewährten Wahl­
davon würde eine Minderung der Zinserträge gegen das Ver­ rechts zur Durchbrechung des Verrechnungsverbots.
rechnungsverbot des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB verstoßen. § 340c Im Fall der Wesentlichkeit107 ist aber eine Erläuterung der Nominal­
Abs. 1 Satz 1 HGB ist nicht erfüllt, weil es sich um einen sofort wertbilanzierung bzw. deren Ergebnisauswirkung im Lagebericht
aufwandswirksamen Anschaffungsvorgang handelt (s.o.) und im Rahmen der Darstellung der Vermögenslage (hier: Wert­
daher keine Abschreibung der Schuldverschreibung erfolgt. papieranlage) und der Ertragslage (hier: Bewertungsergebnis)
Stattdessen ist der Differenzbetrag gem. § 340c Abs. 2 Satz 2 gem. § 340a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 289 Abs. 1 Satz 1 HGB notwendig.
HGB i.V.m. § 33 RechKredV als Aufwendungen im Zusammen­
hang mit Wertpapieren unter GuV-Posten 15104 gem. § 340a XIII. Behandlung in der Steuerbilanz
Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. Formblatt 3 (Staffelform) bzw. GuV Nr. 8 Abweichend von der Handelsbilanz sind gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1
gem. Formblatt 2 (Kontenform) zu erfassen. Es erfolgt explizit EStG generell die Anschaffungskosten anzusetzen. Dies folgt aus
keine außerplanmäßige Abschreibung; damit ist eine spätere dem Bewertungsvorbehalt gem. § 5 Abs. 6 EStG,108 der § 6 EStG
Zuschreibungspflicht gem. § 253 Abs. 5 Satz 1 HGB nicht rele­ zur steuerlichen Generalnorm für die Bewertung macht.109 Nach
vant. Der Gesetzgeber hat hier im Rahmen der Überkreuzkom­ einem Zwischenerwerb einer Inhaberschuldverschreibung sind als
pensation die Durchbrechung des Verrechnungsverbots – in Anschaffungskosten der gesamte aufgewendete Betrag, also inklu­
Übereinstimmung mit Art. 34 Abs. 2 der Bankbilanzrichtlinie – sive des Unterschiedsbetrags zum Nominalwert, anzusetzen.110 Eine
mit der Gewährung eines entsprechenden Wahlrechts erlaubt. Teilwertabschreibung ist – vorbehaltlich eines Bonitäts- oder Liqui­
ditätsrisikos – bis maximal auf den Nominalwert möglich, wenn der
XII. Darstellung im Anhang und im Lagebericht Wert nach der Anschaffung dauerhaft gesunken ist (Wahlrecht).111
Gem. § 340a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 284 Abs. 2 Nr. 1 HGB sind die Die Finanzverwaltung verzichtet bei den hier in Rede stehenden
Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden im Anhang anzu­ festverzinslichen Wertpapieren auf die Bagatellgrenze von 5%,112
geben. Damit ist die Nominalwertbilanzierung von Schuldver­ die sonst bei aktienbasierten Wertpapieren angewendet wird. Die
schreibungen anzugeben. Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 3 der Abweichung zwischen Handels- und Steuerbilanz berechtigt zur
Bankbilanzrichtlinie fordert die Angabe des Unterschieds­ Bildung von aktiven latenten Steuern gem. § 274 Abs. 1 Satz 2 HGB.
betrags nur im Fall der planmäßigen Abschreibung. Dies macht
auch Sinn, da die Nominalwertbilanzierung aus Sicht der EU der XIV. Zusammenfassung
Regelfall ist und daher keine Angabepflicht im Anhang geregelt Börsenfähige festverzinsliche Inhaberschuldverschreibungen des
wurde. Aus § 340a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 264 Abs. 2 HGB folgt Anlagevermögens, die Kreditinstitute aufgrund des gesunkenen
nichts Anderes. Der EuGH hat bereits entschieden, dass ein allgemeinen Zinsniveaus von Zwischenerwerbern über pari
richtlinienkonformer Bilanzansatz gerade kein Anwendungsfall erwerben, sind im Rahmen der Zugangsbewertung mit deren
des Einblicksgebots sein kann (siehe Abschn. IX.). Nominalwert anzusetzen. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem
Eine gesonderte Angabe des Betrags der sofortigen Aufwands­ Nominalwert und den Anschaffungskosten ist als Aufwand zu
buchung ist grds. nicht erforderlich. Selbst wenn der Betrag erfassen. Rechtsgrundlage ist § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB, der im Hin­
der sofortigen Aufwandsbuchung von außergewöhnlicher blick auf Art. 35 Abs. 3 Buchst. b Satz 1 der Bankbilanzrichtlinie
Größenordnung oder Bedeutung ist, scheidet die Anwendung richtlinienkonform auszulegen ist. Dies widerspricht weder dem
von § 285 Nr. 31 HGB gem. § 340a Abs. 2 Satz 5 Hs. 1 HGB aus. Einsichtsgebot noch den GoB. Steuerbilanziell sind hingegen die
Ein periodenfremder Aufwand gem. § 340a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. gesamten Anschaffungskosten, also inklusive des Unterschieds­
§ 285 Nr. 32 HGB ist nicht gegeben. Dazu wäre die Korrektur einer betrags anzusetzen. Aus dieser Abweichung ergibt sich das Akti­
Fehleinschätzung105 des jeweiligen Kreditinstitutes erforderlich. vierungswahlrecht für latente Steuern gem. § 274 Abs. 1 Satz 1 HGB.
Der erfolgswirksame Anschaffungsvorgang der Schuldverschrei­
106 Vgl. Krumnow/Sprißler et al., a.a.O. (Fn. 4), § 35 RechKredV Rn. 9.
bung ist auf eine Entscheidung des Gesetzgebers und nicht des
107 Zur Wesentlichkeit Winkeljohann, in: IDW (Hrsg.), WP Handbuch, 15. Aufl. 2016, F. Tz. 1345 sowie
jeweiligen Kreditinstitutes zurückzuführen (kein Wahlrecht). Grottel, a.a.O. (Fn. 105), § 289, Rn. 23 ff.
108 Vgl. Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, 4. Aufl. 2004, Rn. 456, 458; zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch
102 Vgl. Kröll/Balzer, a.a.O. (Fn. 101), § 340e HGB Rn. 19; Scharpf/Schaber, a.a.O. (Fn. 1), S. 1040; BFH vom 26.9. 2007 – I R 58/06, BStBl. II 2009 S. 294 = DB 2008 S. 214 und vom 08.06.2011 – I R
Bieg, Bankbilanzierung nach HGB und IFRS, 2. Aufl. 2010, S. 406. 98/10, BStBl. II 2012 S. 716 = DB 2011 S. 1834.
103 Auf die Problematik des Saldierungsverbots im Fall der Darstellung von Zinsanomalien hinweisend 109 Vgl. Werndl, a.a.O. (Fn. 93), § 6 Rn. A 193.
mit Lösungsvorschlägen und einer empirischen Untersuchung Weigel/Sierleja, in: Böcking et al. 110 Vgl. Werndl, a.a.O. (Fn. 93), § 6 Rn. B 600 „Wertpapiere“.
(Hrsg.), Beck`sches Handbuch der Rechnungslegung, November 2016, Bd. III, B 901, Rn. 50 ff. 111 Vgl. BFH vom 08.06.2011 – I R 98/10, BStBl. II 2012 S. 716 = DB 2011 S. 1834 (zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG).
104 Vgl. allgemein Bieg, a.a.O. (Fn. 102), S. 356 und DGRV, a.a.O. (Fn. 1), C. II, Rn. 271. 112 Vgl. BMF vom 02.09.2016 – IV C 6 – S 2171-b/09/10002 :002, DOK 2016/0666535, BStBl. I 2016
105 Vgl. Grottel, in: Ellrott et al. (Hrsg.), Beck‘scher Bilanz-Kommentar, 10. Aufl. 2016, § 285 HGB Rn. 915. S. 995 = DB 2016 S. 2143, Tz. 22 f., Beispiel 6.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2371


Steuerrecht Aufsatz www.der-betrieb.de

Internationales Steuerrecht »DB1251812


Regierungsdirektor Cornelius Link, LL.M. (Univ. of New South Wales), Berlin

Die Lizenzschranke – Legitime Reaktion des


Gesetzgebers auf schädliche Präferenzregime
Regierungsdirektor Cornelius Link, LL.M. (Univ. New South
II. Hintergrund der Einführung des § 4j EStG
Wales), ist Referent im BMF in Berlin. Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung 1. Nationale Rahmenbedingungen
des Verfassers wieder und ist nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst. Die Einführung einer gesetzlichen Regelung zur Sicherstellung
Kontakt: autor@der-betrieb.de einer angemessenen korrespondierenden Besteuerung von
Lizenzaufwendungen und ­erträgen war im Koalitionsvertrag
Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusam­ „erforderlichenfalls im Vorgriff“ auf eine entsprechende inter­
menhang mit Rechteüberlassungen wurde mit Wirkung ab nationale Lösung vorgesehen. Die bestehenden ertragsteu­
dem 01.01.2018 die sog. Lizenzschranke eingeführt. Der Bei­ erlichen Regelungen wurden demnach nicht als ausreichend
trag gibt einen Überblick über Hintergründe und Entstehungs­ angesehen, den als unfair eingestuften Wettbewerbsvorteil
geschichte der Regelung und zeigt, dass es trotz der engen multinationaler Unternehmen wirksam zu verhindern. Dies
unionsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben ge­ gilt zu einen in rechtlicher Hinsicht (etwa für die auf inländi­
lungen ist, eine insgesamt ausgewogene und administrierbare sche Anteilseigner beschränkte Hinzurechnungsbesteuerung
Regelung zu schaffen, ohne dabei das gesetzgeberische Ziel, nach § 7 ff. AStG oder die bereits erwähnte, durch die Zins­ und
einen Beitrag zu einer faireren Besteuerung zu leisten, aus den Lizenzrichtlinie versperrte Möglichkeit zur Besteuerung der
Augen zu verlieren. Lizenzeinkünfte), zum anderen aber auch deshalb, weil natur­
gemäß die Anreizwirkung, bei konzerninternen Vorgängen
I. Einleitung die bei der Würdigung der Fremdvergleichskonformität nach
Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken vom § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG oder § 1 AStG von der Finanzverwaltung
27.06.2017 wurden die Regelungen zum Betriebsausgaben­ und ggf. den Gerichten akzeptierten Bandbreiten so weit wie
abzug um einen neuen § 4j EStG ergänzt. Aufwendungen möglich auszureizen, umso höher ist, je stärker die effektive
für Rechteüberlassungen durch eine nahestehende Person Konzernsteuerbelastung dadurch gesenkt werden kann.
i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG sind danach ab dem Vz. 2018 nur noch Das vom BMF in Auftrag gegebene Forschungsgutachten
beschränkt abziehbar, wenn die Einnahmen beim Empfänger „Behandlung von Schachteldividenden und von Lizenzgebüh­
einer niedrigen Besteuerung aufgrund eines Präferenzregimes ren in DBA und in der EU­(Zins­ und) Lizenzrichtlinie“4 aus
unterliegen, das nicht dem von OECD und G20 vereinbarten dem Jahr 2015 hat hierzu festgestellt, dass „ein quellensteu­
Nexus­Ansatz entspricht (sog. „Lizenzschranke“). erfreier Abfluss von Lizenzzahlungen […] bereits heute ohne
Die bereits im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD zur 18. nennenswerten steuerplanerischen Aufwand erreichbar [ist].
Legislaturperiode vorgesehene1 und von breitem politischem Wachsendes Steuergestaltungspotenzial liefert […] die stetig
Konsens getragene Regelung 2 fügt sich ein in die Reihe von ansteigende Zahl der Staaten mit attraktiven Vorzugsregimes
Maßnahmen, mit denen der Gesetzgeber versucht, Steuergestal­ für Lizenzeinkünfte. Wollte man dem gesetzgeberisch entge­
tungen und Gewinnverlagerungen internationaler Konzerne genwirken, wäre eine unilaterale Lizenzschranke trotz damit
entgegenzutreten und eine faire Besteuerung sicherzustellen.3 verbundener Schwierigkeiten bei der gesetzlichen Implemen­
Eine besondere Herausforderung bestand für den Gesetzgeber des tierung zu erwägen.“5 Auch vonseiten der Länder wurde eine
§ 4j EStG darin, dass ihm durch die EU­Zins­ und Lizenzrichtlinie nationale Abwehrmaßnahme für notwendig erachtet und
Anknüpfungspunkte für eine Besteuerung des durch das Präfe­ daher die Bundesregierung zur Erarbeitung einer entspre­
renzregime unmittelbar begünstigten Empfängers (einschließlich chenden Regelung aufgefordert.6
einer Quellenbesteuerung) versperrt waren und somit nur der Nachdem die Verhandlungen im Rahmen des BEPS­Projekts
primär­ und verfassungsrechtlich anspruchsvollere Weg über die zu keinem Ergebnis geführt haben, das eine korrespondie­
Aufwendungen des Lizenznehmers verblieb. rende Besteuerung von Lizenzeinnahmen und ­ausgaben
Der folgende Beitrag zeigt, dass es dem Gesetzgeber trotz der sicherstellen konnte und mittelfristig auch nicht mit einer
engen Vorgaben gelungen ist, eine Regelung zu schaffen, die einen entsprechenden Änderung der Zins­ und Lizenzrichtlinie zu
Beitrag zu einer fairen Besteuerung leistet und sich dabei nicht nur rechnen ist, scheint der Gesetzgeber die Bedingung aus dem
innerhalb der Grenzen des höherrangigen Rechts bewegt, sondern Koalitionsvertrag („erforderlichenfalls“) für ein eigenes Han­
auch die berechtigten Interessen der betroffenen Stpfl. sowie der deln als gegeben angesehen zu haben.
Finanzverwaltung in ausgewogener Weise berücksichtigt.

1 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 18. Legislaturperiode „Deutschlands Zukunft 4 Veröffentlicht von Ismer/Haselmann/Kaul/Ruf unter dem Titel „Quellensteuern auf Lizenzge-
gestalten“ S. 65. bühren und Schachteldividenden – Empfehlungen zur deutschen Abkommenspolitik“.
2 Für das im Gesetzgebungsverfahren um weitere ertragsteuerliche Regelungen angereicherte 5 Ismer/Haselmann/Kaul/Ruf, Quellensteuern auf Lizenzgebühren und Schachteldividenden –
Gesetz stimmten im Bundestag die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis90/Die GRÜNEN Empfehlungen zur deutschen Abkommenspolitik, S. 333.
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke, der der Gesetzentwurf insb. aufgrund der Beschränkung 6 Entschließungsantrag des Landes Hessen vom 02.07.2015, BR-Drucks. 318/15 und Beschluss
auf den Nexus-Ansatz nicht weit genug ging, vgl. BT-Drucks. 18/12128 S. 24 ff. der Finanzministerkonferenz, vgl. http://hbfm.link/2417 sowie Beschluss des Bundesrates vom
3 BT-Drucks. 18/11233 S. 1, 9. 16.12.2016 zum Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz, Plenarprotokoll 952 S. 517 (C).

2372 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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2. Internationale Rahmenbedingungen III. Regelungsgehalt des § 4j EStG


Ein von der Besteuerung beim Lizenzgeber abhängiges 1. Tatbestandsebene
Betriebsausgabenabzugsverbot für Lizenzzahlungen wurde Vom Grundtatbestand des § 4j EStG erfasst sind alle Aufwen­
innerhalb der EU erstmals durch die Republik Österreich im dungen für Rechteüberlassungen, die beim Empfänger (nahe­
Jahr 2013 eingeführt. Im Vergleich zu § 4j EStG ist die Regelung stehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG) einer von der Regelbe­
in § 12 Nr. 10 des österreichischen KStG allerdings erheblich steuerung abweichenden, niedrigen Besteuerung unterliegen
kürzer und dementsprechend pauschalierender ausgestaltet. (Präferenzregelung), die nicht mit dem OECD­Nexus­Ansatz
Abhängig von der Höhe der Steuerbelastung beim Empfänger in Einklang steht. Aufwendungen, die der Hinzurechnungs­
ist die Zahlung einer Lizenzgebühr an eine konzernzugehörige besteuerung nach § 10 AStG unterliegen, sind nach § 4j Abs. 1
Körperschaft in Österreich entweder voll (bei einer Steuer­ Satz 5 EStG ebenso vom Anwendungsbereich des § 4j EStG
belastung von mindestens 10%) oder überhaupt nicht abzieh­ ausgeschlossen wie derjenige Teil der Lizenzzahlungen, der
bar (bei einer Steuerbelastung unter 10%). bereits aus anderen Gründen vom Stpfl. nicht abgezogen wer­
Im Abschlussbericht zu Aktionspunkt 5 des BEPS­Projekts den kann (wie z.B. überhöhte Lizenzzahlungen, die bereits
haben die Mitgliedstaaten von OECD und G20 Konsens über als vGA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Einkommen nicht
diejenigen Voraussetzungen erzielt, nach denen ein Präferenz­ mindern).9 Zur Verhinderung von Umgehungsgestaltungen
regime als steuerlich unschädlich anzusehen sein soll. Diese sieht § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG vor, dass die Rechtsfolgen der Rege­
sind in Kapitel 4 des BEPS­Berichts sehr ausführlich beschrie­ lung nicht durch Zwischenschaltung eines in einem Nexus­
ben. Danach dürfen IP­Einkünfte nur in dem Verhältnis präfe­ konformen Staat ansässigen Dritten umgangen werden kann.
renziell besteuert werden, wie die qualifizierten Ausgaben für
Forschung und Entwicklung (FuE), d.h. eigene FuE­Ausgaben 2. Rechtsfolgenebene
des Stpfl. und Ausgaben für von fremden Dritten durchge­ Auf der Rechtsfolgenebene sieht § 4j EStG ein Abzugsverbot
führte Auftragsforschung zzgl. eines maximal 30%­igen Auf­ korrespondierend zur Besteuerung der Einnahmen beim Emp­
schlags, zu den Gesamtausgaben (qualifizierte FuE­Ausgaben, fänger vor – je niedriger die Besteuerung der Einnahmen beim
vom Stpfl. gezahlte Lizenz­ und Konzessionsgebühren, Kosten Lizenzgeber, desto niedriger auch der Betriebsausgabenabzug
für erworbene Forschungsrechte sowie Ausgaben für von beim Lizenznehmer. Durch die Bezugnahme auf die Einnah­
nahestehenden Dritten durchgeführte Auftragsforschung) men des Empfängers wird sichergestellt, dass ausschließlich
stehen. Marketingbezogene geistige Eigentumswerte, wie z.B. Vergünstigungen, die in unmittelbarem Zusammenhang
Marken, sind vom Nexus­Ansatz ausgenommen und dürften mit der Lizenzzahlung stehen, von § 4j EStG erfasst werden.
generell nicht präferenziell besteuert werden. Vergünstigungen, die der Empfängerstaat aus anderen
In Kapitel 6 des BEPS­Berichts wird das Ergebnis der vom Gründen gewährt, z.B. durch Anknüpfung an tatsächliche
Forum für schädliche Steuerpraktiken der OECD (FHTP) Aufwendungen,10 sind demgegenüber unschädlich. Dadurch
durchgeführten Prüfung der bei Erstellung des Berichts folgt die Regelung dem Ansatz von OECD und G20 im Bericht
bestehenden Präferenzregime dargestellt und erläutert, dass zu BEPS­Aktionspunkt 5, der ebenfalls keine ausgabenbezo­
diese allesamt nicht mit dem Nexus­Ansatz in Einklang stehen genen Begünstigungen berücksichtigt. Positiver Nebeneffekt
und deshalb innerhalb einer (lediglich für bereits begünstigte gegenüber der Bezugnahme auf die Einkünfte ist, dass Stpfl.
Patente geltenden) Übergangsfrist bis 2021 an diesen ange­ und Finanzverwaltung für die Ermittlung der zutreffenden
passt oder abgeschafft werden müssen. Besteuerung im Einzelfall nur wissen müssen, ob das Besteu­
erungsregime, dem der Empfänger unterliegt, als schädlich
3. Ziel des § 4j EStG i.S. des Nexus­Ansatzes anzusehen ist11 und wenn ja, wie das
Ziel des § 4j EStG ist es, eine faire Besteuerung sicherzustellen, Regime entsprechende Zahlungen steuerlich begünstigt. Eine
indem Wettbewerbsverzerrungen ausgeglichen werden, die durch darüber hinausgehende Ermittlung der Einkünfte des Emp­
die Nutzung steuerschädlicher Präferenzregelungen entstehen.7 fängers ist demgegenüber nicht erforderlich.
Zu den bereits erwähnten Herausforderungen für den Gesetz­
geber insbesondere in verfassungsrechtlicher und unions­ 3. Kritik
rechtlicher Hinsicht kam hinzu, dass sich die Mitgliedstaaten In der Literatur wird die Vereinbarkeit des § 4j EStG sowohl mit
von OECD und G20 kurz zuvor im Rahmen des BEPS­Projekts unionsrechtlichem Primärrecht als auch mit Verfassungsrecht
darauf verständigt hatten, dass Präferenzregime nicht grds. vielfach angezweifelt.12 Besonders kritisch gesehen wird dabei,
als schädliche steuerliche Regelung einzustufen sind, sondern dass § 4j EStG den Betriebsausgabenabzug von der steuer­
nur, wenn sie nicht die Kriterien des Nexus­Ansatzes erfüllen. lichen Behandlung der Einnahmen bei einem Dritten (dem
Auch wenn mit der Einigung innerhalb der Staatengemein­ Lizenzgeber bzw. in den Fällen des § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG auch
schaft keine rechtliche Verpflichtung verbunden war, Zah­ dem weiteren Gläubiger) abhängig macht und der Abzug auch
lungen in entsprechende „unschädliche“ Präferenzregime von dann versagt wird, wenn der Lizenzgeber in Bezug auf die prä­
steuerlichen Beschränkungen auszunehmen, so dürfte dieser ferenziell besteuerten Lizenzeinnahmen einer tatsächlichen
Aspekt – gerade im Jahr der deutschen G20­Präsidentschaft – wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 AStG nachgeht bzw.
durchaus auch eine Rolle bei der konkreten Ausgestaltung der
Regelung gespielt und zur Aufnahme des Nexus­Escapes in § 4j 9 Vgl. insoweit zu Aufwendungen nach § 4h EStG BMF-Schreiben vom 04.07.2008, BStBl. I 2008
Abs. 1 Satz 4 EStG geführt haben. 8 S. 718.
10 Damit wäre z.B. auch der von Art. 9 Abs. 3 des GKB-RL-E vorgesehenen erhöhte Betriebsausga-
7 BT-Drucks. 18/11233 S. 1. benabzug für FuE nicht von § 4j EStG erfasst.
8 Dass die Abzugsbeschränkung des § 4j EStG ungeachtet der im BEPS-Bericht vorgesehenen 11 Das FHTP der OECD untersucht derzeit die bestehenden IP-Regime und beabsichtigt, die Ergeb-
Übergangsfrist bereits für Aufwendungen greift, die nach dem 31.12.2017 entstanden sind, nisse nach Abschluss der Prüfung zu veröffentlichen.
entspricht einer Forderung des Bundesrats (vgl. u.a. BR-Drucks. 717/1/16 S. 4). 12 Vgl. u.a. Schnitger, IStR 2017 S. 214, Adrian/Tigges, StuB 2017 S. 228, van Lück, IStR 2017 S. 388.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2373


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sich selbst „Nexus­konform“ verhält.13 In verfassungsrechtlicher 2. Beeinträchtigung der Grundfreiheiten


Hinsicht wird zudem insb. die Vereinbarkeit der Versagung des Nach der Rspr. des EuGH ist jeder Mitgliedstaat im Bereich
Betriebsausgabenabzugs mit dem Gebot der Besteuerung nach des Ertragsteuerrechts grds. frei darin, die Steuerbemessungs­
der finanziellen Leistungsfähigkeit kritisch gesehen.14 grundlage und den Steuersatz festzulegen. 23 Unzulässig sind
jedoch offene Diskriminierungen – was bei § 4j EStG mangels
IV. Unionsrecht konkreten Auslandsbezugs offensichtlich nicht der Fall ist 24 –
Von den Kritikern des §4j EStG wird – im Wesentlichen unter sowie Maßnahmen, die die Grundfreiheiten in anderer, „nicht
Hinweis auf das Urteil des EuGH in der Rs. C­196/04 (Cadbury statthafter“ Weise beeinträchtigen. 25 Als Beeinträchtigungen
Schweppes) 15 – argumentiert, dass dem nationalen Gesetz­ in diesem Sinne sind nach mittlerweile gefestigter Rspr. des
geber steuerliche Regelungen, die an die Besteuerung im EuGH 26 sowohl versteckte (bzw. mittelbare) Diskriminierun­
Ausland anknüpfen und nicht ausschließlich rein künstliche gen als auch allgemeine Beschränkungen zu verstehen, die
Gestaltungen zur Steuerumgehung erfassen, grds. verwehrt die Ausübung der Grundfreiheit behindern, unterbinden oder
seien.16 Vielmehr müssten es die Mitgliedstaaten akzeptieren, weniger attraktiv machen.27
dass andere Staaten von ihrem Recht Gebrauch machen, ihre Auch wenn der EuGH die Prüfung der Unionsrechtskonformi­
Steuersätze – auch in Gestalt von Präferenzregelungen – nach tät zuletzt verstärkt auf die Rechtfertigungsebene verlagert
eigenem Ermessen festlegen.17 bzw. insoweit keine trennscharfe Abgrenzung vornimmt, 28 sei
Diese Auffassung dürfte – jedenfalls in ihrer Absolutheit – so gleichwohl auch auf die beiden Beeinträchtigungsformen im
nicht (mehr) haltbar sein. Auch bei der EU­Kommission scheint Zusammenhang mit § 4j EStG eingegangen, da in der Praxis
sich spätestens infolge des BEPS­Prozesses die Erkenntnis durchaus Fälle denkbar sind, in denen diese zu verneinen sein
durchgesetzt zu haben, dass das Unionsrecht auch im Ertrag­ könnten.
steuerrecht nicht als reine „Einbahnstraße“ zu verstehen
ist, die den Wirtschaftsteilnehmern einen weitestgehenden a) Gebot der Inländergleichbehandlung (Diskriminierungsverbot)
Schutz vor staatlichen Eingriffen in den Binnenmarkt gewährt, Eine versteckte Diskriminierung kann vorliegen, wenn eine
sondern es ebenso regulativer Elemente bedarf, mit denen die Maßnahme zwar nicht formal zwischen inländischen und
Mitgliedstaaten in die Lage versetzt oder ggf. sogar verpflich­ grenzüberschreitenden Sachverhalt differenziert, tatsächlich
tet werden, bestimmte steuerliche Unwuchten zu beheben.18 aber ausschließlich oder in den meisten Fällen nur grenzüber­
schreitende Sachverhalte erfasst.29 Dies ist jedenfalls nach dem
1. Betroffene Grundfreiheiten Grundtatbestand des § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG der Fall, da das
Als betroffene Grundfreiheiten kommen – abhängig von der deutsche Steuerrecht kein Präferenzregime in diesem Sinn
jeweiligen Fallgestaltung im Einzelfall – im Wesentlichen die kennt und daher dessen Anwendung in reinen Inlandsfällen
Niederlassungs­ sowie die Dienstleistungsfreiheit in Betracht. tatbestandlich ausgeschlossen ist.30
Denkbar wäre u.U. auch eine Beschränkung der Kapitalver­ Ob darin auch tatsächlich eine versteckte Diskriminierung
kehrsfreiheit. Im Regelfall dürften allerdings die in der Praxis zu sehen ist, könnte deshalb zweifelhaft sein, weil die unter­
von § 4j EStG erfassten Sachverhalte verbundene Unterneh­ schiedliche Behandlung Folge einer besonderen steuerlichen
men i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 AStG betreffen, bei denen die Behandlung des Zahlungsempfängers im ausländischen Staat
Prüfung der Niederlassungsfreiheit derer der Kapitalverkehrs­ ist. Im Urteil vom 12.07.2005 in der Rs. C­403/03 („Schempp“)
freiheit grundsätzlich vorgeht.19 hat der EuGH entschieden, dass die nach § 1a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.
Unter den Schutz dieser Grundfreiheiten fallen allerdings § 10 EStG von der Besteuerung beim Empfänger abhängige
nur solche Leistungen, mit denen deren Erbringer am wirt­ steuerliche Abziehbarkeit von Unterhaltszahlungen keine
schaftlichen Leben teilnimmt. 20 Dies könnte zumindest in Diskriminierung i.S.d. Art. 12 EGV (jetzt Art. 18 AEUV) dar­
denjenigen Fällen zweifelhaft sein, in denen bestimmte Rechte, stellt, da Zahlungen, die beim Empfänger der Besteuerung
z.B. Namens­ oder Markenrechte, lediglich innerhalb eines unterliegen, nicht mit Zahlungen, die beim Empfänger keiner
Konzerns zur Nutzung überlassen werden 21 – sofern diese nicht Besteuerung unterliegen, vergleichbar seien.31 Diese Entschei­
ohnehin schon aufgrund der Grundsätze zum sog. Konzern­ dung ist insoweit für die unionsrechtliche Bewertung des § 4j
rückhalt steuerlich vom Abzug ausgeschlossen sind. 22 EStG interessant, als auch hier die steuerliche Behandlung
einer Zahlung (Aufwendung) von der korrespondierenden
13 Heil/Pupeter, BB 2017 S. 1947; Ditz/Quilitzsch, DStR 2017 S. 1561. Besteuerung beim Empfänger abhängt und zudem in beiden
14 Ditz/Quilitzsch, DStR 2017 S. 1561.
15 EuGH vom 12.09.2006 – Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, vgl. dazu Wassermeyer, DB 2006 S. 2045. 23 EuGH vom 17.05.2017 – Rs. C-68/15, X, Rn. 41, m.w.N.
16 Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017 S. 593; Schnitger, IStR 2017 S. 214. 24 Vgl. zur Differenzierung z.B. Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unions-
17 Schnitger, IStR 2017 S. 214. recht, Art. 49 AEUV Rn. 74 ff.
18 Vgl. insb. die durch die RL (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.07.2016 („Anti Tax Avoidance Di- 25 Vgl. EuGH vom 17.05.2017, a.a.O. (Fn. 23), Rn. 50.
rective“ – ATAD) zwingend vorgeschriebenen Abzugsbeschränkungen bei Zinsen und hybriden 26 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 49 Rn. 43 ff. , m.w.N.
Gestaltungen. 27 Vgl. zuletzt zur Niederlassungsfreiheit EuGH vom 07.09.2017 – Rs. C-6/16 (Eqiom/Enka) Rn. 54
19 BFH vom 23.06.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010 S. 895 = DB 2010 S. 2148; EuGH vom 12.11.2012 und vom 08.03.2017 – C-14/16 (€ Park) Rn. 59, jew. , m.w.N.
– Rs. C-35/11, Test Claimants in the FII Group Litigation, dazu vgl. Müller, StR kompakt, 28 Vgl. zuletzt z.B. EuGH vom 08.03.2017 – C-14/16 (€ Park), vom 17.12.2015 – C-388/15 (Timac
DB0558039; vgl. zur Abgrenzung der Grundfreiheiten auch zuletzt EuGH vom 07.09.2017 – Agro) und vom 17.07.2014 – C-48/13 (Nordea), in denen der EuGH bei der Prüfung der „Statthaf-
Rs. C-6/16, Eqiom und Enka. tigkeit“ stets ausdrücklich differenziert zwischen „nicht miteinander vergleichbaren“ und „durch
20 Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 57 AEUV Rn. 6. zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigten“ Situationen.
21 Vgl. hierzu z.B. Schönfeld/Wassermeyer in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff u.a., Außensteuer- 29 Vgl. EuGH Urteil vom 05.02.2014 – C-385/12 (Hervis Sport) Rn. 30, 41, m.w.N.
recht, 82. Lieferung 07.2017, § 8 AStG Rn. 474. 30 § 4j EStG ist daher auch dann im reinen Inlandsfall nicht einschlägig, wenn die Ertragsteuerbe-
22 Vgl. BFH vom 09.08.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001 S. 140 = DB 2001 S. 176; vom 21.01.2016 – lastung des in einer Kommune mit niedrigem GewSt-Hebesatz ansässigen Lizenzgebers unter
I R 22/14, BStBl. II 2017 S. 336 = RS1204283 sowie BMF-Schreiben zur „Namensnutzung im 25% liegt.
Konzern“ vom 07.04.2017, BStBl. I 2017 S. 701 = DB 2017 S. 939. 31 EuGH vom 12.07.2005 – Rs. C-403/03, Schempp, Rn. 35.

2374 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Fällen die streitgegenständliche Regelung nicht generell Eine Schlechterstellung des grenzüberschreitenden Sach­
grenzüberschreitende Zahlungen vom Abzug ausschließt, verhalts gegenüber dem Inlandsfall tritt allerdings dann ein,
sondern nur solche, bei denen der ausländische Staat sowohl wenn die Steuerbelastung des Stpfl., z.B. aufgrund einer nie­
von der Behandlung im Inland als auch von der Besteuerung dri­gen GewSt­Belastung, weniger als 25% beträgt.36 Denn dann
anderer Mitgliedstaaten abweicht. Dass im Urteilsfall die führt die Anwendung der Formel des § 4j Abs. 3 EStG in der Tat
unionsrechtliche Prüfung anhand des allgemeinen Diskri­ dazu, dass nicht nur die Steuerbelastung beim Lizenznehmer,
minierungsverbots i.S.d. Art. 12 EGV (Art. 18 AEUV) sowie sondern auch die Gesamtsteuerbelastung von Lizenznehmer
des allgemeinen Rechts auf Freizügigkeit i.S.d. Art. 18 EGV und Lizenzgeber im grenzüberschreitenden Fall höher als im
(Art. 21 AEUV) erfolgte, 32 dürfte keinen Unterschied machen, Inlandsfall ist.
da die Vergleichbarkeit auch zwingende Voraussetzung für
eine Diskriminierung im Rahmen der Grundfreiheiten ist. 3. Statthaftigkeit einer Beeinträchtigung
Jedenfalls in den Fällen, in denen der ausländische Staat Sollte eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten zu bejahen
Lizenzeinnahmen keiner Besteuerung unterwirft (sei es durch sein, wäre diese nur statthaft, wenn sie Situationen betrifft,
eine Steuerbefreiung, durch Ansatz eines Null­Steuersatzes, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie
durch vollständige Erstattung der auf sie zuvor erhobenen durch einen vom Unionsrecht anerkannten zwingenden Grund
Steuern oder auch durch Unterlassen einer Erhebung der des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss
Steuern), dürfte es danach unter Zugrundelegung dieser Rspr. die Beschränkung zudem geeignet sein, die Erreichung des
bereits am Merkmal der Vergleichbarkeit mit dem Inlands­ verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das
sachverhalt fehlen, bei dem die Lizenzeinnahmen grds. vom hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.37
Einkünftekatalog des § 2 EStG erfasst werden.
Inwieweit der Sachverhalt anders zu beurteilen ist, wenn der a) Vergleichbarkeit
andere Staat die Einnahmen aufgrund eines schädlichen Prä­ Ob die Zahlung einer Lizenzgebühr, die beim Empfänger auf­
ferenzregimes nicht vollständig freistellt, sondern lediglich grund eines schädlichen Präferenzregimes niedrig besteuert
niedrig besteuert, lässt sich aufgrund der bisherigen Rspr. des wird, mit anderen Lizenzzahlungen vergleichbar ist, ist eine
EuGH schwer vorhersagen. Im Ergebnis kann die Beantwortung Wertungsfrage. Wie unter IV. 2. a) dargestellt, hat der EuGH
dieser Frage jedenfalls dann offenbleiben, wenn die Maßnahme in der Vergangenheit zwar bereits bei Zahlungen, die beim
zugleich die Voraussetzungen für eine Beschränkung erfüllt (vgl. Empfänger keiner korrespondierenden Besteuerung unterla­
nachfolgend unter b)). Die Bejahung einer Diskriminierung in gen, eine Vergleichbarkeit verneint. Aus der Perspektive des
diesen Fällen würde allerdings zu dem kuriosen Ergebnis führen, Zahlenden, für den jede Lizenzzahlung eine durch den Betrieb
dass damit (nur) diejenigen Staaten vor dem Vorwurf der Diskri­ veranlasste Aufwendung i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG darstellt, dürfte
minierung gefeit wären, die selbst ein schädliches Präferenzre­ dagegen eine Vergleichbarkeit generell zu bejahen sein.
gime unterhalten oder erstmalig einführen würden.
b) Rechtfertigung
b) Allgemeines Beschränkungsverbot Im Bereich des Steuerrechts hat der EuGH bereits diverse
Eine Beschränkung einer der Grundfreiheiten setzt voraus, ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anerkannt, insb.
dass eine Regelung die Ausübung dieser Freiheit unterbindet, die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerflucht und
behindert oder weniger attraktiv macht.33 Gegen die Annahme missbräuchlichen Praktiken, die ausgewogene Aufteilung
einer Beschränkung könnte zumindest in bestimmten, der Besteuerungsbefugnis, die Verhinderung doppelter Ver­
in der Praxis allerdings wohl den Regelfall darstellenden, 34 lustberücksichtigung oder die Kohärenz des Steuersystems.38
Konzernsachverhalten sprechen, dass § 4j EStG gerade nicht Mit Blick auf das innerhalb der OECD/G20 über Jahre hinweg
darauf abzielt, grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber gebildete gemeinsame – und insb. in den BEPS­Berichten zum
Inlandssachverhalten zu benachteiligen, sondern im Gegenteil Ausdruck gekommene – Verständnis, dass steuerschädlicher
die ansonsten deutlich günstigere Gesamtsteuerbelastung bei Wettbewerb nicht nur zu missbilligen, sondern auch tatsäch­
Inanspruchnahme eines nicht Nexus­konformen Präferenz­ lich durch die Mitgliedstaaten einzudämmen ist, ist durchaus
regimes an das Besteuerungsniveau im Inlandsfall annähert. denkbar, dass der EuGH auch die Bekämpfung schädlichen
In der Begründung des Urteils in der Rs. C­311/08 (SGI) 35 hat Steuerwettbewerbs als eigenständigen Rechtfertigungsgrund
der EuGH eine Beschränkung deshalb bejaht, weil bei einer anerkennen wird. 39 Unabhängig davon könnte § 4j EStG aber
gemeinsamen Betrachtung die Gefahr einer Doppelbesteue­ auch schon von einem oder mehreren der o.g. Rechtfertigungs­
rung bestehe, da der andere Staat den im Ansässigkeitsstaat gründe erfasst sein. Neben dem Rechtfertigungsgrund der
hinzugerechneten Betrag ebenfalls besteuern könnte. Eine Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken kommt z.B. auch
solche Doppelbesteuerung ist aber bei § 4j EStG von vorne der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz in Betracht. Jedenfalls
herein ausgeschlossen, da die Höhe der Besteuerung beim dann, wenn es sich wie im Fall des § 4j EStG beim Begüns­
Empfänger Tatbestandsvoraussetzung ist und sich somit jede tigten und Belasteten zwingend um nahestehende Personen
Besteuerung beim Empfänger zwangsläufig beim Stpfl. steu­ handelt, sollte die insoweit ansonsten regelmäßig geforderte
ermindernd auswirkt. Steuersubjektsidentität 40 der Möglichkeit der Mitgliedstaaten,

32 Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 49 AEUV Rn. 125. 36 Entsprechendes gilt, wenn der Hebesatz des Lizenzgebers im Inlandsfall erheblich unter dem
33 Vgl. zuletzt zur Niederlassungsfreiheit Urteil vom 07.09.2017, a.a.O. (Fn. 27), Rn. 54, m.w.N. des Lizenznehmers liegt.
34 Vgl. z.B. EU-Kommission, Unternehmensbesteuerung im Binnenmarkt, SEK (2001) 1681, S. 292, 37 EuGH vom 07.09.2017, a.a.O. (Fn. 27), Rn. 57, m.w.N.
wonach der weit überwiegende Teil des Welthandels konzernintern erfolgt. Dies dürfte erst 38 Kokott/Ost, EuZW 2011 S. 496.
recht bei den von § 4j EStG erfassten Rechteüberlassungen der Fall sein. 39 Ähnlich Benz/Böhmer, DB 2017 S. 206.
35 Vgl. z.B. EuGH vom 21.01.2010 – Rs. C-311/08, SGI, RS0848407, Rn. 52. 40 EuGH vom 24.02.2015 – Rs. C-559/13, Grünewald, RS1046346; vgl. auch Kokott/Ost, EuZW 2011 S. 496.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2375


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in nach allgemeinem Verständnis als wettbewerbsschädlich beim Empfänger voraussetzen, die durch die deutsche
eingestuften Situationen ein „level playing field“ wiederher­ Finanzverwaltung nicht überprüfbar sind und auch nicht im
zustellen, nicht grds. entgegenstehen. 41 Entscheidend sollte Wege der Amtshilfe durch die ausländische Steuerbehörde
vielmehr sein, ob das mit der Regelung verfolgte Ziel grds. als beizubringen wären. Denn für die – nicht Nexus­konforme
für eine Rechtfertigung der Beschränkung geeignet anzusehen – Besteuerung des Empfängers (und damit die ausländische
ist.42 Dies dürfte bei § 4j EStG wohl unstreitig der Fall sein. Steuerverwaltung) spielt es grds. keine Rolle, ob bestimmte
Aufwendungen (z.B. der Lohn eines Arbeitnehmers oder
c) Verhältnismäßigkeit bestimmte Sachkosten) bei der Entwicklung des für § 4j
Das Betriebsausgabenabzugsverbot nach § 4j EStG erfüllt auch EStG maßgeblichen Rechts angefallen sind. Sofern Ziel des
die Voraussetzungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und § 4j EStG auch sein sollte, anderen Staaten einen Anreiz zur
Angemessenheit. Anpassung ihrer nicht Nexus­konformen Präferenzrege­
Insb. sind keine milderen, gleich geeigneten Mittel zur Errei­ lungen zu geben oder von der Einführung solcher Regime
chung des gesetzgeberischen Ziels ersichtlich. abzusehen, oder verbundene Unternehmen zu veranlassen,
– Ein Abstellen auf irgendeine „tatsächliche wirtschaftliche solche Regime zu meiden, würde dies zudem durch die
Tätigkeit“ des Empfängers wie bei § 8 Abs. 2 AStG wäre Fiktion eines hypothetischen Nexus­konformen Präferenz­
bei § 4j EStG kein taugliches Ausschlusskriterium. Denn regimes konterkariert werden.
bei den vom BEPS­Aktionspunkt 5 erfassten schädlichen
Präferenzregelungen ist nicht entscheidend, ob der Stpfl. V. Verfassungsrecht
im jeweiligen Staat keiner tatsächlichen wirtschaftlichen In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist § 4j EStG insb. an Art. 3
Tätigkeit (i.S. eines „ganz oder gar nicht“) nachgeht, son­ GG (Grundsatz der Steuergerechtigkeit, Gebot der Besteue­
dern dass die Regelung eine überproportionale Begüns­ rung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, Folgerichtig­
tigung gemessen an den vom Nexus­Ansatz akzeptierten keit) sowie dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3,
– insb. eigenen – (Forschungs­)Tätigkeiten gewährt. Art. 19 Abs. 4 GG) folgenden Bestimmtheitsgebot zu messen.
– Bei einem „umgekehrten Tax Credit“ – wie z.B. von Drum-
mer43 vorgeschlagen – würde die durch § 4j EStG bereinigte 1. Art. 3 GG
Gesamtsteuerbelastung zwar eher dem nominalen Steuer­ Art. 3 GG bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz
satz des Stpfl. aus KSt, SolZ und GewSt entsprechen als die der Steuergerechtigkeit. 47 Dies bedeutet einerseits, dass die
pauschalierende Regelung des § 4j EStG. Allerdings würden Besteuerung grds. an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
sich dadurch neben finanzverfassungsrechtlichen Auftei­ ausgerichtet und eine gesetzliche Belastungsentscheidung
lungsfragen dieselben Probleme ergeben, die seinerzeit zur grds. folgerichtig i.S. einer Belastungsgleichheit umgesetzt
Abschaffung der Abziehbarkeit der GewSt von der ESt und werden muss.48
KSt durch Einführung des § 4 Abs. 5b EStG geführt haben. Andererseits gebietet der Grundsatz der Steuergerechtigkeit
– Ein niedrigerer Wert als 25% in § 4j Abs. 2 und 3 EStG aber auch, dass der Gesetzgeber bei Bedarf bestehende Unge­
würde zwar zwangsläufig immer zu günstigeren Ergeb­ rechtigkeiten ausgleicht. Das Gebot, wesentlich Gleiches gleich
nissen für den Stpfl. führen. Gleichzeitig würde sich § 4j und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, kann nicht
EStG dadurch aber auch von dem beabsichtigten Ziel der nur für ungleiche Belastungen, sondern muss auch für ungleiche
Annäherung der Gesamtsteuerbelastung an das inländi­ Begünstigungen gelten. Eine solche ungleiche, den Gesetzgeber
sche Steuerniveau entfernen, sodass eine Absenkung des zum Handeln auffordernde Begünstigung liegt dabei nicht
Werts zwar ein milderes, nicht aber ebenso geeignetes schon deshalb vor, weil ein multinationales Unternehmen auf­
Mittel wäre, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen. grund des abweichenden ausländischen Steuerrechts anders
– Ritzer/Stangl/Karnath44 legen § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG so aus, als ein rein inländisches Unternehmen besteuert wird. Als nicht
dass lediglich der Teil der Aufwendungen dem (anteiligen) (mehr) akzeptabel hat der Gesetzgeber aber den Wettbewerbs­
Abzugsverbot unterliegen soll, der bei einer Nexus­konfor­ vorteil angesehen, den sich multinationale Unternehmen unter
men Ausgestaltung des schädlichen Präferenzregimes nicht Nutzung der als steuerschädlich einzustufenden Präferenzre­
begünstigt wäre. Dies findet m.E. im Gesetz keine Stütze.45 gime verschaffen können. Wenn der Gesetzgeber die Grenze
Denn die niedrige Besteuerung ergibt sich bei einer Zahlung zwischen abziehbaren und nicht abziehbaren Betriebsausgaben
in ein schädliches Präferenzregime insgesamt (und nicht dort zieht, wo OECD und G20 auch stellvertretend für die billig
nur teilweise) daraus, dass die Einnahmen beim Empfänger und gerecht denkenden Steuerzahler die Grenze zum unfairen
diesem Regime unterliegen. Auch dieser Ansatz würde zwar Steuerwettbewerb gezogen haben, ist der Vorwurf, der Gesetzge­
den Stpfl. regelmäßig weniger belasten als die Anwendung ber habe den ihm zugebilligten weitreichenden Entscheidungs­
des § 4j EStG auf die gesamten Aufwendungen.46 Allerdings spielraum49 nicht in verfassungskonformer Weise ausgeübt oder
dürfte in ihm das Risiko eines strukturellen Vollzugsdefizits eine unzulässige Missbrauchsbekämpfungsnorm mit einem
angelegt sein. Denn dieser Ansatz würde Feststellungen atypischen Fall als Leitbild geschaffen,50 nicht nachvollziehbar.
41 So wohl auch EuGH vom 07.09.2004 – Rs. C-319/02, Manninen, DB 2004 S. 2023; Kokott/Ost, Aufgrund der Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 4j
EuZW 2011 S. 496. EStG auf nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG wäre es
42 EuGH vom 06.10.2015 – Rs. C-66/14, FA Linz, RS1167950, Rn. 44, m.w.N. insb. auch zu kurz gegriffen, bei der Bewertung alleine die steu­
43 Drummer, IStR 2017 S. 602.
44 Ritzer/Stangl/Karnath, DK 2017 S. 401. 47 BVerfG vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, DB 2017 S. 1124, Orientierungssatz 1a.
45 Eine entsprechende Änderung hatten die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft im Rahmen 48 BVerfG vom 04.12.2002 – 2 BvR 400/98, DB 2003 S. 860 ,m.w.N.
der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf gefordert; die Stellungnahmen sind auf der In- 49 Vgl. dazu BVerfG vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, DB 2017 S. 1124, Orientierungssätze 1a und 1b
ternetseite des Deutschen Bundestags unter http://hbfm.link/2418 abrufbar. sowie Rn. 98 ff.
46 Ähnlich zum Verfassungsrecht z.B. Heil/Pupeter, BB 2017 S. 1947. 50 Heil/Pupeter, BB 2017 S. 1947.

2376 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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erliche Belastung des Stpfl. durch die Versagung des Betriebs­ VI. Zusammenfassung
ausgabenabzugs zu betrachten. Vielmehr müssen auch die Mit der Einführung der Lizenzschranke hat der Gesetzgeber in
Möglichkeiten verbundener Unternehmen, ihre Vertragsge­ unionsrechtlich und verfassungsrechtlich zulässiger Weise auf
staltungen einfacher als fremde Dritte an die neue Rechtslage die von OECD und G20 als schädlich identifizierten Präferenzre­
anzupassen, die Minderung der Konzernsteuerquote aufgrund gime reagiert. Dass es dem Gesetzgeber nicht durch höherrangi­
der präferenziellen Besteuerung beim Empfänger sowie die ges Recht verwehrt ist, eine Regelung wie § 4j EStG einzuführen,
Wirkung der Regelung, eine Gesamtsteuerbelastung herzu­ ist auch deshalb richtig, weil jedes andere Ergebnis faktisch einer
stellen, die annähernd der Steuerbelastung im vergleichbaren Kapitulation vor unfairem Steuerwettbewerb gleichkommen
Inlandsfall entspricht, berücksichtigt werden. würde und die bereits heute vielfach anzutreffenden Vorbehalte
gegenüber einer – in ihrer tatsächlichen Wirkung häufig nicht
2. Bestimmtheitsgebot von vorne herein vollständig abzuschätzenden – Aufgabe natio­
Auch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot ist ein Verstoß naler Besteuerungsrechte zugunsten sekundärrechtlicher Rege­
nicht ersichtlich. Zwar enthält § 4j EStG neue Rechtsbegriffe lungen bestärken würde. Denn es erscheint unwahrscheinlich,
(z.B. Regelbesteuerung, Präferenzregelung). Diese lassen sich dass z.B. die Zins­ und Lizenzrichtlinie in ihrer heutigen Form
aber ohne Weiteres nach allgemeinen Kriterien auslegen. verabschiedet worden wäre, wenn die Mitgliedstaaten seinerzeit
Gesetzliche Vorschriften brauchen nur so bestimmt zu sein, bereits die Auswüchse, die die schädlichen Präferenzregime
wie dies nach der Eigenart der zu regelnden Sachverhalte mit seither genommen haben, vorhergesehen hätten. Dies gilt umso
Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Es genügt, dass die mehr in Anbetracht der aktuell stattfindenden Arbeiten zur
Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach Einführung einer gemeinsamen KSt­Bemessungsgrundlage.
einrichten können.51 Dies ist bei § 4j EStG der Fall. Der Verweis
auf Kapitel 4 des OECD­Berichts ist vor dem Hintergrund, dass Redaktionelle Hinweise:
die von der Regelung erfassten Präferenzregime in der vom – Zur Lizenzschranke vgl. auch Ritzer/Stangl/Karnath, DK 2017
Bundestag beschlossenen Fassung gerade an den Vorgaben S. 401 = DK1244511;
von OECD und G20 gemessen werden sollen, ebenfalls nicht – zur Entwurfsfassung vgl. Ritzer/Stangl/Karnath, DK 2017 S. 68 =
zu beanstanden.52 DK1227407;
51 BVerfG vom 17.11.1992 – 1 BvL 8/87, BVerfGE 87 S. 234 = DB 1993 S. 236; vom 08.01.1981 – 2 – zum RegE vgl. auch Benz/Böhmer, DB 2017 S. 206 = DB1227655;
BvL 3/77, 2 BvL 9/77, BVerfGE 56 S.1. – zur Lizenzschranke vgl. auch Brandt, DB1238097 und DB 2017
52 So im Ergebnis auch Heil/Pupeter, BB 2017 S. 1947. S. 1483 = DB1241198 und Lüdicke, DB 2017 S. 1482 = DB1240023.

Steuerstrafrecht »DB1247839
RA Dr. Martin Wulf, Berlin

Steuerstrafrechtliche Tatentdeckung durch


ausländische Korruptionsermittlungen?
– Zugleich Anm. zur „Panzerhaubitzen“-Entscheidung des BGH vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16 –

Bemühungen zum Verkauf von Panzerhaubitzen an grie­chische


RA Dr. Martin Wulf ist Partner im Berliner Büro der Kanzlei Streck Mack
Schwedhelm Partnerschaft mbB, Rechtsanwälte und Fachanwälte für Steuerrecht,
Regierungsstellen in den Jahren 1997­2001 eingebunden war.
Köln/Berlin/München. Nachdem im Juli 2001 der Vertrag über den Verkauf von 24 Pan­
Kontakt: autor@der-betrieb.de zerhaubitzen zustande gekommen war, wurden nachfolgend
durch das deutsche Unternehmen Provisionen gezahlt. Dabei
Das Leben schreibt gelegentlich Fälle, für die sich der Ersteller waren zwei „Zahlungsstränge“ zu unterscheiden:
einer juristischen Klausur oder der Verfasser eines Lehrbuchs 1. Der eine Teil wurde von der deutschen Gesellschaft B­GbR
den Vorwurf einhandeln würde, seine Beispiele seien lebens­ in Rechnung gestellt. Diese Zahlung (rund 3% der Netto­
fremd und konstruiert, um daran möglichst viele Rechts­ auftragssumme) war für den damaligen griechischen
probleme unterzubringen. Über einen solchen Fall hatte der Verteidigungsminister bestimmt, der zugesagt hatte, bei
1. Strafsenat des BGH im Mai 2017 zu entscheiden. einer entsprechenden „Provision“ zugunsten der B­GbR
das deutsche Angebot wohlwollend zu unterstützen. Die
I. Der Inhalt der Entscheidung in Kurzfassung hierauf bezogene Provisionsrechnung der B­GbR wurde
Das Urteil vom 09.05.20171 betrifft den Mitarbeiter eines deut­ im August 2002 durch den Angeklagten (A) – der ebenso
schen Rüstungsunternehmens (K­KG), der als Prokurist in die wie die Geschäftsführer der K­KG alle Umstände kannte –
freigezeichnet und an die Buchhaltung des Unternehmens
1 BGH vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16, RS1243072. weitergegeben. Weitere Rechnungen der B­GbR für die

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2377


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Jahre 2003­2005 gingen erst bei der K­KG ein, nachdem Vorwurf des Prozessbetrugs wurde aufgehoben, da der BGH es
der A im Juni 2003 altersbedingt aus dem Unternehmen jedenfalls als möglich ansah, dass die Klagerücknahme seitens
ausgeschieden war. der K­KG durch eine Täuschung seitens des Angeklagten im
2. Der zweite Teil der Provisionen war für den in Griechen­ Prozess erreicht worden sei und weil das LG diese Möglichkeit
land ansässigen P bestimmt, der dort als Agent und Han­ – aus der Sicht des BGH – nicht hinreichend bedacht hatte.
delsvertreter im Auftrag für die K­KG tätig geworden war. Die nachfolgenden Anmerkungen konzentrieren sich auf die
Auch ihm war eine erfolgsabhängige Provision zugesagt steuerstrafrechtlichen Aspekte des Falls, einschließlich der
worden. P rechnete diese Provisionen unter dem Namen Frage der strafbefreienden Selbstanzeige. Die Ausführungen
der ihm zuzurechnenden Gesellschaft O Consultings Ltd. des 1. Strafsenats zum Betrug und auch die knappen Anmer­
mit Sitz auf Zypern ab. P hatte zugesagt, den mit ihm seit kungen zum Umfang der gegen die K­KG festzusetzenden
Studientagen befreundeten A an den erfolgsabhängigen Geldbuße nach § 30 OWiG bleiben hier außen vor.
Provisionen zu beteiligen. In den Jahren 2002 und 2004
überwies der P deshalb insgesamt rund 657.000 € auf II. Steuerhinterziehung zugunsten der K-KG
ein schweizer Konto des A, die dort verzinslich angelegt Der BGH geht für das Veranlagungsjahr 2002 von einer
wurden. Darüber hinaus verwendete der P aus eigenem vollendeten Steuerhinterziehung hinsichtlich der Gewinn­
Entschluss, und ohne dazu von den Verantwortlichen feststellungen der K­KG aus, da die an die B­GbR gezahlten
der K­KG aufgefordert worden zu sein, einen Teilbetrag Provisionen zu Unrecht als Betriebsausgaben geltend gemacht
i.H.v. 750.000 € dazu, den Ka – einen stellvertretenen Rüs­ worden seien. Soweit ersichtlich handelt es sich damit um die
tungsdirektor im Verteidigungsministerium in Athen – zu erste BGH­Entscheidung überhaupt, in der die ausgeurteilte
bestechen. A hatte eingeräumt, dass der P einmal ange­ Steuerhinterziehung auf der Zahlung von „Bestechungsgel­
setzt hatte, von entsprechenden Forderungen des Ka zu dern“ im internationalen Geschäftsverkehr resultiert.2
berichten. Er habe hierüber aber nichts wissen wollen.
Nachdem in Griechenland Korruptionsermittlungen einge­ 1. Vollendung durch unrichtige Gewinnfeststellung
leitet worden waren, reichte der A im Januar 2014 über seinen („Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile“)
StB eine Selbstanzeige mit geschätzten Zahlen zu den von Die Vollendung der Steuerhinterziehung soll nach Auffassung
P erhaltenen „Kick­Backs“ und zu den daraus entstandenen des BGH vorliegend in der Variante der Erlangung von „Steuer­
Kapitalerträgen bei den Finanzbehörden ein. In der Folgezeit vorteilen“ eingetreten sein. Damit setzt der 1. Strafsenat seine
kam es zu einer Zusammenarbeit der griechischen und der bisherige Rspr. fort, wonach bereits der Erlass eines unzu­
deutschen Ermittlungsbehörde im Wege der internationalen treffenden Bescheids über die einheitliche und gesonderte
Rechtshilfe. Der A wurde wegen Steuerhinterziehung ange­ Gewinnfeststellung zur Vollendung nach § 370 Abs. 1 AO
klagt, und zwar zum einen als Täter hinsichtlich des unge­ ausreicht. 3 Diese Rspr. ist erheblicher Kritik vonseiten der
rechtfertigten Abzugs von Betriebsausgaben auf Ebene der Literatur ausgesetzt.4 In seinen neueren Entscheidungen geht
K­KG („Provisionen B“) und zum anderen als Täter wegen einer der BGH auf diese Kritik aber überhaupt nicht mehr ein, da
zu eigenen Gunsten begangenen ESt­Hinterziehung („Provi­ der Senat seine eigene Rspr. insoweit wohl als gefestigt und
sion P“ und Kapitalerträge daraus). abgeschlossen ansieht.
Neben dem Vorwurf der Steuerhinterziehung wurde mit Allerdings kommt auch der 1. Strafsenat später – wenn er
der Anklage auch der Vorwurf des Betrugs erhoben. Denn die Frage der Strafzumessung und die Frage der Steuerhin­
im Zusammenhang mit den begonnenen Ermittlungen hatte terziehung „in großem Ausmaß“ erörtert – nicht umhin, auf
die K­KG ihren ehemaligen Mitarbeiter A vor dem ArbG auf die Steuer­verkürzung als den eigentlichen Taterfolg einzu­
Schadensersatz wegen der erhaltenen „Kick­Back­Zahlungen“ gehen. Denn erst wenn die zu niedrige Gewinnfeststellung
verklagt. Es handelte sich um eine Stufenklage, mit der im sich als Grundlagenbescheid in den Folgebescheiden (hier
ersten Schritt Auskünfte über etwaige Zahlungen verlangt den KSt­Bescheiden der beteiligten Kommanditisten etc.)
wurden. A beantragte Klageabweisung und bestritt formal niedergeschlagen hat, ist es möglich, das Ausmaß der Rechts­
die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Nach dem Austausch gutsbeeinträchtigung zu bestimmen. Die durch Umsetzung
von Schriftsätzen und noch vor Durchführung eines ersten der zu niedrigen Gewinnfeststellung ausgelöste Steuerver­
Verhandlungstermins nahm die K­KG ihre Klage zurück. Die kürzung wird in dem Urteil mit etwa 148.000 € angegeben.
Staatsanwaltschaft sah hierin einen Prozessbetrug des A. Damit lag der Verkürzungsbetrag i.S.v. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO
Das LG München verurteilte den A wegen Beihilfe zur Steuer­ im vorliegenden Fall deutlich über dem Grenzbetrag für eine
hinterziehung hinsichtlich der Gewinnfeststellung der K­KG 2 Vorangegangen zu § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG bislang nur BGH vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09,
(allerdings nur bezogen auf die Provisionsrechnungen der AUB/Siemens, RS0799717 = wistra 2010 S. 484, Rn. 49 ff. – dort ging es aber um den eher
B­GbR aus dem Jahr 2002) und wegen täterschaftlich began­ untypischen Fall von verbotenen Zahlungen an Betriebsräte nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG;
gener Steuerhinterziehung hinsichtlich der eigenen ESt 2004. ­ergänzend verweist der BGH selbst auf die zu § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG bislang ergangene steuer­
liche Rspr., insb. BFH vom 14.05.2014 – X R 23/12, BStBl. II 2014 S. 684 = RS0699088, sowie vom
Dagegen wurde der A durch das LG vom Vorwurf des Prozess­
14.07.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008 S. 850 = DB 2008 S. 1953.
betrugs freigesprochen. 3 Grundlegend BGH vom 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53 S. 99 (104 ff.) = RS0798532 =
Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Steuerhinterzie­ wistra 2009 S. 114; vom 02.11.2010 – 1 StR 544/09, RS0799919 = NStZ 2011 S. 294; vom
hung. Die hinsichtlich der ESt eingereichte Selbstanzeige sah 22.11.2012 – 1 StR 537/12, RS0802194 = NJW 2013 S. 1750; zuletzt vom 12.07.2016 – 1 StR
der 1. Strafsenat ebenso wie das LG als unwirksam an. Die 132/16, RS1213922 = wistra 2016 S. 410; Jäger, in: Klein (Hrsg.), AO, 13. Aufl. 2016, § 370
Rn. 122, m.w.N.
Revision der Staatsanwaltschaft, die teilweise eine weiter­
4 Beckemper, NStZ 2002 S. 518; Sorgenfrei, wistra 2006 S. 370; Hellmann, in: HHSp, AO, § 370
gehende Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erreichen Rn. 299 ff. (November 2011); Wulf, Stbg 2011 S. 418; Schmitz/Wulf, in: MünchKomm-StGB,
wollte und die den Freispruch hinsichtlich des Betrugsvor­ 2. Aufl. 2015, § 370 AO Rn. 103 f.; Gaede, in: Esser/Rübenstahl u.a. (Hrsg.), Wirtschaftstrafrecht,
wurfs angriff, war in Teilen erfolgreich. Der Freispruch vom 2017, § 370 AO Rn. 200-203; alle m.w.N.

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„Steuerverkürzung in großen Ausmaß“, der nach neuerer Rspr. leitenden Mitarbeiter, der als Diplomkaufmann über eine
mit einheitlich 50.000 € pro Veranlagung angegeben wird. 5 langjährige Berufserfahrung im unternehmerischen Bereich
Gleichwohl hat der Senat in dem vorliegenden Fall wegen verfügt, sah der BGH diese Voraussetzungen ohne Weiteres
der Umstände des Einzelfalls nicht beanstandet, dass das als erfüllt an. Wenn der A meinte, sich einer Freizeichnung
LG keinen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung der eingegangenen Rechnung nicht entziehen zu können,
angenommen hat.6 dann wäre er nach Auffassung des BGH rechtlich verpflichtet
gewesen, bei der Weiterleitung darauf hinzuwirken, dass die
2. Steuerhinterziehung wegen nicht abzugsfähiger Zahlung dem Ergebnis der K­KG außerbilanziell hinzugerech­
­Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG (Vz. 2002) net werden würde. Indem A die Rechnung freizeichnete, an die
Die Feststellung von Steuerhinterziehungen auf der Basis von Buchführung weiterleitete und nicht auf eine entsprechende
§ 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG stellt fachlich hohe Ansprüche an die Verbuchung hinwirkte, habe er den Bereich „neutraler“ Zuar­
Ermittlungsbehörden, da es im Ausgangspunkt zunächst um beit verlassen, die Steuerhinterziehung des Jahres 2002 i.S.d.
originär strafrechtliche Rechtsfragen der Korruptionsvor­ Tatbestands gefördert und sich mithin wegen Beihilfe nach
schriften geht (§§ 331 ff. StGB). Darauf aufbauend sind dann § 27 StGB strafbar gemacht. 8
steuerliche Fragen zu prüfen (Voraussetzungen und Auswir­ Die Ausführungen des Senats sind an dieser Stelle wenig über­
kungen der Nicht­Abzugsfähigkeit nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG), raschend. Sie zeigen eindringlich, dass auch für Mitarbeiter,
die dann wiederum zu steuerstrafrechtlichen Konsequenzen die nicht unmittelbar mit der Bearbeitung der Steuererklärung
(§ 370 AO) führen. Derartige Fälle erfordern eine enge inhalt­ im Unternehmen befasst sind, steuerstrafrechtliche Risiken
liche Abstimmung zwischen den Finanz­ und den Strafverfol­ bei der Verbuchung nicht abzugsfähiger Ausgaben bestehen.
gungsbehörden. Sie zeigen zudem, wie sich verhindern lässt, dass zweifelhafter
Der vorliegende Fall war deshalb noch relativ einfach in Vertriebsaufwand zu steuerstrafrechtlichen Problemen führt:
den Griff zu bekommen, da schriftliche Dokumente und ein Wären die Aufwände zwar handelsrechtlich verbucht, aber
Geständnis des in Griechenland vernommenen Agenten P zu steuerlich als nicht abzugsfähig behandelt worden, so wäre
den Korruptionszahlungen vorlagen. Der BGH erwähnt knapp, dem A wegen der an die B­GbR gezahlten Provisionen nichts
dass es nach der Struktur des Bestechungstatbestands aus passiert.9 Eine steuerliche Verfehlung (mit der daran anknüp­
§ 334 Abs. 1 StGB nicht darauf ankommt, dass der damalige fenden langen Verjährungsfrist nach § 376 AO) hätte dann
griechische Verteidigungsminister ohnehin entschlossen war, nicht vorgelegen und mögliche Korruptionsvorwürfe gegen
die von den deutschen Herstellern angebotenen Panzerhaubit­ ihn waren bei Aufdeckung der Sachverhalte bereits verjährt.
zen zu erwerben. Denn da es sich bei der Auswahl des Lieferan­
ten um eine Ermessensentscheidung handelte, war es bereits 3. Strafbarkeit durch Unterlassen wegen einer „Garanten-
tatbestandsmäßig, wenn der Minister sich nur irgendwie stellung“ für die Folgezeiträume (Vz. 2003-2005)?
von dem versprochenen und gewährten Vorteil beeinflussen In zeitlicher Hinsicht folgt der BGH mit bemerkenswerten
ließ. Darüber hinaus musste der BGH auf die Probleme des Ausführungen der vom LG vorgenommenen Beschränkung
zeit­l ichen Anwendungsbereichs des EU­Bestechungsgesetzes der strafrechtlichen Haftung. Die Staatsanwaltschaft hatte
nicht näher eingehen. Dieses Gesetz, das den Anwendungsbe­ gefordert, dass der A auch hinsichtlich der als Betriebsaus­
reich des deutschen Korruptionsstrafrechts auf ausländische gaben verbuchten Rechnungen der B­GbR aus den Jahren
Amtsträger erstreckte, ist im September 1998 in Kraft getre­ 2003­2005 wegen Steuerhinterziehung verurteilt werden muss.
ten. Damit wäre die (erste) Provisionsvereinbarung zwischen Der A sei insoweit als „mittelbarer Täter“ zu behandeln, da er
der K­KG und der B­GbR aus dem März 1998 allein wohl nicht alle Umstände gekannt habe und insoweit mit „überlegenem
ausreichend gewesen, um die nachfolgende Zahlung der Pro­ Wissen“ hinsichtlich der Personen gehandelt habe, die als seine
visionen als tatbestandsmäßig einzuordnen. Der Senat weist Nachfolger im Unternehmen gutgläubig die Verbuchung der
aber darauf hin, dass diese Vereinbarung in den Jahren 2000 nach seinem Ausscheiden noch eingegangenen Rechnungen
und 2001 jew. verlängert wurde, sodass Handlungen vorlagen, veranlasst hätten.
die als Abschluss einer Unrechtsvereinbarung im zeitlichen Der Senat weist zur Erörterung dieser Frage einleitend darauf
Anwendungsbereich des IntBestG ausgelegt werden konnten.7 hin, dass für die Veranlagungsjahre 2003­2005 wegen des
Einen ersten inhaltlichen Schwerpunkt der Entscheidung zwischenzeitlichen Ausscheidens des A aus dem Unterneh­
bildet die Frage, ob und in welchem Umfang sich der A durch men nur eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch
die interne Weiterleitung der durch die B­GbR eingereichten Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder wegen Beihilfe durch
Provisionsrechnungen nach § 370 AO strafbar gemacht hat. Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 27 und § 13 StGB)
Die Verteidigung hatte eingewandt, dass der A nur für kauf­ in Betracht kommen konnte. Der A sei aber insoweit nicht als
männische Aufgaben zuständig war und dass er für die steu­ „Garant“ i.S. der allgemeinen Systematik der Unterlassungsde­
erliche Geltendmachung der weitergeleiteten Rechnung nicht likte anzusehen. Selbst wenn man unterstellt, dass A durch die
verantwortlich gewesen sei. Dies ließ der BGH nicht gelten. Die Beauftragung der B­GbR und die Zusammenarbeit mit dem
Voraussetzungen einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung seien P jew. Beiträge zu Bestechungshandlungen in Griechenland
erfüllt, sobald der Beitrag des Betroffenen die Begehung der leistete und demnach gegen Vorschriften des Korruptions­
Haupttat nur „fördert“ und er dabei in dem Bewusstsein han­ strafrechts verstoßen hat, wäre ein solches Verhalten nach
delt, dass der tatbestandliche Erfolg eintreten wird. Bei einem Auffassung des BGH nicht geeignet, eine „Garantenstellung
kraft Ingerenz“ für die Steuererklärungen der K­KG in den
5 BGH vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15, RS1196622 = wistra 2016 S. 157.
6 Vgl. i.E. BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 52-55. 8 Vgl. hierzu BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 21-24.
7 Vgl. BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 17-18; die Frage, ob die „Verlängerung“ für sich das 9 Zur praktischen Vorgehensweise in solchen Fällen Spatscheck/Wulf, in: Streck/Mack/Schwed-
Merkmal der Unrechtsvereinbarung erfüllen kann, wird in der Entscheidung nicht thematisiert. helm (Hrsg.), Tax Compliance, 2. Aufl. 2016, Tz. 3.413-3.419, m.w.N.

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Jahren 2003­2005 zu begründen. Denn die Beteiligung an einer Provisionen finanziert wurden, nicht bei der Bemessung der
Bestechung löse „keine Garantenstellung für die Erfüllung steuerstrafrechtlichen Vorwürfe für das Jahr 2002. Zwar ging
steuerlicher Pflichten des Bestechenden aus“. Folgerichtig das Gericht durchaus davon aus, auch hinsichtlich dieses
könne die Nicht­Verhinderung oder Nicht­Erschwerung der Betrags lägen nicht abzugsfähige Betriebsausgaben vor. Der A
Steuerhinterziehung des Unternehmens dem ausgeschiedenen habe von den Zahlungen an Ka aber keine „positive Kenntnis“
Mitarbeiter nicht als Steuerhinterziehung durch Unterlassen gehabt.
oder als Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen An dieser Stelle greift der BGH ein und kritisiert, dass das LG
angelastet werden. Es fehlt an einer rechtlichen Verpflichtung – augenscheinlich – davon ausgegangen sei, eine Strafbarkeit
und einer damit korrespondierenden „Sonderverantwortlich­ des A setze positive Kenntnis voraus. Dies wäre selbstverständ­
keit“ für die Verhinderung von Straftaten.10 lich nicht zutreffend. Denn eine Strafbarkeit wegen Beihilfe
Die Ausführungen des BGH an dieser Stelle sind sehr ausführ­ käme bereits dann in Betracht, wenn der A nur mit bedingtem
lich und betonen zutreffend, dass das Institut der Begründung Vorsatz hinsichtlich der Begehung der Haupttat und hinsicht­
von Handlungspflichten unter dem Gesichtspunkt der „Inge­ lich seines eigenen „fördernden“ Beitrags gehandelt hätte.
renz“ durch den Schutzzweck der Normen begrenzt ist, die die Es erscheint aber fraglich, ob die vom BGH in diesem Punkt
Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens begründen. Auch wenn ausgesprochene Aufhebung des Strafausspruchs und Zurück­
§ 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG als steuerliche Vorschrift konzipiert verweisung an das LG zutreffend waren, oder ob nicht der
ist, um einen „Beitrag zur Bekämpfung der Korruption“ zu BGH selbst einen Punkt übersieht. Denn Auslöser für die
leisten, reicht der Zusammenhang umgekehrt nicht so weit, Nicht­Abzugsfähigkeit von Aufwendungen nach § 4 Abs. 5
dass der Beteiligte an einer Korruptionsstraftat rechtlich Nr. 10 EStG ist, dass der „Stpfl.“ die strafbaren Zuwendungen
zum Einschreiten verpflichtet ist, um nachfolgende Steuer­ veranlasst hat. Die Nicht­Abzugsfähigkeit ist in gewisser Weise
verkürzungen zu verhindern. I.Ü. ist durchaus streitig, ob die Sanktion für ein Fehlverhalten, das dem Stpfl. zuzurechnen
allgemeinen (und im Rahmen von § 13 StGB anerkannten) sein muss. Dies bedeutet für Gesellschaften, dass die tatbe­
Garantenpflichten geeignet sind, das Blankett der „Pflicht­ standsmäßigen Korruptionshandlungen den vertretungsbe­
widrigkeit“ i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auszufüllen, sodass nach rechtigten Personen oder Organen zuzurechnen sein müssen.13
der wohl h.M. jedenfalls nur eine Beihilfe durch Unterlassen in Dies setzt mindestens Kenntnis der Verantwortlichen von
Betracht gekommen wäre, selbst wenn man das Vorliegen von dem Fehlverhalten von Mitarbeitern voraus. Handeln einfache
Ingerenz hätte bejahen wollen.11 Mitarbeiter ohne Auftrag und Kenntnis der Geschäftsführung,
so greift das Abzugsverbot nicht ein.14
4. Steuerhinterziehung hinsichtlich der Zuwendung an den Einen Auftrag der K­KG an den P zur Vornahme von Beste­
Rüstungsdirektor K aus dem Jahr 2002? chungshandlungen war nicht erteilt worden. Den Feststellun­
Hinsichtlich eines weiteren Details war die Revision der Staats­ gen nach setzte der P seinen Ansprechpartner A auch nicht in
anwaltschaft allerdings erfolgreich. Das LG hatte festgestellt, Kenntnis, bevor er die Bestechungszahlung ausführte. Soweit
dass neben der (über die B­GbR organisierte) Bestechung des aber die Geschäftsführung hinsichtlich dieser Zahlung gut­
Verteidigungsministers auch eine Bestechungszahlung an gläubig war und der Prokurist A erst nachträglich von der
den Rüstungsdirektor Ka vorgenommen worden war. Ka war durch P geleisteten Bestechungszahlung erfahren hatte, wäre
wegen anderer Vorwürfe verhaftet worden und hatte gestan­ die außerbilanzielle Hinzurechnung von zwei weitergehenden
den, im Zusammenhang mit dem Erwerb der Panzerhaubitzen Fragen abhängig gewesen:
mindestens 750.000 € von dem P erhalten zu haben. Dieses 1. Führt die nachträgliche „Genehmigung“ solcher Zahlun­
Geständnis führte zu der Verhaftung des P in Griechenland. gen zum Abzugsverbot und
Die Staatsanwaltschaft hatte dies zum Anlass genommen, 2. ist die Entscheidung eines Prokuristen an dieser Stelle
für die an P geleisteten Provisionen insgesamt von nicht wirksam, um das steuerliche Abzugsverbot auszulösen?
abzugsfähigen Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG Orientiert man sich an den Sachverhaltselementen, die durch
auszugehen und hatte den A auch insoweit als Täter einer den BGH in der Revisionsentscheidung mitgeteilt werden, so
Steuerhinterziehung (zugunsten der K­KG) angeklagt. ist schon zweifelhaft, ob von einer „Genehmigung“ gesprochen
Das LG stellte hierzu fest, dass P seitens der K­KG nur mit den werden kann. Sollte der A nur nachträglich mit der Zahlung
„üblichen Unterstützungstätigkeiten“ beauftragt und „nicht konfrontiert worden sein und dem P dann erklärt haben,
mit Bestechungen“ betraut gewesen sei. Die Bestechung des Ka dass dies nicht in seinem Sinn gewesen sei,15 so lässt sich
sei „aus eigenem Entschluss“ des P hin erfolgt. Ausdrücklich kaum von einer nachträglichen Zustimmungsentscheidung
habe er hierüber gegenüber dem A und den Verantwortlichen
der K­KG nicht berichtet. Allenfalls habe er gegenüber dem A 13 Allgemeine Auffassung, vgl. nur Wied, in: Blümich (Hrsg.), EStG, § 4 Rn. 902 (Okt. 2015); Spilker,
einmal entsprechende Forderungen des Ka erwähnt.12 Das LG in: Kirchhof/Söhn (Hrsg.), EStG, § 4 Rn. Q 16 (Juli 2015); Bode, in: Kirchhof (Hrsg.), EStG, 13. Aufl.
berücksichtigte auf dieser Tatsachenbasis die Zuwendung an 2014, § 4 Rn. 229; Stapf, DB 2000 S. 1092 (1097); Gotzens, DStR 2005 S. 673 (676) – alle unter
Hinweis auf die zutreffenden Aussagen im Erlass des BMF vom 10.10.2002, BStBl. I 2002 S. 1031
den Ka, die mittelbar aus den von der K­KG an P gezahlten
= DB 2002 S. 2297, Rn. 7 (missverständlich insoweit Spatscheck/Wulf, a.a.O. [Fn. 9], Rn. 3.409).
10 BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 74-86. 14 Streitig ist, welche Voraussetzungen i.E. für die Zurechnung bei einer Gesellschaft erforderlich
11 Gegen eine Anwendung von § 13 StGB auf § 370 Abs. 1 AO Gaede, a.a.O. (Fn. 4), § 370 AO sind: das BMF (a.a.O. [Fn. 13]) stellt auf „vertretungsberechtigte Personen und Organe“ ab und
Rn. 136; Schmitz/Wulf, a.a.O. (Fn. 4), § 370 AO Rn. 331; Kasiske, wistra 2014 S. 100; Reichling/ will auch die nachträgliche Genehmigung ausreichen lassen; Heinicke, in: Schmidt (Hrsg.), EStG,
Lange, NStZ 2014 S. 311; im Ergebnis ablehnend wohl auch Ransiek, in: Kohlmann (Hrsg.), 36. Aufl. 2017, § 4 Rn. 611, will neben den Handlungen der Geschäftsführer ausdrücklich auch
Steuer­strafrecht, § 370 AO Rn. 224 (Nov. 2012); a.A. dagegen Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt die Handlungen von Prokuristen für eine Zurechnung genügen lassen.
(Hrsg.), Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 Rn. 237-238; der BGH neigt zu der von Joecks 15 BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 60: „Zwar habe P zu einem nicht mehr feststellbaren
vertretenen Auffassung (vgl. BGH vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, RS0802476 = wistra 2013 Zeitpunkt dazu angesetzt, dem Angeklagten mitzuteilen, dass K einen Teil der von ihm erhalte-
S. 314), musste diese Frage bislang aber nicht abschließend entscheiden. nen Provision fordern würde. Allerdings habe ihn der Angeklagte mitten im Satz mit der Äuße-
12 BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 60. rung gestoppt, dass er davon nichts hören wolle und dass dies nur ihn, P, etwas angehen würde“.

2380 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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sprechen. Auf die Frage der „Vertretungsmacht“ würde es dann halb die Frage, worin genau die „Leistung“ des A zu sehen ist,
schon nicht mehr ankommen. Auf dieser Sachverhaltsbasis die zur Steuerpflicht der Rückvergütung führt.
wäre es dann objektiv nicht möglich, von nicht abzugsfähigen Der BGH fasst die Feststellung des LG mit der Formulierung
Betriebsausgaben auszugehen. Der „Freispruch“16 des A hin­ zusammen, der A habe die Zahlung aufgrund stillschweigen­
sichtlich der Bestechungszahlung an den Rüstungsdirektor Ka der Einigkeit mit dem P für seine „Mitwirkung am Erfolg des
hätte bestehen bleiben müssen. Projekts“ erhalten sollen. Der BGH verweist hierzu auf die
Rspr. des BFH, wonach kein synallagmatisches Verhältnis von
III. ESt-Hinterziehung zu eigenen Gunsten (§§ 370, 371 AO) Leistung und Gegenleistung gefordert wird, sondern es ausrei­
Das LG hatte den A ergänzend wegen ESt­Hinterziehung (zu chend sein soll, wenn der Empfänger die Zahlung nachträglich
eigenen Gunsten) in Bezug auf das Veranlagungsjahr 2004 als eine „im wirtschaftlichen Zusammenhang mit seinem Tun,
verurteilt. Dem lagen Überweisungen der O Consultants Ltd. Dulden oder Unterlassen gewährte Gegenleistung als solche“
aus Zypern auf ein Konto des A bei einer Bank in der Schweiz annimmt.18
zugrunde, die für die Jahre 2001, 2002 und 2004 feststellbar Der BFH betont in seinen Entscheidungen allerdings auch
waren. Sodann waren dort bis zu der Auflösung des schwei­ immer wieder, dass „nicht jede Einnahme, die durch eine
zer Kontos Kapitalerträge entstanden.17 Für die Strafbarkeit Tätigkeit ausgelöst wird, auch zu Einkünften gem. § 22 Nr. 3
wegen ESt­Hinterziehung für das Jahr 2004 kam es maß­ EStG“ führt.19 Man kann deshalb die Frage stellen, ob es als
geblich auf die Zeitabläufe an. Denn der A selbst hatte den auslösendes Moment ausreicht, dass der P dem A eine Erfolgs­
maßgeblichen Sachverhalt in einer am 06.01.2014 abgegebenen beteiligung für eine Tätigkeit gewährte, die der A im Interesse
„Selbstanzeige“ gegenüber seinem ESt­FA offengelegt. Damit seines Arbeitgebers und im Rahmen seiner nichtselbststän­
hätte Straffreiheit oder zumindest eine Verfahrenseinstellung digen Tätigkeit jedenfalls erbringen wollte und musste. Es
nach § 398a AO eintreten können. Das LG ging aber davon aus, wäre zur weiteren Präzisierung des Begriffs der „sonstigen
dass die Erklärung vom 06.01.2014 wegen der vorhergehenden Einkünfte“ durchaus wünschenswert gewesen, wenn der BGH
Tatentdeckung nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO unwirksam gewesen insoweit auf den Veranlassungszusammenhang näher einge­
sei. Denn wenige Tage zuvor, am 03.01.2014, war der P von den gangen wäre.
griechischen Ermittlungsbehörden vernommen worden und
hatte dabei angegeben, erhebliche Geldbeträge an den A in 2. Sperre der Selbstanzeige durch Tatentdeckung
die Schweiz überwiesen zu haben. Den griechischen Behör­ (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO)
den lagen zu diesem Zeitpunkt auch die Kontoauszüge der O Der BGH sah das Schreiben vom 06.01.2014, in dem der Sach­
Consultants Ltd. vor. Über diesen Ermittlungsstand in Grie­ verhalt und geschätzte Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt
chenland war in den Tagen vor dem 06.01.2014 in deutschen worden waren, nicht als wirksame Selbstanzeige an, da zuvor
Online­Medien auch bereits berichtet worden. bereits Tatentdeckung i.S.v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO eingetreten
sei und bestätigte insoweit die Rechtsauffassung des LG.
1. ESt-Hinterziehung in Bezug auf „Kick-Back-Zahlungen“ Der genannte Sperrgrund setzt sich aus einer objektiven Kom­
Der Vorwurf der ESt­Hinterziehung gegen den A setzte voraus, ponente (Steuerstraftat ganz oder teilweise entdeckt) und
dass die durch den P veranlassten Rückflüsse für den A steuer­ einer subjektiven Komponente (Täter wusste dies oder musste
pflichtige Einnahmen darstellten. Denn die in der Schweiz bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen)
erzielten Kapitalerträge allein hätten nicht ausgereicht, um zu zusammen. Rechtlich problematisch war hier die objektive
einer Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ zu führen, die Komponente, da im Zeitpunkt der Nacherklärung nur die
wiederum Voraussetzung dafür war, dass die Verhältnisse des griechischen Behörden über Erkenntnisse verfügten, sodass
Jahres 2004 bei Beginn der Ermittlungen im Jahr 2014 noch es darauf ankam, welche Voraussetzungen an eine Tatentde­
verfolgt werden konnten. ckung durch ausländische Behörden zu stellen sind. Subjektiv
Der BGH bestätigt die Annahme des LG, dass die Rückvergü­ ging es um die Frage, ob der A die Presseberichte zur Kenntnis
tungen für den A im Jahr 2004 zu sonstigen Einkünften i.S.v. genommen hat, die über den Stand der Ermittlungen in Grie­
§ 22 Nr. 3 EStG geführt hätten. Dies war nach den Besonder­ chenland berichtet hatten. Dies war vor allem eine Frage der
heiten des Sachverhalts nicht selbstverständlich. Denn die Beweiswürdigung.
vorliegende Konstellation weicht von den typischen Kick­Back­
Sachverhalten ab. Im typischen Fall soll der Rückfluss den a) Objektive Voraussetzungen
Mitarbeiter dazu motivieren, unter Verletzung der Interessen Zur Beschreibung der objektiven Voraussetzungen verwendet
seines Arbeitgebers die Vergabe von Aufträgen o.Ä. zu beein­ der BGH seit über 30 Jahren eine feststehende Formel.20 Danach
flussen. In diesen Fällen ist der Kick­Back die Gegenleistung liegt Tatentdeckung vor, „wenn bei vorläufiger Tatbewertung
für die erfolgte Einflussnahme. Im vorliegenden Fall handelte die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses
der A dagegen hinsichtlich der Erlangung des Auftrags voll gegeben ist“. Die Formulierung geht auf die grundlegende
und ganz im Interesse seiner Arbeitgeberin. Es stellt sich des­ Entscheidung des seinerzeit zuständigen 3. Strafsenats vom

16 Achtung: Technisch handelt es sich gerade nicht um einen Teilfreispruch, sondern die Betriebs- 18 Grundlegend BFH vom 21.09.2004 – IX R 13/02, BStBl. II 2005 S. 44 = DB 2004 S. 2727; zur nach-
ausgaben aus der „Provision P“ sind Gegenstand der Beihilfetat, für die A hinsichtlich der „Provi- träglichen Gewährung eines Entgelts auch bereits BFH vom 21.09.1982 – VIII R 73/79, BStBl. II
sion B“ zu Recht wegen Beteiligung an der Steuerhinterziehung verurteilt wurde. 1983 S. 201 = DB 1983 S. 754; der BGH verweist zusätzlich auf BFH vom 25.02.2009 – IX R 33/07,
17 Die Sachverhalte für die Jahre 2001 und 2002 waren strafrechtlich verjährt, mutmaßlich weil RS0763909 = DStR 2009 S. 1529, sowie auf seine eigene Entscheidung im Fall „Gribkowsky“,
vor Einführung der verlängerten, strafrechtlichen Verjährungsfrist (25.12.2008) bereits die alte, BGH vom 06.09.2016 – 1 StR 575/15, wistra 2017 S. 104.
fünfjährige Verjährungsfrist abgelaufen war; für die Veranlagungsjahre nach 2004 dürfte eben- 19 So auch in der vom BFH zitierten Entscheidung vom 25.02.2009, a.a.O. (Fn. 18), DStR 2009
falls Verjährung eingetreten sein, da die Steuerverkürzung aus den nichterklärten Kapitalerträ- S. 1530.
gen allein kaum die Grenze zum „großen Ausmaß“ überschreitet. 20 BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 30-31.

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13.05.1983 zurück.21 Diese Formel hat nachfolgend sowohl der 5. c) Entdecker muss die erlangte Information an die zuständigen
Strafsenat in seiner „Konzertveranstalter“­Entscheidung vom Strafverfolgungsbehörden weitergeben
05.04.2000 als auch der 1. Strafsenat in seiner „Selbstanzeige“­ Schließlich muss bei der Tatentdeckung durch Dritte neben
Entscheidung vom 20.05.2010 bestätigt. 22 Sie sollte eigentlich der Erfassung des Sinngehalts hinzukommen, dass der „Ent­
zum Ausdruck bringen, dass der Kenntnisstand für eine decker“ die erlangte Information an die zuständigen Strafver­
Tatentdeckung über einen bloßen Anfangsverdacht hinausge­ folgungsbehörden weitergeben wird. Anderenfalls begründet
hen muss.23 In der neueren Rspr. verblasst dieser ursprüngliche die Kenntniserlangung durch ihn keine erhöhte Verurteilungs­
Bedeutungsgehalt der Formel zunehmend. Auch im vorliegen­ wahrscheinlichkeit. Der BGH konnte bei seiner Entscheidung
den Fall wird nicht klargestellt, ob der Senat der von ihm zitier­ auf ein Urteil aus dem Jahr 1987 Bezug nehmen, in dem sich
ten Rspr. inhaltlich folgt oder ob er in Wirklichkeit heute einen der seinerzeit für das Steuerstrafrecht zuständige 3. Strafsenat
Anfangsverdacht ausreichen lassen will. Konkret begnügt sich mit einer ähnlichen Konstellation auseinandergesetzt hatte.25
der 1. Strafsenat mit der Formulierung, für die griechischen Dort ging es um Beweismittel, die die örtliche Polizei bei einer
Ermittlungsbehörden sei es „nach kriminalistischer Erfah- Durchsuchung in der Schweiz erlangt hatte und aus denen
rung ausgesprochen naheliegend“ gewesen, dass die für sie auf das Vorliegen einer (versuchten) Steuerhinterziehung in
sichtbaren Zahlungen in die Schweiz in Deutschland nicht Deutschland geschlossen werden konnte. Der BGH hob das
als Einnahmen versteuert würden. Ob damit ein Ermittlungs­ erstinstanzliche Urteil auf und verwies das Verfahren an das
stand eingetreten sein soll, der über einen Anfangsverdacht LG zurück mit dem Auftrag, Feststellungen dazu zu treffen,
hinausging, wird nicht recht deutlich. ob bis zum Tag der Selbstanzeige in der Schweiz Umstände
eingetreten waren, die es wahrscheinlich machten, dass die
b) Vorläufige „Bewertung der Verurteilungswahrscheinlichkeit“ Schweizer Behörden von sich aus Rechtshilfe leisten würden.
Sicher ist, dass auch im Fall der Tatentdeckung durch einen Eine solche Prüfung war auch im vorliegenden Fall erfor­
Dritten jener Dritte eine rechtliche Bewertung vornehmen derlich. Ob aber am 06.01.2014 davon auszugehen war, dass
muss. Denn ohne die vorläufige „Bewertung der Verurtei­ die griechischen Behörden von sich aus Erkenntnisse nach
lungswahrscheinlichkeit“ ist die Entdeckung begrifflich nicht Deutschland übermitteln würden, die im Inland zur Verurtei­
denkbar. Zwar wird man bei der Entdeckung durch Dritte lung des A führen würden, darf mit einem Fragezeichen verse­
keine rechtliche Subsumtion erwarten können, sondern eine hen werden. Eine autonome Auskunftserteilung griechischer
Parallelwertung in der Laiensphäre als ausreichend erachten.24 Behörden scheint bis heute Seltenheitswert zu haben. Der BGH
Gerade bei ausländischen Behörden ist aber zu verlangen, legt dies auch nicht zugrunde, sondern behilft sich mit einem
dass sie den rechtlichen Gehalt der erlangten Erkenntnisse Kniff: Er stellt darauf ab, dass die in Griechenland gewonnenen
zutreffend einordnen. Genau genommen hätte also geprüft Erkenntnisse in der gegebenen Situation („hohes Medieninter­
werden müssen, ob die griechischen Behörden am 06.01.2014 esse“) voraussichtlich „an die deutschen Ermittlungsbehörden
bei vorläufiger Bewertung davon ausgingen, dass in Deutsch­ auf deren Ersuchen“ weitergeleitet worden wären.26 Die Tatent­
land die Verurteilung wegen ESt­Hinterziehung für das Jahr deckung soll danach in Griechenland eingetreten sein – die
2002 wahrscheinlich war. Dies setzt mindestens Mal voraus, notwendige Verurteilungswahrscheinlichkeit wird dann aber
dass die griechischen Behörden überhaupt davon ausgingen, daraus abgeleitet, dass die deutschen Behörden aufgrund von
dass der Rückfluss des Geldes in Deutschland steuerbar war. Medienberichten aufmerksam wurden (ohne die konkrete Tat
In Anbetracht der Tatsache, dass dies schon nach deutschem zu entdecken) und eigene Rechtshilfeersuchen nach Griechen­
Recht keine Selbstverständlichkeit ist, sind die Ausführun­ land richteten. Diese Lösung erscheint zweifelhaft. Denn nach
gen zur vermeintlichen Tatentdeckung im konkreten Fall dem ursprünglichen Verständnis soll es darauf ankommen, ob
m.E. nicht ausreichend. Es fehlt jede Feststellung dazu, wie der Dritte von sich aus die Erkenntnisse offenbaren wird und
die griechischen Ermittlungsbeamten die steuerliche Situa­ nicht darauf, ob er auf Nachfrage bereit wäre, die Informatio­
tion in Deutschland am 06.01.2014 einschätzten. Hätten die nen mit den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zu teilen.
griechischen Behörden über die Frage der Steuerpflicht von Die Kritik ist an dieser Stelle zugegebenermaßen etwas spe­
Rückflüssen in Deutschland am 06.01.2014 noch überhaupt kulativ, da über die weitere Entwicklung des Sachverhalts auf
nicht nachgedacht oder hätten sie es für gut möglich gehalten, Basis der in Griechenland am 06.01.2014 vorliegenden Erkennt­
dass solche Rückflüsse in Deutschland steuerfrei sein könnten, nisse wenig gesagt werden kann. M.E. kann dieses Problem
so hätte objektiv keine Tatentdeckung vorgelegen. der Sachverhaltsermittlung aber nicht dadurch überbrückt
Auch der Umstand, dass die Rückflüsse verschleiert worden werden, dass man sich mit der Wahrscheinlichkeit eines aus
waren, war kein eindeutiges Indiz für eine Steuerpflicht. Denn Deutschland heraus veranlassten Rechtshilfeersuchens behilft.
offenkundig verhielt sich der A durch die Entgegennahme
des Rückflusses pflichtwidrig gegenüber seinem Arbeitgeber. IV. Fazit
Schon dies war ausreichender Anlass für ihn, um über eine Die Entscheidung des BGH vom 09.05.2017 behandelt unglaub­
Verschleierung nachzudenken. lich viele Rechtsprobleme und Details. Nur ein Teil von ihnen
konnte hier besprochen werden. Steuerstrafrechtlich illustriert
der Fall eine ganze Reihe der Praxisprobleme, die sich bei der
21 BGH vom 13.05.1983 – 3 StR 82/83, NStZ 1983 S. 415 = wistra 1983 S. 197. Aufarbeitung von Korruptionszahlungen ins Ausland stellen
22 BGH vom 05.04.2000 – 5 StR 226/99, RS0787067 = wistra 2000 S. 219 (225 f.), und vom können. Der BGH trifft wichtige Aussagen zur Reichweite
20.05.2010 – 1 StR 577/09, RS1005409 = wistra 2010 S. 304 (306 f.).
von § 370 AO, denen zuzustimmen ist. Fraglich erscheint, ob
23 Vgl. i.E. BGH vom 13.05.1983, a.a.O. (Fn. 21); nachfolgend bestätigt auch durch BGH vom
24.10.1984 – 3 StR 315/84, wistra 1985 S. 74 (75).
24 In diesem Sinne auch Joecks, a.a.O. (Fn. 11), § 371 Rn. 317, unter Hinweis auf Blumers, wistra 25 BGH vom 13.05.1987 – 3 StR 37/87, wistra 1987 S. 293.
1985 S. 87: Der Dritte muss das Verhalten „in seinem Sinngehalt“ erfassen. 26 BGH vom 09.05.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 37.

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die Konstellation der selbstständigen Vornahme von Beste­ hätte, eine weitergehende Aufklärung des Sachverhalts zu
chungshandlungen durch den ausländischen Handelsvertreter veranlassen.
steuerlich zutreffend eingeordnet wurde, denn die Anwendung
von § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG setzt bei Gesellschaften voraus, dass Redaktionelle Hinweise:
die vorgenommene strafbare Zuwendung ihren gesetzlichen – BGH vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16, RS1243072;
Vertretern zugerechnet werden kann. – zur Steuerhinterziehung großen Ausmaßes vgl. Talaska, DB 2016
Bei der Beurteilung der strafbefreienden Selbstanzeige setzt S. 673 = DB1195683;
der BGH seine restriktive Rspr. fort. Die Sperrwirkung einer – zur Selbstanzeige vgl. Talaska, DB 2015 S. 944 = DB0694475; Buse,
„Tatentdeckung“ durch ausländische Behörden wird in dem DB 2015 S. 89 = DB0689700;
Urteil bejaht, obwohl nach den vorangegangenen Entschei­ – zur steuerlichen Transparenz durch ein Tax Compliance System
dungen anderer BGH­Senate eigentlich Anlass bestanden und die Anforderungen nach IDW PS 980 vgl. Risse, DB1247081.

Kompakt

Gewinnermittlung »DB1251869 II. Entscheidung


1. Bisherige Rspr.: Nachträgliche Anschaffungskosten bei
Keine nachträglichen ­Anschaffungskosten eigenkapitalersetzendem Darlehen
gem. § 17 EStG nach Aufhebung des Zu nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung
Eigenkapital­ersatzrechts durch das MoMiG i.S.d. § 17 EStG führten nach bisheriger Rspr. des BFH auch
nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie
Nach der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts durch das durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und weder Wer­
MoMiG sind Aufwendungen des Gesellschafters aus eigen­ bungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch
kapitalersetzenden Finanzierungshilfen nicht mehr als nach­ Veräußerungs­ oder Auflösungskosten waren. Für die Beur­
trägliche Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 EStG zu be­ teilung, ob eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters durch
rücksichtigen. Die Änderung der Rspr. gilt für Finanzierungen das Gesellschaftsverhältnis veranlasst war, hat der BFH darauf
des Gesellschafters ab dem 27.09.2017. abgestellt, ob sie eigenkapitalersetzend war. Er hat dies bejaht,
BFH, Urteil vom 11.07.2017 – IX R 36/15 wenn der Gesellschafter der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt,
Streitjahr 2011 in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute nur
noch Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft),
RiBFH Prof. Dr. Franceska Werth ist Richterin des VIII. Senats des BFH in stattdessen ein Darlehen gewährt, eine Bürgschaft zur Verfü­
München.
Kontakt: autor@der-betrieb.de
gung gestellt oder eine wirtschaftlich entsprechende andere
Rechtshandlung i.S.d. § 32a Abs. 1 und 3 GmbHG a.F. vorge­
nommen hat (sog. funktionelles Eigenkapital). Gegenstand
I. Sachverhalt des Rechtsstreits war die Frage, ob diese Voraussetzungen
Der Kläger war im Streitjahr 2011 Alleingesellschafter und vorlagen.
Geschäftsführer einer GmbH. Deren Anteile hatte er im Jahr
2010 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erworben. 2. Änderung der Rspr.: Keine nachträglichen Anschaffungs-
Für betriebliche Darlehen der GmbH hatte er im Jahr 2006 kosten bei eigenkapitalersetzenden Darlehen oder Bürg-
selbstschuldnerische Bürgschaften i.H.v. 170.000 € und schaften nach dem MoMiG
52.000 € übernommen. Im Februar 2011 stellte er einen Antrag Nach Auffassung des BFH gelten diese Grundsätze nach
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Reform des GmbHG durch das MoMiG nicht fort. Mit
der GmbH. Der Antrag wurde mangels Masse abgewiesen. der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts im GmbHG ist
In seiner ESt­Erklärung für das Jahr 2011 machte er einen die Grundlage der bisherigen Rspr. zu den nachträglichen
Auflösungsverlust i.H.v. 176.156,85 € geltend (im Einzelnen: Anschaffungskosten im Zusammenhang mit § 17 EStG ent­
Ausfall der vom Rechtsvorgänger übernommenen Stamm­ fallen. Es gilt danach auch hinsichtlich der steuerlichen Beur­
einlage 27.000 €, nachträgliche Anschaffungskosten aus teilung der handelsrechtliche Begriff der Anschaffungskosten
der Inanspruchnahme von Bürgschaften 140.610,40 € sowie gem. § 255 HGB. Den (nachträglichen) Anschaffungskosten
verschiedene Kosten 8.545,78 €). Im ESt­Bescheid für das der Beteiligung können grds. nur noch solche Aufwendungen
Streitjahr setzte das FA den Auflösungsverlust lediglich mit des Gesellschafters zugeordnet werden, die nach handels­ und
17.975 € an. Es lehnte die Berücksichtigung der Aufwendungen bilanzsteuerrechtlichen Grundsätzen zu einer offenen oder
aus der Inanspruchnahme der Bürgschaften ab, da sich die verdeckten Einlage in das Kapital der Gesellschaft führen.
GmbH im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme nicht in einer Aufwendungen aus Fremdkapitalhilfen, wie der Ausfall eines
Krise befunden habe. Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos. vormals „krisenbedingten“, „krisenbestimmten“ oder „in der
Das FG gab der Klage statt. Die hiergegen erhobene Revision Krise stehen gelassenen“ Darlehens oder der Ausfall mit einer
des FA hat der BFH aus Vertrauensschutzgründen zugunsten Bürgschaftsregressforderung, führen grds. nicht mehr zu
des Klägers zurückgewiesen. In der Sache hat er jedoch die Anschaffungskosten der Beteiligung. Etwas anderes kann sich
Anwendung des Eigenkapitalersatzrechts nach Einführung ergeben, wenn die vom Gesellschafter gewährte Fremdkapital­
der InsO abgelehnt. hilfe aufgrund der vertraglichen Abreden mit der Zuführung

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2383


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einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen wirtschaftlich III. Praxishinweis


vergleichbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn die Rückzahlung Das Urteil ist ein Paukenschlag! Der IX. Senat hat der dem Stpfl.
des Gesellschafterdarlehens – z.B. aufgrund der Vereinbarung wohlwollenden Auffassung der Finanzverwaltung, nach der die
eines Rangrücktritts i.S.d. § 5 Abs. 2a EStG – im Wesentlichen Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts für Finanzierungshil­
denselben Voraussetzungen unterliegt, wie die Rückzahlung fen des Gesellschafters nach § 32a GmbHG a.F. auch nach der
von Eigenkapital. Reform des GmbHG durch das MoMiG weitergelten, eine Absage
erteilt. Führt der Gesellschafter der GmbH Fremdkapital zu,
3. Übergangsregelung kann er dieses nur noch dann als nachträgliche Anschaffungs­
Aus Gründen des Vertrauensschutzes sind die bisheri­ kosten auf den Kapitalanteil i.S.d. § 17 EStG geltend machen,
gen Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen wenn die Zuführung einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen
Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzie­ wirtschaftlich vergleichbar ist. Dies kann z.B. bei einem Rang­
rungshilfen weiter anzuwenden, wenn der Gesellschafter eine rücktritt nach § 5 Abs. 2a EStG der Fall sein. Erforderlich ist
eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum Tag der jedoch, dass die Rückzahlung denselben Voraussetzungen unter­
Veröffentlichung des Urteils am 27.09.2017 geleistet hat oder liegt, wie die Rückzahlung von Eigenkapital. Diese Änderung der
wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu die­ Rspr. gilt erst für eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen,
sem Tag eigenkapitalersetzend geworden ist. die nach dem 27.09.2017 erteilt wurden. Es besteht danach für
Fälle ab diesem Zeitpunkt Handlungsbedarf. Spannend bleibt die
4. Entscheidung des Rechtsstreits nach altem Recht Frage, ob Forderungsausfälle des Gesellschafters gem. § 20 Abs. 2
Danach war die Revision des FA allein aus Vertrauensschutz­ EStG weiter zu berücksichtigen sind, da mit der Einführung der
gründen unbegründet. Das FG hatte ohne Rechtsfehler Abgeltungsteuer die Trennung von steuerlich unbeachtlicher
erkannt, dass nach der alten Rechtslage die Übernahme der Vermögens­ und steuerbarer Erwerbssphäre aufgehoben wurde.
Bürgschaft durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst war.
Zwar war der Kläger bei der Übernahme der Bürgschaften Redaktionelle Hinweise:
noch nicht Gesellschafter der GmbH. Die Übertragung der – Volltext-Urteil online: RS1251245;
Gesellschaftsanteile war jedoch bereits beschlossene Sache, – Aufforderung des BMF zum Beitritt vom 11.01.2017: RS1232841;
sodass die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung in einem – zu Finanzierungshilfen eines nach § 17 EStG qualifiziert betei-
hinreichend konkreten Zusammenhang mit dem späteren ligten Gesellschafters nach Abgeltungsteuer und MoMiG vgl.
Erwerb der Beteiligung stand. Heuermann, DB 2009 S. 2173.

Verwaltungsanweisungen

Gewinnermittlung/Körperschaftsteuer »DB1250201 im Einzelfall der Ort der Geschäftsleitung i.S.v. § 10 AO im


Inland befinden mit der Folge, dass diese KapGes. nach
Behandlung von nach ausländischem Recht § 1 Abs. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig
gegründeten grundstücksverwaltenden Körper- sind. Sie unterliegen dann grds. mit ihrem Welteinkommen der
schaften und von vermögensverwaltenden ge- deutschen Besteuerung und werden wie nach inländischem
Recht gegründete KapGes. besteuert.
werblich geprägten PersGes. mit ausländischen In einschlägigen Fällen sind daher zunächst Ermittlungen zum
Gesellschaftern ab dem Vz. 2009 Ort der Geschäftsleitung und zum Ort der Verwaltung des inlän­
dischen Grundbesitzes durchzuführen. Dabei sollte regelmäßig
OFD NRW, Verfügung vom 05.09.2017 – S 1300-2010/0007-St 122 auch die Informationszentrale für steuerliche Auslandslandbe­
ziehungen im Bundeszentralamt für Steuern (IZA) eingebunden
Auf dem deutschen Immobilienmarkt treten zunehmend nach werden. Zudem sind der IZA eigene Erkenntnisse über die aus­
ausländischem Recht gegründete Gesellschaften als Investo­ ländischen Gesellschaften mitzuteilen (vgl. BMF­Schreiben vom
ren auf. Sie erwerben – in teilweise sehr großem Umfang – im 06.02.2012 – IV B 6­S 1509/07/10001, BStBl. I 2012 S. 241).
Inland belegenen Grundbesitz und erzielen daraus inländi­ Legt die nach ausländischem Recht gegründete KapGes. eine
sche Einkünfte. Aufgrund der Änderung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 von einer ausländischen Steuerbehörde ausgestellte Ansäs­
Buchst. f EStG durch das JStG 2009 werden diese Einkünfte sigkeitsbescheinigung vor, kann dies als Indiz für einen im
ab dem Vz. 2009 als solche aus Gewerbebetrieb erfasst. Zur Ausland belegenen Geschäftsleitungsort gewertet werden.
Ermittlung der Einkünfte ab dem Vz. 2009 nimmt das BMF­ Eine Bindungswirkung für das deutsche Besteuerungsverfah­
Schreiben vom 16.05.2011 (DB 2011 S. 1192) ausführlich Stel­ ren entsteht hierdurch jedoch nicht.
lung. Ergänzend wird gebeten, bei der Veranlagung dieser Befinden sich sowohl der statutarische Sitz als auch der Ort der
Gesellschaften folgende Besonderheiten zu beachten: Geschäftsleitung im Ausland, ist die ausländische KapGes. nur
mit ihren inländischen Einkünften i.S.d. § 49 EStG beschränkt
I. KapGes. als Erwerber von im Inland belegenen Immobilien körperschaftsteuerpflichtig nach § 2 Nr. 1 KStG.
1. Prüfung der KSt-Pflicht Exkurs: Die identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssit­
Die nach ausländischem Recht gegründeten KapGes. haben zes einer nach dem ausländischen Recht eines EU/EWR­Staates
ihren statutarischen Sitz im Ausland. Gleichwohl kann sich gegründeten KapGes. ins Inland ist nur möglich, wenn der

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EU/EWR­Herkunftsstaat gesellschaftsrechtlich der Gründungs­ geäußert hat. Die weitere Klärung durch den BFH im Haupt­
theorie folgt. Folgt der EU/EWR­Staat der Sitztheorie, kann sacheverfahren (vgl. FG Sachsen­Anhalt vom 25.05.2016 –
nach ausländischem Gesellschaftsrecht mit der Verlegung des 3 K 1521/11; Az. der Revision: I R 81/16) bleibt abzuwarten.
Verwaltungssitzes eine Auflösung der im Ausland gegründeten Rechtsbehelfsverfahren in gleichgelagerten Fällen, in denen
KapGes. einhergehen. Dies hat zur Folge, dass das Vermögen und sich der Einspruchsführer auf das genannte Revisionsverfah­
die Einkünfte den Gesellschaftern unmittelbar oder mittelbar ren beruft, sind gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruhend zu stellen.
über eine anzunehmende PersGes. zuzurechnen sind (Hinweis Hinweis: Erzielt die ausländische KapGes. aus der Verwal­
auch auf die BGH­Urteile vom 27.10.2008 – II ZR 158/06, DB tung mehrerer inländischer Grundstücke Einkünfte, ist eine
2008 S. 2825 und II ZR 290/07, RS0723965). Nach dem EuGH­ einheitliche Gewinnermittlung für die gesamte inländische
Urteil vom 16.12.2008 – Rs. C­210/06, Cartesio, DB 2009 S. 52, gewerbliche Betätigung zu erstellen. Die Vermietung mehrerer
verstoßen die nationalen Vorschriften des Gesellschaftsrechts inländischer Grundstücke stellt aufgrund des sachlichen, insb.
der Mitgliedstaaten nicht gegen die Grundfreiheiten des EGV, organisatorischen, wirtschaftlichen und/oder finanziellen
wenn sie den nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesell­ Zusammenhangs eine wirtschaftliche Einheit dar.
schaften verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu Im Rahmen der Gewinnermittlung sind alle Wirtschaftsgüter,
verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationa­ die mit der inländischen Einkunftsquelle im wirtschaftlichen
len Rechts des Mitgliedstaats, nach dessen Recht sie gegründet Zusammenhang stehen (Analogie zu § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG),
wurde, zu behalten. Durch Onlineabfragen bei ausländischen als (fiktives) Betriebsvermögen der ausländischen KapGes. ein­
Handelsregistern kann die rechtliche Existenz der ausländischen zuordnen. Dies sind nach Auffassung der Finanzverwaltung
Gesellschaften überprüft werden (vgl. auch Arbeitspapier Prü­ neben der Immobilie insb. auch Mietkonten, Mietforderungen
fung der rechtlichen/tatsächlichen Existenz von ausländischen sowie Verbindlichkeiten. Zur Erfassung der Wirtschaftsgüter
KapGes.). Darüber hinaus sollte in Zweifelsfällen über das BZSt in der Eröffnungsbilanz bei erstmaliger Gewinnermittlung
geklärt werden, ob die ausländische Gesellschaft rechtsform­ nach § 4 Abs. 1 EStG ab dem Vz. 2009 vgl. BMF vom 16.05.2011
wahrend ihren Verwaltungssitz ins Inland verlegen kann. (a.a.O., Rz. 8). Diese Zuordnung hat zur Folge, dass ab dem
Vz. 2009
2. Einkunftsart im Rahmen der beschränkten Steuer­ – jede für Betriebsvermögen zulässige AfA­Methode in
pflicht Anspruch genommen werden kann und
Ab dem Vz. 2009 erzielt die ausländische Körperschaft aus – Teilwertabschreibungen vorgenommen werden können
der Vermietung und Verpachtung inländischer Grundstücke (allerdings nur soweit die Gewinnermittlung durch
aufgrund der durch das JStG 2009 erfolgten Gesetzesände­ Betriebsvermögensvergleich erfolgt, vgl. H 6.7 Teilwertab­
rung gewerbliche Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f schreibung EStH 2015)
Doppelbuchst. aa EStG. Diese Umqualifizierung der in den vor­ Hinsichtlich eines möglichen Wegfalls einer steuerverstrickten
angegangenen Vz. bei ausländischen KapGes. als Überschuss­ Darlehensverbindlichkeit wird gebeten, das BFH­Urteil vom
einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zu erfassenden Einkünfte 07.12.2016 – I R 76/14 (BStBl. II 2017 S. 704 = DB 2017 S. 759) zu
aus Vermietung und Verpachtung erfolgt kraft gesetzlicher beachten. Danach gehört die Wertveränderung der Fremd­
Fiktion (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG). Die Annahme finanzierungsverbindlichkeit für den Grundstückserwerb
gewerblicher Einkünfte bedeutet aber nicht, dass eine fiktive jedenfalls dann nicht zu den inländischen Einkünften aus
inländische Betriebsstätte begründet wird. Vermietung und Verpachtung oder aus Veräußerung i.S.d. § 49
Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG, wenn der durch den Verzicht auf die
3. Ermittlung der Einkünfte im Rahmen der beschränkten Darlehensforderung entstehende Vermögenszuwachs nicht
Steuerpflicht in einem entsprechenden Veranlassungszusammenhang zur
3.1 Allgemeines Vermietung oder Veräußerung des in Rede stehenden Grund­
Die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. aa EStG stücks steht.
gewerblichen inländischen Einkünfte der ausländischen Die Übertragung stiller Reserven auf Reinvestitionsgüter
KapGes. sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG zu ermitteln. Die oder die Bildung von Rücklagen nach § 6b bzw. § 6c EStG
Gewinnermittlung kann grds. entweder durch Einnah­ ist mangels inländischer Betriebsstätte weiterhin nicht
menüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG oder durch zulässig. Bei Rechtsbehelfen sind die sich aus dem Erlass des
Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG erfolgen. Die Verpflich­ FinMin. NRW vom 01.06.2016 ergebenden Berichtspflichten
tung zur Führung von Büchern richtet sich nach §§ 140, 141 zu beachten.
AO. Nach § 140 AO sind für die Besteuerung Bücher zu führen, Die Zinsschranke i.S.d. §§ 4h EStG, 8a KStG ist ab dem
wenn diese bereits nach „anderen Gesetzen als den Steuer­ Vz. 2009 unmittelbar anwendbar; die ergänzende Regelung
gesetzen“ zu führen sind, wobei auch ausländische Rechts­ des § 8a Abs. 1 Satz 4 KStG ist durch die Umqualifizierung der
normen eine Buchführungspflicht nach § 140 AO begründen Einkünfte in diesen Fällen nicht mehr einschlägig. Bei den
können (vgl. BMF vom 16.05.2011, BStBl. I 2011 S. 530, Rz. 3 ausländischen KapGes., die mit ihren im Inland belegenen
bzw. R 4.1 Abs. 4 Satz 2 EStR 2012). Besteht keine Verpflichtung Immobilien beschränkt steuerpflichtig sind, handelt es sich
zur Buchführung gem. § 140 AO und werden die Umsatz­ und/ um Betriebe i.S. der Zinsschranke. Der Betrieb umfasst dabei
oder Gewinngrenzen des § 141 Abs. 1 AO überschritten, ist die sowohl die inländischen als auch die ausländischen Betriebs­
ausländische Gesellschaft – mit Wirkung für die Zukunft – zur teile. Für die Anwendung des § 4h EStG i.V.m. § 8a KStG ist
Führung von Büchern aufzufordern (vgl. § 141 Abs. 2 AO). jedoch nur auf die inländischen Betriebsteile abzustellen.
An dieser Rechtsauffassung wird grds. weiterhin festgehalten, Verwaltet die ausländische KapGes. mehrere im Inland bele­
auch wenn der BFH mit Beschluss vom 15.10.2015 (I B 93/15, gene Grundstücke, sind diese für Zwecke der Anwendung der
BStBl. II 2016 S. 66 = DB 2015 S. 2847) ernstliche Zweifel daran Zinsschranke zusammengefasst zu betrachten.

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Gewinnermittlungszeitraum ist nach § 4a Abs. 1 Satz 2 waltende KapGes. auch keine „fiktive“ inländische Betriebs­
Nr. 2 EStG grds. das Kalenderjahr. Eine Zustimmung zur stätte (vgl. auch BMF vom 16.05.2011, BStBl. I 2011 S. 530 =
Umstellung auf ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirt­ DB 2011 S. 1192, Rz. 15). Etwas anderes gilt nur bei nach dem
schaftsjahr nach § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 EStG kann Recht eines anderen EU­Mitgliedstaates gegründeten KapGes.
regelmäßig nur erteilt werden, wenn die ausländische KapGes. mit Geschäftsleitung im Inland; insoweit liegt (zumindest)
ins deutsche Handelsregister eingetragen wurde. eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte i.S.v. § 12 AO
vor (vgl. koordinierten Ländererlass vom 20.05.2005, BStBl. I
3.2 Besonderheiten bei der Ermittlung von Veräußerungs­ 2005 S. 727 = DB 2005 S. 2439).
gewinnen
Mit BMF­Schreiben vom 12.09.2013 (BStBl. I 2013 S. 1163) II. Gewerblich geprägte PersGes. als Erwerber von im
wurde das BMF­Schreiben vom 15.12.1994 (BStBl. I 1994 Inland belegenen Immobilien
S. 883) aufgehoben, sodass sich die Gewinnermittlungsart Vorbemerkungen: Soweit es um die Einordung und Behand­
auch bei Veräußerungsvorgängen wie vorstehend unter Tz. 3.1 lung nach innerstaatlichem Recht geht, gelten für die Bestim­
beschrieben nach den allgemeinen Grundsätzen bestimmt. mung der Einkunftsarten nach § 2 Abs. 1 i.V.m. §§ 13 ff. EStG
Darüber hinaus ist folgende Besonderheit zu beachten: keine Besonderheiten. Insb. gilt der § 15 EStG mit allen seinen
Erwerben ausländische KapGes. ohne inländischen Sitz und/ Varianten auch für Auslandssachverhalte.
oder Betriebsstätte im Inland belegene Immobilien, die nicht
vermietet werden, aber zur Weiterveräußerung bestimmt sind, 1. Inländische gewerblich geprägte PersGes. mit
so können durch das bloße Halten der Immobilien zwischen ausländischen Gesellschaftern
Erwerb und Veräußerung laufende Kosten entstehen – sog. Die Tätigkeit einer inländischen gewerblich geprägten,
„Betriebskosten“. Diese laufenden Grundstücksaufwendun­ ausschließlich vermögensverwaltenden PersGes. gilt als
gen sind im Rahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppel­ Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG). Die gewerb­
buchst. bb EStG von der inländischen Bemessungsgrundlage liche Prägung besteht auch, wenn eine ausländische KapGes.
abziehbar. Dabei hat der Abzug der laufenden „Betriebskosten“ die Komplementärstellung übernimmt. Gesellschafter, die
in der Weise zu erfolgen, dass diese – in Abhängigkeit von im Inland mangels Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufent­
der Gewinnermittlungsart – nach Maßgabe des Aufwands­ halts nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind, erzielen aus
bzw. Abflussprinzips zu berücksichtigen sind. Dies hat zur der Beteiligung inländische Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2
Konsequenz, dass u.U. während möglicher Leerstandszeiten Buchst. a EStG, wenn im Inland eine Betriebsstätte i.S.d. § 12
steuerlich zu berücksichtigende Verluste entstehen können. AO unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter i.S.d. § 13
Sofern bei Abzug der laufenden „Betriebskosten“ noch nicht AO bestellt ist. Bei einer Veräußerung des Gesellschaftsanteils
feststeht, ob der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG erzielt der beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter in die­
verwirklicht ist bzw. zukünftig verwirklicht wird, ist der ent­ sem Fall inländische Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a
sprechende Bescheid insoweit ggf. vorläufig i.S.d. § 165 AO zu i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
erlassen. Verfügt die PersGes. weder über eine Betriebsstätte noch
über einen ständigen Vertreter im Inland (z.B. Ausübung
4. Anordnung des Steuerabzuges nach § 50a Abs. 7 EStG der Geschäftsführung durch im Inland gegründete GmbH
Wenn eine Gefährdung des inländischen Steueranspruchs mit ausländischem Verwaltungssitz), erzielt der beschränkt
vorliegt, kann zu dessen Sicherung die Anordnung des steuer­pflichtige Gesellschafter inländische Einkünfte gem.
Steuerabzugs nach § 50a Abs. 7 EStG zweckmäßig sein. Der § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG.
Vergütungsschuldner (Mieter, Pächter, Grundstückserwer­ Mit dem Gesetz zur Reform der Investmentbesteuerung
ber) ist auf Anordnung des FA verpflichtet, für Rechnung der (InvStRefG) vom 19.07.2016 wurde in § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG ein
beschränkt steuerpf lichtigen KapGes. einen Steuerabzug neuer Satz 2 eingefügt. Aufgrund des eingefügten Verweises
i.H.v. grds. 15% der gesamten Einnahmen (Miete, Pacht, Ver­ auf § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG ist sichergestellt, dass in einem
äußerungspreis) einzubehalten und abzuführen. Unterlässt solchen Fall auch mittelbare Veräußerungsvorgänge durch
der Vergütungsschuldner pflichtwidrig die Vornahme des die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb
angeordneten Steuerabzugs, haftet er nach § 50a Abs. 5 Satz 4 EStG erfasst werden. Damit liegen nunmehr bei der Veräu­
EStG für die Einbehaltung und Entrichtung der Steuer. Weitere ßerung von unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen
Ausführungen dazu enthalten der Leitfaden zum Steuerabzug an einer vermögensverwaltenden PersGes. inländische Ein­
nach § 50a EStG (i.d.F. des JStG 2009) unter Tz. IV sowie das künfte aus Gewerbebetrieb vor. Die Änderung des § 49 Abs. 1
BMF­Schreiben vom 02.08.2002 (BStBl. I 2002 S. 710 = DB 2002 Nr. 2 Buchst. f EStG ist gem. § 52 Abs. 1 EStG erstmals für den
S. 1635). Vz. 2017 anzuwenden (in diesem Zusammenhang vgl. auch FG
München vom 29.07.2013 – 7 K 190/11).
5. GewSt Bringt ein ausländischer Gesellschafter einer inländischen
Die ausländischen grundstücksverwaltenden KapGes. sind gewerblich geprägten PersGes. seinen Mitunternehmeranteil
grds. nicht bereits nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG als „Gewerbe­ in eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft ein, sind
betriebe kraft Rechtsform“ gewerbesteuerpflichtig. Mangels grds. die im Zeitpunkt der Einbringung bestehenden stillen
Betriebsstätte im Inland liegt regelmäßig kein Gewerbebetrieb Reserven nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu versteuern, wenn das
im Inland i.S.v. § 2 Abs. 1 GewStG vor, sodass dann die laufen­ deutsche Besteuerungsrecht aus der späteren Veräußerung
den Vermietungseinkünfte keiner GewSt-Pflicht unterliegen. der Anteile an der KapGes. beschränkt oder ausgeschlossen
Durch die Änderung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG durch ist. Dies geschieht regelmäßig, wenn der Gesellschafter in
das JStG 2009 begründet eine ausländische grundstücksver­ einem anderen DBA­Staat ansässig ist, weil das ausschließli­

2386 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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che Besteuerungsrecht vielfach dem Ansässigkeitsstaat des III. Zuständigkeiten


Anteilseigners zugewiesen wird (vgl. Art. 13 Abs. 5 OECD­MA 1. Vermögensverwaltende KapGes.
2010). Etwas anderes gilt dann, wenn das maßgebliche DBA Sofern weder die Geschäftsleitung noch der Sitz im Inland
eine Regelung für sog. Immobilienkapitalgesellschaften (vgl. belegen ist, ist die grundstücksver waltende KapGes.
Art. 13 Abs. 4 OECD­MA 2010) enthält und diese Regelung zum ertragsteuerlich in dem FA zu führen, in dessen Bezirk sich
Tragen kommt. ihr Vermögen befindet, § 20 Abs. 3 AO (Belegenheits-FA).
Erfüllt der Einbringende jedoch die Voraussetzungen des Erstreckt sich das Vermögen über mehrere FA­Bezirke, ist
§ 1 Abs. 3 und 4 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 UmwStG (EU/EWR­Bürger) das FA zuständig, in dessen Bezirk sich der wertvollste Teil
und liegt kein Fall des § 50i EStG (hier i.d.F. des Gesetzes zur befindet.
Umsetzung der Änderungen der EU­Amtshilferichtlinie und
von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und 2. Vermögensverwaltende PersGes.
­verlagerungen vom 20.12.2016, BStBl. I 2017 S. 5) vor, kann Für die gesonderte und einheitliche Feststellung der
das Betriebsvermögen zum Buchwert eingebracht werden Einkünfte von grundstücksverwaltenden PersGes. gilt ab
mit der Folge, dass eine Aufdeckung der stillen Reserven 2009, soweit sich weder die Geschäftsleitung noch eine
nicht zu erfolgen hat (§§ 20 ff. UmwStG i.d.F. des SEStEG). Betriebsstätte im Inland befinden, Folgendes:
Sind daher die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 20 ff. – Die Zuständigkeit ist gem. § 18 Abs. 2 AO zu bestimmen,
UmwStG erfüllt und liegt kein Fall des § 50i EStG (hier eben­ da weder § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO (keine Geschäftsleitung
falls i.d.F des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der oder Betriebsstätte im Inland) noch § 18 Abs. 1 Nr. 4 AO
EU­Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen (wegen § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. aa EStG
Gewinnverkürzungen und ­verlagerungen vom 20.12.2016, gewerbliche Einkünfte) einschlägig sind.
a.a.O.) vor, kommt es nur dann zur Aufdeckung stiller Reser­ – Sind an der PersGes. auch Inländer beteiligt, sind gem.
ven, sofern der in Rede stehende ausländische Gesellschafter, AEAO zu § 18, Nr. 6 folgende Anknüpfungspunkte zu
welcher zugleich Einbringender ist, in einem sog. Drittstaat prüfen:
ansässig ist. a) Ist für alle inländischen Beteiligten ein gemeinsamer
Treuhänder oder eine andere die Interessen der inlän­
2. Ausländische gewerblich geprägte PersGes. mit dischen Beteiligten vertretende Person bestellt, ist das
ausländischen Gesellschaftern FA zuständig, in dessen Bezirk der Treuhänder oder
Die Fiktion eines Gewerbebetriebs gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 die andere Person ansässig ist. Bei späterer Änderung
Satz 1 EStG gilt auch bei einer vermögensverwaltenden aus- der Treuhand­ oder Vertretungsverhältnisse tritt ein
ländischen PersGes., die im Inland belegene Immobilien Zuständigkeitswechsel nicht ein, solange mindestens
vermietet, wenn sie nach ihrem rechtlichen Aufbau und ihrer ein Beteiligter durch den bisherigen Treuhänder oder
wirtschaftlichen Gestaltung einer inländischen PersGes. Vertreter vertreten bleibt.
entspricht (vgl. BFH vom 14.03.2007 – XI R 15/05, BStBl. II b) Ist eine Bestimmung der Zuständigkeit nach Buchst. a)
S. 924 = DB 2007 S. 1177). Dabei kann die gewerbliche Prä­ nicht möglich, ist das FA zuständig, in dessen Bezirk
gung bei ausländischen wie bei inländischen PersGes. auf die Beteiligten mit den insgesamt höchsten Anteilen
die Komplementärstellung einer ausländischen KapGes. ansässig sind. Bei Änderung der Beteiligungsverhält­
zurückzuführen sein. nisse tritt ein Zuständigkeitswechsel nicht ein, solange
Ab dem Vz. 2009 gelten die gleichen Grundsätze wie bereits mindestens ein Beteiligter im Bezirk des FA ansässig
vorstehend unter Gliederungspunkt II. 1 zu den inländisch ist.
gewerblich geprägten PersGes. beschrieben. Die Gesellschaf­ c) Lässt sich im Einzelfall die örtliche Zuständigkeit weder
ter der PersGes. erzielen als beschränkt steuerpf lichtige nach Buchst. a) noch nach Buchst. b) bestimmen, kann
Gesellschafter inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde
gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG. Für die Annahme festlegen, welches der FÄ, in deren Bezirk mindestens
inländischer Einkünfte bedarf es demnach nicht mehr der ein Beteiligter ansässig ist, zuständig ist. Fehlt eine
Anwendung der isolierenden Betrachtungsweise gem. § 49 gemeinsame Aufsichtsbehörde, so treffen die fachlich
Abs. 2 EStG. zuständigen Aufsichtsbehörden die Entscheidung
Darüber hinaus ist folgende Besonderheit zu beachten: gemeinsam.
Veränderungen im Gesellschafterbestand (Ersatz der Kom­ d) Wenn sich mehrere FÄ nach den Buchst. a) und b) für
plementärgesellschaft durch eine natürliche Person) und/oder zuständig oder für unzuständig halten oder wenn die
eine grenzüberschreitende Verlegung des Verwaltungssitzes Zuständigkeit nach den Buchst. a) und b) aus anderen
der Komplementärgesellschaft können zu einem Verlust der Gründen zweifelhaft ist oder eine Entscheidung nach
gewerblichen Prägung und damit zur Aufdeckung von stillen Buchst. c) nicht getroffen werden kann, entscheidet
Reserven führen (sog. „Entprägung“). Dies kann z.B. auch der das BZSt (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 5 Abs. 1
Fall sein, wenn eine nach ausländischem Recht gegründete Nr. 7 FVG).
KapGes. mit der Funktion einer Vollhafterin ihren Verwal­ – Soweit die PersGes. nur ausländische Gesellschafter
tungssitz ins Inland verlegt, diese Verlegung aber nach dem hat, ist gem. §§ 18 Abs. 2 und 19 Abs. 2 bzw. 20 Abs. 3
Recht ihres Herkunftsstaates nicht rechtsformwahrend erfol­ AO das FA örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich das
gen kann und sie in der Folge als aufgelöst gilt (vgl. auch Exkurs Vermögen/der wertvollste Teil des Vermögens befindet
unter Tz. I.1). Damit obliegt die unbeschränkte Haftung nicht (maßgebend ist letztlich die Belegenheit des Grund­
mehr (ausschließlich) einer KapGes., sodass die Voraussetzun­ stücks/der Grundstücke).
gen der gewerblichen Prägung entfallen.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2387


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3. USt Einkommensteuer »DB1251098


Liegt eine umsatzsteuerpflichtige Grundstücksvermietung
vor, besteht hinsichtlich der Festsetzung der USt nach § 21 Abzugsverbot § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG
Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. § 1 der UStZustV eine Zentralzustän-
digkeit für im Ausland ansässige Unternehmen. Zur Vermei­ Anwendung des EuGH-Urteils vom 22.06.2017 – Rs. C 20/16,
dung einer abweichenden Zuständigkeit für die Umsatz­ und Bechtel (RS1242434)
Ertrags­besteuerung und eines damit zusammenhängenden OFD NRW, Kurzinformation ESt Nr. 25/2017 vom 06.09.2017
erschwerten Verwaltungsvollzugs ist in geeigneten Fällen
eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO anzustreben, Gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG kommt ein Sonderausgaben­
nach der das für die Ertragsbesteuerung zuständige (Bele­ abzug für Vorsorgeaufwendungen nur dann in Betracht, wenn
genheits­)FA auch für die USt zuständig wird (vgl. AEAO zu diese nicht in „unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammen­
§§ 21 und 27 AO). hang“ mit steuerfreien Einnahmen stehen.
Der EuGH hat mit Urteil vom 22.06.2017 (Rs. C­20/16, Bechtel,
IV. Bp RS1242434) in der Anwendung dieser Vorschrift einen Verstoß
Ab dem Vz. 2009 unterliegen grundstücksverwaltende gegen die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit nach
ausländische Gesellschaften der Bp nach § 193 Abs. 1 AO, Art. 45 AEUV festgestellt.
da sie einen Betrieb unterhalten, mit dem sie gewerbliche Da die erforderliche gesetzliche Anpassung des § 10 Abs. 2
Einkünfte i.S. des ESt­Rechts erzielen. Zur Sicherstellung Satz 1 Nr. 1 EStG entsprechend der EuGH­Rspr. nicht zeitnah
einer Bp sind die Grunddaten entsprechend zu pflegen. erfolgen kann, ist beabsichtigt, das EuGH­Urteil zunächst
mit einem begleitenden Anwendungsschreiben im BStBl.
V. Zusammenarbeit mit den Grundstücksstellen (GÜST), zu veröffentlichen. In diesem soll erläutert werden, wie die
GrESt-Stellen (GRST) und ErbSt- und SchenkSt-Stellen steuerliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen, die in
(ESST) unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Arbeits­
Insb. zur Sicherung des Steueranspruchs in Veräußerungs­ einkommen aus anderen EU­/EWR­Staaten stehen, welches
fällen ist eine enge Zusammenarbeit mit der GÜST/GRST auf der Grundlage eines DBA im Inland von der Besteuerung
zwingend erforderlich, damit rechtzeitig der Steuerabzug freigestellt ist, abweichend von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG
nach § 50a Abs. 7 EStG angeordnet werden kann. Die GÜST/ geregelt werden soll.
GRST sollte daher als Sofortmaßnahme bei Eingang der Das BMF­Schreiben zur Anwendung des EuGH­Urteils befin­
Grundstückskaufverträge diese daraufhin sichten, ob als det sich zurzeit auf Bund­Länder­Ebene in Abstimmung. Mit
Veräußerer eine ausländische Gesellschaft auftritt. In diesen einer Veröffentlichung ist voraussichtlich im vierten Quar­
Fällen ist unverzüglich eine Kopie des Kaufvertrags an die tal 2017 zu rechnen. Bis dahin sind die Anträge/Einsprüche
zuständige VST (regelmäßig Sonderbezirk für beschränkt zurückzustellen.
Stpfl. des Belegenheits­FA) zu geben, damit diese in die Lage
versetzt wird, ggf. den Steuerabzug nach § 50a Abs. 7 EStG Redaktioneller Hinweis:
gegenüber dem Käufer anzuordnen. Zur Unionsrechtswidrigkeit des Sonderausgabenabzugsverbots vgl.
Die VST hat ihrerseits die GÜST/GRST über bekanntge­ Hennigfeld, StR kompakt, DB1242695.
wordene Gesellschafterwechsel bei der vermögensverwal­
tenden Gesellschaft zu informieren, durch die GrESt nach
§ 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG ausgelöst wird (z.B. durch
Wechsel im Gesellschafterbestand oder durch Anteilsver­ Internationales Steuerrecht »DB1250897
einigungen).
Sollte eine im Ausland gegründete KapGes. aufgrund einer Anwendung des § 1 AStG auf Fälle von Teilwert-
Sitzverlegung ins Inland als PersGes. zu behandeln sein, ist abschreibungen und anderen Wertminderun-
die GÜST/GRST hierüber ebenfalls zu informieren. gen auf Darlehen an verbundene ausländische
Werden Anteile an vermögensverwaltenden PersGes. unent­
geltlich (durch Schenkung, Erbfolge) oder teilentgeltlich Unternehmen
zwischen ausländischen Gesellschaftern übertragen, ist
zwingend eine Kontrollmitteilung an die zuständige ESST (Keine) Sperrwirkung von DBA-Normen, die inhaltlich Art. 9
zu übersenden, da bei einer beschränkten Steuerpflicht nach OECD-MA entsprechen, gegenüber der Einkünftekorrektur nach
§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG lediglich ein Freibetrag von 2.000 € § 1 AStG
gewährt wird (§ 16 Abs. 2 ErbStG). OFD NRW, Verfügung vom 01.08.2017 – S 1341 – 2017/0006 – St 121
Die Verfügung vom 05.09.2011 wird durch diese ersetzt.
Die Grundsätze der BFH­Urteile vom 17.12.2014 (I R 23/13, DB
Redaktionelle Hinweise: 2015 S. 465) und vom 24.06.2015 (I R 29/14, DB 2015 S. 2182) sind
– Zur Fiktion der Gewerblichkeit für Einkünfte aus Vermietung und über die entschiedenen Einzelfälle hinaus nicht anzuwenden,
Verpachtung vgl. Werth, DB 2017 S. 1057 = DB1237140; soweit der BFH eine Sperrwirkung von DBA­Normen, die inhalt­
– zur erstmaligen Bilanzierung ausländischer Grundstücksgesell- lich Art. 9 Abs. 1 OECD­MA entsprechen, gegenüber § 1 AStG
schaften vgl. Eckert, DB 2011 S. 1189 = DB0421658; angenommen hat.
– zur Einkünfteermittlung bei ausländischen grundstücks­ Beim BFH sind inzwischen im Zusammenhang mit der Anwen­
verwaltenden Kapitalgesellschaften und Gemeinschaftsrecht vgl. dung des § 1 AStG auf Fälle von Teilwertabschreibungen und
Schnitger/Fischer, DB 2007 S. 598 = DB0209306. anderen Wertminderungen auf Darlehen an verbundene

2388 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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ausländische Unternehmen mehrere neue Revisionsverfah­ Es wird gebeten, in vergleichbaren Fällen zu prüfen, ob ein
ren anhängig, in denen im Hinblick auf die von der Steuer­ Ruhenlassen des Einspruchs bzw. eine Aussetzung des Klage­
verwaltung praktizierte Nichtanwendung der vorgenannten verfahrens möglich ist, bis über diese neuen Revisionsverfah­
Urteilsgrundsätze erneut über die Rechtsfrage zu entscheiden ren durch den BFH entschieden worden ist.
sein wird, ob eine DBA­Norm, die inhaltlich Art. 9 OECD­MA
entspricht, gegenüber der Einkünftekorrektur nach § 1 AStG Redaktionelle Hinweise:
Sperrwirkung entfaltet. – Zur Sperrwirkung des Abkommensrechts gegenüber nationalen
Beispielhaft wird auf folgende Verfahren hingewiesen: Einkünftekorrekturvorschriften vgl. Graw, StR kompakt, DB1249853;
– I R 73/16 – zur Nichtanwendung der o.g. Urteilsgrundsätze in vergleichbaren
– I R 5/17 Fällen vgl. BMF vom 30.03.2016, DB 2016 S. 801 = DB1197948.

Entscheidungen

Gewinnermittlung »DB1250008 vertrag war – für jede Tranche gesondert – frühestens kündbar
zum 15.06.2003, danach jew. zum Quartalsende. Lt. Beteiligungs­
Verklammerung der Teilakte einer Fondsgesell- prospekt der KG sollten die WG im Fall der Kündigung veräu­
schaft zu einer einheitlichen Tätigkeit – Zuord- ßert werden. Die bei Fortsetzung des Leasingvertrags nach dem
nung des Verkaufs des Anlagevermögens bei Be- 15.06.2003 zu zahlenden Mieten sollten dann neu ausgehandelt
werden, wobei die Mietzahlungen aber in jedem Fall bis zu dem
triebseinstellung als laufende Geschäftstätigkeit für jede Tranche genannten Amortisationszeitpunkt (spätestens
15.09.2008) die vollen Anschaffungs­ und Neben­/Finanzierungs­
Veräußerung eines Mitunternehmeranteils – Fondsgesell- kosten der KG abdecken sollten. Für den Fall der Kündigung
schaft – Veräußerung beweglicher Wirtschaftsgüter durch durch die GmbH 1 musste diese an die KG eine vertraglich fest­
Fondsgesellschaft – Abgrenzung Veräußerungsgewinn/laufen- gelegte Abschlusszahlung leisten. Nach dem Prospekt werden
der Gewinn bei Verkauf von Anlagevermögen – Verklammerung die Kommanditisten für den Fall ihres vorzeitigen Ausscheidens
von Teilakten zu einheitlicher gewerblicher Tätigkeit wirtschaftlich so gestellt, als wäre der Leasingvertrag zwischen
EStG § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1; FGO § 96 Abs. 1 der KG und der GmbH 1 zu diesem Zeitpunkt gekündigt und die
Satz 2, § 100 Abs. 2 Satz 2, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1; AO § 119 Abs. 1, KG liquidiert worden.
§§ 122, 169 Abs. 1 Satz 1, § 171 Abs. 2, 4, § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Im Prospekt der KG wurde prognostiziert, dass bei Kündigung
Buchst. a, § 181 Abs. 1 Satz 1, § 183 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, des Leasingvertrags durch die GmbH 1 zum 15.06.2003 ein
§ 193 Abs. 1, § 194 Abs. 2, § 197 Abs. 1 positiver Totalgewinn der KG unter Einbeziehung des Erlöses
1. Betreibt eine Fondsgesellschaft (GmbH & Co. KG) den aus der Veräußerung der WG erzielt werden wird. Bei Fortset­
Ankauf, die Vermietung und den anschließenden Ver­ zung des Leasingvertrags bis zum 15.09.2008 weist die Prog­
kauf beweglicher Wirtschaftsgüter, ist eine Verklam­ nose – ohne Einbeziehung eines Erlöses aus der Veräußerung
merung dieser Teilakte zu einer einheitlichen Tätigkeit der WG – ebenfalls ein positives Gesamtergebnis der KG aus.
nur zulässig, wenn bereits bei Aufnahme der Geschäfts­ Der Leasingvertrag wurde zum 15.06.2004 durch Kündigung
tätigkeit feststand, dass sich das erwartete positive der GmbH 1 beendet, die die WG von der KG erwarb. Seither
Gesamtergebnis nur unter Einbeziehung des Erlöses befindet sich die KG in Liquidation.
aus dem Verkauf der vermieteten (verleasten) Wirt­ Die Kläger erklärten die Kündigung ihrer Beteiligung an der
schaftsgüter erzielen lässt. KG mit Wirkung zum 28.02.2003, während andere Komman­
2. Bei einer solchen Verklammerung ist der Verkauf dieser ditisten beteiligt blieben.
Wirtschaftsgüter Teil der laufenden Geschäfts­tätigkeit, Das FA gab den Gewinnfeststellungsbescheid 2003 für die KG, in
selbst wenn die bisherige unternehmerische Tätigkeit dem erklärungsgemäß u.a. ein für die Kläger begünstigter Veräu­
insgesamt eingestellt wird. ßerungsgewinn festgestellt wurde, an die K GmbH als benannte
3. Wird im Prospekt der Fondsgesellschaft (auch) ein Ge­ Empfangsbevollmächtigte der KG bekannt. Die K GmbH hatte
schäftskonzept vorgestellt, dessen Ergebnisprognose als Geschäftsbesorger der KG das FA im Januar 1996 gebeten, sie
ein positives Gesamtergebnis ohne Einbeziehung eines in Zukunft als Empfangs­ und Zustellungsbevollmächtigte zu
Veräußerungserlöses in Aussicht stellt, spricht dies führen. Sie war in den Vorjahren von der KG auch jew. als Emp­
regelmäßig gegen die Annahme einer einheitlichen fangsbevollmächtigte benannt, nicht aber in der Feststellungser­
Tätigkeit. klärung für 2003. Aufgrund der im Dezember 2007 begonnenen
BFH, Urteil vom 08.06.2017 – IV R 6/14 Außenprüfung für die Jahre 2003 und 2004 behandelte das FA
den aus der Veräußerung der WG im Jahr 2004 erzielten Gewinn
Die Kläger sind ehemalige Kommanditisten der X GmbH & Co. und die an die Kläger anlässlich ihres Ausscheidens in 2003
KG in Liquidation (KG), einem in 1995 gegründeten Mobilien­ gezahlten Abfindungen als laufenden Gewinn. Die Vermietung
Leasing­Fonds, der bewegliche Wirtschaftsgüter (WG) erwarb sowie der An­ und Verkauf der WG auf Ebene der KG aufgrund
und verleaste. Die KG erwarb mit Ende 1995 in vier Tranchen eines einheitlichen Geschäftskonzepts seien zu einer unterneh­
bewegliche WG und vermietete diese an die GmbH 1 (Leasing­ merischen Tätigkeit verklammert, sodass auch die Gewinne
nehmerin) zu einer feststehenden Leasingrate. Der Leasing­ aus der Veräußerung der Gesellschaftsanteile den laufenden

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2389


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Einkünften zuzuordnen seien. Das FA erließ am 29.09.2010 unter nicht ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht wirksam ist. Die
Hinweis auf die Bp einen geänderten Feststellungsbescheid 2003, Bindung an das Klagebegehren gilt in diesen Fällen nicht (BFH
der neben einem verringerten Gesamtgewinn für die Kläger vom 25.04.2006 – X R 42/05, BStBl. II 2007 S. 220 = DB 2006
weiterhin darin enthaltene begünstigte Veräußerungsgewinne S. 1535; vom 15.04.2010 – IV R 67/07, RS0765174 = BFH/NV
feststellte. Der gem. § 129 AO geänderte Bescheid vom 07.02.2011 2010 S. 1606). Der Feststellungsbescheid ist jedoch wirksam
– ebenfalls an die K GmbH bekannt gegeben – enthielt bei innerhalb der Festsetzungsfrist bekannt gegeben worden.
unverändertem Gesamtgewinn keine begünstigten Veräuße­
rungsgewinne mehr, sondern stellte für die Kläger jew. laufende Wirksame Bekanntgabe des Feststellungsbescheids …
gewerbliche Einkünfte fest. 2. a) Die Bekanntgabe des Gewinnfeststellungsbescheids 2003
Die hiergegen erhobene Klage war erfolglos. an die K GmbH als Empfangsbevollmächtigte der Kläger war
wirksam. Haben die Feststellungsbeteiligten nach § 183 Abs. 1
AUS DEN GRÜNDEN Satz 1 AO einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten
Die Revision der Kläger ist begründet. Der aus der Veräuße­ bestellt, wirkt die ordnungsgemäße Bekanntgabe an diesen für
rung der Kommanditanteile erzielte Gewinn ist als begünstig­ und gegen alle Feststellungsbeteiligten (§ 183 Abs. 1 Satz 5 AO).
ter Veräußerungsgewinn festzustellen. Eine Einzelbekanntgabe an ausgeschiedene Gesellschafter
nach § 183 Abs. 2 Satz 1 AO ist bei fehlendem Widerruf der
Umfang des Klagebegehrens Vollmacht durch diese nicht erforderlich.
I. Das Klagebegehren richtet sich sowohl gegen die versagte b) Zwar muss gem. § 183 Abs. 1 Satz 1 AO eine Empfangsvoll­
Feststellung von Gewinnen aus der Veräußerung ihrer gesam­ macht von allen Feststellungsbeteiligten erteilt werden, jedoch
ten Kommanditanteile und deren Tarifbegünstigung gem. kann diese auch nach Rechtsscheingrundsätzen bestehen (BFH
§ 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG als auch gegen die Höhe der vom 05.05.2011 – X B 139/10, RS0766105 = BFH/NV 2011 S. 1291;
(ihnen zugerechneten) laufenden gewerblichen Einkünfte. HHSp, § 183 AO Rn. 54; ablehnend Tipke/Kruse, AO/FGO, § 183
1. In dem angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid 2003 AO Rn. 11). Die Bevollmächtigung muss dann nicht ausdrücklich
werden für die Kläger jew. nur noch laufende gewerbliche Ein­ erfolgen, wenn der durch entsprechendes Auftreten erzeugte
künfte festgestellt, in denen ihre Gewinne aus der Veräußerung Rechtsschein der Bevollmächtigung dem Vertretenen zurechen­
der Kommanditanteile enthalten sind. Die Kläger begehren bar ist. Hiernach ist die K GmbH zumindest nach Rechtsschein­
daher zulässigerweise, Gewinne aus der Veräußerung ihrer grundsätzen als Empfangsbevollmächtigte der KG i.S.d. § 183
Mitunternehmeranteile als selbstständige „andere Besteue­ Abs. 1 Satz 1 AO zu behandeln, da sie wie ein umfassend Bevoll­
rungsgrundlagen“ gem. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO und mächtigter gegenüber dem FA aufgetreten ist. Sie hatte das FA
deren Tarifbegünstigung festzustellen. Diese Gewinne sind als mit Schreiben vom Januar 1996 gebeten, sie als Empfangs­ und
„andere Besteuerungsgrundlage“ in die Einkünftefeststellung Zustellungsbevollmächtigte zu führen. Außerdem wurde sie
einzubeziehen (BFH vom 17.12.2014 – IV R 57/11, BStBl. II 2015 von der KG in den Vorjahren jew. als Empfangsbevollmächtigte
S. 536 = DB 2015 S. 593). Auch die Qualifikation des Veräuße­ benannt. Die Kläger haben seit ihrem Beitritt die Bekanntgabe
rungsgewinns als Bestandteil der außerordentlichen Einkünfte der Feststellungsbescheide an die K GmbH rügelos akzeptiert.
i.S.d. § 34 EStG ist eine selbstständig festzustellende andere
Besteuerungsgrundlage (BFH vom 09.12.2014 – IV R 36/13, … innerhalb der Feststellungsfrist
BStBl. II 2015 S. 529 = DB 2015 S. 413). Nicht festzustellen ist, ob 3. a) Der angefochtene Feststellungsbescheid erging innerhalb
daneben auch die Tarifbegünstigung gem. § 34 Abs. 3 EStG zu der Feststellungsfrist (F­Frist). Die reguläre am 31.12.2009
gewähren ist. Dies ist erst bei der ESt­Veranlagung zu entschei­ abgelaufene vierjährige F­Frist wurde durch die im Dezember
den (BFH vom 09.12.2014, a.a.O.; vom 17.12.2014, a.a.O.). 2007 bei der KG begonnene Bp gehemmt, sodass die F­Frist
2. Das auf diese Feststellung gerichtete Begehren betrifft nicht vor Unanfechtbarkeit des aufgrund der Bp erlassenen
zugleich auch die Höhe der den jeweiligen Klägern zuge­ Feststellungsbescheids 2003 vom 29.09.2010 abläuft (§ 171
rechneten laufenden gewerblichen Einkünfte. Denn mit der Abs. 4 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO).
Feststellung solcher Veräußerungsgewinne geht zwangsläufig Die Bp beruhte auch auf einer wirksam an die KG bekannt
eine entsprechende Reduzierung der (ihnen bisher zugerech­ gegebenen Prüfungsanordnung (PA), da diese an die K GmbH
neten) laufenden gewerblichen Einkünfte einher (BFH vom als Empfangsbevollmächtigte (Bekanntgabeadressatin) mit
08.06.2000 – IV R 65/99, BStBl. II 2001 S. 89 = DB 2000 S. 2355). Wirkung für die KG (Inhaltsadressatin) bekannt gegeben wor­
den ist. Eine Bekanntgabe an die Kläger war nicht erforderlich.
Keine Beschränkung des Klagebegehrens bei Die gewerblich tätige KG ist im Hinblick auf die festzustellen­
Unwirksamkeit des Bescheids den Einkünfte ihrer Gesellschafter als Prüfungssubjekt selbst
II. 1. Der Senat könnte den angefochtenen Feststellungsbe­ Inhalts­adressatin (BFH vom 12.02.2015 – IV R 63/11, RS1047082 =
scheid 2003 bei Unwirksamkeit infolge fehlerhafter Bekannt­ BFH/NV 2015 S. 832), die Bekanntgabe der PA kann jedoch auch
gabe oder bei Ablauf der Festsetzungsfrist aufheben. Die an den Bevollmächtigten als Bekanntgabeadressaten nach § 197
Aufhebung hätte zur Folge, dass der ursprüngliche Feststel­ Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO erfolgen. § 183 AO findet
lungsbescheid vom 29.09.2010 wieder in Kraft träte, in dem auf die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung keine Anwen­
für die Kläger u.a. jew. begünstigte Veräußerungsgewinne dung (BFH vom 16.03.1993 – XI R 42/90, BFH/NV 1994 S. 75).
festgestellt worden sind. Zwar darf das Gericht nicht über Die K GmbH war als Empfangs­ und Zustellbevollmächtigte
das Klagebegehren hinausgehen. Aber auch wenn nur die auch zur Entgegennahme der PA berechtigt und damit richtiger
Änderung eines Bescheids beantragt wird, kann das Gericht Bekanntgabeadressat, da sie als Geschäftsbesorger der KG seit
diesen insgesamt aufheben, wenn der Bescheid wegen ein­ 1996 aufgetreten ist. Die sich auf alle steuerlichen Verhältnisse
getretener Festsetzungsverjährung rechtswidrig oder wegen des Vollmachtgebers beziehende Vollmacht umfasst auch die

2390 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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PA, solange dem FA kein Widerruf der Vollmacht zugeht. Die KG b) Der Verkauf des Anlagevermögens auf Ebene der KG als
wurde auch zutreffend als Inhaltsadressatin der PA bezeichnet, Teilakt deren laufenden Geschäftstätigkeit setzt nach der Rspr.
auch wenn im Prüfungsjahr 2003 bereits zahlreiche Komman­ des BFH voraus, dass der Ankauf, die Vermietung und der
ditisten aus der KG ausgeschieden waren. Veränderungen im Verkauf der WG durch die KG zu einer einheitlichen Tätigkeit
Gesellschafterbestand berühren die Adressatenstellung einer verklammert sind, was hier nicht gegeben ist.
PersGes. nicht, solange diese zivilrechtlich noch nicht vollbe­
endet ist. Das Fehlen des Zusatzes „i.L.“ in der PA für 2003 ist Voraussetzungen einer Verklammerung
unerheblich, da sich die KG in 2003 noch nicht in Liquidation aa) Der BFH bejaht eine derartige Verklammerung, die auch
befand. I.Ü. würde das Fehlen dieses Zusatzes nicht zur inhalt­ bei Einstellung der unternehmerischen Tätigkeit zu einem
lichen Unbestimmtheit der PA führen, da klar war, dass die KG laufenden Gewinn führt, wenn nach dem Geschäftsplan WG
Subjekt der Prüfung sein sollte. gekauft, für eine beschränkte und hinter der Nutzungsdauer
Das FA musste keine Erstreckungsanordnung nach § 197 Abs. 1 zurückbleibende Zeit vermietet und anschließend wieder
Satz 3 i.V.m. § 194 Abs. 2 AO den Klägern persönlich bekannt verkauft werden sollen und der aufgrund dieses Konzepts
geben. Diese ergeht nur, wenn die Verhältnisse der Gesellschafter, insgesamt erwartete Gewinn nicht allein aus dem Nutzungs­
die nicht mit Feststellungen der Gesellschaft zusammenhängen, entgelt, sondern nur unter Einbeziehung des Verkaufserlöses
mit geprüft werden sollen. Hier ist jedoch die Frage, ob die Kläger erzielt werden kann (BFH vom 01.08.2013, a.a.O., Rn. 19; vom
aus der Veräußerung ihrer gesamten Mitunternehmeranteile 01.08.2013 – IV R 19/11, RS0768142 = BFH/NV 2014 S. 75).
laufende Gewinne erzielt haben, Gegenstand des Feststellungs­ bb) Bei einer solchen „Verklammerung“ werden immer die
verfahrens für die KG nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Grenzen einer privaten Vermögensverwaltung überschrit­
b) Der Ablauf der Feststellungsfrist wurde weiter nach § 171 ten, wenn nach einer kurzfristigen Vermietung der WG deren
Abs. 2, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO durch den Änderungsbescheid Veräußerung erforderlich ist, um überhaupt einen Gewinn zu
vom 07.02.2011 gehemmt, da in dem Bescheid vom 29.09.2010 erzielen (BFH vom 22.01.2003 – X R 37/00, BStBl. II 2003 S. 464
eine offenbare Unrichtigkeit enthalten war, indem das FA = RS0753690; vom 26.06.2007 – IV R 49/04, BStBl. II 2009 S. 289
bei Erlass des Feststellungsbescheids den Teil des Prüfungs­ = DB 2007 S. 1957).
berichts nicht ausgewertet hat, in dem das Vorliegen eines cc) Bei Fondsgesellschaften mit einem derartigen Geschäftskon­
Veräußerungsgewinns verneint wurde. zept ist eine Verklammerung der Teilakte zu einer einheitlichen
Tätigkeit rechtlich nur dann zulässig ist, wenn bereits im Zeit­
Begünstigter Veräußerungsgewinn bei Veräußerung punkt der Aufnahme der Geschäftstätigkeit durch die Fonds­
eines Mitunternehmeranteils gesellschaft festgestanden hat, dass sich das erwartete positive
III. 1. Die Kläger haben in 2003 aus der Veräußerung ihrer Gesamtergebnis nur unter Einbeziehung des Erlöses aus dem
gesamten Kommanditanteile keinen laufenden Gewinn, son­ Verkauf der vermieteten (verleasten) WG erzielen lässt (BFH
dern einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 vom 01.08.2013, a.a.O.). Nur dann können auch im letzten Akt
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG erzielt, wenn dieser die Veräußerungshandlungen aufgrund der Einheitlichkeit der
„außerordentlich“ ist, also eine atypische Zusammenballung Tätigkeit der laufenden Geschäftstätigkeit zugeordnet werden.
von Gewinnen vorliegt (BFH vom 23.10.2013 – X R 3/12, BStBl. II Diese rechtliche Beurteilung wird durch den BFH gestützt
2014 S. 58 = RS0700600). Danach müssen alle stillen Reserven, (BFH vom 11.08.2010 – IV B 17/10, RS0765445 = BFH/NV 2010
die in den wesentlichen Betriebsgrundlagen z.B. eines gesamten S. 2268 und vom 24.09.2010 – IV B 34/10, RS0765540 = BFH/NV
Mitunternehmeranteils angesammelt wurden, in einem einheit­ 2011 S. 241). In beiden Fällen wurde eine Verklammerungs­
lichen Vorgang aufgelöst werden (BFH vom 17.12.2014, a.a.O.). wirkung bejaht, da lt. Prospekt die zunächst vermieteten WG
(Flugzeugleasing) nach Ablauf der Leasingzeit von der Lea­
Abgrenzung laufender zum Veräußerungsgewinn: singnehmerin übernommen werden sollten und nur durch den
Laufender Gewinn nur bei einheitlicher Tätigkeit Erlös ein positives Gesamtergebnis zu erzielen war.
2. Die Gewinne aus der Veräußerung der gesamten Komman­
ditanteile sind tarifbegünstigt nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Würdigung der Einzelfallumstände
Abs. 1 EStG, da die Teilakte Ankauf, Vermietung und Verkauf dd) Das Vorliegen einer solchen Verklammerung der Teilakte
der WG im Streitfall nicht zu einer einheitlichen Tätigkeit ver­ hängt von einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab.
klammert werden können. Bei Fondsgesellschaften haben das im Prospekt dargestellte
a) Es kann dahinstehen, ob die Tarif begünstigung dann Geschäftskonzept und die voraussichtliche Ergebnisprognose
ausscheidet, wenn zwar der gesamte Mitunternehmeranteil eine gewichtige Indizwirkung. Wird nach der Ergebnisprognose
veräußert worden ist, dieser Gewinn aber aus einer Gesell­ ein positives Gesamtergebnis auch ohne Einbeziehung eines
schaft stammt, die selbst bei Veräußerung ihres gesamten Veräußerungserlöses in Aussicht gestellt, spricht dies regelmäßig
Anlagevermögens im Rahmen einer Betriebsaufgabe keinen gegen die Annahme einer einheitlichen Tätigkeit, sofern nicht
tarifbegünstigten Gewinn erzielen könnte, weil diese Veräu­ dessen Realisierung von vornherein als ausgeschlossen erscheint.
ßerung als letzter Akt ihrer laufenden Geschäftstätigkeit zu
werten ist (z.B. BFH vom 01.08.2013 – IV R 18/11, BStBl. II 2013 Keine Verklammerung im Streitfall: Begünstigter
S. 910 = DB 2013 S. 2482). Für diesen Fall wäre es wohl unerheb­ Veräußerungsgewinn
lich, ob die Gesellschaft ihr Gesamthandsvermögen oder der c) Hiernach kann die Veräußerung der WG durch die KG nicht
Mitunternehmer seinen Gesellschaftsanteil veräußert, sodass als Teilakt ihrer laufenden Geschäftstätigkeit gewertet werden,
in beiden Fällen ein laufender Veräußerungsgewinn vorläge da bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit der KG nicht feststand,
(BFH vom 14.12.2006 – IV R 3/05, BStBl. II 2007 S. 777 = DB dass sich ein erwartetes positives Gesamtergebnis nur unter
2007 S. 494). Einbeziehung des Erlöses aus dem Verkauf der WG erzielen lässt.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2391


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aa) Zwar ist eine Verklammerung der Teilakte zu einer ein­ Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermö­
heitlichen Tätigkeit auch dann möglich, wenn die KG in ihrem gen der E AG nahm das FA die A GmbH (als Rechtsnachfolgerin
Gesellschaftsvertrag die Veräußerung der WG nicht ausdrück­ der B GmbH) mit auf § 191 i.V.m. § 73 sowie § 45 Abs. 1 AO
lich als Unternehmensgegenstand formuliert hat oder wenn gestützten Haftungsbescheid vom 18.07.2011 für einen Teil der
sie nicht zur Veräußerung der WG an die Leasingnehmerin zu rückständigen KSt 2001 und 2002 sowie Solidaritätszuschläge
festen Konditionen verpflichtet war. 2001 und 2002 der E AG i.L. in Anspruch. In diesem Bescheid
bb) Die KG hat aber in ihrem Prospekt ein positives Gesamt­ hatte das FA unter dem Gesichtspunkt einer „Veranlassungs­
ergebnis auch ohne Einbeziehung eines Veräußerungserlöses haftung“ den Haftungsanteil durch den Anteil des Einkommens
in Aussicht gestellt für den Fall der Fortsetzung des Leasing­ der B GmbH (originäres Organeinkommen) an der Summe der
vertrags bis zum 15.09.2008. Die Verwirklichung dieses Kon­ (aller) positiver Organeinkommen bei der E AG bestimmt. Die
zepts erscheint auch nicht als von vornherein ausgeschlossen. weiteren Gesellschaften, die mit der E AG in den Jahren 2001
Dieses entscheidende Indiz spricht dagegen, dass ein positives und 2002 eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft gebil­
Gesamtergebnis allein unter Einbeziehung des Erlöses aus dem det hatten, wurden ebenfalls nach dieser Berechnungsmethode
Verkauf der WG hätte erzielt werden können. Unerheblich ist, nach § 73 AO im Haftungswege in Anspruch genommen. Maß­
dass bei Verwirklichung dieses Szenarios eine geringe Rendite nahmen betreffend anderweitige (ggf. gesamtschuldnerische)
als bei einem vorzeitigen Verkauf der WG prognostiziert wird, Haftungsinanspruchnahmen (z.B. solche nach § 69 i.V.m. § 34
da bei dieser Prognose ein evtl. Veräußerungsgewinn nicht AO sowie nach § 71 AO) wurden vom FA nicht ergriffen.
berücksichtigt wurde. Ebenso kommt es nicht darauf an, dass Im Einspruchsverfahren hatte die A GmbH u.a. die Auffassung
die Kläger und andere Kommanditisten vorzeitig aus der KG vertreten, sie könne wegen fehlender unmittelbarer körper­
ausgeschieden sind und so behandelt wurden, als wäre der schaftsteuerrechtlicher Organschaft zur E AG nicht nach § 73
Leasingvertrag zu diesem Zeitpunkt beendet worden. Denn AO in Haftung genommen werden. Gegen die ablehnende Ein­
ein erheblicher Teil der Anleger blieben nach Fortsetzung des spruchsentscheidung vom 10.02.2012 hatte sie Klage erhoben.
Leasingvertrags über die Grundmietzeit hinaus Gesellschaf­ Das Klageverfahren ist vom Kläger nach der Eröffnung des Insol­
ter der KG, sodass die hierfür erstellte Prognose verwirklicht venzverfahrens über das Vermögen der A GmbH aufgenommen
werden konnte. worden. FG Düsseldorf wies die Klage ab (Urteil vom 19.02.2015
d) Nach alledem ist für die Kläger aus der Veräußerung ihrer 16 K 932/12 H(K), DK 2015 S. 344 = GmbHR 2015 S. 1116).
gesamten Mitunternehmeranteile ein Gewinn festzustellen,
welcher der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. AUS DEN GRÜNDEN
Abs. 2 EStG unterliegt. Haftungsbescheid wird aufgehoben
1 … 8 Die Revision ist begründet; da die angefochtene Ent­
Redaktionelle Hinweise: scheidung Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO), ist
– Volltext-Urteil online: RS1250008; sie – wie ebenfalls der Haftungsbescheid und die Einspruchs­
– dazu vgl. auch Levedag, StR kompakt, DB1251957. entscheidung des FA – auf die Revision hin aufzuheben (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Zweck und Rechtfertigung der Haftung bei Organschaft


Körperschaftsteuer »DB1252256 9 1. Nach § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche
Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen
Haftung der Organgesellschaft bei mehrstufiger ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Die Haftung der im Organ­
Organschaft kreis untergeordneten Organgesellschaft für Steuerschulden
des die Organgesellschaft beherrschenden Organträgers soll die
AO § 73; KStG § 14 Abs. 1 Satz 1 steuerlichen Risiken ausgleichen, die mit der Verlagerung der
Der Gegenstand der Haftung (§ 73 Satz 1 AO) ist für eine steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbun­
körperschaftsteuerrechtliche Organschaft (§ 14 Abs. 1 den sind. Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermö­
Satz 1 KStG) auf solche Steueransprüche beschränkt, die gen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des
gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von
bestimmten Organträger gerichtet sind. Dies ist auch bei Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen
mehrstufigen Organschaften zu beachten. könnten (z.B. BFH vom 05.10.2004 – VII R 76/03, BStBl. II 2006
BFH, Urteil vom 31.05.2017 – I R 54/15 S. 3 = DB 2005 S. 33). Insoweit wird in der die Regelung betreffen­
den Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung einer
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids im Abgabenordnung (AO 1977) ausgeführt, die Haftungsvorschrift
Rahmen einer sog. mehrstufigen Organschaft. Der Kläger finde ihre Rechtfertigung darin, „dass bei steuerlicher Anerken­
ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH, nung einer Organschaft die vom Organträger zu zahlende Steuer
der Rechtsnachfolgerin der B GmbH. Im Jahr 1990 hatte auch die Beträge umfasst, die ohne diese Organschaft von der
die B GmbH mit ihrer damaligen Muttergesellschaft, der Organgesellschaft geschuldet worden wären“ (BT­Drucks.
C GmbH, einen Beherrschungs­ und Gewinnabführungs­ VI/1982 S. 120). I.Ü. heißt es, man habe sich der österreichischen
vertrag geschlossen. Im Jahr 2000 wurde die C GmbH (unter Regelung, wonach die Haftung auf solche Steuern beschränkt
Beibehaltung der Organschaft mit der B GmbH) auf die D AG wird, die auf den Betrieb des beherrschten Unternehmens ent­
verschmolzen, die wiederum mit dem sie beherrschenden fallen, nicht angeschlossen. In diesem Zusammenhang wird
Unternehmen, der E AG, einen Gewinnabführungsvertrag (mit auf die Notwendigkeit einer praktikablen Regelung verwiesen;
Wirkung zum 01.01.2001) abgeschlossen hatte. darüber hinaus könne es „durchaus als sachgerecht angesehen

2392 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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werden, den Organkreis als einheitliches Ganzes zu betrachten“ Gewerbesteuer »DB1250777


(BT­Drucks., a.a.O.; s. insoweit auch BGH vom 22.10.1992 –
IX ZR 244/91, BGHZ 120 S. 50 = DB 1993 S. 368). Unternehmensidentität bei einer gewerblich
geprägten PersGes.
Organgesellschaft haftet nur für Steuern des eigenen
Organträgers, ... Gewerbeverlust – Gewerbeverlustvortrag – Gewerbeverlust­
10 2. Der Gegenstand der Haftung ist für eine Organgesell­ abzug – Unternehmensidentität – Gewerblich geprägte PersGes.
schaft auf die gegen den – durch das konkrete Organschafts­ GewStG §§ 2, 10a; EStG § 15 Abs. 3 Nr. 2
verhältnis bestimmten – Organträger gerichteten Steuer­ Bei einer gewerblich geprägten PersGes. fehlt die Unter­
ansprüche beschränkt. nehmensidentität als Voraussetzung für den Abzug des
Gewerbeverlustes nach § 10a GewStG, wenn sie zunächst
... was sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt originär gewerblich tätig ist, anschließend Einkünfte aus
11 a) Letzteres ergibt sich aus dem Wortlaut, der die Haf­ Gewerbebetrieb kraft gewerblicher Prägung erzielt und
tung der Organgesellschaft für die Steuern des Organträgers dabei Vorbereitungshandlungen hinsichtlich einer künf­
anordnet, für die „die Organschaft zwischen ihnen“ – also das tigen (wieder) originär gewerblichen Tätigkeit vornimmt.
zweipersonale Organschaftsverhältnis – von Bedeutung ist. BFH, Urteil vom 04.05.2017 – IV R 2/14
Im Streitfall, in dem keine sog. mittelbare Organschaft bzw.
Klammerorganschaft (s. Lüdicke, in: Kessler/Förster/Watrin Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, stellte in ihrer Produk­
[Hrsg.], Unternehmensbesteuerung, FS Herzig, 2010, S. 259 tionshalle zunächst Fertiggaragen her. In 1996 wurde die Halle
[280]; Schmidt, Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft einschließlich technischer Anlagen an D vermietet, der diese
für Steuerschulden des Organträgers gem. § 73 AO, 2014, S. 161; Produktion bis Ende 2001 fortsetzte. Der Mietvertrag wurde
Dötsch, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt, § 14 KStG von D zum 31.12.2003 gekündigt, die technischen Anlagen
Rz. 682; Schimmele/Weber, DK 2015 S. 437 [438]) zwischen bereits im Dezember 2003 entfernt. Die Klägerin selbst betrieb
der B GmbH und der D (später: E) AG i.S. einer finanziellen ab 1996 einen Zementhandel, der zum 30.09.2003 eingestellt
Eingliederung vermittels der mittelbaren Beherrschung und wurde. Ab dem 27.12.2003 beschränkte sich ihre Tätigkeit auf
einem direkten Ergebnisabführungsvertrag bestand, fehlt es Vermietung, Verpachtung und Verwaltung von Immobilien, die
hieran (gl.A. Lüdicke, a.a.O., S. 259 [279 ff.]; Schmidt, a.a.O., sie im Rahmen einer Anwachsung der A­KG erhalten hatte. Die
S. 188 f.; Schwetlik, GmbH­StB 2015 S. 307). für die frühere Produktion benutzte Halle stand in 2004 leer.
Bereits im März 2003 hatte die Klägerin dem Umweltamt einen
Steuerschuldnerschaft knüpft personell an Organträger an Antrag auf Weitergenehmigung der Produktionsanlage ange­
12 b) Auch wenn die Haftungsnorm bezweckt, die steuerlichen kündigt. Mit dem Antragsverfahren wurde im November 2003
Risiken auszugleichen, die mit der Verlagerung der steuer­lichen eine Unternehmensberatung beauftragt. Im Jahr 2004 erwarb
Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind die Klägerin Formen für die Herstellung von Betonsteinen,
(s. hier zu 1.), bezieht sich die Haftung auf die Steuerschuld­ obwohl das Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlos­
nerschaft (Lüdicke, a.a.O., S. 259 [272]), die nach der einzel­ sen war. Mitte 2005 begann sie dort mit der Herstellung von
gesetzlichen Begriffsbestimmung der im Streitfall einschlä­ Betonsteinen. Die Klägerin erzielte in 2001 und 2002 gewerbe­
gigen Organschaftsregelung (s. insoweit BT­Drucks. VI/1982 steuerliche Verluste aus der Beteiligung an der E­GmbH, die
S. 120 – hier: § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG personell an den Organträ­ ihr als Organträgerin zugerechnet und als vortragsfähig zum
ger geknüpft ist (vgl. Elicker/Hartrott, BB 2011 S. 2775). 31.12.2002 festgestellt wurden.
Das FA lehnte es ab, bei dem GewSt­Messbescheid 2003 den
Erweiterung des Haftungsumfangs im Wege der zum 31.12.2002 festgestellten Gewerbeverlust und den laufen­
Auslegung nicht möglich den Verlust des Jahres 2003 zu berücksichtigen, da die erfor­
13 Dabei verkennt der Senat nicht, dass nach Ansicht der derliche Unternehmensidentität zu Beginn und zum Ende des
Finanzbehörde bei gestuften Organschaftsverhältnissen ein Jahres 2003 fehle. Die gewerbliche Tätigkeit sei zum 30.09.2003
weitergehender Haftungsumfang zweckgerecht erscheinen beendet und erst in 2005 wieder aufgenommen worden. Ein­
mag (zur „Haftungslücke“ – s. z.B. Lüdicke, a.a.O., S. 259 [261 spruch und Klage gegen den Bescheid auf den 31.12.2003 über
und 279 ff.]; Schmidt, a.a.O., S. 187 ff.; Braunagel/Paschke, Ubg die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbe­
2011 S. 233 [238]; Schimmele/Weber, BB 2013 S. 2263 [2268]; verlustes i.H.v. 0 € blieben erfolglos.
dieselben, DK 2015 S. 437 [438 f.]; vgl. – wohl zustimmend –
Brink, in: Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 14 Rz. 688). Hierbei AUS DEN GRÜNDEN
handelt es sich jedoch um eine rechtspolitische Frage, die nicht Der BFH weist die Revision der Klägerin als unbegründet
von den Gerichten, sondern zuvörderst vom Gesetzgeber zu zurück, weil bei der Bemessung der Höhe des vortragsfähigen
beantworten ist und die – wie aufgezeigt – insb. mit Rücksicht Fehlbetrags weder der laufende Gewerbeverlust der Klägerin
auf den klaren Wortlaut des § 73 AO nicht Gegenstand einer aus 2003 noch der auf den 31.12.2002 festgestellte Gewerbe­
ausdehnenden Gesetzesauslegung sein kann. (...) verlust zu berücksichtigen sind.

Redaktionelle Hinweise: Prüfung der Unternehmensidentität im Rahmen des


– Volltext-Entscheidung online: RS1252256; Verlustfeststellungsverfahrens nach § 10a GewStG
– zur Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 19.02.2015 – 16 K 932/12 H(K), I. 1. Nach § 10a Satz 1 GewStG wird der maßgebende Gewerbe­
DK 2015 S. 344 = DK0990813; Graw, StR kompakt, DB0991541; ertrag um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung
– Schimmele/Weber, DK 2015 S. 437 = DK1159647. des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2393


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Erhebungszeiträume ergeben haben und in vorangegangenen mit dem Ende der sachlichen Steuerpflicht eine Unternehmen­
Erhebungszeiträumen noch nicht berücksichtigt worden sind. sidentität nicht mehr gegeben sein kann.
Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gem. § 10a Satz 6 bb) Bei einer PersGes. ist für die Bestimmung der Unterneh­
GewStG gesondert festzustellen. mensidentität auf die von ihr nach dem Gesamtbild ausgeübte
2. Hierbei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die während werbende Tätigkeit abzustellen, auch wenn eigentlich die
eines Erhebungszeitraums zu einem (anteiligen) Untergang des Mitunternehmer Träger des Verlustabzugs sind. Denn eine
vortragsfähigen Fehlbetrags (Gewerbeverlustes) führen, so auch PersGes. kann auch bei an sich selbstständigen Tätigkeiten zur
der (anteilige) Wegfall der Unternehmensidentität (BFH vom gleichen Zeit nur einen Gewerbebetrieb unterhalten (BFH vom
07.09.2016 – IV R 31/13, BStBl. II 2017 S. 482 = DB 2016 S. 3017). 07.09.2016, a.a.O.; vom 13.04.2017 – IV R 49/15, RS1242106 =
Die Kürzung des Gewerbeertrags um Verluste aus früheren DStR 2017 S. 1428). Hieraus kann jedoch nicht gefolgert wer­
Erhebungszeiträumen setzt nämlich die Unternehmens­ und den, dass bei gewerblichen PersGes. stets Unternehmensiden­
Unternehmeridentität voraus (BFH vom 24.04.2014 – IV R 34/10, tität zu bejahen sei. So kann eine PersGes. mehrere Betriebe
BStBl. II 2017 S. 233 = DB 2014 S. 1526). Hierüber ist bereits im nacheinander betreiben, wodurch die Unternehmensidentität
Verlustfeststellungsbescheid des Erhebungszeitraums zu ent­ deshalb auch dadurch wechseln kann, dass die Gesellschaft
scheiden, in dem der hierfür maßgebliche Umstand eingetreten ihre ursprüngliche Tätigkeit und damit ihren Gewerbebetrieb
ist, und nicht erst im GewSt­Messbescheid des nachfolgenden einstellt und – ggf. nach einer Phase von gewerbesteuerrechtlich
Verlustabzugsjahres. Eine Bindung an das im GewSt­Messbe­ noch unbeachtlichen Vorbereitungshandlungen – eine anders
scheid festzustellende Merkmal der sachlichen Steuerpflicht gelagerte werbende Tätigkeit und damit einen wirtschaftlich
(§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO) besteht nicht, auch soweit das Merkmal nicht identischen neuen Gewerbebetrieb aufnimmt (BFH vom
der sachlichen Steuerpflicht für die Beurteilung des Merkmals 03.04.2014 – IV R 12/10, BStBl. II 2014 S. 1000 = DB 2014 S. 2327;
der Unternehmensidentität von Bedeutung ist. vom 13.10.2016 – IV R 21/13, BStBl. II 2017 S. 475 = RS1229616).
cc) ... dd) Diese Grundsätze gelten auch bei einer gewerblich gepräg­
Unternehmensidentität kann auch bei gewerblich ten PersGes., die nicht originär, sondern nur aufgrund der Fiktion
geprägter PersGes. entfallen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG gewerblich tätig ist. Auch bei
II. 1. Auch bei einer gewerblich geprägten PersGes. (§ 15 Abs. 3 dieser ist die Unternehmensidentität Voraussetzung des Abzugs
Nr. 2 Satz 1 EStG) ist die Unternehmensidentität Vorausset­ des Gewerbeverlustes nach § 10a GewStG (a.A. z.B. Blümich/
zung des Abzugs des Gewerbeverlustes nach § 10a GewStG. Drüen, § 10a GewStG Rn. 56; Lenski/Steinberg, GewStG, § 10a
a) Eine Gleichbehandlung dieser PersGes. mit KapGes., bei Rn. 25). Denn für den Beginn der GewSt­Pflicht kommt es
denen die Unternehmensidentität für den Fortbestand eines (auch) bei einer gewerblich geprägten vermögensverwaltenden
Verlustvortrags nach § 10a GewStG keine Bedeutung hat (BFH PersGes. auf den Beginn der werbenden Tätigkeit an, die von
vom 25.11.2009 – I R 18/08, RS0764855 = BFH/NV 2010 S. 941; bloßen Vorbereitungshandlungen abzugrenzen ist (BFH vom
vom 26.02.2014 – I R 59/12, BStBl. II 2014 S. 1016 = RS0699003), 20.11.2003 – IV R 5/02, BStBl. II 2004 S. 464 = DB 2004 S. 1021).
scheidet aus. Die wegen der Verschiedenheit der Rechtsfor­ Damit kommt es auch bei dieser zu einer geänderten Unterneh­
men unterschiedliche Behandlung gilt auch hinsichtlich der mensidentität, wenn z.B. die Gesellschaft ihre ursprüngliche
Unternehmensidentität als Voraussetzung des Abzugs des werbende Tätigkeit einstellt und – ggf. nach einer Phase bloßer
Gewerbeverlustes (BFH vom 28.04.1977 – IV R 165/76, BStBl. II Vorbereitungshandlungen – eine wirtschaftlich anders gelagerte
1977 S. 666 = RS0996301). PersGes. sind nämlich – im Gegen­ werbende Tätigkeit aufnimmt. Bei einer solchen Konstellation ist es
satz zu KapGes. – nicht schon kraft Rechtsform gewerbe­ für die Frage des Wegfalls der Unternehmensidentität unerheblich,
steuerpflichtig, sondern nur bei gewerblicher Tätigkeit i.S.d. ob die neue Tätigkeit originär gewerblich (§ 15 Abs. 2 EStG) ist.
§ 15 Abs. 3 EStG, wobei Nr. 2 der Vorschrift die gewerblich
geprägte PersGes. regelt. Folglich wollte der Gesetzgeber auch Unternehmeridentität auch bei gewerbesteuerlicher
gewerbesteuerrechtlich keine Gleichbehandlung der PersGes., Organschaft
auch nicht soweit sie keine originär gewerbliche Tätigkeit aus­ c) Die o.g. Grundsätze zur Unternehmensidentität sind auch
üben, sondern gewerblich geprägt sind. Dieser gesetzlichen bei organschaftlich verbundenen Unternehmen – hier der
Differenzierung liegen hinreichend sachliche Unterscheidungs­ Klägerin als Organträgerin und der E­GmbH als Organge­
gründe zugrunde, etwa die Unabhängigkeit einer KapGes. vom sellschaft – zu beachten. Es gilt jedoch die Besonderheit, dass
Wechsel ihrer Mitglieder sowie die Ausgestaltung der Haftung während der Dauer der Organschaft entstandene Verluste der
(BVerfG vom 24.03.2010 – 1 BvR 2130/09, RS0818701 = FR 2010 Organgesellschaft auch nach deren Beendigung nur von dem
S. 670). Gewerbeertrag des Organträgers abgesetzt werden können
b) aa) Demzufolge muss für den Verlustabzug auch bei (BFH vom 27.11.2008 – IV R 72/06, RS0763574 = BFH/NV 2009
gewerblich geprägten PersGes. Unternehmensidentität der­ S. 791). Die Frage des Endes der sachlichen Steuerpflicht und
gestalt vorliegen, dass der im Anrechnungsjahr bestehende damit der Unternehmensidentität ist daher in Bezug auf den
Gewerbebetrieb identisch ist mit dem Gewerbebetrieb, der (ehemaligen) Organträger – hier die Klägerin – zu prüfen, was
im Jahre der Entstehung des Verlustes bestanden hat (BFH das FG zutreffend getan hat.
vom 07.08.2008 – IV R 86/05, BStBl. II 2012 S. 145 = DB 2008
S. 2290; vom 07.09.2016, a.a.O.). Der Charakter der GewSt Fehlende Unternehmensidentität im Urteilsfall
als Objektsteuer lässt es nicht zu, dass Verluste des einen 2. Die Würdigung des FG, dass die Unternehmensidentität
Gewerbe­b etriebs bei einem anderen Gewerbebetrieb, also spätestens zum 27.12.2003 entfallen sei, ist zumindest mög­
einem anderen Steuergegenstand, berücksichtigt werden. Die lich und damit für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend.
im bisherigen nunmehr beendeten Gewerbebetrieb entstan­ Das Gesamtbild der Tätigkeit der Klägerin hat sich unter
denen Verluste können nicht mehr berücksichtigt werden, da Berücksichtigung ihrer wesentlichen Merkmale im Laufe des

2394 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Streitjahres 2003 geändert. Unerheblich ist, dass die Klägerin wenn die Arbeitnehmer kein Anlagerisiko tragen und der
zunächst originär gewerbliche Einkünfte und sodann als nun Arbeitgeber zur Zahlung an das Altersversorgungssystem
gewerblich geprägte PersGes. gewerbliche Einkünfte nach § 15 gegenüber seinen Arbeitnehmern gesetzlich verpflichtet ist.
Abs. 3 Nr. 2 EStG erzielt hat. BFH, Urteil vom 26.07.2017 – XI R 22/15
Spätestens mit der Anwachsung des Vermögens der A­KG und
der damit verbundenen Fortführung des Betriebs der A­KG Streitig ist, ob die Umsätze der Klägerin als Umsätze aus der
durch die Klägerin ist ein anderes Unternehmen entstanden. Verwaltung von Versorgungseinrichtungen nach § 4 Nr. 8
Die nach der Anwachsung ausgeübte Tätigkeit als Immobilien­ Buchst. h UStG oder Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 6. EG­RL
verwalter ist gegenüber dem bisherigen Zementhandel eine (nunmehr Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) steuerbefreit
wesentlich andere. Dafür spricht auch, dass die Klägerin im sind und infolgedessen der damit in Zusammenhang stehende
Rahmen ihres Zementhandels kein eigenes Personal beschäf­ Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist.
tigte und nur einen Kunden, die E­GmbH, hatte, während sie Die Klägerin ist eine Verwaltungsgesellschaft für betriebliche
als Verwalterin zahlreiche Arbeitnehmer beschäftigte und Versorgungswerke. Sie erbrachte in den Streitjahren 2003 und
ihren Kundenkreis deutlich ausgeweitet hat. 2004 u.a. Verwaltungsleistungen an die Versorgungskasse X
Unerheblich ist, dass die Klägerin bereits in 2003 die künftige (VKM) sowie fünf weitere betriebliche Altersversorgungswerke
Herstellung von Betonsteinen in der ihr weiter gehörenden (freie Unterstützungskassen). Diese Verwaltungsleistungen
Produktionshalle erwogen und geprüft hat. Die bloße Absicht bestanden darin, dass die Klägerin ein Konzept erstellte und
der künftigen Nutzung der Halle zu Produktionszwecken, führt Unterstützungskassen einrichtete, allgemeine Verwaltungs­
nicht zu der Annahme, die Klägerin habe das Unternehmen tätigkeiten für die Unterstützungskassen erbrachte und
„Zementhandel“ fortführen wollen, da sie tatsächlich in 2005 Informationen zur betrieblichen Altersversorgung, Leistungs­
mit der Herstellung von Betonsteinen begonnen hat. Die Absicht prognosen und Finanzierungsstatus sowie versicherungsma­
oder Planung der Aufnahme einer originär gewerblichen Tätig­ thematische Gutachten und Berechnungen erstellte.
keit begründet noch nicht die Annahme einer fortbestehenden Hierbei schloss die Klägerin mit Unternehmen (Trägerun­
Unternehmensidentität. Bei der Ankündigung eines Geneh­ ternehmen), die ihren Arbeitnehmern (Leistungsanwärtern)
migungsantrags und dem Auftrag an einen Unternehmens­ individuelle oder gesamtbetriebliche Altersversorgungszu­
berater für das Genehmigungsverfahren handelt es sich um sagen gewährten, zum Zwecke der Einrichtung einer freien
bloße Vorbereitungshandlungen, die gewerbesteuerrechtlich Unterstützungskasse einen Geschäftsbesorgungsvertrag. Bei
unbeachtlich sind. Beabsichtigt eine GmbH & Co KG eine origi­ den Unterstützungskassen handelte es sich um gemischte
när gewerbliche Tätigkeit und ist sie zugleich wegen § 15 Abs. 3 Unterstützungskassen, die sowohl durch Entgeltumwand­
Nr. 2 EStG gewerblich geprägt, beginnt der Gewerbebetrieb lung als auch ausschließlich vom Arbeitgeber finanziert
nicht bereits mit der Aufnahme der vorbereitenden Tätigkeiten. wurden. Die Trägerunternehmen vereinbarten z.B. mit der
Die von der Klägerin in der Phase ihrer gewerblichen Prägung VKM, die Versorgungszusagen über die VKM abzuwickeln.
durchgeführten Vorbereitungshandlungen hinsichtlich einer Die VKM schloss ihrerseits eine Versicherung zugunsten
künftigen (wieder) originär gewerblichen Tätigkeit erlauben der Leistungsanwärter ab und erteilte diesen anschließend
nicht den Schluss, dass sich allein dadurch die vorherige origi­ unter Bezugnahme auf das jeweilige Trägerunternehmen eine
när gewerbliche Tätigkeit ohne Unterbrechung fortgesetzt habe. Versorgungsbescheinigung, die eine betragsmäßig bezifferte
Folglich können die Gewerbeverluste 2003 und der zum Alters­, Invaliditäts­ und Hinterbliebenenversorgung aufwies
31.12.2002 festgestellte Gewerbeverlust bei der Verlustfeststel­ und in der darauf hingewiesen wurde, dass der jeweilige Leis­
lung auf den 31.12.2003 wegen fehlender Unternehmeridentität tungsanwärter keinen Rechtsanspruch auf die Leistungen der
nicht mehr berücksichtigt werden. VKM habe. Bei Eintritt des Versorgungsfalls hatte der Leis­
tungsanwärter lediglich gegen das Trägerunternehmen einen
Redaktioneller Hinweis: Anspruch, nicht aber gegen die Unterstützungskasse. Die
Volltext-Entscheidung online: RS1250777. Trägerunternehmen mussten zur Absicherung der Ansprüche
Einzahlungen in einen Pensionssicherungsverein vornehmen,
über den dann bei Zahlungsunfähigkeit des Trägerunterneh­
mens die Zahlungen an den Leistungsanwärter gewährleistet
Umsatzsteuer »DB1250015 wurden.
In ihren USt­Erklärungen für die Streitjahre, denen das FA
Zur Steuerbefreiung der Verwaltung von zunächst zustimmte, sah die Klägerin ihre Umsätze an die
Unterstützungskassen freien Unterstützungskassen als steuerpflichtig an und machte
darauf anteilig entfallende Vorsteuerbeträge geltend.
Vorsteuerabzug – Steuerfreie Verwaltungsleistungen – Un- Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das FA mit
terstützungskassen – Sondervermögen – Organismen für Bescheiden vom 15.02.2011 die USt­Festsetzung für die Streit­
gemeinsame Anlagen – Risikotragung – Richtlinienkonforme jahre und versagte hierbei den Vorsteuerabzug in vollem
Auslegung Umfang, da die Umsätze der Klägerin als Umsätze aus der
UStG § 4 Nr. 8 Buchst. h, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1; Verwaltung von Versorgungseinrichtungen i.S.d. Versiche­
RL 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6: MwStSyStRL Art. 135 rungsaufsichtsgesetzes (VAG) steuerbefreit seien und die dem
Abs. 1 Buchst. g geltend gemachten Vorsteuerabzug zugrunde gelegten Ein­
Die Verwaltungsleistungen von betrieblichen Versorgungs­ gangsleistungen in Zusammenhang damit stünden. Die in den
einrichtungen sind jedenfalls dann nicht nach § 4 Nr. 8 Rechnungen der Klägerin ausgewiesene USt werde demzufolge
Buchst. h UStG steuerfrei, sondern umsatzsteuerpflichtig, wegen eines unberechtigten Steuerausweises geschuldet.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2395


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Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom Gesetzgeberische Motive …


01.06.2012 als unbegründet zurück. 24 a) Die USt­Befreiung in § 4 Nr. 8 Buchst. h 2. Alt. UStG wurde
Das FG gab der Klage statt. durch das Gesetz zur Änderung des UStG und anderer Gesetze
vom 09.08.1994 (BGBl. I 1994 S. 2058) in das UStG aufgenommen.
AUS DEN GRÜNDEN
Revision des FA unbegründet … für die Erweiterung der Steuerbefreiung auf
1 … 17 I. … II. Die Revision ist unbegründet und daher zurück­ Versorgungseinrichtungen
zuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Nach Auffassung des Gesetzgebers beruht die Erweiterung der
18 Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin ein Vor­ Steuerbefreiung auf Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 RL 77/388/
steuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG zusteht. EWG in der gemeinschaftsrechtlichen Auslegung (BT­Drucks.
Die Umsätze der Klägerin sind nicht umsatzsteuerfrei. § 4 Nr. 8 12/7686 S. 7); sie ist daher richtlinienkonform auszulegen. Mit
Buchst. h UStG ist richtlinienkonform in der Weise auszulegen, der Gesetzesänderung sollten Wettbewerbsnachteile inländi­
dass Verwaltungsleistungen an Unterstützungskassen u.U. scher Unternehmen gegenüber entsprechenden Unternehmen
wie denen des Streitfalls nicht in den Anwendungsbereich der in anderen Mitgliedstaaten der EU vermieden werden (BT­
Vorschrift fallen. Drucks. 12/7686 S. 7).

Ausschluss des Vorsteuerabzugs … Finanzverwaltung und Teile des Schrifttums gehen davon
19 1. Gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unter­ aus, …
nehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und 25 b) Nach Auffassung der Finanzverwaltung umfasst die Steuer­
sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein befreiung nicht nur Versorgungseinrichtungen, die der Versiche­
Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. rungsaufsicht unterliegen, sondern auch andere Versorgungsein­
richtungen. Mit der Formulierung „Versorgungseinrichtungen
… bei steuerfreien Verwendungsumsätzen i.S. des Versicherungsaufsichtsgesetzes“ verweise der Gesetzgeber
Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist die Steuer für die Liefe­ nur auf die Definition von Versorgungseinrichtungen in § 1 Abs. 4
rungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb VAG, wonach darunter Einrichtungen zu verstehen sind, die
von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Leistungen im Todes­ oder Erlebensfall, bei Arbeitseinstellung
Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwen­ oder bei Minderung der Erwerbstätigkeit vorsehen (BT­Drucks.
det, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. 12/7686 S. 7; ebenso BMF vom 18.12.1997, DB 1997 S. 2576;
Abschn. 4.8.13 Abs. 20 Sätze 1 und 4 UStAE; ebenso Sobotta, in:
Steuerfreiheit für die Verwaltung von Versorgungs­ Reiß/Kraeusel/Langer [Hrsg.], UStG § 4 Nr. 8 Rn. 119; Philipowski,
einrichtungen nach § 4 Nr. 8 h UStG … in: Rau/Dürrwächter [Hrsg.], UStG, § 4 Nr. 8 Rn. 581; Handzik, in:
20 a) Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG in der für Offerhaus/Söhn/Lange [Hrsg.], § 4 Nr. 8 UStG Rn. 347; a.A. wohl
das Streitjahr 2003 geltenden Fassung vom 09.08.1994 (BGBl. I Wäger, in: Sölch/Ringleb, USt, § 4 Nr. 8 Rn. 280).
1994 S. 2058) die Verwaltung von Sondervermögen nach dem
KAGG, in der für das Streitjahr 2004 geltenden Fassung vom … dass auch nicht der Aufsicht unterliegende
15.12.2003 (BGBl. I 2003 S. 2676), die Verwaltung von Sonder­ Versorgungs­einrichtungen erfasst werden
vermögen nach dem Investmentgesetz und die Verwaltung von 26 Die Verwaltungsleistungen der Klägerin für die Unterstüt­
Versorgungseinrichtungen i.S.d. VAG. zungskassen als Einrichtungen, die diese Risiken abdecken
sollen, fallen somit nach dieser Auffassung unter diese Steuer­
… beruht auf Art. 13 Teil B Buchst. d 6. EG-RL befreiungsvorschrift.
21 b) Diese Steuerbefreiung beruht auf Art. 13 Teil B Buchst. d
Nr. 6 RL 77/388/EWG. Danach befreien die Mitgliedstaaten Bei richtlinienkonformer Auslegung sind aber nur solche
unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer Versorgungseinrichtungen steuerfrei, …
korrekten und einfachen Anwendung der Befreiung sowie zur 27 c) Der Senat kann offenlassen, inwieweit er dieser Auffas­
Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen sung folgt. Jedenfalls sind bei richtlinienkonformer Auslegung
und etwaigen Missbräuchen festsetzen, u.a. „die Verwaltung nur solche Versorgungseinrichtungen von der Steuerbefreiung
von durch die Mitgliedstaaten als solche definierten Sonder­ umfasst, die nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 RL 77/388/EWG
vermögen durch Kapitalanlagegesellschaften“. als Sondervermögen einzustufendes Vermögen verwalten.

Wortlaut erfasst zwar möglicherweise auch die … die als Sondervermögen einzustufendes Vermögen
Verwaltungsleistungen der Klägerin, … verwalten
22 2. Gemessen daran steht der Klägerin, wie das FG im Ergeb­ 28 Dies ist bei dem von der Klägerin verwalteten Sondervermö­
nis zutreffend entschieden hat, der begehrte Vorsteuerabzug zu. gen nicht der Fall.

… die Vorschrift ist aber einschränkend auszulegen Begrenzte Ermächtigung der Mitgliedstaaten …
23 Die streitbefangenen Umsätze sind nicht steuerfrei. § 4 Nr. 8 29 aa) Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 RL 77/388/EWG ermächtigt
Buchst. h UStG erfasst zwar nach dem Wortlaut „möglicher­ die Mitgliedstaaten, den Begriff „Sondervermögen“ zu definie­
weise“ auch Verwaltungsleistungen, wie sie die Klägerin in ren (vgl. EuGH vom 07.03.2013 – Rs. C­424/11, Wheels Common
den Streitjahren erbracht hat (a und b); jedoch erfordert eine Investment Fund Trustees u.a. EU:C:2013:144 = DB 2013 S. 854
richtlinienkonforme Auslegung eine einschränkende Anwen­ = MwStR 2013 S. 157, Rn. 16; vom 13.03.2014 – Rs. C­464/12,
dung der Steuerbefreiungsvorschrift (c). ATP PensionService, EU:C:2014:139 = DB 2014 S. 696 = MwStR

2396 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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2014 S. 294, Rn. 40). Diese den Mitgliedstaaten somit übertra­ … keine Organismen für gemeinsame Anlagen i.S.d.
gene Definitionsbefugnis ist jedoch durch das Verbot begrenzt, OGAW-RL dar …
der vom Unionsgesetzgeber verwendeten Formulierung der 33 (1) Die Unterstützungskassen, in denen das Kapitalvermö­
Befreiungsvorschrift zuwiderzuhandeln. Ein Mitgliedstaat gen zusammengeführt wird, sind nach den i.S.d. § 118 Abs. 2
kann insb. nicht, ohne den Wortlaut des Begriffs „Sonderver­ FGO bindenden und i.Ü. zwischen den Beteiligten unstreitigen
mögen“ zu missachten, auswählen, welchen von den Sonderver­ Feststellungen des FG kein Organismus für gemeinsame Anla­
mögen die Befreiung gewährt wird und welchen nicht. gen i.S. der OGAW­Richtlinie.

… zur Definition von Fonds, die unter den Begriff … und sind auch nicht mit derartigen Fonds vergleichbar
„Sondervermögen“ fallen 34 (2) Sie sind auch nicht mit den Fonds, die Organismen
Die genannten Bestimmungen räumen ihm somit lediglich für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren i.S. der OGAW­
die Befugnis ein, in seinem innerstaatlichen Recht die Fonds Richtlinie darstellen, vergleichbar. Die Unterstützungskassen
zu definieren, die unter den Begriff „Sondervermögen“ fallen unterscheiden sich insb. in der Frage der Risikotragung von
(vgl. in diesem Sinne EuGH vom 28.06.2007 – Rs. C­363/05, einem Sondervermögen.
JP Morgan Fleming Claverhouse Investment Trust und The
Association of Investment Trust Companies, EU:C:2007:391 Fehlende Risikotragung durch Arbeitnehmer
= BStBl. II 2010 S. 573 = DB 2007 S. 1570, Rn. 41 bis 43; vom 35 Die Arbeitnehmer tragen insb. nicht die Risiken der Verwal­
07.03.2013, a.a.O., Rn. 17; vom 13.03.2014, a.a.O., Rn. 41; vom tung der Unterstützungskassen, in denen das Kapitalvermö­
09.12.2015 – Rs. C­595/13, Fiscale Eenheid X, EU:C:2015:801 = gen dieses Alterssicherungssystems zusammengeführt wird.
RS1188215 = MwStR 2016 S. 109, Rn. 32). Nach den gleichfalls i.S.d. § 118 Abs. 2 FGO bindenden und i.Ü.
zwischen den Beteiligten unstreitigen weiteren Feststellun­
Zu diesen „Sondervermögen“ gehören Organismen für gen des FG hatten die Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber
gemeinsame Anlagen … einen vom Wert des angelegten Kapitalvermögens unab­
Der Begriff des „Sondervermögens“ wird somit durch Unions­ hängigen und damit risikolosen Anspruch. Die Höhe dieses
recht und durch nationales Recht bestimmt. Anspruchs war allein durch die Dauer ihrer Beschäftigung
bei dem Arbeitgeber und die Höhe ihres Gehalts vorgegeben.
… und diesen vergleichbare Fonds Sie waren über den Pensionssicherungsverein abgesichert.
30 bb) So hat der EuGH entschieden, dass als steuerbefreites Dagegen richtet sich der Gewinn, den Personen, die Anteile an
Sondervermögen i.S. der RL 77/388/EWG zum einen Anla­ einem Organismus für gemeinsame Anlagen kaufen, erwarten
gen, die unter die RL 85/611/EWG des Rates vom 20.12.1985 können, nach den Ergebnissen der Anlagen, die von den Ver­
zur Koordinierung der Rechts­ und Verwaltungsvorschriften waltern des Fonds während des Zeitraums, in dem sie diese
betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen Anteile halten, getätigt werden (vgl. EuGH vom 07.03.2013,
in Wertpapieren (OGAW­Richtlinie) fallen und in diesem Rah­ a.a.O., Rn. 27; vom 13.03.2014, a.a.O., Rn. 59; vom 09.12.2015,
men einer besonderen staatlichen Aufsicht unterliegen, und a.a.O., Rn. 52).
zum anderen Fonds anzusehen sind, die zwar keine Organis­
men für gemeinsame Anlagen i.S. dieser Richtlinie darstellen, Unerheblich, dass Leistungen teilweise durch Entgelt­
jedoch dieselben Merkmale aufweisen wie diese und somit umwandlung des Arbeitslohns erfolgen
dieselben Umsätze tätigen oder diesen zumindest soweit ähn­ 36 Dem steht auch nicht – wie das FA meint – entgegen,
lich sind, dass sie mit ihnen im Wettbewerb stehen (vgl. EuGH dass z.T. die Leistungen an die Unterstützungskassen durch
vom 07.03.2013, a.a.O., Rn. 23 und 24; vom 13.03.2014, a.a.O., Entgeltumwandlung des Arbeitslohnes erfolgt und somit ein
Rn. 46 und 47; 09.12.2015, a.a.O., Rn. 46 und 47). Risiko bzgl. der späteren Versorgungsleistung vom Arbeitneh­
mer getragen werde. Der Arbeitnehmer trägt dennoch nicht
Entscheidend sind Risikotragung der Investoren und das Anlagerisiko i.S. der EuGH­Rspr.. Er hat einen auch der
Handlungspflicht des Arbeitgebers Höhe nach bestimmten, vom Wert des angelegten Kapital­
31 cc) Entscheidend stellt der EuGH bei dieser Abgrenzung auf vermögens unabhängigen Versorgungsanspruch gegen den
die Risikotragung der Investoren und die Handlungspflicht Arbeitgeber, der mit dem Anlagerisiko einer Wertpapieranlage
des Arbeitgebers ab. Tragen die Versicherten nicht die Risiken in einem Fonds nicht vergleichbar ist.
der Verwaltung der Kapitalanlage, in der das Kapitalvermögen
dieses Systems zusammengeführt wird, dann fehlt es an der Risikotragung durch Begünstigte unverzichtbar
Vergleichbarkeit mit Anlagen, die unter die OGAW­Richtlinie 37 (3) Entgegen der Ansicht des FA kann nicht auf die Vor­
fallen oder ihr ähnlich sind. Dies ist der Fall, wenn die Rente aussetzung der Risikotragung durch den Begünstigten für
durch die Dauer der Beschäftigung bei dem Arbeitgeber und das Vorliegen eines Sondervermögens, wie sie der EuGH for­
die Höhe des Gehalts vorgegeben ist, und die Beiträge, die der dert, verzichtet werden. Der EuGH hat die hier maßgebliche
Arbeitgeber an das Altersversorgungssystem zahlt, für ihn Vorschrift in der Weise ausgelegt, dass Rentenkassen unter
ein Mittel darstellen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen diese Bestimmung fallen können, wenn sie von den Personen
gegenüber seinen Angestellten nachzukommen (vgl. EuGH vom finanziert werden, denen die Renten ausgezahlt werden, die
07.03.2013, a.a.O., Rn. 27 bis 29; vom 13.03.2014, a.a.O., Rn. 52). Ersparnisse nach dem Grundsatz der Risikostreuung angelegt
werden und das Anlagerisiko von den Versicherten getragen
Im Streitfall stellen Unterstützungskassen … wird (EuGH vom 13.03.2014, a.a.O., Ls. 1 Satz 1), Versorgungs­
32 dd) Danach fallen die streitbefangenen Unterstützungskas­ kassen der vorliegenden Art hingegen nicht (EuGH vom
sen nicht unter den Unionsbegriff „Sondervermögen“. 07.03.2013, a.a.O.).

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2397


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Übereinstimmung mit Gesetzesbegründung zum – Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen wie


Investmentsteuerreformgesetz Messen, Vortragsreihen und Workshops,
38 I.Ü. entspricht dies auch – entgegen der Auffassung des – Einführung und Fortbildung von Mitgliedern und inte­
FA – dem Verständnis des Gesetzgebers in der vom FA in Bezug ressierten Nichtmitgliedern, insb. Jugendlichen, in die
genommenen BT­Drucks. 18/8045. Nach der Gesetzesbegrün­ Thematik,
dung zum Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.2016 – Förderung von Bildung, Wissenschaft und kulturellem
(BGBl. I 2016 S. 1730) wird auf die EuGH­Rspr. verwiesen, die Austausch durch Schaffung öffentlicher Zugänge zu inter­
für eine Vergleichbarkeit mit den Organismen für gemeinsame nationalen Diskussionsforen und Datennetzen,
Anlagen in Wertpapieren u.a. voraussetzt, dass die Anteils­ – Herstellung von Kontakten zu anderen Gruppen und
inhaber auch das Risiko tragen, das mit der Verwaltung Institutionen, die sich vergleichbaren Zwecken widmen,
des darin gesammelten Vermögens einhergeht (BT­Drucks. – Anleitung zum kritischen Umgang mit neuen Medien,
18/8045 S. 141). (…) – Hilfestellung und Beratung bei technischen Fragen im
Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten für Mitglieder
Redaktioneller Hinweis: und Nichtmitglieder.
Volltext-Entscheidung online: RS1250015. Im Mittelpunkt steht das „CMS“ bzw. das Nachfolgesystem „E“.
Dabei handelt es sich um eine sog. freie Software, für die der Quell­
code frei verfügbar ist und die ohne Einschränkungen benutzt
werden darf. Sie darf ohne Zahlungsverpflichtungen kopiert,
Umsatzsteuer/Abgabenordnung »DB1252257 verändert und weitergegeben werden. „E“ dient in erster Linie der
Erstellung von Webseiten mit veränderlichen, d.h. dynamischen
Verein zur Förderung der Open-Source-Software Inhalten, die von mehreren Personen ohne vertiefte Kenntnisse
als Zweckbetrieb über die Webseitenerstellung editiert werden können.
Der Kläger veranstaltet i.d.R. einmal jährlich einen sog. „E­Day“
Gemeinnütziger Verein – Kongressveranstaltungen – Wirt- und einen Kongress „E­Congress“. Dabei handelt es sich um
schaftlicher Geschäftsbetrieb – Zweckbetrieb – Veranstaltungen Veranstaltungen für die „E­Community“, zu der Anwender
belehrender Art – Ermäßigter Steuersatz – Wettbewerbsverzer- und Programmierer gehören. Die Konferenzen bestehen aus
rung Vorträgen, Diskussionen sowie gemeinsamer Programmie­
AO §§ 14, 65, 68 Nr. 8; GewStG § 3 Nr. 7; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9; UStG § 4 rung im Zusammenhang mit dem CMS „E“; in der Lounge
Nr. 22 Buchst. a, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a finden Ausstellungen statt. Um die Gebühren für die Teilneh­
Kongressveranstaltungen eines Vereins zur Förderung mer der Veranstaltung möglichst niedrig zu halten, wurde ein
der Open­Source­Software können Zweckbetriebe i.S.v. Sponsoring­Programm aufgesetzt. Der „E­Day“ ist national
§ 68 Nr. 8 AO sein, wenn dabei Vorträge, Kurse und andere auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt, während
Veranstaltungen wissenschaftlicher und belehrender Art die Veranstaltung „E­Congress“ international ausgerichtet ist.
durchgeführt werden. In Deutschland werden die „E­Days“ bzw. „E­Congress“ aus­
BFH, Urteil vom 21.06.2017 – V R 34/16 schließlich vom Kläger veranstaltet. Entsprechend den Vor­
gaben des internationalen Dachverbandes „P Inc.“ dürfen die
Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei den Veran­ Konferenzen „E­Days“ bzw. „E­Congress“ nur von Organisati­
staltungen „E­Day“ und „E­Congress“ um steuerbegünstigte onen veranstaltet werden, die keine Gewinnerzielungsabsicht
Zweckbetriebe handelt. verfolgen. Darüber hinaus dürfen nur solche Sponsoren berück­
Der Kläger, ursprünglich „CMS e.V. – Verein zur Förderung ... sichtigt werden, die positiv gegenüber dem Open Source Gedan­
CMS“, verfolgt gemeinnützige Zwecke (Förderung der Volks – ken eingestellt sind. Die Organisatoren und die Vortragenden
und Berufsbildung sowie der Studentenhilfe). Gem. § 2 der Sat­ dürfen für ihre Tätigkeit keine besondere Vergütung erhalten.
zung vom Dezember 2004 besteht der Vereinszweck darin, die Nach der Einnahmen­/Überschussrechnung für das Jahr 2010
Nutzung freier Software i.S. der „Open Source Definition“, die (Streitjahr) betrugen die Einnahmen aus „E­Day“­Veranstal­
Möglichkeit der freien Kommunikation und die Bereitstellung tungen insgesamt 51.906,46 € (... € aus Ticketverkauf und Spon­
von Informationen in Datennetzen zu fördern. Dies betrifft soring, weitere als nicht steuerbar deklarierte Einnahmen von
sowohl die allgemeine wie auch die berufliche Bildung, indem ... € aus Umsätzen an ..., sowie ... € mit der Bezeichnung „...“).
der Verein die Kompetenz und Akzeptanz der Bevölkerung mit Im Jahr 2012 führte das FA beim Kläger eine Außenprüfung
dem Medium Internet und der Bereitstellung von Informatio­ durch, die zu der Auffassung gelangte, dass der Kläger mit den
nen erhöht und selbstlos für die Allgemeinheit entsprechende „E­Day“­Veranstaltungen und dem dazugehörigen Sponsoring
Dienste, Informationen und Software zur Verfügung stellt. einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gem. § 14 AO begrün­
Der Vereinszweck wird lt. § 2 Nr. 2 der Satzung insb. verwirk­ det habe und als Messe­, Ausstellungs­ und Kongressveran­
licht durch: stalter zu behandeln sei.
– Den Betrieb einer Plattform zum Informationsaustausch, Auf dieser Grundlage erließ das FA am 19.12.2012 Bescheide
– Erstellen und Anbieten von Informationen und Diensten über KSt und USt für 2010 sowie am 10.01.2013 den Bescheid
in Datennetzen, über den GewSt­Messbetrag für 2010.
– Förderung des freien kreativen Umgangs mit dem Medium Mit den Einsprüchen machte der Kläger geltend, dass es sich
Internet, bei den „E­Day“­Veranstaltungen um Zweckbetriebe handele;
– Unterstützung von Bildungsvorhaben im Hinblick auf hinsichtlich der USt sei deshalb der ermäßigte Steuersatz von
technische Innovationen sowie von Kunst und Kultur, 7% gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG anzuwenden.
– Öffentlichkeitsarbeit, Arbeits­ und Erfahrungsaustausch, Während des Einspruchsverfahrens erging am 21.05.2013 ein

2398 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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geänderter USt­Jahresbescheid für 2010. Die Einsprüche blie­ Rückausnahme für Zweckbetriebe nach §§ 65-68 AO
ben ohne Erfolg. 21 c) Das FG hat zu Unrecht für die mit den streitbefangenen
Das FG wies die Klage ab (FG Köln vom 07.04.2016 – Konferenzen zusammenhängenden Einnahmen des Klägers
10 K 2601/13, EFG 2016 S. 1236). Es führte im Wesentlichen aus, die besonderen Voraussetzungen für einen Zweckbetrieb nach
dass die Gewährung der begehrten Steuervergünstigungen § 68 Nr. 8 AO nicht beachtet und deshalb unzutreffend die
nicht in Betracht käme, weil es sich bei den „E­Day“­Veran­ Annahme von Zweckbetrieben verneint.
staltungen des Klägers um wirtschaftliche Geschäftsbetriebe
handele, die keine Zweckbetriebe i.S.v. § 65 AO seien. (...) Volkshochschulen und andere Einrichtungen, die
Zur Begründung der Revision rügt der Kläger die Verletzung Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art
materiellen Rechts. Nach § 68 Nr. 8 AO sei ein Zweck­betrieb durchführen
gegeben. Die „E­Day“­Veranstaltungen seien insofern von 22 aa) Nach dieser Vorschrift, die im Verhältnis zu der allge­
belehrender Art, als sie der Aus­ und Fortbildung in der meinen Regelung in § 65 AO als spezielle Norm vorrangig ist
Anwendung des E­Computerprogramms dienten. Dies gelte (vgl. z.B. BFH vom 24.09.2014 – V R 11/14, RS1046912 = BFH/NV
zunächst für die auf den Veranstaltungen gehaltenen Vor­ 2015 S. 388, Rn. 37, m.w.N.), sind Volkshochschulen und andere
träge, da hierdurch Kenntnisse und Fertigkeiten in Bezug auf Einrichtungen auch Zweckbetriebe, soweit sie selbst Vorträge,
das Computerprogramm selbst, aber auch im Hinblick auf die Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher oder
hiermit in Zusammenhang stehenden Wissens­ und Lebensbe­ belehrender Art durchführen; dies gilt auch, soweit die Ein­
reiche vermittelt, vertieft und erweitert würden. (…) richtungen den Teilnehmern dieser Veranstaltungen selbst
Beherbergung und Beköstigung gewähren.
AUS DEN GRÜNDEN
Revision des Klägers begründet Klarstellender Charakter der Norm
1 ... 17 I. ... II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt 23 Ausweislich der Gesetzesbegründung hat die Bestimmung
zur Aufhebung des FG­Urteils und zur Klagestattgabe, soweit im Verhältnis zu § 65 AO lediglich klarstellenden Charakter,
dies die KSt­Festsetzung und die Festsetzung des GewSt­ soweit es um die Rechtsfrage geht, ob von einer entsprechen­
Messbetrags für das Streitjahr betrifft (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 den Einrichtung Veranstaltungen wissenschaftlicher oder
FGO). Hinsichtlich der USt­Festsetzung für das Streitjahr wird belehrender Art durchgeführt werden (BT­Drucks. 8/2827
das FG­Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Ver­ S. 79).
handlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, Kläger ist zwar keine Volkshochschule oder Einrichtung
dass es sich bei den vom Kläger durchgeführten Veranstaltun­ der Erwachsenenbildung, …
gen „E­Day“ und „E­Congress“ um keine Zweckbetriebe handelt, 24 bb) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen von § 68 Nr. 8
weil insoweit die Voraussetzungen von § 68 Nr. 8 AO vorliegen, AO vor.
sodass die begehrte KSt­ und GewSt­Befreiung zu gewähren ist. 25 Bei dem Kläger handelt es sich zwar nicht um eine Volks­
hochschule oder um eine allgemein anerkannte Einrichtung
Aufhebung und Zurückverweisung wegen USt der Erwachsenenbildung (vgl. z.B. Musil, in: HHSp, § 68 AO
Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG erlauben Rn. 36, m.w.N., und Klein/Gersch, AO, 13. Aufl., § 68 Rn. 15,
keine abschließende Entscheidung darüber, ob die Vorausset­ m.w.N.), wohl aber um eine andere steuerbegünstigte Einrich­
zungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach tung i.S.v. § 68 Nr. 8 AO (vgl. dazu z.B. Uterhark, in: Schwarz/
§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG erfüllt sind. Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 68 AO Rn. 11).

Von der KSt- und GewSt-Befreiung ausgenommen … … aber eine andere Einrichtung i.S.v. § 68 Nr. 8 AO, …
18 1. Entgegen der Auffassung des FG liegen hinsichtlich der Die Satzungszwecke des Klägers umfassen nach § 52 Abs. 2
Veranstaltungen „E­Day“ und „E­Congress“ die Vorausset­ Nr. 7 AO die Förderung der Erziehung, Volks­ und Berufs­
zungen für die Gewährung der begehrten KSt­ und GewSt­ bildung einschließlich der Studentenhilfe.
Befreiung vor.
… da mit den Kongressen Veranstaltungen belehrender
… sind grds. wirtschaftliche Geschäftsbetriebe … Art durchgeführt werden
19 a) Der Kläger ist als gemeinnützig anerkannter eingetrage­ 26 Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des FG,
ner Verein gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG grds. von der KSt die nach § 118 Abs. 2 FGO den Senat binden, steht i.Ü. fest,
befreit und gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG nur mit seinen dass der Kläger mit seinen Kongressen Veranstaltungen
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben steuerpflichtig, soweit belehrender Art i.S.v. § 68 Nr. 8 AO durchgeführt hat, an die
es sich nicht um Zweckbetriebe i.S.d. §§ 65­68 AO handelt i.Ü. keine besonderen inhaltlichen Anforderungen zu stellen
(§ 64 Abs. 1 AO). § 3 Nr. 6 GewStG enthält eine entsprechende sind (vgl. z.B. Unger, in: Beermann/Gosch [Hrsg.], AO § 68
Regelung für die Befreiung von GewSt. Rn. 27, m.w.N.). Somit genügt es, dass bei den streitbefangenen
Veranstaltungen überwiegend Vorträge gehalten werden, die
… wie die vom Kläger veranstalteten Konferenzen naturgemäß belehrenden Charakter haben. Die Durchfüh­
20 b) Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des FG, rung der Kongresse steht auch im Einklang mit den in § 2 der
die den Senat binden (§ 118 Abs. 2 FGO), sind die vom Kläger Satzung des Klägers ausdrücklich genannten Maßnahmen zur
durchgeführten Konferenzen „E­Day“ sowie „E­Congress“ Verwirklichung der Satzungszwecke, wonach u.a. die „Fortbil­
wirtschaftliche Geschäftsbetriebe i.S.v. § 14 AO, was i.Ü. zwi­ dung von Mitgliedern und interessierten Nichtmitgliedern“ im
schen den Beteiligten unstreitig ist. Mittelpunkt steht.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2399


Steuerrecht Entscheidungen www.der-betrieb.de

Keine Einschränkung durch BFH-Rspr. zu § 4 Nr. 22a UStG … entscheidend ist aber, ob dieser Zweckbetrieb …
27 Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich Gegenteiliges 32 c) Ausgehend von den bisherigen Feststellungen des FG
nicht aus der – einschränkenden – Rspr. des BFH zum origi­ lässt sich aber nicht abschließend beurteilen, ob der Zweckbe­
nären Steuerbefreiungstatbestand in § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG, trieb möglicherweise in erster Linie der Erzielung zusätzlicher
dem die Regelung in § 68 Nr. 8 AO nachgebildet ist. Zwar hat Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in
der BFH entschieden, dass bei der gebotenen richtlinienkon­ unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz
formen Auslegung des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG nicht alle unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt
Kurse zur Erlernung von Fähigkeiten oder Fertigkeiten „wis­ werden, was der begehrten Steuersatzermäßigung im Streitfall
senschaftlicher oder belehrender Art“ in den Anwendungsbe­ entgegenstehen könnte.
reich dieses Steuerbefreiungstatbestandes fallen, sondern nur
solche Kurse, die als Erziehung von Kindern und Jugendlichen, … mit seinen Leistungen in Wettbewerb zu
als Schul­ oder Hochschulunterricht, als Ausbildung, Fortbil­ vergleichbaren Unternehmern tritt
dung oder berufliche Umschulung zu qualifizieren sind (BFH 33 Entscheidend ist insoweit, ob der Kläger mit den Leistungen
vom 27.04.2006 – V R 53/04, BStBl. II 2007 S. 16 = DB 2006 seines Zweckbetriebs in Wettbewerb zu anderen Unterneh­
S. 1541, Rn. 24, m.w.N.). Unabhängig davon, ob der Kläger mit mern tritt, die vergleichbare Leistungen ohne Anspruch auf
den streitbefangenen Veranstaltungen möglicherweise auch Ermäßigung am Markt anbieten. Welcher Art die Vorleistun­
diese Voraussetzungen erfüllt, sind diese einschränkenden gen sind, die der Zweckbetrieb zur Erbringung seiner eigenen
Rechtsgrundsätze nicht auf § 68 Nr. 8 AO zu übertragen, weil Leistung beansprucht, ist insoweit nicht von Bedeutung (BFH
beide Bestimmungen nicht deckungsgleich und deshalb jew. vom 08.03.2012, a.a.O., Rn. 31). Für diese weite Auslegung des
für sich zu betrachten sind (vgl. z.B. Musil, a.a.O., § 68 Rn. 35, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG spricht dabei, dass der
m.w.N., und Klein/Gersch, a.a.O., § 68 Rn. 15 unter Bezug­ ermäßigte Steuersatz nur insoweit anzuwenden ist, als er zu
nahme auf BFH vom 08.03.2012 – V R 14/11, BStBl. II 2012 keiner oder einer nur geringen Gefahr einer Wettbewerbs­
S. 630 = DB 2012 S. 1365). verzerrung führt (EuGH vom 03.03.2011 – Rs. C­41/09, Kom­
mission/Königreich Niederlande, EU:C:2011:108 = RS0848713,
Klagestattgabe wegen Spruchreife für KSt und GewSt Rn. 52).
28 d) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen.
Seine Entscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist insoweit Fehlende Feststellungen zur Frage der Wettbewerbs­
spruchreif. Der Klage ist im Hinblick auf die begehrte KSt­ und verzerrung …
GewSt­Befreiung in vollem Umfang stattzugeben. 34 Das FG hat die Frage des Vorliegens von Wettbewerbs­
verzerrungen – ausgehend von seiner Rechtsauffassung
Voraussetzungen für USt-Satzermäßigung … zu Recht – ausdrücklich offengelassen und keine weiteren
29 2. Entgegen der Auffassung des FG können bezüglich der tatsächlichen Feststellungen getroffen. Es wird bei seiner
streitbefangenen Veranstaltungen auch die Voraussetzungen erneuten Entscheidung auch berücksichtigen müssen, dass
der begehrten Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 die Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG entspre­
Buchst. a UStG erfüllt sein. Der Senat kann insoweit nicht chend den unionsrechtlichen Vorgaben eng auszulegen ist
durcherkennen, weil die bislang getroffenen tatsächlichen (BFH vom 24.09.2014 – V R 11/14, RS1046912 = BFH/NV 2015
Feststellungen des FG nicht ausreichen, um das Vorliegen aller S. 528, Rn. 44 ff.).
gesetzlich festgelegten Bedingungen zu bejahen.
… führen zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurück­
… nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG verweisung
30 a) Nach dieser Bestimmung ist auf die Leistungen der 35 d) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen.
Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemein­ Seine Entscheidung ist aufzuheben. Das FG wird im zweiten
nützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen (§§ 51­68 Rechtsgang Gelegenheit haben, die fehlenden tatsächlichen
AO), der ermäßigte Steuersatz anzuwenden. Das gilt nicht für Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen von § 12
Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäfts­ Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG nachzuholen.
betriebs ausgeführt werden. Für Leistungen, die im Rahmen
eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, gilt die Steuerermä­ Ggf. kommt auch Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2
ßigung nur, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Nr. 11 UStG in Betracht
Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von 36 Sollte sich dabei ergeben, dass der Kläger ggf. selbst Beher­
Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem bergungs­ und Übernachtungsleistungen erbracht hat, wäre
allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer ggf. außerdem das Vorliegen der Steuersatzermäßigung i.S.v.
Unternehmer ausgeführt werden, oder wenn die Körperschaft § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG zu prüfen. (...)
mit diesen Leistungen ihrer in den §§ 66­68 AO bezeichneten
Zweckbetrieb ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwe­ Redaktioneller Hinweis:
cke selbst verwirklicht. Volltext-Urteil online: RS1252257.

Kläger erfüllt zwar Voraussetzungen des § 68 Nr. 8 AO, …


31 b) Im Streitfall ergibt sich aus den vorstehenden Ausführun­
gen unter II. 1. c), dass der Kläger mit seinen Veranstaltungen
die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs i.S.v. § 68 Nr. 8 AO
erfüllt.

2400 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


www.der-betrieb.de Wirtschaftsrecht Aufsatz

Steuerberaterrecht »DB1251534
Richter am BGH a. D. Dr. Detlev Fischer, Karlsruhe

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung


des steuerlichen Beraters in den Jahren 2015-2017
(Teil 1)
2. Inhalt des Mandats
Richter am BGH a.D. Dr. Detlev Fischer war von 2005 bis 2015 Mitglied
des u.a. für die Rechtsanwalts- und Steuerberaterhaftung zuständigen IX.
Welche Aufgaben der StB zu erfüllen hat, richtet sich nach
Zivilsenats des BGH. Inhalt und Umfang des jeweiligen Mandats. 5 Maßgeblich ist
Kontakt: autor@der-betrieb.de der konkrete Auftrag, den der Mandant dem StB ausdrücklich
oder den Umständen nach erteilt hat. 6 So kann der Mandant
Im Folgenden wird ein komprimierter Überblick über die maß­ im Rahmen einer Gestaltungsberatung die Berücksichtigung
geblichen Entscheidungen des BGH zur Steuerberaterhaftung der Interessen eines Dritten zum Gegenstand der Beratungs­
gegeben, die im Zeitraum von 2015 bis 2017 ergangen sind. leistung machen.7
Der Aufsatz bietet eine Essenz der relevanten Rspr. und zeigt Die steuerliche Beratung einer Gesellschaft bürgerlichen
Leitlinien zur pflichtgemäßen Mandatsarbeit auf. Der BGH prä­ Rechts kann nach dem Inhalt des Vertrags auch die Interessen
zisiert dabei seine Rspr. z. B. im Hinblick auf die Feststellung der Gesellschafter zum Gegenstand haben. 8 Ist dies der Fall,
von Inhalt und Umfang des erteilten Mandats und den davon so muss aufgrund des steuerrechtlichen Transparenzprinzips
abzuleitenden Beratungspflichten. Insbesondere die Rspr. der von der PersGes. erwirtschaftete Gewinn anteilig bei den
bezüglich der Fortbestehensprognose bei der Erstellung von Gesellschaftern erfasst werden, sodass die steuerliche Bera­
Jahresabschlüssen und der Warn­ und Hinweispflicht bei einer tung der Gesellschaft auch einkommensteuerliche Fragen
möglichen Insolvenzreife der mandatierenden Gesellschaft sowie die Anfertigung der ESt­Erklärungen der Gesellschafter
wurde weiterentwickelt. miteinschließt. Unter diesen Umständen können auch die
wirtschaftlichen Folgen einer Ausgliederung der nicht der
I. Einleitung Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG unterfallenden Leis­
Der nachstehende Rechtsprechungsbericht befasst sich im tungen sowohl im Hinblick auf das Vermögen der Gesellschaft
Anschluss an den Überblick in DB 2015 S. 2859 und 2919 mit als auch ihrer Gesellschafter Prüfungsgegenstand des StB
den maßgeblichen Entscheidungen des für die Steuerberater­ sein.9
haftung zuständigen IX. Zivilsenats, die in der Zeit zwischen Nach dem erteilten Mandat ist ferner zu beurteilen, in wel­
Oktober 2015 und August 2017 ergangen sind. Hierbei wird chem Umfang der StB die ihm für die Erstellung des Jahresab­
auch auf Entscheidungen dieses Senats zur Rechtsanwalts­ schlusses vorgelegten Unterlagen und Angaben des Mandan­
haftung Bezug genommen, soweit die darin behandelten ten inhaltlich zu überprüfen hat. Insoweit kann ein Auftrag
Grundsätze auch für die Steuerberaterhaftung von Bedeutung erteilt werden, der nur eine Erstellung ohne Beurteilungen
sind. Der Aufbau der Darstellung folgt im Wesentlichen den des StB umfasst, ebenso aber Aufträge mit einer Plausibili­
einzelnen Anspruchsvoraussetzungen eines gegen den Berater tätsbeurteilung oder mit einer umfassenden Beurteilung.10
gerichteten Ersatzanspruchs. Darlegungs­ und beweispflichtig für den Inhalt des erteilten
Auftrags, insb., ob ein umfassendes steuerliches Beratungs­
II. Zustandekommen, Inhalt und Beendigung des mandat oder nur einzelfallbezogene Beauftragungen erfolgt
Steuerberatervertrags sind, ist der Mandant.11
1. Rechtsnatur des Rechtsberatervertrags Der Grundsatz einer beiderseits interessengerechten Ver­
Das Vertragsverhältnis zwischen einem Rechtsberater und tragsauslegung als anerkannte Auslegungsregel gilt auch für
seinem Auftraggeber bildet regelmäßig einen Dienstvertrag den Rechtsberatervertrag.12 Dieser Grundsatz bezweckt, die
(§ 611 BGB), der eine Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB) zum Abrede auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen. Es
Gegenstand hat.1 Eine Qualifizierung als Werkvertrag mit geht hierbei nicht darum, dem Rechtsgeschäft zu dem Inhalt
Geschäftsbesorgungscharakter kommt nur ausnahmsweise zu verhelfen, der dem Richter im Entscheidungszeitpunkt
in Betracht, dann etwa, wenn der StB im Rahmen eines Einzel­ als interessengemäß erscheint. Maßgeblich ist vielmehr der
auftrags mit der Ausarbeitung eines Gutachtens zu steuerli­
chen Fragen, 2 der Erstellung eines Jahresabschlusses3 oder der
5 BGH vom 07.05.2015 – IX ZR 186/14, DB 2015 S. 1596, Rn. 6; vgl. auch vom 18.02.2016 – IX ZR
Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens4 betraut wird. 191/13, DB 2016 S. 887 = WM 2016 S. 2089, Rn. 20.
6 BGH vom 10.12.2015 – IX ZR 56/15, DB 2016 S. 523, Rn. 15.
1 BGH vom 16.02.2017 – IX ZR 165/16, DB 2017 S. 1258, Rn. 15 (RA), unter Bezugnahme auf BGH 7 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 15.
vom 20.10.1964 – VI ZR 101/63, NJW 1965 S. 106. 8 BGH vom 08.09.2016 – IX ZR 255/13, DB 2016 S. 2955, Rn. 15.
2 BGH vom 10.03.2005 – IX ZR 25/01, RS0717389 = BeckRS 2005, 04044. 9 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 15.
3 BGH vom 26.01.2017 – IX ZR 285/14, DB 2017 S. 814, Rn. 14, unter Bezugnahme auf BGH vom 10 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rn. 21.
01.02.2000 – X ZR 198/97, DB 2000 S. 916 = WM 2000 S. 973; vom 07.03.2002 – III ZR 12/01, 11 BGH vom 05.02.2015 – IX ZR 167/13, DB 2015 S. 739, Rn. 12; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5),
RS0713281 = WM 2002 S. 2248 (2249 f.); Zugehör, WM 2013 S. 1965 (1966). Rn. 20; vgl. auch D. Fischer, DB 2015 S. 2859 (2860).
4 BGH vom 14.06.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193 S. 297 = DB 2012 S. 1559, Rn. 9. 12 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 17 (RA).

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2401


Wirtschaftsrecht Aufsatz www.der-betrieb.de

Einfluss, den das Interesse der Parteien auf den objektiven beschränkten Auftragsgegenstand in engem Zusammenhang
Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte.13 stehen.24

3. Beendigung des Vertrags 3. Prozessführungspflichten


Eine Beendigung des StB­Vertrags kann auch durch Kündi­ Übernimmt der StB die Prozessführung im finanzgerichtli­
gung erfolgen.14 Kündigungsgrund kann insb. ein vertragswid­ chen Verfahren, so sind besondere das Verfahren betreffende
riges Verhalten des Mandanten sein.15 Dies setzt die schuld­ Vertragspflichten zu beachten. Hierzu gehört insb. die Pflicht,
hafte Verletzung einer Vertragspflicht voraus, wie etwa, wenn einer gerichtlichen Fehlentscheidung entgegenzuwirken.25 Der
der Mandant gegenüber dem Berater auf der Fortsetzung eines Rechtsberater muss alles – einschließlich Rechtsausführun­
objektiv nicht gewinnbaren Nichtzulassungsbeschwerdever­ gen – vorbringen, was die Entscheidung günstig beeinflussen
fahrens bestehen sollte.16 Das Mandat darf hierbei allerdings kann. 26 Er hat auch eine vom Gericht im Verlauf der Instanz
nicht unter dem Vorbehalt erteilt worden sein, unabhängig vertretene Rechtsansicht im Interesse seines Mandanten zu
vom Ausgang der Prüfung der Erfolgsaussichten, auf jeden Fall überprüfen, selbst wenn sie durch Nachweise von Rspr. und
das in Rede stehende Rechtsmittel durchzuführen.17 Schrifttum belegt ist. 27 Insb. hat der Rechtsberater auf die
höchstrichterliche Judikatur hinzuweisen. 28 Der Schutz des
III. Pflichten des Steuerberaters Mandanten gebietet es, dass der Berater dafür Sorge trägt,
1. Allgemeine Pflichten dass diese Gesichtspunkte bei der gerichtlichen Entscheidung
Nach den allgemeinen vertraglichen Pf lichten ist der StB berücksichtigt werden können.29
gehalten, sich mit den steuerrechtlichen Punkten zu befassen, Der Rechtsberater hat von der Durchführung eines erfolglosen
die zur ordnungsgemäßen Erledigung des ihm erteilten Auf­ Rechtsmittels ebenso abzuraten wie von der Führung eines
trags zu beachten sind. In den durch seinen Auftrag gezogenen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreits.30
Grenzen hat er den Mandanten auch ungefragt über die bei Regelmäßig können Rechtsberater davon ausgehen, der Man­
der Bearbeitung auftauchenden steuerrechtlichen Fragen zu dant werde bei inhaltlich zutreffender Rechtsprüfung den sich
belehren.18 hieraus ergebenden Empfehlungen auch folgen. Deswegen
Den dabei einzuhaltenden Prüfungsmaßstab hat der BGH19 muss der Berater einer der objektiven Rechtslage zuwider­
mit Urteil vom 17.03.2016 präzisiert: Der Berater hat sich bei laufenden Weisung des Mandanten zur Fortsetzung eines
der Auslegung der einschlägigen Rechtsnormen grds. an der objektiv aussichtslosen Rechtsstreits nicht nachkommen.
höchstrichterlichen Rspr. zu orientieren. Hinweise, Beleh­ Anderes gilt nach dem Grundsatz einer beiderseits interessen­
rungen und Empfehlungen sind i.d.R. hieran auszurichten. 20 gerechten Vertragsauslegung nur dann, wenn der Mandant
Fehlt höchstrichterliche Judikatur kann der Anwalt sich die bereits die Erteilung des Mandats davon abhängig macht,
erforderlichen Kenntnisse etwa durch Einsichtnahme in eines dass die begehrte Rechtsverfolgung – gleich ob es sich um die
der üblichen Erläuterungsbücher verschaffen. Ungewöhnliche Abgabe einer Willenserklärung, die Erhebung einer Klage oder
Fallgestaltungen, die weder Gegenstand einer höchstrichter­ die Einlegung eines Rechtsmittels handelt – ungeachtet des
lichen oder instanzgerichtlichen Entscheidung waren noch in Ergebnisses einer Rechtsprüfung des Beraters in jedem Fall
einem der gängigen Kommentare oder Lehrbücher behandelt durchgeführt werden soll. Übernimmt ein Rechtsberater ein
werden, hat er auf der Grundlage eigener, steuerrechtlich ihm unter diesem Vorbehalt angetragenes Mandat, hat er es
begründeter Überlegungen zu bearbeiten.21 Entscheidet er sich ungeachtet der objektiven Rechtslage – soweit das ihm aufer­
hierbei für einen von mehreren vertretbaren Lösungswegen, so legte Vorgehen als solches in Einklang mit der Rechtsordnung
handelt er nicht schuldhaft.22 steht – i.S.d. Mandanten wahrzunehmen.31
Auf der Grundlage einer rechtlich fehlerfreien Begutachtung
2. Nebenpflichten kann der Mandant seine Interessen sachgerecht wahrnehmen,
Eine Hinweispf licht des StB besteht auch außerhalb des indem er abhängig von dem inhaltlichen Ergebnis entweder
beschränkten Mandatsgegenstands, soweit die Gefahren erfolgversprechende Maßnahmen ergreift oder aus Gründen
dem StB bekannt oder für ihn offenkundig sind oder sich ihm des Selbstschutzes von fruchtlosen Schritten Abstand nimmt.
bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen und wenn Erweist sich ein Prozessgutachten als richtig, ist es ohne Bedeu­
er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich tung, ob es den mit der Rechtsordnung unvereinbaren Wunsch­
der Gefahr nicht bewusst ist. 23 Dies gilt insb. dann, wenn die
24 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rn. 44, unter Bezugnahme auf BGH vom 09.07.1998 – IX ZR
Gefahr Interessen des Auftraggebers betrifft, die mit dem
324/97, WM 1998 S. 2246 (2248); vom 18.12.2008, a.a.O. (Fn. 23), Rn. 14.
25 BGH vom 13.10.2016 – IX ZR 214/15, DB 2016 S. 2902 = WM 2017 S. 678, Rn. 23 (RA), unter
Bezugnahme auf BGH vom 02.04.1998 – IX ZR 107/97, WM 1998 S. 1542 (1545).
26 BGH vom 13.10.2016, a.a.O. (Fn. 25), Rn. 23 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 10.12.2015
13 BGH vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204 S. 231 = DB 2015 S. 732, Rn. 21. – IX ZR 272/14, DB 2016 S. 230 = WM 2016 S. 180, Rn. 8 (RA).
14 D. Fischer, DB 2015 S. 2859 (2860). 27 BGH vom 13.10.2016, a.a.O. (Fn. 25), Rn. 23 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 18.12.2008 –
15 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 16. IX ZR 179/07, DB 2009 S. 448 = WM 2009 S. 324, Rn. 13; vom 11.04.2013 – IX ZR 94/10, DB 2013
16 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 16. S. 1484 = WM 2013 S. 1426, Rn. 4; ebenso vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 19 (RA), unter
17 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 17. Bezugnahme auf BGH vom 26.09.2013 – IX ZR 51/13, RS0710945 = WM 2014 S. 89, Rn. 11.
18 BGH vom 07.05.2015, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 7. 28 BGH vom 13.10.2016, a.a.O. (Fn. 25), Rn. 23 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 18.12.2008,
19 BGH vom 17.03.2016 – IX ZR 142/14, RS1202200 = WM 2016 S. 2091, Rn. 9 (RA). a.a.O. (Fn. 27), Rn. 13; vgl. ferner vom 17.03.2016, a.a.O. (Fn. 19), Rn. 9.
20 BGH vom 17.03.2016, a.a.O. (Fn. 19), Rn. 9. 29 BGH vom 13.10.2016, a.a.O. (Fn. 25), Rn. 23 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 18.12.2008,
21 BGH vom 17.03.2016, a.a.O. (Fn. 19), Rn. 9. a.a.O. (Fn. 27), Rn. 13; vom 11.04.2013, a.a.O. (Fn. 27), Rn. 4.
22 BGH vom 17.03.2016, a.a.O. (Fn. 19), Rn. 12. 30 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 15 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 26.09.2013,
23 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rn. 44, unter Bezugnahme auf BGH vom 18.12.2008 – IX ZR a.a.O. (Fn. 27), Rn. 11.
12/05, DB 2009 S. 391 = WM 2009 S. 369, Rn. 14. 31 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 17 (RA).

2402 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


www.der-betrieb.de Wirtschaftsrecht Aufsatz

und Begehrensvorstellungen des Mandanten widerspricht. Es Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn
liegt in der Natur der Sache, dass ein Gutachten – je nach Blick­ entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er anneh­
winkel der Interessenlage – günstig oder nachteilig ausfallen men muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin
kann. Allein entscheidend für seinen Nutzen ist, ob das Gutach­ nicht bewusst ist.39 Dieser Hinweis­ und Warnpflicht ist nicht
ten die Erfolgsaussichten des von dem Mandanten begehrten genügt, wenn der Steuerberater lediglich abstrakt die Prü­
Prozessverhaltens zutreffend abbildet. Auch ein ihm objektiv fungspflichten eines Geschäftsführers aufzeigt. Erforderlich
nachteiliges Gutachten entspricht unter dem Gesichtspunkt ist vielmehr, dass er die maßgeblichen Umstände gegenüber
des beratungsgerechten Verhaltens den wohlverstandenen seinem Mandanten im Einzelnen bezeichnet und ihn konkret
Interessen des Mandanten, der von ihm nachteiligen, kosten­ darauf hinweist, dass diese Umstände Anlass zu einer Prü­
trächtigen Schritten einer objektiv aussichtslosen Rechtsverfol­ fung einer möglichen Insolvenzreife geben.40 Die Hinweis­ und
gung oder Rechtsverteidigung abgehalten wird. Aus objektiver Warnpflicht des Steuerberaters hinsichtlich der Umstände,
Warte hat ein inhaltlich beanstandungsfreies Gutachten für die auf einen Insolvenzgrund hinweisen, setzt weiter voraus,
den Mandanten auch dann Interesse, wenn er sich über den dass der Berater Grund zu der Annahme hat, dass sein Auf­
darin zum Ausdruck kommenden Rat hinwegsetzt.32 traggeber sich der Gefahr nicht bewusst ist. Daran fehlt es,
wenn der Berater davon ausgehen darf, dass sein Mandant
4. Pflichten bei der Erstellung eines Jahresabschlusses sich der Umstände, die auf einen Insolvenzgrund hinweisen,
Mit Urteil vom 26.01.2017 hat der BGH 33 seine bisherige Rspr.34 bewusst ist und in der Lage ist, die tatsächliche und rechtliche
zu den Pflichten des StB bei der Erstellung von Jahresab­ Bedeutung dieser Umstände einzuschätzen. Entscheidend ist,
schlüssen modifiziert und teilweise auch abgeändert. Ein ob der Geschäftsführer der Gesellschaft über das konkrete
Pflichtenverstoß liegt nicht nur dann vor, wenn eine fehlerhaft tatsächliche und rechtliche Wissen verfügt, um sich veranlasst
erstellte Bilanz die tatsächlich bestehende rechnerische Über­ zu fühlen zu überprüfen, ob er das Unternehmen in seiner
schuldung nicht erkennen lässt, sondern auch dann, wenn der bisherigen Form fortführen kann. Hierzu kann es genügen,
Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife wenn die Schuldnerin ihm gegenüber erklärt hat, das Problem
der Gesellschaft zu Unrecht von Fortführungswerten aus­ der bilanziellen Überschuldung sei bekannt.41
geht.35 Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine
GmbH beauftragte Steuerberater hat zu prüfen, ob sich auf 5. Pflicht zur Weisungsbefolgung
der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen Grds. ist der StB ebenso wie der RA verpflichtet, die Weisungen
und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder seines Mandanten zu befolgen.42 Ein Berater, der entsprechend
rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der einer wirksamen Weisung des Bevollmächtigten seines Man­
Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können.36 Er darf dem danten einen für diesen entgegengenommenen Zahlungsbe­
von ihm erstellten Jahresabschluss keine Fortführungswerte trag an einen Dritten auskehrt, handelt nicht pflichtwidrig,
zugrunde legen, wenn auf der Grundlage der ihm zur Ver­ wenn es an einem evidenten Missbrauch der Vertretungs­
fügung stehenden Informationen die Vermutung des § 252 macht fehlt.43
Abs. 1 Nr. 2 HGB entweder widerlegt erscheint oder ernsthafte Der Rechtsberater ist nicht gehalten, einer Weisung des Man­
Zweifel bestehen, die nicht ausgeräumt werden.37 danten zu folgen, die seinem wohldurchdachten Rat wider­
Hingegen ist der Steuerberater, der beauftragt ist, den Jahres­ spricht und mit wirtschaftlichen Nachteilen für die vertretene
abschluss zu erstellen, ohne einen ausdrücklich hierauf gerich­ Partei verbunden ist. Um die verfehlte Weisung des Mandan­
teten Auftrag nicht verpflichtet, über die ihm zur Verfügung ten, einen aussichtslosen Rechtsstreit fortzusetzen, zu erfüllen,
gestellten Unterlagen und die ihm sonst bekannten Umstände müsste der Berater eine Klage oder ein Rechtsmittel mit Erwä­
hinaus umfassend Nachforschungen oder Untersuchungen gungen begründen, die verfahrensrechtlich unerheblich sind
anzustellen, ob die gesetzliche Vermutung des § 252 Abs. 1 oder materiell­rechtlich erkennbar nicht durchgreifen. Dies ist
Nr. 2 HGB tatsächlich gerechtfertigt ist, oder von sich aus nach ihm mit Rücksicht auf sein Ansehen unzumutbar. Schließlich
möglichen Insolvenzgründen zu forschen. Ihn trifft auch keine ist das unvernünftige Hinwegsetzen über den begründeten
allgemeine Untersuchungspflicht hinsichtlich der wirtschaft­ Vorschlag des Anwalts geeignet, die Vertrauensgrundlage des
lichen Verhältnisse der Gesellschaft. Daher haftet der Steuer­ Mandatsverhältnisses nachhaltig zu erschüttern.44
berater für einen objektiv fehlerhaften Jahresabschluss nicht
schon dann, wenn er bei einer entsprechenden Nachforschung 6. Belehrungspflichten bei Abschluss eines Vergleichs
oder einer entsprechenden Untersuchung der wirtschaftlichen Bietet das FA oder das FG einen Vergleich oder eine tatsäch­
Verhältnisse hätte erkennen können, dass die Gesellschaft liche Verständigung an, so treffen den StB besondere Beleh­
insolvenzreif war.38 rungspflichten gegenüber dem Mandanten. 45 Mit Urteil vom
Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine 14.07.2016 hat sich der BGH46 zu den Belehrungspflichten eines
GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf Rechtsanwalts bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs
einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende
39 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 43.
40 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 49.
32 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 26 (RA). 41 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 50.
33 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3). 42 BGH vom 25.09.2014 – IX ZR 199/13, DB 2014 S. 2399, Rn. 19; ferner vom 15.11.2007 – IX ZR
34 BGH vom 07.03.2013 – IX ZR 64/12, DB 2013 S. 928 = WM 2013 S. 802; vom 06.06.2013 – IX ZR 44/04, BGHZ 174 S. 205 = DB 2008 S. 178, Rn. 8.
204/12, DB 2013 S. 1542 = WM 2013 S. 1323. 43 Vgl. BGH vom 11.05.2017 – IX ZR 238/15, DB 2017 S. 1835 = ZInsO 2017 S. 1483, Rn. 13 (RA).
35 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 17. 44 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 21 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 26.09.2013,
36 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 19. a.a.O. (Fn. 27), Rn. 13.
37 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 29. 45 Gräfe, in: Gräfe/Lenzen/Schmeer (Hrsg.), Steuerberaterhaftung, 6. Aufl. 2017, Rn. 414.
38 BGH vom 26.01.2017, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 20, 40. 46 BGH vom 14.07.2016 – IX ZR 291/14, RS1211697 = WM 2017 S. 675, Rn. 8.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2403


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geäußert. Diese Grundsätze lassen sich auch auf das Pflich­ Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses
tenprogramm eines StB übertragen. Danach gilt Folgendes: eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes
Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gericht­ Ereignis eingetreten wäre.57
lichen Vergleichs ist der Berater verpflichtet, die Interessen des
Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzu­ 1. Allgemeine Grundsätze
nehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Dies erfordert einen Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem
Um dem Mandanten eine eigenständige Entscheidung über haftungsbegründenden Ereignis betroffenen finanziellen Positio­
den Abschluss des Vergleichs zu ermöglichen, muss er ihm nen umfasst.58 Geboten ist hierbei nicht lediglich eine Berücksich­
dessen Vor­und Nachteile darlegen. Auch ein ausdrücklicher tigung von Einzelpositionen, sondern eine Gegenüberstellung der
gerichtlicher Vergleichsvorschlag vermag den Rechtsberater hypothetischen und der tatsächlichen Vermögenslage.59
nicht von seiner Verantwortung bei der Beratung der Partei zu Bezugspunkt des Gesamtvermögensvergleichs ist grds. das
entbinden. 47 Der Anwalt hat von einem Vergleich abzuraten, Vermögen des Geschädigten, nicht aber dasjenige Dritter. 60
wenn er für die von ihm vertretene Partei eine unangemes­ Daher kann aufgrund eines Vertrags regelmäßig nur derjenige
sene Benachteiligung darstellt und insb. begründete Aussicht Schadensersatz verlangen, bei dem der Schaden tatsächlich
besteht, im Fall einer streitigen Entscheidung ein wesentlich eingetreten ist und dem er rechtlich zur Last fällt.61 Dies führt
günstigeres Ergebnis zu erzielen. In diesem Fall greift die Ver­ im Rahmen der Beraterhaftung dazu, dass der zum Ersatz
mutung ein, dass der Mandant dem Vorschlag des Beraters, verpflichtete StB grds. nur für den Schaden seines Mandanten
von einem Vergleichsschluss abzusehen, gefolgt wäre.48 Nimmt einzustehen hat, wobei die Drittschadensliquidation und der
der Mandant auf Anraten seines Rechtsberaters eine günstige Vertrag zugunsten Dritter sowie mit Schutzwirkung für Dritte
Vergleichsmöglichkeit nicht wahr, kommt es für einen Pflicht­ eine Ausnahme bilden. 62 Ebenso ist es dem ersatzpflichtigen
verstoß darauf an, ob im Zeitpunkt der Vergleichsverhandlung StB verwehrt, sich auf Vorteile zu berufen, die Dritte infolge
objektive Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, die den der schädigenden Handlung erlangt haben mögen.63
Vergleich günstiger erscheinen ließen als dessen Ablehnung.49 Die hiernach grds. gebotene formale Betrachtungsweise führt
dazu, dass streng zwischen den Vermögensmassen unterschied­
IV. Pflichtverletzung und Einstandspflicht des licher Beteiligter zu unterscheiden ist. Es ist daher zunächst
Steuerberaters festzustellen, ob in der Person, der dem Grunde nach ein
Handelt der StB seinen Vertragspflichten zuwider, liegt zugleich Anspruch zusteht, ein Schaden eingetreten ist. Gesellschaft
schuldhaftes Fehlverhalten vor, weil er seine Vertragspflichten und Gesellschafter sind hierbei regelmäßig als im Rahmen der
kennen muss.50 Darlegungs­ und beweispflichtig für eine Pflicht­ schadensrechtlichen Beurteilung selbstständige Zuordnungs­
verletzung des Beraters ist grds. der Mandant, der Schadenser­ subjekte zu behandeln.64 Weder führt die Annahme eines den
satz begehrt.51 Dies gilt insb. dann, wenn eine Aufklärungs­ oder Gesellschaftern entstandenen Schadens ohne das Hinzutreten
Beratungspflichtverletzung behauptet wird.52 Nach ständiger weiterer Umstände zu einem vermögensrechtlichen Nachteil der
höchstrichterlicher Rspr.53 werden die mit dem Nachweis einer Gesellschaft,65 noch kann ein Steuernachteil der Gesellschaft mit
negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten dadurch aus­ einem Anrechnungsvorteil des Gesellschafters saldiert werden.66
geglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung
substanziiert bestreiten und darlegen muss, wie i.E. beraten 2. Konsolidierte Schadensberechnung
oder aufgeklärt worden sein soll. Dem Anspruchsteller obliegt Ausnahmen von diesen Grundsätzen sind in der höchstrich­
dann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft.54 Diese terlichen Rspr. im Zusammenhang mit der Übertragung von
Verteilung der Darlegungs­ und Beweislast ist auch dann maß­ Vermögenswerten an Familienangehörige oder bei einem
geblich, wenn der Mandant den Rechtsberater wegen fehlerhaf­ Unternehmensverbund anerkannt und werden als konsolidierte
ter Beratung im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Schadensberechnung bezeichnet. Mit Urteilen vom 10.12.2015,
Ablehnung eines Vergleichs in Anspruch nimmt.55 18.02.2016 und vom 08.09.2016 hat der BGH im Anschluss an die

V. Schaden 57 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 12; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 9; vom
Ausgangspunkt jeder Schadensberechnung bildet die Diffe­ 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 11; ferner vom 05.02.2015, a.a.O. (Fn. 11), Rn. 7; vom 14.06.2012,
renzhypothese.56 Ob und inwieweit ein nach den Bestimmun­ a.a.O. (Fn. 4), Rn. 42.
gen der §§ 249 ff BGB zu ersetzender Vermögensschaden des 58 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 12; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 9; vom
08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 11; ferner vom 05.02.2015, a.a.O. (Fn. 11), Rn. 7.
Mandanten besteht, beurteilt sich regelmäßig nach einem
59 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 12; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 9; vom
08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 11; ferner vom 05.02.2015, a.a.O. (Fn. 11), Rn. 7.
47 BGH vom 14.07.2016, a.a.O. (Fn. 46), Rn. 8, unter Bezugnahme auf BGH vom 11.03.2010 – IX ZR 60 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 12, unter Bezugnahme auf Urteil vom 05.02.2015, a.a.O.
104/08, RS0726339 = WM 2010 S. 815, Rn. 8 (RA). (Fn. 11), Rn. 8; vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 13; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 10.
48 BGH vom 14.07.2016, a.a.O. (Fn. 46), Rn. 8. 61 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 12, unter Bezugnahme auf Urteil vom 26.11.1968 – VI
49 BGH vom 14.07.2016, a.a.O. (Fn. 46), Rn. 8. ZR 212/66, BGHZ 51 S. 91 (93) = RS0777256.
50 BGH vom 25.09.2014, a.a.O. (Fn. 42), Rn. 21. 62 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 12.
51 BGH vom 25.09.2014, a.a.O. (Fn. 42), Rn. 16; vom 14.07.2016, a.a.O. (Fn. 46), Rn. 15 (Falschbe- 63 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 12, unter Bezugnahme auf Urteil vom 05.02.2015, a.a.O.
ratung durch RA). (Fn. 11), Rn. 8.
52 BGH vom 14.07.2016, a.a.O. (Fn. 46), Rn. 6 (RA). 64 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 14; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 11, jew. unter
53 BGH vom 09.06.1994 – IX ZR 125/93, BGHZ 126 S. 217 (225) = RS0774979; vom 11.10.2007 – IX Bezugnahme auf BGH vom 13.11.1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61 S. 380 (383) = DB 1974 S. 181;
ZR 105/06, DB 2007 S. 2704 = WM 2007 S. 2351, Rn. 12. vom 07.11.1991 – IX ZR 3/91, DB 1992 S. 466 = WM 1992 S. 308 (310).
54 BGH vom 14.07.2016, a.a.O. (Fn. 46), Rn. 6 (RA). 65 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 14; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 11, jew. unter
55 BGH vom 14.07.2016, a.a.O. (Fn. 46), Rn. 6 (RA). Bezugnahme auf BGH vom 14.06.2012, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 12 ff.
56 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 12; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 9; vom 66 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 14; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 11, jew. unter Bezug-
08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 11; ferner vom 14.06.2012, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 42. nahme auf BGH vom 18.12.1997 – IX ZR 153/96, DB 1998 S. 669 = NJW 1998 S. 1486 (1487).

2404 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Entscheidung vom 05.02.201567 sich mit dieser Berechnungsart berufen kann.74 Hierbei kann es sich z.B. um eine Ermäßigung
erneut befasst und seine bisherige Judikatur68 weiter präzisiert. der ESt der Gesellschafter nach § 35 Abs. 1 EStG handeln.75
Wenn der Mandant im Rahmen einer Gestaltungsberatung die
Berücksichtigung der Interessen eines Dritten zum Gegenstand 3. Prozesskosten als Schaden
der Beratungsleistung gemacht hat, ist die Schadensberechnung Für durch ein fehlerhaftes Prozessgutachten des Beraters verur­
auch unter Einbeziehung dieser Drittinteressen vorzunehmen.69 sachte Vermögenteile des Mandanten muss der Berater einstehen;76
So ist im Fall der Verschmelzung von zwei Gesellschaften – der hieraus sich ergebende Schadensersatzanspruch kann auch
sofern es sich wirtschaftlich um dieselbe Vermögensmasse auf Befreiung von der Honorarforderung gerichtet sein.77
handelt, deren Bestand durch zutreffende Gestaltung der Ver­ Der Beitrag wird im nächsten Heft, DB Nr. 42, fortgesetzt.
schmelzung gerade gesichert werden sollte – eine einheitliche
Schadensbetrachtung vorzunehmen, unbeschadet der Tat­ Redaktionelle Hinweise:
sache, dass sie sich auf zwei voneinander zu unterscheidende Vgl. zum Thema Steuerberaterhaftung auch:
Rechtsträger bezieht.70 Hat der steuerliche Berater nach dem – D. Fischer, Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung
Inhalt des Vertrags die Interessen mehrerer von seinem Man­ des steuerlichen Beraters in den Jahren 2013-2015 (Teil 1), DB 2015
danten beherrschter Gesellschaften zu beachten 71 oder hat S. 2859 = DB1165855 und (Teil 2), DB 2015 S. 2919 = DB1165856;
der Beratungsvertrag die Interessen mehrerer verbundener – D. Fischer, Haftung des Steuerberaters in Insolvenzverschlep-
Unternehmen zum Gegenstand, 72 muss im Fall der Pflicht­ pungsfällen (Teil 1), DB 2015 S. 1643 = DB0698371 und (Teil 2), DB
verletzung die Schadensberechnung unter Einbeziehung der 2015 S. 1703 = DB0698372;
Vermögenslage dieser Unternehmen vorgenommen werden. – D. Fischer, Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung
Gleiches gilt für die steuerliche Beratung einer Gesellschaft des steuerlichen Beraters in den Jahren 2011-2013 (Teil 1), DB 2013
bürgerlichen Rechts. Sind nach dem Inhalt des Mandats auch S. 2010 = DB0608451 und (Teil 2), DB 2013 S. 2070 = DB0610360;
die Interessen der Gesellschafter Gegenstand der Beratung, – D. Fischer, Vertragliche Dritthaftung von Rechtsanwälten, Steuer-
ist der Schaden unter Einbeziehung der Vermögenslage der beratern und Wirtschaftsprüfern, DB 2012 S. 1489 = DB0481941;
Gesellschafter zu berechnen.73 Ist die Haftung des StB durch – D. Fischer, Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung des
die Einbeziehung der Vermögensinteressen Dritter erweitert, steuerlichen Beraters in den Jahren 2009-2011, DB 2011 S. 1905 =
bedeutet dies aber zugleich, dass er sich auf die infolge der DB0427266;
fehlerhaften Beratung entstandenen Vorteile dieser Dritten – D. Fischer, Der Mitverschuldenseinwand in der Haftung der steu-
erlichen Berater, DB 2010 S. 2600 = DB0394481;
67 BGH vom 05.02.2015, a.a.O. (Fn. 11), hierzu D. Fischer, DB 2015 S. 2919.
– D. Fischer, Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung
68 BGH vom 28.11.1984 – IVa ZR 224/82, RS0999062 = WM 1985 S. 319; vom 24.09.1986 – IVa ZR
236/84, RS0769585 = WM 1986 S. 1477; vom 20.03.2008 – IX ZR 104/05, DB 2008 S. 1038 = des steuerlichen Beraters in den Jahren 2007/08, DB 2009 S. 1111
WM 2008 S. 1042, Rn. 15, 18. = DB0326585.
69 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 13, unter Bezugnahme auf Urteil vom 05.02.2015, a.a.O.
(Fn. 11), Rn. 11 f.; vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 15; vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 12. 74 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 17.
70 BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 16, unter Bezugnahme auf BGH vom 05.12.1996 – IX ZR 75 BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 17.
61/96, DB 1997 S. 523 = WM 1997 S. 333. 76 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 28 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 24.05.2007 –
71 So die Fallgestaltung in BGH vom 18.02.2016, a.a.O. (Fn. 5), Rn. 12. IX ZR 142/05, RS0719304 = WM 2007 S. 1425, Rn. 17.
72 So die Fallgestaltung in BGH vom 10.12.2015, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 17. 77 BGH vom 16.02.2017, a.a.O. (Fn. 1), Rn. 28 (RA), unter Bezugnahme auf BGH vom 04.02.2010 –
73 So die Fallgestaltung in BGH vom 08.09.2016, a.a.O. (Fn. 8), Rn. 15. IX ZR 18/09, BGHZ 184 S. 209 = RS0726155, Rn. 56.

Kompakt

Unternehmensbewertung »DB1251993 I. Sachverhalt


Anlass des Beschlusses ist der am 29.08.2002 gegen eine
Squeeze-Out: Zur Bestimmung der angemesse- Barabfindung von 270 € beschlossene Squeeze­Out. Erstins­
nen Barabfindung unter Berücksichtigung des tanzlich wurden die Anträge auf Festsetzung einer höheren
Börsenkurses Barabfindung zurückgewiesen. Nach der Auffassung des LG
Mannheim lag eine Marktenge vor, da im Referenzzeitraum
In seinem Beschluss vom 12.09.2017 nimmt das OLG Karlsruhe börsentäglich im Durchschnitt nur etwas mehr als 1 Promille
zu verschiedenen Fragestellungen der Barabfindungsbemes­ der außenstehenden Aktien tatsächlich umgesetzt wurde (LG
sung unter Berücksichtigung des Börsenkurses Stellung. The­ Mannheim vom 28.05.2015 – 21 AktE 1/03). Davon abweichend
matisiert werden die Datenbasis für die Ermittlung des Bör­ hat das OLG Karlsruhe die Barabfindung in dem vorliegenden
senkurses, Kriterien für das Vorliegen einer Marktenge sowie Beschluss auf Basis des Börsenkurses um 0,60 € auf 270,60 €
die Unzulässigkeit einer auch nur „geringfügigen“ Unterschrei­ angehoben. Der Ertragswert liegt mit 240,13 € deutlich unter
tung des Börsenkurses. der festgesetzten Abfindung.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.09.2017 – 12 W 1/17
II. Kernaussagen der Entscheidung
Dr. Frederik Ruthardt, Projektleiter im Stuttgarter Büro von Ebner Stolz; der Die Kernaussagen lassen sich einteilen in Hinweise zur
Autor gibt seine persönliche fachliche Meinung wieder. Datengrundlage für den Börsenkurs, zur Identifikation einer
Kontakt: autor@der-betrieb.de
Marktenge sowie zu den Konsequenzen einer geringfügigen

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2405


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Abweichung des Börsenkurses von der angebotenen Abfin­ III. Praxishinweise


dung. Das OLG Karlsruhe stellt in dem vorliegenden Beschluss
fest, dass der Dreimonatsdurchschnittskurs auf Basis von
1. Datengrundlage und Ermittlung börslich gemeldeten Geschäften zu ermitteln ist. Sogenannte
– Bei der Berechnung des Börsenkurses ist von § 5 WpÜG­AV Over-the-counter­Geschäfte sind nicht zu berücksichtigen.
auszugehen. Gem. § 5 Abs. 3 WpÜG­AV ist der gewichtete Zudem verweist das OLG Karlsruhe explizit auf die Praxis
durchschnittliche inländische Börsenkurs der nach den der BaFin, nach der nur inländische Transaktionen im regu-
Umsätzen gewichtete Durchschnittskurs der der BaFin lierten Markt herangezogen werden. Dagegen finden sich in
nach § 9 WpHG als börslich gemeldeten Geschäfte. In die der jüngeren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auch
Berechnung der BaFin gehen alle Geschäfte ein, die in Stimmen, die für eine grundsätzliche Berücksichtigungs­
den drei Monaten vor Veröffentlichung der Entscheidung fähigkeit von Freiverkehrskursen sprechen (vgl. tendenziell
zur Abgabe eines Angebots in den regulierten Märkten in pro Berücksichtigungsfähigkeit von Freiverkehrskursen OLG
Deutschland gemacht wurden (vgl. www.BaFin.de, „Min­ Düsseldorf vom 11.05.2015 – 26 W 2/13; Freiverkehrskurse
destpreise gemäß WpÜG“). ablehnend, sofern wesentliche wertrelevante Informationen
– Auf Basis der Daten der Deutschen Börse ergibt sich nicht eingepreist sind OLG München vom 17.07.2014 – 31 Wx
nach dieser Methodik ein Durchschnittsbörsenkurs von 407/13, RS1193409).
270,60 € je Aktie. Der Beschluss des OLG Karlsruhe enthält ferner konkre­
– Nicht geeignet ist der auf Basis von Daten des Instituts tisierende Hinweise zu den Konsequenzen „geringfügiger
für Finanzwirtschaft, Banken und Versicherungen der Abweichungen“ der im Spruchverfahren erkannten Beträge
Universität Karlsruhe ermittelte Börsenkurs von 271,22 €, von der angebotenen Abfindung. Während geringfügige
da diese Daten nicht nur an der Börse getätigte Umsätze, Abweichungen des errechneten Betrages (unter 5%, teilweise
sondern auch Geschäfte zwischen Maklern (over the bis 10%), d.h. des gerichtlich bestimmten Ertragswertes, von
counter) umfassen. der angebotenen Abfindung nicht deren Unangemessenheit
begründen sollen, handelt es sich bei dem Börsenkurs um eine
2. Marktenge absolute Untergrenze, die auch nicht gering fügig unterschrit­
– Bei einem Squeeze­Out ist der Streubesitz typischerweise ten werden darf. Liegt die angebotene Abfindung unter dem
gering. Allein die verbliebene geringe Zahl der frei handel­ Börsenkurs, ist die Abfindung im Spruchverfahren – geringfü­
baren Aktien (hier 102.926 Stückaktien) ist nicht geeignet, gig oder nicht – auf den Börsenkurs anzuheben.
um die Unbeachtlichkeit des Börsenkurses festzustellen. Ein Unterschreiten des Börsenkurses kommt entsprechend
– Handhabbare Kriterien für das Vorliegen einer Marktenge dem BGH nur in Betracht, wenn über einen längeren Zeit­
lassen sich § 5 Abs. 4 WpÜG­AV entnehmen. Gemessen raum kein Handel der Aktie stattgefunden hat, aufgrund einer
hieran ist nur von einer Marktenge auszugehen, wenn Marktenge der einzelne außenstehende Aktionär nicht in der
kumulativ während der letzten drei Monate vor dem Lage gewesen ist, seine Aktien zum Börsenpreis zu veräu­
Stichtag an weniger als einem Drittel der Börsentage Bör­ ßern, oder der Börsenpreis manipuliert worden ist (vgl. BGH
senkurse festgestellt wurden und mehrere nacheinander vom 12.03.2001 – II ZB 15/00, RS0712654). Die Entscheidung
festgestellte Börsenkurse um mehr als fünf Prozent vonei­ des OLG Karlsruhe bestätigt hierzu die in der oberlandesge­
nander abgewichen sind. richtlichen Rechtsprechung in der jüngeren Vergangenheit
– Vorliegend wurden im Referenzzeitraum je Handelstag zu beobachtende Tendenz dahingehend, für die Messung
im Durchschnitt 688 von insgesamt 6.552.000 Aktien bzw. einer Marktenge die Kriterien des § 5 Abs. 4 WpÜG­AV her­
128 (= 0,12%) der 102.986 außenstehenden Stückaktien anzuziehen (eine mögliche Indizwirkung der Kriterien sehen
gehandelt. OLG Frankfurt/M. vom 28.03.2014 – 21 W 15/11, RS0921802;
– Da im Referenzzeitraum an fast allen möglichen Handels­ OLG Karlsruhe vom 22.06.2015 – 12a W 5/15, RS1159125).
tagen (62 von 63) ein Handel mit Aktien stattgefunden Nicht (alleine) entscheidend ist dagegen ein absolut niedriges
hat, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der oder in Bezug auf die ausgegebenen oder außenstehenden
einzelne außenstehende Aktionär nicht in der Lage gewe­ Aktien relativ geringes Handelsvolumen. Für die durch den
sen wäre, seine Aktien zum Börsenpreis zu veräußern. Börsenkurs abgedeckte Desinvestitionsoption des außenste­
henden Aktionärs kommt es auch nicht darauf an, ob es der
3. Geringfügige Abweichung Gesamtheit der außenstehenden Aktionäre möglich gewesen
– Eine nur geringfügige Abweichung des im Spruchverfah­ wäre, ihre Aktien zum Börsenkurs zu verkaufen. Prinzipiell ist
ren errechneten Betrags von der angebotenen Abfindung darauf abzustellen, ob der einzelne außenstehende Aktionär
vermag nicht deren Unangemessenheit zu begründen. In nicht in der Lage gewesen wäre, seine Aktien zum Börsenkurs
Rechtsprechung und Literatur werden Abweichungen als zu veräußern.
„geringfügig“ angesehen, die unter 5% liegen.
– Im vorliegenden Fall liegt allerdings der maßgebliche Bör­ Redaktioneller Hinweis:
senkurs (geringfügig) über der angebotenen Barabfindung. Volltext der besprochenen Entscheidung online unter: RS1252168.
– Der durchschnittliche Börsenkurs ergibt einen Wert
von 270,60 €. Eine Marktenge, die dazu zwingen könnte,
dem Börsenkurs die Relevanz als Untergrenze für die zu
gewährende Abfindung abzusprechen, liegt nicht vor. Der
Börsenkurs bildet die Untergrenze der den ausgeschlosse­
nen Minderheitsaktionären zu gewährenden Abfindung.

2406 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Personengesellschaftsrecht »DB1252265 Der Kläger hat den Beklagten gem. § 171 Abs. 1, Abs. 2 HGB auf
Zahlung von 197.500 € in Anspruch genommen. Das LG hatte
Befreiung des Kommanditisten von seiner Außen- der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht die Berufung
haftung durch Befriedigung von Gläubigerforde- des Beklagten zurückgewiesen. Die Revision des Beklagten
rungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens war erfolgreich. Sie führte zur Aufhebung des Berufungsur­
teils und unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zur
Umfang der Haftungsbefreiung bei Befriedigung nicht werthal- Klageabweisung.
tiger Gläubigerforderungen – Zur Aufrechnung mit Erstattungs-
anspruch gem. § 110 HGB nach Insolvenzeröffnung AUS DEN GRÜNDEN
HGB § 171 Abs. 1 1 … 11 I. … II. 1. Der Beklagte wendet sich mit Erfolg gegen
a) Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver­ die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne ihn
mögen der Gesellschaft kann der Kommanditist grds. gem. § 171 Abs. 1, Abs. 2, § 172 Abs. 4 HGB aufgrund seiner
einen beliebigen Gesellschaftsgläubiger mit der Wir­ Außenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf
kung befriedigen, dass er in Höhe des Nennwerts der Zahlung von 197.500 € in Anspruch nehmen.
getilgten Forderung von seiner Außenhaftung nach
§ 171 Abs. 1 HGB im Verhältnis zu den anderen Gläubi­ Keine Berufung auf Haftungsbefreiung wegen
gern frei wird. Erbringung der Einlage durch Übereignung der
b) Mit einem Erstattungsanspruch gem. § 110 HGB aus Schuldverschreibungen
der Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers vor Er­ 12 a) Im Ausgangspunkt ist das Berufungsgericht allerdings
öffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte sich gegen­
der Gesellschaft kann der Kommanditist auch nach über seiner Haftung aus §§ 171, 172 HGB nicht darauf berufen
Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen eine Einlage­ kann, seine Einlage gem. der Vereinbarung vom 31.12.2008
forderung in Höhe des Nennwerts der getilgten Forde­ durch Übereignung der acht Schuldverschreibungen der F.
rung aufrechnen. KGaA im Wert von 160.000 € nebst Zinsen an Erfüllungs statt
BGH, Urteil vom 25.07.2017 – II ZR 122/16 erbracht zu haben.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. Einlage wurde an den Kommanditisten zurückbezahlt
International Ltd. & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin). Die 13 Sofern diese vom Beklagten sowohl im eigenen als auch (in
Gesellschaft wurde im Dezember 2006 gegründet. Director seiner Eigenschaft als Director der Komplementärgesellschaft)
der Komplementärin und einziger Kommanditist war der im Namen der Schuldnerin unterzeichnete Vereinbarung wirk­
Beklagte mit einer Hafteinlage von 1.000 €. sam ist, war der Beklagte zwar zu einer solchen Leistung an
Mit Vertrag vom 31.10.2008 wurden zwei weitere Kommandi­ Erfüllungs statt berechtigt und hat seine Einlageverpflichtung
tisten mit Hafteinlagen von 50.000 € und 2.500 € in die Schuld­ gem. Nr. 2 der Vereinbarung auch dementsprechend durch
nerin aufgenommen und die Hafteinlage des Beklagten um Übereignung der Schuldurkunden und Abtretung der daraus
196.500 € auf insgesamt 197.500 € erhöht. Der Geschäftsbetrieb resultierenden Ansprüche in Höhe von insgesamt 160.000 €
der Schuldnerin wurde am 02.01.2009 aufgenommen. nebst 6% Zinsen ab dem 11.02.2008 erfüllt (vgl. BGH vom
Mit Vertrag vom 31.12.2008 traf der Beklagte mit der Schuldne­ 14.05.2013 – XI ZR 160/12, DB 2013 S. 1478 = ZIP 2013 S. 1270,
rin eine Vereinbarung über die Leistung einer Kommanditein­ Rn. 17). Wie das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht
lage an Erfüllung statt. Danach sollte er seine Einlageverpflich­ zu beanstandender Weise festgestellt hat, ist die Einlage aber
tung von 197.500 € zu einem Teil durch Übereignung von acht mit der Gutschrift des Erlöses aus der Veräußerung dieser
Schuldverschreibungen der F. KGaA über je 20.000 € nebst 6% Wertpapiere auf dem Privatkonto des Beklagten am 27.01.2009
Zinsen ab dem 11.02.2008 erfüllen. Zu diesem Zweck erklärte i.H.v. 166.871,68 € an den Beklagten zurückbezahlt worden,
er in Nr. 2 der Vereinbarung die Abtretung seiner Ansprü­ sodass sie insoweit gem. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB im Außenver­
che aus den Schuldverschreibungen an die Schuldnerin, die hältnis als nicht erbracht gilt.
ihrerseits die Abtretung und die ihr vom Beklagten zugleich
angebotene Übereignung der Schuldurkunden annahm und Auf dem Privatkonto des Kommanditisten eingehende
deren Übergabe bestätigte. Die restliche Einlageverpflichtung Gelder standen der Schuldnerin nicht als haftendes
des Beklagten von noch 30.729,42 € sollte nach Nr. 3 durch Kapital unmittelbar zur Verfügung
Umbuchung eines entsprechenden Teilbetrages vom dem auf 14 Dagegen macht die Revision ohne Erfolg geltend, der
seinem Privatkonto aufgelaufenen Guthaben von ca. 50.000 € Beklagte habe der Schuldnerin, die damals noch über kein
auf sein Festkapitalkonto erbracht werden. Konto verfügt habe, sein Konto zur Verfügung gestellt, sodass
Am 27.01.2009 ging auf dem Privatkonto des Beklagten bei der es sich faktisch um ein Konto der Schuldnerin gehandelt habe,
A. Aktienbank eine Gutschrift der F. KGaA i.H.v. 166.871,68 € von dem gem. ihren Anweisungen die Zahlungen an die Gläu­
ein. Am 29.01.2009 wurden von diesem Konto Löhne und biger geleistet worden seien. Hierzu hat das Berufungsgericht
Gehälter der KG i.H.v. insgesamt 50.119,18 € überwiesen. Am zutreffend darauf hingewiesen, dass auch eine solche (unter­
09.02.2009 folgten eine Zahlung von 7.500 € für Computer­ stellte) Absprache und Handhabung nichts daran ändert,
hardware der KG sowie am 20.02.2009 und am 16.03.2009 dass nur der Beklagte persönlich rechtlich zur Verfügung
weitere Zahlungen i.H.v. 100.000 € und 150.000 € für Klinikin­ über sein A. Privatkonto berechtigt war und auf die dortigen
ventar der KG. Mittel Zugriff hatte, sodass die dort eingehenden Gelder der
Am 03.03.2011 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Schuldnerin nicht wie für eine Einlageleistung erforderlich als
Insolvenzverfahren eröffnet. haftendes Kapital unmittelbar zur Verfügung standen.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2407


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15 Dass der Kapitalanteil des Beklagten durch die Rückzah­ auch im Verhältnis zu den anderen Gläubigern frei wird (vgl. BGH
lung der 166.871,68 € wie für ein Wiederaufleben der Haftung vom 09.05.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39 S. 319 [328] = DB 1963
nach § 172 Abs. 4 HGB erforderlich (vgl. BGH vom 05.05.2008 S. 1081; vom 17.09.1964 – II ZR 162/62, BGHZ 42 S. 192 [193] = DB
– II ZR 105/07, DB 2008 S. 1616 = ZIP 2008 S. 1175, Rn. 10) in 1964 S. 1549; vom 03.03.1969 – II ZR 222/67, BGHZ 51 S. 391 [393]
(mindestens) entsprechender Höhe unter den Betrag seiner = DB 1969 S. 740; vom 08.07.1985 – II ZR 269/84, BGHZ 95 S. 188
Haftsumme gesunken ist bzw. diesen bereits zuvor nicht [195] = DB 1985 S. 2292). Dabei tritt diese Haftungsbefreiung im
mehr erreicht hat, ist angesichts der finanziellen Situation Fall der Gläubigerbefriedigung auch dann in Höhe des Nennwerts
der Schuldnerin anzunehmen und wird von der Revision auch der getilgten Forderung ein, wenn die Gläubigerforderung nicht
nicht in Frage gestellt. mehr werthaltig war, sodass der in das Gesellschaftsvermögen
gelangte Vermögenswert diesen Betrag nicht erreicht (vgl. BGH
Vorliegend keine Einlageleistung an Erfüllungs statt vom 08.07.1985, a.a.O., BGHZ 95 S. 188 [195 f.]).
16 b) Nicht zu folgen ist der Revision auch darin, dass bei
Annahme einer Rückzahlung der Einlage die aus der Gut­ Durch Zahlungen i.H.v. 257.000 € ist der Kommanditist
schrift geleisteten Zahlungen vom Privatkonto des Beklagten von seiner Außenhaftung wegen Rückzahlung der Einlage
von Januar bis März 2009 zumindest als erneute Erbringung i.H.v. 166.871,68 € frei geworden
der Einlage „im verkürzten Zahlungsweg“ anzusehen seien. 22 (2) Da die erhöhte Haftsumme des Beklagten wie sich aus dem
17 Eine solche Vereinbarung der Einlageleistung an Erfüllungs Handelsregister ergibt am 05.02.2009 im Register eingetragen,
statt durch direkte Leistungen an Gesellschaftsgläubiger ist damit im Außenverhältnis wirksam wurde und der Beklagte
zwar möglich (vgl. dazu BGH vom 30.04.1984 – II ZR 132/83, nach seinem durch Kontoauszüge belegten und vom Kläger nicht
WM 1984 S. 893 [895]), vom Beklagten selbst aber nicht subs­ substantiiert bestrittenen Vortrag seit 09.02.2009 von seinem
tantiiert vorgetragen. Die von ihm hierzu angeführte verbind­ Konto bei der A. Aktienbank Zahlungen i.H.v. 257.500 € an Gläu­
liche Absprache, die auf seinem Konto eingehende Gutschrift biger der KG erbracht hat, ist der Beklagte damit unabhängig
zur Bezahlung von Gläubigern der Schuldnerin zu verwenden, von der damaligen Werthaltigkeit der Gläubigerforderungen von
reicht als solche für eine Vereinbarung einer Leistung an Erfül­ seiner Außenhaftung wegen Nichtleistung bzw. Rückzahlung der
lungs statt nicht aus. Einlage in Höhe von 166.871,68 € frei geworden.

Erlöschen der Haftung des Kommanditisten durch Haftungsbefreiung auch in Höhe der noch verbleibenden
Befriedigung der Gläubiger Einlageverpflichtung von 30.628,32 €
18 c) Das Berufungsgericht hat jedoch fehlerhaft nicht berück­ 23 c) Entsprechendes gilt für die vom Berufungsgericht im
sichtigt, dass der Beklagte sich gegenüber seiner Inanspruch­ Weiteren angenommene Haftung des Beklagten gegenüber
nahme aus § 171 Abs. 1, Abs. 2, § 172 Abs. 4 HGB auch nach den Gesellschaftsgläubigern gem. § 171 Abs. 1, Abs. 2 HGB in
der Insolvenzeröffnung noch darauf berufen kann, dass seine Höhe der danach noch verbleibenden restlichen Einlagever­
Haftung durch die Befriedigung von Gläubigern der Schuld­ pflichtung von 30.628,32 €.
nerin mit seinen Zahlungen ab dem 09.02.2009 bis zur Höhe
dieser Leistungen erloschen ist. Haftungsbefreiung insoweit allerdings nicht schon durch
Verrechnung von Leistungen des Beklagten im Jahr 2008
Kommanditist kann Insolvenzverwalter Einwendungen 24 aa) Insoweit macht die Revision allerdings ohne Erfolg geltend,
entgegenhalten, die sich gegen alle von § 171 Abs. 2 HGB das Berufungsgericht habe verkannt, dass diese restliche Einlage­
begünstigten Gläubiger richten verpflichtung bereits im Jahr 2008 und damit nicht erst nach der
19 aa) Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Insolvenzeröffnung durch Verrechnung mit von im „verkürzten
Kommanditist dem Insolvenzverwalter zwar keine Einwen­ Zahlungsweg“ geleisteten Zahlungen des Beklagten für Auslagen
dungen entgegenhalten, die ihm nur gegen einzelne Gläubiger der KG i.H.v. 49.033,12 € und der buchhalterischen Umsetzung
zustehen, wohl aber solche, die sich gegen alle von § 171 Abs. 2 dieser Verrechnung in 2008 erfüllt worden sei.
HGB begünstigten Gläubiger richten (vgl. BGH vom 14.01.1991 25 Die Vereinbarung vom 31.12.2008 sieht zwar unter Nr. 3
– II ZR 112/90, BGHZ 113 S. 216 [221] = DB 1991 S. 540). eine entsprechende Leistung der Einlage an Erfüllungs statt
20 bb) Ein solcher Einwand liegt hier in dem Vorbringen des durch Umbuchung eines auf dem Privatkonto des Beklagten
Beklagten, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch aufgelaufenen Guthabens von ca. 50.000 € vor. Anders als
seine Zahlungen im Jahr 2009 Gläubiger der Schuldnerin i.H.v. bei den ab 09.02.2009 geleisteten Zahlungen kann bei den
307.619,18 € befriedigt zu haben. Diesen Einwand kann der bereits im Jahr 2008 geleisteten Zahlungen indes nicht davon
Beklagte dem Kläger in Höhe der ab dem 09.02.2009 erbrach­ ausgegangen werden, dass sie auf die erst später mit der
ten Zahlungen von insgesamt 257.000 € entgegenhalten. Vereinbarung vom 31.10.2008 und Eintragung im Handels­
register am 05.02.2009 erhöhte Außenhaftung des Beklagten
Auch bei Befriedigung von nicht werthaltigen geleistet worden sind. Dies wird auch vom Beklagten nicht
Gläubigerforderungen vor Insolvenzeröffnung wird geltend gemacht, der sich selbst ausdrücklich darauf beruft,
der Kommanditist in Höhe des Nennwerts der getilgten die Zahlungen aus dem Jahr 2008 vereinbarungsgemäß als
Forderungen von seiner Haftung frei Einlageleistung eingebracht zu haben.
21 (1) Es entspricht st. Rspr. des Senats, dass es vor Eröffnung 26 Ohne Leistung auf eine Außenhaftung führten diese Zah­
des Insolvenzverfahrens im Belieben des Kommanditisten steht, lungen bzw. die Verrechnung eines daraus resultierenden
welchen Gläubiger der Gesellschaft er befriedigt, und dass er Erstattungsanspruchs des Beklagten aus § 110 HGB mit seiner
durch Befriedigung eines solchen Gläubigers in Höhe der getilg­ Einlageverpflichtung wegen des insoweit im Außenverhältnis
ten Gesellschaftsschuld von seiner Haftung nach § 171 Abs. 1 HGB geltenden Kapitalaufbringungsgrundsatzes aber nur in Höhe

2408 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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des objektiven Werts der getilgten Gläubigerforderung bzw. des Schuldnerin erbrachten Zahlungen beruht, ohne dass es insoweit
Erstattungsanspruchs zur Haftungsbefreiung (vgl. BGH vom im Innenverhältnis auf die Werthaltigkeit der getilgten Gläubiger­
08.07.1985 – II ZR 269/84, BGHZ 95 S. 188 [194 ff.] = DB 1985 forderungen ankommt (vgl. BGH vom 08.07.1985 – II ZR 269/84,
S. 2292). Dabei kommt es für die Bewertung der Forderung auf die BGHZ 95 S. 188 [196] = DB 1985 S. 2292; vom 29.09.2015 – II ZR
Vermögenslage der Gesellschaft an. Entscheidend ist, ob und ggf. 403/13, BGHZ 207 S. 54 = DB 2015 S. 2746, Rn. 24). Insoweit hält er
inwieweit das Vermögen der Gesellschaft ausreicht, um sämtli­ der Einlageforderung nicht lediglich eine eventuell wertlose Forde­
che Gläubiger zu befriedigen (vgl. BGH vom 26.03.1984 – II ZR rung entgegen, sondern hat mit der Befriedigung der Gläubiger die
14/84, BGHZ 90 S. 370 [373] = DB 1984 S. 1338; vom 08.07.1985, Masse in Höhe des Nennwerts der Forderungen mit der Folge des
a.a.O., BGHZ 95 S. 188 [195]). Hierzu fehlt es an ausreichendem entsprechenden Erlöschens seiner Außenhaftung entlastet (vgl.
Vortrag des Beklagten, der für die Werthaltigkeit darlegungs­ und Thiessen, in: Großkomm. HGB, 5. Aufl., § 171 Rn. 144).
beweispflichtig ist (vgl. BGH vom 18.11.1976 – II ZR 129/75, DB
1977 S. 394 = WM 1977 S. 167 [168]; vom 01.06.1987 – II ZR 259/86, Redaktioneller Hinweis:
BGHZ 101 S. 123 [127] = DB 1987 S. 2301). Sein Hinweis darauf, Volltext online unter: RS1252265.
dass die Verrechnung bereits im Jahr 2008 und damit längere Zeit
vor der Insolvenzeröffnung erfolgt sei, reicht insb. angesichts der
schlechten finanziellen Lage der Schuldnerin bereits seit Beginn
ihres Geschäftsbetriebs nicht aus. GmbH-Recht »DB1249442

Auch Restbetrag von 30.628,32 € ist aber durch Anforderungen an Kapitalerhöhung beim Über-
Zahlungen ab dem 09.02.2009 i.H.v. insgesamt 257.000 € gang der Unternehmergesellschaft zur Voll-GmbH
noch gedeckt
27 bb) Der Beklagte kann sich jedoch auch in Höhe des Rest­ GmbHG § 5a Abs. 5, § 7 Abs. 2 Satz 2, § 8, § 56, § 57 Abs. 2
betrages von 30.628,32 € darauf berufen, dass seine Außen­ Die Unternehmergesellschaft kann auf die Weise durch
haftung durch seine Zahlungen an Gläubiger der Schuldnerin Barkapitalerhöhung zur Vollgesellschaft erstarken, dass
seit 09.02.2009, d.h. nach Erhöhung seiner Hafteinlage und die Summe ihres ursprünglichen, der Volleinzahlungs­
Eintragung der erhöhten Haftsumme, erloschen ist, da auch pflicht unterliegenden Stammkapitals und des auf den
dieser Restbetrag von den ab diesem Zeitpunkt geleisteten neuen Anteil eingezahlten Anteils zusammen dem Halb­
Zahlungen i.H.v. insgesamt 257.500 € noch gedeckt ist. aufbringungsgrundsatz genügen.
Die Versicherung des Geschäftsführers aus Anlass der
Keine Inanspruchnahme des Beklagten gem. § 80 Kapitalerhöhung muss sich – wenn dem Halbaufbrin­
Abs. 1 InsO im Innenverhältnis auf Erfüllung der gungsgrundsatz Genüge getan ist – nur auf den neuen
Einlageverpflichtung Kapitalanteil beziehen, § 57 Abs. 2 GmbHG. Die Fortdauer
28 3. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen des Vorhandenseins des ursprünglichen Stammkapitals
als richtig. Insb. kann der Kläger den Beklagten nach dem der UG muss der Geschäftsführer bei Anmeldung der Ka­
zugrunde zu legenden Sachverhalt nicht gem. § 80 Abs. 1 InsO pitalerhöhung nicht versichern.
im Innenverhältnis auf Erfüllung seiner Einlageverpflichtung OLG Celle, Beschluss vom 17.07.2017 – 9 W 70/17
in Anspruch nehmen.
Die betroffene Gesellschaft wurde als Unternehmergesell­
Kapitalaufbringungsgrundsatz des § 171 HGB gilt im Innen­ schaft mit einem Stammkapital von 2.000 €, welches auf nur
verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter nicht einen Geschäftsanteil entfiel, im Jahr 2013 gegründet.
29 Sollte die Vereinbarung vom 31.12.2008 wirksam zustande In der Gesellschafterversammlung vom ... Februar 2017 wurde
gekommen und vollzogen worden sein, hat der Beklagte seine die Erhöhung des Stammkapitals um 23.000 € durch Bildung
Einlageverpflichtung bereits voll erfüllt. Auf die Werthaltigkeit eines neuen Geschäftsanteils mit diesem Nominalbetrag
der verrechneten/umgebuchten Zahlungen an Gläubiger der beschlossen; zur Übernahme wurde der bisherige Alleingesell­
Schuldnerin im Jahr 2008 kommt es in diesem Zusammenhang schafter (und zugleich Geschäftsführer) zugelassen. Auf den
nicht an, da der Kapitalaufbringungsgrundsatz des § 171 HGB neuen Anteil hat der Inferent dem Kapitalerhöhungsbeschluss
im Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter entsprechend die Einzahlung von 10.500 € versichert.
nicht gilt (vgl. Strohn, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Mit Beschluss vom ... Mai 2017 und ausführlicher Nichtabhil­
HGB, 3. Aufl., § 171 Rn. 48 f.; Kindler, in: Koller/Kindler/Roth/ feentscheidung vom ... Juli 2017, hat das Registergericht die
Morck, HGB, 8. Aufl., § 172 Rn. 20; MünchKommHGB/Karsten Eintragung der Kapitalerhöhung und die wegen Erreichens
Schmidt, 3. Aufl., § 172 Rn. 11). der Schwelle zur sog. Voll­GmbH einhergehend beschlossenen
Änderungen von Firma und Satzung abgelehnt.
Kommanditist kann ungeachtet der Werthaltigkeit der Es hat im Kern gemeint, es fehle zum Wechsel in eine Voll­GmbH
getilgten Gläubigerforderung mit seinem Erstattungs­ an einer Versicherung des Geschäftsführers, wonach die gesetzli­
anspruch nach § 110 HGB gegen seine offene Einlagever­ chen Mindesteinlagen in Höhe von insgesamt 12.500 € erbracht
pflichtung auch nach Insolvenzeröffnung noch aufrechnen worden seien. Die bloße Versicherung, dass ein Betrag von 10.500 €
30 Bei Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 31.12.2008 kann der auf den neuen Anteil geleistet sei, reiche nicht aus. Vielmehr müsse
Beklagte gegen seine demnach noch offene Einlageverpflichtung sich die Versicherung auch darauf erstrecken, dass die 2.000 € aus
auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch mit dem der ursprünglichen Einlage der (Unternehmer)­Gesellschaft noch
Erstattungsanspruch aus § 110 HGB aufrechnen, der auf den vor – zumindest wertgleich – zur freien Verfügung des Geschäftsfüh­
der Insolvenzeröffnung seit Februar 2009 an die Gläubiger der rers stünden. Insoweit könne nicht auf die im Zusammenhang

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2409


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mit der Gründung der Unternehmergesellschaft abgegebene Ver­ sellschaft zur Voll­GmbH ohne sachlichen Grund erschwerende
sicherung aus dem Jahr 2013 zurückgegriffen werden, denn sie sei Maßnahme dar, die im Widerspruch zu den Maßstäben der Ent­
zu alt. Auch die Versicherung des Geschäftsführers hinsichtlich scheidung des Bundesgerichtshofs II ZB 25/10, Rn. 20, stünde.
der Aufbringung der 10.500 € aus der Kapitalerhöhung sei zu
alt, denn sie hätte – so das Registergericht – mit der Beschwerde Keine Umgehung des Halbaufbringungsgrundsatzes
gegen den die Eintragung ablehnenden Beschluss aus dem Mai erkennbar
2017 erneut abgegeben werden müssen. Wenigstens die Hälfte c) Soweit das Registergericht für sein Erfordernis einer Versi­
des Stammkapitals müsse im Zeitpunkt der Anmeldungen zum cherung, dass das alte Stammkapital im Zeitpunkt der Kapi­
Erstarken der Unternehmergesellschaft zur Voll­GmbH zumin­ talerhöhung noch vorhanden sei, anführt, die Aufstockung
dest wertgleich vorhanden sein oder müsse, soweit nicht mehr der Unternehmergesellschaft zur Voll­GmbH dürfe nicht so
vorhanden, von den Gesellschaftern nachgezahlt werden. vonstattengehen, dass der Grundsatz der Halbaufbringung des
Gegen diese Erwägungen wendet sich die form­ und fristge­ Stammkapitals aus § 7 Abs. 2 Satz 2 GmbHG umgangen werden
recht eingelegte Beschwerde. könne, verkennt das Registergericht, dass im Streitfall für eine
Sie führt insbesondere aus, es gebe keine Bestimmung, die bei Umgehung des Halbaufbringungsgrundsatzes nichts erkenn­
der Kapitalerhöhung von der Unternehmergesellschaft zur Voll­ bar ist. Ein zeitlich enger Zusammenhang zwischen Gründung
GmbH eine Versicherung über das „Noch­Vorhandensein“ des der Unternehmergesellschaft und Kapitalerhöhung ist nicht
bereits 2013 voll aufgebrachten Stammkapitals der Unternehmer­ gegeben. Die Unternehmergesellschaft hat vielmehr seit 2013
gesellschaft erfordere. Die sofortige Beschwerde war erfolgreich. als solche gewirtschaftet. Die Vollaufbringung des ursprüng­
lichen Stammkapitals wurde seinerzeit versichert; über den
AUS DEN GRÜNDEN Eintritt von Insolvenzgründen ist nichts bekannt. Auch andere,
Kapitalerhöhung der Unternehmergesellschaft bei abstraktere Umgehungsgefahren hinsichtlich des Halbaufbrin­
Erreichen des Mindeststammkapitals der Voll-GmbH nach gungsgrundsatzes werden nicht nachvollziehbar aufgezeigt.
den §§ 56 ff. GmbHG
1. Die Beschwerdeführerin hat beim Registergericht eine Kapi­ Halbaufbringungsgrundsatz gem. § 7 Abs. 2 Satz 2
talerhöhung im Sinne des § 5a Abs. 5 GmbHG angemeldet, mit GmbHG ist genüge getan
welcher das Stammkapital der ursprünglich als Unternehmerge­ d) Mit der Aufbringung von – nunmehr – weiteren 10.500 € ist
sellschaft gegründeten juristischen Person das Mindeststamm­ auch dem Halbaufbringungsgrundsatz aus § 7 Abs. 2 Satz 2
kapital der Voll­GmbH erreicht. Auf eine solche Kapitalerhöhung GmbHG in der Summe Genüge getan. Dafür, dass eine Addition
sind Sonderregelungen für die Unternehmergesellschaft, wie sie in der aufgebrachten Stammkapitalanteile nicht erfolgen dürfe,
§ 5a Abs. 1 bis Abs. 4 GmbHG enthalten sind, nicht mehr anzuwen­ vermag das Registergericht nichts Tragfähiges anzuführen,
den (vgl. BGH II ZB 25/10, Rn. 16). Daraus folgt im Umkehrschluss, vermag auch kein naheliegendes Umgehungsszenario aufzu­
dass die Anforderungen an diese Kapitalerhöhung sich nach den zeigen. Eine bei der Kapitalerhöhung der Unternehmergesell­
§§ 56 ff. GmbHG bestimmen (vgl. BGH II ZB 25/10, Rn. 20). schaft die Teileinzahlung bezüglich des Erhöhungsbetrages
beschränkende Regelung, die im Ansatz § 57l Abs. 2 GmbHG
Versicherung des Geschäftsführers über das Bewirken der hätte ähneln können, hat der Gesetzgeber des MoMiG, der die
Einlagen hinsichtlich des neuen Stammkapitals ausreichend Unternehmergesellschaft eingeführt hat, nicht vorgesehen.
2. a) Demgemäß muss die Anmeldung des Geschäftsführers Sie lässt sich unter Beachtung von Art. 2 Abs. 1 GG dem Gesetz
zum Zwecke der Eintragung der Kapitalerhöhung in erster auch nicht als nachträgliche Restriktion hinzufügen.
Linie den Anforderungen des § 57 GmbHG genügen. § 57 Abs. 2
GmbHG verlangt eine Versicherung über das Bewirken der Zur Aktualität der Versicherung im Hinblick auf die
Einlagen nur hinsichtlich des neuen Stammkapitals. Eine die­ Zeitverzögerung des Anmeldeverfahrens
sen Anforderungen hinsichtlich des sofort fälligen Teils von 3. Soweit das Registergericht meint, der eingereichten
10.500 € des Erhöhungsbetrages genügende Versicherung hat Geschäftsführerversicherung fehle die Aktualität, vermag
der Geschäftsführer im Streitfall, was das Registergericht auch sich der Senat auch dem nicht anzuschließen.
nicht bezweifelt, am 27.02.2017, mithin wenige Tage vor der Auf die Versicherung hinsichtlich der Auf bringung des
Registeranmeldung am 08.03.2017, abgegeben. ursprünglichen Stammkapitals der Unternehmergesellschaft
kommt es nach dem oben Ausgeführten nicht an.
Keine Versicherung erforderlich, dass das ursprüngliche Die Versicherung hinsichtlich des Kapitalerhöhungsbetrages
Stammkapital noch erhalten sei war bei Anmeldung des Kapitalerhöhungsbeschlusses aktuell;
b) Für eine Kapitalerhöhung einer GmbH, welche schon vor dem die durch die – wie ausgeführt überzogenen – Anforderungen
Erhöhungsbeschlusses Voll­GmbH war, verlangt das GmbH­ des Registergerichts nach der Anmeldung eingetretene Zeit­
Gesetz mithin keine Versicherung, dass das ursprüngliche Stamm­ verzögerung des Anmeldeverfahrens hat die Antragstellerin
kapital noch erhalten sei. Eine solche zudem neue Versicherung nicht zu vertreten; dass ihretwegen mit der Beschwerde eine
verlangt das Registergericht jedoch im Streitfall. Diese Anforde­ neue Versicherung des Geschäftsführers hätte abgegeben wer­
rung ist jedoch überzogen; der Senat macht sie sich nicht zu eigen. den müssen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
Mit ihr begibt sich das Registergericht von Amts wegen in eine
Überprüfung, ob bei der Unternehmergesellschaft im Zeitpunkt Redaktioneller Hinweis:
des Kapitalerhöhungsbeschlusses womöglich Insolvenzgründe Volltext online unter: RS1249442.
vorgelegen haben könnten (nämlich das bisherige Stammkapital
entweder gemindert oder aufgezehrt sein könnte); eine solche
Prüfung stellt jedoch eine den Übergang von der Unternehmerge­

2410 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Insolvenzrecht »DB1252267 am 02.10.2006 zugestellt. Daraufhin zahlte die Drittschuldne­


rin am 16.10.2006 an den Beklagten 7.572,11 €.
Vorsatzanfechtung: Zur mitwirkenden Rechts- Am 14.06.2007 wurde auf Antrag eines Gläubigers, der am
handlung des Schuldners bei Vollstreckung eines 07.04.2007 beim Insolvenzgericht eingegangen war, das Insol­
Gläubigers aus einem Anerkenntnisurteil venzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.
Der Kläger wurde am 04.06.2008 zum Insolvenzverwalter
InsO § 133 Abs. 1 Satz 1 bestellt. Er verlangte vom Beklagten Zahlung von 259.135,39 €
a) Vollstreckt ein Gläubiger aus einem Anerkenntnisur­ nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten wegen Insolvenzan­
teil, führt das Anerkenntnis durch den Schuldner zu fechtung. Der Beklagte lehnte jede Zahlung ab.
keiner eigenen mitwirkenden Rechtshandlung, wenn Das LG Göttingen hatte den Beklagten verurteilt, an den
die anerkannte Forderung bestand und eingefordert Kläger auf die Hauptforderung 159.563,28 € (Zahlungen vom
werden konnte und der Schuldner dem Gläubiger 16.01. bis 19.04.2006) zu zahlen nebst bezifferter Zinsen i.H.v.
durch das Anerkenntnis nicht beschleunigt einen Titel 45.385,94 € und unbezifferter Zinsen und anteiliger vorgericht­
verschaffen wollte. licher Anwaltskosten. I.Ü. hat es die Klage abgewiesen. Das
b) Vollstreckt ein Gläubiger aus einem Anerkenntnis­ Berufungsgericht (OLG Braunschweig) hatte die Berufung des
urteil, das auf einem Vergleich beruht, kann in dem Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten
Vergleichsschluss nur dann eine mitwirkende Rechts­ dessen Verurteilung auf den Betrag von 32.500 € (Zahlun­
handlung des Schuldners liegen, wenn der Vergleichs­ gen vom 16.01. bis 05.04.2006) nebst Zinsen und anteiliger
inhalt den Bereich verlässt, der bei objektiver Beurtei­ vorgerichtlicher Anwaltskosten beschränkt. Die Revision des
lung ernstlich zweifelhaft sein kann. Klägers war erfolgreich.
BGH, Urteil vom 14.09.2017 – IX ZR 108/16
AUS DEN GRÜNDEN
Die S. AG (künftig Schuldnerin) beauftragte im Februar Zur Berufung des Anfechtungsgegners
2005 den beklagten RA mit der anwaltlichen Vertretung in 1 … 11 I. … II. 1. Zur Berufung des Beklagten (Zahlung von
Rechtsstreitigkeiten mit Anlegern. Der Beklagte stellte an die 127.063,28 €):
Schuldnerin in der Zeit vom 01.03. bis zum 18.07.2005 diverse
Honorarrechnungen, aufgrund derer diese an ihn in der Zeit Vorliegen einer Rechtshandlung der Schuldnerin
vom 10.03. bis 05.09.2005 vierzehn Zahlungen i.H.v. insgesamt 12 a) Die am 19.04.2006 an den Beklagten erfolgte Zahlung
45.560 € erbrachte. Am 10.11.2005 schlossen der Beklagte, vom gepfändeten Konto i.H.v. 127.063,28 € stellt, wie das
die Schuldnerin und drei weitere Gesellschaften der G. eine Berufungsgericht richtig gesehen hat, eine Rechtshandlung
Vereinbarung, in der sich u.a. die Schuldnerin verpflichtete, der Schuldnerin dar. Die Anfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO
an den Beklagten zur Abgeltung sämtlicher noch ausstehender setzt eine solche und damit ein willensgeleitetes, verant­
Honoraransprüche 203.000 € brutto zu zahlen. Die Zahlung wortungsgesteuertes Handeln des Schuldners voraus. Die­
sollte in monatlichen Raten erfolgen, die erste Rate i.H.v. ser muss darüber entscheiden können, ob er eine Leistung
46.400 € sollte bis spätestens zum 10.12.2005, weitere sieben erbringt oder verweigert. Grds. fehlt es an einer solchen
monatliche Raten sollten von Januar bis Juli 2006 erbracht Rechtshandlung des Schuldners, wenn der Gläubiger eine
werden. Tatsächlich zahlte die Schuldnerin die erste Rate Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt
wie vereinbart am 08.12.2005, die Folgeraten erbrachte sie (BGH vom 01.06.2017 – IX ZR 48/15, DB 2017 S. 1642 = ZIP
nicht fristgerecht und nicht vollständig und zahlte in der Zeit 2017 S. 1281, Rn. 14).
vom 16.01. bis 05.04.2006 in vier Teilbeträgen insgesamt nur 13 Eine im Rahmen oder aus Anlass einer Zwangsvollstre­
32.500 €. ckung erfolgte Vermögensverlagerung kann dann anfecht­
Nachdem die zweite Rate nicht wie vereinbart gezahlt worden bar sein, wenn dazu zumindest auch eine selbstbestimmte
war, erhob der Beklagte am 10.02.2006 Klage im Urkundenpro­ Rechtshandlung des Schuldners beigetragen hat. Fördert der
zess mit dem Antrag, die Schuldnerin zu verurteilen, an ihn Schuldner eine Vollstreckungsmaßnahme, kann dies die Qua­
141.738,55 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Schuldnerin erkannte lifizierung der Vermögensverlagerung als Rechtshandlung des
unter Hinweis auf nach Klageeinreichung erfolgte Zahlungen Schuldners rechtfertigen. Eine durch Zwangsvollstreckungs­
einen Betrag von 130.656,30 € an, sodass sie entsprechend maßnahmen des Gläubigers erlangte Zahlung kann daher
ihrem Anerkenntnis durch Urteil vom 15.03.2006 verurteilt der Vorsatzanfechtung unterliegen, wenn eine Schuldner­
wurde. Der Beklagte erwirkte darauf am 10.04.2006 einen der handlung oder eine der Handlung gleichstehende Unterlas­
Drittschuldnerin am 13.04.2006 zugestellten Pfändungs­ und sung zum Erfolg der Vollstreckungsmaßnahme beigetragen
Überweisungsbeschluss und pfändete die Forderungen der hat. Ausreichend ist eine mitwirkende Rechtshandlung des
Schuldnerin gegen die V. eG aus sämtlichen Girokonten. Am Schuldners, ohne dass sie die einzige Ursache für die Gläubi­
19.04.2006 überwies die Schuldnerin von einem der gepfände­ gerbenachteiligung bilden muss. Dies setzt voraus, dass der
ten Konten 127.063,28 € an den Beklagten. Beitrag des Schuldners bei wertender Betrachtung dazu führt,
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13.07.2006 setzte das dass die Vollstreckungstätigkeit zumindest auch als eigene,
Landgericht Göttingen die von der Schuldnerin aufgrund des willensgeleitete Entscheidung des Schuldners anzusehen ist.
Anerkenntnisurteils an den Beklagten zu zahlenden Kosten auf In dieser Hinsicht muss der Beitrag des Schuldners ein der
7.258 € zzgl. Zinsen fest. Am 20.09.2006 erwirkte der Beklagte Vollstreckungstätigkeit des Gläubigers zumindest vergleich­
auch insoweit einen Pfändungs­ und Überweisungsbeschluss bares Gewicht erreichen (BGH vom 01.06.2017, a.a.O., Rn. 16;
und pfändete die Forderungen der Schuldnerin gegen die V. W. vom 22.06.2017 – IX ZR 111/14, DB 2017 S. 1772 = ZIP 2017
eG aus Girovertrag. Der Beschluss wurde der Drittschuldnerin S. 1379, Rn. 10).

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2411


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14 So liegt der Streitfall. Dies folgt daraus, dass die Schuldnerin Pfändungsgegenstände verheimlicht, um sie gerade für
die kontoführende Bank angewiesen hat, den in Rede stehen­ den Zugriff des zu begünstigenden Gläubigers bereitzu­
den Betrag an den Beklagten von dem gepfändeten Konto zu halten, oder wenn der Schuldner dem Gläubiger vorzeitig
überweisen. Ein Schuldner, der eine Überweisung von seinem oder beschleunigt einen Vollstreckungstitel gewährt (BGH
Bankkonto veranlasst, nimmt eine Rechtshandlung vor, selbst vom 03.02.2011 – IX ZR 213/09, DB 2011 S. 643 = NZI 2011
wenn zuvor Ansprüche auf Auszahlungen von diesem Konto S. 249, Rn. 12; vom 21.11.2013, a.a.O.). Die Begründung des
zugunsten des Zahlungsempfängers gepfändet und ihm zur Berufungsgerichts, die hierauf nicht eingeht, erweist sich
Einziehung überwiesen wurden (BGH vom 22.06.2017, a.a.O., deshalb nicht als tragfähig.
Rn. 11, m.w.N.; vgl. BGH vom 21.11.2013 – IX ZR 128/13, DB
2014 S. 50 = NZI 2014 S. 72, Rn. 9). Zur Berufung des Insolvenzverwalters
18 2. Zur Berufung des Klägers (Zahlungen bis 05.09.2005 i.H.v.
Gläubigerbenachteiligung 45.560 €, Zahlung am 08.12.2005 über 46.400 €, Zahlung durch
15 b) Doch kann mit der Begründung des Berufungsgerichts Drittschuldnerin am 16.10.2006 über 7.572,11 €):
eine Gläubigerbenachteiligung nicht verneint werden.
Die im Jahr 2005 geleisteten Zahlungen sind
Keine Benachteiligung bei Befriedigung eines gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen der
einzelnen Gläubigers aufgrund eines insolvenzfesten Schuldnerin
Pfändungspfandrechts 19 a) Die von der Schuldnerin an den Beklagten im Jahr 2005
16 aa) Allerdings benachteiligt die Befriedigung eines ein­ geleisteten Zahlungen stellen gläubigerbenachteiligende
zelnen Gläubigers die Gesamtheit der Gläubiger dann nicht, Rechtshandlungen der Schuldnerin dar. Nach § 133 Abs. 1
wenn sie aufgrund eines Pfändungspfandrechts erfolgt, das Satz 1 InsO sind Rechtshandlungen, die der Schuldner in den
den Gläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen des letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol­
Schuldners zur abgesonderten Befriedigung nach § 50 Abs. 1 venzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz,
InsO berechtigt. Der Gläubiger erhält dann nur das, was seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, anfecht­
ihm bereits aufgrund des insolvenzbeständigen Pfandrechts bar, wenn der andere Teil zurzeit der Handlung den Vorsatz
zusteht (BGH vom 21.11.2013, a.a.O., Rn. 12). Zutreffend hat des Schuldners kannte.
das Berufungsgericht auch gesehen, dass das Konto, von
dem die Schuldnerin den streitgegenständlichen Betrag an Zum Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin
den Beklagten überwies, gepfändet war, auch wenn dieses und Kenntnis des Anfechtungsgegners von deren
Konto in der Anlage zum Pfändungsbeschluss nicht aus­ Zahlungsunfähigkeit ab Ende 2002
drücklich aufgeführt ist. Denn ausweislich des Pfändungs­ 20 aa) Der Schuldner handelt mit einem solchen Vorsatz, wenn
und Überweisungsbeschlusses sollten die Forderungen er die Benachteiligung der Gläubiger als Erfolg seiner Rechts­
der Schuldnerin gegen die V. gepfändet werden, die auf der handlung will oder als mutmaßliche Folge erkennt und billigt.
Rückseite des Beschlussformulars unter Rubrik „Anspruch D Kennt der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit, kann daraus
(an Banken etc.)“ unter Nr. 1 angekreuzt waren. Damit sollten auf einen Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden. In
ohne Einschränkung auch alle gegenwärtigen, nämlich im diesem Fall weiß der Schuldner, dass sein Vermögen nicht aus­
Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungsbeschlusses (§ 829 reicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen. Auch die nur
Abs. 3 ZPO) vorhandenen Guthaben und Habensalden der drohende Zahlungsunfähigkeit stellt ein starkes Beweisan­
Schuldnerin auf Konten, die nicht zu den in Nrn. 3 und 4 zeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar,
gesondert genannten Sparkonten und Geldkonten zu Wert­ wenn sie ihm bei der Vornahme der Rechtshandlung bekannt
papierkonten gehörten, gepfändet werden (vgl. BGH vom war (BGH vom 10.01.2013 – IX ZR 13/12, DB 2013 S. 224 = NJW
28.04.1988 – IX ZR 151/87, DB 1988 S. 2195 = NJW 1988 S. 2543 2013 S. 611, Rn. 14).
[2544]). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn eine kongruente Leis­
tung angefochten wird. Einem Schuldner, der weiß, dass er nicht
Zur Anfechtbarkeit des Pfandrechts alle seine Gläubiger befriedigen kann, und der Forderungen
17 bb) Anders verhält es sich jedoch, wenn das Pfandrecht eines einzelnen Gläubigers vorwiegend deshalb erfüllt, um die­
seinerseits der Insolvenzanfechtung unterliegt (BGH vom sen von der Stellung des Insolvenzantrags abzuhalten, kommt
21.11.2013, a.a.O.). Gegen die Anfechtbarkeit des Pfand­ es nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner gesetzlichen oder
rechts nach § 133 Abs. 1 InsO spricht nicht schon, dass es vertraglichen Pflichten, sondern auf die Bevorzugung dieses
als Folge der von dem Beklagten veranlassten Forderungs­ einzelnen Gläubigers an; damit nimmt er die Benachteiligung
pfändung nach § 829 ZPO entstanden ist. Maßgebend ist der Gläubiger im Allgemeinen in Kauf. Aber auch dann, wenn
vielmehr, ob die Schuldnerin zu der ausgebrachten Pfän­ nicht festgestellt werden kann, dass der Schuldner einen einzel­
dung aktiv beigetragen hat (vgl. oben; BGH vom 21.11.2013, nen Gläubiger befriedigt, um ihn von der Vollstreckung oder von
a.a.O., Rn. 14). Dabei kommt es entgegen der Ansicht des der Stellung eines Insolvenzantrags abzuhalten, handelt er mit
Berufungsgerichts nicht darauf an, dass die Vollstreckung Benachteiligungsvorsatz, wenn er nur weiß, dass er zurzeit der
im kollusiven Zusammenwirken des Schuldners und des Wirksamkeit der Rechtshandlung (§ 140 InsO) zahlungsunfähig
Gläubigers erfolgte. Es reicht aus, dass der Schuldner die war (BGH vom 10.01.2013, a.a.O., Rn. 15).
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vollstreckungs­ 21 Der Anfechtungsgegner muss zurzeit der angefochte­
handlung erst schafft, etwa wenn er den Gläubiger von dem nen Handlung den Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger
bevorstehenden Zugriff anderer Gläubiger mit der Auffor­ zu benachteiligen, kennen. Diese Kenntnis wird vermutet,
derung, diesen zuvorzukommen, benachrichtigt, wenn er wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit

2412 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte nen innerhalb der G. mehr wahrnahm. Diese Umstände stellen
(§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO). Kennt der Anfechtungsgegner die keine nachträgliche Veränderung der Tatsachengrundlage
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch, dass dar, die den Schluss zuließe, dass die Gründe der eingetretenen
Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglich­ Zahlungsunfähigkeit aus Sicht des Beklagten möglicherweise
keit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren weggefallen sind. Vielmehr ergibt sich aus dem (bestrittenen)
und verzögern. Mithin kennt ein solcher Gläubiger zugleich klägerischen Vortrag einschließlich der vom Kläger vorge­
die Gläubigerbenachteiligung (BGH vom 10.02.2005 – IX ZR legten Parteigutachten, dass sich die finanzielle Situation
211/02, BGHZ 162 S. 143 [153]). der Schuldnerin von 2002 bis zu Insolvenzeröffnung ständig
22 Das Berufungsgericht hat danach mit Recht geprüft, ab verschlechterte.
wann die Schuldnerin (drohend) zahlungsunfähig war und
die Schuldnerin und der Beklagte davon wussten. Zwar ist Zahlung der Schuldnerin aus einem gepfändeten Konto
es im Rahmen dieser Prüfung davon ausgegangen, dass die als eine gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung
Schuldnerin erst seit dem Monat Dezember 2005 (drohend) 26 b) Soweit das Berufungsgericht in der Zahlung der Dritt­
zahlungsunfähig war und der Beklagte davon erst seit dem schuldnerin im Jahr 2006 keine Rechtshandlung der Schuldne­
Januar 2006 wusste. Es hat aber den klägerischen Vortrag, die rin gesehen hat, leidet die Begründung des Berufungsgerichts
Schuldnerin sei schon Ende des Jahres 2002 zahlungsunfähig an dem gleichen Rechtsfehler wie bei den Ausführungen zu
gewesen und davon habe der Beklagte aufgrund seiner dama­ der Frage, ob es sich bei der Zahlung der Schuldnerin aus
ligen Funktion in der Unternehmensgruppe der G. gewusst, einem gepfändeten Konto um eine gläubigerbenachteiligende
nicht ausgeschlossen, sondern zugunsten des Klägers die Rechtshandlung der Schuldnerin gehandelt hat. Auf die Frage,
Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin seit dem 31.12.2002 und ob Schuldnerin und Beklagter kollusiv zusammengearbeitet
die Kenntnis des Beklagten von dieser Zahlungsunfähigkeit ab haben, kommt es entgegen der Annahme des Berufungsge­
diesem Zeitpunkt unterstellt. Davon ist deswegen revisions­ richts nicht an (vgl. oben).
rechtlich auszugehen.
Das Urteil ist nicht aus anderen Gründen richtig
Beweislast des Anfechtungsgegners hinsichtlich der 27 III. Das Urteil ist nicht aus anderen Gründen richtig.
zwischenzeitlichen Behebung der Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin Zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und Kenntnis
23 bb) Dann aber hätte es nunmehr dem Beklagten oblegen, des Anfechtungsgegners von deren Zahlungsunfähigkeit
darzulegen und zu beweisen, warum er davon ausging, dass im Jahr 2005
die Schuldnerin ihre Zahlungen möglicherweise allgemein 28 1. Hinsichtlich der im Jahr 2005 erfolgten Zahlungen der
wieder aufgenommen hat. Denn nach der Rspr. des Senats hat Schuldnerin an den Beklagten (91.960 €) hat das Berufungsge­
ein Gläubiger, der von der einmal eingetretenen Zahlungsun­ richt keine hinreichenden Feststellungen zur Frage einer von
fähigkeit des Schuldners wusste, darzulegen und zu beweisen, der Schuldnerin und dem Beklagten erkannten Zahlungsfä­
warum er später davon ausging, der Schuldner habe seine higkeit in diesem Zeitraum getroffen. Das Berufungsgericht
Zahlungen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen hat zwar eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vor dem
(BGH vom 25.02.2016 – IX ZR 109/15, DB 2016 S. 704 = NJW 01.12.2005 und eine Kenntnis des Beklagten vor dem 01.01.2006
2016 S. 1168, Rn. 24; vom 20.10.2016 – IX ZR 305/14, RS1222030 verneint, diese Annahme jedoch dadurch in Frage gestellt,
= ZInsO 2016 S. 2393, Rn. 14). dass es die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bereits ab
24 Diesen Beweisanforderungen hat der Beklagte weder in Ende des Jahres 2002 und die Kenntnis des Beklagten davon
objektiver noch in subjektiver Hinsicht genügt. Die Schluss­ zugunsten des Klägers unterstellt hat. Angesichts dieses
folgerung des Anfechtungsgegners, wonach die Zahlungsun­ Widerspruchs kann revisionsrechtlich nicht ausgeschlossen
fähigkeit des Schuldners zwischenzeitlich behoben ist, muss werden, dass die Schuldnerin bereits im Jahr 2005 zahlungs­
von einer ihm nachträglich bekannt gewordenen Veränderung unfähig war und sie und der Beklagte davon wussten. Dann
der Tatsachengrundlage und nicht von einem bloßen „Gesin­ aber ist nicht auszuschließen, dass sämtliche Zahlungen der
nungswandel“ getragen sein. Als erstes dürfen die Umstände, Schuldnerin an den Beklagten im Jahr 2005 nach § 133 Abs. 1
welche die Kenntnis des Anfechtungsgegners begründen, InsO anfechtbar sind.
nicht mehr gegeben sein. Der Fortfall der Umstände allein
bewirkt nicht zwingend den Verlust der Kenntnis. Vielmehr Zur Zahlung der Schuldnerin von dem gepfändeten
ist auf der Grundlage aller von den Parteien vorgetragenen Konto im Jahr 2006 als gläubigerbenachteiligende
Umstände des Einzelfalls zu würdigen, ob eine Kenntnis der Rechtshandlungen der Schuldnerin
Zahlungsunfähigkeit bei Vornahme der Rechtshandlung nicht 29 2. Ebenso wenig kann nach den Feststellungen des Beru­
mehr bestand (BGH vom 25.02.2016, a.a.O., Rn. 28). fungsgerichts verneint werden, dass die Zahlung der Schuld­
25 Der Beklagte hat bestritten, dass die Schuldnerin zu irgend­ nerin von dem gepfändeten Konto i.H.v. 127.063,28 € und die
einem Zeitpunkt zahlungsunfähig gewesen sei. Ebenso hat er Zahlung der Drittschuldnerin i.H.v. 7.572,11 € im Jahr 2006
in Abrede gestellt, hiervon jemals Kenntnis gehabt zu haben. gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen der Schuldnerin
Dann aber fehlt es an einem schlüssigen Vortrag, warum er darstellen.
hätte annehmen können, die Schuldnerin habe ihre Zahlun­
gen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen. Nicht Zum Vorliegen einer Rechtshandlung des Schuldners in
ausreichend ist der Umstand, dass das Insolvenzverfahren einer Vollstreckungshandlung
über das Vermögen der Schuldnerin erst im Jahr 2007 eröffnet 30 a) In der Rspr. ist anerkannt, dass in der Vollstreckungs­
worden ist und der Beklagte seit Sommer 2003 keine Funktio­ handlung eine Rechtshandlung des Schuldners liegt, wenn

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2413


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er dem Gläubiger vorzeitig oder beschleunigt einen Vollstre­ muss hiervon bewusst im Interesse einzelner Gläubiger
ckungstitel gewährt (RGZ 48 S. 223 [225]; RG, WarnRspr 1919 absehen. Dieses Bewusstsein kann vorhanden sein, wenn
S. 125 [126]; BGH vom 25.11.1964 – VIII ZR 289/62, DB 1965 erfolgversprechende Rechtsbehelfs­ oder Angriffs­ und
S. 104 = WM 1965 S. 14 [15]), etwa wenn der Schuldner dem Verteidigungsmöglichkeiten gegen eine rechtswidrige Voll­
Gläubiger eine vollstreckbare Urkunde und somit die Mög­ streckung oder die Titulierung nicht bestehender oder noch
lichkeit verschafft, ohne vorherige Anrufung der Gerichte nicht fälliger Ansprüche nicht genutzt werden (BGH vom
sich im Wege der Zwangsvollstreckung zu befriedigen (RG, 16.01.2014 – IX ZR 31/12, DB 2014 S. 296 = NZI 2014 S. 218,
JW 1906 S. 179; RG, WarnRspr 1916 S. 489 [490]), wenn der Rn. 13). Nichts anderes gilt für den Fall, dass ein Schuldner
Schuldner gegen sich einen Vollstreckungsbescheid ergehen durch ein prozessuales Anerkenntnis die Titulierung zwar
lässt (BGH vom 25.11.1964, a.a.O., bei bestrittener titu­ aktiv befördert, der Anspruch des Gläubigers aber begrün­
lierter Forderung und weiteren Hinweisen auf ein Zusam­ det und fällig ist und der Schuldner durch das prozessuale
menwirken zwischen Schuldner und Anfechtungsgegner), Anerkenntnis dem Gläubiger nicht beschleunigt einen Voll­
sofern die dort titulierte Forderung nicht besteht (vgl. RGZ streckungstitel verschaffen wollte.
69 S. 163 [165]) oder noch nicht fällig ist (RG, WarnRspr 34 Durch das prozessuale Anerkenntnis hat die Schuldnerin
1917 S. 95 [97]), wenn der Schuldner es unterlässt, einen dem Beklagten nicht beschleunigt einen Titel verschafft.
Rechtsbehelf gegen eine Zwangsvollstreckung einzulegen, Das Teilanerkenntnisurteil wurde am 15.03.2006 erlas­
sofern ein solches Rechtsmittel hätte Erfolg haben können sen, also zwei Wochen und einen Tag nach Zustellung der
(BGH vom 20.01.2000 – IX ZR 58/99, BGHZ 143 S. 332 [334] = Klageschrift. Ähnlich schnell hätte gegen die Schuldnerin
RS0711982; vom 10.02.2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162 S. 143 auch ein Versäumnisurteil ergehen können. In diesem Fall
[154]), wenn der Schuldner prozessuale Angriffs­ und Ver­ aber hätte die Schuldnerin nicht die nach Einreichung
teidigungsmittel unterlässt (BGH vom 10.02.2005, a.a.O.), der Klage erfolgten Teilzahlungen, mithin die teilweise
wenn der Schuldner auf die Leistungsaufforderung eines Erfüllung (§ 362 BGB), prozesswirksam zur Geltung brin­
mit einem Vollstreckungsauftrag, aber ohne richterliche gen können, sondern sie hätte darauf vertrauen müssen,
Durchsuchungsanordnung erschienenen Vollziehungsbe­ dass der Beklagte seinen Antrag umstellt. Der sichere Weg
amten Zahlungen erbringt (LG Aachen vom 11.01.2007 – 12 war deswegen das Teilanerkenntnis mit der Folge des Tei­
O 336/06, ZIP 2007 S. 593). lanerkenntnisurteils. Es kommt hinzu, dass der Beklagte
31 Doch genügt nach der neueren Rspr. des Senats nicht jede möglicherweise seine Honorarforderungen ohne die Raten­
mitwirkende Rechtshandlung des Schuldners. Vielmehr muss zahlungsvereinbarung vom 10.11.2005 schon früher hätte
der Beitrag des Schuldners, wie bereits ausgeführt wurde, titulieren lassen können. Dann aber ergibt sich aus der
bei wertender Betrachtung ein der Vollstreckungstätigkeit Gesamtschau von prozessualem Anerkenntnis und Raten­
des Gläubigers zumindest vergleichbares Gewicht erreichen zahlungsvereinbarung keine beschleunigte Verschaffung
(BGH vom 01.06.2017 – IX ZR 48/15, DB 2017 S. 1642 = ZIP 2017 eines Vollstreckungstitels, die es rechtfertigen könnte, den
S. 1281, Rn. 17; vom 22.06.2017 – IX ZR 111/14, DB 2017 S. 1772 Beitrag der Schuldnerin mit der Vollstreckungshandlung
= ZIP 2017 S. 1379, Rn. 10). des Beklagten gleichzusetzen.

Das Anerkenntnis der Schuldnerin im Urkundenprozess Zum Vergleichsschluss als eine mitwirkende
hat kein mit der Vollstreckungstätigkeit des Rechtshandlung des Schuldners
Anfechtungsgegners vergleichbares Gewicht 35 c) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann
32 b) Bei wertender Betrachtung erreichte das Anerkenntnis jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Schuldnerin
der Schuldnerin im Urkundenprozess kein mit der Vollstre­ durch den Abschluss der Teilzahlungsvereinbarung, auf der
ckungstätigkeit des Beklagten zumindest vergleichbares Teilanerkenntnis­ und Kostenschlussurteil beruhen, einen
Gewicht. Beitrag geleistet hat, welcher der Vollstreckungstätigkeit
33 Der Beklagte besaß gegen die Schuldnerin, wie das Beru­ des Beklagten gleichzusetzen ist. In dieser Vereinbarung
fungsgericht richtig gesehen hat, aufgrund der Vereinbarung hat sich die Schuldnerin verpf lichtet, zum Ausgleich der
vom 10.11.2005 einen fälligen Zahlungsanspruch. Durch angefallenen Honoraransprüche an den Beklagten 203.000 €
die nicht pünktliche Zahlung der zweiten Rate ist nach § 2 zu zahlen. Allerdings hat die Schuldnerin dem Beklagten mit
Abs. 7 des Vertrages der zu diesem Zeitpunkt noch offene der Vereinbarung keine vollstreckbare Urkunde verschafft,
Restbetrag sofort zur Zahlung fällig geworden. Der Kläger aus welcher der Beklagte sofort hätte vollstrecken können.
behauptet nicht, dass die Schuldnerin sich gegen diesen Doch hat sie ihm möglicherweise dadurch den Vortrag sei­
Anspruch erfolgreich hätte verteidigen können. Die untä­ nes Anspruchs im Prozess erleichtert und ein Beweismittel
tige Hinnahme von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder an die Hand gegeben, um dem Beklagten die Möglichkeit
der Titulierung von Ansprüchen führt nur dann zu einer zu geben, sie – etwa in einem Urkundenprozess – erleich­
eigenen Rechtshandlung des Schuldners, wenn sie gerade tert verklagen zu können. Sie hat nicht nur die gegen sie
in der Vorstellung und mit dem Willen erfolgt, dass durch unstreitig bestehenden Honoraransprüche deklaratorisch
das Unterlassen einer möglichen Handlung die anstehende anerkannt (§ 781 Satz 1 BGB), sondern sie hat sich ausweis­
Vermögensverlagerung auf den vollstreckenden Gläubiger lich der Vertragsurkunde verpflichtet, die Zahlung auch zur
gefördert wird. Für ein entsprechend zielgerichtetes Unter­ Abgeltung sämtlicher noch ausstehender Ansprüche, die der
lassen reicht es nicht aus, dass der Schuldner die Bevor­ Beklagte im Zusammenhang mit der Übernahme von aus
zugung eines einzelnen Gläubigers lediglich geschehen der Anlage ersichtlichen Mandaten gegen die Muttergesell­
lässt. Vielmehr hat er andere Handlungsmöglichkeiten zum schaft der Schuldnerin besaß, vorzunehmen. Mithin hat sie
Schutz der Gläubigergesamtheit in Erwägung zu ziehen und hinsichtlich dieser Mandate möglicherweise zudem einen

2414 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Zahlungsanspruch gegen sich begründet, der vorher nicht Kenntnis von dieser Zahlungsunfähigkeit von Schuldnerin
bestanden hat. und Beklagten noch zum Inhalt des Vergleichs getroffen sind
und die Sache deswegen nicht zur Endentscheidung reif ist
Vorliegen einer Rechtshandlung des Schuldners erst, (§ 563 Abs. 3 ZPO).
wenn der Vergleichsinhalt den Bereich verlässt, der bei 39 Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes
objektiver Beurteilung ernstlich zweifelhaft sein kann hin:
36 Auf der anderen Seite könnte einer Gleichsetzung der im
Vertragsschluss liegenden Tätigkeit der Schuldnerin mit der Zur Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin
Vollstreckungstätigkeit des Beklagten entgegenstehen, dass aufgrund der Kenntnis der Anzahl und des Inhalts der
sich die Vertragsparteien nicht nur über den Bestand der For­ mit den Anlegern geschlossenen Verträge, der Anzahl
derungen und die Teilzahlung geeinigt haben, sondern sich der Kündigungen und der Anzahl der diesbezüglichen
möglicherweise umfassend verglichen haben (zu den Voraus­ Rechtsstreitigkeiten
setzungen eines Vergleichs vgl. etwa BGH vom 08.03.2012 – IX 40 1. Seit den u.a. gegen die Schuldnerin ergangenen
ZR 51/11, RS0730201 = NJW 2012 S. 2099, Rn. 29 ff.). Wird ein Entscheidungen des BGH vom 21.03.2005 (II ZR 124/03,
Vergleich abgeschlossen, um die bei verständiger Würdigung RS0717434 = WM 2005 S. 841; II ZR 140/03, DB 2005 S. 940
des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit = ZIP 2005 S. 753; II ZR 310/03, DB 2005 S. 945 = ZIP 2005
durch gegenseitiges Nachgeben zu beseitigen, so lässt dies ver­ S. 759) besitzt ein stiller Gesellschafter unter folgenden
muten, dass die vereinbarte Regelung die gegenseitigen Inter­ Voraussetzungen ein Kündigungsrecht. In dem Vertrag
essen ausgewogen berücksichtigt hat. Innerhalb der von objek­ über die stille Gesellschaft musste vorgesehen sein, dass der
tiver Ungewissheit gekennzeichneten Vergleichslage haben die stille Gesellschafter sein Auseinandersetzungsguthaben
Parteien für ihr gegenseitiges Nachgeben einen Ermessens­ in Form einer Rente ausgezahlt bekommen und das stehen
und Bewertungsspielraum. Wird die ernstliche Ungewissheit bleibende Guthaben verzinst werden sollte. In der Folgezeit
darüber, was der Gesetzeslage entspricht, durch gegenseitiges musste sich die Schuldnerin wegen bankrechtlicher Beden­
Nachgeben beseitigt, ist die Vermutung gerechtfertigt, dass ken (Untersagungsverfügung des Bundesaufsichtsamts für
das gegenseitige Nachgeben der Beteiligten in der ungewissen Kreditwesen vom 22.10.1999; Vergleich zwischen der Schuld­
Sach­ und Rechtslage begründet ist. Auf eine rechnerische nerin und Bundesaufsichtsamt vom 25.01.2000) geweigert
Gegenüberstellung des beiderseitigen Nachgebens gegenüber haben, die vereinbarte Rente zu zahlen, und stattdessen
der jeweiligen Ausgangsposition kommt es in diesem Rahmen die Auszahlung des Guthabens in einer Summe angebo­
nicht an. Das vergleichsweise Nachgeben eines Teils kann ten haben. Danach stand seit diesem Zeitpunkt fest, dass
danach, wie der Senat für die Anfechtbarkeit eines Vergleichs sämtliche Anleger, denen die Schuldnerin eine Auszahlung
nach § 134 InsO bereits entschieden hat, erst dann als unent­ des Auseinandersetzungsguthabens in monatlichen Raten
geltliche Leistung gewertet werden, wenn der Vergleichsinhalt versprochen hatte, den Vertrag bei einer entsprechenden
den Bereich verlässt, der bei objektiver Beurteilung ernstlich Weigerung der Schuldnerin kündigen konnten mit der
zweifelhaft sein kann (BGH vom 09.11.2006 – IX ZR 285/03, Folge, dass sie weitere Einzahlungen auf die Einlage, so
DB 2007 S. 106 = NZI 2007 S. 101, Rn. 17; vom 08.03.2012, a.a.O., diese noch nicht vollständig eingezahlt war, verweigern
Rn. 35). Die gleichen Wertungen sind hinzuzuziehen, wenn und die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens
es darum geht zu beurteilen, ob trotz einer auf einem Ver­ verlangen konnten. Den Anlegern, die mit der Schuldnerin
gleich beruhenden Vollstreckungshandlung eines Gläubigers nach dem 01.01.1998 einen Anlagevertrag in der Variante
eine Rechtshandlung des Schuldners vorliegen kann, der in der Rückzahlung des Auseinandersetzungsguthabens in
dem Abschluss des Vergleichs liegenden Rechtshandlung des Raten geschlossen hatten, billigte der BGH nicht nur ein
Schuldners also ein zumindest gleiches Gewicht zukommt Kündigungsrecht, sondern einen Schadensersatzanspruch
wie der Vollstreckungshandlung des Gläubigers. Dies kann zu, wenn die Schuldnerin ihre Kunden nicht auf Bedenken
nur dann angenommen werden, wenn der Vergleichsinhalt hinsichtlich der bankenrechtlichen Zulassung hingewiesen
den Bereich verlässt, der bei objektiver Beurteilung ernstlich hatte, weil sie dann gegen ihre Auf klärungspf lichten ver­
zweifelhaft sein kann. stoßen hätte (BGH vom 21.03.2005 – II ZR 149/03, DB 2005
37 Zum Inhalt des Vertragsschlusses und den aufgeworfenen S. 943 = ZIP 2005 S. 763, Rn. 16 ff). Diese konnten mithin ihre
Fragen fehlt es bislang an Vortrag des insoweit darlegungs­ Einlage ungekürzt zurückverlangen.
und beweisbelasteten Klägers. Doch war ihm im Hinblick auf 41 Sollten die Verträge mit vereinbarter Ratenzahlung die
die neuere Rspr. des Senats Gelegenheit zu geben, hierzu noch Mehrzahl der Anlageverträge gebildet haben, wie der Kläger
vorzutragen. Weder die Parteien noch das Berufungsgericht vorgetragen hat (vgl. auch BGH vom 10.01.2013 – IX ZR 13/12,
haben die Vereinbarung vom 10.11.2005 im Zusammenhang DB 2013 S. 224 = NJW 2013 S. 611, Rn. 29), wäre die Schuldne­
der mitwirkenden Rechtshandlung der Schuldnerin bislang in rin möglicherweise drohend zahlungsunfähig gewesen, was
den Blick genommen. ihr bekannt gewesen sein musste, weil ihr Vorstand um die
Anzahl und den Inhalt der mit den Anlegern geschlossenen
Zurückverweisung an das OLG und Hinweise des Senats Verträge, um die Anzahl der Kündigungen und die Anzahl der
38 IV. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts war diesbezüglichen Rechtsstreitigkeiten wusste. Dem kann nicht
deswegen nach § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und nach § 563 entgegengehalten werden, dass es der Schuldnerin gelang, sich
Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuver­ mit einem Teil der Anleger zu vergleichen. Mit Recht hat das
weisen. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht Berufungsgericht insoweit darauf verwiesen, dass die Verglei­
möglich, weil die notwendigen Feststellungen weder zur che nur geschlossen wurden, weil die Schuldnerin finanziell
(drohenden) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und zur nicht in der Lage war, den vereinbarten Betrag zeitnah zu

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2415


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zahlen. Es handelte sich insoweit deswegen um erzwungene nerin geltend machte. Weiter hat der Zessionar in einem
Stundungen, die die Fälligkeit unberührt lassen (vgl. BGH vom Schreiben vom 06.10.2005 gegenüber der Schuldnerin von
24.03.2016 – IX ZR 242/13, DB 2016 S. 1011 = NZI 2016 S. 454, einem Gespräch mit dem Beklagten berichtet, aus dem sich
Rn. 10, m.w.N.). ergebe, dass sich die finanzielle Situation der Schuldnerin
42 Weitere Hinweise auf eine Zahlungsunfähigkeit der offenbar weiter eklatant verschlechtert habe. Es ist zwi­
Schuldnerin bereits im März 2005 könnten in einem Schrei­ schen den Parteien zwar streitig, aus welchem Grund der
ben der Schuldnerin vom 08.03.2005 an den Insolvenzverwal­ Beklagte am 07.10.2005 sämtliche ihm von der Schuldnerin
ter des Bankhauses P. liegen, welchem gegenüber die Schuld­ übertragenen Mandate niederlegte. In seiner Klageschrift
nerin im März 2004 ein notarielles Schuldanerkenntnis über im Prozess gegen die Schuldnerin trug der Beklagte jedoch
16 Millionen € abgegeben hatte. Die Schuldnerin führte in vor, dies sei geschehen, weil die Schuldnerin und die übrigen
diesem Schreiben aus, dass die neue Rspr. des BGH (vgl. BGH Gesellschaften der G. seine ihm zukommenden gesetzlichen
vom 19.07.2004 – II ZR 354/02, DB 2004 S. 1988 = ZIP 2004 Vergütungen entweder nur teilweise oder gar nicht begli­
S. 1706), wonach der Anspruch des stillen Gesellschafters chen hätten.
gegen den Inhaber des Handelsgeschäfts auf Einlagenrück­
gewähr jedenfalls dann im Ergebnis keinen Beschränkungen ... aufgrund der Bitte um Ratenzahlung hinsichtlich der
nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft eigenen Honoraransprüche
unterliegt, wenn der Inhaber des Handelsgeschäfts gleich­ 45 Die Vereinbarung vom 10.11.2005 könnte ein weiteres
zeitig verpflichtet ist, den stillen Gesellschafter im Wege des Indiz für die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und die
Schadensersatzes so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er Kenntnis des Beklagten davon sein. Die Bitte eines Schuld­
nicht beigetreten wäre, eine existenzbedrohende Verschlech­ ners auf Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung ist
terung der prozessualen Lage der Schuldnerin darstelle und allerdings, wenn sie sich im Rahmen der Gepf logenheiten
eine in dieser Dimension nicht vorhersehbare Klageflut zur des Geschäftsverkehrs hält, als solche kein Indiz für eine
Folge habe. Das erwartete Liquiditätsergebnis für März 2005 Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit. Eine solche
liege im Negativen, die Liquiditätszuflüsse im ersten Halbjahr Bitte kann auf den verschiedensten Gründen beruhen, die
2005 im Bereich der Emissions­Dienstleistungen tendierten mit einer Zahlungseinstellung nichts zu tun haben, etwa der
gegen Null. In der jetzigen Situation werde ein erheblicher Erzielung von Zinsvorteilen oder der Vermeidung von Kosten
Anteil der Liquidität zur Reduzierung der „Altlasten“ verwen­ und Mühen im Zusammenhang mit der Aufnahme eines
det, wozu auch die Zahlungen an den Insolvenzverwalter des ohne Weiteres erlangbaren Darlehens. Doch ist die Bitte um
Bankhauses P. zu zählen seien. Deswegen bot die Schuldnerin Ratenzahlung dann ein Indiz für eine Zahlungseinstellung,
an, statt der noch geschuldeten 15 Mio. € abschließend nur wenn sie vom Schuldner mit der Erklärung verbunden wird,
noch 3 Mio. € zu zahlen. Darin liegt das Eingeständnis, die seine fälligen Verbindlichkeiten (anders) nicht begleichen zu
vereinbarten Raten nicht zahlen zu können. Zum Zeitpunkt können (BGH vom 16.04.2015 – IX ZR 6/14, DB 2015 S. 1034
dieses Schreibens waren die Urteile des BGH vom 21.03.2005 = NZI 2015 S. 470, Rn. 3 f). Dass die Schuldnerin die Hono­
noch nicht ergangen und ging die Schuldnerin davon aus, raransprüche des Beklagten nicht mehr begleichen konnte
dass die gegen sie eingereichten Klagen letztlich keinen und sie deswegen mit dem Beklagten die Vereinbarung vom
Erfolg haben würden. 10.11.2005 traf, ist zwischen den Parteien streitig. Für diese
Annahme könnte jedoch sprechen, dass der Beklagte selbst,
Kenntnis des Anfechtungsgegners von der wie der Kläger vorgetragen hat, in der Klageschrift in sei­
Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin aufgrund der nem Prozess gegen die Schuldnerin geschildert hat, nach
Kenntnis der Problematik der vereinbarten ratenweisen seiner Ankündigung, die ausstehenden Honoraransprüche
Zurückzahlung der Einlagen und ... nach Kündigung der Mandate Anfang Oktober 2005 fällig zu
43 2. Der Beklagte kannte die Problematik der vereinbarten stellen, sei „aufseiten der Schuldnerin eine nicht anders als
ratenweisen Zurückzahlung der Einlagen, weil er zu der heillose Hektik zu bezeichnende Betriebsamkeit“ ausgebro­
Zeit, in der das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen die chen, „im Rahmen derer sich u.a. der flehentliche Wunsch
entsprechende Verbotsverfügung erlassen und die Schuld­ herauskristallisiert“ habe, „sich mit dem Kläger betreffs der
nerin sich mit dem Bundesaufsichtsamt verglichen hat, offenen Vergütungsforderungen zu einigen“. Dieses Verhalten
Geschäftsführer der Muttergesellschaft der Schuldnerin lässt sich naheliegend nur so erklären, dass die Schuldnerin
und kurze Zeit später Mitglied des Aufsichtsrat der Schuld­ zahlungsunfähig war und davon wusste. Dann aber hatte
nerin war. Ab März 2005 ist er für die Schuldnerin und die auch der Beklagte diesen Schluss aus dem von ihm beobach­
Muttergesellschaft als Prozessvertreter in Prozessen der teten Verhalten gezogen.
Anleger tätig geworden, wurde mithin erneut mit dieser
Problematik vertraut gemacht. Ihm musste deswegen klar Redaktioneller Hinweis:
sein, dass als Folge dieser neuen Rspr. des BGH der Schuld­ Volltext online unter: RS1252267.
nerin weitere Liquidität entzogen wurde (vgl. BGH vom
10.01.2013 – IX ZR 13/12, DB 2013 S. 224 = NJW 2013 S. 611,
Rn. 29).
44 Hinzu kommt, dass seine eigenen Honorarforderun­
gen aus den Rechnungen vom 18./25. Juli, 22. August und
16.09.2005 über insgesamt 48.983,58 € nicht beglichen
wurden, sodass er seine Ansprüche am 05.10.2005 abtrat
und der Zessionar die Ansprüche gegenüber der Schuld­

2416 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Betriebliche Altersversorgung »DB1249260


RiArbG a.D. Dr. Volker Matthießen

Die Kontrolle der Ermessensentscheidung


nach § 16 BetrAVG im Konzern
RiArbG a.D. Dr. Volker Matthießen war tätig am ArbG Offenbach/M. und
Aus der Opfergrenze von 40 bzw. 33 1/3% ist bekanntlich im
dort ständiger Vertreter des Direktors. ­ etrAVG die Anpassungsprüfungspflicht im dreijährigen Turnus
B
Kontakt: autor@der-betrieb.de geworden. Die Entscheidung nach billigem Ermessen hat der
Gesetzgeber dagegen in § 16 BetrAVG übernommen. Die Geset­
Nach § 16 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine An­ zesbegründung verweist im Ausschussbericht 4 auf die von der
passung der laufenden Leistungen der betrieblichen Alters­ Rspr. herausgearbeiteten Gesichtspunkte insb. der Veränderung
versorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen der Lebenshaltungskosten und der wirtschaftlichen Lage des
zu entscheiden. Bei seiner Ermessensentscheidung hat der Arbeitgebers als Maßstäbe für das billige Ermessen.
­Arbeitgeber insb. die Belange des Versorgungsempfängers Ausgangspunkt für die Billigkeitserwägungen des Arbeitgebers
und seine wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Unter wel­ sind daher nach der vorgesetzlichen Rspr. ebenso wie nach der
chen Voraussetzungen bei einem konzernabhängigen Unter­ Gesetzesbegründung der Erhalt des Lebenshaltungsniveaus
nehmen auch die wirtschaftliche Lage der Konzernoberge­ des Betriebsrentners einerseits und der Erhalt der Wettbe­
sellschaft bei der Ermessensentscheidung Berücksichtigung werbsfähigkeit des die Versorgung versprechenden Unterneh­
finden muss, ist seit Langem umstritten. Insb. die Kontrolle der mens andererseits. Daraus entwickelt hat sich der Rechtssatz,
Ermessensentscheidung im faktischen Konzern nach der Rspr. dass die Anpassung der Betriebsrenten an die Kaufkraftent­
des BAG bedarf einer kritischen Überprüfung. wicklung ganz oder teilweise unterbleiben kann, wenn und
soweit durch sie eine übermäßige Belastung des Unternehmens
I. Eine Vorschrift ohne Konzernbezug verursacht würde. Das „Maß“ der Übermäßigkeit bestimmt
Entstanden ist die Vorschrift des § 16 BetrAVG aus der Rspr. sich aus dem Erhalt des Unternehmens am Markt. Freilich geht
von BAG 1 und – diesem folgend – BGH 2, die dem Arbeitgeber dieser Maßstab von einem eigenverantwortlich handelnden
nach § 242 BGB eine Pflicht auferlegt haben, mit dem Pen­ selbstständigen Unternehmen aus. Zum Ausdruck kommt
sionär über eine Anpassung der betrieblichen Renten an die dies auch heute noch in der Aussage, ein wirtschaftlich ver­
gestiegenen Lebenshaltungspreise zu verhandeln, wenn seit nünftig handelnder, verständiger Arbeitgeber bemühe sich im
der letzten Absprache über die Ruhegeldregelung eine 40%ige3 Eigeninteresse darum, die Liquidität seines Unternehmens zu
Verteuerung der Lebenshaltungskosten eingetreten ist. Soweit erhalten und den Gewinn zu steigern. 5 Diese relativiert sich
es zu keiner Einigung kam, sollte der Arbeitgeber nach billi­ allerdings dann, wenn in einem Unterordnungskonzern eine
gem Ermessen darüber entscheiden, ob und in welcher Höhe Konzernobergesellschaft Leitungsmacht ausübt. Der Erhalt
er das Ruhegehalt der Verteuerung anpasst. Dabei durfte der Wettbewerbsfähigkeit muss im Konzern nicht notwendig
der Arbeitgeber seine Interessen berücksichtigen, die billi­ unternehmensbezogen, er kann auch konzernbezogen sein.
genswert sind. Er hatte allerdings die Nöte und Bedrängnisse Wie die „übermäßige Belastung des Unternehmens“ bei einem
seiner Pensionäre gerecht mit zu berücksichtigen. Entschied konzernabhängigen Unternehmen zu verstehen ist, ist deshalb
der Arbeitgeber nicht oder entsprach seine Entscheidung nicht seit Langem umstritten.6 Klar ist lediglich, dass einerseits nicht
billigem Ermessen, hatten die Gerichte für Arbeits­sachen die jeder Konzerneinfluss erfordert, über die wirtschaftliche Lage
Entscheidung nach § 315 Abs. 3 BGB daraufhin zu überprü­ der zusagenden Arbeitgebergesellschaft hinauszugehen, dass
fen, ob sie der Billigkeit entsprach. Einige Kriterien für die andererseits in einzelnen Konzernkonstellationen genau dieses
Billigkeitsentscheidung wurden hier bereits angesprochen: interessengerecht ist. Ob dies im Wege des Berechnungsdurch­
Dem Unternehmen, bei dem Umsatz und Gewinn mit der griffs, einer Zurechnung der wirtschaftlichen Lage der Mut­
Steigerung der Lebenshaltungskosten Schritt halten oder tergesellschaft oder im Wege des Schadensersatzanspruchs
noch stärker steigen, sei eine Anpassung eher zuzumuten als erfolgt, ist dabei wiederum offen.
dem Unternehmen, das sich nur mit Mühe im Wettbewerb Grds. ist zwar bei der Anpassung der Betriebsrenten nach § 16
behaupte. In die Billigkeitserwägungen einbeziehen wollte das BetrAVG die wirtschaftliche Lage des versorgungspflichtigen
BAG auch die Entwicklung der Vorstandspensionen: Unbillig Arbeitgebers entscheidend unabhängig von der Einbindung in
wäre es, wenn das Unternehmen dem klagenden Arbeitnehmer
4 BT-Drucks. 7/2843 S. 12.
jeden Ausgleich der Verteuerung verweigerte, während sie die
5 BAG vom 10.03.2015 – 3 AZR 739/13, DB 2015 S. 1843.
Pension ihrer Vorstandsmitglieder voll dynamisiert hatte. 6 Aus den Beiträgen in der Literatur vgl. nur Konzen, RdA 1984 S. 65; Martens, ZGR 1984 S. 417; Wein-
mann, Arbeitsrecht der Gegenwart, Jahrbuch 1985, S. 51; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe
im Privatrecht, 1988, S. 110 ff.; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, 1989, S. 241 ff.; Stimpel, in: FS
1 BAG vom 30.03.1973 – 3 AZR 26/72, DB 1973 S. 773 = AP Nr. 4 zu § 242 BGB Ruhegehalt- Kellermann, 1991, S. 423 ff.; Zöllner, AG 1994 S. 285; Junker, in: FS Kissel, 1994, S. 451 ff.; Reiners,
Geldentwertung. DB 1994 S. 678; Kruip, Betriebsrentenanpassung und Sozialplandotierung im Konzern und Um-
2 BGH vom 28.05.1973 – II ZR 58/71, DB 1973 S. 1497 = AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt- wandlung, 1997; Schipp, DB 2010 S. 112; Cisch/Kruip, NZA 2010 S. 540; Schäfer, ZIP 2010 S. 2025;
Geldentwertung. Schlewing, RdA 2010 S. 364; Diller/Beck, DB 2011 S. 1052; Forst/Granetzny, BetrAV 2011 S. 118;
3 Später 33 1/3%, vgl. BGH vom 04.11.1976 – II ZR 148/75, DB 1977 S. 170 = AP Nr. 7 zu § 242 BGB Vogt, NZA 2013 S. 1250; Heikel, Betriebsrentenanpassung und Berechnungsdurchgriff, 2014; ­Wutte,
Ruhegehalt-Geldentwertung. Betriebsrentenanpassung im Konzern: Berechnungsdurchgriff und Rentnergesellschaft, 2016.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2417


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einen Konzern.7 Die Konzernverbindung allein ändert weder sprüche von Betriebsrentnern des anderen Unternehmens. Dabei
etwas an der Selbstständigkeit der beteiligten juristischen Per­ muss die den Vertrauensschutz begründende Erklärung durch
sonen noch an der Trennung der jeweiligen Vermögensmassen.8 den Versorgungsschuldner selbst abgegeben werden, nicht durch
Da es bei konzernverbundenen Unternehmen in erster Linie eine andere Konzerngesellschaft. Es kann sich auch aus der Ausle­
auf die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers ankommt, der gung der Versorgungszusage ergeben, dass hinter ihr der gesamte
die betriebliche Altersversorgung schuldet, kann sich eine kon­ Konzern oder die jeweilige Konzernobergesellschaft stehen soll.
zernabhängige Tochtergesellschaft als Versorgungsschuldner
auch bei einer eigenen guten wirtschaftlichen Lage nicht darauf 2. Berechnungsdurchgriff
berufen, dass ihre wirtschaftliche Lage eigentlich schlecht sei I.Ü. verknüpfte das BAG in der Folgezeit seine Rspr. mit der
und sie nur durch Maßnahmen der Konzernobergesellschaft Rspr. des BGH zum qualifizierten faktischen Konzern und ent­
wie erhöhte Konzernverrechnungspreise am Leben erhalten wickelte einen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche
werde.9 Soweit nicht nur die konzernabhängige Gesellschaft, Lage des herrschenden Unternehmens. Da Schädigungen Drit­
sondern auch die Konzernmuttergesellschaft aufgrund ihrer ter, aber auch von Minderheitsgesellschaftern durch die Kon­
wirtschaftlichen Lage nicht zu einer Anpassung der Betriebs­ zernleitung auch sonst im Rechtsleben vorkommen, liegt dies
renten in der Lage ist, scheidet selbstverständlich auch bei durchaus nahe – freilich nur dann, wenn man ausreichend die
Bejahung eines Berechnungsdurchgriffs ein Anspruch der unterschiedlichen Konzernierungsformen (Vertragskonzern/
Betriebsrentner auf Anpassung der Betriebsrente aus.10 faktischer Konzern), die spezifischen Einflussmöglichkeiten
der Gesellschaften nach dem jeweiligen Gesellschaftsrecht
II. Die Entwicklung der BAG-Rechtsprechung (z.B. GmbH oder AG) und die unterschiedlichen Rechts­ und
Das BAG hat bereits seit den 80er Jahren Ansätze entwickelt, Anspruchsgrundlagen (Haftung auf Schadensersatz oder Kon­
die wirtschaftliche Lage des Konzerns oder der Konzern­ trolle einer Ermessensentscheidung) berücksichtigt.
muttergesellschaft bei der Anpassungsentscheidung einer Die in den 80er Jahren entwickelte Rspr. des BGH führte beim
Konzerntochtergesellschaft mit zu berücksichtigen. Die Rspr. BAG zur Konsequenz, dass einem Arbeitgeber, der aufgrund
hierzu ist einem steten Wandel unterworfen; sie kann auch seiner wirtschaftlichen Lage nicht imstande war, die Anpas­
heute nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Zu verstehen sungslasten aus den Erträgen und dem Zuwachs seines Unter­
ist sie eigentlich nur in ihrer historischen Entwicklung: nehmens zu bestreiten, unter bestimmten Voraussetzungen eine
günstigere wirtschaftliche Lage der Konzernobergesellschaft
1. Vertrauenshaftung zuzurechnen war. Es musste zwischen dem zur Anpassung
Das BAG entwickelte zunächst eine Art Vertrauenshaftung, wenn verpflichteten Unternehmen und dem herrschenden Unter­
die Versorgungszusage oder ihre Begleitumstände ergeben, dass nehmen eine verdichtete Konzernverbindung bestehen. Diese
hinter der erteilten Zusage der ganze Konzern stehen soll und für Voraussetzung war erfüllt, wenn ein Beherrschungs­ oder Ergeb­
deren Erfüllung eintreten wird. Es hat darüber hinaus die wirt­ nisabführungsvertrag bestand (Vertragskonzern). Es reichte
schaftliche Lage des herrschenden Unternehmens für bedeutsam aber auch aus, wenn ein Unternehmen die Geschäfte des zur
erklärt, wenn bei Vorliegen eines Beherrschungs­ und Gewinnab­ Anpassung verpflichteten Unternehmens tatsächlich umfassend
führungsvertrags die wirtschaftliche Abhängigkeit des beherrsch­ und nachhaltig führte (qualifiziert faktischer Konzern). Darüber
ten Unternehmens so vollständig ist, dass dessen wirtschaftliche hinaus war für den Berechnungsdurchgriff erforderlich, dass
Lage für den Rechtsverkehr überhaupt nicht zählt oder aber das die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausgeübt worden war,
herrschende Unternehmen eine Unternehmenspolitik zum Nach­ die auf die Belange des abhängigen Tochterunternehmens keine
teil des konzernabhängigen Unternehmens durchgesetzt hat.11 Bei angemessene Rücksicht genommen und so die mangelnde Leis­
Vorliegen eines Beherrschungs­ und Gewinnabführungsvertrags tungsfähigkeit des Versorgungsschuldners verursacht hatte.14
sprach eine Vermutung für die Konzernbeeinflusstheit der wirt­ Das Bestehen eines Beherrschungs­ und Gewinnabführungs­
schaftlichen Lage des konzernabhängigen Unternehmens, die der vertrags reichte allein für einen Berechnungsdurchgriff noch
Arbeitgeber dadurch widerlegen konnte, dass er darlegte, dass nicht aus.15 Bei mehrstufigen Konzernen war unter den gleichen
er entweder wirtschaftlich unbeeinflusst handeln konnte oder Voraussetzungen auch ein doppelter Berechnungsdurchgriff
dass er trotz seiner wirtschaftlichen Einbindung im Konzern so möglich.16 Diese Rspr. beruhte auf der Rspr. des BGH17 zur Innen­
gehandelt hat, wie er unter Wahrung der eigenen Interessen als haftung im qualifiziert faktischen GmbH­Konzern. Danach haf­
selbstständige Gesellschaft gehandelt hätte.12 tete der Gesellschafter der Gesellschaft entsprechend §§ 302, 303
Das Begründungselement der Vertrauenshaftung existiert auch AktG, wenn er die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausübte,
heute noch. Eine Rechtsscheinhaftung setzt nach der heutigen die keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängi­
Rspr. des BAG13 voraus, dass ein Versorgungsschuldner Erklärun­ gen Gesellschaft nahm, ohne dass sich der insgesamt zugefügte
gen abgibt, die ein schützenswertes Vertrauen des Versorgungs­ Nachteil durch Einzelausgleichsmaßnahmen kompensieren ließ.
empfängers darauf begründen, ein anderes Unternehmen werde
14 BAG vom 04.10.1994 – 3 AZR 910/93, DB 1995 S. 528 = AP Nr. 32 zu § 16 BetrAVG; bestätigt durch
sicherstellen, dass die Versorgungsverbindlichkeit durch den Ver­
BAG vom 17.04.1996 – 3 AZR 56/95, DB 1996 S. 2496 = NZA 1997 S. 155; BAG vom 23.10.1996 –
sorgungsschuldner ebenso erfüllt werden wie die Versorgungsan­ 3 AZR 514/95, DB 1997 S. 1287 = BB 1998 S. 111; BAG vom 28.07.2005 – 3 AZR 463/04, DB 2006
S. 2471 = NZA 2006 S. 1008; BAG vom 25.04.2006 – 3 AZR 50/05, DB 2007 S. 580.
7 BAG vom 10.02.2009 – 3 AZR 727/07, DB 2009 S. 2554 = AP Nr. 68 zu § 16 BetrAVG. 15 BAG vom 04.10.1994, a.a.O. (Fn. 14); Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmens-
8 BAG vom 08.12.2015 – 3 AZR 348/14, DB 2016 S. 1021. spaltung, 2002, § 35 Rn. 134; Zöllner, AG 1994 S. 294; anders für den Beherrschungsvertrag
9 BAG vom 10.02.2015 – 3 AZR 37/14, DB 2015 S. 1534 = NZA-RR 2015 S. 318. Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, 6. Aufl., § 16 Rn. 220.
10 BAG vom 21.10.2014 – 3 AZR 1027/12, DB 2015 S. 255 = AP Nr. 105 zu § 16 BetrAVG. 16 BAG vom 04.10.1994, a.a.O. (Fn. 14); zu den näheren Voraussetzungen vgl. insb. Zöllner, AG 1994
11 BAG vom 19.05.1981 – 3 AZR 308/80, DB 1981 S. 2333 = AP Nr. 13 zu § 16 BetrAVG. S. 285; Andresen/Förster/Rößler/Rühmann, Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung,
12 BAG vom 14.02.1989 – 3 AZR 191/87, DB 1989 S. 1471 = AP Nr. 22 zu § 16 BetrAVG. Teil 11 B Rn. 1415 ff.; Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, 6. Aufl., § 16 Rn. 216.
13 BAG vom 15.09.2015 – 3 AZR 839/13, DB 2016 S. 354. 17 Grundlegend BGH vom 16.09.1985 – II ZR 275/84, Autokran, BGHZ 95 S. 330 = RS0769212.

2418 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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3. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs men berechtigt, dem Vorstand der Gesellschaft hinsichtlich der
Der BGH hat inzwischen den Schutz der abhängigen GmbH Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Bestimme der
von einer entsprechenden Anwendung des Haftungssystems Gesellschaftsvertrag nichts anderes, so habe der Vorstand der
des Konzernrechts des Aktienrechts umgestellt auf eine Haf­ abhängigen Gesellschaft auch für diese nachteilige Weisungen
tung wegen existenzvernichtenden Eingriffs.18 Damit wurde zu befolgen (§ 308 Abs. 1, 2 AktG). Das herrschende Unternehmen
die Haftung des Gesellschafters für missbräuchliche, zur habe ggf. die infolge der Anpassung der Betriebsrenten etwa ent­
Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompen­ stehenden Verluste der abhängigen Gesellschaft nach § 302 AktG
sationslose Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen bezeich­ auszugleichen. 22 Die früher dem Unternehmen eingeräumte
net, die zu einer Durchgriffsaußenhaftung der Gesellschafter Möglichkeit, nachzuweisen, Verluste seien nicht durch die Aus­
gegenüber den Gesellschaftsgläubigern führte. übung von Leitungsmacht verursacht, verneinte das BAG.23
Diese Rspr. hat der BGH wiederum 2007 modifiziert.19 Nunmehr Seit dem Urteil vom 10.03.2015 24 bejaht das BAG jetzt einen
setzt die Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters die Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage des herr­
missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweck­ schenden Unternehmens nur dann, wenn sich die durch den
gebundenen Gesellschaftsvermögens voraus; das Modell der Beherrschungsvertrag für die Versorgungsempfänger begrün­
Durchgriffshaftung wurde zugunsten einer Innenhaftung des dete Gefahrenlage durch das Bestehen des Beherrschungs­
Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft nach § 826 BGB vertrags verwirklicht hat. Der Berechnungsdurchgriff beim
aufgegeben. Dieser Anspruch der Existenzvernichtungshaftung Beherrschungsvertrag könne nicht unmittelbar auf § 302 AktG
aus § 826 BGB kann entweder vom Insolvenzverwalter bei Insol­ gestützt werden. Der Verlustausgleichsanspruch nach § 302
venz geltend gemacht werden oder von den Gläubigern aufgrund AktG stimme der Höhe nach nicht mit den Mehraufwendun­
eines Titels gegen die Gesellschaft nach der Pfändung und Über­ gen überein, die dem Versorgungsschuldner durch eine Anpas­
weisung der Gesellschaftsansprüche gegen den Gesellschafter. sung der Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG unter Rückgriff auf
Gegenüber der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern ist die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens ent­
die jetzt auf § 826 BGB gestützte Schadensersatzhaftung der stehen, da eine Anpassungsverpflichtung bereits bei ungenü­
Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft wegen existenzver­ gender Eigenkapitalverzinsung entfallen könne, während die
nichtenden Eingriffs in ihrem Tatbestand deutlich verengt: Die Verlustausgleichspflicht einen Verlust voraussetze. Außerdem
Gesellschafter müssen ihrer Gesellschaft planmäßig Vermögen begründe § 302 AktG keine unwiderlegbare Vermutung einer
entziehen und die Gesellschaft hierdurch in die Insolvenz getrie­ nachteiligen Einflussnahme durch die herrschende Gesell­
ben haben. In der Sache geht es stets um die Ausplünderung schaft. Ein Beherrschungsvertrag begründe aber eine beson­
einer Gesellschaft durch ihre Gesellschafter.20 dere Gefahrenlage für die durch § 16 BetrAVG geschützten
Interessen der Versorgungsberechtigten. Ein wirtschaftlich
III. Differenzierung zwischen Vertragskonzern und vernünftig handelnder, verständiger Arbeitgeber bemühe sich
faktischem Konzern im Eigeninteresse darum, die Liquidität seines Unternehmens
Der Wandel der BGH­Rspr. erforderte eine Neuorientierung der zu erhalten und den Gewinn zu steigern. Diese Annahme sei
Rspr. des BAG zur Betriebsrentenanpassung im Konzern.21 Da jedoch nicht mehr ohne Weiteres gerechtfertigt, wenn der
sich die Rspr. des BGH allerdings vor allen Dingen zum faktischen Arbeitgeber von einem anderen konzernverbundenen Unter­
Konzern geändert hat, differenziert die Rspr. bei der Beurteilung nehmen mittels eines Beherrschungsvertrags beherrscht wird.
der wirtschaftlichen Lage abhängiger Gesellschaften zwischen Es könne im Gesamtinteresse des Konzerns sinnvoll sein, dem
solchen, bei denen ein Beherrschungsvertrag besteht, solchen, beherrschten Unternehmen konzernspezifische Risiken auf­
bei denen ein Ergebnisabführungsvertrag besteht und solchen, zubürden, die über das hinausgehen, was ein unabhängiges
bei denen lediglich ein faktisches Konzernierungsverhältnis Unternehmen am Markt von Wettbewerbern zu erwarten
besteht. Die Änderung wurde jeweils in Etappen vollzogen. habe. Sich aus dieser Zielrichtung ergebende Weisungen könn­
ten unmittelbar oder durch ihre Auswirkungen gesetzliche
1. Beherrschungsvertrag Rechte wirtschaftlich entwerten. Diese Gefahrenlage müsse
Bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags folgerte das BAG sich allerdings im Einzelfall verwirklicht haben.
zunächst aus der Verlustausgleichspflicht (§ 302 AktG), dass Diese Aussagen haben Auswirkungen auf die Darlegungs­ und
das abhängige Unternehmen Anpassungsansprüche seiner Beweislast. Hat der Versorgungsempfänger dargelegt, dass ein
Betriebsrentner nicht mit der Begründung ablehnen könne, Beherrschungsvertrag besteht und die Behauptung erhoben,
seine schlechte wirtschaftliche Lage sei nicht durch Weisungen die dem Beherrschungsvertrag eigene Gefahrenlage habe sich
der herrschenden Gesellschaft verursacht worden. Es komme verwirklicht, hat der Arbeitgeber, der die Anpassung verweigern
bei schlechter wirtschaftlicher Lage des konzernabhängigen will, substanziiert und unter Benennung von Beweismitteln
Unternehmens auf die wirtschaftliche Lage des herrschenden nachvollziehbar darzulegen, dass sich die im Beherrschungs­
Unternehmens an. Es werde unwiderleglich vermutet, dass das vertrag angelegte Gefahrenlage nicht verwirklicht oder seine
herrschende Unternehmen bei der Ausübung seiner Leitungs­ wirtschaftliche Lage nicht in einem für die Betriebsrentenan­
macht auf die Belange des abhängigen Unternehmens keine passung maßgeblichen Umfang verschlechtert hat.
angemessene Rücksicht genommen habe. Denn solange der Diesem Urteil des BAG ist der BGH25 ausdrücklich gefolgt. Hin­
Beherrschungsvertrag bestehe, sei das herrschende Unterneh­ sichtlich der Darlegungs­ und Beweislast verweist der BGH
insb. darauf, dass ein Versorgungsempfänger (Arbeitnehmer
18 BGH vom 17.09.2001 – II ZR 178/99, Bremer Vulkan, DB 2001 S. 2338 = NJW 2001 S. 3622.
19 BGH vom 16.07.2007 – II ZR 3/04, Trihotel, BGHZ 173 S. 246 = DB 2007 S. 1802. 22 BAG vom 26.05.2009 – 3 AZR 369/07, DB 2009 S. 2384 = AP Nr. 67 zu § 16 BetrAVG.
20 Schäfer, ZIP 2010 S. 2025 (2027). 23 Deutlich insoweit Schlewing, RdA 2010 S. 364 (367).
21 Schipp, DB 2010 S. 112; Cisch/Kruip, NZA 2010 S. 540; Schäfer, ZIP 2010 S. 2025; Schlewing, RdA 24 BAG vom 10.03.2015, a.a.O. (Fn. 5).
2010 S. 364; Diller/Beck, DB 2011 S. 1052; Forst/Granetzny, BetrAV 2011 S. 118. 25 BGH vom 27.09.2016 – II ZR 57/15, DB 2016 S. 2653; vgl. hierzu zustimmend Döring, DB 2017 S. 230.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2419


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wie ehemalige Geschäftsführer) i.d.R. keinen Einblick mehr in In einer Folgeentscheidung 30 lautet der Orientierungssatz lako­
Weisungen des herrschenden Unternehmens habe, während nisch: „Ein Berechnungsdurchgriff im qualifiziert faktischen
das abhängige Unternehmen in der Lage sei, zur Erteilung von Konzern scheidet nach der Änderung der Senatsrechtspre-
Weisungen und deren Auswirkungen vorzutragen oder auch chung aus.“ Die Obergesellschaften hätten die bestehende
dazu, dass es auch ohne Weisungen nicht leistungsfähig und Überschuldung nicht herbeigeführt. Der Kläger habe keine
damit zur Anpassung der Betriebsrente nicht verpflichtet wäre. Anhaltspunkte für einen sittenwidrigen Entzug von Vermö­
genswerten vorgetragen. Die Entscheidung, die Eigenfertigung
2. Isolierter Gewinnabführungsvertrag von Traktoren und Dieselmotoren einzustellen, führe nicht zu
Bei einem isolierten Gewinnabführungsvertrag, bei dem die einem Berechnungsdurchgriff. Das gelte auch unter Berück­
Gesellschaft sich verpflichtet, ihren Gewinn teilweise oder in sichtigung des in der Folge eingetretenen Ungleichgewichts
vollem Umfang an eine andere Gesellschaft abzuführen, hat zwischen den ungefähr 250 aktiven Arbeitnehmern und den
die herrschende Gesellschaft auf das Zustandekommen eines etwa 2.000 Betriebsrentnern. Das Betriebsrentenrecht knüpfe
Gewinns und die Ergebnisfeststellung keinen Einfluss. Eine gute keine Folgen daran, dass der Versorgungsschuldner seinen
oder schlechte wirtschaftliche Lage des Versorgungsschuldners Geschäftsbetrieb nicht in unverändertem Umfang beibehalte.
lässt sich somit bereits vor Gewinnabführung feststellen.26 Ein Selbst wenn eine Konzernobergesellschaft über Verrechnungs­
Durchgriff auf die wirtschaftliche Lage der Konzernobergesell­ preise Gewinne der Tochtergesellschaft auf sich transferiert,
schaft lässt sich daher allein aus dem Gesichtspunkt des isolier­ führt die dadurch verursachte schlechte wirtschaftliche
ten Gewinnabführungsvertrags nicht rechtfertigen. Lage der Konzerntochter nicht zu einer Anpassungspflicht
aufgrund eines Berechnungsdurchgriffs. In einem vom BAG31
3. Faktischer Konzern entschiedenen Fall hatten die Kläger behauptet, dass durch
Die Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters gegen­ die Konzernverrechnungspreisabrede ein höherer Gewinn als
über der Gesellschaft nach § 826 BGB, wie sie jetzt im Kon­ 3% nicht erzielt werden könne – ohne dass dies letztlich als
zept zur Haftung im faktischen GmbH­Konzern vom BGH erwiesen angesehen wurde. Ein Berechnungsdurchgriff auf
entwickelt worden ist, führt bei einer Übertragung auf die der Grundlage der neuen Rspr. des BGH zum existenzvernich­
Beurteilung der wirtschaftlichen Lage nach § 16 BetrAVG im tenden Eingriff scheiterte daran, dass die Beklagte zu keinem
faktischen Konzern zu einem weitgehenden Ausschluss eines Zeitpunkt von einer Insolvenz bedroht war. Da etwaige Scha­
Durchgriffs auf die wirtschaftliche Lage der Konzernober­ densersatzansprüche nicht Streitgegenstand des Verfahrens
gesellschaft. Zunächst hatte das BAG 27 es noch ausdrücklich waren, hat das BAG es ausdrücklich offengelassen, ob durch die
offengelassen, ob an den bisher entwickelten Grundsätzen konkrete Ausgestaltung der Verrechnungspreisabrede die wirt­
zum Berechnungsdurchgriff im qualifiziert faktischen Kon­ schaftliche Lage der Beklagten in rechtlich zu beanstandender
zern festgehalten werden könne. Es hielt einen Berechnungs­ Weise so gestaltet wurde, dass eine Anpassung der Betriebs­
durchgriff nach wie vor für möglich, dieser setze jedoch einen rente des Klägers nach § 16 BetrAVG ausgeschlossen wurde und
Gleichlauf von Zurechnung und Innenhaftung im Sinne einer dem Kläger dadurch Erfüllungsansprüche genommen wurden.
Einstandspflicht/Haftung des anderen Konzernunternehmens Einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB sieht das BAG
gegenüber dem Versorgungsschuldner voraus. Das abhän­ als möglich an, wenn der Versorgungsschuldner wirtschaftliche
gige Konzernunternehmen müsse die Möglichkeit haben, die Entscheidungen nicht im eigenen Interesse trifft. Hierbei knüpft
höhere Belastung an das andere Unternehmen weiterzugeben. das BAG32 an den Gedanken an, dass grds. ein Arbeitgeber seine
In einer Grundsatzentscheidung vom 15.01.201328 hat das BAG wirtschaftlichen Entscheidungen im eigenen Interesse trifft,
aus der Änderung der Rspr. des BGH geschlossen, dass es nun­ mithin eine möglichst günstige wirtschaftliche Entwicklung
mehr an dem für einen Berechnungsdurchgriff erforderlichen für sich anstrebt. Richtet er seine Entscheidung nach anderen
Gleichlauf von Zurechnung und Innenhaftung i.S. einer Ein­ Kriterien aus, kann dies zur Folge haben, dass die Betriebsrenten
standspflicht/Haftung des anderen Konzernunternehmens ihren Wert verlieren. In subjektiver Hinsicht kann hier bedingter
gegenüber der abhängigen Gesellschaft fehle. Erforderlich sei Vorsatz genügen. Ein paar Anhaltspunkte für einen Schadens­
ein existenzvernichtender Eingriff des Gesellschafters nach ersatzanspruch nennt das BAG: Ein Schadensersatzanspruch
§ 826 BGB. Damit werden ein Entzug von Vermögenswerten, kann in Betracht kommen, wenn die bislang vom Versorgungs­
die fehlende Kompensation oder Rechtfertigung des Vermö­ schuldner ausgeübten wirtschaftlichen Aktivitäten im Konzern
gensentzugs und die deshalb hervorgerufene Insolvenz der weitergeführt werden und dadurch ein Auseinanderfallen der
Gesellschaft vorausgesetzt. 29 Diese Voraussetzungen seien in wirtschaftlichen Aktivitäten einerseits und der Versorgungsver­
einem Fall nicht gegeben, in dem die Konzernobergesellschaft bindlichkeit andererseits herbeigeführt wird. In einem Prozess
die Tochtergesellschaft, bei der der Rentner früher beschäftigt muss ein Schadensersatzanspruch allerdings als gesonderter
war, nach Integration in den Konzern durch den Verkauf des Streitgegenstand neben dem Anpassungsverlangen geltend
Vertriebs, des Lagers und der Patente, durch die Einstellung gemacht werden.33 In einem am 07.06.2016 entschiedenen Fall
der Produktion und die Entlassung sämtlicher Mitarbeiter in hat dies das BAG34 vor allem deshalb verneint, weil die verklagte
eine Rentnergesellschaft umgewandelt und später auf die nicht Rentnergesellschaft nicht auf einmal entstanden war, sondern
leistungsfähige beklagte Gesellschaft verschmolzen hatte. sukzessive im Laufe von drei Jahren.

30 BAG vom 21.10.2014, a.a.O. (Fn. 10).


31 BAG vom 21.04.2015 – 3 AZR 729/13, RS1067234 = BeckRS 2015, 71022 und BAG vom
26 BAG vom 21.04.2015 – 3 AZR 102/14, DB 2015 S. 2211. 21.04.2015, a.a.O. (Fn. 26).
27 BAG vom 29.09.2010 – 3 AZR 427/08, DB 2011 S. 362. 32 BAG vom 15.09.2015, a.a.O. (Fn. 13).
28 BAG vom 15.01.2013 – 3 AZR 638/10, DB 2013 S. 1368 = NZA 2014 S. 87. 33 BAG vom 21.04.2015, a.a.O. (Fn. 26).
29 BAG vom 15.01.2013, a.a.O. (Fn. 28). 34 BAG vom 07.06.2016 – 3 AZR 193/15, DB 2016 S. 2062.

2420 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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IV. Kritik unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale des Eintritts eines


1. Unterschiede zwischen Vertragskonzern und faktischem Verlustes oder Schadens einerseits und der nicht ausreichen­
Konzern? den Eigenkapitalverzinsung andererseits.
Die Rspr. des BAG zur fehlenden Möglichkeit eines Berech­ Mit der Veränderung des Haftungskonzepts im faktischen
nungsdurchgriffs auf die Konzernobergesellschaft in einem Konzern durch den BGH40 wird der Erst­Recht­Schluss nicht
faktischen Konzern wird zu Recht kritisiert. 35 Für einen falsch (wenn eine Existenzvernichtungshaftung bejaht werden
Betriebsrentner besteht eine erhebliche Divergenz hinsicht­ kann, müsste auch die Konzernobergesellschaft für die Anpas­
lich der Chancen, eine Betriebsrentenanpassung durchzuset­ sungsverpflichtung haften). Es wäre aber verkehrt, wenn man
zen – je nachdem, ob zwischen Ober­ und Untergesellschaft im Umkehrschluss davon ausginge, dass nur dann, wenn die
ein Beherrschungsvertrag besteht oder ob nur aufgrund der Voraussetzungen einer Existenzvernichtungshaftung gegeben
Konzernleitungsmacht Konzerninteressen in der Untergesell­ sind, bei § 16 BetrAVG auf die wirtschaftliche Lage der Mutter­
schaft durchgesetzt werden. 36 Während es bei Bestehen eines gesellschaft abgestellt werden kann.
Beherrschungsvertrags für den Arbeitgeber bei guter wirt­ Die Übertragung der Rspr. des BGH zum Schadensersatzan­
schaftlicher Lage der Konzernobergesellschaft sehr schwer ist, spruch im faktischen Konzern auf die Anpassungsentscheidung
eine Anpassung zu verweigern, ist es im faktischen Konzern für des Arbeitgebers nach § 16 BetrAVG ist nicht mehr schlüssig.
den Betriebsrentner fast unmöglich, bei nicht ausreichender Wenn Voraussetzung für einen „Berechnungsdurchgriff“ auf die
wirtschaftlicher Lage des ehemaligen Vertragsarbeitgebers Konzernobergesellschaft ein existenzvernichtender Eingriff auf
einen Anpassungsanspruch durchzusetzen. die abhängige, die Altersversorgung schuldende Gesellschaft sein
Noch 1992 war das BAG 37 davon ausgegangen, dass die wirt­ sollte, mithin die Verursachung oder Vertiefung einer Insolvenz,
schaftliche Abhängigkeit des beherrschten Unternehmens vom so würde angesichts des betriebsrentenrechtlich existierenden
herrschenden Unternehmen in einem qualifiziert faktischen Insolvenzschutzes durch den PSV diese Rechtsfigur leerlaufen;41
Konzern dieselbe ist wie bei Bestehen eines Beherrschungs­ auch der PSV könnte aus übergegangenem Recht keine Anpas­
vertrags. Dies liegt insofern nahe, als nach § 308 AktG das sungsansprüche gegenüber der Konzernobergesellschaft anmel­
herrschende Unternehmen berechtigt ist, dem Vorstand der den, da er nach Insolvenz keine Betriebsrenten anpasst.42
Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisun­ Bei der Berufung auf eine schlechte wirtschaftliche Lage bei
gen zu erteilen, wenn ein Beherrschungsvertrag besteht und im einer Anpassungsentscheidung geht es jedoch nicht um die
faktischen GmbH­Konzern eine ähnliche Einflussmöglichkeit Frage, ob ein Gesellschafter eine Insolvenz verursacht, sondern
dadurch besteht, dass die Gesellschafter dem Geschäftsfüh­ darum, ob dem Versorgungsschuldner eine ausreichende Eigen­
rer der abhängigen Gesellschaft durch Beschluss Weisungen kapitalverzinsung verbleibt, damit die Wettbewerbsfähigkeit
erteilen können. Unterschiede bestehen im Wesentlichen nur des Unternehmens nicht gefährdet wird. Die Möglichkeit, eine
bei abhängigen AG ohne Beherrschungsvertrag oder in einem Anpassung nach § 16 BetrAVG zu verweigern, setzt also viel früher
GmbH­Konzern, soweit durch Satzung das Weisungsrecht der ein als bei einem existenzvernichtenden Eingriff, bei dem die herr­
Gesellschafterversammlung beschränkt ist.38 schende Gesellschaft oder der herrschende Gesellschafter eine
Insolvenz hervorruft oder vertieft. Die Anpassungsunfähigkeit
2. Die Differenz zwischen existenzvernichtendem Eingriff eines Versorgungsschuldners aufgrund seiner unzureichenden
und nicht ausreichender wirtschaftlicher Lage wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nicht davon abhängig, ob
Der Rückgriff auf die Rspr. des BGH 39 zur Haftung im qua­ das Unternehmen Verluste erwirtschaftet.43 Insofern lässt sich die
lifiziert faktischen Konzern erfolgte früher im Sinne eines Rspr. des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff nicht mehr
Erst­Recht­Schlusses: Haftet beim qualifiziert faktischen Kon­ zur Rechtsfortbildung i.R.d. § 16 BetrAVG heranziehen.
zern die Konzernobergesellschaft, dann muss der Konzern Der Schutzzweck der Haftung von Gesellschaftern für schädli­
als letztlich Verpflichteter auch für die Anpassungsschulden che Eingriffe in eine Konzerngesellschaft ist ein anderer als der
der Tochter einstehen. Wenn die Obergesellschaft in einem Schutzzweck des § 16 BetrAVG. Der grds. gegebene Anspruch auf
Ausmaß Einfluss auf die abhängige Gesellschaft genommen Anpassung einer Betriebsrente ergibt sich aus dem Kaufkraft­
hat, dass daraus Ansprüche der Gläubiger erwachsen, muss schwund durch die Steigerung der Lebenshaltungskosten und
dies erst recht bei einer Veränderung der wirtschaftlichen ist damit kein Schadensersatzanspruch, sondern dogmatisch
Lage der abhängigen Gesellschaft zulasten der Betriebsrent­ im Bereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
ner gelten. Ein Erst­Recht­Schluss beinhaltet aber keine Nur­ und der Prüfung einer Entscheidung des Arbeitgebers nach
Dann­Verknüpfung. Es sind Einflüsse der Obergesellschaft auf billigem Ermessen (§ 315 BGB) angesiedelt. Zu prüfen haben
die abhängige Gesellschaft möglich, die die wirtschaftliche die Arbeitsgerichte, ob einem Arbeitgeber ausnahmsweise die
Lage der abhängigen Gesellschaft so verschlechtern, dass Anpassung entsprechend der Steigerung des Lebenshaltungs­
eine positive Anpassungsentscheidung eigentlich nicht in kostenindexes nicht zumutbar ist. Die Zumutbarkeit ist dabei
Betracht kommt, ein Anspruch eines Gläubigers oder eines kein Haftungskriterium, sondern das Ergebnis einer Interes­
Minderheitsgesellschafters ist jedoch ausgeschlossen, weil senabwägung. Gestalten Konzernunternehmen die wirtschaft­
sie keinen Schaden erlitten haben. Dies ist Konsequenz der liche Lage einer Gesellschaft so, dass sie nie (oder zumindest
im maßgeblichen Prognosezeitraum) ausreichende Gewinne
35 Vgl. die Nachweise bei Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, 6. Aufl., § 16 Rn. 229 ff.; bejahend da- in einer Höhe machen kann, die eine Betriebsrentenanpassung
gegen Vogt, NZA 2013 S. 1250; Willemsen/Schnitker, Umstrukturierung und Übertragung von erlaubt, spricht viel dafür, dass diese Vertragspraxis zulasten der
Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Kap. J Rn. 292.
36 Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, 6. Aufl., § 16 Rn. 224. 40 Als Schlusspunkt der Entwicklung: BGH vom 16.07.2007, a.a.O. (Fn. 19).
37 BAG vom 28.04.1992 – 3 AZR 244/91, DB 1992 S. 2402 = AP Nr. 25 zu § 16 BetrAVG. 41 In diese Richtung Diller/Beck, DB 2011 S. 1052.
38 Im GmbH-Konzern eine mehr theoretisch bestehende Möglichkeit. 42 So bereits Wutte, a.a.O. (Fn. 6), S. 113.
39 BGH vom 16.09.1985, a.a.O. (Fn. 17). 43 Stark, Rentnergesellschaften, 2011, S. 99 ff.; Zöllner, AG 1994 S. 285 (291).

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2421


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Betriebsrentner rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) ist, zumin­ pflicht des Gesellschafters auslösen. 50 Außerdem: Führt die
dest ist diese einseitige Interessendurchsetzung zulasten der Anpassungsentscheidung bei der Konzernuntergesellschaft
Betriebsrentner bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. zu Verlusten, sind diese notwendige Folge des verdichteten
Zwischen Berechnungsdurchgriff (besser: Abwägungsdurch­ Konzerneinflusses. Lässt die Konzernmutter diese Entwick­
griff) und Haftungsdurchgriff ist sorgfältig zu unterscheiden.44 lung bis zur Insolvenzreife zu, sind die vom BGH entwickelten
Wenn nach dem Konzept des BAG statt der Prüfung der Ange­ Maßstäbe zur Existenzvernichtungshaftung heranzuziehen.
messenheitskontrolle der Anpassungsentscheidung des Arbeit­
gebers der Betriebsrentner auf einen nachgelagerten Schadens­ 4. Konsequenzen für die Darlegungslast
ersatzanspruch nach § 826 BGB verwiesen wird, wird der Schutz Wird ein Abwägungsdurchgriff auf die Konzernobergesellschaft
der Betriebsrentner auf eine Sekundärebene verlagert, deren bei einem Anpassungsverlangen gegenüber einer Konzernunter­
Voraussetzungen (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) und gesellschaft nicht nur bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags,
Rechtsfolgen (eine angepasste Rente genießt Insolvenzschutz sondern auch im faktischen Konzern grds. zugelassen, bedarf
nach § 7 BetrAVG, ein Schadensersatzanspruch nicht)45 andere es freilich hinsichtlich der Darlegungs­ und Beweislast einer
sind als diejenigen einer Prüfung billigen Ermessens. Differenzierung je nach der konkreten Gesellschaftsform der
Untergesellschaft. Die Geschäftsführer einer GmbH unterliegen
3. Gleichlauf von Zurechnung und Innenhaftung? grds. dem Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung. 51
Von untergeordneter Bedeutung, aber möglicherweise Teil der Soweit die Obergesellschaft die Gesellschafterversammlung der
Interessenabwägung ist es, wie das betroffene Konzernunter­ Untergesellschaft bestimmt und das Weisungsrecht nicht durch
nehmen die Lasten der Betriebsrentenanpassung gegenüber Satzungsbestimmungen beschränkt ist, kann die Obergesell­
den anderen Konzernunternehmen oder der Konzernmutter­ schaft durch entsprechende Beschlüsse der Gesellschafterver­
gesellschaft durchsetzen kann – es geht schließlich nicht um sammlung die Geschäftsführungsmaßnahmen der Untergesell­
Haftungsfragen, sondern um die gerichtliche Überprüfung einer schaft wie bei einem Beherrschungsvertrag bestimmen.52 Liegen
Ermessensentscheidung. Grund für den Berechnungsdurch­ diese drei Voraussetzungen (Untergesellschaft GmbH, Gesell­
griff (besser: Abwägungsdurchgriff) ist die Herrschaftsmacht schafterversammlung dominiert durch die Obergesellschaft,
der Obergesellschaft und deren einseitige Ausübung zulasten keine Beschränkung des Weisungsrechts durch die Satzung) vor,
des beherrschten Unternehmens und seiner Betriebsrentner.46 ist eine Parallele zur Rspr. des BAG zum Beherrschungsvertrag
Nur zur Zerstreuung von Bedenken gegen einen Berechnungs­ naheliegend. Der Rentner muss darlegen, dass diese Vorausset­
durchgriff verweist das BAG47 bei Gefahren für die Liquidität zungen vorliegen und behaupten, dass sich die hierin liegende
des Unternehmens auf den Verlustausgleichsanspruch nach Gefahr für die wirtschaftliche Lage des abhängigen Unterneh­
§ 302 AktG im Vertragskonzern und im qualifiziert faktischen mens verwirklicht hat. Der Versorgungsverpflichtete hat hierauf
Konzern. Ein Gleichlauf von Zurechnung und Innenhaftung48 ist substanziiert zu erwidern und im Einzelnen darzulegen, dass
vom BAG erst später postuliert worden; er ist nicht unverzicht­ keine negativen Weisungen durch die Gesellschafterversamm­
bar.49 Bei der Kontrolle einer Ermessensentscheidung nach § 315 lung erfolgt sind oder dass die nicht ausreichende wirtschaftliche
BGB kann es nicht von Bedeutung sein, ob der Entscheidende Lage unabhängig von den erfolgten Weisungen eingetreten ist.
von einem Dritten so beeinflusst worden ist, dass er gegen diesen Anders, wenn die abhängige Gesellschaft in einem faktischen
Dritten Regressansprüche erheben kann. Ist es aufgrund einer Konzern eine AG ist 53 oder wenn der Versorgungsempfänger
Beeinflussung von außen zu einer nicht sachgerechten Ent­ die o.g. drei Voraussetzungen nicht beweisen kann. In diesem
scheidung gekommen, entspricht die Entscheidung eben nicht Fall muss er voll umfänglich beweisen, dass die nicht ausrei­
billigem Ermessen; es ist Sache des Entscheiders zu überlegen, chende wirtschaftliche Lage der anpassungsverpflichteten
ob und wie er die daraus resultierenden finanziellen Lasten auf Untergesellschaft durch bestimmte Maßnahmen der Kon­
den Dritten abwälzt. Ob dies Folgen für die noch aktiven Arbeit­ zernobergesellschaft verursacht worden ist.
nehmer der Versorgungsschuldnerin haben könnte, bewegt
sich ohne konkrete Anhaltspunkte im Bereich der Spekulation. V. Fazit
Für den Fall des Bestehens eines Beherrschungsvertrags hat Ist der Versorgungsschuldner eine konzernabhängige GmbH, ist
das BAG ohnehin den Gleichlauf von Zurechnung und Innen­ bei nachteiliger Einflussnahme der Konzernobergesellschaft auf
haftung partiell aufgegeben: Bei nachteiliger Einflussnahme die wirtschaftliche Lage die vom BAG entwickelte und vom BGH
der Konzernobergesellschaft wird ein Berechnungsdurchgriff bestätigte Rspr. zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage im
erlaubt, ohne dass nachgewiesen werden muss, dass nach § 302 Konzern bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags anzuwenden.
AktG auszugleichende Verluste eingetreten wären. Dementsprechend hat der Versorgungsschuldner in einem Anpas­
Selbst wenn man eine Refinanzierungsmöglichkeit der zur sungsprozess lediglich darzulegen, dass ein GmbH­Konzern
Anpassung verpflichteten Konzernuntergesellschaft fordert: besteht und sich die dem Konzernverhältnis eigene Gefahrenlage
Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Unter­ verwirklicht hat. Der Versorgungsschuldner hat dann darzulegen,
gesellschaft durch die Obergesellschaft kann Haftungsan­ ob und welche Weisungen der Geschäftsführung und mit welchen
sprüche der Untergesellschaft wegen Verletzung der Treue­ Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage erteilt worden sind,
ggf. auch dazu, dass diese Weisungen die wirtschaftliche Lage des
44 Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, 6. Aufl., § 16 Rn. 223. Versorgungsschuldners nicht negativ beeinflusst haben.
45 Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, 6. Aufl., § 16 Rn. 231.
46 BAG vom 04.10.1994, a.a.O. (Fn. 14). 50 Vgl. dazu eingehend Wutte, a.a.O. (Fn. 6), passim.
47 BAG vom 04.10.1994, a.a.O. (Fn. 14). 51 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl., § 37 Rn. 20.
48 Deutlich z.B. BAG vom 15.01.2013, a.a.O. (Fn. 28); ausführlich Schlewing, RdA 2010 S. 364 52 Vgl Baumbach/Hueck/Beurskens, GmbHG, 21. Aufl., Anhang, GmbH-Konzernrecht Rn. 29.
(366 ff.). 53 Für eine Fortsetzung der Anwendung der BGH-Rspr. zum qualifiziert faktischen Konzern Wutte,
49 So aber Schlewing, RdA 2010 S. 364 (367). a.a.O. (Fn. 6), S. 104 ff.

2422 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Urlaubsrecht »DB1249839 dürften dem Urlaubswunsch keine dringenden betrieblichen


Belange entgegenstehen. Viertens dürften keine vorrangig zu
Existenz eines Anspruchs auf Teilurlaubstage berücksichtigenden Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer
bleibt höchstrichterlich ungeklärt bestehen.

Ob ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Gewährung von III. Einordnung und Praxishinweise
Urlaub für halbe Tage hat, ist höchstrichterlich bislang nicht Die Ausführungen des BAG zur Unzulässigkeit der Klage sind
entschieden. Instanzgerichte und Literatur beurteilen die absolut überzeugend. Deshalb muss hingenommen werden,
Rechtslage unterschiedlich. Auch nach der Entscheidung des dass sich das BAG mit der äußerst praxisrelevanten materi­
BAG bleibt diese Rechtsfrage (bedauerlicherweise) weiterhin ellen Rechtsfrage eines Anspruchs auf Teilurlaubstage nicht
offen, da die Klage bereits unzulässig war. auseinandersetzen konnte.
BAG, Urteil vom 27.06.2017 – 9 AZR 120/16 In vielen Unternehmen ist es gelebte Praxis, Mitarbeitern
antragsgemäß halbe Urlaubstage zu genehmigen. Diese Hand­
RA/FAArbR Dr. Tilman Isenhardt ist Partner bei michels.pmks habung ist riskant. Ist ein Anspruch auf Teilurlaubstage mit dem
Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Köln. BUrlG nicht zu vereinbaren, wird der Urlaubsanspruch durch die
Kontakt: autor@der-betrieb.de Gewährung von Teilurlaubstagen nicht ordnungsgemäß erfüllt.
Sollte dies der Fall sein, könnte der Mitarbeiter den Urlaub ggf.
selbst dann noch einmal verlangen, wenn er mit der Gewährung
I. Sachverhalt halber Urlaubstage einverstanden war (vgl. BAG vom 29.07.1965 –
Der schwerbehinderte Kläger verlangte von der Beklagten 5 AZR 380/64, BAGE 17 S. 263 = DB 1965 S. 1184).
die Gewährung halber Urlaubstage. Die Beklagte genehmigte Gegen eine ordnungsgemäße Erfüllung des Urlaubsanspruchs
dem als Percussionisten beschäftigten und bei Musicalauf­ durch die Gewährung halber Tage spricht, dass der Urlaub
führungen eingesetzten Kläger auf dessen Antrag an Tagen gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG zusammenhängend zu gewähren
mit zwei Aufführungen regelmäßig halbe Urlaubstage, sodass ist. Nur wenn dringende betriebliche oder in der Person des
der Kläger an diesen Tagen nur an einer Aufführung mitwir­ Arbeitnehmers liegende Gründe es erforderlich machen, ist
ken musste. Mit der Begründung, die Rechtslage erlaube die eine Teilung des Urlaubs erlaubt. Kann der Urlaub aus diesen
Genehmigung halber Urlaubstage nicht, änderte die Beklagte Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, muss
ihre Genehmigungspraxis und verweigerte fortan die Gewäh­ einer der Urlaubsteile nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG mindes­
rung halber Urlaubstage. Der Kläger vertrat die Auffassung, tens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen. Mit dem
mit der Änderung ihrer Genehmigungspraxis verletze die zwingend zusammenhängend zu gewährenden Urlaub soll
Beklagte ihre Verpf lichtung, ihm als schwerbehinderten dem Erholungszweck des Urlaubs Rechnung getragen werden.
Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben Dem stünde entgegen, wenn der Arbeitnehmer nur für einen
zu ermöglichen. Zuletzt beantragte er, „die Beklagte zu ver- Bruchteil seiner täglichen Arbeitszeit aus dem betrieblichen
urteilen, ihm auf seinen Antrag unter Beachtung der gesetz- Leben gelöst würde (vgl. BAG vom 28.11.1968 – 5 AZR 133/68,
lichen Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG Erholungsurlaub BAGE 21 S. 230 = DB 1969 S. 354).
bezogen auf eine Vorstellung (vier Stunden pro Tag) in Form Die überzeugenderen Argumente sprechen indes für die Recht­
von halben Urlaubstagen zu gewähren, es sei denn, dass mäßigkeit der Gewährung halber Urlaubstage. Dem Urlaubs­
ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder recht sind anteilige Urlaubstage nicht fremd. Bruchteile von
Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Urlaubstagen, die nicht nach § 5 Abs. 2 BUrlG aufgerundet
Gesichtspunkt den Vorrang verdienen, entgegenstehen.“ werden müssen, sind dem Arbeitnehmer in entsprechendem
Umfang zu gewähren. Die gegenteilige ältere Rspr. hat das BAG
II. Entscheidung explizit aufgegeben (vgl. BAG vom 26.01.1989 – 8 AZR 730/87,
Das ArbG Hamburg (vom 27.05.2014 – 21 Ca 371/13) wies die BAGE 61 S. 52 = DB 1989 S. 2129). Zudem sind dem Arbeitnehmer
Klage ab. Das LAG Hamburg (vom 21.09.2015 – 8 Sa 46/14, gem. § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG nur zwölf Urlaubstage zwingend
RS1204366) gab der Klage teilweise statt und verurteilte die zusammenhängend zu gewähren. Der über zwölf Werktage
Beklagte, dem Kläger unter Beachtung von § 7 Abs. 2 BUrlG auf hinausgehende Urlaub kann nach dieser Bestimmung auch auf
seinen Wunsch halbe Urlaubstage zu gewähren. Wunsch des Arbeitnehmers geteilt werden. Den Urlaubswunsch
Das BAG setzte sich mit den Ausführungen des LAG zur kann der Arbeitgeber gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nur ablehnen,
Begründetheit der Klage nicht auseinander. Entgegen der wenn ihm dringende betriebliche Belange oder vorrangig zu
Bewertung des LAG war die Klage nach Auffassung des BAG berücksichtigende Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer
bereits unzulässig. Das BAG entschied, dass der zitierte Antrag entgegenstehen. Dagegen kann er ihn nicht ablehnen, wenn
nicht hinreichend bestimmt sei. Er mache die begehrte Ver­ der Erholungszweck des Urlaubs seiner Auffassung nach nicht
pflichtung auf Urlaubsgewährung in unzulässiger Weise von gewährleistet ist (vgl. LAG Hamburg vom 21.09.2015, a.a.O.).
mehreren Bedingungen abhängig. Zwar könne eine Verurtei­ Abgesehen davon sprechen keine belastbaren Fakten dagegen,
lung auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden, dass sich der Arbeitnehmer nicht erholen kann, wenn er nur
jedoch müsse eine solche Bedingung so bestimmt sein, dass halbe Tage Urlaub nimmt (vgl. LAG Hamburg vom 21.09.2015,
ihr Eintritt zuverlässig feststellbar sei. Dies sei aufgrund der a.a.O.; LAG Niedersachsen vom 23.04.2009 – 7 Sa 1655/08,
vom Kläger formulierten abstrakten Bedingungen nicht der LAGE Nr. 45 zu § 7 BUrlG = RS0864175).
Fall; denn erstens hänge die Urlaubsgewährung von einem
Urlaubsantrag ab. Zweitens müsse den Voraussetzungen Redaktioneller Hinweis:
des § 7 Abs. 2 BUrlG Rechnung getragen werden. Drittens Volltext-Entscheidung online unter RS1247857.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2423


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Wettbewerbsverbot »DB1237546 seitige Verträge geltende Leistungsstörungsrecht Anwendung.


Sobald der Arbeitgeber mit seiner Hauptleistung (Zahlung der
Unbeabsichtigter Rücktritt vom vereinbarten Karenzentschädigung) im Verzug sei, dürfe der
nachvertraglichen Wettbewerbsverbot Arbeitnehmer nach Setzung einer angemessenen Nachfrist
mit Wirkung für die Zukunft vom nachvertrag­lichen Wettbe­
Haben die Parteien ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot werbsverbot zurücktreten. Allerdings erlösche in diesem Fall
vereinbart und kommt der frühere Arbeitgeber seiner Pflicht auch der Anspruch auf künftige Zahlung der Karenzentschä­
zur Zahlung der vereinbarten Karenzentschädigung nicht digung.
nach, kann der Arbeitnehmer mit Wirkung für die Zukunft vom Die Erklärung des Klägers, sich „an das Wettbewerbsverbot
nachvertraglichen Wettbewerbsverbot zurücktreten. In der nicht mehr gebunden zu fühlen“, sei auch als Rücktritt aus­
Folge verliert er allerdings auch den Anspruch auf die verein­ zulegen und nicht lediglich als Trotzreaktion, wie der Kläger
barte Karenzentschädigung. Das LAG Nürnberg hat in einem meinte. Auf die Frage, ob die gesetzte Nachfrist angemessen
jüngeren Urteil verdeutlicht, dass der ehemalige Arbeitnehmer war, komme es nicht an, weil nach Vortrag des Klägers die
in einer solchen Situation die Wortwahl seiner Äußerungen ge­ Beklagte die Zahlung der Karenzentschädigung ernsthaft und
nau bedenken sollte, um nicht unbeabsichtigt einen solchen endgültig verweigert habe.
Rücktritt vom nachvertraglichen Wettbewerbsverbot zu erklä­ Gleichwohl hat das LAG Nürnberg die Revision zum BAG
ren. ausdrücklich zugelassen (Az. 10 AZR 392/17), da den Anfor­
LAG Nürnberg, Urteil vom 24.05.2017 – 4 Sa 564/16 derungen an eine Rücktrittserklärung vom nachvertraglichen
Wettbewerbsverbot grundsätzliche Bedeutung zukomme.
RA/FAArbR Dr. Stephan Vielmeier ist Senior Associate im Fachbereich
Employment & Pensions bei Noerr LLP in Hamburg. III. Praxishinweise
Kontakt: autor@der-betrieb.de Die Entscheidung des LAG Nürnberg verdient Zustimmung.
Gerät der Arbeitgeber mit der Zahlung der Karenzentschä­
digung in Verzug, hat es der Arbeitnehmer in der Hand, das
I. Sachverhalt nachvertragliche Wettbewerbsverbot (ggf. nach Setzung einer
Der Kläger schied knapp zwei Jahre nach seinem Ein­ angemessenen Nachfrist) durch einseitiges Rechtsgeschäft
tritt als „Beauftragter technische Leitung“ aufgrund einer zum Erlöschen zu bringen. Der Schutz des Erklärungsgegners
Eigenkündigung zum 31.01.2016 bei der Beklagten aus. Im gebietet, es nicht seiner Spekulation zu überlassen, ob das
Arbeitsvertrag der Parteien war ein unternehmensbezogenes nachvertragliche Wettbewerbsverbot noch besteht oder nicht.
nachvertragliches Wettbewerbsverbot für die Dauer von drei Die Beklagte konnte die E­Mail vom 08.03.2016 nur so ver­
Monaten vereinbart. Der Kläger hatte hiernach Anspruch auf stehen, dass der Kläger ab sofort wieder für Wettbewerber
eine Karenzentschädigung in Höhe von 50% seiner monatlich zur Verfügung stehen wird. Dies kann der Kläger freilich nur,
zuletzt bezogenen Bezüge. wenn er sich vorher vom (trotz Zahlungsverzug der Beklagten)
Obwohl der Kläger im Februar 2016 das nachvertragliche noch bestehenden nachvertraglichen Wettbewerbsverbot
Wettbewerbsverbot befolgte, zahlte die Beklagte die verein­ löst. Anders als im Sachverhalt, der seinerzeit vom BAG zu
barte Karenzentschädigung nicht. Mit E­Mail vom 01.03.2016 beurteilen war (BAG vom 13.04.1978 – 3 AZR 822/67, DB 1978
forderte der Kläger deshalb die Zahlung der Karenzentschädi­ S. 1502; dort zu einer Lossagung des Arbeitgebers, § 75a HGB),
gung für Februar 2016 bis spätestens 04.03.2016. konnte die Beklagte die Erklärung nicht als bloße Rechtsmei­
Nachdem die Beklagte die Karenzentschädigung weiterhin nung bezüglich der Wirkung früheren Handelns verstehen,
nicht zahlte, sendete der Kläger am 08.03.2016 abermals eine sondern nur als Gestaltungserklärung. Für das Vorliegen einer
E­Mail, in der er mitteilte, „dass [er sich] ab sofort nicht mehr „Trotzerklärung“ (und die Möglichkeit für die Beklagte, dies
an das Wettbewerbsverbot gebunden fühle“. Auch danach zu erkennen), wäre der Kläger beweisbelastet gewesen (§ 118
enthielt sich der Kläger unstrittig des Wettbewerbs. BGB).
Der Kläger forderte nun die Zahlung der Karenzentschädigung Arbeitnehmern (und ihren Beratern) ist im Zusammenhang
für drei Monate; die Beklagte lehnte dies mit der Begründung mit nachvertraglichen Wettbewerbsverboten stets größte
ab, der Kläger habe sich am 08.03.2016 vom nachvertraglichen Achtsamkeit zu raten. So üben Arbeitnehmer mit unverbind­
Wettbewerbsverbot losgesagt. lichem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot oft ihr Wahl­
Das ArbG Würzburg hat die Beklagte antragsgemäß zur Zah­ recht durch eine vorschnelle Aufforderungs­E­Mail aus. Das
lung der Karenzentschädigung für die Monate Februar bis LAG Nürnberg zeigt deutlich, dass auch der Anspruch auf
April 2016 verurteilt. Karenzentschädigung durch unbedachte Äußerungen schnell
erlöschen kann.
II. Entscheidung Will der Arbeitnehmer sich indes in einer solchen Situation
Das LAG Nürnberg hat dieses Urteil abgeändert und die Klage rechtssicher vom nachvertraglichen Wettbewerbsverbot
abgewiesen, soweit der Kläger Karenzentschädigung nach lösen, ist dringend zu raten, nicht lediglich eine Nachfrist von
seiner E­Mail vom 08.03.2016 begehrte. drei Tagen, sondern eher von zwei bis drei Wochen zu setzen
Der Kläger habe zwar zunächst für den Zeitraum vom (Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, 7. Aufl. 2015, Rn. 752).
01.02.2016 bis 08.03.2016 Anspruch auf die vereinbarte Karenz­ Andernfalls droht der Einwand des Arbeitgebers, die Nachfrist
entschädigung gehabt. Mit seiner E­Mail vom 08.03.2016 habe sei nicht angemessen gewesen.
der Kläger allerdings wirksam seinen Rücktritt vom nachver­
traglichen Wettbewerbsverbot erklärt (§ 323 Abs. 1 BGB). Auf Redaktioneller Hinweis:
das nachvertragliche Wettbewerbsverbot fände das für gegen­ Volltext-Entscheidung online unter RS1247434.

2424 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Befristungsrecht »DB1249270 Recht Gebrauch gemacht, die Prüfung auf die vorangegangene
Befristung auszuweiten.
Bestätigung der Grundsätze zur Diese Befristung sei aber nach den bisherigen Feststellungen
Abordnungsvertretung des LAG nicht durch einen Sachgrund – insb. gem. § 14 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 TzBfG – gerechtfertigt. Zwar sei der erforderliche
Voraussetzung einer wirksamen Vertretungsbefristung nach Kausalzusammenhang zwischen der zeitweiligen Abordnung
§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG ist die Prognose, dass der Beschäf­ der Vertretenen und der Einstellung des Klägers als Vertre­
tigungsbedarf des Vertreters entfallen wird, weil die Stamm­ tungskraft gegeben. Daneben sei Teil des Sachgrunds der
kraft auf ihren angestammten Arbeitsplatz zurückkehren wird. Vertretungsbefristung jedoch eine Prognose des Arbeitgebers
Ist die vorübergehende Abwesenheit der Stammkraft durch über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs
eine Organisationsentscheidung des Arbeitgebers veranlasst nach Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Allein die
(sog. Abordnungsvertretung), sind an diese Rückkehrprognose zu erwartende Beendigung der Teilzeitbeschäftigung der K
erhöhte Anforderungen zu stellen. rechtfertige diese Prognose nicht. Denn die Rückkehr der K
BAG, Urteil vom 12.04.2017 – 7 AZR 436/15 auf den vom Kläger eingenommenen Arbeitsplatz in der Brief­
zustellung hänge maßgeblich auch davon ab, wie die Beklagte
RA Dr. Philipp Winter, LL.B. ist tätig bei Baker McKenzie Partnerschaft von diese nach Rückkehr zur Vollzeit im Rahmen ihres dienst­
Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern mbB in Berlin. rechtlichen Weisungsrechts einzusetzen gedenke.
Kontakt: autor@der-betrieb.de Die Beklagte könne sich folglich nicht auf den Vortrag
beschränken, es sei davon auszugehen, die Stammkraft
K werde, sofern sie nichts Gegenteiliges erkläre, auf ihren
I. Sachverhalt ursprünglichen Arbeitsplatz zurückkehren. Zu der gebotenen
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis auf­ näheren Darlegung der Personalplanung der Beklagten habe
grund von Befristung am 30.09.2013 bzw. am 28.12.2013 geen­ das LAG aber keine hinreichenden Feststellungen getroffen.
det hat.
Der Kläger war auf der Grundlage insgesamt neun befristeter III. Praxishinweise
Arbeitsverträge in der Zeit vom 02.02.2009 bis zum 28.12.2013 Die Entscheidung zeigt eindrücklich die Anforderungen auf,
bei der Beklagten als Briefzusteller in Vollzeit beschäftigt. Im die das BAG an die gebotene Rückkehrprognose im Rahmen
selben Bereich war auch die K ebenfalls in Vollzeit tätig. Auf der Abordnungsbefristung als Unterfall der Vertretungsbefris­
Antrag der K wurde ihre Arbeitszeit von 38,5 auf 20 Wochen­ tung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 TzBfG stellt. Sie knüpft dabei an die
stunden reduziert, zunächst bis zum 30.09.2013 und später bisherige Rechtsprechungslinie an (vgl. BAG vom 16.01.2013 –
bis zum 30.09.2014. Im Rahmen dieser Teilzeitbeschäftigung 7 AZR 662/11, DB 2013 S. 997).
wurde K nunmehr in der Postfachverteilung eingesetzt. Die Abordnungsvertretung ist dadurch gekennzeichnet, dass
Der Kläger schloss zum 09.01.2013 mit der Beklagten einen der Vertretungsbedarf nicht durch eine „fremdbestimmte“
bis zum 30.09.2013 befristeten Arbeitsvertrag „zur Vertre- Abwesenheit der Stammkraft veranlasst wird. Die Stammkraft
tung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters fehlt nicht etwa wegen Krankheit oder Elternzeit, sondern
K“. Gegen diese Befristung erhob er am 13.09.2013 Klage vor aufgrund einer Organisationsentscheidung des Arbeitgebers.
dem Arbeitsgericht. Zum 30.09.2013 unterzeichnete er einen Dieser weist der Stammkraft vorübergehend andere Aufgaben
weiteren, bis zum 28.12.2013 befristeten Arbeitsvertrag, unter zu und stellt sodann zur Erledigung der eigentlichen Aufgaben
dem handschriftlich vermerkten Vorbehalt der rechtlichen der Stammkraft befristet einen Vertreter ein.
Klärung der Wirksamkeit der Befristung vom 09.01.2013. Die Aus dem Umstand, dass der Vertretungsbedarf in Fällen der
anhängige Klage wurde am 16.01.2014 um die Prüfung der Abordnungsvertretung für den Arbeitgeber nicht fremdbe­
Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses zum stimmt ist, leitet der 7. Senat gesteigerte Anforderungen an
28.12.2014 erweitert. Der Kläger vertrat hierbei die Auffas­ die Rückkehrprognose ab. Der Arbeitgeber kann hier gerade
sung, die Befristungen seien nicht wegen der Vertretung der K nicht darauf verweisen, der Arbeitnehmer werde, sofern er
gerechtfertigt. nichts Gegenteiliges erklärt habe, auf seinen angestammten
Das ArbG Frankfurt/M. (vom 12.03.2014 – 14 Ca 6652/13) gab Arbeitsplatz zurückkehren. Denn wie schon die Abordnung
der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LAG selbst, steht auch die Rückkehr der Stammkraft unter dem
Hessen (vom 20.05.2015 – 6 Sa 723/14) das Urteil abgeändert Einfluss des Arbeitgebers. Dieser muss folglich seine Planungs­
und die Klage abgewiesen. und Organisationsentscheidungen darlegen, aus welcher sich
bereits im Zeitpunkt der Befristungsabrede ergibt, dass der
II. Entscheidung Beschäftigungsbedarf für den Vertreter nach dem Ende der
Auf die Revision des Klägers hat das BAG das Urteil des LAG Abordnung wieder entfallen wird.
Hessen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Anknüpfungspunkte können u.a. der Zweck der Abordnung
Entscheidung zurückverwiesen. oder auch der Wille des Abgeordneten selbst sein. In jedem
Der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle unterliege auch Fall ist der Praxis vor dem Hintergrund der Rspr. des 7. Senats
die im (vorletzten) Arbeitsvertrag vereinbarte Befristung bis aber zu empfehlen, in den Fällen der Abordnungsvertretung
zum 30.09.2013. Zwar sei bei mehreren aufeinanderfolgenden die Umstände sorgfältig zu dokumentieren, aus denen die
befristeten Arbeitsverträgen grds. nur die letzte Befristung auf Rückkehrprognose hergeleitet werden kann.
ihre Rechtfertigung zu überprüfen. Die Parteien hätten jedoch
durch den zunächst vom Kläger erklärten und sodann von der Redaktioneller Hinweis:
Beklagten konkludent angenommenen Vorbehalt von ihrem Volltext-Entscheidung online unter RS1246014.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2425


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Gleichbehandlung/Öffentlicher Dienst »DB1244338 Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderten
Qualifikationen zu entscheiden. Allerdings dürfe er nur solche
Auswirkungen eines nicht ordnungsgemäßen Anforderungen an Bewerber stellen, die nach den Erfordernis­
Auswahlverfahrens auf die Stellenbesetzung sen der wahrzunehmenden Aufgaben nachvollziehbar seien.
Die Beklagte habe den Kläger nicht wegen eines fehlenden
Wie ratsam die arbeitgeberseitige Sorgfalt sowohl bei der For­ Studiums in den MINT­Fächern ablehnen können, denn die zu
mulierung von Stellenanzeigen als auch bei der Durchführung besetzende Stelle rechtfertige keine Einschränkung auf der­
des Auswahlverfahrens ist, zeigt eine Entscheidung des LAG artige Studiengänge. Die Stellenausschreibung spreche selber
Köln. Das Gericht untersagte dem Arbeitgeber im einstweili­ nur von „vorzugsweise“ und lasse auch beamtete Bewerber des
gen Rechtsschutz zugunsten des abgewiesenen Bewerbers höheren Dienstes zu, die über ein solches Hochschulstudium
die – auch nur vorläufige – Besetzung der ausgeschriebenen nicht verfügen müssten. Wenn aber bei beamteten Bewerbern
Stelle. das Fehlen einer entsprechenden Fachqualifikation unschäd­
LAG Köln, Urteil vom 12.04.2017 – 5 SaGa 4/17 lich sei, müsse dies auch für nicht beamtete Bewerber gelten.
Die Stellenbesetzung habe zudem zu unterbleiben, weil der
RAin/FAinArbR Kathrin Vossen ist Partnerin bei Oppenhoff & Partner in Kläger als schwerbehinderter Mensch nicht zum Vorstellungs­
Köln. gespräch eingeladen worden sei. Der Einladungsanspruch
Kontakt: autor@der-betrieb.de nach § 82 Satz 2 SGB IX bestehe nur dann nicht, wenn die
fachliche Eignung offensichtlich fehle; dies sei nicht der Fall.
Überdies stelle die Versagung der Chance, sich beim öffent­
I. Sachverhalt lichen Arbeitgeber vorzustellen, eine unmittelbare Benachtei­
Die Parteien stritten im Rahmen eines Eilverfahrens über die ligung wegen der Behinderung dar.
Verpflichtung des beklagten Arbeitgebers, eine ausgeschrie­
bene Stelle bis zum Abschluss eines neu durchzuführenden III. Praxishinweise
Auswahlverfahrens unter ordnungsgemäßer Einbeziehung Die Entscheidung des LAG Köln führt eindrucksvoll vor
des Klägers freizuhalten. Augen, dass der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres durch „über­
Der mit einem GdB von 80 schwerbehinderte Kläger bewarb sich holende“ Stellenbesetzung Fakten schaffen kann, mit denen
unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung auf eine Stelle, die andere Bewerber final vom Auswahlverfahren ausgeschlossen
die Beklagte als zentraler IT­Dienstleister der Bundesverwaltung werden. Hier mögen zwar Besonderheiten des öffentlichen
ausgeschrieben hatte. In der Stellenausschreibung wurde ein Arbeitgebers von Bedeutung sein, jedoch lassen sich Lehren
erfolgreich abgeschlossenes einschlägiges wissenschaftliches aus dieser Entscheidung auch für die Privatwirtschaft ziehen.
Hochschulstudium „vorzugsweise“ in den MINT­Fächern oder in Dies gilt zunächst für die Definition des Anforderungsprofils.
vergleichbaren Studiengängen sowie nachgewiesene mehrjährige Zwar kann der Arbeitgeber die Anforderungen, die er an die
Erfahrung im IT­Bereich der öffentlichen Verwaltung bzw. der Qualifikation eines Bewerbers für eine zu besetzende Stelle
Privatwirtschaft gefordert. Auch beamteten Bewerbern stand die richtet, grds. selbst definieren. Die Grenze dieser Definitions­
Stelle offen. Der Kläger verfügte als promovierter Diplomkauf­ freiheit bildet aber in jedem Fall der notwendige Sachbezug der
mann über Berufserfahrung bei verschiedenen Unternehmen Anforderungen zu den wahrzunehmenden Tätigkeiten. Besteht
der Privatwirtschaft und war zum Zeitpunkt der Bewerbung als dieser Sachbezug nicht, kann die Ablehnung eines Bewerbers
Referent im IT­Umfeld des Justizministeriums NRW beschäftigt. aus diesem Grund angreifbar sein. Deutlich wird überdies, dass
Die Bewerbung des Klägers lehnte die Beklagte ab, ohne ihn zu die Ablehnungsmöglichkeiten des Arbeitgebers abnehmen, je
einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben. Die Beklagte unbestimmter die Stellenanforderungen formuliert werden.
wählte statt des Klägers einen Beamten ihres Hauses aus. Das andere, was die Entscheidung des LAG Köln lehrt, ist die Not­
Der Kläger begehrte im Rahmen des einstweiligen Rechts­ wendigkeit, bei der Bewerbung schwerbehinderter Menschen
schutzes die Unterlassung der Stellenbesetzung. Trotz Eig­ eine gesteigerte Sorgfalt walten zu lassen. Mag die Verpflichtung,
nung sei seine Bewerbung nicht ausreichend berücksichtigt den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsge­
worden. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass der Kläger spräch einzuladen, grds. nur den öffentlichen Arbeitgeber treffen
weder über ein einschlägiges Hochschulstudium in den MINT­ (vgl. § 82 SGB IX), hält § 81 SGB IX auch für die Privatwirtschaft
Fächern noch über langjährige Erfahrung bei der Führung umfangreiche Verfahrensvorschriften bereit, deren Einhaltung
großer IT­Einrichtungen verfüge und daher offensichtlich dem privaten Arbeitgeber nur anempfohlen werden kann. Denn
nicht für die Stelle geeignet sei. nach der Rspr. des BAG gilt eine Verletzung der durchaus kom­
plexen Verfahrensvorschriften des § 81 Abs. 1 SGB IX bereits als
II. Entscheidung Indiz für eine Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung
Das LAG Köln gab dem Antrag des Klägers statt und unter­ und gibt dem schwerbehinderten Arbeitgeber damit die Mög­
sagte der Beklagten die Stellenbesetzung bis zum Abschluss lichkeit, unter erleichterten Beweisbedingungen eine Entschä­
eines neu durchzuführenden Auswahlverfahrens. digung gem. § 15 AGG vom Arbeitgeber einzuklagen. Hilfreich
Jeder Deutsche habe nach Art. 33 Abs. 2 GG nach seiner Eig­ für den Arbeitgeber ist in diesem Kontext wie auch in anderen
nung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang Zusammenhängen bekanntlich stets die Erfüllung der Beschäf­
zu jedem öffentlichen Amt. Dieser Bewerbungsverfahrensan­ tigungsquote nach § 71 SGB IX, um sich zwecks Entlastung einen
spruch beinhalte u.a. das Recht auf rechtsfehlerfreie Einbezie­ größeren argumentativen Spielraum zu eröffnen.
hung in die Bewerberauswahl sowie auf deren Durchführung
nach den genannten Auswahlkriterien. Auch dem öffentlichen Redaktioneller Hinweis:
Arbeitgeber sei es zwar grds. unbenommen, frei über den der Volltext-Entscheidung online unter RS1242420.

2426 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


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Betriebsverfassungsrecht »DB1249134 der Arbeitgeber diese aufgrund einer öffentlich­rechtlichen


Rahmenvorschrift zu treffen hat und ihm bei der Gestaltung
Begrenzte Mitbestimmung des Betriebsrats Handlungsspielräume verbleiben. Das BAG betonte aber noch
beim Gesundheitsschutz einmal, dass weit gefasste Generalklauseln wie § 3 Abs. 1 Satz 1
ArbSchG mit Blick auf die weiteren Mitbestimmungsregeln
Wann unterliegen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz nach einschränkend ausgelegt werden müssen. Eine Mitbestim­
§ 3 Abs. 1 ArbSchG der Mitbestimmung des Betriebsrats? Muss mung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG greife zwar nicht nur
eine konkrete Gefahr vorliegen oder reicht schon eine abs­ bei konkreten Gefahren, setze zumindest aber das Vorliegen
trakte Gefährdung aus? Unter anderem mit dieser in der Praxis von konkreten Gefährdungen i.S.v. § 5 Abs. 1 ArbSchG voraus.
kontrovers diskutierten Frage hat sich das BAG in einer kürzlich Diese müssen entweder feststehen oder sind im Rahmen einer
veröffentlichten Entscheidung befasst. Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festzustellen. Erst
BAG, Beschluss vom 28.03.2017 – 1 ABR 25/15 dann besteht eine konkrete gesetzliche Handlungspflicht des
Arbeitgebers und, soweit bei deren Umsetzung ein Hand­
RAin/FAinArbR Christina Kamppeter, LL.M. ist Partnerin bei Beiten lungsspielraum verbleibt, auch ein Mitbestimmungsrecht des
Burkhardt Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in München. Betriebsrats. § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 5 ArbSchG sind danach
Kontakt: autor@der-betrieb.de untrennbar miteinander verknüpft. Angemessene und geeig­
nete Schutzmaßnahmen lassen sich erst ergreifen und gericht­
lich überprüfen, wenn das Gefährdungspotenzial bekannt
I. Sachverhalt ist. Bevor ein Arbeitgeber die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG
Ein Textilunternehmer mit einer Filiale u.a. in Berlin hatte erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berück­
sich mit dem dortigen Betriebsrat aus nicht näher bekannten sichtigung der Umstände, welche die Sicherheit und Gesund­
Gründen auf die Errichtung einer Einigungsstelle zur umfas­ heit der Beschäftigten beeinflussen, treffen kann, muss daher
senden Erledigung aller Themen des Gesundheitsschutzes ver­ eine Gefährdungsbeurteilung vorliegen.
ständigt. Am 16.01.2014 erließ die Einigungsstelle durch einen Des Weiteren stellte das BAG klar, dass dies auch für eine Mit­
Teilspruch eine „Betriebsvereinbarung über akute Maßnah- bestimmung des Betriebsrats etwa nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG
men des Gesundheitsschutzes“. Diese Betriebsvereinbarung i.V.m. § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV, §§ 4, 5 und 6 B
­ etrSichV oder
enthielt einen bunten Strauß an Maßnahmen zum Gesund­ § 7 LärmVibrationsArbSchV gilt.
heitsschutz. Sie reichten von Grundsätzen zur Einarbeitung Da im entschiedenen Fall keine Gefährdungen festgestellt wor­
von Mitarbeitern über die Begrenzung stehender Arbeit bis den waren und diese nicht durch die Einigungsstelle selbst
hin zur Bereitstellung von Hilfsmitteln. Die Maßnahmen festgestellt werden können, schied ein Mitbestimmungsrecht
waren allesamt nicht aufgrund einer konkreten Gefahr oder des Betriebsrats für die streitigen Regelungen aus und damit
einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung angezeigt. Die auch die Spruchkompetenz der Einigungsstelle.
Einigungsstelle hatte sich vielmehr selbst ein Bild über die
vermeintlich bestehenden Gefährdungen gemacht. III. Praxishinweise
Der Arbeitgeber griff den Spruch der Einigungsstelle an. Da Mit dieser Entscheidung legt das BAG klare Grenzen zum Mit­
in dem Betrieb keine unmittelbaren Gesundheitsgefahren bestimmungsrecht beim Gesundheitsschutz fest und sorgt so
bestünden und eine bloße Gefährdung nicht ausreiche, bestehe für Rechtsklarheit. Es erteilt allerdings der wohl herrschenden
auch nach den arbeitsschutzrechtlichen Generalklauseln (wie Meinung, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG – wie seine Vorgän­
etwa § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG) kein Mitbestimmungsrecht des gervorschriften – eine konkrete Gefahr für ein Mitbestim­
Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zur Festlegung der in mungsrecht des Betriebsrats verlange, eine klare Absage und
der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Maßnahmen. distanziert sich ausdrücklich von dahingehend verstandenen
Mit seiner Klage blieb der Arbeitgeber in der ersten Instanz Entscheidungen des Senats. Man könnte daher sagen, dass das
erfolglos, setzte sich in der zweiten Instanz vor dem LAG Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nunmehr entgrenzt
Berlin­Brandenburg (Beschluss vom 25.03.2015 – 23 TaBV besteht, da nicht nur bei konkreten Gefahren, sondern auch
1448/14, RS1049369) aber weitestgehend durch. bereits bei Gefährdungen ein Mitbestimmungsrecht des
Betriebsrats bestehen kann und dieser bei Maßnahmen auf­
II. Entscheidung grund einer Gefährdungsbeurteilung mitzubestimmen hat.
Das BAG stellte die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung Dies jedenfalls soweit dem Arbeitgeber ein Handlungsspiel­
aus zwei Gründen fest: raum verbleibt. Erfahrungsgemäß – und dies zeigt auch der
Es befand die Betriebsvereinbarung zunächst für unwirksam, vorliegende Fall – wurden in der Vergangenheit beim Gesund­
da die Einigungsstelle bereits nicht ordnungsgemäß eingesetzt heitsschutz in der Praxis teilweise aber sehr weitreichende
worden war und daher keine Spruchkompetenz besaß. Der ihr Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats angenommen, sodass
erteilte Auftrag war zu weit gefasst. Das BAG stellte insofern erfreulich ist, dass das BAG nunmehr klare Grenzen geschaf­
klar, dass der Regelungsauftrag einer Einigungsstelle so kon­ fen hat.
kret gefasst sein muss, dass diese selbst beurteilen kann, worin Die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG wird mit dieser
der an sie gerichtete Auftrag besteht und wann er beendet ist. Entscheidung in der Praxis zum Dreh­ und Angelpunkt, und
Des Weiteren lehnte das BAG vorliegend aber auch ein Mit­ damit regelmäßig zur Voraussetzung der Mitbestimmung des
bestimmungsrecht des Betriebsrats (u.a. nach § 87 Abs. 1 Betriebsrats beim Gesundheitsschutz.
Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG) ab. Nach § 87
Abs. 1 Nr. 7 BetrVG habe der Betriebsrat zwar bei Regelun­ Redaktioneller Hinweis:
gen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, wenn Volltext-Entscheidung online unter RS1245971.

DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017 2427


Arbeitsrecht Entscheidungen www.der-betrieb.de

Verfahrensrecht »DB1250848 vornherein aus, wenn durch die Aussage die Durchsetzung eines
eigenen Anspruchs des Zeugen erschwert werden könnte. Dies
Zeugnisverweigerungsrecht bei unmittelbarer kann insb. in Betracht kommen, wenn der Zeuge durch seine
Kausalität zwischen Aussage und vermögens- Aussage dem Anspruchsgegner bisher unbekannte und von die­
rechtlichem Schaden sem vorzubringende rechtshindernde oder rechtsvernichtende
Einwendungen offenbaren müsste.
ZPO § 138 Abs. 1 und 2, § 384 Nr. 1
Das Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 Nr. 1 ZPO be­ Keine Pflicht zu selbstschädigenden Handlungen
steht nicht hinsichtlich solcher Angaben, die der Zeuge 6 2. [...] In dem Konflikt des Zeugen zwischen Aussage­ und Wahr­
in seinem späteren Aktivprozess in Erfüllung der ihm heitspflicht und der Gefahr einer eigenen Belastung wird dem
obliegenden Darlegungslast von sich aus wahrheitsgemäß Zeugen durch § 384 Nr. 1 ZPO das Recht eingeräumt, bestimmte
(§ 138 Abs. 1 ZPO) vortragen müsste, und solcher Um­ Aussagen zu verweigern. Niemand soll aus seiner Zeugnispflicht
stände, deren Vorliegen die Gegenpartei behauptet und zu selbstschädigenden Handlungen gezwungen werden (BVerfG
zu denen sich der Zeuge bei entsprechendem Vortrag im vom 15.06.1992 – 1 BvR 1047/90, RS0816383; BGH vom 26.10.2006,
Prozess gem. § 138 Abs. 2 ZPO erklären müsste. a.a.O., Rn. 7). Dem trägt die Bestimmung des § 384 ZPO Rechnung,
BAG, Beschluss vom 02.08.2017 – 9 AZB 39/17 die den Schutz des Zeugen vor nachteiligen Folgen seiner eigenen
wahrheitsgemäßen Aussage bezweckt. Der Zeuge muss seine
1 ... 3 I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vermögensrechtlichen Interessen denen der beweisführenden
außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Partei nicht unterordnen (BGH vom 26.10.2006, a.a.O.). Eine nicht
Beklagten vom 17.07.2015. Dieser stützt die Kündigung auf den aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunfts­
Vorwurf, die Klägerin habe am 21.04.2015 unter ihrem Benut­ erteilung besteht selbst für die Parteien des Rechtsstreits nicht. ...
zernamen und unter Beteiligung des drittbeteiligten Zeugen Nach Treu und Glauben können Auskunftsansprüche beste­
unzutreffend Herrn H als Vereinsmitglied unter Angabe einer hen. [...]
seit dem Jahr 2004 bestehenden Vereinsmitgliedschaft in das
elektronische Mitgliederverzeichnis aufgenommen und damit Darlegungslast in dem sich anschließenden Aktivprozess
dessen Kandidatur als Vorstandsmitglied bei den bevorste­ 7 3. Die drohende Nichtrealisierung einer [...] ihren Anspruchs­
henden Vorstandswahlen ermöglicht. voraussetzungen nach bereits nicht bestehenden Forderung
Das ArbG hat am 19.12.2016 den drittbeteiligten Zeugen kommt demgegenüber nicht als ein vermögensrechtlicher
vernommen. Auf die Frage, ob er Herrn H in das Mitglieder­ Schaden in Betracht, der mit einer Zeugenaussage unmit­
verzeichnis aufgenommen habe, hat er sich auf ein Zeugnisver­ telbar i.S.v. § 384 Nr. 1 ZPO in Zusammenhang steht. Das
weigerungsrecht berufen. Zur Begründung hat er ausgeführt, Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 Nr. 1 ZPO schließt die
dass er den Beklagten auf noch ausstehendes Honorar verkla­ grundsätzliche Verpflichtung zur Zeugenaussage nicht hin­
gen werde. Der Beklagte habe sein Anstellungsverhältnis im sichtlich solcher Angaben aus, die der Zeuge in einem späteren
Juli 2015 fristlos gekündigt. Im Fall der Unwirksamkeit der Rechtsstreit in Erfüllung seiner Darlegungslast von sich aus
außerordentlichen Kündigung könne er die auf die ordentliche wahrheitsgemäß (§ 138 Abs. 1 ZPO) vortragen müsste. Ent­
Kündigungsfrist entfallende Vergütung beanspruchen. ... sprechendes gilt für Umstände, deren Vorliegen die Gegenseite
behauptet und zu denen sich der Zeuge bei entsprechendem
AUS DEN GRÜNDEN Vortrag im Prozess gem. § 138 Abs. 2 ZPO erklären müsste. In
4 II. [...] Der drittbeteiligte Zeuge ist nicht zur Zeugnisver­ diesen Fällen ist nicht die Zeugenaussage unmittelbar kausal
weigerung gem. § 384 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf die Frage, ob für die erschwerte Durchsetzung der Forderung, sondern die
er Herrn H in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen hat, allgemein zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen über
berechtigt. die Verteilung der Darlegungs­ und Beweislast im Zivilprozess.

Kein unmittelbar drohender vermögensrechtlicher Erklärungspflicht gem. § 138 Abs. 2 ZPO


Schaden 8 ... 9 4. Gemessen daran droht dem drittbeteiligten Zeugen durch
5 1. Nach § 384 Nr. 1 ZPO besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht die Beantwortung der Frage, ob er Herrn H in das elektronische
über Fragen, deren Beantwortung u.a. dem Zeugen einen unmit­ Mitgliederverzeichnis aufgenommen habe, kein unmittelbarer
telbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde. vermögensrechtlicher Schaden. Seine Aussage kann die Durch­
Der vermögensrechtliche Schaden für den Zeugen muss eine setzung eines berechtigten Anspruchs nicht erschweren. [...]
unmittelbare Folge der Beantwortung der Frage sein (OLG Saar­ Zumindest im Fall der Wirksamkeit der gegen ihn ausgebrachten
brücken vom 22.04.2014 – 4 W 3/14, zu II. 1. a), RS0959585; Stein/ fristlosen Kündigung stehen ihm keine Ansprüche auf Annahme­
Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 384 Rn. 3 [...]). Ein unmittelbarer verzugsvergütung zu. Der Beklagte geht unabhängig von einer
Schaden droht, wenn die Beantwortung einer Frage die tatsäch­ Aussage des drittbeteiligten Zeugen bereits heute davon aus,
lichen Voraussetzungen für eine Haftung des Zeugen als Schuld­ dass dieser an der behaupteten Manipulation beteiligt war. [...]
ner, Mitschuldner, Bürge, Regressschuldner etc. begründet oder Beruft sich der Beklagte als Kündigungsgrund auf eine (direkte
die Durchsetzung einer schon bestehenden Verpflichtung durch oder indirekte) Manipulation des Mitgliederverzeichnisses durch
das Beweismittel der Aussage erleichtert werden könnte (vgl. den drittbeteiligten Zeugen, hat sich dieser gem. § 138 Abs. 2 ZPO
BGH vom 26.10.2006 – III ZB 2/06, Rn. 7, RS0721683; Stein/Jonas/ hierzu vollständig und insb. wahrheitsgemäß zu erklären. ...
Berger, a.a.O. [...]). Der durch § 384 Nr. 1 ZPO vermittelte Schutz
vor den nachteiligen Folgen einer wahrheitsgemäßen Aussage Redaktioneller Hinweis:
schließt ein Zeugnisverweigerungsrecht auch dann nicht von Volltext-Entscheidung online unter RS1250848.

2428 DER BETRIEB Nr. 41 13.10.2017


Meldungen

MELDUNGEN
schen Wirtschaft Köln (IW). Seit Jahren stecken Bund und
Länder zu wenig Geld in die Infrastruktur. Gesperrte Auto-
bahn- und Eisenbahnbrücken, Schleusen aus der Kaiserzeit,
Täglich aktuelle Meldungen finden Sie auf aber auch fehlende Glasfasernetze sind die Folge. Dementspre-
www.der­betrieb.de und in der App DB Live chend hält sich fast jedes fünfte Unternehmen aufgrund der
schlechten Infrastruktur mit Investitionen zurück. Die hohen
Energiepreise sind für rund 36% der größeren Unternehmen
ein Grund, Investitionen zu verschieben.

Deutsche Unternehmen bei Steuer benachteiligt


Zudem müssen die Unternehmen in Deutschland mit bis zu
BETRIEBSWIRTSCHAFT 30% besonders hohe Steuern zahlen. Der EU-Schnitt liegt bei
21,5%. Das größte Hindernis aber sind Regulierungen und die
Geldwäsche: WPK­Anordnungen zu internen starre Bürokratie – für mehr als jede zweite befragte Firma ist
­Sicherungsmaßnahmen dies eine Investitionsbremse. Außerdem sind in der vergange-
Die Wirtschaftsprüferkammer (WPK) hat ihre Anordnungen nen Legislaturperiode die Belastungen durch Mindestlohn und
zu den internen Sicherungsmaßnahmen sowie zur Bestellung neue Rentenregelungen sogar noch gestiegen.
eines Geldwäschebeauftragten an das am 26.06.2017 in Kraft (Eurostat und IW Köln, PM vom 05.10.2017 / Online-Redaktion)
getretene, neu gefasste Geldwäschegesetz angepasst.
Die Größenmerkmale, nach denen eine Praxis von den in
der Anordnung genannten internen Sicherungsmaßnahmen STEUERRECHT
befreit ist beziehungsweise die Pflicht zur Bestellung eines
Geldwäschebeauftragten besteht, bleiben unverändert (Tätig- DBA Schweiz: Zur Besteuerung eines leitenden
keit von 10 beziehungsweise 30 Berufsträgern für die Praxis). Angestellten
Materielle Änderungen gibt es in folgenden Bereichen: Das FG Baden-Württemberg hat sich mit der Zugehörigkeit
■■ Die Anordnung zu den internen Sicherungsmaßnahmen einer mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne Funktions­
wurde um die Neuregelungen im Katalog des § 6 GwG er- bezeichnung im Schweizer Handelsregister eingetragenen
gänzt, so dass bei Nichtüberschreitung des oben genannten Person zu dem von Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz erfass­
Größenmerkmals (10 Berufsträger) auch insoweit eine Be- ten Personenkreis der sog. "leitenden Angestellten" befasst.
freiung greift. Der verheiratete Kläger ist von Beruf Diplom-Kaufmann
■■ Ausgenommen bleiben interne Sicherungsmaßnahmen und lebt mit seiner Ehefrau in Deutschland, wo er zur Ein-
nach § 6 Abs. 6 GwG (Anfragen der Zentralstelle für Finanz- kommensteuer veranlagt wird. Seit 1979 ist der Kläger in der
transaktionsuntersuchungen zur Identität von Personen, Schweiz bei einer Aktiengesellschaft (W-AG) nichtselbststän-
mit denen eine Geschäftsbeziehung unterhalten wurde, so- dig beschäftigt. Seit 2002 ist er innerhalb des W-Konzerns
wie zur Art der Geschäftsbeziehung). der „Corporate Executive Group“ (CEG) zugeordnet. Die CEG
■■ Hinsichtlich der Befreiung von internen Sicherungsmaßnah- umfasst die höchste Managementstufe des W-Konzerns, ist
men nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 GwG (Schaffung von gruppenwei- aber kein Leitungsgremium mit Kompetenzen. 2008 erteilte
ten Verfahren nach § 9 GwG) ist auf die Anzahl der in der der Verwaltungsrat der W-AG dem Kläger „die Kollektivunter-
Gruppe (§ 1 Abs. 16 GwG) tätigen Berufsträger abzustellen. schrift zu zweien (einschließlich der Prokura)“. Im Jahr 2009
■■ Auch für die Frage, ob für sämtliche gruppenangehörigen wurde der Kläger mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne
Einheiten ein Geldwäschebeauftragter zu bestellen ist, Funktionsbezeichnung im Handelsregister eingetragen.
kommt es auf die Anzahl der in der Gruppe tätigen Berufs-
träger an. Mehr Nichtrückkehrtage führten zur Besteuerung
(WPK vom 06.10.2017 / Online-Redaktion) Im Streitjahr 2012 kehrte der Kläger an mehr als 60 Arbeits-
tagen nicht an seinen Wohnsitz in Deutschland zurück
(Nichtrückkehrtage). Unstreitig war auch, dass der Kläger an
EU: Investitionsquote bei 23,2 Prozent 63 von 240 Arbeitstagen seine Tätigkeit in Drittstaaten und
Im zweiten Quartal 2017 lag die Investitionsquote der Un­ im Inland ausgeübt hatte. Das Finanzamt wollte den hierauf
ternehmen im Euroraum bei 23,2%, gegenüber 22,9% im entfallenden Anteil (63/240) der Besteuerung unterwerfen.
Vorquartal. Die Gewinnquote der Unternehmen im Euro­
raum betrug im zweiten Quartal 2017 40,8%, gegenüber Einkünfte sind gem. DBA freizustellen
40,5% im ersten Quartal 2017. Das Finanzgericht gab der hiergegen erhobenen Klage mit Urteil
Diese Daten stammen aus einer ersten Veröffentlichung vom 13.07.2017 (3 K 2439/14) statt. Die Einkünfte des Klägers aus
von saisonbereinigten vierteljährlichen europäischen Sektor- nichtselbstständiger Arbeit würden nicht der Besteuerung in
konten durch Eurostat, das statistische Amt der Europäischen Deutschland unterliegen, auch nicht soweit sie auf Tätigkeiten
Union, und die Europäische Zentralbank (EZB). des Klägers in Drittstaaten und in Deutschland entfielen. Der
Kläger sei „leitender Angestellter“ im Sinne des Art. 15 Abs. 4
Jedes fünfte Unternehmen hält Investitionen zurück des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz (DBA-
Staat und Unternehmen in Deutschland investieren allerdings Schweiz), weshalb seine gesamten Einkünfte aus unselbststän-
zu wenig, kritisiert eine aktuelle Studie des Instituts der deut- diger Arbeit von der deutschen Besteuerung freizustellen seien.

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M17


MELDUNGEN

Danach können vorbehaltlich des – hier nicht einschlägigen – Gewerbeverlust nicht auf die Personengesellschaft übertragen
Art. 15a DBA-Schweiz die Einkünfte einer in Deutschland ansäs- werden könne, weil die sachliche Gewerbesteuerpflicht der
sigen Person aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Kapitalgesellschaft kraft ihrer Rechtsform bestehen bleibe,
Geschäftsführer oder Prokurist einer in der Schweiz ansässigen auch wenn sich durch den Betriebsübergang deren Tätigkeit nur
Kapitalgesellschaft in der Schweiz besteuert werden. Der Kläger noch auf das Halten des Mitunternehmeranteils beschränke.
gehöre diesem abschließend aufgezählten Personenkreis an. Er
habe zivilrechtlich über die Vertretungsmacht eines Direktors Verlustabzug steht Mitunternehmern zu
(mindestens jedoch über die eines Prokuristen) verfügt. Das FG Stuttgart widersprach dieser Auffassung mit Urteil vom
30.01.2017 (10 K 3703/14). Die Kürzung des Gewerbeertrags um
Vertretungsmacht von Direktoren Verluste aus früheren Erhebungszeiträumen setze Unterneh-
Die als „Kollektivunterschrift zu zweien“ erteilte Vertretungs- mens- und Unternehmeridentität voraus. Die Unternehmer­
macht bezeichne im schweizerischen Zivilrecht regelmäßig identität sei gewahrt. Bei einer Personengesellschaft seien die
die organschaftliche Vertretungsmacht von Direktoren. Bei Gesellschafter, die unternehmerisches Risiko tragen und unter-
einer Eintragung mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne nehmerische Initiative ausüben können, (Mit-)Unternehmer
Bezeichnung einer Funktion lasse sich die Vertretungsmacht des Betriebs. Das Recht zum Verlustabzug stehe daher sachlich
der betreffenden Person daher nach „oben“ (kein Mitglied des nicht der Personengesellschaft, sondern den an ihr beteiligten
Verwaltungsrats) und nach „unten“ (keine Stellung als Prokurist Mitunternehmern zu. Für die Einbringung eines Betriebes in
oder Handlungsbevollmächtigter) eingrenzen. Die Beschrän- eine Personengesellschaft bedeute dies, dass der in dem Unter-
kung der Unterschriftsberechtigung des Klägers auf die Kollek- nehmen vor Einbringung entstandene Fehlbetrag auf Ebene
tivunterschrift zu zweien führe zu keiner anderen Beurteilung. der Personengesellschaft auch weiterhin insgesamt, jedoch nur
Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz enthalte keine Einschränkung auf von dem Betrag abgezogen werden könne, der vom gesamten
eine dem Unterschriftsberechtigten oder Prokuristen erteilte Gewerbeertrag entsprechend dem Gewinnverteilungsschlüssel
Berechtigung zur Einzelvertretung. auf den oder die einbringenden Mitunternehmer entfalle. Im
Streitfall hätten der W-AG als alleiniger Mitunternehmerin
Fehlender Handelsregistereintrag ist nicht schädlich aufgrund des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels 100%
Dass der Kläger ohne Funktionsbezeichnung im Handelsregister des Gewinns der W-KG zugestanden.
eingetragen sei, stehe seiner Einbeziehung in den in Art. 15 Abs. 4
DBA-Schweiz genannten Personenkreis nicht entgegen. Die Unternehmensidentität war erhalten geblieben
Eintragung mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ genüge den Die erforderliche Unternehmensidentität vor und nach Ein-
Anforderungen von § 19 Abs. 2 der Verordnung zur Umsetzung bringung beim Übergang des Geschäftsbetriebes der W-AG
von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik in die W-KG sei ebenfalls erhalten geblieben. Im Streitfall sei
Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft. der gesamte operative Geschäftsbetrieb der W-AG eingebracht
Gegen das Urteil ist Revision beim BFH anhängig (I R 60/17). und von der W-KG unverändert fortgeführt worden. Entgegen
(FG Baden-Württemberg, NL vom 06.10.2017 / Online-Redaktion) der einseitig auf die Ebene der Kapitalgesellschaft verengten
Sichtweise der Finanzverwaltung bleibe das Merkmal der
Unternehmensidentität bei der Einbringung eines Betriebes
FG Stuttgart zum gewerbesteuerlichen Verlustabzug in eine Personengesellschaft auch dann von Bedeutung, wenn
Bei Einbringung eines Betriebes von einer Kapital- in eine Einbringender eine Kapitalgesellschaft sei. Zwar sei es richtig,
Personengesellschaft ist der bei der Kapitalgesellschaft vor dass eine Kapitalgesellschaft schon wegen ihrer Rechtsform
Einbringung entstandene Verlustvortrag auf Ebene der Per­ immer ein Gewerbesteuersubjekt sei, sodass bei ihr auch
sonengesellschaft weiterhin zu berücksichtigen, entschied nach der Einbringung ein Gewerbebetrieb vorliege. Daraus
das FG Stuttgart. zu schließen, dass das Merkmal der Unternehmensidentität
Die W-AG und die W-KG hatten 2009 einen Ausgliede- grundsätzlich bedeutungslos sei, betrachte das Problem jedoch
rungs- und Übernahmevertrag abgeschlossen, mit dem der nur aus der Sicht der Kapitalgesellschaft und lasse die Ebene
gesamte Geschäftsbetrieb der W-AG auf die W-KG übertragen der aufnehmenden Personengesellschaft – bei der sich die Frage
wurde. Die W-AG war einzige Kommanditistin der W-KG und der Verlustübernahme stelle – außer Betracht. Für die Perso-
alleinige Gesellschafterin der nicht am Vermögen beteiligten nengesellschaft habe es keine Relevanz, dass auf Ebene der
Komplementär-GmbH. Die W-AG agierte in der Folgezeit nur Kapitalgesellschaft weiterhin ein Gewerbebetrieb angenommen
noch als Holdinggesellschaft. Sie wurde 2011 formwechselnd wird, der von dem eingebrachten völlig verschieden ist.
in eine GmbH, die Klägerin, umgewandelt, die hierdurch Das Finanzamt hat gegen das Urteil Revision beim BFH
als Kommanditistin in die W-KG eintrat. Die W-KG wurde eingelegt (I R 35/17).
schließlich im Jahr 2013 aufgelöst. (FG Baden-Württemberg, NL vom 06.10.2017 / Online-Redaktion)

Finanzamt versagte gewerbesteuerlichen Verlustvortrag


Im Klageverfahren wandte sich die Klägerin als Rechtsnachfol- Zeitwertkonto und Zufluss von Arbeitslohn
gerin der W-KG und der W-AG dagegen, dass es das Finanzamt Zeitwertkonto und Zufluss von Arbeitslohn: Fließt einem
abgelehnt hatte, den gewerbesteuerlichen Verlustvortrag der (Fremd)Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft Arbeits­
W-AG bei der W-KG zu berücksichtigten. Das Finanzamt ver- lohn bereits bei Zuführung zum Zeitwertkonto oder erst bei
trat die Auffassung, dass im Fall der Einbringung eines Betriebs Auszahlung aus dem Zeitwertkonto zu? Über diese Frage
durch eine Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft der hatte das FG Baden-Württemberg zu entscheiden.

M18 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


MELDUNGEN
Der Kläger war angestellter Fremdgeschäftsführer einer GmbH. Kläger aber noch keinen Anspruch gehabt. Der (frühere)
Er und die GmbH hatten im Jahr 2005 eine Vereinbarung zur Arbeitgeber habe in eigenem Namen und auf eigene Rechnung
Einführung von Zeitwertkonten geschlossen (Wertguthaben- bei einem Dritten, der Lebensversicherung, die Beträge aus
vereinbarung nach § 7b SGB IV). Diese Vereinbarung sollte es der Entgeltumwandlung angelegt. Der Kläger habe nach den
ihm ermöglichen, durch die Einzahlung eines Teiles des Gehalts versicherungsvertraglichen Bestimmungen zunächst keinen
eine spätere Freistellung von der Arbeitsleistung, z.B. für eine Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme gehabt.
Vorruhestandsregelung, eingehen zu können. Er hätte ohne Zustimmung seines Arbeitgebers nicht über
die eingezahlten Beträge wirtschaftlich verfügen können.
Was geschieht bei Arbeitgeberwechsel? Dies war nach den Vereinbarungen grundsätzlich erst in der
Für den Fall eines Arbeitgeberwechsels war vereinbart, dass Freistellungsphase möglich und damit nach der Vereinbarung
das Wertguthaben auf den neuen Arbeitgeber übertragen eines Auszahlungsplans mit dem (neuen) Arbeitgeber.
werden kann. Zur Rückdeckung schloss die GmbH bei einer
Lebensversicherung einen Vertrag über die Zeitkontenrückde- Besteuerungsaufschub auch für Zinsen
ckung mit Garantie ab (sog. Zeitarbeitskonto). In der Folgezeit Infolgedessen sei noch nicht die Gutschrift auf dem Zeitwert-
zahlte die GmbH Teile des Gehalts des Klägers direkt in das konto, sondern erst die Auszahlung aus diesem zu versteuern.
Zeitarbeitskonto bei der Lebensversicherung ein. Der Kläger Es komme dadurch zu einem Besteuerungsaufschub. Dies
war nach einer fristlosen Kündigung im Februar 2014 nicht gelte auch für die Zinsen. Bei Verzinsung des Zeitwertkontos
mehr Geschäftsführer der GmbH. Er arbeitet seit 2015 bei seien die Zinsen keine Einkünfte aus Kapitalvermögen, son-
einem anderen Arbeitgeber, der sich bereit erklärte, das bei dern durch das Dienstverhältnis veranlasste Einkünfte aus
der Lebensversicherung abgeschlossene Zeitarbeitskonto vom nichtselbstständiger Tätigkeit, die ebenfalls im Zeitpunkt der
bisherigen Arbeitgeber zu übernehmen und hieraus entspre- Auszahlung und nicht schon im Moment der Gutschrift auf
chende monatliche Auszahlungen an den Arbeitnehmer zu dem Konto zu versteuern seien.
leisten. Die GmbH übertrug hierzu das Wertguthaben der Zeit- Gegen das Urteil ist Revision beim BFH anhängig (VI R 39/17).
wertkonten des Klägers auf dessen neuen Arbeitgeber, der mit (FG Baden-Württemberg, NL vom 06.10.2017 / Online-Redaktion)
dem Kläger im Juni 2015 einen Auszahlungsplan vereinbarte.
Die laufenden Auszahlungen werden vom Kläger versteuert.
Pensionszusage: Klarstellungen zur
Finanzamt sieht Einzahlungen als Arbeitslohn ­Deckelungsregelung
Das Finanzamt war der Auffassung, dass bereits die im Das FG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass der
Streitjahr 2012 geleisteten Einzahlungen von 39.000 Euro in Pensions­a nspruch eines Gesellschafter-Geschäftsführers
die Zeitkontenrückdeckungsversicherung bei einem GmbH- nicht durch eine in der Pensionszusage enthaltene Ober­
Geschäftsführer als Arbeitslohn zu qualifizieren seien. Des grenze auf 75% der reduzierten (Teilzeit-)Bezüge gedeckelt
Weiteren sei die Verzinsung der eingezahlten Beträge bei ist, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer die ihm zu­
Gutschrift der Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu gesagte Pension bereits erdient hat.
versteuern, weil der Arbeitnehmer insoweit eine Forderung Im Streitfall waren die zivil- und steuerrechtlichen Aus-
gegenüber dem Arbeitgeber habe. Die Zinsen betrugen laut wirkungen der Teilzeitbeschäftigung eines Gesellschafter-
Auskunft der Versicherung im Streitjahr 2012 knapp 5.000 Geschäftsführers nach Vollendung seines 65. Lebensjahres
Euro. Im Laufe des Klageverfahrens änderte das Finanzamt zu prüfen. Im Hinblick auf die in der Versorgungszusage
seine Rechtsauffassung. Es half der Klage ab, soweit die Ver- enthaltene 75%-Klausel stellte sich die Frage, ob der Versor-
zinsung des Zeitkontenrückdeckungsvertrages im Jahr 2012 gunganspruch des Gesellschafter-Geschäftsführers trotz
als Kapitaleinkünfte des Klägers erfasst worden war. Streitig bereits auf höherem Niveau erdienter Pension auf 75% der
blieb aber, ob bereits die Einzahlungen des Arbeitgebers auf Teilzeitvergütung gedeckelt war. Des Weiteren stellte sich
das Zeitwertkonto als Arbeitslohn zu versteuern seien. die Frage, ob der vertragliche Pensionsanspruch auch dann
(vollständig) aufgeschoben ist, wenn die Teilzeitvergütung
Urteil zugunsten des Geschäftsführers betragsmäßig unterhalb der bereits erdienten Pension liegt.
Das FG Baden-Württemberg entschied mit Urteil vom Das beklagte Finanzamt hatte beide Fragen bejaht.
22.06.2017 (12 K 1044/15) zu Gunsten des Klägers, dass der
aufgrund einer wirksamen Vereinbarung auf dem Zeitwert- Auswirkung der nachgelagerten Teilzeitbeschäftigung
konto im Streitjahr 2012 eingestellte Arbeitslohn bei einem Demgegenüber machte die Klägerin geltend, dass eine bereits
GmbH-Geschäftsführer wie dem Kläger nicht als Arbeitslohn mit Vollendung des 65. Lebensjahres unverfallbar erworbene
zugeflossen sei. Pension nicht aufgrund einer zeitlich nachgelagerten Teil-
zeitbeschäftigung zu reduzierten Bezügen zu kürzen sei. Die
Nicht Gutschrift, sondern Auszahlung ist zu versteuern Fällig­keit der Pension sei zudem allein im Umfang der tatsäch-
Als Arbeitslohn zu versteuern sei (noch) nicht die Gutschrift lich gezahlten Aktivbezüge gehemmt.
auf dem Zeitwertkonto, sondern erst die Auszahlung aus
diesem. Im Streitjahr 2012 habe weder eine Barauszahlung Vollendung des 65. Lebensjahres bewirkt Zäsur
an den Kläger noch eine Gutschrift auf einem seiner Konten Das FG Schleswig-Holstein sah in den zu beurteilenden
stattgefunden. Ein Zufluss könne zwar auch in der Zuwen- Verträgen Auslegungsspielraum zugunsten der Klägerin
dung eines Anspruchs gegen einen Dritten liegen, wenn (Urteil vom 04.07.2017 – 1 K 201/14). Die Vollendung des 65.
gerade diese Leistung geschuldet sei. Im Streitfall habe der Lebensjahres des Gesellschafter-Geschäftsführers bewirke

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M19


MELDUNGEN

eine Zäsur, da die Pension zu diesem Zeitpunkt bereits einmal bei der erwirtschaftenden Körperschaft mit Körper-
unverfallbar erdient sei. Es könne gemessen am Maßstab der schaftsteuer und erst bei der Ausschüttung an natürliche Per-
§§ 133, 242 BGB bei objektiver Betrachtung der wechselsei- sonen als Anteilseigner mit Einkommensteuer zu besteuern,
tigen Interessen nicht davon ausgegangen werden, dass die Bedenken. Die Regelung entspreche zudem nicht dem Gebot
Vertragsparteien durch die weitere Teilzeitbeschäftigung steuerlicher Lastengleichheit im Sinne einer gleich hohen
des Geschäftsführers – aufgrund eines neu abgeschlossenen Besteuerung bei gleicher Leistungsfähigkeit. Die Regelung
Vertrages – dessen Pensionsansprüche hätten kürzen wollen. könne allerdings gerechtfertigt und damit verfassungsrecht-
Kein Geschäftsführer könne Interesse daran haben, nach dem lich zulässig sein durch das Ziel, nicht über die Anforderungen
Eintritt in den Ruhestand auf neuer vertraglicher Grundlage der Mutter-Tochter-Richtlinie hinauszugehen, nach der erst
für seine Gesellschaft tätig zu sein, wenn und soweit er bei einer Mindestbeteiligung von 10 % eine Befreiung vom
hierdurch (angesichts der Anrechnung der laufenden neuen Steuerabzug an der Quelle für von einer Tochtergesellschaft
Bezüge auf die Pensionsleistungen) nicht nur keine Gegenleis- an ihre Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne verlangt
tung bekomme, sondern obendrein noch bereits unverfallbar werde. Zudem würde eine vollständige Befreiung vom Steuer-
erworbene Pensionsansprüche verlöre. abzug unabhängig von der Beteiligungsquote die Möglichkeit
Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, das Verfahren eines Quellensteuerabzugs entsprechend Art. 10 Abs. 2 OECD-
ist beim BFH unter dem Aktenzeichen I R 56/17 anhängig. Musterabkommen und entsprechender Doppelbesteuerungs-
(FG Schleswig-Holstein, PM vom 02.10.2017 / Online-Redaktion) abkommen obsolet machen.

Keine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts


Zur Besteuerung von Streubesitzdividenden Die Abgrenzung der Besteuerungshoheit zu anderen Staaten
Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von und die Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG begründeten
Streubesitzdividenden gemäß § 8b Abs. 4 KStG i.d.F. des einen vom Gesetzgeber zu lösenden Zielkonflikt, für den
EuGH-Umsetzungsgesetzes vom 21.03.2013 bestehen Be­ keine eindeutige Lösung vorgegeben sei. Eine Vorlage an das
denken, erklärte das Finanzgericht Hamburg in einem ak­ BVerfG zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit komme
tuellen Gerichtsbescheid. daher nicht in Betracht. § 9 Nr. 2a GewStG begegne keinen
Der Gerichtsbescheid des FG Hamburg vom 06.04.2017 verfassungsrechtlichen Bedenken. Für die verfassungsrechtli-
(1 K 87/15) betrifft die Frage der Verfassungsmäßigkeit der che Prüfung der konkreten Ausgestaltung der Gewerbesteuer,
­Besteuerung von Streubesitzdividenden gemäß § 8b Abs. 4 insbesondere der Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschrif-
KStG in der Fassung des EuGH-Umsetzungsgesetzes vom ten, sei ein erst noch zu entwickelnder Maßstab anzuwenden,
21.03.2013 und – als Annex – gemäß § 9 Nr. 2a GewStG. der dem Konzept einer ertragsorientierten Objektsteuer
entspreche.
EuGH­Urteil führt zu § 8b KStG Absatz 4 Gegen den Gerichtsbescheid wurde Revision beim BFH
Der zur Umsetzung des Urteils des EuGH vom 20.10.2011 eingelegt (I R 29/17).
(C-284/09) in § 8b KStG eingefügte Absatz 4 sieht abweichend (FG Hamburg, NL vom 04.10.2017 / Online-Redaktion)
von § 8b Abs. 1 und Abs. 5 KStG die vollständige Berück-
sichtigung beispielsweise von Dividendeneinkünften einer
Kapitalgesellschaft vor, wenn die Beteiligung weniger als 10% WIRTSCHAFTSRECHT
des Grund- oder Stammkapitals beträgt, während bei Beteili-
gungen von mindestens 10 % solche Bezüge bei der Ermittlung Kartellrecht: Nachprüfungen im Finanzsektor
des Einkommens lediglich i. H. v. 5 % anzusetzen sind. Die Die EU-Kommission hat bestätigt, dass Beamte am
bereits zuvor bestehende Regelung in § 9 Nr. 2a GewStG führt 03.10.2017 in einigen Mitgliedstaaten unangekündigte
dazu, dass erst bei einer Beteiligung von mindestens 15 % des Nachprüfungen in den Geschäftsräumen von Finanzdienst­
Grund- oder Stammkapitals Gewinne aus der Beteiligung zu leistungsunternehmen bezüglich des Online-Zuganges zu
kürzen sind, während sie bei einer Beteiligung unter 15 % der Bankkontodaten durch konkurrierende Diensteanbieter
Gewerbesteuer unterliegen. (Fintechs) durchgeführt haben.
Die EU-Kommission hatte Bedenken, dass die beteiligten
Der aktuelle Streitfall Unternehmen und/oder die sie vertretenden Verbände sich
Die Klägerin des Streitfalles war im Jahr 2013 an einer inländi- wettbewerbswidrig verhalten haben könnten. Diese mut-
schen Kapitalgesellschaft zu weniger als 10 % beteiligt, sodass maßlich wettbewerbswidrigen Praktiken zielten darauf ab,
ihre Dividendeneinnahmen aus dieser Beteiligung in vollem Anbieter von Finanzdienstleistungen, die sich nicht im Besitz
Umfang und nicht nur mit einem Anteil von 5 % sowohl von Banken befänden, davon auszuschließen, indem sie ihnen
der Körperschaftsteuer wie der Gewerbesteuer unterlagen. den Zugang zu den Kontodaten von Bankkunden verwehrten,
Hiergegen richtete sich die Klage. Streitig war allein die Frage obwohl die betreffenden Kunden ihre Zustimmung zu diesem
der Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Vorschriften. Zugang gegeben hätten. Die EU-Kommissionsbeamten seien
Nach Ansicht des 1. Senats begegnet die Besteuerung von von ihren Amtskollegen der zuständigen nationalen Wettbe-
Streubesitzdividenden gemäß § 8b Abs. 4 KStG im Hinblick werbsbehörden begleitet worden.
auf eine nicht folgerichtige Ausgestaltung der in § 8b Abs. 1,
Abs. 2 KStG zum Ausdruck kommenden Grundentscheidung Unangemeldete Nachprüfungen der EU­Kommission
des Gesetzgebers, zur Vermeidung von Kumulationseffekten Unangemeldete Nachprüfungen seien ein erster Schritt in
in Beteiligungsstrukturen erwirtschaftete Gewinne nur den Verdacht wettbewerbswidriger Verhaltensweisen. Die

M20 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


MELDUNGEN
Tatsache, dass die EU-Kommission solche Nachprüfungen PartGmbB: Trend geht zur Beschränkung der
durchführe, bedeute weder, dass die Unternehmen oder ihre Haftung
Verbände wettbewerbswidrige Verhaltensweisen begangen Seit Juli 2013 gilt das Gesetz zur Einführung einer Partner­
hätten, noch greife sie dem Ergebnis der Untersuchung schaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung. Die
vor. Die EU-Kommission achte die Verteidigungsrechte, PartGmbB bietet als neue Variante einer Partnerschafts­
insbesondere das Recht der Unternehmen, in Kartellver- gesellschaft eine wettbewerbsfähige Alternative zur engli­
fahren gehört zu werden. Es gäbe keine gesetzliche Frist für schen LLP – und erfreut sich hierzulande großer Beliebt­
den Abschluss der Ermittlungen zu wettbewerbswidrigen heit.
Verhaltensweisen. Ihre Dauer hänge von einer Reihe von Die Schaffung dieser besonderen Gesellschaftsform
Faktoren ab, u.a. von der Komplexität des jeweiligen Falles, ermöglicht es Anwältinnen und Anwälten, im Rahmen einer
dem Umfang der Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Partnerschaft die persönliche Haftung für Berufspflichtverlet-
Parteien und der Ausübung der Verteidigungsrechte. zungen auf das Gesellschaftsvermögen zu beschränken. Die
(EU Kommission, EU Aktuell vom 09.10.2017 / Online-Redaktion) Zahl der Kanzleien, die diese Gesellschaftsform nutzen, steigt
weiter an und liegt nun bundesweit bei 1.940 PartGmbB‘s
mit anwaltlicher Beteiligung (Stand 26.09.2017). Das sind 174
Abgasskandal: Fristablauf beim Musterverfahren PartGmbB mehr als noch Ende 2016. Damit sind Schätzungen
gegen Volkswagen AG des DAV zufolge zwischen 17.000 und 21.000 Anwältinnen und
Am 08.09.2017 ist die durch § 10 Abs. 2 KapMuG vorgesehe­ Anwälte in einer PartGmbB tätig.
ne Frist zur Anmeldung von Ansprüchen beim Oberlandes­ (DAV, Mitteilung vom 05.10.2017 / Online-Redaktion)
gericht Braunschweig abgelaufen. Bis zum Fristende sind
insgesamt 1.955 Anmeldungen mit Forderungen in Höhe
von insgesamt rund 350 Mio. Euro eingegangen. ARBEITSRECHT
Die Anmelder werden nicht zu Beteiligten des Muster-
verfahrens. Die Anmeldung bewirkt lediglich, dass die Ver- Spaziergang als Arbeitsunfall?
jährung der geltend gemachten Ansprüche gem. § 204 Abs. 1 Geht ein Arbeitnehmer während seiner stationären Rehabi­
Nr. 6a BGB bis zum Abschluss des Musterverfahrens gehemmt litation an einem therapiefreien Sonntag spazieren und hat
ist. er dabei einen Unfall, kann dieser durchaus als Arbeitsun­
fall anerkannt werden, auch wenn der Unfall sich an einem
Wer sind Beteiligte? therapiefreien Sonntag ereignet hat, entschied das Sozial­
Beteiligte des Musterverfahrens sind gem. § 9 Abs. 1 KapMuG gericht Düsseldorf.
ausschließlich die Musterklägerin, die Musterbeklagte und Der Kläger war während einer stationären Rehabilitation
die Beigeladenen. Bei den Beigeladenen handelt es sich um die bei einem sonntäglichen Spaziergang beim Überqueren eines
Klägerinnen und Kläger, deren Verfahren durch das Landge- Fußgängerüberwegs auf dem Weg zum Kurplatz von einem
richt Braunschweig ausgesetzt und die nicht als Musterkläger Pkw erfasst und verletzt worden. Der Kläger ist der Auffas-
ausgewählt worden sind. sung, dass es sich dabei um einen Arbeitsunfall handele, er
also einen Anspruch aus der gesetzlichen Unfallkasse habe.
Zum Hintergrund Es sei im Rahmen der Rehabilitation ein Ziel gewesen, sein
Beim Landgericht Braunschweig wurden bislang rund 1.640 Gewicht zu reduzieren. Mit dem Spaziergang habe er seiner
Klagen mit Forderungen in Höhe von insgesamt rund 9 Mrd. Verpflichtung zur aktiven Mitarbeit bei der Gewichtsreduzie-
Euro erhoben. Davon sind bisher rund 1.550 Verfahren mit rung nachkommen wollen. Daher sei der Unfall beim Spazier-
einem Gesamtvolumen von rund 3 Mrd. Euro ausgesetzt, für gang als Arbeitsunfall anzuerkennen.
die das beim Oberlandesgericht geführte Musterverfahren
bindend sein wird. Ist der Spaziergang eine versicherte Tätigkeit?
(OLG Braunschweig, PM vom 06.10.2017 / Online-Redaktion) Die Berufsgenossenschaft erkannte den Vorfall nicht als
Versicherungsfall an und lehnte es ab, Entschädigungsleistun-
gen zu erbringen. Der Kläger gehöre zwar zum versicherten
Muster zur systematischen Internalisierung Personenkreis, es habe sich jedoch bei dem Spaziergang um
Ab dem 03.01.2018 haben Wertpapierdienstleistungsun­ eine sog. eigenwirtschaftliche und damit nicht versicherte
ternehmen, die als systematische Internalisierer tätig sind, Tätigkeit gehandelt, besondere mit dem Klinikaufenthalt
dies der BaFin unverzüglich mitzuteilen. Hintergrund ist verbundene Gefahrenmomente hätten nicht vorgelegen. Der
das durch das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz ge­ Spaziergang sei nicht ärztlich verordnet gewesen. Ein bloßer
änderte Wertpapierhandelsgesetz. örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Rehabili-
Die BaFin hat ein Musterformular erstellt, mit dem betrof- tationsmaßnahme sei nicht ausreichend. Der Kläger klagte
fene Marktteilnehmer dieser Pflicht nachkommen können. gegen die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft mit dem Ziel,
Außerdem bittet sie systematische Internalisierer darum, ab den während der Rehabilitation erlittenen Verkehrsunfall als
dem 03.01.2018 bis zum Inkrafttreten entsprechender gesetz- Arbeitsunfall anzuerkennen.
licher Bestimmungen unter bestimmten Voraussetzungen
freiwillig den Handel mit bestimmten Finanzinstrumenten Spaziergang diente der Behandlung
auszusetzen oder diese vom Handel auszuschließen. Das SG Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 20.06.2017
(BaFin, PM vom 06.10.2017 / Online-Redaktion) (S 6 U 545/14) stattgegeben. Nach Auffassung des Sozialge-

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M21


MELDUNGEN

richts besteht ein innerer Zusammenhang mit der Rehabili- In acht Schritten zum Erfolg
tationsmaßnahme. Es schade nicht, dass der Spaziergang an „Der Praxisleitfaden fasst die Projektergebnisse und
einem therapiefreien Sonntag stattgefunden habe. Es reiche Erkenntnisse kompakt zusammen und richtet sich an Per-
aus, wenn der Versicherte von seinem Standpunkt aus der sonalverantwortliche, betriebliche Bildungsakteure sowie
Auffassung sein durfte, die Tätigkeit sei geeignet, der sta- an die interessierte Fachöffentlichkeit. Er soll insbesondere
tionären Behandlung zu dienen und diese Tätigkeit zudem Unternehmen eine Hilfestellung an die Hand geben, ihre Qua-
objektiv kurgerecht sei. Beides sei bei dem hier streitigen lifizierungsaktivitäten im digitalen Wandel an die künftigen
sonntäglichen Spaziergang gegeben gewesen. Anforderungen besser anzupassen“, erklärt Projektmanagerin
(SG Düsseldorf, PM vom 10.10.2017 / Online-Redaktion) Stefanie Brzoska. Für eine dynamische Personal- und Kompe-
tenzentwicklung gibt der Leitfaden an Unternehmen folgende
Tipps:
Mehr Arbeitnehmerrechte im vorinsolvenzlichen 1. Strategische Positionierung von Human Resources im Unter-
Verfahren nehmen: Betriebliches Kompetenzmanagement sollte im
Im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat Unternehmen zur Chefsache werden und fester Bestandteil
­ erichterstatterin Angelika Niebler (EVP) ihren Berichts­
B der Unternehmensstrategie sein.
entwurf zum Richtlinienvorschlag für präventive Restruk­ 2. Regelmäßige Überprüfung des Qualifizierungsangebots: Das
turierungsrahmen und zu Maßnahmen zur Steigerung der betriebliche Qualifizierungsangebot sollte regelmäßig anhand
Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschul­ verfügbarer Mess- und Steuerungsinstrumente überprüft
dungsverfahren vorgelegt und sich darin für mehr Arbeit­ werden, um in dynamischen Unternehmensumfeldern Schritt
nehmerrechte ausgesprochen. halten zu können. Dazu sollte auch das Benchmarking-Tool
Niebler setzt sich für eine größtmögliche Transparenz www.kompetenz-benchmarking.de genutzt werden.
während des präventiven Restrukturierungsverfahrens 3. Rechtzeitiges Einbinden aller Akteure: Neue Anforderungen
ein und fordert entsprechende Informationsrechte für die an die Personalentwicklung sollten frühzeitig aufgegriffen und
Arbeitnehmer. Zudem schlägt sie eine Definition vor, wann Beschäftigte, Fachabteilungen und Interessenvertretungen zu
eine Insolvenz im Sinne des Artikels 1 Abs. 1 des Richt­ Partnern einer transparenten Personalentwicklungsstrategie
linienvorschlags droht und möchte es den Mitgliedstaaten gemacht werden.
überlassen, ob die Ernennung eines Restrukturierungsver- 4. Auf eine sorg fältige Auswahl und ausgewogene Mischung
walters für das Verfahren verpflichtend sein soll. unterschiedlicher Maßnahmen kommt es an: Best Practices
anderer Unternehmen zur Kompetenzentwicklung in der
Weitere Maßnahmen Digitalisierung können als Inspiration dienen. Kooperationen
Zudem sollen die Mitgliedstaaten entscheiden können, bieten sich an. Konzepte sollten aber nicht bloß kopiert, son-
die Stellungnahme zur Rentabilität des betroffenen Unter- dern an die eigene Unternehmenskultur angepasst werden.
nehmens im Rahmen des zu erstellenden Restrukturie- 5. Digitale Kompetenzen stärken: Digitalkompetenz wird in
rungsplans von einem unabhängigen Experten erstellen allen Branchen zunehmend zu einer Kernkompetenz. Um auf
zu lassen. Ebenso soll im Falle eines klassenübergreifenden individuelle Lernbedarfe eingehen zu können, sollten digitale,
Cramdowns die Mehrheit der Gläubigergruppen für die bedarfsgerechte Lernangebote für den Kompetenzerwerb
Zustimmung zum Restrukturierungsplan erforderlich sein. einbezogen werden.
Die Frist für Änderungsanträge im Rechtsausschuss läuft bis 6. Veränderte Anforderungen an Führungskultur und verhalten:
zum 07.11.2017. Führungskräfte sollten in „digitaler Führung“ und „Führen
(DAV, EiÜ vom 09.10.2017 / Online-Redaktion) von virtuellen Teams“ qualifiziert werden, um Beschäftigte
im Digitalisierungsprozess zu begleiten, zu motivieren und
etwaigen Ängsten entgegen wirken zu können.
Personal­ und Kompetenzentwicklung im 7. Systematik, Transparenz, Beratung und Bündelung: Bereits
­ igitalen Wandel
d vorhandene Qualifikationen sollten systematisch erfasst wer-
In acht Schritten zu einer dynamischen Personal- und den, um Bedarfe zu identifizieren. Der Einsatz digitaler Tools
Kompetenzentwicklung im digitalen Wandel: Der Digital­ erhöht die Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit, um Qua-
verband Bitkom hat einen Praxisleitfaden zur betrieblichen lifizierungslücken zu schließen. Angebote zur Qualifizierung
Qualifizierung veröffentlicht. sollten systematisch und transparent gebündelt werden.
Arbeitsgestaltung und -organisation unterliegen im 8. Eigenverantwortung fördern und Raum für neue Wege schaffen:
Zuge der Digitalisierung einem grundlegenden Wandel. Es gibt keinen „Masterplan“ zur Gestaltung der digitalen Trans-
Damit verändern sich auch die Anforderungen und Inhalte formation. Der Weg führt vor allem über Experimente. Voraus-
der Qualifizierung von Arbeitnehmern. Ein neuer Praxisleit- setzung sind Vertrauen, Selbstbestimmung und Eigenmotiva-
faden des Digitalverbands Bitkom zeigt die Erfolgsfaktoren tion. Um neue Wege zu gehen, sollten Freiräume geschaffen und
einer dynamischen Personal- und Kompetenzentwicklung der Transformationsprozess durch HR-Experten kompetent
auf. Grundlage ist eine Online-Umfrage, die 2016 unter begleitet werden.
Personalverantwortlichen und Beschäftigten durchgeführt Der Leitfaden ist im Rahmen des vom Bundesministeriums für
wurde. Der Leitfaden gibt einen Überblick, wie Unternehmen Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekts „Flexibili-
sich und ihre Beschäftigten bestmöglich auf den digitalen sierung durch dynamisches Personal- und Kompetenzmanage-
Wandel vorbereiten können. ment für wissensintensive Dienstleistungen“ entstanden.
(Bitkom, PM vom 02.10.2017 / Online-Redaktion)

M22 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


Der Blick ins Heft.

VERLAGSTITEL
Internationale und kapitalmarktorientierte
10
Rechnungslegung. Seite 413 – 464
Oktober 2017
17. Jahrgang

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Internationale und kapitalmarktorientierte Rechnungslegung

AUFSÄTZE
Josef Baumüller/Bang Nguyen
Umsetzung der CSR­Richtlinie im deutschen und im österreichischen Bilanzrecht 413

Jens Günther/Marco Muschallik


Identifikation wesentlicher Themen im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung 421

Henning Zülch/Sophie Winter


Everything except Strategy – Wege zu einer effektiven Strategieberichterstattung 426

Patrick Velte
Ökonomische Wirkung der Berichterstattung des Abschlussprüfers über key audit matters
im Bestätigungsvermerk 434

Axel Haller
Integrated Reporting – Die Zukunft der Unternehmensberichterstattung 442

Inge Wulf/Johann Fix


Umsetzungsgrad des Integrated Reporting in der Berichterstattungspraxis 448

RECHNUNGSLEGUNG & INVESTOR RELATIONS

Mit Nachrichten, Fallstudien und Praxistipps liefert Henning Zülch/Carl W. Weuster


Organisches und anorganisches Wachstum – Ein Beispiel für (In)Transparenz 458

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DIE TOP­THEMEN DER AKTUELLEN AUSGABE:

Rechnungslegung Rechnungslegung
Umsetzung der CSR­Richtlinie im deutschen Everything except Strategy – Wege zu einer
und im österreichischen Bilanzrecht effektiven Strategieberichterstattung
Mag. (FH) Josef Baumüller, Tulln an der Donau / P rof. Dr. Henning Zülch / Sophie Winter, M . Sc .,
Bang Nguyen, M.Sc., Wien beide Leipzig
Die in der CSR-Richtlinie (RL 2014/95/EU) vorgesehenen Die Strategieberichterstattung ist ein von Unternehmen
Berichtspf lichten über die nichtfinanzielle Leistung von vielfach vernachlässigter Berichtsteil. Strategieorientierte
Unternehmen wurden in Deutschland durch das CSR-RUG und zukunftsgerichtete Informationen haben jedoch eine
und in Österreich durch das Nachhaltigkeits- und Diversitäts- hohe Entscheidungsrelevanz für Investoren. Auf Basis
verbesserungsgesetz (NaDiVeG) umgesetzt. Obwohl sich der einer Analyse der Strategieberichterstattung im Lage-
österreichische Gesetzgeber hierbei eng an den Überlegungen bericht der DAX-Unternehmen der letzten drei Jahre wer-
des deutschen orientierte, weisen die nunmehr gültigen Rechts- den Prinzipien einer effektiven Strategiekommunikation
lagen in zahlreichen Punkten gravierende Unterschiede auf. formuliert.
Deren Gegenüberstellung in dem Beitrag verdeutlicht die daraus
jeweils ableitbaren Anforderungen an Unternehmen und zeigt
weiteren Handlungsbedarf auf. Rechnungslegung
Integrated Reporting – Die Zukunft der
Unternehmensberichterstattung
Rechnungslegung Prof. Dr. Axel Haller, Regensburg
Identifikation wesentlicher Themen im Rahmen der Aufgrund sich ändernder Rahmenbedingungen sind die
Nachhaltigkeitsberichterstattung Anforderungen, die an die Unternehmensberichterstattung
Jens Günther / Marco Muschallik, M.Sc., beide Bochum gestellt werden, einem stetigen Wandel unterworfen. Da das
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Relevanz von Nachhal- Konzept des Integrated Reporting die Berücksichtigung
tigkeitsinformationen für die Stakeholder eines Unternehmens von Wandelungsprozessen bezüglich der Erwartungen
verbunden mit der künftigen Pflicht für bestimmte Unternehmen der Stakeholder sowie der Interpretation der unternehme-
nichtfinanzielle Informationen offenzulegen, nimmt die Frage rischen Wertschaffung immanent beinhaltet und darüber
nach dem Stakeholdereinbezug sowie der Identifikation wesent- hinaus zu einer nachhaltigen Wertschaffung für die Unter-
licher Themen im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung nehmenseigentümer und die Gesellschaft führen kann,
einen immer größeren Stellenwert ein. In dem Beitrag werden die besitzt es ein großes Potenzial, nicht nur die Entwicklung
nach GRI aufgestellten Nachhaltigkeitsberichte des Geschäfts- der Unternehmensberichterstattung, sondern auch jene der
jahres 2015 der Unternehmen aus dem DAX, MDAX, SDAX und Unternehmensführung sowie -überwachung in der Zukunft
TecDAX im Hinblick auf Angaben und Vorgehensweisen bzgl. der maßgeblich zu prägen.
genannten Aspekte analysiert.

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M23


HANDELSBLATT NACHRICHTEN

Nachrichten
Amazon soll nachzahlen junkturteam des Handelsblatt Research Institute (HRI) geht
Die EU-Kommission legt im Kampf gegen illegale Steuer- in seiner neuen Konjunkturprognose davon aus, dass es bald
vorteile für multinationale Konzerne nach: Wettbewerbs- zu Koalitionsgesprächen zur Bildung einer Jamaika-Koalition
kommissarin Margrethe Vestager erklärte eine langjährige kommt und diese erfolgreich abgeschlossen werden. Um die
Steuervereinbarung zwischen Luxemburg und Amazon für sehr unterschiedlichen Wählergruppen der an dieser Regie-
unzulässig und forderte das Großherzogtum auf, von dem rung beteiligten Parteien zu bedienen, dürfte die Koalition
Onlinehandelsriesen rund 250 Mio. Euro an Steuern nach- aus Union, FDP und Grünen die hohen Überschüsse in den
zufordern. In einem ähnlichen Verfahren hatte sie vor gut Staatskassen nutzen, um Steuersenkungen sowie zusätzliche
einem Jahr Apple dazu verdonnert, 13 Mrd. Euro an Irland Investitionen und Sozialausgaben zu finanzieren.
abzuführen. Weil die Regierung in Dublin das Geld noch gar (HB vom 06.10.2017 S. 12)
nicht eingetrieben hat, will Vestager Irland nun vor den EuGH
bringen. Die Kommissarin machte deutlich, dass ihre Behörde
weiteren Fällen von unerlaubten Vergünstigungen für einzelne Ein Geschenk zu Schäubles Abschied
Konzerne nachgehen wird. Solche Verfahren könnten aber nur Acht Jahre lang stritten Wolfgang Schäuble und der Inter-
ein Teil der Antwort auf die gezielte Steuervermeidung durch nationale Währungsfonds (IWF) um die Ausrichtung der
multinationale Unternehmen sein, betonte sie. Vielmehr Finanzpolitik. Der deutsche Finanzminister glaubte, nur
müssten sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Bemes- durch Sparsamkeit könnten verschuldete Staaten Vertrauen
sungsgrundlage für die Körperschaftsteuer einigen. zurückgewinnen. Der Währungsfonds fürchtete, Sparsamkeit
(HB vom 05.10.2017 S. 1) schade der wirtschaftlichen Erholung. Auf Schäubles letzter
IWF-Jahrestagung am kommenden Wochenende wird das
Streitthema nicht mehr hochkochen. Denn der Währungs-
EU geht erneut gegen Betrug vor fonds macht dem Deutschen eine Art Abschiedsgeschenk.
Die EU-Kommission unternimmt einen neuen Anlauf, um den Statt wie üblich höhere Investitionen anzumahnen, wird
Mehrwertsteuerbetrug zu unterbinden: Rund 50 Milliarden der Fonds in seiner neuen Konjunkturprognose Staaten wie
Euro gehen dem Fiskus der EU-Staaten jedes Jahr verloren, weil Italien und Spanien auffordern, mehr für die Haushaltskon-
Kriminelle das Mehrwertsteuersystem austricksen. Exporteure solidierung zu tun.
sollen deshalb künftig die Mehrwertsteuer zahlen, bevor sie das (HB vom 09.10.2017 S. 12)
Produkt in einen anderen EU-Staat ausführen. Gelten soll dabei
der Mehrwertsteuersatz des Landes, für das die jeweils betrof-
fenen Waren bestimmt sind. Das würde zum Beispiel bedeuten, Lange Wunschliste
dass der tschechische Fiskus die deutsche Mehrwertsteuer Zwar haben die Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP
eintreibt für alle Skoda-Fahrzeuge, die nach Deutschland ausge- und Grünen noch längst nicht begonnen, dennoch haben die
führt werden. Die Einnahmen würde Tschechien anschließend künftige Bundesregierung und der neue Deutsche Bundestag
an die deutschen Finanzbehörden überweisen. Detaillierte bereits eine lange Wunschliste erhalten. Absender: Deutsch-
Vorschläge dazu will die Kommission im kommenden Frühjahr lands Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. „Der Gesetzgeber
vorlegen. Im Jahr 2022 solle die Mehrwertsteuerreform dann in muss zu einer guten Gesetzgebung zurückkehren“, forderte
Kraft treten, verkündete die EU-Behörde. der Präsident des Deutschen Steuerberaterverbands (DStV),
(HB vom 05.10.2017 S. 8) Harald Elster, auf dem Deutschen Steuerberatertag in Berlin.
Auch der Präsident des Bundesfinanzhofs (BFH), Rudolf
Mellinghoff, beklagte als Gastredner eine „überhastete
Regierung mit Rückenwind Gesetzgebung“. Dies führe zu Regelungen, die fehlerbehaftet
Die neu ins Amt kommende Bundesregierung startet mit so und schwer umsetzbar seien. Als Beispiele nannte er die
günstigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen „minimalinvasive“ Reform der Erbschaftsteuer und „Feigen-
wie noch keine andere Regierung im wiedervereinigten blatt-Anhörungen“ im Bundestag. Zudem habe die gesamte
Deutschland. Ende dieses Jahres wird die deutsche Wirtschaft steuerpolitische Diskussion des vergangenen Jahrzehnts nur
voraussichtlich 14 Quartale in Folge gewachsen sein, der Staat unter dem Signum Steuermissbrauch, Steuervermeidung,
wird das vierte Jahr in Folge mit einem Haushaltsüberschuss Steuergestaltung gestanden. Nun gelte es, die Rechte der
abgeschlossen haben, und die Arbeitslosigkeit wird im Jahres- Steuerbürger wieder in den Blick zu nehmen.
durchschnitt bei nur noch etwa 2,5 Millionen liegen. Das Kon- (HB vom 10.10.2017 S. 10)

M24 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


Neues aus der Owlit-Datenbank www.der-betrieb.owlit.de

NEUES IN DER DATENBANK


Tipps der Redaktion

Levedag, Christian Fondsgesellschaften: Verklammerung der Teilakte zu einer einheitlichen Tätigkeit


DB kompakt (BFH, Urteil vom 08.06.2017 – IV R 6/14) »DB1251957

Werth, Franceska Hemmung der Festsetzungsverjährung aufgrund Außenprüfung


DB kompakt (BFH, Urteil vom 26.04.2017 – I R 76/15) »DB1251688

Hennigfeld, Michael Anordnung einer Außenprüfung bei Verdacht einer Steuerstraftat


DB kompakt (FG Köln vom 22.03.2017 – 3 K 123/14) »DB1252094

Baumüller, Josef / Umsetzung der CSR-Richtlinie im deutschen und im österreichischen


Nguyen, Bang Bilanzrecht »KOR1249961
Aufsatz

El Mourabit, Francis Ausschluss einer strafbefreienden Selbstanzeige bei Tatentdeckung durch


Blog ausländische Behörden »DB1252157

BMF Einkommensteuerliche Behandlung der Aufwendungen für ein häusliches


Verwaltungsanweisung Arbeitszimmer nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b, § 9 Abs. 5 und § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG
(Schreiben vom 06.10.2017) »VA1252273

Wie kann ich individuelle Benachrichtigungsprofile anlegen?


Ein Benachrichtigungsprofil können Sie folgendermaßen einrichten:
• Starten Sie eine Suche mit den gewünschten Suchkriterien.
• Klicken Sie innerhalb der Trefferliste auf [Optionen] und
anschließend auf [Benachrichtigung anlegen].
Es öffnet sich ein Dialogfeld, in dem Sie das Benachrichtigungsprofil anlegen
sowie die Versendungsart und den Versandrhythmus festlegen können.

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DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M25


STANDPUNKTE

»DB1245592

Grenzüberschreitende
Konzernfinanzierungen und
angemessene Zinssätze
Der Rekurs auf das Konzernrating bei der Bemessung von Zinsen für grenzüber­
schreitende Konzernfinanzierungen im Rahmen des Bankansatzes würde zu einer Re­
duzierung von BEPS sowie einer Einsparung von Tax-Compliance-Kosten führen.

Das Konzernrating als Preisvergleich vorzunehmen, der an eine schon bestehende tra-
ditionelle Darlehensschuld gegenüber fremden Dritten außerhalb
Anti-BEPS-Pille des Kapitalmarkts anknüpft. Gegebenenfalls sind sachgerechte
Anpassungen im Hinblick auf die vertraglichen Bedingungen des
spezifischen Geschäftsvorfalls vorzunehmen.

I
n der Literatur (u.a. Greil/Schilling, DK 2016 S. 329 ff.) Sofern vergleichbare externe Finanzierungsbeziehungen
wurde ein Zweistufenkonzept vorgestellt, mit dessen der Darlehensnehmerin nicht vorliegen, sind auf der zweiten
Hilfe Zinssätze für grenzüberschreitende konzerninterne Stufe die Kreditkonditionierungen zugrunde zu legen, zu
Finanzierungsbeziehungen im Rahmen des Bankansatzes denen sich die gesamte Unternehmensgruppe (bzw. der
ermittelt bzw. deren Angemessenheit überprüft werden kön- Konzern) zum relevanten Zeitpunkt extern finanzieren
nen. Sofern die Darlehen aufnehmende Unternehmenseinheit könnte: Maßgebend für die Bepreisung der internen Dar-
keine gruppenexternen Finanzierungsbeziehungen unterhält lehensbeziehung bzw. Überprüfung des Zinssatzes dieser
und die Preisvergleichsmethode ausscheidet, ist auf die durch- Darlehensbeziehung ist insbes. das (externe) Rating für die
schnittlichen Fremdfinanzierungskosten, mithin das Rating Unternehmensgruppe (Konzernrating) für die Bemessung
der Unternehmensgruppe (im Fall eines Konzerns auf das des Risikos, d.h. der Ausfallwahrscheinlichkeit der Darle-
Konzernrating), bei der Zinssatzermittlung respektive deren hensnehmerin.
Angemessenheitsprüfung abzustellen. Der Rekurs auf das Existiert kein Konzernrating und ist dessen separate
Konzernrating bei dem Bankansatz (Schilling, DB 2015 S. 2171) Erstellung nicht zumutbar, sollte auf die realen durchschnitt-
würde in vielfältiger Weise Abhilfe leisten: Es würden dadurch lichen Finanzierungskosten der Unternehmensgruppe abge-
Willkürfreiheit und im Ergebnis Steuergerechtigkeit verbessert, stellt werden, die der Gruppe durch Darlehensbeziehungen
Tax-Compliance-Kosten sowohl aufseiten der Steuerpflichtigen gegenüber fremden Dritten entstehen. Die Überlegung
(Stpfl.) als auch aufseiten der Finanzverwaltung gesenkt und dabei ist, dass jene durchschnittlichen Finanzierungskosten
Rechtssicherheit gestärkt. die gruppenweite Kreditwürdigkeit widerspiegeln. Dies ist
vor allem dann gewährleistet, wenn für die Ansprüche der
Bank­ versus Marktansatz fremden Gläubiger alle Gesellschaften gesamtschuldnerisch
Maßstab für die Ermittlung von fremdvergleichskonformen haften.
Darlehenszinssätzen für konzerninterne Finanzierungs-
beziehungen sind die hypothetischen Konditionen, die ein Gewährleistung von Willkürfreiheit und Steuer­
Kreditinstitut in jener Situation gewähren würde. Das gerechtigkeit
Ab­stellen auf Fremdfinanzierungen via Kapitalmarkt schei- Die Berücksichtigung eines existenten Konzernratings,
det aus Gründen des Fremdvergleichs aus. Insofern kommen erstellt von einer externen Ratingagentur, ist vertrauensbil-
die kapitalmarktgestützten Fremdkapitalzinsermittlungen dend. Vom Stpfl. selbst entwickelte Ratings weisen möglicher-
nur als Plausibilitätsgrößen in Betracht. weise neben den schon selbst im Ratingprozess vorhandenen
Ermessensspielräumen insb. auch ein hohes Maß von eigenen
Zweistufenkonzept Interessen geleitete Subjektivität auf. So könnten einzelne
Auf der ersten Stufe der Ermittlung bzw. Prüfung von Fremd- Konzerngesellschaften bzw. Unternehmen einer Unter-
kapitalzinsen zwischen verbundenen Unternehmen steht nehmensgruppe gezielt und willkürlich mit einer schlech-
der Rekurs auf etwaige vergleichbare Darlehensbeziehungen, teren Bonität ausgestattet werden, um eine beabsichtigte
welche die Darlehensnehmerin zu fremden Dritten, z. B. einem Ratingeinschätzung zu erzielen. Z.B. können Gesellschafter
Kreditinstitut, unterhält. So ist auf der ersten Stufe ein externer nach eigenem Ermessen Einfluss auf die Finanzierungsstruk-

M26 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


STANDPUNKTE
tur der Beteiligungsgesellschaften nehmen. Hierdurch können Unternehmen in die Insolvenz entgleiten zu lassen, sofern sich der
vergleichsweise hohe Fremdkapitalzinsen als Betriebsausga- Konzern nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Hie-
ben das zu versteuernde Einkommen bei Unternehmen in raus könnten nämlich negative Auswirkungen für den Konzern
Ländern mit hohen Steuersätzen mindern, zugleich das zu resultieren, die im Sinn einer guten und verantwortungsvollen
versteuernde Einkommen als Betriebseinnahme bei Unter- Unternehmensführung zu vermeiden sind, da der Vorstand das
nehmen in Ländern mit niedrigeren Steuersätzen erhöhen, um Unternehmen, wovon auch Konzernunternehmen betroffen
auf diese Weise die Konzernsteuerquote zu senken. sind, mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung leitet (Deutscher
Das Konzernrating gibt die durchschnittliche Bonität aller Corporate Governance Kodex, Tz. 1 und 4.1.1). Beides würde im
im Konzern befindlichen Unternehmen wieder; dadurch wird Ergebnis auf eine gruppendurchschnittliche Kreditwürdigkeit,
eine Beeinflussung von steuerinduzierten Zinssätzen durch mithin das Konzernrating, hinauslaufen.
die finanzielle Ausstattung einzelner Unternehmen erschwert. Hiergegen mit empirischer Evidenz unter Verweis auf vereinzelte
So kann die Verwendung eines schon vorliegenden Konzern- Gerichtsurteile zu argumentieren, geht u.E. dem Grunde nach fehl.
ratings dieses Potenzial ausräumen und der (willkürlichen) Erste empirische Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Unterneh-
internationalen Steuerplanung entgegentreten und einen men für die Bepreisung von Darlehen innerhalb einer Unterneh-
Beitrag i.S.d. OECD-BEPS-Projekts leisten. mensgruppe nicht das Rating des betreffenden Darlehensnehmers
verwenden (Greil/Schilling, ITPJ 2017, forthcom). Wer zugleich den
Senkung von Tax­Compliance­Kosten Paradigmenwechsel zu „Formulary Apportionment“ mit dem
Sofern das Konzernrating international als Maßstab für die Zweistufenkonzept verbindet, dem darf entgegnet werden, dass
konzerninternen Fremdkapitalkosten Gültigkeit hätte, würde die Verwendung des Konzernratings nur die Risikobemessung
sich die rechtssubjektspezifische Ratingerstellung (Adjusted- betrifft und hierdurch Gewinne nicht global nach einer Formel
Stand-Alone-Rating) erübrigen und die Dokumentationsan- aufgeteilt werden. Zudem werden mitnichten einheitliche Zins-
forderungen in diesem Bereich senken können. Dies wiede- sätze für im Konzern vorhandene Darlehen verwendet. Zudem
rum würde im Ergebnis zu erheblichen Kosteneinsparungen bewegt sich die Orientierung am Konzernrating im auslegungsbe-
wie z.B. Bürokratie- und Transaktionskosten aufseiten der dürftigen Fremdvergleichsgrundsatz. Schließlich sollten aber bei
Stpfl. führen. Das könnte auch die Motivation von Kritikern Finanzierungstransaktionen die Vorfragen beantwortet werden,
erklären. ob und ggf. inwieweit der Fremdvergleichsgrundsatz überhaupt
Aus Sicht der Verwaltung ist es ebenfalls effizient, auf in seiner „Reinform“ anwendbar sein kann und was dies in Bezug
bestehende und für externe Zwecke erstellte Konzernratings auf BEPS bedeutet.
abzustellen. Mithin würde eine Überprüfung eines bspw. nur für
Verrechnungspreiszwecke erstellten „(Adjusted-)Stand-Alone- Fazit
Ratings“ entfallen und für die Angemessenheitsüberprüfung Für die Bemessung eines (fremdüblichen) Zinssatzes ist insbes.
übernommen werden können. Betriebsprüfer bräuchten unter das Rating und, damit einhergehend, die Ausfallwahrschein-
diesen Umständen kein eigenes – u.U. vom Stpfl. abweichendes – lichkeit der Darlehensnehmerin von Bedeutung. Hierdurch
Rating durchführen, um vom Stpfl. für Verrechnungspreiszwecke wird der Zinssatz maßgebend beeinflusst. Die Verwendung
erstellte Ratings zu überprüfen. Betriebsprüfungen könnten des Konzernratings würde BEPS-Möglichkeiten – neben der
zügiger, mit weniger Aufwand und weniger Konfliktpotenzial Zinsschranke (§§ 4h EStG und 8a KStG) – im Zusammenhang
durchgeführt werden. mit Finanzierungstransaktionen reduzieren, Tax-Compliance-
Kosten senken, Rechtssicherheit stärken können und zugleich
Stärkung der Rechtssicherheit den Fremdvergleichsgrundsatz nicht verlassen. So ist es
Für den Stpfl. erhöht sich überdies die Rechtssicherheit, da auch nicht verwunderlich, dass Staaten wie z.B. Neuseeland
dieser davon ausgehen kann, dass das Konzernrating nicht (http://hbfm.link/2210) ähnliche Überlegungen anstellen.
mehr infrage gestellt wird. Mithin könnte der Stpf l. sein
Verhalten hieran ausrichten und seine Steuerbelastung dies-
bezüglich im Vorhinein berechnen.

Kritik an dem Zweistufenkonzept


Die Kritik an dem Zweistufenkonzept bezieht sich im Wesent-
lichen auf eine mutmaßlich fehlende Konformität mit dem
Fremdvergleichsgrundsatz. So wird argumentiert, dass ein
Dipl.­Kfm. Dr. Stefan Greil, LL.M.
fremder Gläubiger zwecks Konditionsermittlung nicht auf das ist Referent für Internationales Steuerrecht.
Konzernrating, sondern vielmehr auf das Rating der Darlehen Kontakt: autor@der-betrieb.de
beantragenden Rechtsperson (Adjusted-Stand-Alone-Rating)
abstellt. Dem ist aus theoretischer Sicht grds. zuzustimmen.
Gleichwohl ist zu konstatieren, dass in Situationen, in denen
einzelne Konzerngesellschaften mit sehr hohen Verschuldungs-
Prof. Dr. Dirk Schilling
graden ausgestattet sind, kein fremder Dritter Fremdkapital zur ist Inhaber der Professur für Finance &
Verfügung stellen würde, ohne auf formal bindende Sicherheiten Accounting an der HS Worms.
wie z.B. die harte Patronatserklärung der Muttergesellschaft oder Die Autoren geben ihre persönliche Auffassung
wieder. Der Beitrag ist nicht in dienstlicher
gar aller anderen Konzerngesellschaften zu bestehen. Zudem Eigenschaft verfasst.
erscheint es auch nicht im Sinne des Konzerns, ein einzelnes Kontakt: autor@der-betrieb.de

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M27


STANDPUNKTE

»DB1247720

Grenzüberschreitende
Konzernfinanzierungen und
angemessene Zinssätze
Der Rekurs auf das Konzernrating bei der Bemessung von konzerninternen Zinsen
widerspricht u.E. dem Fremdvergleich. Er ist so weder mit BEPS noch mit deutschen
oder internationalen Besteuerungsgrundsätzen konsistent. Eine wünschenswerte
Reduzierung von Befolgungskosten würde u.E. nicht erreicht werden.

Konzernzugehörigkeit lediglich bei einer expliziten Garantie


Fremdüblichkeit des berücksichtigen würden.
Rating Agenturen wie z.B. Standard & Poor’s berücksichti-
Konzernratings gen bei ihren Ratings zwar grundsätzlich die Konzernzugehö-
rigkeit, aber nicht bei allen Tochtergesellschaften im gleichen
Maß. Vielmehr wird der Grad des Konzernrückhalts nach

K
onzerninterne Zinsen werden in der bisherigen Praxis Bedeutung der Tochtergesellschaft für den Konzern unter-
auf Basis einer Bonitätsprüfung des Darlehensnehmers schieden (Standard & Poor’s, How Standard & Poor’s Rates
und darauf aufbauend auf einer Überführung der fest- Nonfinancial Corporate Entities vom 24.02.2014 S.13).
gestellten Bonität in eine Risikoprämie bestimmt. Dieser Vor-
gehensweise folgt auch Schilling in der ersten Version des sog. Subordinierung
Bankenansatzes (DB 2015 S. 2171). Die wesentliche Neuerung Ein wichtiger Grund, weshalb konzerninterne Zinsen in der
des Vorschlags von Greil/Schilling setzt bei der Bonitätsprü- Praxis regelmäßig über den externen Fremdkapitalkosten
fung des Darlehensnehmers an und unterstellt einen unbe- des Darlehensnehmers oder des Konzerns liegen, ist die
grenzten Konzernrückhalt für alle Konzerngesellschaften Subordinierung (Nachrangigkeit) konzerninterner Darlehen
(DStR 2016 S. 2352). Für den Fall, dass der Darlehensnehmer gegenüber Fremddarlehen. Diese Nachrangigkeit wird i.d.R.
über externe Darlehensbeziehungen verfügt, sollen dem- externen Darlehensgebern vertraglich zugesichert und folgt
nach diese Zinsen als Basis für die konzerninternen Zinsen zudem auch international oft aus gesetzlichen Regelungen,
verwendet werden. Liegen solche externen Zinsen nicht vor, wie z.B. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. So wird einem Gesellschafter
sollen die durchschnittlichen Fremdfinanzierungskosten der sein Darlehen im Insolvenzfall nur dann zurückgezahlt, wenn
Konzernmutter bzw., wenn diese auch nicht vorliegen, deren nach Bedienung der Ansprüche externer Gläubiger noch
Bonität auch für den Darlehensnehmer unterstellt werden. Insolvenzmasse übrig ist. Sein Darlehen ist daher sehr viel
risikobehafteter als das von externen Gläubigern.
Empirische Evidenz zu Fremdverhalten und Konzern­
rückhalt Bewertung des Konzernrückhalts
Solange man sich am Fremdvergleichsprinzip orientiert, erfor- Selbst wenn man grundsätzlich der Auffassung folgt, dass
dert die Vorgehensweise von Greil/Schilling den Nachweis, dass der Konzernrückhalt in Fremddarlehen berücksichtigt
fremde dritte Darlehensgeber bei der Zinssatzbestimmung wird, stellt sich die Frage nach der quantitativen Auswir-
gegenüber Konzerngesellschaften auf die Konzernbonität und kung auf den konzerninternen Zins. Der pauschale Ansatz
nicht die Einzel-Bonität abgestellt hätten. U.E. liefert die Empirie des Konzernratings würde z.B. die Subordinierung voll-
nur sehr wenige Anhaltspunkte für eine solche Annahme. ständig nivellieren. Dieser Ansatz wäre auch international
Im BFH-Fall vom 29.11.2000 (I R 85/99) war eine ausländische bisher unüblich. International wäre es üblicher, das Einzel-
Finanzierungsgesellschaft eines deutschen Konzerns erst nach rating anzupassen. Das höchste kanadische Finanzgericht
einer harten Patronatserklärung in der Lage, am Kapitalmarkt hat für den GE-Capital Fall auf der Basis der Aussagen von
Fremdmittel aufzunehmen. Vorher waren externe Fremdkapi- Sachverständigen entschieden, dass der Konzernrückhalt
talgeber nicht bereit, sich auf den Konzernrückhalt zu verlassen. wie eine implizite Garantie wirkt und durch eine Herauf-
Im australischen Chevron-Fall von 2016 haben Sachver- stufung des Einzelratings um drei Stufen auf der Moody’s
ständige aus der Finanzindustrie ausgesagt, dass Banken die Skala zu berücksichtigen sei (Tax Court of Canada am

M28 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


STANDPUNKTE
04.12.2009, GE Capital Canada Inc and Her Majesty the dies dann wohl auf ein „Global Formular Apportionment“
Queen, Tz. 301). Die australische Finanzverwaltung hat 2008 hinauslaufen, weil Erträge nur noch nach Kostenschlüsseln im
ausgeführt, dass diese Heraufstufung eine bis neun Stufen Konzern verteilt werden. Aus diesem Grund ist u.E. die Forde-
entsprechen sollten (Australian Tax Office, 2008, Intra-group rung nach dem Rekurs auf das Konzernrating gleichbedeutend
finance guarantees and loans, Tz. 71). Ein noch differenzier- mit einem tiefen Einschnitt in die Prinzipien der grenzüber-
terer Ansatz müsste sich aus der gängigen Definition von schreitenden Einkommensabgrenzung, der eine Änderung der
Konzernrückhalt bei Fremdfinanzierung herleiten. Nach die- rechtlichen Grundlage bedürfte. Hieraus ergäben sich sodann
ser Definition (Tax Court of Canada, a.a.O., Tz. 281; Standard signifikante Doppelbesteuerungsrisiken.
& Poor’s, a.a.O., S. 13) wäre zu berücksichtigen, mit welcher
Wahrscheinlichkeit die Konzernmutter im Insolvenzfall die Gegenvorschlag
Konzerngesellschaft retten würde. Hierbei wäre der Theorie Greil/Schilling sehen ihren Vorschlag geeignet, die Befolgungs-
nach der Schaden zu berücksichtigen, der überhaupt getra- kosten der Stpfl. zu senken und deren Planungssicherheit zu
gen werden kann, sowie die Ausfallwahrscheinlichkeiten erhöhen sowie BEPS zu reduzieren. Angesichts der Durchbre-
und deren Korrelation zwischen Mutter und Tochter. chung des Fremdvergleichsprinzips und des daraus resultie-
renden Doppelbesteuerungsrisikos dürfte sich diese Hoffnung
Befolgungskosten, Willkür und Steuerungerechtigkeit u.E. nicht erfüllen. Eine Reduzierung der Befolgungskosten
Greil/Schilling gehen davon aus, dass die Annahme des Kon- könnte aber erreicht werden, wenn der Gesetzgeber den
zernrückhalts die Befolgungskosten senken würde. Dies ist Vorschlag von Greil/Schilling als eine Safe-Harbor-Regelung
u.E. unplausibel. Erstens wird die Finanzverwaltung immer einführen würde, nach der der Nachweis der Fremdüblichkeit
noch auf die Einhaltung von Dokumentationsvorschriften von Zinssätzen entfällt, solange sie sich in der Größenordnung
bestehen. Da Deutschland von dem Fremdvergleichsgrund- der Gesamtkonzernfinanzierung bewegen.
satz abweichen würde, müsste der Steuerpf lichtige, zwei-
tens, für das Ansässigkeitsland der Vertragsgegenpartei eine Fazit
anders geartete Dokumentation erstellen. Die Befolgungs- Der Vorschlag von Greil/Schilling, für konzerninterne Darlehen
kosten würden sich also verdoppeln. Drittens begründet die grundsätzlich den Konzernrückhalt zu unterstellen, ist u.E.
Vorgehensweise ein erhebliches Doppelbesteuerungsrisiko, nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar. Seine
weil nicht sichergestellt ist, dass andere Länder der Auffas- Durchsetzung erforderte eine unilaterale Änderung der Prin-
sung von Greil/Schilling folgen werden. zipien der grenzüberschreitenden Einkommensabgrenzung
Die pauschale Annahme eines uneingeschränkten Kon- und würde somit signifikante Doppelbesteuerungsrisiken
zernrückhalts erscheint zudem willkürlich und nicht der implizieren. Eine Reduzierung von Befolgungskosten ist somit
Situation des einzelnen Steuerpflichtigen (Stpfl.) gerecht zu kaum zu erwarten. Strebte man eine multilaterale Änderung
werden. der Prinzipien der Einkünfteabgrenzung an, kann dies nicht auf
In Bezug auf die Steuergerechtigkeit ist darauf hinzuwei- Finanztransaktionen begrenzt sein, sondern müsste auch die
sen, dass die Bonität von Konzernen i.d.R. von einigen weni- Verteilung von Einkünften z.B. aus immateriellen Wirtschafts-
gen, ertragsstarken Gesellschaften gestützt wird. In vielen gütern umfassen. Ob die deutsche Steuerbasis von solchen
Konzernen sind dies deutsche Konzerngesellschaften. Der Änderungen profitieren würde, erscheint angesichts der vielen
Vorschlag von Greil/Schilling würde implizieren, dass kleinere deutschen Konzernzentralen mehr als fraglich. Der Vorschlag
und ertragsschwache ausländische Tochtergesellschaften von Greil/Schilling könnte allerdings als Safe-Harbor-Regelung
günstige Finanzierungskonditionen erhalten würden, ohne zu einer Erleichterung der Dokumentationspflichten führen.
hierfür eine Vergütung an ertragsstarke Konzerngesellschaf-
ten, auch und vor allem deutscher Provenienz, zahlen zu
müssen.

Funktions­ und Risikoverteilung als unternehmeri­


sche Gestaltung
Letztendlich läuft der Vorschlag, pauschal das Konzernrating
bzw. externe Fremdkapitalkosten der Mutter oder Tochter zu
verwenden, darauf hinaus, nicht nur die vertraglich geregelte
oder gesetzlich implizierte Risikoverteilung im Konzern
Dr. Christian M. Scholz
zu ignorieren, sondern auch juristische Personen von ist Partner für Verrechnungspreise
Betriebsstätten nicht mehr zu unterscheiden. Dies käme bei EY München.
einer Aufgabe des Paradigmas gleich, Konzernunter-
nehmen als unabhängige Unternehmen zu behandeln.
Wenn man den Ansatz von Greil/Schilling konsequent
weiterdenkt, stellt sich u.E. die Frage, ob dieser Paradig-
menwechsel auf konzerninterne Darlehensbeziehungen Dr. Hanjo Köhler, CFA
beschränkt werden kann. Vielmehr stellt sich dann die ist Senior Manager für Verrechnungspreise
Frage, ob dann nicht auch die Risikoallokation ignoriert bei EY München. Die Autoren geben ihre
persönliche Auffassung wieder. Der Beitrag ist
werden muss, die zur Charakterisierung von Routine- und nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.
Entrepreneur-Gesellschaften führt. In diesem Fall würde Kontakt: autor@der-betrieb.de

DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017 M29


Deutschlands Parteien ignorieren die Herausforderungen der Zukunft, meint Guy Verhofstadt.
HANDELSBLATT GASTKOMMENTAR

Originalbeitrag

Engstirnige Politik
D „Die deutsch­
as Ergebnis der jüngsten Bundestagswahlen in Deutsch-
land ist bemerkenswert. Die Parteien, die die deutsche

französische Achse
Politik seit Jahrzehnten dominierten – SPD, CDU/CSU –,
haben erhebliche Verluste an den Wahlurnen hinnehmen
müssen. Die Parteien führten einen engstirnigen, nach innen
gerichteten Wahlkampf. Die heftigst diskutierten Themen
waren Dieselverbot, Steuern, Mieten und die innere Sicherheit. hat die europäische
Integration in der
So wichtig diese Themen sein mögen, hinsichtlich der wichtigs-
ten Herausforderungen für die EU und die Euro-Zone übten
sich die großen deutschen Volksparteien meist in Schweigen.
Dabei sind diese Herausforderungen vielschichtig. Das Verei-
nigte Königreich verhandelt gerade über seinen Austritt aus der Vergangenheit
angetrieben und
EU. Es gibt große Unsicherheit über die Frage, wie die zukünftige
Beziehung zwischen dem UK und der EU aussehen wird. Die EU
muss auch den weiteren Verfall der Demokratie in Polen und
Ungarn verhindern, eine langfristige Lösung für die Migrations-
und Flüchtlingskrise finden, und sie muss sich den Sicherheits- muss diese Rolle
auch jetzt wieder
risiken stellen, die sich aus Terrorismus, einem revanchistischen
Russland und dem führungslosen Amerika ergeben.
Die Art und Weise, wie diese Themen angegangen werden,
wird die Zukunft Europas und der Stellung Deutschlands in
Europa bestimmen. Als die führenden Politiker des Landes
durch Fernsehsender, Veranstaltungshallen, Klassenzim-
übernehmen.“
mer und Einkaufszentren tourten, hätten sie diese Themen
intensiver diskutieren müssen. Die Tatsache, dass Union und
SPD genau dies nicht taten, erklärt zum Teil, warum sie an für die europäischen Wahlen und will die Bürger einander
Unterstützung verloren haben. Durch das Flicken kleinerer näherbringen. Die FDP will gemeinsame europäische Regeln
Probleme bei gleichzeitigem Vermeiden der großen Themen zur Migration und zu einer gemeinsamen Grenz- und Kosten-
haben sie selber ein Vakuum geschaffen. Und populistische wache durchsetzen. Und sie unterstützt die Einrichtung eines
Nationalisten der rechtsextremen AfD waren nur allzu bereit, europäischen FBI zur Koordinierung des Kampfes gegen den
diese Lücke zu füllen. Das Ergebnis waren 13 Prozent. Terror.
Als das Ergebnis der Wahlen in Deutschland verkündet Der FDP-Parteichef, Christian Lindner, hat recht, wenn er
wurde, haben viele Analysten daraus geschlossen, dies sei ein sagt, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts müss-
harter Schlag für Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ten respektiert werden und die Verwendung von Steuergeldern
und seinen Plan, das Projekt Europa mit neuem Leben zu ohne eine angemessene Rechenschaftspflicht spiele nur popu-
füllen. Ich bin anderer Meinung. Wir sollten nicht vergessen, listischen und nationalistischen Kräften wie der AfD in die
dass es der deutsche Finanzminister Schäuble war, der die Hände. Glücklicherweise ist er da einer Meinung mit Macron.
meisten Reformvorschläge für die Euro-Zone blockiert hat. Beide glauben, Europa brauche eine bessere Regierungsfüh-
Man kann das Ergebnis der deutschen Wahlen deshalb auch rung – auf der Grundlage einer Kombination von konsequent
als Chance für einen Neubeginn sehen. Ein Ende der Großen angewendeten fiskalischen Regeln und Investitionen zur
Koalition könnte bedeuten, dass die politische Stagnation Förderung des Wachstums.
endet, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Dies ist ein entscheidender Moment für Europa. Wir Euro-
In Deutschland laufen jetzt die Koalitionsverhandlungen, die päer müssen Lösungen für gemeinsame Probleme finden, und
wahrscheinlich auf die sogenannte Jamaika-Koalition mit CDU, wir brauchen die Führung Deutschlands und Frankreichs. Die
FDP und den Grünen hinauslaufen. Es besteht die Hoffnung, dass deutsch-französische Achse hat die europäische Integration in
die nächste Regierung aus pro-europäischen Politikern bestehen der Vergangenheit angetrieben und muss diese Rolle wieder
wird, mit frischen Ideen und dem Willen, Reformen auf euro- übernehmen. Die EU demokratischer zu machen ist die ein-
päischer Ebene auf den Weg zu bringen, vielleicht im Sinne der zige Möglichkeit, die nationalistische Welle zurückzudrängen.
Vorschläge Macrons. In diesem Fall könnte eine neue Führungs­
generation in den nächsten Jahren eine treibende Kraft für eine
neue Rolle Deutschlands in Europa werden. Guy Verhofstadt ist Brexit-Beauftragter des Europäischen Parla­
ments und Vorsitzender der Allianz der Liberalen und Demokraten
Wie Macron will auch die FDP Europa demokratischer für Europa (ALDE) im Europäischen Parlament. Er war belgischer
gestalten: Sie unterstützt transnationale Kandidatenlisten Premierminister.

M30 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


7. Dezember 2017 | Düsseldorf
Fachtagung
Körperschaftsteuer und Unternehmens-
besteuerung 2017/2018
Aktuelle Entwicklungen und praktische Gestaltung

Frühbucherpreis bei Anmeldung


bis zum 31.10.2017

DIE THEMEN DIE REFERENTEN


❚ Maßgebliche gesetzliche Änderungen im KSt-Recht und ❚ Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen, Lehrstuhl für Öffentliches
Unternehmensbesteuerung 2017/2018 Wirtschafts- und Steuerrecht an der LMU München, Richter am
❚ Aktuelle Rechtsprechung im nationalen und internationalen Finanzgericht Düsseldorf
KSt-Recht und Unternehmenssteuerrecht ❚ Ralf Neumann, Vorsteher des Finanzamts für Groß- und Konzern-
❚ Aktuelle Praxishinweise zur Organschaft und zum Umwand- betriebsprüfung, Aachen
lungssteuerrecht ❚ Prof. Dr. Robert Risse, Corporate Vice President / Head of Finance
❚ Best-Practice: Tax Compliance und Tax-Risikomanagement Tax & Trade Group, Henkel AG & Co. KGaA
u.v.m. ❚ Dr. Michael Schwenke, Richter Bundesfinanzhof (BFH), I. Senat:
Körperschaftsteuer, Außensteuerrecht, Doppelbesteuerung
u.v.a.

Information und Online-Anmeldung unter: www.fachmedien.de/koerperschaftsteuer

Veranstalter:

Auf ein Wort
AUF EIN WORT

Zitate der Woche

Deutsche Unternehmen müssen Vorsorge für den


Ernstfall eines sehr harten Ausscheidens treffen,
alles andere wäre naiv.“
Joachim Lang, BDI-Hauptgeschäftsführer, schaut mit Sorge auf den Fortgang der Brexit-Verhandlungen

„Mehr als ein Jahr nach Annahme dieses Kommissionsbeschlus- „Exportweltmeisterschaft finden alle cool und sexy, aber
ses hat Irland die Mittel nicht einmal teilweise zurückgefordert.“ Flächen vor Ort für die Ansiedlung von Produktion, Logistik
und Lagerhaltung undenkbar.“
Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin,
erhöht im Apple-Streit den Druck auf Irland. Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerk-
schaft IG BCE, warnt vor einer schleichenden Deindustriali-
sierung
„Nicht nur bei Autos, auch bei Notenbanken gibt es das
Problem des langen Bremsweges.“


Ewald Nowotny, Österreichs Notenbankchef, mit Blick auf
die Schwierigkeit einer Abkehr der Europäischen Zentral-
bank von ihrer ultraexpansiven Geldpolitik

„Erst werfen mir Journalisten vor, ich sei eine Eisjungfer oder
ein Roboter, dann behaupten sie, ich sei eine weinende Frau,
die sich dringend ausschlafen müsse.“

Theresa May, britische Premierministerin, zu den Reaktionen


auf ihre missglückte Parteitagsrede

„Es gibt viele Bereiche, die ohne ausländische Arbeitskräfte


nicht wachsen können (...). Nach der Bildung der neuen
Regierung müssen wir dieses Thema sofort anfassen.“

Reinhold von Eben­Worlée, Präsident des Verbands der Famili- Es wird auch im
enunternehmer, fordert ein Zuwanderungsgesetz.
gesamten Jahr 2018
„Ich bin zufrieden. Die Sonne scheint. Sun of Jamaika.“ keine Portoerhöhung
Armin Laschet, nordrhein-westfälische Ministerpräsident geben.“
(CDU), zum Unionskompromiss zur Begrenzung der
Zuwanderung Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post

M32 DER BETRIEB // Nr. 41 // 13.10.2017


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