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IMPULSE
Energiewende 2030:
The Big Picture
IMPRESSUM
IMPULSE
ERSTELLT VON
Agora Energiewende
Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin
T +49 (0)30 700 14 35-000
F +49 (0)30 700 14 35-129
www.agora-energiewende.de
info@agora-energiewende.de
Lektorat:
INFOTEXT
Content & Grafikdesign
Lindenstraße 76 | 10969 Berlin
Satz:
Juliane Franz
Illustration:
Erfurth Kluger Infografik GbR
Elbestraße 35 | 12045 Berlin
Bitte zitieren als: Agora Energiewende (2017):
Energiewende 2030: The Big Picture. Megatrends,
117/01-I-2017/DE Ziele, Strategien und eine 10-Punkte-Agenda für
Veröffentlichung: Juni 2017 die zweite Phase der Energiewende.
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser, ist, wer Mitläufer und wer Nachzügler. So haben China
und Kalifornien jüngst bei Erneuerbaren Energien und
die Energie- und Klimapolitik ist traditionell geprägt Elektromobilität sehr ehrgeizige Ziele beschlossen –
von zwei widersprüchlichen Weltsichten: Die eine hält und mit konkreter Politik unterlegt.
wirtschaftlichen Erfolg und Klimaschutz für Gegen-
sätze, die andere sieht Klimaschutztechnologien als In Deutschland steht nun die zweite Phase der
Motor für wirtschaftlichen Erfolg im 21. Jahrhundert. Energiewende an. In dieser geht es darum, nicht nur
Die Investoren haben sich dabei längst entschieden: eine Stromwende, sondern auch eine Wärme- und
Seit 2013 werden mehr Erneuerbare-Energien-An- Verkehrswende in Gang zu setzen – und die ökono-
lagen zugebaut als alle anderen Kraftwerke zusam- mischen Chancen der Energiewende entschlossen
mengenommen, und in der Autoindustrie investieren zu nutzen. Vor diesem Hintergrund zeichnet dieses
Risikokapitalgeber nur noch in Elektromobilität und Impulspapier das Big Picture 2030 und legt Vor-
Smart Mobility, nicht mehr in Benzin und Diesel. schläge vor, wie das Gemeinschaftswerk Energie-
wende gleichzeitig Klimaschutz, ökonomischen Erfolg
Deutschland sieht sich beim Klimaschutz als Vorreiter. und Versorgungssicherheit gewährleisten kann.
Doch im Wettlauf um den Zukunftsmarkt der Energie-
wendetechnologien kann man sich nicht auf f rüheren Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
Erfolgen ausruhen. Vielmehr entscheidet sich jetzt, Dr. Patrick Graichen
wer in Zukunft Vorreiter der weltweiten Energiewende Direktor Agora Energiewende
18
800 6
Energieanteil Energie- 16
Sonstige Emissionen
4 an Konsum- stückkosten-
400 14
Energiebedingte ausgaben index der
2 12
Emissionen Industrie
0 0 10
1990 2010 2030 2000 2005 2010 2015 2006 2010 2015
EUROPA:
→ Engpässe bei Netzen an den Grenzen reduzieren
→ Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit europäisch gewährleisten
Eigene Darstellung nach BMWi (2017), BMUB (2016), Destatis (2016a), Expertenkommission zum Monitoringbericht „Energie der Zukunft“ (2016)
3
Zusammenfassung
1. Die sieben Ds der Energiewende: Diese Trends werden das Energiesystem prägen
2. D
ie Ziele der Energiewende 2030 konkret: Der Agora-Energiewende-Vorschlag
Umweltverträglichkeit Versorgungssicherheit
Die Treibhausgasemissionen der Energiesektoren Die Importquote für den Primärenergieeinsatz sinkt
liegen 2030 etwa 60 % unter dem Niveau von 1990. auf unter 60 %. Der Stromausfallindex SAIDI verbleibt
Der Ausbau der Erneuerbaren und die Rekulti dauerhaft unter 20 Minuten pro Jahr.
vierung der Braunkohlengruben erfolgen im Ein-
klang mit naturschutzfachlichen Grundsätzen. Europäische Einbindung
Bestehende Engpässe bei Strom-, Gas-, und Ver-
Wirtschaftlichkeit kehrsnetzen an den Außengrenzen werden redu-
Die Energiestückkosten der Industrie und der ziert. Mit den Nachbarländern erfolgt eine enge
Energieanteil an privaten Konsumausgaben liegen Kooperation bei der Versorgungssicherheit, dem
unter 10 %. Für private Haushalte mit geringem Ein- Ausbau Erneuerbarer Energien und dem Strommarkt-
kommen und die energieintensive Industrie gibt es design.
besondere Ausgleichsregelungen.
762
3.683
und Primärenergieverbrauch [TWh]
–1.060
149 1. Effizienz: Energieverbrauch um 30 %
457 senken
278 ~2.600
172 424–439
479
2. Erneuerbare: auf 30 % verdoppeln
413 ~820 ~75
246 ~85
~240
1.018 ~220
3. Fossile: Erdöl und Kohle halbieren,
~125
Erdgas um 20 % senken ~510
4
4. Die Energiewende bringt kostengünstigen Klimaschutz, wenn man sie richtig angeht
Nach einem Anstieg bis Anfang der 2020er Die Energiewende hat leicht positive gesamt
Die Kosten
Jahre sinkenfür
dieden Ausbau
Kosten der
für den Erneuerbaren
Ausbau der Energienwirtschaftliche
im Stromsektor Effekte, weil inländische
steigen bis zum Zeitraum 2021–2023 weiter
Erneuerbaren Energien im Stromsektor deutlich an und sinken dann
Die Wertschöpfungbis
Energiewendeden 2035 deutlich
hatImport
leicht Abbildung
positive
von Kohle, 17
gesamtwirtschaftliche
Öl und Gas E
EE-
ersetzt
hinzu kommen noch Zusatzeffekte durch steigende Exporte
Anteil: 32 % 45 % 52 % 62 % 68 % 32 % 45 % 52 % 62 % 68 %
35 12
4.000 9.000
+4,4 %
30 +2,7 %
10
6,9
6,3
6,4
20
4,2
6,9
2.0006
2,0
15
4 3.000
10
1.000
4,6
4,3
2
4,0
3,7
5
3,3
2,7
0 0
0 0
2015 2020 2025 2030 2035 2015 2020
2030 2025 2030
2050 2035
2. Europa 7. Netze
Europas Energiewende unterstützen, die deutsche Stromzielnetz bauen, Wärme- und Gasnetze moderni-
Energiewende europäisch einbetten sieren, Verkehr elektrifizieren
3. Effizienz 8. Strommarkt
Efficiency First als Leitprinzip für Planungsprozesse Einen flexiblen und digitalen Strommarkt
und Investitionsentscheidungen verankern organisieren, der Investitionen anreizt
5
Inhalt
Vorwort3
Zusammenfassung4
Einleitung9
3 Energiewende 2030: Wie sich Strom, Wärme und Verkehr neu erfinden 25
3.1 Strategien zur kosteneffizienten Transformation
der Energiesektoren bis 2030 26
3.2 Stromwende 2030 28
3.3 Wärmewende 2030 30
3.4 Verkehrswende 2030 32
3.5 Alternative Entwicklungen sind möglich, mehr Forschung ist nötig 34
3.6 Infrastruktur 2030: Netze der Zukunft 36
6
Inhalt
4 Was kostet die Energiewende? 39
5 Was jetzt zu tun ist: Zehn Punkte für eine Agenda Energiewende 2030 45
5.1 Energiewenderahmen 2030:
Verlässlichkeit und Planungssicherheit 46
5.2 Europa 2030:
Eine europäische Energiewende 48
5.3 Effizienz 2030:
Efficiency First als Leitprinzip 50
5.4 Erneuerbare Energien 2030:
Mit Wind und S olar die Erneuerbaren Energien verdoppeln 52
5.5 Fossile Energien 2030:
Kohle und Erdöl halbieren, Power-to-Gas und -Liquid einführen 54
5.6 Abgaben und Umlagen 2030:
CO2 endlich angemessen bepreisen 56
5.7 Netze 2030:
Strom-, Wärme- und Verkehrsnetze ausbauen und modernisieren 58
5.8 Strommarkt 2030:
Digitalisierung, Flexibilität, verlässlicher Investitionsrahmen 60
5.9 Industrie 2030:
Die Energiewende als industriepolitisches Projekt organisieren 62
5.10 Gemeinschaftswerk 2030:
Mit der Energiewende das Gemeinwesen stärken 64
Fazit67
Anhang71
Literaturverzeichnis76
7
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
8
Einleitung
Die Energiewende ist spätestens seit 2015 politisch jüngst beschlossen, die Stromversorgung bis 2030 zu
und ökonomisch weltweit auf dem Vormarsch. So 60 Prozent und bis 2045 zu 100 Prozent auf Erneu-
haben im Juni 2015 die Staats- und Regierungs- erbare Energien umzustellen – während in Deutsch-
chefs der G7 in Elmau eine Dekarbonisierung der land bisher lediglich 80 Prozent als Zielmarke für
Weltwirtschaft bis Ende des Jahrhunderts gefordert. 2050 gilt. China hat allein im Jahr 2016 mehr als
Und auf der Weltklimakonferenz in Paris im Dezem- 64 Gigawatt Erneuerbare Energien ans Netz gebracht
ber 2015 haben 197 Staaten das Ziel formuliert, die – und damit so viel wie Deutschland in den vergan-
Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Cel- genen acht Jahren. Zudem gilt sowohl in Kalifornien
sius zu begrenzen. Beide Beschlüsse laufen letztlich als auch ab 2019 in China eine verpflichtende Quote
darauf hinaus, die Energiewirtschaft unabhängig zu für Elektroautos, um der inländischen Industrie auf
machen von Kohle, Öl und Gas – und sie umzubauen Basis eines nationalen Marktes eine zentrale Rolle auf
in Richtung Erneuerbare Energien und Energieeffi- dem globalen Zukunftsmarkt der Elektromobilität zu
zienz. sichern – während Deutschland eine klare Strategie
für die Markteinführung der Elektromobilität ver-
Nun hat die neue US-Administration im Mai 2017 missen lässt.
angekündigt, sich aus dem Weltklimaabkommen
zurückziehen zu wollen. Hauptbegründung war, dass Vor diesem Hintergrund beschreibt das hier vorge-
das Klimaabkommen der wirtschaftlichen Entwick- legte Impulspapier von Agora Energiewende die Ziele
lung der USA im Wege stehe. Die Kritik an dieser und Strategien für eine erfolgreiche zweite Phase der
Entscheidung aus dem In- und Ausland war flächen- Energiewende bis zum Jahr 2030. Denn das Jahr 2030
deckend und hat Gegenreaktionen in vielen US-Bun- stellt eine wichtige Wegmarke in der Energiewende
desstaaten und Kommunen ausgelöst. dar: Bis dahin soll die Hälfte des noch verbleibenden
Weges bis zu einer dekarbonisierten Energieversor-
Hintergrund hierfür sind nicht nur Sorgen um das gung im Jahr 2050 bewältigt sein.
globale Klima, sondern auch wirtschaftspolitische
Erwägungen. Denn die Kosten zentraler Energie- Die Energiewende war bisher vor allem eine Strom-
wendetechnologien sind in den letzten Jahren stark wende. Die zweite Phase der Energiewende wird
gesunken. In vielen Teilen der Welt sind Wind und dadurch geprägt sein, dass zur Stromwende die Wär-
Solar heute die kostengünstigste Art, Strom zu erzeu- mewende und die Verkehrswende hinzukommen.
gen. In Deutschland, Europa und USA übertrifft die Zudem werden die Erneuerbaren Energien nicht ein-
Zahl der Beschäftigten im Bereich der Erneuerba- fach nur, wie bisher, in das bestehende Energiesys-
ren Energien bereits deutlich die der Beschäftigten tem integriert werden, sondern im Stromsektor die
in Kohle, Öl und Gas. Eine Zeitenwende kündigt sich Mehrheit übernehmen und damit das Energiesystem
an: War Klimapolitik in der Vergangenheit oft eine grundlegend transformieren.
Debatte um die Verteilung von Lasten, geht es heute
darum, welche Region den größten Anteil haben Insgesamt geht es darum, die Energiewende in
wird an dem global stetig steigenden Energiewende- Deutschland zu einem Erfolg zu machen – sowohl in
Wachstumsmarkt. ökologischer Hinsicht als auch wirtschaftlich und als
Gemeinschaftswerk. So kann Deutschland auch in
Deutschland sieht sich bei Energiewende und Kli- der zweiten Phase der Energiewende Vorreiter blei-
maschutz als Vorreiter. Doch um den Zukunftsmarkt ben und Lösungen für die anstehenden energiewirt-
der Energiewendetechnologien hat längst ein Wett- schaftlichen Herausforderungen finden, die globale
lauf begonnen: So hat Kalifornien (für sich genom- Strahlkraft besitzen.
men die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt)
9
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
10
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Weltweit ändert sich die Basis der Energieversor- bar – sie verbindet jeweils der Buchstabe D. Die sie-
gung. Inzwischen wird in den größten Märkten der ben Ds, die wir als maßgeblich identifiziert haben,
Welt – USA, China und Europa – mehr in Erneuer lauten:
bare-Energien-Kapazitäten investiert als in alle
anderen Stromerzeugungstechnologien zusammen. 1. Degression der Kosten: Wind, Solar und Batterien
Weltweit stammten 2015 etwa 60 Prozent der neu werden immer günstiger.
installierten Kraftwerksleistung aus Erneuerbaren
Energien. Wind und Solar haben Kohle, Gas, Kern 2. Dekarbonisierung: Der Klimawandel beschleunigt
energie und Öl als zentrale Energieträger der Zukunft sich und zwingt zum Handeln.
abgelöst. Auch für Entwicklungsländer, die bisher
unter andauernder Energiearmut leiden, öffnen sich 3. Deflation der Energiepreise: Kohle, Öl und Gas
neue Perspektiven. Die Energiewende ist binnen bleiben billig, werden aber volatiler.
weniger Jahre zu einem weltumspannenden Phäno-
men geworden. 4. Dominanz der Fixkosten: Die Energiewelt der
Zukunft hat geringe Betriebskosten.
Einige übergeordnete Trends geben die Richtung
vor, in die sich die Energiesysteme national wie 5. Dezentralität: Die Struktur des neuen Energiesys-
international zukünftig bewegen. Die im Folgenden tems ist viel dezentraler.
beschriebenen Megatrends der Energiewende sind
physikalisch, gesellschaftlich, ökonomisch und durch 6. Digitalisierung: Energie wird smart und vernetzt.
neue technologische Entwicklungen bestimmt. Sie
existieren weitgehend unabhängig von nationalen 7. Demokratisierung: Energie betrifft Bürgerinnen
Energiepolitiken. und Bürger direkt.
Jede Energiepolitik muss diesen Megatrends Rech- Es ist keineswegs auszuschließen, dass in Zukunft
nung tragen – und das vor dem Hintergrund einer weitere übergeordnete Entwicklungen hinzukom-
wachsenden Weltbevölkerung mit einem in der glo- men, die sich heute noch nicht abzeichnen. Für
balen Perspektive auf absehbare Zeit steigenden die Gestaltung der Energiepolitik in den kommen-
Energiebedarf. Megatrends bedeuten jedoch nicht, den Jahren dürften diese sieben Trends dennoch die
dass Energiepolitik verzichtbar wird. Sie bilden viel- Grundlage bilden, die jegliche Politik zu beachten hat.
mehr die Grundlage, auf der jegliche Energiepolitik
aufbaut. Um das Energieversorgungssystem entspre-
chend des energiepolitischen Zieldreiecks wirt-
schaftlich, versorgungssicher und umweltfreundlich
auszugestalten, müssen diese Megatrends beach-
tet werden, um dann – auf ihnen aufbauend – kluge
Politik zu formulieren.
11
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
–20
Kostenreduktion [%]
–40 –41 %
–54 %
–60
–64 %
–73 %
–80
–94 %
–100
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
12
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Der Klimawandel ist real: Seit 1970 steigt die Erderwärmung deutlich an,
seit 1980 haben sich die Extremwetterereignisse verdreifacht Abbildung 2
1,5 800
2016: +1,1 °C
Wetterbedingte Schadenereignisse weltweit
700
1 600
Erderwärmung in [°C]
500
0,5 400
300
0 200
100
–0,5 0
1880 1910 1940 1970 2000 1980 1990 2000 2010
Klimatologische Ereignisse
Als klimatologische Ereignisse werden Wirbelstürme, Unwetter und Gewitter bezeichnet, als hydrologische Ereignisse Überschwemmungen,
Erdrutsche, Lawinen und Steinschläge, als meteorologische Ereignisse Dürren und Hitzeperioden.
MunichRE (2016), WMO (2017)
13
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
90
Brennstoffpreise [$_2015/MWh_th]
60
30
0
2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030
14
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
100
Kostenstruktur der Stromgestehungskosten im Jahr 2020 [%]
80
60
40
20
0
Braunkohle Steinkohle Gas (CCGT) Gas (OCGT) Wind Onshore Wind Offshore Photovoltaik
Konventionelle Erneuerbare
Variable Betriebskosten sind v. a. Kosten für Brennstoffe und CO2-Ausstoß, fixe Betriebskosten v. a. Personal, Wartung und Instandhaltung
Eigene Berechnungen auf Basis von IEA/NEA (2015)
15
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
Höchst-
spannung
Hoch- und
Mittel-
spannung
Nieder-
spannung
Eigene Darstellung
16
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Die Digitalisierung ermöglicht die enge Vernetzung von Strom, Wärme und Verkehr Abbildung 6
Strom
Wärme Verkehr
Eigene Darstellung
17
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
Bündnis Bürgerenergie e. V. (Jörg Farys), Ende Gelände, Boris Roessler/dpa, Nicolas Armer/dpa
18
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
→→ Die Importquote für den Gesamtprimärenergieeinsatz (Kohle, Öl, Gas, Erneuerbare) sinkt
Versorgungs
2030 auf unter 60 %.
sicherheit →→ Der Stromausfallindex SAIDI verbleibt dauerhaft unter 20 Minuten pro Jahr.
→→ Die Engpässe bei den Strom-, Gas-, und Verkehrsnetzen an den Außengrenzen werden
Europäische reduziert.
Einbindung →→ Bei Versorgungssicherheit, Ausbau Erneuerbarer Energien und Strommarktdesign gibt
es eine enge Kooperation Deutschlands mit den Nachbarn.
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
Die Konkretisierung des Ziels der Umweltverträg- Diese Ziele sind nur durch den massiven Ausbau der
lichkeit für 2030 fokussiert sich auf die bereits Erneuerbaren Energien erreichbar. Damit nicht nur
beschlossenen Klimaschutzziele. So haben Bundestag Klimaschutz, sondern auch Umwelt- und Naturver-
und Bundesregierung festgelegt, dass Deutschland träglichkeit gewahrt werden, muss dieser Ausbau
seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindes- im Einklang mit naturschutzfachlichen Prinzipien
tens 55 Prozent unter das Niveau von 1990 redu- erfolgen. Dies gilt für die Planung von Onshore- und
zieren soll, bis 2040 um mindestens 70 Prozent und Offshore-Windparks sowie insbesondere für die Nut-
bis 2050 um 80 bis 95 Prozent. Um innerhalb des zung von Biomasse, wo aus Gründen der Artenvielfalt
klimapolitischen Zielkorridors für 2050 flexibel zu statt Maismonokulturen auch alternative Pflanzen
bleiben, also je nach den künftigen Notwendigkeiten zum Einsatz kommen sollten. Darüber hinaus entste-
sowohl seinen unteren als auch seinen oberen Rand hen durch die Rekultivierung der nicht mehr genutz-
ansteuern zu können, ist es sinnvoll, die Transfor- ten Braunkohlentagebaue neue naturschutzfachliche
mationsstrategie bis 2030 entlang eines mittleren Herausforderungen. Die bestehende Naturschutzge-
Reduktionspfads von minus 87,5 Prozent bis 2050 zu setzgebung bietet hierfür einen geeigneten Rahmen,
konzipieren. der jeweils vor Ort konkret ausgefüllt werden muss.
Der Beitrag der Energiesektoren zum Gesamtklima- Eine wirtschaftliche Energiewende 2030
schutzziel wird dabei größer ausfallen als der Durch-
schnittswert. Denn in den Sektoren Industrie und Um die Transformation des Energiesystems für alle
Landwirtschaft entstehen erhebliche prozessbe- Verbrauchergruppen – also für die Privathaushalte
dingte Emissionen, für die in der absehbaren Zukunft ebenso wie für die Wirtschaft – tragbar und das heißt
nur begrenzt kostengünstige Vermeidungstechno- vor allem auch bezahlbar zu gestalten, ist ihre volks-
logien zur Verfügung stehen. In einem aus heutiger wirtschaftliche Optimierung ein zentrales Ziel. Die
Sicht anspruchsvollen Szenario können Industrie und privaten Haushalte sollen, bezogen auf die verfügba-
Landwirtschaft ihre Emissionen bis 2050 um 60 Pro- ren Einkommen, nicht stärker belastet werden als in
zent gegenüber 1990 reduzieren.8 Dies bedeutet im der Vergangenheit. Für die deutsche Industrie müs-
Umkehrschluss, dass die energiebedingten Treib- sen die transformationsbedingten Kosten auf ein Maß
hausgasemissionen bis 2050 um mindestens 92 Pro- begrenzt bleiben, das ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht
zent sinken, wobei die verbleibenden Restemissio- gefährdet. Deutschland bleibt mit der und durch die
nen in den Energiesektoren zu großen Teilen von der Energiewende ein Land, dessen wirtschaftliche Stärke
Müllverbrennung und von flüchtigen Emissionen sich aus seiner hochentwickelten Industrie ableitet.
beansprucht werden.
Eine wettbewerbliche und europäische Ausrichtung
De facto heißt also ein mittlerer Klimareduktionspfad der Energiemärkte bleibt deshalb unverzichtbarer Teil
von minus 87,5 Prozent bis 2050, dass Strom, Wärme des Zielkatalogs der Energiewende. Schritte in die
und Verkehr bis 2050 fast vollständig dekarbonisiert richtige Richtung sind die Fokussierung der Energie
sind. Für das Zwischenziel 2030 bedeutet dies eine wende auf die kostengünstigsten Erneuerbaren Ener-
Reduktion der energiebedingten Emissionen um etwa gien – Windkraft und Solarenergie –, die Umstel-
60 Prozent bis 2030 als Beitrag zum Minus-55-Pro- lung des Finanzierungssystems für Erneuerbare auf
zent-Gesamtziel Deutschlands. Dieser Wert ent- Ausschreibungen sowie die Stärkung des Strom-
spricht den 2030-Sektorzielen wie sie im von der markts. Im Zuge des weiteren Ausbaus von Windkraft
20
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
und Solarenergie steigt der Flexibilitätsbedarf des Abschreibungszeiten nicht mit den Klimazielen ver-
Stromsystems weiter an. Damit dieser kosteneffizi- einbar sind (zum Beispiel weil sie über 2050 hinaus
ent gedeckt wird, braucht es einen diskriminierungs- reichen), sollten vermieden werden, da sonst hohe
freien Wettbewerb zwischen allen verfügbaren Flexi- volkswirtschaftliche Verluste drohen.
bilitätsoptionen: Stromhandel mit den europäischen
Nachbarn, flexible Kraftwerke, Speicher, Lastmanage- Energiekosten sind das Produkt aus Energiepreis und
ment, Power-to-X, Sektorkopplung. Eine einseitige Energieverbrauch. Einer verbesserten Energieeffizi-
Bevorzugung einzelner Technologien ist nicht sinn- enz kommt deshalb eine Schlüsselrolle zu. Fortschritte
voll, vielmehr soll der Markt sein Entdeckungspoten- bei der Energieeffizienz senken nicht nur die Gesamt-
zial entfalten. Der Stromnetzausbau, auch grenzüber- kosten des Energiesystems, sie stärken zugleich die
schreitend, ist dabei eine wesentliche Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts. Da nach
den Markt. Er muss sich jedoch in seiner Dimensio- wie vor kostengünstige Effizienzoptionen, gerade auch
nierung im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse in in der Industrie, nicht ausgeschöpft sind, liegt hier ein
ein Gesamtoptimierungskonzept einfügen. großes Potenzial, um die Energiewende wirtschaftli-
cher und kostengünstiger auszugestalten.
Für die Zukunft wird es notwendig sein, die Kosten
effizienz dynamisch zu betrachten, das heißt, die Konkret bedeutet eine wirtschaftliche Energiewende
Kosten über die Zeit zu minimieren. Stranded Assets, 2030 daher, dass private und industrielle Verbrau-
das heißt Investitionen in fossile Technologien, deren cher auch im Jahr 2030 keine wesentlich höhere
10 22
1.200 20
8
SAIDI [min]
Anteil [%]
18
800 6
Energieanteil Energie- 16
Sonstige Emissionen
4 an Konsum- stückkosten-
400 14
Energiebedingte ausgaben index der
2 12
Emissionen Industrie
0 0 10
1990 2010 2030 2000 2005 2010 2015 2006 2010 2015
EUROPA:
→ Engpässe bei Netzen an den Grenzen reduzieren
→ Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit europäisch gewährleisten
Eigene Darstellung nach BMWi (2017), BMUB (2016), Destatis (2016a), Expertenkommission zum Monitoringbericht „Energie der Zukunft“ (2016)
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
Energiekostenbelastung tragen sollten, als sie bis- Teilbereichen weiter zu verbessern, wie zum Bei-
her zu tragen hatten. Der bisherige Maximalwert des spiel bei der Abhängigkeit von Energieimporten aus
Anteils der Energiekosten an den Konsumausgaben Krisengebieten.
der privaten Verbraucher betrug 9 Prozent im Jahr
2013, im Jahr 2015 ging er auf 7,6 Prozent zurück.10 Im Jahr 2015 bezog Deutschland rund 70 Prozent
Im Bereich der Industrie kann der Energiestückkos- seiner gesamten Primärenergie aus dem Ausland.12
tenindex, der von den Sachverständigen zum Moni- Durch den schrittweisen Ersatz von Kernenergie,
toring der Energiewende ermittelt wird, als Indikator Kohle, Öl und Gas durch mehr Energieeffizienz und
herangezogen werden. Er misst den Anteil der Ener- Erneuerbare Energien nimmt die Abhängigkeit von
giekosten an der Bruttowertschöpfung der Industrie Energieimporten aus bestehenden oder potenziellen
und lag in den letzten Jahren bei etwa 8 Prozent.11 Als Krisenregionen ab. Das entlastet nicht nur die natio-
Ziel für 2030 könnte insofern sowohl für Industrie nale Energierechnung, sondern verlagert auch Wert-
als auch für Privathaushalte formuliert werden, dass schöpfung aus dem Ausland ins Inland.
die Ausgaben für Energie immer unter 10 Prozent der
Bruttowertschöpfung beziehungsweise der Konsum Insbesondere das deutsche Stromsystem zeich-
ausgaben liegen sollen. net sich aktuell durch hohe Zuverlässigkeit aus. Die
Werte des Stromausfallindex SAIDI13, das heißt die
Bei einer solchen Durchschnittsbetrachtung müs- durchschnittlichen ungeplanten Stromausfallzeiten
sen spezifische Situationen unterschiedlicher Ver- in den Verteilnetzen, haben sich während der ers-
brauchergruppen berücksichtigt werden. Einerseits ten Phase der Energiewende weiter verbessert. 2015
müssen etwaige Kostensteigerungen in Privathaus- erreichte er mit zwölf Minuten pro Jahr ein histo-
halten mit geringen Einkommen, die von jeher einen risches Minimum.14 Langfristiges Ziel muss es sein,
überdurchschnittlichen Energiekostenanteil an ihren die auch im Vergleich mit anderen Industrieländern
Gesamtausgaben aufweisen, über gute Sozialpolitik herausragende Zuverlässigkeit der Stromversorgung
begrenzt werden. Andererseits sind auch in Zukunft dauerhaft zu wahren.15
Ausnahmeregelungen für Teile der Industrie notwen-
dig und sinnvoll, um die Wettbewerbsfähigkeit des Hierzu sind zwei Akteure in der Pflicht: die Über-
Industriestandortes Deutschland abzusichern. Aus- tragungsnetzbetreiber und die Politik. Die Übertra-
nahmeregelungen dürfen jedoch nicht dem Ziel eines gungsnetzbetreiber sind für die Systemsicherheit
effizienten und flexiblen Energieverbrauchs in den verantwortlich. Die Politik muss die Rahmenbedin-
begünstigten Sektoren entgegenwirken. gungen im Energiewirtschaftsrecht mithilfe geeig-
neter Instrumente (zum Beispiel Kapazitätsreserven,
Eine versorgungssichere Energie Kapazitätsmärkte o. Ä.) so setzen, dass die Versor-
wende 2030 gungssicherheit jederzeit gewährleistet ist.16
Die zuverlässige Versorgung mit Energie hat für jede Als Konkretisierung des Ziels Versorgungssicher-
Volkswirtschaft höchste Priorität – insbesondere heit für das Jahr 2030 kann somit formuliert werden,
aber für einen im globalen Wettbewerb stehenden dass die Importabhängigkeit der Primärenergieträ-
Industriestandort wie Deutschland. Seit Jahrzehnten ger (Kohle, Öl, Gas, Erneuerbare) auf unter 60 Prozent
nimmt Deutschland bei der Versorgungssicherheit sinken soll und der Stromausfallindex SAIDI dauer-
im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein. haft unter 20 Minuten Ausfallzeiten pro Kunde und
Dabei muss es bleiben. Die Aufgabe der Energiepolitik Jahr verbleiben soll.
besteht darin, die Versorgungssicherheit im Wandel
auf dem gewohnt hohen Standard zu halten und in
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
1.500
1.000
davon
Energie: –92 %
500
Sonstige: –65 %
250
0
1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Kopplung der Sektoren Strom, Wärme verluste haben. Diese neuen Verbraucher haben über
und Verkehr 2030: Alles dreht sich um ihren zusätzlichen Strombedarf und ihre Verbrauchs
die effiziente Nutzung von Wind- und profile aber auch Folgewirkungen auf den Stromsek-
tor. Konsequenz: Die Trennung zwischen den Energie
Solarstrom
sektoren Strom, Wärme und Verkehr verschwindet
Die Folge dieser drei Strategien ist die verstärkte Sek- zusehends, sie müssen gemeinsam betrachtet werden.
torkopplung. Zusätzlich zu Kraft-Wärme-Kopplungs-
anlagen und dem bestehenden Schienenverkehr wird Dieses Zusammenwachsen der Energiesektoren bei
jetzt erneuerbar produzierter Strom im Wärme- und gleichzeitiger Steigerung von Energieeffizienz und
Verkehrssektor immer stärker zum Einsatz kommen. vorwiegend heimischer Wind- und Solarstrompro-
In direkter Form durch einen zunehmenden Einsatz duktion ist aus volkswirtschaftlicher Perspektive
von Wärmepumpen und Power-to-Heat-Anlagen interessant, da es neue Marktchancen für Energie
beziehungsweise Elektroautos, Schienenverkehr oder versorger und Energiedienstleister bietet und
Oberleitungs-Lkws oder indirekt durch den Einsatz zusätzliche Wertschöpfung im Inland schafft. Aus
von strombasierten Heiz- und Kraftstoffen wie Was- Klimaschutzsicht bedeutet es, dass die neuen Strom-
serstoff, Power-to-Gas oder Power-to-Liquid. Direk- verbräuche zwangsläufig einen zusätzlichen Ausbau
ter Stromeinsatz erhöht wiederum die Effizienz, da von Erneuerbaren Energien erfordern, da sonst die
Wärmepumpen und Elektromotoren bei der Erzeu- Emissionen nur aus dem einen Sektor in den anderen
gung von Wärme und Mobilität kaum Umwandlungs- verschoben würden.
762
und Primärenergieverbrauch [TWh]*
3.683
–1.060
149 1. Effizienz: Energieverbrauch um 30 %
457 senken
278 ~2.600
172 424–439
479
246 ~85
~240
1.018 ~220
3. Fossile: Erdöl und Kohle halbieren, ~125
Erdgas um 20 % senken ~510
27
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
In den Jahren bis 2030 geht es darum, die zweite 2. Kohleverstromung halbieren
Phase der Energiewende im Stromsektor erfolg- Wegen des hohen Anteils von Braun- und Steinkohle
reich zu absolvieren. Das bedeutet, dass bis 2030 das im Strommix bedeutet eine Halbierung der Strom
Stromsystem in das Zeitalter der Erneuerbaren Ener- emissionen auch eine Halbierung der Kohleverstro-
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
mung bis 2030. Dies reduziert auch die aktuell hohen Onshore-Windkraft, 86 Gigawatt Photovoltaik und 20
Kohlestromexporte Deutschlands in seine Nachbar- Gigawatt Offshore-Windkraft sein. Ein großer Teil des
länder. Die alten Kohlekraftwerke werden im Laufe Zubaus im Zeitraum 2018 bis 2030 kann zu Strom-
der 2020er-Jahre stillgelegt. Dort, wo sie Wärme kosten von unter fünf Cent je Kilowattstunde realisiert
erzeugt haben, werden sie durch Gas-KWK-Anla- werden und verursacht daher keine Mehrkosten.
gen, kombiniert mit erneuerbarer Wärme, ersetzt. Ab
2025 werden zusätzlich Spitzenlast-Gasmotoren in 4. Atomausstieg vollenden
Modulbauweise errichtet, um die Versorgungssicher- Die noch verbleibenden acht Kernkraftwerke wer-
heit trotz des Wegfalls der Kohlekraftwerke jederzeit den zwischen 2017 und 2022 stillgelegt. Durch die
zu gewährleisten. Abschaltung von inflexiblen Kernkraftwerken ent-
steht mehr Platz im Netz für Erneuerbare Energien,
3. Erneuerbare Energien auf 60 Prozent anheben das reduziert Überschusssituationen. Da zwischen
Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduk- Dezember 2021 und Dezember 2022 innerhalb relativ
tion, der aktuell 30 Prozent beträgt, verdoppelt sich bis kurzer Zeit sechs Kernkraftwerke mit einer Leis-
2030. Neue Verbraucher aus Wärme und Verkehr wer- tung von über acht Gigawatt vom Netz gehen, müssen
den komplett durch zusätzliche Erneuerbare Energien Politik und Bundesnetzagentur hier vorausschauend
abgedeckt. Während im Jahr 2015 etwa 42 Gigawatt im Sinne der Versorgungssicherheit agieren. Hierzu
Onshore-Windkraft, 40 Gigawatt Photovoltaik und gehört gegebenenfalls eine kurzfristig höhere Kapa-
gut 3 Gigawatt Offshore-Windkraft installiert waren, zitätsreserve zur Absicherung möglicher Spitzensitu-
werden es im Jahr 2030 voraussichtlich 91 Gigawatt ationen in den Wintern 2021/22 und 2022/23.
Mit vier Strategien die Stromemissionen bis 2030 fast halbieren Abbildung 11
700
647
~610
600 595
62 1. Strom effizient nutzen Verbrauch stabil trotz
~70 Sektorkopplung
500 118
~60
Nur noch rund 20 %
400 2. 3 GW Kohle p. a. stilllegen ~80 Kohle im Mix
155
300
3. Erneuerbare auf 60 % verdoppeln 60 % Erneuerbare
200 Energien
187 ~370
100
4. Atomausstieg vollenden
92 Atomausstieg 2022
0
Bruttoinlandsverbrauch
AGEB (2017a), BMUB (2016), eigene Berechnungen auf Basis Agora Energiewende (2016a), EWI/Prognos/GWS (2014a), UBA (2017c)
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
stunden, etwa jeweils zur Hälfte in Gebäuden und für Abfall-Biomasse. Diese sollen umfassend reali-
Industrieprozesswärme. siert werden, sodass 2030 etwa 200 Terawattstun-
den erneuerbare Wärme direkt genutzt werden. Dies
2. Kohle- und Ölverbrauch mehr als halbieren beinhaltet eine Modernisierung der Fernwärmenetze
Die CO2-intensivsten Energieträger sind Kohle und hin zu Niedertemperaturnetzen.
Öl. Deshalb werden diese bis 2030 deutlich reduziert.
Erdgas hingegen wird weiter genutzt und das Erdgas- 4. Elektrifizierung mit Wärmepumpen
netz wird vorgehalten für die Zeit erneuerbar herge- Wind- und Solarstrom mittels Power-to-Heat und
stellter Brennstoffe. Konkret bedeutet das: In Gebäuden Wärmepumpen auch im Wärmesektor zu nutzen, ist
werden einfache Ölheizkessel bis 2030 weitgehend effizienter Klimaschutz. Bis 2030 werden fünf bis
durch Öl-Hybrid-Wärmepumpen-Heizungen oder sechs Millionen Wärmepumpen eingebaut, die Hälfte
andere Technologien ersetzt; in den Fernwärmenetzen davon als Hybridlösungen mit Gas- oder Ölkesseln.
und der industriellen Wärmenutzung wird der Kohle- Da parallel ineffiziente Strom-Nachtspeicherheizun-
verbrauch halbiert. gen, die noch vielfach im Einsatz sind, ausgetauscht
werden, ist der zusätzliche Strombedarf begrenzt und
3. E
rneuerbare Wärme ausbauen beträgt nur rund 20 Terawattstunden.
Sowohl im Gebäudesektor als auch in Fernwärme
netzen und in der Industrie existieren noch viele Sollten diese Strategien nicht erfolgreich sein, müss-
Optionen zur Nutzung erneuerbarer Wärme wie ten erhebliche Mengen Power-to-Gas zum Einsatz
Geothermie, Solarthermie, Umweltwärme und kommen, um das Sektorziel zu erreichen.
1.600
Endenergieverbrauch von Wärme/Kälte [TWh]
1.373
3. Elektrifizieren
AGEB (2016a), BMUB (2016), UBA (2017a), eigene Berechnungen auf Basis EWI/Prognos/GWS (2014a), Fraunhofer IWES/IBP (2017)
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
und Wohnen werden verkürzt. Mithilfe von digitalen 3. Elektromobilität mit erneuerbarem Strom
Technologien lassen sich Transporte effizienter orga- Da Biokraftstoffe nicht weiter zunehmen, erfolgt die
nisieren und privater und öffentlicher Verkehr besser Nutzung Erneuerbarer Energien im Verkehrssek-
vernetzen. Neue Pkws und Lkws werden im Real- tor über Wind- und Solarstrom. So werden im Jahr
verbrauch tatsächlich sparsamer als ihre Vorgänger. 2030 etwa zehn bis zwölf Millionen Elektro- und
Insgesamt ist es so möglich, den Energieverbrauch im Wasserstoffautos auf den Straßen fahren. Zudem sind
Verkehrssektor um etwa 30 Prozent zu reduzieren. 80 Prozent der Bahnstrecken statt bisher 60 Prozent
elektrifiziert. Um auch den Lkw-Verkehr sauberer zu
2. Stärkung von Bahn, Bus und Shared Mobility machen, werden bis 2030 erste wichtige Autobah-
Mehr Güter- und Personenverkehr auf der Schiene nen mit Oberleitungen ausgestattet, sodass auf diesen
reduziert den Verkehr auf den Straßen. Vorausset- Strecken Hybrid-Lkws mit Strom fahren. Im Ergebnis
zung hierfür ist ein schneller und deutlicher Aus- steigt der Strombedarf im Verkehr bis zum Jahr 2030
bau des Schienennetzes. Zudem kann der öffentliche um rund 50 Terawattstunden.
Nahverkehr durch attraktive Angebote, neue Trassen
und IT-Innovationen (zum Beispiel Sammeltaxis mit Sollten diese Strategien nicht erfolgreich sein, müss-
autonom fahrenden Autos) mehr Fahrgäste gewinnen. ten erhebliche Mengen strombasierte Kraftstoffe
So findet der bis 2030 erwartete weitere Zuwachs im zum Einsatz kommen. Eine schnell steigende Beimi-
Personen- und Güterverkehr weitestgehend auf der schungsquote von Power-to-Liquid bei Benzin und
Schiene und im öffentlichen Verkehr statt. Diesel wäre die Folge, um auf diesem Weg das Sektor-
ziel des Verkehrs zu erreichen.
–220
Efficiency First:
1. Effizienz der Fahrzeuge steigern, IT-
Logistik nutzen, Verkehr vermeiden 30 % weniger Energie-
600
verbrauch
~500
400
685 Verbrauch von Benzin
2. Bus und Bahn stärken,
Shared Mobility einführen und Diesel sinkt um 40 %
~410
(alternativ: hohe PtL-Bei-
mischungsquote)
200
3. Elektrifizieren
~30
30 ~60 10–12 Mio. Elektroautos
0
12
AGEB (2016a), BMUB (2016), eigene Berechnungen auf Basis EWI/Prognos/GWS (2014a)
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Power-to-X-Technologien sind der Schlüs- Für die Energiewende nach 2030 ist es daher zentral,
sel für die Energiewende nach 2030 und Power-to-X-Technologien (inklusive der Abschei-
müssen anwendungsreif werden dung von CO2 aus der Luft) rasch zur Anwendungs-
reife zu bringen. Während für viele Technologien
Nichtsdestotrotz zeigt das Thema Power-to-X, also die bereits die Grundsteine gelegt sind und lediglich die
Verwendung von Strom zur Herstellung von Produkten Marktreife erreicht werden muss, ist für andere noch
für andere Sektoren, dass technologieoffene Forschung Grundlagenforschung notwendig. Zudem ist auch
und Demonstration zwingend notwendig sind, um die eine gemeinsame internationale Strategie für die
Energiewende und den Klimaschutz auch langfristig Erzeugung und den Transport dieser Gase, Kraft-
zum Erfolg zu führen. Power-to-Heat ist bereits jetzt stoffe und Chemikalien nötig. Bundesregierung und
etabliert, weitere Power-to-X-Technologien müssen Industrie sollten deswegen ihre Energieforschungs-
folgen. Denn strombasierte Kraftstoffe, Gase und Che- aktivitäten in einem Pakt für Zukunftsforschung
mikalien sind Langzeitspeicher für Wind- und Solar- bündeln, sich auf eine Forschungs- und Demonstra-
strom und der Schlüssel für die Dekarbonisierung von tionsagenda einigen und diese Agenda mit gezielten
Flugzeugen, Schiffen und Lastwagen. Zudem können Markteinführungsprogrammen kombinieren – am
sie CO2-freie Energieträger für energieintensive Pro- sinnvollsten mit einem Fokus auf Netzengpassregio-
zesse in der Industrie sowie klimaschonende Basis nen, in denen Erneuerbaren-Strom sonst abgeregelt
chemikalien für die Chemieindustrie liefern. werden müsste.
2.000
1.800
Energieforschungsausgaben [Mio. Euro_2010]
1.600
1.400
1.200
1.000
800
600
400
200
0
1991 1995 2000 2005 2010 2015
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
In Zukunft werden zahlreiche CO2-arme Wärme- ler Bedeutung, bis 2030 kommunale Wärmekonzepte
quellen – Biomasseanlagen, Geothermie, Solarther- zu erstellen, die eine langfristig CO2-freie Wärme-
mie, Großwärmepumpen, Power-to-Heat-Anlagen, versorgung mit der jeweils benötigten Infrastruktur
industrielle Abwärme – in Wärmenetze einge- skizzieren, und diese dann umzusetzen.
bunden und reduzieren so sukzessive den fossilen
Anteil der Wärme. Gleichzeitig sinkt aufgrund der Verkehrsnetze 2030: Die Elektrifizierung
Gebäudesanierung der Wärmebedarf. Daher ist es der Verkehrswege vorantreiben
nötig, die Netze zu Niedertemperaturnetzen umzu-
bauen und sie hydraulisch so auszulegen, dass ver- Um den Verkehr zu dekarbonisieren, ist neben der
schiedene dezentrale Wärmeerzeuger ins Netz ein- Steigerung der Effizienz die Elektrifizierung die zent-
speisen können. rale Strategie. Hierfür ist die Verkehrsinfrastruktur
aber bei Weitem noch nicht ausgelegt; umfassende
Die Bedeutung der Gasnetze im Verlauf der Energie Investitionen sind notwendig. Dies beinhaltet vor
wende ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Der allem drei Maßnahmen:
Erdgasverbrauch wird bis 2030 nur leicht sinken, da
der primäre Fokus auf der Reduktion der CO2-inten- →→ Schienennetze ausbauen und elektrifizieren: Um
siveren Energieträger Kohle und Erdöl liegt. Auf dem mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, ist ein
Weg zu den Klimaschutzzielen im Jahr 2050 wird der zügiger Schienennetzausbau nötig. Die Teile des
Verbrauch von fossilem Erdgas nach 2030 nahezu Schienennetzes, die nach wie vor mit Dieselloks
vollständig reduziert. befahren werden, müssen zügig elektrifiziert wer-
den – bis 2030 ist ein Elektrifizierungsgrad von
Die zentrale Frage für die Zukunft der Gasnetze ist 80 Prozent möglich.
daher, in welchem Umfang Power-to-Gas zum Ein- →→ Ladeinfrastruktur für Elektromobilität: Die zehn
satz kommen wird. Synthetische CO2-freie Gase wie bis zwölf Millionen Elektroautos im Jahr 2030
Wasserstoff oder Methan eignen sich zum Heizen, als benötigen eine Ladeinfrastruktur. Sowohl an Auto-
Energieträger und Basisstoff in der Industrie sowie bahnen und Landstraßen, aber auch innerstädtisch
als Langzeitspeicher für Wind- und Solarstrom. Ihr und in Gewerbeimmobilien ist der Aufbau einer
Nachteil sind jedoch die Kosten in der Herstellung: entsprechenden Infrastruktur notwendig.
Die direkte Nutzung von Strom und Energieeffizi- →→ Oberleitungen an Autobahnen: Um den
enz werden nach heutiger Erkenntnis im Vergleich zu überregionalen Güterverkehr auf zentralen Stre-
einer Nutzung synthetischer Gase günstiger sein. Es cken Deutschlands zu elektrifizieren, bieten sich
ist insofern zu erwarten, dass das Gasnetz 2050 klei- Oberleitungs-Lkws an, die als Hybridfahrzeuge
ner sein wird als heute. Gasverteilnetze im ländlichen einen Teil ihrer Strecke mit Strom fahren. Hierfür
Raum werden sich vermutlich immer weniger rech- ist nach Abschluss der Pilotprojekte bis 2030 die
nen. Langfristig wichtig bleiben dürfte das Gasnetz Installation von Oberleitungen an Hauptverkehrs
jedoch in Regionen mit hoher Industriedichte sowie adern nötig.
zur Belieferung von Kraftwerken, die die Versor-
gungssicherheit gewährleisten. Der aktuelle Bundesverkehrswegeplan wurde vor
dem Klimaschutzplan 2050 mit seinem 2030-Ver-
Wo welche Wärme- und Gasnetze langfristig zum kehrssektorziel beschlossen und enthält daher nicht
Einsatz kommen, ist eine Frage, die nur anhand der diese notwendigen Investitionen. Es ist nötig, diesen
jeweiligen lokalen Potenziale für eine CO2-freie Wär- nach Erstellung eines Verkehrswendekonzepts 2030
meerzeugung im Abgleich mit den Wärmesenken grundlegend zu überarbeiten.
entschieden werden kann. Daher ist es von zentra-
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
wertschöpfung, liegen leicht unter dem europäischen so nicht anfallen werden. So würden die Vergütungen
Durchschnitt und betragen im Jahr 2015 im Schnitt für Erneuerbare-Energien-Anlagen nur rund 10 statt
7 Prozent.49 Sie sind seit 2008 um knapp 10 Prozent heute 24 Milliarden Euro betragen, wenn die derzeit
zurückgegangen, wobei sie in der energieintensiven 32 Prozent Erneuerbare Energien auf Basis der aktu-
Industrie deutlich stärker gefallen sind als insgesamt. ellen Wind- und Solarstromtarife finanziert würden
Hintergrund sind die gesunkenen Börsenstrompreise statt wie tatsächlich zu den alten Vergütungssätzen.51
bei gleichzeitig weitreichenden Ausnahmetatbestän- Hinzu kommen die staatlichen Förderprogramme in
den für die energieintensive Industrie im Bereich der den Bereichen Wärme und Verkehr in Höhe von etwa
Steuern, Abgaben und Umlagen. Insgesamt konnte so 2 Milliarden Euro.52 Somit betragen die Mehrausga-
die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ben für die Energiewende im Jahr 2015 etwa 22 Mil-
gesichert werden: Zwischen 2000 und 2015 wuchs liarden Euro.
das Bruttoinlandsprodukt um 43 Prozent und die
Industrieproduktion stieg um 25 Prozent. Die energiewendebedingten Mehrausgaben haben
zusätzliche wirtschaftliche Impulse bei Anlagen-
Von den 193 Milliarden Euro Energiekosten des bau, Handwerk und technischen Dienstleistungen
Jahres 2015 können grob etwa 20 Milliarden als ausgelöst. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte dieser
Energiewendekosten im Stromsektor beziffert wer- Mehrausgaben und Investitionen gegenüber einem
den.50 Ein großer Teil hiervon sind die oben genann- kontrafaktischen Nicht-Energiewende-Szenario
ten historischen „Rucksackkosten“, die in der Zukunft lassen sich modellhaft abschätzen. EWI/Prognos/
250
219
211
204 207
Letztverbraucherausgaben [Mrd. Euro]
200 193
84
86 83
83
72
150
100 64
61 54 52
57
50
64 64 71 70 69
0
2011 2012 2013 2014 2015
40
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
GWS haben dies für die Energiewende der Jahre 2010 ganz entscheidend, ob die Energiewende Zusatz-
bis 2013 getan.53 Sie beziffern die Effekte in die- kosten verursacht oder nicht. Denn je geringer die
sem Zeitraum wie folgt: Wegen höherer Stromkos- Kosten für CO2 angesetzt werden, desto günstiger
ten lag die Inflation im Jahr 2013 um 0,25 Prozent wird das Nicht-Energiewende-Szenario.
über dem Niveau, das sie ohne Energiewende gehabt
hätte. Gleichzeitig stieg aber wegen der zusätzlichen Folgende sechs Kernergebnisse können dennoch aus
Investitionen auch das Wirtschaftswachstum, mit dem Studienvergleich herausdestilliert werden:
dem Effekt eines um 0,4 Prozent höheren Brutto
inlandsprodukts im Zeitraum 2010 bis 2013. Dies 1. Die Energiewende bedeutet deutliche Zusatz
führte im Durchschnitt zu einem Beschäftigtenzu- investitionen, diese sind jedoch tragbar
wachs von 70.000 Beschäftigten pro Jahr. Die Zusatzinvestitionen, die durch die Energiewende
insgesamt pro Jahr notwendig werden, belaufen sich
Kosten und Nutzen der Energiewende je nach Studie zwischen 15 und 40 Milliarden Euro
im Jahr 2030 und 2050 pro Jahr. Zum Vergleich: Die Bruttoanlageinvestitio-
nen Deutschlands betrugen 2015 rund 600 Milliarden
Eine umfassende und vergleichende Analyse der Euro. Das bedeutet, dass die jährlichen Investitionen
Energiewendezusatzkosten haben bisher fünf ver- in einer Energiewendewelt im Mittel um +/- 5 Prozent
schiedene Studien vorgenommen.54 Dabei werden gegenüber dem Status quo gesteigert werden müssen.
jeweils die Kosten eines Business-as-usual-Szenarios Dies erscheint grundsätzlich tragbar.
beziehungsweise eines Nicht-Energiewende-
Szenario mit denen eines Energiewendeszenarios 2. Werden Klimaschäden mit 50 bis 60 Euro je
verglichen. Teilweise werden auch die gesamtwirt- Tonne CO2 bepreist oder steigen die Rohstoff-
schaftlichen Effekte beziffert. preise, ist die Energiewende die kostengünsti-
gere Option
Eine vergleichende Analyse dieser Studien zeigt, dass In Szenarien mit hohen Preisen für Kohle, Öl und Gas
es nicht eindeutig ist, ob die Energiewende Zusatz- führen die Zusatzinvestitionen nicht zu Zusatzkos-
kosten oder Zusatznutzen für Wirtschaft und Gesell- ten, sondern zu Zusatznutzen durch die Vermeidung
schaft mit sich bringt. Manche Studien kommen zu der teuren Importe. Geht man von gleichbleibenden
dem einen, andere zum gegenteiligen Ergebnis. Die Rohstoffpreisen aus, hängt die Antwort auf die Frage
Analyse ergibt vielmehr, dass die Antwort entschei- „Kosten oder Nutzen?“ davon ab, wie hoch der ange-
dend von zwei Annahmensets abhängt: setzte CO2-Preis ist. So beziffert etwa Fraunhofer ISE
→→ Kostenannahmen für Brennstoffe, Technologien bei einem CO2-Preis von null die Energiewendezu-
und Kapital: Da die Energiewende bedeutet, durch satzkosten auf 30 Milliarden Euro pro Jahr. Ab einem
Investitionen in neue Technologien den Verbrauch CO2-Preis von etwa 50 bis 60 Euro pro Tonne ver-
von Kohle, Öl und Gas zu vermeiden, sind zum kehrt sich in den meisten Szenarien das Verhältnis
einen die Preisannahmen für die fossilen Brenn- und die Energiewende führt zu Zusatznutzen.55
stoffe, zum anderen die erwarteten Kostenent-
wicklungen bei Energiewendetechnologien wie 3. Die Energiewende hat leicht positive gesamt-
Windkraft, Solarenergie, Batterien, Netzen oder wirtschaftliche Effekte, vor allem weil inländi-
Power-to-X-Anwendungen zentral. Entscheidend sche Effizienzwertschöpfung den Import von
sind auch die erwarteten Kapitalkosten zur Finan- Kohle, Öl und Gas ersetzt
zierung von Neuinvestitionen. In den Szenarien ergeben sich durch die Zusatzinves-
→→ Kostenannahmen für CO2: Was ist der Wert einer titionen der Energiewende leicht positive Effekte auf
vermiedenen Tonne CO2? Diese Annahme bestimmt das Bruttoinlandsprodukt. Haupttreiber ist dabei die
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
zusätzliche inländische Wertschöpfung im Bereich ausgebaut wird. Gelingt es, auf den globalen Energie-
der energetischen Gebäudesanierung, die den Import wende-Wachstumsmärkten stark zu sein (vgl. Abbil-
fossiler Energieträger (und damit den Abfluss von dung 16), kommen diese Effekte noch hinzu.
Mitteln ins Ausland) ersetzt. Der Wachstumseffekt ist
größer, je mehr man von steigenden Kohle-, Öl- und 5. Die Kapitalkosten bestimmen die Höhe der
Gaspreisen ausgeht: So erwarten EWI/Prognos/GWS Gesamtkosten der Energiewende massiv
bei Annahme konstanter Rohstoffpreise eine Steige- Da die Energiewende Zusatzinvestitionen bedeu-
rung des Bruttoinlandsprodukts durch die Energie- tet, sind die Finanzierungskosten für das einge-
wende im Jahr 2030 um 0,1 Prozent und im Jahr 2050 setzte Kapital zentral für die Höhe dieser Zusatzin-
um 1,0 Prozent.56 Bei Öko-Institut/Fraunhofer ISI vestitionen. In den Szenarien von Fraunhofer ISE
betragen die Steigerungen unter der Annahme stei- und Fraunhofer IWES wird deutlich, dass letztlich
gender Rohstoffpreise 2,5 Prozent im Jahr 2030 und die Kapitalverzinsung die Frage entscheidet, ob das
4,4 Prozent im Jahr 2050 (vgl. Abbildung 16).57 Energiewendeszenario günstiger oder teurer ist als
das Nicht-Energiewende-Szenario. Grund hier-
4. Zusatzeffekte durch steigende Exporte von für ist, dass die Energiewendetechnologien niedrige
Energietechnologien sind nicht berücksichtigt Betriebskostenanteile, aber hohe Investitionskos-
Keine der Analysen hat angenommen, dass durch tenanteile haben (vgl. Megatrend 6).
die Energiewende die Exportposition Deutschlands
als Vorreiter in klimaschutzrelevanten Technologien
4.000 9.000
+4,4 %
+1,1 %
+10 % p. a.
7.650
+2,7 %
Bruttoinlandsprodukt [Mrd. Euro_2010]
+0,1 %
3.000
+7 % p. a.
5.900
6.000
2.000
3.064
3.000
1.000
0 0
2030 2050 Referenz Ambitioniert
Eigene Darstellung nach EWI/Prognos/GWS (2014a), Öko-Institut/Fraunhofer ISI (2015), Roland Berger (2017)
42
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
6. Die Rucksackkosten der Erneuerbare- 2. Starke Position auf den globalen Energiewen-
Energien-Markteinführung belasten die Verbrau- de-Wachstumsmärkten sichern
cher bis in den Zeitraum 2021–2023 Deutschland kann von deutlichen volkswirtschaftli-
Die Markteinführung bei Photovoltaik-, Biogas- und chen Zusatzeffekte profitieren, wenn es als Technolo-
Wind Offshore-Anlagen hat jeweils eine Zeitlang hohe gievorreiter seine Position auf den globalen Energie
Kosten produziert – und aufgrund der 20-jährigen wendemärkten sichert und ausbaut. Denn dieser
Vergütungszusagen verschwinden diese erst nach und Markt wird sich bis 2025 auf etwa 6 bis 7,5 Billionen
nach aus dem System. Die neuen Wind- und Solaran- Euro mehr als verdoppeln. Hierzu ist eine gezielte
lagen sind demgegenüber sehr günstig. Der Peak der Energiewende-Industriepolitik nötig.
EEG-Kosten wird daher voraussichtlich im Zeitraum
2021–2023 liegen und danach kontinuierlich sinken. 3. CO2 braucht einen angemessenen Preis
Im Jahr 2030 liegt die Summe aus Börsenstrompreis Sobald die durch die Verbrennung von Kohle, Öl und
und EEG-Umlage dann unter dem Niveau von 2015, Gas verursachten Klimaschäden auch nur teilweise
obwohl sich der Erneuerbare-Energien-Anteil bis internalisiert werden, erweist sich die Energiewende
dahin etwa verdoppelt hat (vgl. Abbildung 17). Bis 2035 auch unter Kostengesichtspunkten als sinnvoll. Die
verstärkt sich dies nochmals deutlich, da im Zeitraum effizienteste Maßnahme für den Klimaschutz wäre
2030–2034 viele Solaranlagen aus dem EEG fallen. daher die rasche Einführung einer angemessenen
CO2-Bepreisung. Denn das EU-Emissionshandelssys-
Fazit: Die Energiewende bringt kosten tem mit seinem aktuellen Preis von 5 Euro pro Tonne
günstigen Klimaschutz, wenn man sie CO2 spiegelt die Kosten des Klimawandels in keiner
richtig angeht Weise adäquat wider und im Nicht-Emissionshan-
delsbereich sind die Effekte der Öko-Steuerreformen
Als Fazit der Analysen dieses und des vorangegange- von 1999 bis 2003 inzwischen verpufft. Aufgrund der
nen Kapitels lassen sich die folgenden sechs Schluss- zuletzt deutlich gesunkenen fossilen Brennstoffpreise
folgerungen für die Kosten der Energiewende ziehen: ist eine angemessene CO2-Bepreisung umso dringlicher
– aber auch möglich, da ja die Verbraucherausgaben für
1. Weder Hysterie noch Heilsversprechen: Die Energie in den letzten Jahren deutlich gesunken sind.
gesamtwirtschaftlichen Effekte der Energie-
wende im Inland sind begrenzt 4. Die Stromkosten vom Rucksack befreien
Bei stabilen Energiepreisen (vgl. Megatrend 3) verur- Die historischen Kosten des Erneuerbare-Energien-
sacht die Energiewende je nach Höhe des angenom- Gesetzes belasten die Stromverbraucher noch
menen CO2-Preises leichte Zusatzkosten oder einen in erheblichem Umfang, mit der Folge, dass die
leichten Zusatznutzen. Unabhängig davon sind die EEG-Umlage bis etwa 2023 noch weiter steigen und
makroökonomischen Effekte für die deutsche Volks- erst danach sinken wird (vgl. Abbildung 17). Zudem
wirtschaft tendenziell positiv, da importierte Kohle führen sie dazu, dass die Strompreise hoch sind,
und importiertes Öl und Gas durch heimische Wert- während die Heizöl-, Erdgas-, Benzin- und Diesel-
schöpfung ersetzt werden. Insgesamt sind die Effekte preise aufgrund der stabil niedrigen fossilen Roh-
jedoch in allen Analysen nicht sehr groß, da der Anteil stoffpreise aktuell wieder auf das Niveau von 2005
der Energiewendeinvestitionen an den deutschen gefallen sind. Da aber die Elektrifizierung von Wärme
Gesamtinvestitionen im einstelligen Prozentbereich und Verkehr zentrale Klimaschutzstrategien sind
liegt. Letztlich kann die Energiewende als Versiche- (vgl. Kapitel 3), ist das Preisgefüge falsch gesetzt. Eine
rung gegen ein Szenario angesehen werden, in dem Reform der Abgaben auf Strom, Heiz- und Kraftstoffe,
die Preise fossiler Rohstoffe doch deutlich steigen. die diese Schieflage beseitigt, ist nötig.
43
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
5. Entlastungen für energieintensive Betriebe 6. Bei der Umsetzung der Energiewende strikt
und einkommensschwache Haushalte sind nötig auf Kosteneffizienz achten
Die Energiekosten für Strom, Wärme und Verkehr Die jeweiligen Analysen sind davon ausgegangen,
liegen im Durchschnitt über alle Betriebe und alle dass die Energiewende kostenoptimal gesteuert wird.
Haushalte auf einem verträglichen Niveau. Dies wird Das bedeutet, dass die Energiewende entlang der in
auch in den kommenden Jahren aufgrund nur noch Kapitel 3 genannten Strategien fortentwickelt wird,
geringer Zusatzkosten der Erneuerbaren Energien so mit einem klaren Fokus auf die günstigsten Techno-
bleiben. Für im internationalen Wettbewerb stehende logien: Effizienz, Wind- und Solarenergie, Wärme-
energieintensive Betriebe und einkommensschwa- pumpen und Elektromobilität. Sollte von dieser Stra-
che Haushalte sind jedoch Entlastungen nötig, da hier tegie abgewichen werden, kann die Energiewende
die Energiestückkosten beziehungsweise der Anteil deutlich teurer werden. Damit die Energiewende also
der Energiekosten an den privaten Konsumausgaben für die deutsche Volkswirtschaft Zusatznutzen statt
deutlich über zehn Prozent liegen. Dies ist im Indus Zusatzkosten entfaltet, ist eine strikte Ausrichtung an
triebereich über die EEG-Ausnahmen bereits gege- Kosteneffizienz notwendig. Zudem muss durch klare
ben, bei einkommensschwachen Privathaushalten und verlässliche Rahmenbedingungen dafür gesorgt
jedoch noch nicht der Fall. werden, dass die Kapitalkosten für die notwendigen
Investitionen niedrig bleiben.
EE-
Anteil: 32 % 45 % 52 % 62 % 68 % 32 % 45 % 52 % 62 % 68 %
35 12
Börsenstrompreis und EEG-Umlage [ct_2017/kWh]
Vergütungsansprüche der Anlagenbetreiber
30
10
25
8
[Mrd. Euro_2017]
6,9
6,3
6,4
20
4,2
6,9
6
2,0
15
4
10
4,6
4,3
2
4,0
3,7
5
3,3
2,7
0 0
2015 2020 2025 2030 2035 2015 2020 2025 2030 2035
Hinweis (linke Abbildung): Transparente Flächen zeigen Bestandsanlagen, gefüllte Flächen zeigen Neuanlagen
Hinweis (rechte Abbildung): Börsenstrompreis steigt bis 2035 annahmebasiert auf 4,6 ct/kWh (real), entspricht 6,0 ct/kwh nominal.
Eigene Berechnung auf Basis Öko-Institut (2017a)
44
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
45
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
46
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Was wir dafür tun müssen dieser Ziele verpflichten sowie Verantwortlichkei-
Deutschland braucht ein umfassendes Klimaschutz- ten, Managementverfahren und Monitoringpro-
und Energiewenderahmengesetz, wie es in Großbri- zesse definieren, die notwendig sind, um die Ziele
tannien schon existiert und in Schweden ab 2018 in umzusetzen. So sollte etwa jeweils zu Beginn einer
Kraft treten soll. Etliche Bundesländer in Deutsch- Legislaturperiode in einem Energiewendeprogramm
land haben beziehungsweise planen ebenfalls solche angekündigt werden, welche Maßnahmen in den
Gesetze. Dieses Rahmengesetz würde keine konkreten kommenden vier Jahren beschlossen werden sollen.
Einzelmaßnahmen beinhalten, sondern vielmehr in Wichtig sind dabei auch geeignete Beteiligungspro-
einem breiten parlamentarischen Konsens den institu- zesse, damit vor Beschluss konkreter Maßnahmen
tionellen Rahmen für die Energiewende festlegen, der alle betroffenen wirtschaftlichen und gesellschaftli-
dann über Legislaturperioden hinweg tragen würde. chen Akteure ihre Vorstellungen einbringen können.
Kerninhalt des Gesetzes wäre, analog zu Kapitel 2, Sinnvoll wäre hier die Einführung eines Nationalen
eine quantitative Konkretisierung des energiepoli- Forums Energiewende, das jeweils für Strom (Forum
tischen Zieldreiecks (das heißt der Umwelt-, Wirt- Stromwende), Wärme (Forum Wärmewende) und Ver-
schaftlichkeits- und Versorgungssicherheitsziele, kehr (Forum Verkehrswende) alle zentralen Akteure
jeweils für 2030, 2040 und 2050) inklusive Einbet- einbindet und die mittel- und langfristigen Ziele und
tung dieser Ziele in den europäischen Kontext. Zudem Handlungsoptionen diskutiert.
würde das Gesetz die Verwaltung auf die Erfüllung
Bundesländer ohne
Klimaschutz- oder
Energiewendegesetz
Eigene Darstellung
47
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
48
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
sicherheit sinnvoll. Im Verkehrssektor bedeutet dies, verabschiedet werden. Das allein wird jedoch nicht
dass bis 2030 europaweit die Energieeffizienz im reichen, gerade im Bereich der Erneuerbaren Ener-
Verkehr drastisch erhöht wird und etwa ein Vier- gien müssen noch klare Ziele und verlässliche Rah-
tel der Fahrzeugflotte aus Elektrofahrzeugen besteht. menbedingungen hinzukommen. Zentral sind zudem
Für eine wirksame europäische Energiewende ist es ein wirksamer CO2-Preis im EU-Emissionshan-
nötig, die Integration der Energiesysteme über Län- del sowie zusätzliche Anstrengungen in den ande-
dergrenzen hinweg zu verstärken – und zwar auf drei ren Sektoren (Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft),
Ebenen: in physikalischer Hinsicht durch den weite- um effizienten Klimaschutz anzureizen. Ein europa-
ren Ausbau von europäischer Infrastruktur vor allem weiter CO2-Mindestpreis sowohl innerhalb als auch
bei Strom und Schiene, in ökonomischer Hinsicht außerhalb des Emissionshandels wäre hierfür eine
durch die bessere Integration der Strom- und Gas- geeignete Maßnahme. Zudem sind die Novellierungen
märkte sowie in politischer Hinsicht dadurch, dass der europäischen CO2-Verordnungen für Pkw und
jeder EU-Mitgliedstaat seine Energie- und Klima Lkw zentrale Schlüssel dafür, Klimaschutz und Ener-
strategien 2030 mit seinen Nachbarn abstimmt. gieeffizienz im Straßenverkehr zu erreichen. So kann
für europäische Autohersteller ein Heimatmarkt für
Was wir dafür tun müssen Elektrofahrzeuge entstehen, der sie auch auf dem
Die von der EU-Kommission im Clean-Energy-Paket Weltmarkt wettbewerbsfähig macht. Und es braucht
vorgeschlagenen Maßnahmen zur Harmonisierung Unterstützung für die Regionen Europas, die einen
der Energiesysteme in Europa sollten bis Ende 2018 Abschied vom Kohlebergbau organisieren müssen.
Nicht nur in Deutschland findet eine Energiewende statt: Ganz Europa wird 2030
einen Erneuerbare-Energien-Anteil am Stromverbrauch von mindestens 50 % haben Abbildung 19
Finnland
Estland
Schweden
Lettland
49
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
→→ Der Stromverbrauch liegt 2030 in etwa auf dem Niveau von 2015, da sich Energieeffi-
Wo wir zienz und zusätzlicher Strombedarf aus Wärme und Verkehr ausgleichen.
2030 →→ Der gesamte Wärmeverbrauch sinkt bis 2030 gegenüber 2015 um 18 % (Gebäude
stehen –25 %, Industrieprozesse –10 %).
→→ Der Endenergieverbrauch im Verkehr sinkt bis 2030 um ein Drittel gegenüber 2015.
wollen →→ Energieeffizienz und Flexibilität verschmelzen zu Flex-Efficiency.
Wo wir heute stehen und Regelungen existieren, ist dies bei der Energie-
Energieeffizienz ist zentral für das Gelingen der effizienz nicht der Fall. Die Folge: Die im Energie-
Energiewende. Alle Ziele der Energiewende – konzept 2010 beschlossenen Effizienzziele für 2020
Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Ver- werden vermutlich alle verfehlt, wobei dies im Ver-
sorgungssicherheit – werden durch mehr Energie- kehrssektor am eklatantesten sein wird.
effizienz befördert. Dies gilt auch in einer Welt mit
sehr hohen Erneuerbare-Energien-Anteilen. Denn Wo wir 2030 stehen wollen
Effizienz bedeutet weit mehr als das Nichtverbren- Zentral für eine erfolgreiche Energiewende ist es,
nen von Kohle, Öl und Gas: Energieeffizienz hat einen Efficiency First als umfassendes Leitprinzip der
Systemwert. So spart jede nicht benötigte Kilowatt- Energiewende zu etablieren. Um die Energiewende
stunde Strom etwa 11 bis 15 Eurocent – als Ergebnis in Strom, Wärme und Verkehr kostenminimierend
nicht benötigter Brennstoffe, Erneuerbare-Energien- umzusetzen, wird der jeweilige Systemwert der Ener-
Anlagen, Back-up-Kraftwerke, Speicher und Netze.59 gieeffizienz zum Maßstab. Ziel ist es, den Wärme
Gerade angesichts knapper werdender Flächen und verbrauch bis 2030 um rund 18 Prozent und den
sinkender Akzeptanz für neue Netze und Windkraft- Energieverbrauch im Verkehr um etwa 30 Prozent
anlagen ist dies ein zentraler Vorteil. unter das Niveau von 2015 zu senken (vgl. Kapitel 3).
Der Stromverbrauch soll bis 2030 in etwa konstant
Allerdings hat die allgemein akzeptierte große Bedeu- bleiben, was einer Senkung des traditionellen Strom-
tung der Energieeffizienz bisher kaum politische verbrauchs um etwa 15 Prozent gegenüber 2008 ent-
Folgen. Während bei Erneuerbare-Energien- und spricht, um im Gegenzug den zusätzlichen Stromver-
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wirksame Gesetze brauch aus Wärmepumpen, Power-to-Heat-Anlagen,
50
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Elektroautos und strombasierten Heiz- und Kraft- wirken Effizienzinvestitionen entgegen. Efficiency
stoffen zu decken. First in die Praxis umzusetzen, bedeutet daher:
→→ der Energieeffizienz (beziehungsweise Flex-
Effizienz im Jahr 2030 verschmilzt mit Flexibilität zu Efficiency) in allen Planungsprozessen, Abwägun-
Flex-Efficiency. Denn Effizienz bekommt eine zeitli- gen und Investitionsentscheidungen dann den
che Komponente: Energieeinsparung ist dann beson- Vorzug zu geben, wenn sie zu niedrigeren System-
ders viel wert, wenn wenig Wind- und Solarstrom kosten führt als andere CO2-Vermeidungsoptionen
verfügbar ist. Insbesondere die neuen Stromverbrau- (Erweiterung des Wirtschaftlichkeitsgebots);
cher aus den Sektoren Verkehr und Wärme werden →→ die 2030-Energieeffizienzziele in allen drei Sekto-
ihren Bedarf flexibel steuern. So profitieren sie von ren gesetzlich in einem Energieeffizienzgesetz zu
niedrigen Strompreisen in Zeiten von hoher Wind- verankern und mit effektiven Maßnahmen (unter
und Solarstromproduktion und machen gleichzeitig anderem steuerliche Abschreibungen, Ausschrei-
das System insgesamt kostengünstiger. bungen, Bürgschaftsprogramme, Förderungen,
Standards) zu unterlegen;
Was wir dafür tun müssen →→ der Energieeffizienz auch finanziell den richti-
Eine aktive Effizienzpolitik ist nötig. Denn die erwart- gen Stellenwert zu geben, das heißt, entsprechende
bar moderaten Preise fossiler Rohstoffe (vgl. Kapitel 1) Maßnahmen dauerhaft und verlässlich mit Mitteln
von fünf Milliarden Euro pro Jahr zu finanzieren.
Durch die konsequente Umsetzung des Leitprinzips Efficiency First sinkt der
Endenergieverbrauch bis 2030 in allen Sektoren deutlich Abbildung 20
715*
2.000 ~ 1.900
Endenergieverbrauch [TWh]
1.195*
1.000 Wärme: ca. –18 Prozent** ~920*
500 ~70
0
2015 2030
Strom (traditionell) Strom (neu) Wärme Verkehr Sonstige
51
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
4) Mit Wind- und Solarenergie die Erneuerbaren Energien im Stromsektor auf 60 %
und am Primärenergieverbrauch auf 30 % steigern
→→ Erneuerbare Energien haben sich von 2000 bis 2015 vervierfacht, ihr Anteil am
Primärenergieverbrauch lag 2015 dennoch nur bei 13 %.
Wo wir →→ Wind- und Solarstrom haben den Technologiewettbewerb innerhalb der Erneuerbaren
heute Energien gewonnen: Sie sind kostengünstig und haben das größte Potenzial.
→→ Als Folge ist der Anteil der Erneuerbaren Energien in den Energiesektoren 2015 sehr
stehen unterschiedlich. Im Stromsektor liegt er bei 32 %, im Wärme/Kälte-Sektor bei 13 %, im
Verkehrssektor bei 5 %.
→→ Erneuerbare Energien stehen im Zentrum des Energiesystems. Sie stellen 60 % des
Wo wir Stromverbrauchs und 30 % des Primärenergieverbrauchs.
→→ Wind- und Solarenergie sind die Leittechnologien nicht nur für Strom, sondern auch
2030
für Wärme und Verkehr. Sie stehen bei ausreichendem CO2-Preis voll im Markt und
stehen erbringen Systemdienstleistungen zur Stabilität des Stromnetzes.
wollen →→ Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas haben zunehmend steigende Anteile von strom
basierten Kraft- und Heizstoffen auf Basis von Wind- und Solarstrom.
Wo wir heute stehen energie in Deutschland bei nur noch fünf bis sechs
Erneuerbare Energien sind heute fester Bestandteil des Cent pro Kilowattstunde.
Energiemixes. Ihr Anteil am Primärenergieverbrauch
ist in den Jahren 2000 bis 2015 von 3 auf 13 Prozent Wo wir 2030 stehen wollen
gestiegen.60 Dabei prägen sie die Energiesektoren sehr Erneuerbare Energien sind im Jahr 2030 die Leit-
unterschiedlich: Bei Strom haben Erneuerbare inzwi- technologien des Energiesystems. Ihr Anteil am
schen einen Anteil von 32 Prozent, bei Wärme/Kälte gesamten Primärenergieverbrauch liegt 2030 bei
sind es 13 Prozent und bei Verkehr 5 Prozent.61 30 Prozent, wobei der Anteil am Stromverbrauch mit
60 Prozent am höchsten sein wird. Der Anteil Erneu-
Ursache ist, dass Wind- und Solarstrom die kosten- erbarer Energien am Wärmeverbrauch steigt auf
günstigsten und mit größtem Potenzial verfügbaren 30 Prozent, im Verkehrssektor auf 15 Prozent.
CO2-freien Energieträger sind. Alle anderen Tech-
nologien – ob Kernenergie, CCS (Carbon Capture and Mit Erzeugungskosten von drei bis fünf Cent pro
Storage), oder andere Erneuerbare Energien – sind Kilowattstunde sind Wind- und Solarstrom im
entweder deutlich teurer und/oder nur sehr begrenzt Jahr 2030 extrem günstig und können sich – einen
verfügbar. So lagen die jüngsten Auktionsergebnisse angemessenen CO2-Preis vorausgesetzt – selbst am
bei Windkraft (offshore und onshore) sowie Solar Strommarkt behaupten. Erneuerbare Energien, kom-
52
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
biniert mit Speichern, übernehmen zudem zusehends Verkehr CO2-frei abgedeckt werden. Die jährlichen
Systemdienstleistungen. Wind- und Solarstrom stel- Zubaumengen (netto) werden daher bei Onshore-
len 2030 die Hälfte der Stromerzeugung und wirken Windkraft und Photovoltaik auf 2,5 Gigawatt ange-
über Wärmepumpen, Power-to-Heat-Anlagen und hoben. Offshore-Windkraftanlagen sollen im Jahr
Elektromobilität auch in den Wärme- und Verkehrs- 2030 einen Bestand von 20 Gigawatt haben.62
sektor. Ergänzt wird dies durch weiteren Zubau bei
Solar- und Geothermie. Dort, wo Wind- und Solar- Zur Erhöhung der Erneuerbaren-Anteile im Wärme-
strom nicht direkt genutzt werden kann (insbe- sektor wird ein Bundesprogramm „CO2-freie Wärme-
sondere Flug-, Schiffs-, Teile des Lkw-Verkehrs versorgung“ aufgelegt, das die Wärmenetze auf Nie-
sowie Hochtemperaturprozesse in der Industrie und dertemperaturnetze umrüstet und nach und nach mit
KWK-Anlagen), werden strombasierte Treib- und höheren Erneuerbaren-Anteilen ausstattet. Zudem
Heizstoffe im Zentrum stehen. Ihre Anteile werden erfolgt eine flächendeckende Einführung von Elek
sukzessive steigen. troautos und von Wärmepumpen (entweder als reine
Wärmepumpen oder als Hybridsysteme mit fossil
Was wir dafür tun müssen betriebenen Kesseln). Um Heiz- und Kraftstoffe suk-
Das Ausbauziel des Erneuerbare-Energien-Geset- zessive CO2-ärmer zu machen, werden PtG und PtL
zes wird auf einen Erneuerbaren-Anteil von 60 Pro- beigemischt. Diese strombasierten Heiz- und Kraft-
zent am Stromverbrauch 2030 angepasst, damit stoffe werden entweder im Inland hergestellt oder
die zusätzlichen Stromverbräuche aus Wärme und importiert.
500
Ziel 2030:
60 % Erneuerbare
Energien
400
2015:
Bruttostromerzeugung [TWh]
32 % Erneuerbare
Energien
300
200
100
0
2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030
53
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
Wo wir heute stehen scheidung und -Speicherung weitaus teurer ist als
Die energiebedingten Treibhausgasemissionen sind Effizienz und Erneuerbarer Energien. Für den Kohle-
unmittelbar an die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Erdölverbrauch bedeutet dies eine Reduktion
gekoppelt. Braun- und Steinkohle sind die CO2-in- um 50 Prozent bis 2030 gegenüber 2015. Der Koh-
tensivsten Energieträger, gefolgt von Öl. So sind im leausstieg im Stromsektor ist damit etwa zur Hälfte
Jahr 2015 82 Prozent der Treibhausgasemissionen im vollzogen, der Ölausstieg im Wärmesektor zu zwei
Stromsektor auf Kohle zurückzuführen, 51 Prozent Dritteln und im Verkehr zu 40 Prozent. Erdgas wird
der Emissionen im Wärmesektor auf Kohle und Erdöl als Brückentechnologie bis 2030 noch weiterhin eine
und 99 Prozent der Emissionen des Verkehrssek- wesentliche Rolle im Strom- und Wärmesektor spie-
tors auf Erdöl.63 Von diesen fossilen Energieträgern len und daher weniger reduziert.
ist einzig die Braunkohle ein relevanter inländischer
Wirtschaftsfaktor.64 Dies bedeutet neben einer massiven Erhöhung der
Energieeffizienz eine deutliche Elektrifizierung des
Wo wir 2030 stehen wollen Wärme- und Verkehrssektors auf Basis von Wind-
Eine deutliche Reduktion des Verbrauchs der CO2-in- und Solarstrom. Im Jahr 2030 werden zehn bis zwölf
tensivsten Energieträger ist die logische Konsequenz Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen
jeglicher kostenbewussten Klimapolitik, da CO2-Ab- fahren und in den Häusern fünf bis sechs Millionen
54
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Wärmepumpen für die Wärmeversorgung eingesetzt, Ordnungsrecht (wie etwa ein Gebäudeenergiege-
die Hälfte davon als bivalente Heizungssysteme mit setz beziehungsweise novellierte CO2-Pkw- und
einem gas- oder ölbetriebenen Zusatzkessel. CO2–Lkw-Verordnungen), Quotenregelungen (etwa
für Null-Emissionsfahrzeuge) sowie Beimischungs-
Im Jahr 2030 spielen strombasierte Heiz- und Kraft- quoten zur Markteinführung von Power-to-Gas und
stoffe bereits eine relevante Rolle. Zentrale Anwen- Power-to-Liquid (denkbar etwa im Bereich Heizöl,
dungsfelder sind Hochtemperaturprozesse in der Erdgas, Lkw-Diesel und Kerosin).
Industrie, Flug-, Schiffs- und Teile des Lkw-Ver-
kehrs. Sie werden teilweise durch eigens installierte Darüber hinaus steht zügig, das heißt noch 2018, im
Offshore-Windparks produziert, teilweise aber auch Stromsektor ein Kohlekonsens auf der Tagesordnung,
importiert. der mit allen beteiligten Akteuren einen schritt-
weisen und sozial verträglichen Ausstieg aus den
Was wir dafür tun müssen Braunkohletagebauen sowie den Braun- und Stein-
Eine Reform der CO2-Bepreisung (vgl. Programm- kohlekraftwerken vereinbart. Vergleichbares gilt für
punkt 6) ist wesentlicher Bestandteil jeder effizien- den Wärme- und Verkehrssektor: Hier ist 2020 ein
ten 2030-Strategie. Begleitet wird dies durch einen Öl- und Gaskonsens nötig, gerade auch, um der Auto-
Instrumenten-Mix aus Auktionen bei Erneuerba- mobil- und Heizungsindustrie klare Signale für die
ren Energien und Energieeffizienz, intelligenten künftige Strategie bei Elektrifizierung und stromba-
Fördermaßnahmen, steuerlichen Abschreibungen, sierten Kraft- und Heizstoffen zu geben.
762
energetischer Primärenergieverbrauch [TWh]
Energiebedingte Treibhausgasemissionen
149
2.732
[Mio. t CO2e] und fossiler,
479
172
424–439
431
1.600 ~75
~240
246 1.018 ~125
~220
~510 ~125
AGEB (2017a), UBA (2017a), eigene Berechnungen auf Basis EWI/Prognos/GWS (2014a)
55
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
→→ Deutschland hat aufgrund von historisch gewachsenen Abgaben und Umlagen die
zweithöchsten Strompreise in Europa.
Wo wir →→ Heizöl ist im europäischen Vergleich sehr billig, während Erdgas, Benzin und Diesel im
heute Durchschnitt liegen.
→→ Aufgrund dieser Preisverzerrung kann kein effizienter Klimaschutz über die Sektoren
stehen Strom, Wärme und Verkehr hinweg stattfinden.
→→ Die Stromnetzentgelte sind in Deutschland zudem regional sehr ungleich verteilt.
Wo wir →→ CO2 hat einen wirksamen Preis in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Der
Stromverbrauch wird dadurch günstiger, fossile Energien werden teurer.
2030
→→ Die Steuern, Abgaben, Umlagen und Entgelte auf Energie sind komplett umstruktu-
stehen riert, sodass in allen Sektoren die jeweils kostengünstigste Klimaschutzoption zum
wollen Zuge kommt.
56
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
des Preiswettbewerbs durch. Im Ergebnis wird der gung der Steuern, Abgaben und Umlagen zugrunde zu
Stromverbrauch, der immer stärker auf Erneuerbaren legen. Kernelemente einer Reform sind daher:65
Energien basiert, günstiger und der Verbrauch fossi- →→ die Einführung eines CO2-Mindestpreises im
ler Energien wird teurer. EU-Emissionshandel;
→→ die Ökosteuern auf Strom, Heizöl, Erdgas, Benzin
Die Abgaben, Umlagen und Entgelte auf Strom werden und Diesel (inklusive der EEG- und KWK-Umlage)
dabei so erhoben, dass sie die Preissignale des Börsen- so neu zu justieren, dass sie sich auf eine einheitli-
strommarkts möglichst wenig verzerren. Dies belohnt che CO2-Bepreisung stützen;
Flexibilität beim Stromverbrauch, sodass der Strom- →→ die Netzentgelte auf Strom auf eine verursacherge-
verbrauch in Zeiten hoher Wind- und Solarstrompro- rechte Basis zu stellen.
duktion steigt und in Knappheitssituationen sinkt.
Im Wärme- und Verkehrssektor sind noch andere
Was wir dafür tun müssen steuerliche Regelungen einen wesentlich, etwa die
Eine grundlegende Reform der Steuern, Abgaben und Kraftfahrzeugsteuer, die Dienstwagenbesteuerung,
Umlagen auf Energie ist dringlich. Solange das Preis- die Grunderwerbsteuer und die Grundsteuer. Diese
gefüge der Energieträger aus dem Lot ist, kann die sollten aufkommensneutral nach CO2-Kriterien
Energiewende kaum gelingen. Am sinnvollsten ist umgestaltet werden und so die Wärme- und Ver-
es, den CO2-Gehalt der Energieträger für die Festle- kehrswende ermöglichen.
20
18,7
Staatlich veranlasste und regulierte Energie-
preisbestandteile 2017 [ct/kWh]
10
7,3
4,7
2,2
0,3 0,6
0
Erzeugung Verbrauch Diesel Benzin Erdgas Heizöl (leicht)
Strom Verkehr Wärme
57
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
7) S
tromzielnetz bauen, Wärme- und Gasnetze modernisieren,
Verkehr elektrifizieren
→→ Stromnetz und -markt folgen dem Konzept der „Kupferplatte“ und der einheitlichen
Preiszone.
Wo wir →→ Der Stromnetzausbau ist stark umstritten und erfolgt bislang nur schleppend; von
7.700 beschlossenen neuen Übertragungsnetzkilometern sind bislang 1.400 geneh-
heute migt und 850 gebaut.
stehen →→ Gas- und Wärmenetze sind bislang von der Energiewende kaum betroffen und nach
wie vor weitestgehend auf fossile Energieträger ausgelegt.
→→ Im Verkehrssystem fehlt eine ausreichende elektrische Infrastruktur.
→→ Auf Basis des beschlossenen Netzausbaus wird ein Zielnetz 2050 geplant, das ohne
Wo wir weitere Stromtrassen auskommt. Innovative Netzsteuerung, Smart Markets und mehr
Kapazität in bestehenden Stromtrassen optimieren die Auslastung der Stromnetze.
2030
→→ Niedertemperaturwärmenetze nehmen die stetig steigenden Anteile von erneuer-
stehen barer Wärme auf. Gasnetze werden mit Blick auf einen sinkenden Wärmebedarf und
wollen steigende Power-to-Gas-Anteile neu ausgelegt.
→→ Die Infrastruktur für mehr Bahnverkehr und mehr Elektromobilität steht.
→→ Novellierung der gesetzlichen Planung des Stromnetzausbaus mit Blick auf die Pla-
nung eines Zielnetzes 2050 sowie auf die Einführung innovativer Netzsteuerung und
die Etablierung von regionalen Smart Markets
Was wir →→ Flächendeckende Erarbeitung und Umsetzung von kommunalen Wärmestrategien
dafür tun 2050, um die Wärme- und Gasnetze kontinuierlich auf sinkenden Wärmebedarf und
CO2-arme Technologien umzurüsten
müssen →→ Ausbau und verstärkte Elektrifizierung der Schienennetze, Bau einer flächende-
ckenden Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Installation von Oberleitungstrassen für
Hybrid-Lkws an zentralen Autobahnen
58
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Stromtrassen sowie regionale Smart Markets.66 Um die baupläne auf Übertragungsnetzebene ein Zielnetz
Wärmeinfrastruktur langfristig CO2-frei zu gestalten, 2050 erarbeitet wird. Zudem wird im die automati-
sind 2030 alle Wärmenetze Niedertemperaturnetze, sierte Systemführung als Standard der Netzsteue-
die viele CO2-arme Wärmequellen einbinden (Solar- rung ab 2030 etabliert. Das Strommarktdesign wird
und Geothermie, Großwärmepumpen, Elektrodenkes- so ergänzt, dass regionale Smart Markets etabliert
sel, Biomasseanlagen, Abwärme). Gasnetze werden neu werden.
ausgelegt auf einen sinkenden Wärmebedarf und auf
steigende Power-to-Gas-Anteile. Alle Kommunen erarbeiten mit finanzieller Unter-
stützung des Bundes kommunale Wärmestrategien
Die Verkehrsnetze im Jahr 2030 haben einen hohen 2050. Diese Strategien planen die Wärme- und Gas-
und stetig steigenden Elektrifizierungsgrad. Schienen- netze in einer Welt mit sinkendem Wärmebedarf und
netze sind ausgebaut und elektrifiziert, die Infrastruk- stetig steigenden Erneuerbare-Energien-Anteilen.
tur für zehn bis zwölf Millionen Elektroautos wurde
geschaffen und auf zentralen Autobahnen in Deutsch- Der Bundesverkehrswegeplan 2030 wird im Lichte
land sind Oberleitungs-Lkws inzwischen Standard. einer Verkehrswendestrategie überarbeitet. Dabei
werden Ausbau und Elektrifizierung der Schienen-
Was wir dafür tun müssen netze, der Bau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos
Die gesetzliche Planung des Stromnetzausbaus wird sowie die Installation von ersten Oberleitungstrassen
grundlegend geändert, sodass statt zweijähriger Aus- für Hybrid-Lkws prioritär finanziert.
Derzeit sollen bis 2025 rund 7.700 km neue Leitungen gebaut werden –
der Ausbau der Strom-Übertragungsnetze kommt jedoch nur schleppend voran Abbildung 24
Eigene Darstellung auf Basis BNetzA (2016), Tennet (2017), Tennet (2017), TransnetBW (2017)
59
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
→→ Der Strommarkt 2.0 ist mit einer liquiden Strombörse und vielen Anbietern und Pro-
Wo wir dukten sehr wettbewerblich organisiert. Regelenergie und Flexibilität kommen aber
meist von fossil betriebenen Kraftwerken.
heute →→ Erneuerbare Energien finanzieren sich über Ausschreibungen im EEG, Back-up-Kraft-
stehen werke sollen sich am Strommarkt über Peakpreise refinanzieren.
→→ Das Niveau an Versorgungssicherheit ist sehr hoch.
Wo wir →→ Der Strommarkt ist äußerst kurzfristig und digital. Alle Anbieter und Nachfrager sind
vernetzt und liefern Flexibilität sowie Regelenergie.
2030
→→ Erneuerbare Energien, Back-up-Kraftwerke, Stromspeicher und Lastmanagement
stehen finanzieren sich weitestgehend über den Strommarkt.
wollen →→ Das Versorgungssicherheitsniveau ist so hoch wie heute.
60
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
zieren sich auf ein Minimum, um die CO2-Ziele und bis 2030 unterstützt, sondern es auch Erneuer-
Versorgungssicherheit zu gewährleisten. bare-Energien-Anlagen ermöglicht, in einer Welt
niedriger Preise für fossile Brennstoffe mit Kohle-
Was wir dafür tun müssen und Gasbestandskraftwerken zu konkurrieren.68
Damit der Ausgleich von Stromangebot und -nach- Diese sollten jedoch von Kilowattstunden auf Kilo-
frage auf Minutenbasis funktioniert und sich Inves- watt-Prämien umgestellt werden, damit Erneuer-
titionen in Neuanlagen tragen, müssen folgende bare Energien ihren Einsatz am Strom- und Regel
Schritte erfolgen: energiemarkt effizient optimieren.
→→ Flächendeckende Einführung von Smart Metern →→ Es kommt regelmäßig zu einer ausreichenden Zahl
und variablen Stromtarifen: Bis 2030 müssen von Stunden mit (potenziellen) Peakpreisen, um
alle Kunden mit variabler Last (Industriebetriebe, Back-up-Kraftwerken und Speichern zu refi-
aber auch Privathaushalte mit Wärmepumpen, nanzieren. Geschieht dies nicht oft genug, dürften
PV-Speichersystemen oder Elektroautos) durch Kraftwerke stillgelegt und in die Kapazitätsreserve
eine minutengenaue Bepreisung des Stroms flexi- übernommen werden. Sollte die Kapazitätsreserve
bel auf die Marktsituation reagieren können. Die zu groß werden (z. B. >15 Gigawatt), ist es sinn-
Abgaben und Umlagen dürfen dabei nicht die Fle- voller, sie von einem Kapazitätsmarkt abzulösen.
xibilitätssignale des Strommarkts verzerren. Dieser dürfte dann jedoch nicht dem Kohleausstieg
→→ Einführung eines angemessenen CO2-Preises, der zuwiderlaufen.
nicht nur die Halbierung der Kohleverstromung
Angebot Nachfrage
Angebot Angebot
Strom
Wärme Verkehr
Nachfrage 15:06 Nachfrage
Eigene Darstellung
61
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
→→ Die Industrie ist in Deutschland auch bei einem Anteil von 60 Prozent Erneuerbaren
Wo wir im Stromsektor wettbewerbsfähig, insbesondere mit Blick auf Energiekosten und Ver-
sorgungssicherheit.
2030
→→ Moderne Fertigungsprozesse, die auf dem Konzept von Flex-Efficiency beruhen, sind
stehen Standard.
wollen →→ Die deutsche Industrie nutzt die Wachstumschancen, die die Energie- und Verkehrs-
wende und die globalen Transformationen der Energie- und Automärkte bieten.
62
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
Deutschland wettbewerbsfähig, insbesondere mit dere die energieintensiven Branchen, auch während
Blick auf Energiekosten und Versorgungssicherheit. der Transformation wettbewerbsfähige Energiekos-
Sie hat moderne Produktionsanlagen, die auf dem ten vorfinden wird. Auf der anderen Seite identifiziert
Konzept von Flex-Efficiency beruhen, das heißt, sie sich die Industrie mit dem Pariser Klimaschutzabkom-
sind sowohl auf niedrigen Stromverbrauch als auch men und unterstützt die Politik bei dessen Umsetzung
auf Flexibilität optimiert.69 Die deutsche Wirtschaft in Deutschland durch die Klimaziele von Bundesre-
nutzt im Jahr 2030 die vielfältigen Wachstumschan- gierung und Bundestag, insbesondere für die Zieljahre
cen, die die Energie- und Verkehrswende bieten. 2030, 2040 und 2050.
Insbesondere die Automobilindustrie hat die mit der
Verkehrswende verbundenen Herausforderungen Gemeinsam vereinbaren Industrie und Politik einen
gemeistert und bietet global erfolgreich CO2-arme Aktionsplan, um der deutschen Wirtschaft im global
Fahrzeuge und Mobilitätsdienstleistungen an. wachsenden Energiewendemarkt eine gute Position
zu sichern. Unter anderem konkretisiert dieser Akti-
Was wir dafür tun müssen onsplan die Kernelemente des Zukunftspakts, treibt
Politik und Wirtschaft vereinbaren einen „Zukunfts- Effizienz und Flexibilität bei neuen industriellen Pro-
pakt Energiewende und Industriepolitik“, 70 der die duktionsanlagen voran, entwirft eine Forschungs
Chancen der Energiewende nutzt und die Risiken agenda für Low-Carbon-Technologien in der
vermeidet. Dieser verlangt auf der einen Seite von Industrie und forciert die Exportoffensive „Energy
der Politik die Garantie, dass die Industrie, insbeson- Transition made in Germany“.
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Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
→→ Die Energiewende im Stromsektor ist bei Bürgerinnen und Bürgern fest verankert. Bei
Wärme- und Verkehrswende fehlt bislang ein entsprechender Konsens.
Wo wir →→ Akteursvielfalt und innovative Konzepte bei Strom, Wärme, Verkehr haben deutlich
heute zugenommen.
→→ Nach Jahren des Anstiegs sinken die Energiekosten für Privathaushalte seit 2013 wieder.
stehen →→ Landschaftseingriffe durch die Energiewende in Gestalt von Windrädern und Strom-
trassen sind unübersehbar und vielen Menschen ein Dorn im Auge.
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
vor Ort bei und schafft so lokale Wertschöpfung. Die dere, Selbstversorgung, Mieterstrommodelle und
Energiekosten für die Verbraucher haben auch im Shared-Mobility-Konzepte durch einen klaren
Jahr 2030 einen Anteil von weniger als zehn Prozent Ordnungsrahmen zu ermöglichen. Stadtwerke
an den Konsumausgaben. Bei einkommensschwa- werden bei Stromnetzen, Fernwärme und ÖPNV zu
chen Haushalten gilt die 10-Prozent-Grenze für die kommunalen Energiewendedienstleistern.
Strom- und Wärmeausgaben. Neue Öffentlichkeits- →→ Um die Energiekosten für die Verbraucher zu
beteiligungskonzepte bei der Planung neuer Infra- begrenzen, ist eine Reform der Abgaben und Umla-
struktur sowie die finanzielle Beteiligung von Kom- gen auf Energie notwendig, in deren Zuge manche
munen an neuen Windparks haben dazu geführt, dass Kostenbestandteile aus dem Staatshaushalt finan-
die Konflikte rund um neue Netze und Windkraftan- ziert werden. Zudem sollten spezielle Effizienzpro-
lagen minimiert wurden. gramme den Energieverbrauch bei einkommens-
schwachen Haushalten deutlich senken.
Was wir dafür tun müssen →→ Eine Reform der Öffentlichkeitsbeteiligung bei
Damit die Energiewende als Gemeinschaftswerk neuen Windparks und Stromnetzen ermöglicht
funktioniert, sind drei Maßnahmen notwendig: es den Betroffenen vor Ort, bei den Planungs-
→→ Bei der Weiterentwicklung des Energie- und und Genehmigungsprozessen aktiv mitzuwir-
Verkehrsrechts wird der Akteursvielfalt und ken. Zudem wird eine neue Konzessionsabgabe für
Vor-Ort-Versorgungslösungen ein großer Stellen Windanlagen beschlossen, die Kommunen lokalen
wert beigemessen. Dies bedeutet insbeson- Mehrwert durch neue Windparks beschert.
Bürgerbeteiligungen Energieversorger:
2016
überregional, Minder- 9 GW
heitsbeteiligung: 8 GW
2015
Bürgerenergie-
gesellschaften:
7 GW
2014
insgesamt
73 GW (2012)
2013
2012 Einzel-
eigentümer:
18 GW
0% 50 % 100 %
Zustimmung zur Energiewende: Die Energiewende ist... Institutionelle
und strategische
sehr wichtig weniger wichtig
Investoren:
wichtig gar nicht wichtig weiß nicht 30 GW
65
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
66
Fazit
Die Energiewende weg von Kohle, Erdöl und Erdgas gilt es, den noch bestehenden Startvorteil zu nutzen –
hin zu Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz für das eigene Land ebenso wie für den globalen
ist in den vergangenen Jahren zu einer weltwei- Erfolg der Energiewende.
ten Entwicklung geworden, die mit großer Dynamik
immer mehr Anhänger gewinnt. Inzwischen werden Die zweite Phase der Energiewende, die von heute bis
etwa 60 Prozent der jährlich neu installierten Kraft- 2030 reicht, ist gleichzeitig einfacher und schwie-
werkskapazität von Erneuerbaren Energien gedeckt riger als die erste Phase, die sich von 2000 bis heute
(vgl. Abbildung 28). Fast im Monatsrhythmus werden erstreckte: Sie ist einfacher, weil mit den Energie-
neue Tiefstpreisrekorde bei neuen Windkraft- oder wendemegatrends – den sieben Ds (vgl. Kapitel 1) –
Solarenergieprojekten überall auf der Welt gemeldet die technologischen und ökonomischen Rahmen-
(vgl. Abbildung 29). bedingungen jeglicher Energiepolitik relativ klar
beschrieben werden können. So haben sich Wind-
Deutschland sieht sich als Vorreiter bei Energie- kraft und Solarenergie als die Sieger des Technolo-
wende und Klimaschutz. Und weil es die erste Phase giewettbewerbs herausgestellt: Sie sind heute nicht
der Energiewende bereits absolviert hat, kann nur die kostengünstigsten CO2-freien Energieträ-
Deutschland einen Startvorteil für die zweite Phase ger, sondern in immer mehr Regionen der Welt auch
verbuchen. Doch andere Länder holen beim Zubau günstiger als Strom aus Kohle, Öl und Gas. Die Ener-
von Erneuerbare-Energien-Anlagen auf; und im giewende bei Strom, Wärme und Verkehr wird inso-
Bereich der Elektromobilität gehört Deutschland eher fern auf Wind- und Solarstrom basieren – entwe-
zu den Nachzüglern als zu den Vorreitern. Umso mehr der direkt durch die Nutzung dieser fluktuierenden
Seit 2013 wird jährlich mehr Leistung Erneuerbare Energien installiert als
alle konventionellen Technologien zusammen Abbildung 28
100
Globaler Anteil an neu installierten Kraftwerkskapazitäten [%]
81 %
80
69 %
59 % 59 %
60
50 %
41 % 50 % 41 %
40
31 %
19 %
20
0
2001 2006 2011 2016
67
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
Stromerzeugung in Echtzeit oder indirekt über Batte- auf 30 Prozent) und die Nutzung von Kohle und Erdöl
riespeicher und Power-to-X-Technologien. Daneben gegenüber 2015 zu halbieren.
werden Dezentralität, Digitalisierung und Demokra-
tisierung ebenfalls zentrale Faktoren der künftigen Andere Pfade, wie etwa die verstärkte Nutzung von
Energiewirtschaft darstellen. strombasierten Heiz- und Kraftstoffen, sind nach
heutigem Kenntnisstand deutlich teurer als die skiz-
Schwieriger ist die zweite Phase der Energiewende zierten Strategien. Damit die Energiewende insge-
aber gleichzeitig auch, weil nun die Transformation samt für die Volkswirtschaft mehr Nutzen als Kos-
des Energiesystems ansteht. Konnte in den vergan- ten bietet (vgl. Kapitel 4), stehen daher bis 2030
genen Jahren der Zuwachs an Erneuerbaren Energien Effizienztechnologien, der Ausbau von Wind- und
(sowohl bei Strom als auch bei Wärme und Verkehr) Solarenergie sowie die verstärkte Elektrifizierung
relativ einfach in das bestehende Energiesystem von Wärme und Verkehr über Wärmepumpen und
integriert werden, übernehmen Wind- und Solar- Elektromobilität im Zentrum der Energiewende. Da
strom im Zeitraum bis 2030 die Rolle der Leittechno- Power-to-Gas- und Power-to-Liquid-Technolo-
logien des Energiesystems und werden im Stromsys- gien aber in der dritten Phase der Energiewende ab
tem sogar mehr als die Hälfte der Versorgung decken. 2030 eine wesentliche Rolle spielen werden, sollten
Zudem muss die Energieeffizienz, die bisher in der in der Zeit bis dahin Forschungs- und Markteinfüh-
Energiepolitik nur eine Nebenrolle gespielt hat, jetzt rungsprogramme dafür sorgen, dass die Kosten dieser
im Rahmen des Efficiency-First-Prinzips ins Zent- Technologien noch stärker sinken.
rum der Energiewende rücken.
Diese Ziele und Strategien verwirklichen sich nicht
Es ist daher wichtig, einen klaren Kompass zu haben, von allein. Die Zehn-Punkte-Agenda für die Ener-
um die Energiewende sicher durch die kommende giewende 2030 (vgl. Kapitel 5) beschreibt zehn kon-
Phase zu navigieren. Mit der quantitativen Konkre- krete Handlungsfelder der Energiepolitik, um die
tisierung des bekannten energiepolitischen Zieldrei- Energiewende zum Erfolg zu führen. Hierzu gehören
ecks Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und neue oder novellierte Gesetze (unter anderem zu den
Versorgungssicherheit für das Jahr 2030 (vgl. Kapi- Energiewendezielen, zum Ausbau der Erneuerba-
tel 2) hat Agora Energiewende hierfür einen konkre- ren Energien und zur Energieeffizienz), der Bau einer
ten Vorschlag vorgelegt. So sollen die energiebeding- neuen Infrastruktur, Änderungen bei den Steuern,
ten Emissionen bis 2030 um 60 Prozent unter das Abgaben und Umlagen, aber auch Konsensvereinba-
Niveau von 1990 sinken; die Energiekostenanteile bei rungen mit den betroffenen Regionen und Indust-
Privatverbrauchern und in der Industrie sollen unter rien zum schrittweisen Rückgang des Einsatzes von
10 Prozent bleiben; die Stromausfallquote soll weiter- Kohle, Erdöl und Erdgas. Nicht zuletzt geht es darum,
hin unter 20 Minuten pro Kunde und Jahr liegen; und die Energiewende gemeinsam mit der Industrie und
die Importquote bei den Primärenergieträgern soll auf gesellschaftlichen Akteuren zu einem industriepo-
unter 60 Prozent sinken. litischen Erfolg zu machen, der auch von der Gesell-
schaft als Gemeinschaftswerk verstanden wird.
Diese Ziele kosteneffizient zu erreichen, resultiert
letztlich in drei Strategien bis 2030 (vgl. Kapitel 3): Die Energiewende ist nicht allein Sache der Ener-
die Energieeffizienz so zu steigern, dass der Energie- giepolitik. Sie ist auch eine Gemeinschaftsaufgabe, die
verbrauch um etwa 30 Prozent gegenüber 2015 sinkt, die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger verän-
die Nutzung der Erneuerbaren Energien gegenüber dert. Auf der einen Seite werden durch Windkraft-
2015 fast zu verdoppeln (bei Strom auf 60 Prozent zu anlagen und neue Stromtrassen Landschaften ver-
erhöhen und beim gesamten Primärenergieverbrauch ändert, oft zum Ärger betroffener Anwohner. Hierfür
sind neue Konzepte notwendig, die die Landschafts-
68
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
eingriffe minimieren und dort, wo sie nötig sind, die nologien und Konzepte, die notwendig sind für die
negativen Auswirkungen durch bessere Öffentlich- zweite Phase der Energiewende, sind vorhanden. Es
keitsbeteiligung möglichst gering halten. Auf der ist möglich, die Energiewende bis 2030 so voranzu-
anderen Seite liefert die Energiewende, besonders treiben, dass nicht nur das Klima etwas davon hat,
im Bereich der Wärme- und Verkehrswende, einen sondern auch der Industriestandort Deutschland und
umfassenden Beitrag für eine bessere Lebensqualität. die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Dies ist aber
Vor allem in den Städten werden die Beeinträchtigun- auch nötig, denn der Klimawandel schreitet wei-
gen durch schlechte Luftqualitäten und hohe Lärm- ter voran (so betrug die Erderwärmung im Jahr 2016
belastung dank Elektromobilität und Shared Mobi- bereits 1,1 Grad Celsius) und die Konkurrenz für den
lity spürbar verbessert. Aber auch im individuellen Industriestandort Deutschland im Bereich der Ener-
Bereich werden Smart-Home-Technologien dafür giewendetechnologien ist stark.
sorgen, dass die Solarstromerzeugung auf dem Dach,
die Strom- und Wärmeversorgung im Haus sowie die Richtig ist: Deutschland trägt mit seinen Treib-
Einbindung von Elektromobilität und Wärmepum- hausgasemissionen zur globalen Klimabelastung
pen optimal gesteuert werden, sodass die Bewohner nur noch etwas mehr als zwei Prozent bei. Doch die
höchstmöglichen Komfort genießen können. Energiewende in Deutschland bleibt für andere eine
Richtschnur. Auch deshalb muss sie erfolgreich blei-
Zukunftsoptimismus gilt gemeinhin nicht als Kern- ben – im wohlverstandenen eigenen Interesse, im
bestandteil der deutschen Kultur. Doch beim Thema Interesse anderer Länder und im Interesse künftiger
Energiewende ist sie durchaus angebracht: Alle Tech- Generationen.
Weltweit sinken die Kosten für Strom aus Wind und Sonne auf Rekordwerte Abbildung 29
Deutschland Dänemark
57,1 €/MWh 49,9 €/MWh
USA Deutschland
59 €/MWh Jordanien
30–40 €/MWh Spanien
54,5 €/MWh
43,0 €/MWh
Indien
Peru 34,1 €/MWh
33,1 €/MWh Mexiko Marokko
VAE
31,7 €/MWh 26,8 €/MWh
26,7 €/MWh Indien
Peru 48,3 €/MWh
42,9 €/MWh
Chile Australien
26,0 €/MWh Südafrika 27 €/MWh
Brasilien 45,5 €/MWh
Wind Onshore 43,8 €/MWh Australien
Südafrika 61,6 €/MWh
Wind Offshore 58,0 €/MWh
Photovoltaik
69
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
70
Anhang
Datenübersicht
TWh TWh
Kernenergie 278 0
Sonstige 61 ~ 40
Strom –48 0
Kernenergie 92 0
Braunkohle 155 ~ 80
Steinkohle 118 ~ 60
Erdgas 62 ~ 70
Sonstige 34 ~ 30
Verluste/Pumparbeit 38 ~ 40
Kraftwerkseigenverbrauch 36 ~ 30
Exporte 54 0
71
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Kohle 126 ~ 60
Mineralöl 205 ~ 90
Sonstige 21 ~ 20
Biokraftstoffe 30 ~ 30
Strom 12 ~ 60
435
Energiebedingt 762
(424–439)
Sonstige 46 ~ 30
~ 170
Wärme 289
(170–175)***
~ 95
Verkehr 161
(95–98)***
~ 130
Nicht-energiebedingt 140
(119–123)***
* AGEB (2016a), AGEB (2017a), UBA (2016), UBA (2017a), UBA (2017b), eigene Berechnungen nach BMUB (2016), UBA (2017c)
** e
igene Berechnungen auf Basis Agora Energiewende (2016), BMUB (2016), EWI/Prognos/GWS (2014a), Fraunhofer IWES/IBP (2017),
UBA (2017a), UBA (2017c)
*** W erte in Klammern stellen die Bandbreiten entsprechender Sektorziele für Strom, Wärme und Verkehr im Einklang mit dem Klimaschutz-
plan 2050 dar (eigene Berechnung auf Basis BMUB (2016), Ö ko-Institut/Fraunhofer ISI (2015), UBA (2017a), UBA (2017c))
72
Endnotenverzeichnis
73
Agora Energiewende | Energiewende 2030: The Big Picture
zung von Fernwärme und die damit einherge- auf Kraftstoffe (43 Prozent beziehungsweise
hende bilanzielle Verlagerung der Emissionen aus 51 Milliarden Euro), gefolgt von Strom (31 Prozent
dem Gebäudesektor in die Energiewirtschaft eine beziehungsweise 36 Milliarden Euro) und Wärme
Rolle. (26 Prozent beziehungsweise 31 Milliarden Euro).
33. Entsprechend AGEE-Stat (2017) wird zur Berech- 48. Destatis (2016a). Der Mittelwert seit 1991 beträgt
nung des EE-Anteils im Wärme-/Kältesektor der ebenfalls 7,6 Prozent, wobei die Energiekostenan-
EE-Anteil des Stroms sowie der Stromverbrauch teile an den Gesamtausgaben durchaus schwank-
nicht berücksichtigt. ten: Das Maximum lag bei 9 Prozent im Jahr 2013
34. AGEB (2016a) und das Minimum bei 6,5 Prozent im Jahr 1998.
35. Eigene Berechnungen auf Basis BMUB (2016), 49. Expertenkommission zum Monitoring-Prozess
Öko-Institut/Fraunhofer ISI (2015) „Energie der Zukunft“ (2016)
36. AGEB (2016a). Der Energieverbrauch des Ver- 50. Grob kalkuliert: 22 Milliarden EEG-Differenz-
kehrs enthält auch den Kerosinverbrauch des kosten zuzüglich 0,6 Milliarden KWKG-Kosten,
internationalen Flugverkehrs, dessen Emissionen abzüglich Merit-Order-Effekt (1,0 ct/kWh, ent-
in der Bilanzierung für 2015 sowie für das Ziel spricht 4,5 Milliarden Euro), zuzüglich EE-be-
2030 nicht enthalten sind. dingte Netzkosten (circa 2 Milliarden Euro).
37. UBA (2017b) 51. Eigene Berechnungen auf Basis BMWi (2016a),
38. Destatis (2016b) BMWi (2016b), Öko-Institut (2017c),
39. TNO/ICCT (2016) 52. Diese Summe wächst laut den Haushaltsplänen
40. BMUB (2016). Das entspricht einer Reduktion der Bundesregierung ab 2017 auf etwa 3 Milliar-
von 40 bis 42 Prozent gegenüber 1990. den Euro jährlich an.
41. Agora Verkehrswende (2017) 53. EWI/Prognos/GWS (2014b)
42. Andere Technologien, wie etwa Kernfusion, 54. EWI/Prognos/GWS (2014b), Fraunhofer ISE
Osmose- und Gezeitenkraftwerke oder Bio- (2015a), Fraunhofer IWES (2015), Öko-Institut/
kraftstoffe der zweiten Generation sind derzeit Fraunhofer ISI (2015), Öko-Institut (2017a)
noch so sehr im Forschungsstadium, dass nicht 55. Die externen Kosten des CO2 liegen weit oberhalb
zu erwarten ist, dass sie bis 2030 – wenn über- dieser volkswirtschaftlichen Vermeidungskos-
haupt – ihre Kosten so sehr reduzieren könn- ten von 50–60 EUR/t CO2. Das Umweltbundesamt
ten, dass sie konkurrenzfähig zu Windkraft und empfiehlt (vgl. Umweltbundesamt (2013)), hier
Solarenergie werden würden. kurzfristig einen mittleren Wert von 80 EUR/t
43. Frontier Economics (2017) CO2 und für das Jahr 2030 einen mittleren Wert
44. Wird im Wärme- und Verkehrssektor nur die von 145 EUR/t CO2 anzusetzen.
Hälfte der angestrebten Verbrauchsreduktion 56. (EWI/Prognos/GWS 2014b)
erreicht (ca. 240 TWh), sind bei einem angesetz- 57. (Öko-Institut/Fraunhofer ISI 2015). Die Unter-
ten PtL-/PtG-Gesamtwirkungsgrad von 50 Pro- schiede in den Ergebnissen haben neben den
zent zusätzliche Strommengen aus Erneuerbaren unterschiedlichen Brennstoffannahmen auch
Energien in Höhe zu rund 480 TWh erwarten. eine Ursache in unterschiedlichen Modellie-
45. Aufgrund der zwischenzeitlich abgesenkten rungslogiken; so sind die Investitions-Multipli-
Eigenkapitalverzinsung wurde mit niedrigeren katoreffekte im Fraunhofer-ISI-Modell generell
Netzentgelten gerechnet, BNetzA (2015). größer als im GWS-Modell.
46. Expertenkommission zum Monitoring-Prozess 58. Das aktuelle EU-Klimaschutzziel von 40 Pro-
„Energie der Zukunft“ (2016) zent Emissionsminderung bis 2030 gegenüber
47. Destatis (2016a). Der größte Teil der privaten 1990 stellt angesichts des Stands von minus
Energieausgaben des Jahres 2015 entfällt dabei 24 Prozent im Jahr 2015 keinen glaubwürdigen
74
IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
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IMPULSE | Energiewende 2030: The Big Picture
79
Publikationen von Agora Energiewende
AUF DEUTSCH
Wärmewende 2030
Schlüsseltechnologien zur Erreichung der mittel und langfristigen Klimaschutzziele im Gebäudesektor
80
Publikationen von Agora Energiewende
Transparenzdefizite der Netzregulierung
Bestandsaufnahme und Handlungsoptionen
Netzentgelte in Deutschland
Herausforderungen und Handlungsoptionen
AUF ENGLISCH
81
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