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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

RAINER MARTEN

Philosophie, so faszinierend wie gefährlich


Das Verhältnis von Mensch und „Sein“ und die „griechisch-deutsche
Sendung“: zu Martin Heideggers 100. Geburtstag

Originalbeitrag erschienen in:


Badische Zeitung 29. Sept. 1989 (= Nr. 222), S. 10
Philosophie, so faszinierend
wie gefährlich
Das Verhältnis von Mensch und „Sein" und die „griechisch-deutsche Sendung":

Zu Martin Heideggers 100. Geburtstag

Todtnauberg, September 1949. Martin Heidegger zeigt


auf einen Bauernhof und erklärt dem mitspazierenden
Studenten: „Hier wurde ‚Sein und Zeit' geschrieben." Be-
reits 60jährig ist der Philosoph sich selbst Geschichte. Er
konstruiert seinen „Denkweg", macht jeden Schritt seiner
geistigen Existenz unverletzlich und unwiderruflich.
Bremen, Dezember 1949. Vor hochgestelltem und hoch-
gebildetem Publikum hält Heidegger drei Vorträge zum
„Einblick in das, was ist". In der Diskussion bringt je-
.

mand die Rede auf das urchristlichä Imnenan Da wird


Heidegger fuchsteufelswild und sch1 t, wie ich die Worte
erinnere:
ri „Wenn Sie an das denken, dann heißt das (er
deutet auf sich): ,Hier sitzt der Teuje t" Noch anderntags
ist er nicht beruhigt. 60jährig, den „Blitz des Seins" ent-
deckend, zeigt sich der Philosoph vor dem „Club zu Bre-
men" ebenso vehement bei „seiner" Sdche, wie er es schon
als 30jähriger tat und noch als 80jäkriber tun wird: bei der
Philosophie. Was treibt ihrm? Was grht es un an?
f
TA1e persönliche Integrität dagegen

M artin Heidegger, der heute --

vor 100 Jahren, am 28. Septem- steht öffentlich im Zwielicht, seit Arbei-
ber 1889, in Meßkirch geboren ten von Victor Farias (1987) und Hugo
wurde und am 28. Mai 1978 in Freiburg Ott (1988) Heideggers Engagement für
starb, hat ein umfangreiches Werk hin- den Nationalsozialismus neu aktuali-
terlassen. Von 1923 bis 1928 lehrte er in siert haben. In einem an Pathos und
Marburg, danach (unterbrochen von ei- Betriebsamkeit beispiellosen Einsatz
ner mehrjährigen Zwangspause von hatte sich, der Philosoph 1933 als Rek-
1945 an) bis in die sechziger Jahre in tor der Universität Freiburg in den
Freiburg — jeweils mit großem Erfolg. Dienst der NS-Ideologie gestellt und
Sein ganzes Denken kreiste hartnäckig die geistige Führung der- „deutschen
um ein einziges Thema: das Verhältnis
von Mensch und „Sein". Bei der Deu-
tung dieses Verhältnisses hat er sich Beklemmend
höchst kunstvoll der beredten Ver- • uneinsichtig
schwiegenheit bedient Das hat die
Neugier wachgehalten. Die einzigarti-
ge Bedeutung, die Heidegger dem Ver- Universität", ja der ganzen „Bewe-
hältnis des geistigen Menschen zum gung" für sich beansprucht
geistigen „Sein" zumißt, die nie ermü- Noch 1938 bestand Heidegger zu Be-
dende Phantasie, mit der er es verrät- ginn einer Vorlesung auf dem Hitler-
seit, seine bizarre und provozierende gruß, obwohl der vom Rektor inzwi-
Sprache faszinieren bis heute. schen offiziell abgeschafft worden war:
beim Rom-Besuch im selben Jahr trug
er das Parteiabzeicher am Revers, ob-
wohl es niemand veriargt
Wann immer man Heidegger nach
dem Krieg bedrängte, sein NS:Engage-. stimmt, dann „den Deutschen" das En-
.ment zu widerrufen, wendete er sich de (die „Letze"). Sie sind das einzig an-
brüsk ab (Begegnung mit Rudolf Bult- dere „Volk der Denker", wenn es denn
mann), spielte er - in Vorwegnahme Heidegger ist, der denkt, nicht aber
der Hillgrubers und Noltes von heute - Schopenhauer oder Wittgenstein, nicht
Hitler gegen Stalin aus (Briefe an Karl einmal Hegel oder Nietzsche. Kein an-
Jaspers und Herbert Marcuse), deres reiche jetzt und in absehbarer
schwieg er (Begegnung mit Paul Ce- Zukunft kraft seines völkischen 'Gei-
lan). Hätten sich nur „um 1933 alle ver- stes in die „geschichtliche" Entschei-.
mögenden Kräfte" gleich ihm für den dung hinein, ob „der Mensch" in sein
Nationalsozialismus eingesetzt, dann „anfänglich" versprochenes „hohes"
wäre daraus doch noch das Gute ge- Wesen finde. „Der Planet steht in Flam-
worden, das er ideologisch versprach, men. Das Wesen des Menschen ist aus
schrieb er nach 1945 in seiner beklem- den Fugen. Nur von den Deutschen
mend uneinsichtigen Selbstrechtferti- kann ... die weltgeschichtliche Besin-
gungsschrift, die der Sohn Hermann nung kommen" (Heraklit-Vorlesung,
Heidegger -zum 50. Jahrestag der Sommer 1943).
Machtergreifung veröffentlichte. Dies deutsche „nur", seine heiligste
Von dem, was Heidegger geistig zu Konfession, hat Heidegger in immer
seinem Einsatz für den Nationalsozia- neuen Varianten durchgespielt - bis
lismus bewegte, ist er also nie abge- hin zur erdachten Selbstopferung. Die
rückt. Es gehört aufs innigste zu seiner Deutschen allein sind, wie er meint, be-
Philosophie und zugleich zu seiner Per- rufen, in sakrifizieller Selbsterfüllung
son. Wo immer er sich gesellig, fürsorg- „das Menschsein ... für die Wahrung
lich und betroffen im Umgang mit an- der Wahrheit des Seins" zu opfern (Par-
deren Menschen zeigte, blieb er doch menides-Vorlesung, Winter 1942/43).
stets der Philosoph. Keiner, der Um- Ganz bewußt wird durch diesen An-
gang mit ihm hatte, wird die geistige spruch, zu je einer geschichtlichen Zeit
Unmittelbarkeit vergessen, mit der er ein einziges Volk menschlich für uni-
einen, ohne je nachzulassen, in 'den versell zu setzen, Menschsein men-
Bann zog. Wer Heidegger würdigen
und kritisch gerecht werden möchte, schenweit diskriniiniert.
kann das nur „sachlich" und das heißt Das„eigentliche” Griechen- und
philosophisch versuchen. Da aber für Deutschtum hebt Heidegger vor allem
seine Deutung des Verhältnisses von gegen das Römisch-Christliche und das
Mensch und „Sein" kaum etwas auf- Mathematisch-Technische ab. Römer-
schlußreicher ist als seine Konzeption tum ist ihm der eheriffle Gestus, Chri-
„der Griechen", liegt es nahe, im folgen- stentum das Handwerklich-Technische
den auf die Problematik dieses Ent- des Schöpfergottes und die subjektivi-
wurfs einzugehen. stische Sorge um Seelenheil, mathema-
Allein im „Griechentum" entdeckt tisch-naturwissenschaftlich gegründe-
Heidegger den „seins"-gemäßen Geist te Technik wieder ist ihm Garant der
Mensch und „Sein" entwürdigenden
des Menschen. Auch sein eigenes Den- Subjekt-Objekt-Beziehung. Dem setzt
ken findet dort erst zu sich selbst. Sagt er die - erdachte-, geistige griechische
Heidegger „die Griechen", dann fällt Polis entgegen: der das Wesen der
kein Grieche, der leibhaftig gelebt und Macht fremd, den "geistigen griechi-
gewirkt hat, unter diesen Plural. Es schen Menschen, der seinem Wesen
geht um Erdachtes: das „Menschentum nach „schlechthinunpolitisch", und das
der Erde" in seinem „Anfang". Ägypter geistige griechische „Göttertum", das
und Inder gehören keinesfalls dazu, in nichts anthropomorph sei und das
weil sie ohne geistige Bestimmung sind „den Deutschen" erst noch bevorstehe.
- ohne abendländisch-philosophische! Dieser aller Realität spottende Ent-
Selbst bei den Griechen wird gesiebt.
Nur das „eigentliche Griechentum" wurf eines geistigen Griechentums ent-
zählt. Zu diesem gehören Anaximan- spricht dem Umgang mit der griechi-
der, Parmenides und Heraklit, weil sie schen Philosophie. In Auslegungen von
und nur sie „anfänglich" gedacht, Pla- Sein" und Zeit" (1927) bis zu „Zeit und
ton und Aristoteles, weil sie und nur sie Sein" (1962) gibt es keine Grundposi-
diesen „Anfang" im Griechischen „voll- tion der „anfänglichen Denker", die
endet" haben. Alles Denken sonst zeigt Heidegger nicht auf den Kopf stellte.
sich verstrickt in Vergegenständli- Was er Heraklit als Gedanken der Na-
chung, Technik und wesenlose Subjek- tur im Sinne des eigenen Seinsdenkens
tivität unterstellt, Parmenides als Identität
Ist „den Griechen" der „Anfang" be- von Denken und Sein. Platon als Idee
von Naturdingen („das Baumhafte des Heideggers Philosophie, so faszinie-
Baumes" as Blühen de tüte") — die- rend Sie für viele ist und auch bleiben
se mit Anschein gi :r Sorgfalt
verklär illkür und Mi eutung fin-
det in der Aristoteles-Auslegung ihren Das Freilegen
Höhepunkt. Sein als Seinsherkunft des
Seienden, wahr als maßgebliche Seins- von Verschüttetem
bedeutung, Zeit als gezählte Jetzte, Na-
tur als „Vorliegen", Sprache als Natur- mag, taugt nicht, um die für uns nötige
bestimmung („ausholendes Einholen", Verständigung des Menschen über sich
„Aufgehen") — mehr gegen Geist und selbst als Mensch voranzubringen,
Buchstaben läßt sich Aristoteles über- taugt nicht, um uns angesichts der zu-
haupt nicht lesen. Wozu das alles? nehmenden Gefährdung des Menschen
Heidegger braucht „die Griechen", durch sich selbst geistig zu orientieren.
um eine geschichtliche Dimension zu Sie taugt dazu nicht nur nicht, sondern
konstruieren, die „den Deutschen" ihre ist in ihrer Art, den lebendigen Men-
einzigartige Bestimmung einbringt; sch•n zu diskriminieren und schwa-
braucht sie, um das „deutsche" Denken chen Geistern mit dem Phantom eines
mit dem Nimbus des einzigartig Ge- „Seins selbst" Religionsersatz zu lie-
schichtlichen zu umgeben und dadurch fern, selbst gefährlich.
tu legitimieren; braucht sie zugleich, Von Heidegger konnte sehr wohl das
um sein Seinsdenken unhinterfragbar Philosophieren gelernt werden: das
und unwiderlegbar zu machen; braucht Aufheben von Selbstverständlichem,
sie schließlich, um seinen „Denkver- da% Aufbrechen traditioneller Verkru-
such" zu dramatisieren, verdankt sich stungen, das Freilegen von Verschütte-
dessen Überzeugungskraft doch nicht tem, nicht aber, wie ich es heute sehe,
zuletzt der Art, wie er ihn als Ringen Philosophie. Er hat sich wohl selbst am
mit dem alles überragenden „Großen" besten verstanden, wenn er bekannte,
des „anfänglichen" Geistes in Szene keine Philosophie zusammendenken
setzt. zu wollen, über die man Seminare hält
Was gedankenlose Leser Heideggers und Bücher schreibt. Mehr als einmal
vor allem für das Konstrukt der „grie- hörte ich von ihm das Wort: „Stehen Sie
chisch-deutschen Sendung" einnimmt, nicht auf zwei Augen!" Er meinte: „Las-
ist das darin verpackte homöopathi- sen Sie sich nicht durch mich blenden.
sche Rezept der „Seinsgeschichte": Sehen Sie selber. Gehen Sie Ihren eige-
Gleiches wird durch Gleiches kuriert: nen Wegr'
„Die Deutschen" haben den' griechi- Der geistige Entwurf des Verhältnis-
schen „Anfang" nur „anfänglicher" zu ses von Mensch und „Sein" hat sich zu
wiederholen, dann ist, spielt das „Ge- Heideggers Lebzeiten — wie konnte es
schick des Seins" mit, das gefährdete anders sein!— nicht realisiert. Fünf Jah-
Menschentum des Abendlandes geret- re vor seinem Tod schreibt Heidegger
tet. Der Geist der Technik, für Heideg- die bitteren Worte an den Zürcher Psy-
ger irrtümlich ein reiner Sproß griechi- choanalytiker Medard Boss: „Es gibt
scher Philosophie, wird durch bloßen auch den Menschheitstod; es ist auch
Geist von all seinem erdverwüstenden nicht zu begründen, weshalb das, was
Ungeist befreit. Einstellungsänderung jetzt den Planeten bevölkert und auf je-
steht auf dem Plan, Gesinnungsontolo- de nur mögliche Weise zerstört, ins
gie. Ein Wort wie Hölderlins „Wo aber Endlose weiterexistieren soll." Doch
Gefahr ist, wächst das Rettende auch", wir sollten kein Mitleid haben. Da ist
das Heidegger gerne zitiert, verkommt noch eine Spur d& alten diskriminie-
zur Bauernregel. renden Kraft darin, die Heidegger im-
Heidegger hat sich auf leidenschaft- mer schon die geistige Einsamkeit fin-
liche Weise selber ernst genommen. den ließ. Es ist doch in dieser Briefstel-
Das macht es mit so schwer, das geisti- le ganz so, als sage der alt gewordene
ge Spiel zu begreifen, mit dem er der Philosoph zu sich selbst: „Der abend-
Offentlichkeit aufwartet. Wie es aber ländische Mensch, wie er leibt und lebt,
nicht gut ist, die häßlichen Dinge, die ist meines geistigen Einsatzes nicht
über Heideggers NS-Engagement an wert gewesen." RAUER MARTEN
den Tag kommen, verharmlosend als
„kleine Schäbigkeiten" zu werten, so
wird es der Sache auch nicht gerecht,
wenn man, wie es ein alter Schüler tut,
Heideggers philosophische Willkür au-
genzwinkernd für „schwäbischen
Schwindel" nimmt.

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