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WIENER VORLESUNGEN IM RATHAUS NIKLAS LUHMANN

Band 46
Herausgegeben von der Kulturabteilung der Stadt Wien
Redaktion Hubert Christian Ehalt
DIE NEUZEITLICHEN
WISSENSCHAFTEN UND DIE
Vortrag im Wiener Rathaus PHÄNOMENOLOGIE
am 25. Mai 1995

PICUS VERLAG WIEN


Die im Frühjahr 1987 gegründeten Wiener
Vorlesungen haben sich zu einem internationa-
len Forum für bedeutende Persönlichkeiten
aus den Bereichen Wissenschaft, Kunst und
Politik entwickelt. Die Vorlesungen haben das
Wiener Rathaus für eine engagierte Diskussion
über die Alltagsfragen der kommunalpoliti-
schen Willensbildung hinaus geöffnet.
Es ist meine Auffassung, daß Wissenschaft
und ihre Vermittlung an eine größere Öffent-
lichkeit eine untrennbare Einheit bilden soll-
ten. Bei den Wiener Vorlesungen ist dies immer
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
wieder ausgezeichnet gelungen.
Luhmann, Nildas: Das Reizvolle an den Vorlesungen, die mitt-
Die neuzeitlichen Wissenschaften und die Phänomenologie:
[Vortrag im Wiener Rathaus am 25. Mai 1995]1 Niklas lerweile zu einem intellektuellen Jour fixe im
Luhmann.- Wien: Picus Verl., 1996 Rathaus geworden sind, besteht für mich vor
(WieDer Vorlesungen im Rathaus; Bd. 46)
allem darin, visionäre Persönlichkeiten zu ge-
ISBN 3-85452-345-9
NE:GT winnen, die über die manchmal sehr engen
Grenzen der einzelnen Disziplinen hinauszuge-
Copyright © 1996 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
hen vermögen. Es ist immer wieder gelungen,
Alle Rechte vorbehalten »Querdenker« im Rathaus zu Wort kommen zu
Graphische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien lassen, die Anstöße dazu geben, vertraute Pro-
Druck und Verarbeitung:
Tbeiss Druck, Wolfsberg
bleme in einem neuen Licht zu sehen, Anstöße,
ISBN 3-85452-345-9 damit - was in vielen Bereichen sehr notwen-
dig ist - das Denken die Richtung wechseln
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kann. Denn die kritische Analyse der Verhält- I
nisse in emanzipatorischer und aufklärerischer
Absicht ist für mich immer eine wichtige Auf- Seit Husserls Wiener an die heute zu erin-
gabe der Wissenschaft gewesen. In diesem Sin- nern ist, sind 60 Jahre' verstrichen - eine lange Zeit,
selbst für philosophische Reflexionen. Die gesell-
ne freue ich mich über die Publikation der
schaftlichen Verhältnisse und vor allem die Art, wie
Wiener Vorlesungen, die die Impulse der Vor- sie beobachtet und beschrieben werden, haben sich in
träge und Diskussionen in eine größere Öffent- wichtigen Hinsichten geändert. Soziologisch gesehen
lichkeit trägt und dem gesprochenen Wort die fällt diese Zeitdistanz so sehr ins Gewicht, daß mit ei-
Dauer der geschriebenen Worte verleiht. ner Textexegese nach hermeneutischen Direktiven
nicht viel auszurichten ist. Statt dessen soll der Text
URSULA PASTERK,
zunächst in die kommunikative Situation seiner Zeit
STADTRÄTIN FÜR KULTUR zurückversetzt werden, damit man erkennen kann,
wogegen er, ohne es im Text selbst zu sagen, gerichtet
war!. Zum Zeitpunkt der Wiener Vorträge Husserls
schienen diktatoriale Regimes, die man im Rückblick
faschistisch nennt, in unaufhaltsamem Vormarsch zu
sein. Die bürgerlichen Intellektuellen blickten mit
Sorge auf die wenigen noch funktionierenden Demo-
kratien, die, eingeklemmt zwischen kommunistischen
und faschistischen Diktaturen, einen Restbestand an
Freiheit zu bewahren schienen. Aber mit welchen
Aussichten - vor allem im jederzeit möglichen
Kriegsfall? Die Aufmerksamkeit war in dieser Lage
auf Politik gerichtet, und dies auf der Grundlage ei-
nes spezifisch europäischen Erwartungshorizontes.
Einer der aufmerksamsten soziologischen Beobachter
des nationalsozialistischen DeutscWands, der Ameri-
kaner Talcott Parsons, hatte bis zum Ende des Zwei-
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ten Weltkrieges ein sehr skeptisches Bild der Auswir- gischen Probleme mehr als bisher ins Zentrum politi-
kungen typischer Strukturen der Modeme vertreten, scher Aufmerksamkeit. Sie erscheinen vor unseren
vor allem ihrer Tendenzen zur Rationalisierung und Augen mit einer Eigendynamik und auch mit einer
Differenzierung. Die Diagnose lautete: Destabilisie- Eige~ynari::rik
eigenen zeitlichen Fatalität, die die Staaten und damit
rung, ökonomische Krisen, politische Polarisierun- die Politik offensichtlich überfordert. Zu den viel-
gen, antidemokratische Regimes 2• Nach dem zweiten leicht auffälligsten Veränderungen gehört das Ver-
Weltkrieg ist nicht mehr Deutschland, sondern die schwinden der bäuerlich-handwerklichen Familien-
USA das Leitmodell, und die Farben werden heller ökonomie überall in Europa, selbst in rasantem Tem-
und freundlicher. Die optimistischen Variablen po im Süden, ohne daß auf struktureller Ebene eine
heißen bei Parsons schließlich: adaptive upgrading, adäquate Nachfolgeinstitution in Sicht wäre. 4 Welt-
differentiation, inclusion, value generalization.3 weit sind ähnliche Veränderungen zu beobachten -
Intellektuelle, die den Faschismus und den Zweiten und in weniger reichen Ländern ohne funktionieren-
Weltkrieg überlebt haben, neigten zunächst zu einer den »Wohlfahrtsstaat« mit sehr viel katastrophaleren
positiveren Einschätzung der Lage. Zugleich verla- Folgen. Das Leben mag sich noch in »Familien« oder
gerten sich die Probleme auf die Konfrontation des ähnlichen Lebensgemeinschaften vollziehen, aber es
»kalten Krieges« und damit auf Mächte, die nicht ist jetzt bis in die Details hinein vom Markt und von
mehr als europäisch wahrgenommen wurden, wenn- Organisationen der Berufsarbeit, der Produktion und
gleich ihre Ideologien ihren europäischen Ursprung der Dienstleistung abhängig, also von Veränderungen
nicht leugnen konnten. Nach dem Zusammenbruch abhängig, die vom einzelnen als extern und als unbe-
dieser Frontstellung ist eine neue internationale Un- einflußbar empfunden werden. Die Integration von
ordnung entstanden, die mit ihren Konflikten eher auf Individuum und Gesellschaft wird zur Angelegenheit
weltgesellschaftliche Probleme verweist, etwa auf die von Konjunkturen und Karrieren - K.u.K., wenn man
Frage, ob der Staat, eine europäische Erfindung, will.
überhaupt ein geeignetes Ordnungsmodell ist für Ter- Auf Makroebene sind ebenso spektakuläre Verän-
ritorien, die von ethnischen, tribalen oder von religiö- derungen zu nennen. Die rasante Entwicklung der in-
sen Konflikten geprägt sind, welche sich nicht durch ternationalen Finanzmärkte, das Entstehen immer
unterschiedliche, aber wählbare politische Parteien neuer Finanzinstrumente und die damit verbundene
repräsentieren lassen. Volatilität aller Geldanlagen haben mehr oder weni-
Außerdem treten die ökonomischen und die ökolo- ger tiefgreifende Versuche einer sozialethisch moti-
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vierten sozialistischen Politik buchstäblich, vom ben sich auch die Probleme, die Husserl in seiner
Markt gefegt und sie, in der Politik selbst, auf Rest- Kritik der neuzeitlichen Wissenschaften vor Augen
bestände rhetorischer Kontroversen reduziert. Weder hatte. Die Klage über die mangelnde humanethische
sieht man, wie die offensichtlich vorhandenen riesi- Orientierung ist nicht 'verstummt; aber hinzukommt
gen Mengen anlagebereiten Geldes zu Investitionen das vielleicht gravierendere Problem, daß die Wissen-
motiviert werden können, noch gelingt es, die ent- schaften mit jedem Wissensgewinn noch mehr Un-
standene Divergenz von Betriebserhaltung und Ver- wissen erzeugen, und dies vor allem in den praktisch
mögenserhaltung politisch zu kontrollieren. Die Ver- drängenden Fragen einer Kontrolle der Kausalität
lagerung von Arbeit in Billiglohnländer einerseits von Veränderungen, also etwa im Bereich von prä-
und massenhafte demographische Bewegungen ande- ventiver Medizin, bei Therapien jeder Art oder in der
rerseits sind zum Thema politischer Ratlosigkeit ge- Voraussicht von ökologischen Konsequenzen einer
worden und werden dies trotz einer Vielzahl von In- bereits praktizierten im Vergleich zu einer geänderten
terventionsversuchen bleiben. Allein schon die Tat- Technologie.
sache, daß »Regulierung« und »Intervention« promi- Schließlich ein Wort zum Stellenwert von Technik.
nente Politikbegriffe geworden sind, verrät eine neue Während Husserl sich in der Haupttendenz auf einen
Art von Problembewußtsein. alteuropäischen Begriff von Vernunft beruft, ist Tech-
Mit all dem sind die Auswirkungen der Wissen- nik für ihn ein spezifisch neuzeitliches Phänomen. Es
schaft auf Politik und WIrtschaft noch gar nicht er- geht nicht mehr um Logos und List5, nicht mehr um
wähnt. Man denke an die Konsequenzen der Freiset- das listige Einfädeln mechanischer Ursachen in eine
zung von atomarer Energie für Kriegsführung und komplexe, Formen, Materien und Endzustände um-
Energieproduktion. Man denke an die unübersehba- fassende Ursachenkonstellation. Die Tradition der
ren Folgen von Eingriffen in die genetischen Struktu- Rationalität wird also sehr verkürzt rezipiert. Ebenso
ren, die das Leben auf der Erde bisher bestimmt ha- einseitig ist das auf die Neuzeit bezogene Urteil. Ge-
ben. Man denke an die Herausforderungen, die so- wiß ist es gut, sich daran zu erinnern, wie erstaunlich
wohl im Bereich der Medizin als auch in anderen - admirabile - die Art und Weise ist, in der Newton
ökologischen Fragen auf die Wissenschaft zukom- mit Sonne, Mond und Sternen umgeht. Aber das kann
men, heute bereits weitgehend im Wettlauf mit den doch wohl kaum dazu führen, daß man die Sache
durch die Wissenschaft selbst ausgelösten Verände- vom Gegenbegriff der »Lebenswelt« aus negativ be-
rungen. Zieht man all dies in Betracht, dann verschie- urteilt. Für Husserl besteht ein enger Zusammenhang
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zwischen Technik und neuzeitlicher Wissenschaft als nen unterscheiden konnten. Die Naturwissenschaften
einer Fehlentwicklung vernünftiger Rationalität. sind, von der Physik bis zur Biologie, selbstreflexiv
Technik wäre danach angewandte Wissenschaft, und geworden. Sie handeln von sich selbst beobachten-
im Vorausblick auf Möglichkeiten ihrer technischen den Gegenständen. Kognition setzt ein quantenphysi-
Realisierung läge dann der Sündenfall eines sich ver- kalisch funktionierendes Gedächtnis voraus. Die Mi-
irrenden Rationalismus. 6 Heute sehen wir das anders. krophysik verändert durch ihr Beobachten den Ge-
Die historische Technikforschung hat gezeigt, daß die genstand, den sie beobachtet. Die Biologie verdankt
Technikentwicklung sich bei der Lösung ihrer eige- sich lebenden Biologen. Die Fiktion einer kogniti-
nen Probleme in der Regel nicht auf eine bereits vor- onsfrei existierenden Realität mußte schon mit Hei-
handene wissenschaftliche Erkenntnis stützen konnte; senberg aufgegeben werden; und wenn eine solche
das gilt zum Beispiel für die Entwicklung kontrollier- Realität denn existiert, zeigt sie keine Eigenschaften,
barer Dampfmaschinen. Es gilt für die Erfindung von an die eine Beschreibung anknüpfen könnte. Ich wer-
Computern bis hin zur Minimisierung ihrer operati- de darauf zurückkommen. Zunächst ist nur festzuhal-
ven Bestandteile, wobei das Problem ja nahezu aus- ten, daß für solche Erkenntnisse nicht, wie Husserl
schließlich in der Produktionstechnologie gelegen meinte, »Geist« erforderlich sei. Sie ergeben sich
hatte. Erst recht zeigen heutige Probleme der techni- vielmehr aus der Universalisierung der Erkenntnis-
schen Bekämpfung von Folgeproblemen der Technik projekte der Naturwissenschaften, also aus einem
(Sicherheitstechnologien, Abgasreinigung, Mülldepo- Programm, das Autologien, das Anwendung auf sich
nien usw.), daß man auf Experimentieren mit Modell- selbst erzwingt - oder in seiner Weltintention unvoll-
versuchen angewiesen ist und nicht in Büchern nach- ständig bleibt.
lesen kann, wie es zu machen ist. Damit ist nicht be- Und nicht zuletzt reagieren auch die Intellektuellen
stritten, daß grundlegende wissenschaftliche Ent- heute skeptischer. Im sogenannten »postmodernen«
deckungen, etwa die der Quantenphysik oder die der Diskurs gelten grundlegende Annahmen der Modeme
Biogenetik im Laufe der Zeit auch weitreichende als durch Fakten widerlegt: die Vernünftigkeit des
technologische Konsequenzen hatten; aber sie waren Wirklichen durch Auschwitz, die sozialistischen
als Theorie nicht patentfähig. Hoffnungen durch Stalin, die Prinzipien der Markt-
Auch die Naturwissenschaften selbst haben sich wirtschaft durch riesige Finanzspekulationen und die
grundlegend verändert; und zwar in genau dem auf Demokratie bezogenen Erwartungen durch die
Punkt, in dem sich die Geisteswissenschaften von ih- 68er Bewegung und ihre Folgen.7 Die jetzt geltende
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Losung, der jetzt geltende »métarécit« lautet: es gibt schnitten. Manche Philosophen sind nur noch an der
keine konsensfähigen métarécits mehr. Textgeschichte des Faches interessiert, andere an Mo-
Viele der Selbstverständlichkeiten in Husserls eige- dethemen wie Postmoderne oder Ethik; wieder ande-
ner Lebenswelt und besonders die Voraussetzungen, re präsentieren die Verlegenheiten einer Gesamtsicht
die es ihm ermöglicht hatten, das neuzeitliche Projekt literarisch oder feuilletonistisch; und am schlimmsten
einer wissenschaftlich orientierten Technik in seine vielleicht: die an Pedanterie grenzende Bemühung
Schranken zu weisen, erscheinen heute als überholt. um mehr Präzision. Für einen externen Beobachter
Erst recht dürfte dies für die positive Seite dieser Kri- jedenfalls ist das nicht erkennbar, was Husserl vorge-
tik, für das Vertrauen in die Heilungskräfte des zeichnet hatte: eine Entelechie der selbstkritischen
abendländischen Vernunft-Telos gelten. Wie Joachim Vernunft. Kritik - das heißt nur noch: Beobachtung
Ritter eindrucksvoll gezeigt hat, lassen Philosophien von Beobachtungen, Beschreibung von Beschreibun-
sich durch die gesellschaftlichen Probleme ihrer Zeit gen von einem ebenfalls beobachtbaren Standpunkt
inspirieren, ohne daß dies in den Theoriefiguren und aus.
in den Argumenten unmittelbar zum Ausdruck
kommt. 8 Was für Aristoteles und für Hegel nachweis-
bar ist, mag auch für Husserl gelten. Eine Wiederbe- TI
gegnung mit Husserls transzendentaler Phänomeno-
logie und mit den Ausformungen, die sie im Spät- Die erste Aufgabe wird deshalb sein, e1lllge Ei-
werk gefunden hat, wird dem Rechnung tragen müs- gentümlichkeiten des Husserl-Textes herauszuarbei-
sen. Das sollte weder als Kritik verstanden werden ten, bei denen zweifelhaft sein kann, ob und wie
noch, wie unter Philosophen weithin üblich, als Ob- Kontinuität möglich ist. Ich halte mich dabei im we-
duktion und als sachgemäße Textverwaltung. Viel- sentlichen an die Wiener Vorträge, gelegentlich aber
mehr geht es um die Suche nach einer Form, in der auch an die in Buchform ausgearbeitete Vorlage, also
das unter dem Namen Philosophie akzeptierte unbe- an »Die Krisis der europäischen Wissenschaften und
dingte Theorieinteresse angesichts veränderter Bedin- die Transzendentale Phänomenologie«.
gungen fortgesetzt werden kann. Am auffälligsten ist vielleicht der Eurozentrismus,
Schließlich hat die Philosophie selbst Husserls wie man ihn sonst im 20. Jahrhundert kaum noch fin-
Wegweiser nicht beachtet, auch wohl: nicht beachten det. Das europäische Menschentum befindet sich in
können. Sie hat gleichzeitig verschiedene Wege be- einer Krise, das europäische Menschentum muß ge-
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rettet werden - und zwar durch sich selbst. Das hat ne Wohnkultur - und dann auch noch eine Kultur des
sicher nichts mit Imperialismus, Kolonialismus und Philosophierens. Was kann das heißen?
Ausbeutung zu tun, wohl aber mit einem geistigen Jetzt ist daran zu erinnern daß der heute gebräuch-
Überlegenheitsbewußtsein, das nicht nur »die Zigeu- liche Begriff der Kulture ine Erfindung, eine europäi-
ner« ausschließt, »die dauernd in Europa herumvaga- sche Erfmdung des späten 18. Jahrhunderts gewesen
bundieren«, sondern auch eine Europäisierung aller ist. Damals ging es anscheinend darum, die immen-
anderen Menschheitsgruppen in Betracht zieht, sen, in regionaler und historischer Hinsicht expandie-
»während wir, wenn wir uns recht verstehen, uns zum renden Vergleichshorizonte der modemen Gesell-
Beispiel nie indianisieren werden.«9 Kein Blick auf schaft unter eine begriffliche Kontrolle zu bringen. Es
die politischen und ökonomischen Verhältnisse auf wurde keineswegs bestritten, daß die Dinge, die Tex-
dem Erdball, kein Gedanke an die Möglichkeit, daß te, die Praktiken ihren unmittelbaren Gebrauchssinn
europäische Traditionen allmählich in anders struktu- haben und behalten; aber alle menschlichen Artefakte
rierten weltgesellschaftlichen Verhältnissen aufgehen und schließlich sogar die Art, wie »Natur« gesehen
könnten. Die Emphase von Krisis und Rettung durch oder empfunden wird, wurden dupliziert und zusätz-
sich selbst verdankt sich diesen Ausblendungen, die lich noch als Zeugnisse von Kultur beschrieben. Jetzt
schon unglaubwürdig sind und es jedenfalls nach erst wird alles, was vorher schon da war, und alles,
dem Zweiten Weltkrieg offensichtlich sein werden. was in anderen Regionen des Erdballs existiert, zur
Ein weiteres Problem liegt in der Berufung auf Kultur erklärt und als Kultur erklärt. Jetzt erst gibt es
Kultur. Daß eine universell orientierte Philosophie überhaupt Kultur, weil man erst jetzt in dieser Be-
sich unter anderem auch mit Kultur befaßt, ist ver- grifflichkeit denken, darüber reden, darüber schreiben
ständlich. In einer am Ende des 18. Jahrhunderts üb- kann.
lich gewordenen Ausdrucksweise spricht man von Kybernetisch gesprochen wird damit eine Ebene
Philosophie der Kunst, Philosophie des Rechts, Phi- der Beobachtung zweiter Ordnung, ein Beobachten
losophie der Geschichte, sogar Philosophie der Reli- von Beobachtern über die Dinge gelegt. Daß damit
gion usw.; warum dann nicht auch Philosophie der die, wie Schiller sagen würde: »naive«, wie Husserl
Kultur? Daß Philosophie sich selbst für Kultur hält, dann sagt: »natürliche« oder »lebensweltliche« Ein-
muß dagegen erstaunen. Philosophie sei ein Resultat stellung nicht beseitigt wird, ist immer unbestritten
einer spezifisch europäischen Kulturentwicklung? Es geblieben. Aber was kommt hinzu? Oder: welche
gibt also eine Eßkultur, eine Kultur der Manieren, ei- neuen Beschränkungen ergeben sich daraus, daß jetzt
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die naiv praktizierte Religion damit rechnen muß, Husserl löst, und das ist meine dritte Bemerkung,
daß sie als Kulturerscheinung beobachtet, verglichen, dieses Problem mit Hilfe einer bestimmten Unter-
zensiert wird? Und muß man diese Frage nicht auch scheidungstechnik auf; oder er verdrängt es damit zu-
an die Philosophie richten? Muß sie jetzt im Namen mindest. Es handelt sich um Unterscheidungen mit
von Authentizität, Echtheit, Eigentlichkeit einen Wi- eingebauter Asymmetrie, so daß die eine Seite der
derstand gegen Kultur organisieren? Aber wenn, Unterscheidung zugleich die Unterscheidung selbst
bleibt auch dies bloße Reaktion ohne Begriff für die dominiert. So halten Moralisten die Unterscheidung
Einheit der Differenz von vergleichbar und unver- von gut und böse selbst für gut, und Juristen zweifeln
gleichbar. Die Attitüde kennt man seit Rousseau: »Si nicht daran, daß Gerichte berechtigt sind, zwischen
je ne vaux pas mieux, au moins je suis autre«, heißt Recht und Unrecht zu unterscheiden, sofern es nur
es am Anfang der Confessions. 10 Aber wenn diese rechtmäßig geschieht. Mit etwas Scharfblick kann
Auffassung gedruckt, zitiert und kopiert wird, läßt die man in dieser Form des Unterscheidens eine hierar-
Faszination rasch nach. Die Kultur saugt auch das chische Herrschaftstechnik erkennen, mit der derjeni-
noch auf. ge, der über die positive Seite der Unterscheidung
Husserl entkommt dieser Frage durch die Unterstel- verfügt, sich zugleich zum Herrn über beide Seiten
lung eines historisch einmaligen Vorgangs der, wie er aufschwingt. Louis Dumont hat diese Form von Hier-
sagt: »Umstellung« einer natürlichen auf eine theore- archie als »englobement du contraire« bezeichnet.
tische Einstellung. Selbst wenn man das konzediert, Bei Husserl ist die Hierarchie nicht mehr zu erken-
kommt man aber nicht um die Frage herum, welchen nen, wohl aber die Form des Unterscheidens, die,
Bedingungen die Philosophie zu genügen hat, wenn wenn man nicht aufpaßt, hierarchische Prätentionen
sie Kultur sein will oder zu sein hat. Wenn unter die- reproduziert. So ist bei der Unterscheidung von
sem Etikett alle ihre Annahmen der Vergleichbarkeit natürlicher und theoretischer Einstellung die letztge-
ausgesetzt sind und wenn in den Endloshorizonten der nannte berufen, die Unterscheidung selbst zu formu-
Vergleichbarkeit immer die Frage nach dem Standort lieren (so wie bei Schillers Unterscheidung von nai-
auftaucht, von dem aus verglichen wird: muß die Phi- ver und sentimentalischer Dichtung nur die sentimen-
losophie dann nicht die Suche nach einer Abschluß- talische Dichtung weiß, daß die naive Dichtung naiv
formel - sie mag »Geist« lauten oder »trans- ist). Und ebenso dominieren die Geisteswissenschaf-
zendentales Subjekt« - aufgeben und Formen finden, ten die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissen-
die sie mit ihrer eigenen Kontingenz versöhnen? schaften; denn nur die Geisteswissenschaften können
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(nach Husserl) die Frage stellen, in welchem Geiste die keine vorgegebene Meinung, keine Tradition fraglos
Naturwissenschaften ihre Forschungen betreiben. hinzunehmen, um sogleich für das ganze traditionell
Logisch honoriert diese Unterscheidungstechnik vorgegebene Universum nach dem an sich Wahren,
die Regel des ausgescWossenen Dritten und bezahlt einer Idealität, zu fragen.«12 Genau diese theoretische
dafür mit der ambivalenten Stellung des Positivwer- Einstellung wird aber selbst als Tradition eingeführt
tes. Aber sie bietet keine Ersatzlogik, keine struktur- und durch Tradition legitimiert. Wie käme man sonst
reichere Logik an, wie sie zum Beispiel Gotthard dazu, es am 7. und 10. Mai 1935 in Wien einfach zu
Günther mit dem Konzept der transjunktionalen (we- behaupten. Eine solche Tradition des Antitraditiona-
der konjunktionalen noch disjunktionalen) Operati- lismus kann man im übrigen auch für die neuzeit-
onen - zumindest anvisiert hatte.11 Der Beobachter, lichen Wissenschaften insgesamt feststellen. 13 Von
der die Unterscheidung macht und schon deshalb in der Philosophie aber wäre zu erwarten, daß sie auch
ihr nicht vorkommen kann, sichert sich selbst einen dies noch reflektiert. Einem späteren, externen Beob-
Platz auf der von ihm bevorzugten Seite. Dieses achter, uns also, fällt auf, daß Husserl von einer ei-
Manöver kann man heute durchschauen. Das aber gentümlichen Gegenwärtigkeit der Tradition ebenso
führt die Philosophie vor die Frage, was sie verdeckt, wie von der Entelechie der europäischen Philosophie
wenn sie diese Ambivalenz, ohne sie zu benennen, ausgeht, von einer Gegenwärtigkeit des Ursprungs als
produziert und akzeptiert. Gibt uns das einen ScWüs- immer noch mögliches, ja zu forderndes Motiv und
seI für die Antwort auf die Frage, wie die eigentüm- einer Gegenwärtigkeit der Idee eines im Unendlichen
liche Leitfigur der europäischen Modeme durch Hus- liegenden Zieles. Ursprung und Ziel sind als Gegen-
serl in Stellung gebracht wird? Und wie es dann über- wart dasselbe. Das sind, wie Analysen einer histori-
zeugend so aussehen kann, als ob die Lösung des schen Semantik nachweisen könnten, Temporalstruk-
Krisenproblems nur im Wege der europäischen turen einer Adelsgesellschaft, die aus dem Ursprung
Selbsthilfe gefunden werden kann? einer Stadt oder eines AdelsgescWechtes Anforderun-
Ein vierter und letzter Gesichtspunkt betrifft Hus- gen an die Tugend der gegenwärtig Lebenden ableite-
serls Verhältnis zur Tradition. Auch hier entdeckt te' und deshalb die Vergangenheit nicht als ent-
man leicht eine theoriestrategisch plazierte Ambiva- schwunden und die Zukunft nicht als offen behandeln
lenz, wenn nicht ein Paradox. Kernstück der europäi- konnte. Es ging um Perfektion und Korruption, um
schen Vernunftrationalität ist »die eigentümliche Uni- normative Idealität und Devianz. Die Erfindung von
versalität der kritischen Haltung, die entscWossen ist, Kultur, die die historische Zeit nur noch als Ver-
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gleichshorizont und den Zeitgeist als prekäre Position einen Appell an Vernunft in einer historisch-politi-
eines Beobachters etabliert hatte, hatte aber einen schen Situation, die dies bitter nötig hatte. Die Alter-
Bruch zwischen Erfahrung und Erwartung (Ko- native wäre gewesen, auch dies noch zu »dekonstru-
selleck) eingeführt, und das hatte Unterscheidungen ieren« und sich dem Paradox einer unkritisch-selbst-
wie die von naiver und sentimentalischer Dichtung kritischen Vernunft zu stellen.
(Schiller) oder Christenheit und Europa (Novalis) er-
möglicht. Husserl mutet der Philosophie zu, für sich
selbst jene Einheit von Vergangenheit und Zukunft, III
jene traditionsbegründete Entelechie wiederherzustel-
len, um Europa zu retten - aber dies in einer Gesell- Diese hier nur knapp angedeuteten Überlegungen
schaft, die aus vielerlei Gründen sich selbst in dieser könnten uns dazu bringen, in Husserls Wiener Vorträ-
Zeitformation nicht mehr unterbringen, nicht mehr gen nur noch ein historisches Ereignis zu sehen, das
wiedererkennen kann. Wie soll das gehen? Mit Hilfe aus seiner Zeit heraus verständlich ist, aber für uns
der verzweifelten These: »Ideen sind stärker als alle und nach unseren Zeitvörstellungen in einer Vergan-
empirischen Mächte«14? genheit liegt, die in immer weitere Femen rückt und
\
Wenn man nicht nur einem psychologischen Motiv- I schon heute nur noch Philosophiehistoriker interes-
verdacht oder einem soziologischen Ideologiever- sieren kann. Dem kämen die Neigungen der Philo-
dacht nachgeht, sondern die Frage stellt, was unbe- sophie zur Selbstmusealisierung entgegen; oder die
leuchtet bleibt oder ausgeschlossen wird, wenn man Art, wie in Frankfurt Kritik als emphatische Ableh-
selbstkritische Vernunft als historisches Erbe und als nung des Gegenstandes der Kritik verstanden wird;
Verpflichtung des »europäischen Menschentums« oder die Nachlässigkeiten, die unterlaufen, wenn So-
proklamiert, endet man bei der Frage, ob (und wie) ziologen noch heute von »phänomenologischer« So-
auch dies durch selbstkritische Reflexion wieder ein- ziologie sprechen und damit in die von Husserl sorg-
geholt werden könne. Es könnte ja sein. Aber wenn, fältig vermiedene Falle des Objektivismus laufen, der
dann würde das ganz andere Theoriefiguren erfordern zu all dem noch an den Unbegriff der »Intersubjekti-
als die, die mit dem Begriff des transzendentalen vität« gebunden wird, so als ob es einen Kompromiß
Subjekts, Husserls Leitfigur, bereitgehalten werden. zwischen Objektivismus und Subjektivismus geben
Zunächst aber ermöglicht das Beiseitelassen dieser könne, einen halben, sozialen Konstruktivismus, der
Frage nach der anderen Seite der behaupteten Form den Soziologen ins Geschäft bringt.
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Die Soziologie der Nachkriegszeit hatte ihrerseits Nach dem Zusammenbruch sozialistischer Staatssy-
nicht an die Wissenschafts- und Technikkritik: Hus- steme und selbst sozialistischer Politikideen im We-
serls angescWossen. Sie hatte, ganz im Gegenteil, ein sten läge es nahe, jetzt alle Hoffnungen auf »Frei-
Projekt der Modernisierung verfolgt, das auf einem heit« zu setzen - sei es im Sinne von liberaler Markt-
Zusammenwirken von technisch-industriellen Ent- wirtschaft, sei es im Sinne freier Meinungsbildung,
wicklungen, WoWstandsvermehrung, Verbesserung sei es im Sinne der WaWdemokratie oder sei es im
individueller Lebenschancen und politischen Verfah- Sinne freier, allein an eigenen Erfolgsaussichten ori-
ren der Konsensfindung (Stichwort »Demokratie) auf- entierten Forschung. Und so äußert sich in der Tat die
baute. Die funktionale Differenzierung der Gesell- politische Rhetorik - zu ihrem eigenen Schaden.
schaft wurde so beschrieben, als ob alle Funktions- Denn dieses Konzept des im großen und ganzen er-
systeme letztlich an einem Strang zögen, um die glo- folgreichen Wegs zur immer moderneren Modeme
balen Lebensbedingungen der Menschen zu verbes- vermag angesichts schon sichtbarer Folgen kaum
sern. Mehr WoWstand, mehr Freiheit, weniger Zwang, mehr zu überzeugen. Um so näher könnte es liegen,
mehr Chancen für individuelle Selbstverwirklichung sich auf die Wiener Vorträge Husserls zurückzubesin-
seien teils durch eine evolutionäre Entwicklung, teils nen und insbesondere den Grundgedanken einer
durch eine wissenschaftlich beratene Politik: zu erwar- selbstkritischen Vernunft abzustauben und neu, wie
ten. Dieses Doppelvertrauen auf Evolution und Politik: man so schön sagt, »ins Gespräch zu bringen«.
konnte die Überzeugung tragen, daß die Idee der Mo- Wenn es nicht Schwierigkeiten mit den Texten gä-
deme eine immanente Rationalität enthalte und daß be, die weder hermeneutisch noch analytisch so ein-
die Modernisierung der Gesellschaft als eine Leistung fach übersprungen werden können! Das, was man
der Gesellschaft selbst zu erwarten sei. Neben der Un- hier liest, und erst recht die vielen Mißverständnisse,
terscheidung EvolutionIPolitik:, die den Umfang der die, inzwischen am Markennamen »Phänomenolo-
nötigen Interventionen offen ließ, lag das Problem nur gie« angewachsen sind wie Algen an einem schon
noch in den politisch-ideologischen Meinungsver- länger zur See fahrenden Schiff - all das erschwert
schiedenheiten über einen liberaldemokratischen oder den unvoreingenommenen Zugriff auf die Grundidee
einen sozialistischen Weg. der Theorie. Die inzwischen entstandenen Zweit- und
Dieses Vertrauen in das Projekt Modeme ist uns in Drittkopien, aber auch die von Husserl selbst gewäW-
den letzten zwanzig Jahren, zunächst sukzessive, ten Formen des Ausdrucks reichen nicht im entfernte-
dann so gut wie vollständig abhanden gekommen. sten an die rigorose Konsequenz heran, mit der Hus-
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serl ein Interesse an Theorie vorstellt und gegen Be- auch die theoretischen Grundlagen des transzendenta-
zweiflungen und Verzweiflungen aller Art, auch in len Subjektivismus zu überprüfen und sie eventuell
den Wissenschaften selbst, verteidigt. Es muß uns ja einer Neubeschreibung auszusetzen
nicht um Rettung des europäischen Menschentums
gehen und vielleicht nicht einmal um Markentreue,
was die Namen des transzendentalen Subjekts und IV
der Transzendentalen Phänomenologie angeht. Selbst
auf Vernunft könnte man gern verzichten, wenn man Soviel ist unzweifelhaft festzustellen: die Theorieent-
wüßte, wie das Interesse an theoretischer Reflexivität scheidung Husserls liegt in der Konzentration auf das
zu retten sei. Denn es gibt in diesem Jahrhundert nur transzendentale Subjekt. Gegenüber allem Abdriften
wenige Beispiele eines so entschiedenen Interesses von »Phänomenologen« einer ersten Generation, die
an Theorie. In der Soziologie wäre Talcott Parsons die Aufforderung, zu den Sachen selbst zu kommen,
ein weiterer Fall (der aber mit Phänomenologie, so wörtlich und sozusagen theoriefrei befolgt hatten, hat
wie sie ihm vorgetragen wurde, aus nachvollziehba- Husserl auf einer transzendentalen Fundierung der
I
ren Gründen nichts anfangen konnte 15). Es sollte sich I Phänomenologie bestanden. Klar ist auch, wogegen
daher lohnen, genauer hinzuschauen und herauszufin- ;
diese Entscheidung gerichtet war, nämlich gegen den
den, wie Theorien in dieser Anspruchslage gearbeitet Psychologismus des auslaufenden 19. Jahrhunderts.
waren - gleichviel ob man daran erkennt, wie man Husserl hat das, noch in den Wiener Vorträgen, als
weiterarbeiten kann, oder ob man sich gewarnt sieht Ablehnung einer objektivistischen, sozusagen geistlo-
angesichts der Folgelasten bestimmter Theorieent- sen Wissenschaftsauffassung formuliert. Es mag aber
scheidungen. sein - ich habe das nicht nachgeprüft -, daß auch die
Das heißt für den vorliegenden Fall: W ir müssen Einsicht eine Rolle spielte, daß in der empirischen
die eigentümliche Fusion von historischer und trans- Forschung eher die Unterschiede zwischen Individu-
zendentaler Argumentation, von Genesis und Gel- en in die Form von testbaren Variablen gebracht wür-
tung, die Husserls Spätwerk auszeichnet, wiederauf- den und die eigentümliche Operativität des Bewußt-
lösen. Sie ist nur durch die Zeitumstände erklärbar, seins, und zwar eines jeden Bewußtseins, darüber
also durch Husserls Versuch, eine Antwort auf die vernacWässigt werde. Und gerade diesen Grundstruk-
Selbstgefährdung des neuzeitlichen Europa zu fmden. turen der Operationen des Bewußtseins galt Husserls
Es heißt aber auch, daß man es sich offen halten muß, Interesse.

28 29
Ob Husserl in der Wahl des Titels »transzendental«, also nur die Möglichkeit, in der Art einer Husserl-
der ihn von aller Empirie abkoppelte, gut beraten schen Epoché von Zurechnungsfragen abzusehen.
war, können wir dahingestellt sein lassen. Es interes- Aber was bleibt dann zurück?
siert vornehmlich, wie seine Analyse die Operationen Vielleicht könnte man sagen: Intention ist nichts
des Bewußtseins und, um es nochmals zu sagen: je- weiter als das Setzen einer Differenz, das Treffen ei-
den Bewußtseins vorstellt. Was nicht unter diese Be- ner Unterscheidung, mit der das Bewußtsein sich
schreibung fällt, wäre demnach kein Bewußtsein, zu- selbst motiviert, etwas Bestimmtes (und nichts ande-
mindest nicht unter dem Vorzeichen der Transzen- res) zu bezeichnen, zu denken, zu wollen. Das würde
dentalität, das den Universalitätsanspruch der Theorie zu einer mathematischen Theorie passen, die George
repräsentiert, also den Anspruch, für jedes Bewußt- Spencer Brown als Indikationenkalkül oder als Theo-
sein zu gelten. rie operativ produzierter Formen ausgearbeitet hat. 16
Die Form, in der das Bewußtsein seine Operationen Das erste und unausweichliche Gebot des Bewußt-
vollzieht, wird von Husserl (im Anschluß an Brenta- seins wäre danach: draw a distinction, und dies in be-
no) als Intention bezeichnet. Das setzt nach heutiger wußter Form: als Eigenleistung der Selbstreprodukti-
Vorstellung eine Kausalattribution, eine Zurechnung on des Bewußtseins.
auf eine Absicht voraus. Wollte man dies mitberück- Auch Husserls Weltbegriff würde damit harmonie-
sichtigen, würde sich jedoch die Eindeutigkeit des ren. »Welt« ist nach Husserl ein Endloshorizont im-
Begriffs auflösen; denn es käme dann darauf an, wer i mer weiterer Möglichkeiten, in dem aber alles, was
zurechnet und im weiteren: welche psychischen und überhaupt intendiert wird, Bestimmtheit annehmen
I
welche sozialen Systeme (zum Beispiel Gerichte). I muß. »Die Unbestimmtheit (des Horizontes, N.L.)
Für Husserl, der das Bewußtseinsleben aus sich selbst bedeutet ja notwendig Bestimmbarkeit eines fest vor-
heraus und als allgemeine Form erklären will, muß geschriebenen Stils«, heißt es in Husserls »Ideen.«
dies jedoch außer Acht bleiben. Man könnte daran Bei George Spencer Brown würde die gleiche Aussa-
denken, ausschließlich Selbstzurechnung in Betracht ge lauten, daß jede Unterscheidung das Kreuzen einer
zu ziehen. Aber auch dies würde nicht in den Theo- [ (durch sie selbst gesetzten) Grenze zwischen unmar-
rierahmen Husserls passen; denn Selbst- und Fremd- ked space und marked space erfordert.
zurechnungen variieren, wie eine umfangreiche psy- Im Anschluß daran könnte man fragen: wie ermög-
chologische Forschung zeigt, mit anderen Personen- "I licht diese intendierende Füllung unbestimmbarer
merkmalen, also von Person zu Person. Es bleibt uns Horizonte sich selbst? Oder noch schärfer: Wie kom-
30 31
pensiert sie das Risiko, das darin liegen muß, daß hat demnach keinen Sinn, mehr zu verlangen oder
man Unbestimmtheiten als Bestimmbarkeiten behan- Wissen in anderer Form zu verlangen, jedenfalls
delt und im seriellen Vollzug von intendierten Be- nicht vom Bewußtsein. Das wird in sehr detaillierten
stimmungen eine Geschichte erzeugt, die man dann Analysen ausgeführt - zum Beispiel in den Analysen
selber ist? I von Wahrnehmung mit Hilfe des Begriffs der »Ab-
Dies Problem taucht bei Husserl nicht auf, weil es schattung« in § 41 der Ideen.18 Abschattung ist eine
als immer schon gelöst behandelt wird, und zwar als Leistung des Bewußtseins, die es erbringt, um Phä-
gelöst durch die Doppelstruktur von Noesis und Noe- nomene als Dinge identifizieren zu können: »Jede
ma. Die Unterscheidung wird eingeführt als Befund Bestimmtheit hat ihr Abschattungssystem«.l9 Die
der Selbstreflexion, unabhängig von allen empiri- kontinuierliche Erscheinungs- und Abschattungsman-
schen Nachweisen - sozusagen per transzendentaler nigfaltigkeit sei erforderlich, um das zu konstituieren,
Evidenz. Jeder kann sie in sich selbst vorfinden - und was in ihr identisch bleibt. Aber das Erlebnis selber
niemand hat dem bisher widersprochen. Eben deshalb schaltet sich nicht ab. »Die Abschattung, obschon
ist das Phänomene-erscheinen-Lassen eine unabding- gleich benannt, ist prinzipiell nicht von derselben
bare Komponente des Bewußtseins. Die Theorie, die Gattung wie Abgeschattetes. Abschattung ist Erleb-
das beschreibt und sich dabei auf ihre eigenen Evi- nis. Erlebnis ist aber nur als Erlebnis möglich und
denzen stützt, heißt dann »Transzendentale Phänome- nicht als Räumliches.«2o Auf die Frage, wie denn Er-
nologie«. Sie macht sich unabhängig von kosmologi- lebnis als Erlebnis möglich sei, hätte Husserl vermut-
schen Vorgaben, unabhängig auch von der ontologi- lich mit Hinweis auf die transzendentale Faktizität
schen Unterscheidung von Sein und Schein. Phäno- und Selbstzugänglichkeit des Erlebens geantwortet.
menologie ist jetzt nicht mehr eine Lehre von der Von hier aus (und ohne Widerspruch dazu) ist es kein
Welt, wie sie erscheint, nicht mehr eine vorläufige weiter Schritt zu einer systemtheoretischen Reformu-
Wissenschaft, der die Aufgabe noch bevorsteht, den lierung. Sie würde lauten: Erleben ist dadurch mög-
Schein zu durchstoßen, um eine Erkenntnis des wirk- lich, daß eine rekursive Erzeugung und Reproduktion
lichen Seins zu erreichen. Sondern Phänomene, das dieser Innen/Außen-Differenz gelingt.
sind die Sachen selbst, »Realien«, die zum Operieren Es ist, anders gesagt, die Differenz von Noesis und
des Bewußtseins gehören so wie auf der anderen Sei- Noema, von Vorstellen und Vorgestelltem, die die Be-
te das Bewußtsein des Bewußtseins, also das Be- schreibbarkeit der Welt gewährleistet und bestimmba-
wußtsein, daß das Bewußtsein bewußt operiert. Es re »Gegenstände« konstituiert. 21 Es hat deshalb auch
32 33
keinen Sinn, und hier sind wir bei Husserls Einwand zwischen Fremdreferenz und Selbstreferenz und ver-
gegen die neuzeitlichen Wissenschaften, die subjektiv hindert auf diese Weise, daß das Bewußtsein jemals
sinnstiftenden Leistungen des Bewußtseins durch me- sich in der Welt verliert oder in sich selbst zur Ruhe
thodische Vorkehrungen zu neutralisieren. Denn mit kommt.
ihnen würde auch die Objektwelt verschwinden. Daß Damit ist schon angedeutet, daß Zeit eine Rolle
das vergessen wurde, war nach Husserl der Irrweg der spielt; und dies nicht einfach nur so, sondern aus
galileüsch-cartesischen Wissenschaftsidee. Gründen, die theoretisch rekonstruiert werden, also
Es ist nur eine leichte, im Ergebnis dann aber fol- verstanden werden können. Husserl selbst hat um-
genreiche Reformulierung, wenn man die Unterschei- fangreiche, introspektiv gewonnene Analysen des
dung von Noesis und Noema durch die Unterschei- »inneren Zeitbewußtseins« vorgelegt.22 Dabei ist das
dung von Selbstreferenz und Fremdreferenz ersetzt. Entscheidende als Befund der Introspektion voraus-
Das ist, wie mir scheint, ohne Sinnverlust möglich gesetzt: daß dem Bewußtsein die eigene Zeitlichkeit
und bringt deutlicher heraus, daß die beiden Referen- stets nur im Moment des aktuellen Operierens (Hus-
zen einander bedingen. Das Bewußtsein kann sich serl: des Bewußtseinslebens) zugänglich ist - weder
nicht selbst bezeichnen, wenn es sich nicht von etwas vorher noch nachher. Das Bewußtsein existiert selbst-
anderem unterscheiden kann; und ebensowenig kann zugänglich nur in den eigenen Operationen; und von
es für das Bewußtsein Phänomene geben, wenn es da her kann Zeit nur in der Form momenthaft-aktuel-
nicht in der Lage wäre, fremdreferentielle Bezeich- ler Retention bzw. Protention gegeben sein. Alles
nungen von der Selbstbezeichnung zu unterscheiden. weitere ist horizontförmige Rekonstruktion von nicht
Die sich durch Intentionen steuernde Operationswei- mehr aktueller Vergangenheit und noch nicht aktuel-
se des Bewußtseins ist nur auf Grund dieser Unter- ler Zukunft, womit eine Gegenwart entsteht, die als
scheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft
möglich. Die Unterscheidung hält es für das Bewußt- eingesetzt wird und es erlaubt, Differenzen und Über-
sein offen, ob im weiteren Verlauf des Operierens einstimmungen (Diskontinuitäten und Kontinuitäten)
Probleme mit den Phänomenen oder Probleme mit in einer »objektiv« erscheinenden Welt - wiederum:
dem Bewußtsein selbst auftauchen. Was kann man zu unterscheiden. 23
mit diesem Ding anfangen, könnte man fragen. Oder: Wenn das im Bewußtsein so vorgefunden wird,
habe ich mich geirrt? Und formaler ausgedrückt: Das kann man aber immer noch fragen: Warum ist das so?
intentionale Operieren ist ein ständiges Oszillieren Und wie hängt diese eigentümliche Temporalität des
34 35
Bewußtseins mit den anderen Bewußtseinsmerk- als das zu Messende, Bewegung vorausgesetzt. Das
malen zusammen? Und vor allem: Weshalb verdeckt genügte einstweilen, um den Beobachter in Distanz
sich das Bewußtsein seine eigene, radikal innerliche, zur Zeit zu bringen, als einen Beobachter, der die Zeit
»subjektive« Zeit durch die Annahme einer objekti- richtig oder falsch abliest, mißt, berechnet. Auf dieser
ven, einer chronologischen Zeit, in der es sich als Grundlage ist jedoch, da Zeitmessung selbst schon
sich-bewegend, als Bewußtseinsstrom rekonstruieren Technik ist (denn sie muß exakte Wiederholbarkeit
muß, so daß es erst einer phänomenologischen Ana- garantieren) die von Husserl intendierte Technik-Kri-
lysetechnik bedarf, um die Wahrheit (wenn es denn tik nicht mit letzter Radikalität durchführbar. Wenn
das ist) herauszubekommen? man dagegen davon absieht, die Unterscheidung der
So zu fragen, so nach Erklärung zu fragen, über- Zeit in der Zeit als Messung oder als Zahl zu begrei-
schreitet die deskriptiven Befunde einer introspektiv fen: welche Gründe gäbe es dann, an einem ontologi-
vorgehenden Phänomenologie. Wir kehren aber auch I
schen bzw. phänomenologischen Substratbegriff der
nicht zu den Prämissen einer ontologischen Metaphy- I
Bewegung, des Fließens, des Strömens festzuhalten ?
sik zurück, die nur fragen konnte, ob die Zeit über- Es fällt sicher schwer, darauf zu verzichten und
haupt »ist« und nicht vielmehr »nicht ist«.24 Wir ge- gleichsam augustinisch zu argumentieren: wir wissen
raten auf ein merkwürdig ungesichertes Gelände, auf I nicht, was Zeit ist. Immerhin gibt es zwei wichtige
I
dem selbst Heidegger nur Holzwege ausmachen Anhaltspunkte. Einerseits impliziert die Operations-
konnte. weise des Intendierens immer schon Zeit, jedenfalls
Stellt man zunächst einmal die abstrakte Frage: wer im Sinne eines Transzendierens der im Moment ak-
unterscheidet überhaupt Zeit?, und wer unterscheidet tualisierten Befindlichkeit. Vor allem aber kann ein
die Zeit in der Zeit nach dem Schema vorher (Reten- laufendes Oszillieren zwischen Fremdreferenz (phä-
tion) und nachher (Protention)?, dann sieht man, daß nomenen) und Selbstreferenz (Bewußtsein) nur ein-
Husserl hier noch der Metapher des Flusses oder der gerichtet werden, wenn Zeit für das Umdirigieren der
Bewegung und damit einer langen europäischen Tra- Schwerpunktsetzungen zur Verfügung steht und wenn
dition verhaftet bleibt. Diese hatte seit Aristoteles man bei jeder Faszination durch Phänomene schon
und dann wieder seit der Einführung der mechani- weiß, daß man im nächsten Moment gerade dies leid
schen Uhren im 14. Jahrhundert die Frage der Unter- sein wird und sich fragen wird: Warum interessiert
scheidung als Frage der Zahl, des Maßes, der Chro- mich das überhaupt? Läßt man Zeit außer Acht oder
nologie behandelt und als Substrat der Chronologie, verläßt man sich auf eine ontologisch orientierte Lo-

36 37
gik, die Zeit nicht einbeziehen kann, bekommt man tungen, die als Operationen nur nacheinander vollzo-
es, wie Techniker der formalen Kalkulationen wissen, gen werden können.
mit Paradoxien zu tun. Man muß dann entweder »gö- Diese stark abstrahierte Reformulierung des Hus-
delisieren«, also die durch die Prämissen des Kalküls serlschen Theorieentwurfs ließe sich deshalb vor al-
gezogenen Grenzen transzendieren, oder »temporali- lem für Theorievergleiche einsetzen. So fällt um nur
sieren«, also dem kalkulierenden System Zeit geben. dies zu nennen, die Isomorphie mit Strukturen auf,
Es geht dann nicht mehr um wahr/falsch sondern um die die kybernetische Systemtheorie seit ihren Anfän-
flip/flop.25 gen bestimmt haben. Die Kybernetik übt zwar keine
Husserl hatte wohl gemeint, die Einheit seiner Urteilsenthaltung im Sinne von Husserls »Epoché«.
Transzendentalen Phänomenologie durch die Einheit Aber auch sie traut der Welt nicht und interessiert
ihres Objekts »Subjekt« garantieren zu können. Wrr sich deshalb für Kontrolle. Auch jene merkwürdige
können jetzt bereits ahnen, daß man darauf verzich- Bistabilität von selbstreferentiellen und fremdreferen-
ten kann. Der aufgedeckte Zusammenhang von Ope- tiellen Anschlußmöglichkeiten wird vorausgesetzt. In
ration, Bistabilität (SelbstreferenzlFremdreferenz), der Kybernetik ist Selbstreferenz durch die bekannte
Zeit und Oszillation trägt sich selbst - und ist deshalb I (zumeist kausale interpretierte) feedback-Schleife
möglicherweise auch an ganz anderen Objekten vertreten. Fremdreferenz findet man als zielgerichte-
nachzuweisen. 26 Die gesuchte Einheit könnte dem- tes Verhalten wieder. Die Operationsweise selbst be-
nach die Oszillation selbst sein, nämlich die Notwen- steht in der Transmission von Signalen, also ebenfalls
digkeit, bei der Besetzung der einen Seite einer Form in einer Sequenz, die Zeit braucht und mit immer
(also Fremdreferenz und nicht Selbstreferenz, Objekt neuen Informationen fortgesetzt werden muß, wenn
und nicht Subjekt, Beobachtetes und nicht Beobach- das System nicht aufhören soll zu operieren; und
tendes oder umgekehrt) die andere Seite für Wieder- Operieren heißt Existieren. Erst im Formenkalkül von
besetzung freizugeben. Das würde unter anderem George Spencer Brown kommt jedoch Zeit in einem
voraussetzen, daß das System über ein Gedächtnis ganz anderen Sinne ins Spiel. Im Übergang zu Glei-
verfügt, das das Freigegebene als wiederbesetzbar chungen zweiter Ordnung, zu rekursiven Funktionen,
festhält und dadurch die Illusion zeitbeständiger Ob- zu einem re-entry der Formen in sich selber ergibt
jekte (oder Phänomene) erzeugt. Das Gedächtnis ob- sich die Notwendigkeit, das operierende System mit
jektiviert, es kontrahiert, es errechnet die Beziehung zwei zusätzlichen Funktionen auszustatten: mit Ge-
Identität zwischen den Bezeichnungen von Beobach- dächtnis und mit der Fähigkeit, innerhalb der benutz-
38 39
ten Unterscheidungen zu oszillieren. Diese Funktio- ferenz operieren und nur über Fremdreferenz (also
nen lassen sich aber nur trennen, wenn man sie (ohne nur »phänomenologisch«) eine Vorstellung von Um-
über einen dimensionalen Zeitbegriff zu verfügen!) welt errechnen können. Operativ bleibt die Umwelt
nach Maßgabe von Vergangenheit (Gedächtnis) und unzugänglich, da das System nicht in seiner Umwelt
Zukunft (Oszilliermöglichkeit) auseinanderzieht. Es operieren kann. Andererseits können die Systeme
sieht danach so aus, als ob die Unterscheidung der selbst nicht unterscheiden zwischen der Umwelt, wie
Zeit in der Zeit weder eine Messung ist, noch ein pro- sie wirklich ist, und der Umwelt, wie sie sie bezeich-
zessuales Substrat voraussetzt, woW aber notwendig nen. »We can never be quite dear whether we are re-
ist, um Systeme mit der Möglichkeit auszustatten, ferring to the world as it is or to the world as we see
sinnhaft-selbstreferentiell zu operieren. Wir können Diese Schwierigkeit wird durch einen ambiva-
dem hier nicht weiter nachgehen, halten aber fest, lenten Gebrauch der Vorstellung von »Realität« ver-
daß es offenbar zu einer Mehrfach-Entdeckung der- deckt. Irgendwie, meint man nicht ohne Grund, müs-
selben Theorieform in geisteswissenschaftlichen, in se die »Realität« doch kognitiv zugänglich sein.
technischen und in mathematischen Forschungsberei- Denn anderenfalls würde die Unterscheidung von
chen gekommen ist. I Selbstreferenz und Fremdreferenz selbst kollabieren.
J.
Fremdreferenz (phänomenbewußtsein) wäre letztlich
r
auch nur Selbstreferenz, eben Bewußtsein. Diese
V Überlegung dürfte Konsequenzen haben für das, was
man unter Rationalität verstehen kann und damit
Wenn wir die Unterscheidung BewußtseinIPhänomen Konsequenzen für das, was Husserl als selbstkritische
in die Unterscheidung SelbstreferenzlFremdreferenz abendländische Vernunft »projektiert« hatte. 28
übersetzen, scheint das ohne Sinnverlust möglich zu Will man die Realitätsillusion autheben, endet man
sein. Es eröffnet aber zugleich den Zugang zu neue- bei der Erkenntnistheorie des Radikalen Konstrukti-
ren Bemühungen um eine empirische Epistemologie, vismus. Die Umwelt ist operativ und damit auch für
um eine an empirischen Systemen orientierte cogni- Erkenntnis scWechterdings unzugänglich; und gerade
tive science. darauf beruht die Fähigkeit der Kognition, sie mit
Wenn es überhaupt kognitionsfähige Systeme gibt, Hilfe selbstgewäWter Unterscheidungen (für die es
stößt man auf das Problem, daß diese Systeme mit keinerlei Umweltkorrelat gibt) zu beobachten und
der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdre- sich, wie man sagt, ein Bild von ihr zu machen. Da
40 41
jedoch der Radikale Konstruktivismus als sich selbst zendem Umfang wurden damit Selbstberichtigungs-
markierende Theorie die Unterscheidung von Fremd- instrumente durch Selbstbezichtigungsinstrumente er-
referenz- und Selbstreferenz in Selbstreferenz auflöst, gänzt; und dies nicht iinr mit Bezug auf die psychi-
gibt das allein keinen Hinweis auf erreichbare Sy- sche, sondern auch UIid erst recht mit Bezug auf die
stemrationalität. Dennoch mag es sinnvoll sein, mit soziale Strukturierung von Kognition. Damit wird der
dieser Grenzvorstellung einer Paradoxie und mit Projektionsverdacht universalisiert - so zum Beispiel
ihrem Korrelat einer Realitätsillusion zu arbeiten, und im »strong programme« der Wissenschaftsforscher in
zwar gerade dann, wenn es um die Frage eines für Edinburgh30 - und macht sich schließlich in der Fir-
heutige Verhältnisse adäquaten Begriffs von Rationa- ma »Radikaler Konstruktivismus« selbständig. Ande-
lität geht. rerseits kann man sich nicht darauf verständigen, daß
In der Tradition der logisch-ontologischen Meta- die Realität als Welt, wie sie ist, damit jede Bedeu-
physik, die Husserl durch eine Epoche genannte Ope- tung verliert, denn das würde dem Radikalen Kon-
ration ausschalten will, hatte man bereits Selbstkor- struktivismus dasjenige Ende bereiten, daß schon der
rekturen der Erkenntnis vorgesehen. Die Logik kann- antiken Skepsis vorhergesagt war: in einen Wider-
te zwei Werte, sie konnte also wahre und unwahre spruch zu sich selbst zu geraten und nur noch als fol-
Aussagen markieren. Alle Erkenntnis war damit einer genloses Paradox auftreten zu können.
Überprüfung auf Irrtum hin unterworfen (soweit die Jetzt scheinen die beiden Komponenten der Hus-
Religion das erlaubte). Im 19. Jahrhundert war dies serl-Projektion, die Epoche und die selbstkritische
durch eine neue Art von Sophistik erweitert worden, Vernunft, in eine neuartige empirische Problemlage
durch eine Theorie der latenten, unbewußten Projek- überzugehen. Wie kann man, wäre zu fragen, die
tion, die Interessen, verdrängte Bedürfnisse oder ein- Realitätsillusion retten, wenn man doch weiß, daß al-
fach Inkonsistenzen im Aufbau des Erkenntnisappa- les, was als Kognition errechnet wird, intern produ-
rates nach außen projektiert. Im 20. Jahrhundert ka- ziert wird und damit abhängig ist von den Strukturen,
men Analysen der sprachabhängigen Realitätssicht die die Identifikation und Unterscheidungen des Sy-
hinzu. Marx, Freud, Whorf, Sapir wären die Namen, stems und ihren rekursiven Gebrauch sichern?
an die man hier zu denken hätte. In der Zeit nach dem Wenn man den Erfahrungen der Therapeuten trauen
Zweiten Weltkrieg nahm dann die Tendenz zu, von darf, liegt die Funktion der Realitätsillusion darin,
solchen Theorien Reflexivität, das heißt Anwendung den Übergang von einer Konstruktion in eine andere
auf sich selbst zu verlangen. 29 In schwer abzugren- zu ermöglichen. Soweit noch mit dem Therapie-
42 43
schema pathologisch/normal gearbeitet wird, heißt litätsunterstellungen aber nur, um eine Mehrheit von
dies, daß »Normalität« nicht als bessere Anpassung inkommensurablen Konstruktionen akzeptieren und
an eine externe Realität defIniert werden kann, wohl bei Bedarf von einer zt; einer anderen übergehen zu
aber als eine weniger schmerzhafte, besser erträgliche können.
Konstruktion. Aber auch wenn es nicht um Therapie Genau das kann der Radikale Konstruktivismus ak-
geht, bietet die Realitätsillusion die Möglichkeit, von zeptieren. Denn Realität ist dann nichts weiter als das
einer Konstruktion in eine andere überzugehen. Die Korrelat der Paradoxie der selbstreferentiellen Ein-
modeme Gesellschaft ist ein polyzentrisches, poly- heit von Selbstreferenz und Fremdreferenz (oder: von
kontexturales System. Sie verwendet ganz verschie- Subjekt und Objekt, oder: von Bewußtsein und Phä-
dene Codes, ganz verschiedene »frames«, ganz ver- I
I nomen). Und damit ist zugleich gesagt, daß man bei
schiedene Leitunterscheidungen je nach dem, ob sie Realität an sich nicht verweilen kann. Sie ist wie ein
die Welt und sich selbst vom Standpunkt einer Reli- Paradox auf »Entfaltung« angewiesen. Sie ist nur ein
gion oder vom Standpunkt der Wissenschaft, vom Hilfsmittel, um von einer Konstruktion zu einer ande-
Standpunkt des Rechts oder vom Standpunkt der Po- ren zu kommen. Die als Paradox gegebene Realität
litik, vom Standpunkt der Erziehung oder vom Stand- ist demnach das einzige Wissen, das unbedingt gege-
punkt der Wirtschaft aus beschreibt. Es muß also, mit ben ist, das im System nicht konditioniert werden
Begriffen von Gotthard Günther formuliert, trans- kann - und deshalb unfruchtbar bleibt.
junktionale Operationen geben, die es ermöglichen, Man kann jetzt besser einsehen, welche Perspekti-
von einer Kontextur (einer positiv/negativ-Unter- ven Husserl eröffnet und zugleich verstellt hatte.
scheidung) in eine andere überzuwechseln und je- Selbstkritisch ist die Vernunft nicht auf Grund ihres
weils zu markieren, welche Unterscheidung man für europäischen Erbes, sondern nur wenn und nur inso-
bestimmte Operationen akzeptiert bzw. rejiziert.3 1 fern, als sie ihren eigenen Realitätsglauben auswech-
Würde man dabei an einer zweiwertigen Logik und seln kann, also nicht an sich selber zu glauben be-
an einer Methodologie der Irrtumsprüfung festhalten, ginnt. Die Bewährungsproben liegen in der Therapie,
würde das die Unterscheidung einer kognitionsfesten die weniger schmerzhafte Lösungen zu erreichen ver-
Realität ruinieren. Man würde mit Heisenberg nur sucht und selbst ein Desengagement in Sachen Rea-
feststellen können, daß die Realität an sich als ein lität pflegt. Und sie liegen in Ansprüchen an Kommu-
von Erkenntnis völlig isolierter Gegenstand keine be- nikation, in Ansprüchen an eine subtilere Sprache
schreibbaren Eigenschaften hat. Man braucht Rea- (um einen Buchtitel zu zitieren32), die auch unter po-
44 45
I

lykontexturalen Bedingungen noch funktioniert. topoietischer« Systeme oder Radikaler Konstruktivis-


Selbstkritische Vernunft ist ironische Vernunft. Sie ist mus - vertreten wird.34 Die fachliche Provenienz ist
die Vernunft der »Zigeuner, die dauernd in Europa sehr heterogen, sie rei~ht von der Mathematik über
herumvagabundieren.« Biologie und Neuropliysiologie bis zur Automaten-
theorie und zur Linguistik. Die Argumentationsweise
klingt in den Ohren von gelehrten Philosophen oft
VI reichlich unbedarft (so vor allem bei Maturana und
von Glasersfeld). Offensichtlich ist die Philosophie
Haben wir uns verirrt? Wir wollten ja eigentlich her- bei der Entstehung dieser Begriffswelt nicht gefragt
ausbekommen, was an der Transzendentalen Phäno- worden; und es ist nur allzu verständlich, wenn sie
menologie und ihrer europageschichtlichen Wendung jetzt wie die böse Fee auftritt, um sich zu rächen.
zeitgebunden ist und was uns nach 60 Jahren noch in- Aber auch die Fachwissenschaften selbst sind im all-
teressieren kann. Wie soll uns angesichts der zahl- gemeinen wenig geneigt, Überlegungen dieser Radi-
losen Probleme, die uns unsere Gesellsch~ beschert kalität ernst zu nehmen und eigene Forschungen daran
und die wir mehr und mehr als Folge ihrer eigenen i
l.
zu orientieren. Es scheint sich, im derzeitigen Wissen-
Strukturen erkennen - wie soll uns dabei eine extrem I schaftskontext gesehen (um von Philosophie gar nicht
formale Theoriekonstellation helfen? Man wird sich zu sprechen), um heimatlose Konstrukte zu handeln,
an Schiller erinnern: »In den heiteren Regionen, wo die, wie Husserls Zigeuner, herumvagabundieren.
die reinen Formen wohnen, rauscht des Jammers trü- Aber wie, wenn es gelänge, zu zeigen, daß Husserl
ber Sturm nicht mehr«.3 3 diese Theorie bereits benutzt und sie nur mit Begrif-
Um Distanz zu der möglicherweise zeitgebundenen, fen wie »Subjekt«, »Geist« oder »transzendentale
auf historische Lagen und Besorgnisse reagierenden Phänomenologie« einer Tradition zuordnet, die schon
Terminologie der Spätphilosophie Husserls zu gewin- zu seiner Zeit wenig Zukunftschancen hatte? Zu Hus-
nen, hatten wir jedoch nach der Form gefragt, die bei serls Zeiten hatte bereits Freud die Vorstellung einer
ihm ein betont theoretisches Interesse annimmt. Dabei quasi-substanzhaften Subjektität des Subjekts aufge-
hatte sich eine Variante von operativem Konstruktivis- geben und sie durch die Annahme einer konstanten
mus herausgeschält, wie sie heute unter verschiedenen Menge psychischer Energie ersetzt, die je nach Bela-
Markennamen - etwa: Formenkalkül, Kybernetik stung mit Sublimierungsanforderungen verschiedene
zweiter Ordnung, Theorie operativ geschlossener »au- Formen annehmen könne. Diesen damals modischen
46 I 47

r
I
Energiebegriff können wir durch den heute modi- jetzt drängenden Probleme eben dadurch bedingt
schen Begriff der Autopoiesis ersetzen; denn auch sind, daß· man auf die Einheitsleistungen verzichtet,
hier gilt, frei nach Maturana, daß die Autopoiesis er- die die Figur des tran~endentalen Subjektes geboten
halten bleiben muß, solange das System sich selbst hatte. Andererseits sind die Absetzbewegungen durch
reproduziert, aber daß sie verschiedene Formen an- Unterscheidungen vermittelt, die dieser Figur ver-
nehmen kann, je nachdem, auf welche strukturellen pflichtet bleiben - sei es die Unterscheidung subjek-
Kopplungen das System reagiert. Das leitet zu einer tiv/objektiv bzw. ursprungsabhängig/zirkulär; sei es
Begrifflichkeit über, die nicht mehr an einen be- die Unterscheidung subjektiv (monologisch) und in-
stimmten Operationstypus - seien es biochemische tersubjektiv (dialogisch). Innerhalb dieser Unter-
Synthesen, seien es neurophysiologische Energie- scheidungen verschiebt sich das Verständnis von Ge-
quantenänderungen, seien es Aufmerksamkeit diri- schichte und von Vernunft. Aber: Muß man so unter-
gierende Bewußtseinsprozesse, seien es Kommunika- scheiden? Oder liegt in der Transzendentalen Phäno-
tionen - gebunden sind, sondern auf diesen verschie- menologie eine Theoriekonstruktion vor, die, wenn
denen Grundlagen die Reproduktion einer Differenz man so paradox formulieren darf, sich von sich selbst
von System und Umwelt und, davon abhängig, Ko- ablösen, von sich selbst unabhängig werden kann?
gnition zu organisieren vermögen. Die Notwendigkeit einer transzendentalen (trans-
Aber auch sonst sind in der zweiten Hälfte dieses empirischen) Begründung mochte einleuchten, solan-
Jahrhunderts prominente Bemühungen um eine theo- ge kein Ersatz dafür in Sicht war35 und vor allem: so-
retische Neuorientierung gerade durch eine Abkehr lange das Wissen auf eine asymmetrische, nichtzir-
von der Figur des transzendentalen Subjektes ge- kuläre Begründung angewiesen zu sein schien. Aber
kennzeichnet - seien es die Bemühungen Hans-Georg dies ist in der Philos6phie selbst durch Heidegger in
Gadamers um eine objektive Hermeneutik; sei es der Frage gestellt worden; und in vielen Formalwissen-
»linguistic turn« der analytischen Philosophie oder schaften wird heute die Notwendigkeit eines »Sym-
die Berufung auf Erkenntnisse der Sprachphilosophie metriebruchs«, einer »Enttautologisierung« einer
in der Theorie des kommunikativen Handelns von »Entfaltung« von primordialen Paradoxien oder ganz
Jürgen Habermas. Auch die durch Husserl selbst allgemein: die Notwendigkeit, mit der Operation des
schon begonnene, durch Merleau-Ponty ausgebaute Unterscheidens zu beginnen, offen diskutiert. Es geht
Zentrierung der Theorie auf den menschlichen Leib dabei nicht mehr nur um unbedingte Voraussetzun-
wäre zu erwähnen. Man hat den Eindruck, daß die gen, sondern um Erfordernisse des Aufbaus von
48 49
t
I
I
Komplexität (der Kalküle, der Systeme usw.), die auf ferenz (also »Bistabilität«), ferner rekursive Rück-
die eine oder andere Weise erfüllt werden müssen, und Vorgriffe auf zur Zeit inaktuelle, aber aktuell faß-
wenn man überhaupt zu etwas kommen will. Und vor bare Zeithorizonte de~ Vergangenheit und der Zu-
allem: es geht dabei nicht mehr nur um Eigenarten kunft und alles in allein: Einschluß des Ausgeschlos-
des Bewußtseins, sondern um die Emergenz von Ord- senen als Modus des Prozessierens von Sinn.
nung schlechthin. Ich meine, daß ein solches Theorieprogramm, das
Die Härte dieses Abschieds vom transzendentalen radikal unterscheidet zwischen psychischen und so-
Subjekt kann man erkennen, wenn man überlegt, ob zialen Systemen, durchführbar ist, aber es geht an
es möglich ist, das Bewußtsein als Medium der Bil- dieser Stelle nicht darum, den Beweis zu führen.3 6
dung von Formen wegzulassen und trotzdem die von Die Frage ist nur: Wie würde die Theorielandschaft
Husserl entdeckte Struktur beizubehalten, nämlich aussehen, wenn ein solches Theorieprogramm durch-
die Einsicht in den Bedingungszusammenhang von führbar wäre?
Operationsfähigkeit, Trennung und Simultanprozes- Wir hätten einen Typus von Theoriedesign, der we-
sieren von Fremdreferenz und Selbstreferenz sowie der auf Naturgesetze alten Stils, noch auf ihre statisti-
Zeitlichkeit vom Standpunkt der jeweiligen Operati- schen Derivate, noch auf das Leitmotiv technisch be-
on aus. Ich halte das für möglich, wenn man sich ent- .-,
I
währter Kopplungen aufbaut. Husserls Kritik der Ein-
schließt, von Sinn als allgemeinem Medium für For- seitigkeit der galileiisch-cartesischen Idealisierungen
menbildung auszugehen und dann zu unterscheiden, und der für sie verbindlichen Form von Mathematik
ob sich Systeme aufgrund von intentionalen Bewußt- wäre bestätigt. Wir hätten aber auch keine dialekti-
seinsleistungen oder aufgrund von Kommunikation sche Theorie, die auf ein erreichbares Ende zuläuft
bilden. Für den Fall von Bewußtseinsleistungen (wie immer positiv oder negativ man das dann be-
könnte man Husserls Analysen wiederholen; aber wertet). Es wäre natürlich keine Kreuztabellierung im
man brauchte sie nicht mehr als »transzendental« zu Sinne des Parsonsschen, aus dem Begriff der Hand-
charakterisieren. Für den Fall von Kommunikation lung abgeleiteten Theoriedesigns. Es wäre keine Lo-
müßte man eine Parallelkonstruktion finden, die auch gik, die Konsistenz durch Ausschließung von Parado-
hier das nachweist, was, und es so nachweist, wie es xien zu gewährleisten sucht, sondern eher eine Theo-
im Falle des Bewußtseins funktioniert. Also als nur rie, die sich das Paradoxieren und Entparadoxieren
im Moment aktuelle Operation, Grenzziehung, Si- ihrer Leitunterscheidungen offen hält für den Fall,
multanprozessieren von Fremdreferenz und Selbstre- daß die Formen, die sie anbieten kann, nicht mehr
50 51
überzeugen. Es wäre eine Theorie selbstreferentieller, sie stets wieder öffnenden und wieder zu entschei-
nicht-trivialer, also unzuverlässiger, unberechenbarer denden Option, den Schwerpunkt der AnscWußkom-
Systeme, die sich von einer Umwelt abgrenzen müs- munikation entweder ~ der Fremdreferenz oder in
sen, um Eigenzeit und Eigenwerte zu gewinnen, die der Selbstreferenz zu imchen.38 So wenig wie das Be-
ihre Möglichkeiten einschränken. Es wäre eine Theo- ! wußtsein kann auch die Kommunikation operativ in
rie, die der Kybernetik die Aufgabe stellte, die im Sy- ihre Umwelt durchgreifen, denn das würde heißen:
stem selbst erzeugten Unbestimmbarkeiten37 zu kon- außerhalb des Systems in dessen Umwelt operieren.
trollieren. Im einen wie im anderen Falle kann das jedoch - mit
Keine Frage, daß man das gute alte Subjekt so re- einem verbleibenden evolutionären Restrisiko - da-
konstruieren kann. Entscheidend ist jedoch, daß auch durch kompensiert werden, daß die Systeme zwi-
soziale Systeme, auch die Gesellschaft mit diesem schen Fremdreferenz und Selbstreferenz unterschei-
Konzept beschrieben werden können. den und entsprechend bistabil und zukunftsoffen be-
obachten können.
Noch scheint niemand auf die Idee gekommen zu
vn sein, diesen so vielversprechenden Theorietypus vom
»Subjekt« auf das »Sozialsystem Gesellschaft« zu
Mit der Unterscheidung der sinnkonstituierenden übertragen. Angesichts der gegenwärtigen, zum Bei-
Operationen je nachdem, ob sie in ihrer rekursiven spiel als »Postmoderne« deklarierten, Ratlosigkeit in
Selbstreproduktion psychische oder soziale Systeme der Beurteilung der Weltlage würde sich der Versuch
erzeugen, sind wir unserem Ziel, die Theorieintuition lohnen. Er würde Zeitstimmungen aufnehmen kön-
Husserls einer ganz anderen »Lebenswelt« einzufü- nen, etwa die Faszination durch selbstreferentielle
gen, ein gutes Stück nähergekommen. Man könnte Zirkel und Paradoxien39 , den notwendigen Einbau
sich vorstellen, daß sich auf den skizzierten Grundla- von Nichtwissen ins Wissen4o, das Wechselspiel von
gen eine Theorie der Gesellschaft ausarbeiten ließe, Konstruktion und Dekonstruktion auf der Grundlage
in der Kommunikation als basale Operation, In- von sich abgrenzenden Systemoperationen41 oder
formation als Fremdreferenz, Mitteilung als Selbstre- auch, was die ontologische Metaphysik betrifft, nicht
ferenz und Verstehen als Voraussetzung der Über- mehr nur Epoche, also Verzicht auf Seinsaussagen,
führung des kommunikativ kondensierten Sinnes in sondern die resolute Vorordnung der Unterscheidung
weitere Kommunikationen aufzufassen wäre mit der von »innen« und »außen« vor die Unterscheidung
52 53

I
von »Sein« und »Nichtsein«.42 Man könnte mit die- schaftlichen Objektivismus ausarten, der nur noch den
sem Theorieapparat die in der Gesellschaftstheorie Namen »Phänomenologie« führte, ohne das damit
der Soziologen immer noch übliche Faszination verbundene ProblembeWußtsein fortzusetzen.
durch Probleme des Konsenses, der Integration oder Es ist sicher müßig darüber zu spekulieren, was un-
der einsichtsvollen Zivilgesellschaft weitgehend er- ter anderen Umständen oder mit Hilfe von Autoren,
setzen durch Problem der Zeitdimension, des Ge- die der Theorieintuition Husserls näher gekommen
dächtnisses und der Einstellung auf eine in allen Un- wären, anders hätte laufen können. Die Entwicklung
terscheidungen oszillierende Zukunft. von Wissenschaft ist kein gradliniger, durch Genie-
Sicher ist die Soziologie im Moment auf eine sol- stöße angetriebener Prozeß. Wie komplexe selbstrefe-
che Lektüre nicht vorbereitet. Im Rückblick fällt rentielle Systeme überhaupt muß auch die Wissen-
außerdem auf, daß Husserl, ebenso übrigens wie schaft von einem gegebenen historischen Sachstand
Heidegger, Soziologie unbeachtet gelassen hatte. des Wissens ausgehen, der ihre Anregbarkeit definiert
Anscheinend hatte die Unterscheidung von Natur- und einschränkt. Es ist also eher ein Evolutionspro-
und Geisteswissenschaften den ~ereich der Erkennt- zeß, der gewisse Zufallsanstöße aufnehmen, aber an-
nismöglichkeiten so stark strukturiert, daß ein dritter dere gar nicht registrieren kann. Dabei liegt die Be-
Kandidat keine Chancen hatte. Das ist um so er- wegungsmöglichkeit in den Unterscheidungen, die an
staunlicher, als Alfred Schütz versucht hatte, auf die- einer gegebenen Formuliertheit des Wissens ange-
se Sichtbeschränkung aufmerksam zu machen und bracht werden können - also etwa sachorientierte Ob-
die Phänomenologie (was immer das dann für Schütz jektivität versus Subjekt oder Geschichte versus Ver-
war) durch Einarbeitung der Handlungstheorie Max nunft oder Handeln versus Wissen oder Geist versus
Webers anzureichem. 43 Es war aber vermutlich kein Materie. Wer gegen alle diese Unterscheidungen op-
glücklicher Einfall, dies vom Begriff der Handlung tieren will, hat kaum Chancen, verstanden zu werden.
aus zu tun, dessen Rationalität mit Weber gerade Andererseits kann es gut sein, und gerade am Fall
fragwürdig geworden war und dessen Sozialität wie- Husserl kann man es zeigen, daß das Optieren inner-
derum nur durch Rückgriff auf subjektiv gemeinten halb dieser »frames« sich genötigt findet, bereits ver-
Sinn bestimmt werden konnte. Der Versuch konnte brauchtes Gedankengut zu reformulieren und damit
also nur bis zum Problem der Subjektivität von Inter- die bereits sichtbare Theorieintuition verdeckt. Kras-
subjektivität führen, einem Problem, an dem Husserl ser als in den Wiener Vorträgen Husserls kann man
bereits gescheitert war; oder er mußte in einen wissen- dieses Theoriegeschick kaum miterleben. Am Ende
54 55
einer lebenslangen, an Ernsthaftigkeit und Strenge seinsinhalten durch Sigmund Freud, an die Wieder-
kaum zu überbietenden Reflexion findet die Theorie beschreibung der tonalen Musik durch die atonale
ihre Abschlußformel und in ihr sich selbst - in einem Musik46 oder an die \\5.ederbeschreibung der Ambi-
Eigennamen: Europa. tionen der 68er Bewegung durch die Postmoderne.
Angesichts der Geläufigkeit dieser Sorte von Text-
produktionen kann man heute auch sie wiederbe-
VIII schreiben und dabei über das Selbstverständnis ihrer
Autoren hinausgehen.
Die hier vorgetragene Analyse der Wiener Vorträge Es handelt sich nicht um ein Bemühen um Fort-
und der sie ursprünglich motivierenden transzenden- schritt, nicht um eine Vermehrung oder Verbesserung
talen Phänomenologie Husserls war nicht als »Kri- des Wissens, nicht um ein hermeneutisches Ausgra-
tik« gemeint, also nicht als Sortierung des Haltbaren ben des eigentlichen Sinnes und auch nicht, wie
und Unhaltbaren in dieser Philosophie. Sie war auch schon gesagt, um Kritik. Was auf diese Weise ge-
nicht als Philosophie gemeint. Für einen Soziologen schieht, kann vielmehr nur als ein laufendes Transfor-
liegen die Fenster in den philosophischen Auditorien mieren von Notwendigkeit in Kontingenz, von natür-
zu hoch. 44 Wenn er auf einem theoretisch vergleich- lichen in artifizielle Rahrnenbedingungen des Wis-
baren Terrain operiert, dann without the attitude. WIr sens und Handelns begriffen werden. Was vor dem
können Husserls Texte aber auch als Kommunikatio- selbstverständlich war und gleichsam »lebenswelt-
nen lesen, die in einer bestimmten Zeit formuliert lich« akzeptiert wurde, wird nun als Besonderheit ei-
worden waren und die mit ihren Beschreibungen auf ner bestimmten Beobachtungsweise sichtbar ge-
die Gesellschaft ihrer Zeit reagiert hatten. Es geht macht. Sofern es nur gelingt, zu anderen Formen
uns also um eine Neubeschreibung dieser Beschrei- überzugehen, also zum Beispiel atonale Musik wirk-
bungen, um ein »redescription« im Sinne von Mary lich zu produzieren, wird das, was vorher galt, als Se-
Hesse. 45 Solche Wiederbeschreibungen von Be- lektion eines bestimmten Beobachters kenntlich. Daß
schreibungen gehören zu den charakteristischen die Herstellung anderer Formen des Beobachtens ge-
Merkmalen moderner Weltbeschreibungen. Man den- lingt, ist eine wichtige und eine stark einschränkende
ke an die Wiederbeschreibung der politischen Öko- Voraussetzung für diese Transformation. Es geht also
nomie seiner Zeit durch Karl Marx oder an die Wie- keineswegs, wie die Verteidiger von Traditionen im-
derbeschreibung der Phänomenologie von Bewußt- mer wieder behaupten, um »Dezisionismus« oder um
56 57
die Freigabe von Beliebigkeit im Sinne des »anything Wiederbeschreibens muß sich dagegen auf ein ganz
goes«. Die Bedingungen erfolgreicher Substitution anderes Verhältnis zur Zeit einlassen, da sie die be-
sind oft schwer und oft nur durch weitere Wiederbe- schriebenen Beschreit)imgen als ihre Vergangenheit
schreibungen zu erkennen. Es sind in jedem Fall sehr und die Aussicht auf'weitere Neubeschreibungen ih-
strenge Bedingungen. Der Versuch, Transzendental- rer eigenen Konzepte als ihre Zukunft ins Auge faßt.
philosophie mit den modernen Mitteln der Theorie Sie versteht ihre Gegenwart als Differenz ihrer Ver-
selbstreferentieller Systeme oder den Mitteln der Ky- gangenheit und ihrer Zukunft. Sie artikuliert ihre Po-
bernetik zweiter Ordnung neu zu beschreiben, muß sition nicht mehr nur in der Zeit, sondern mit Hilfe
sich daher der Frage stellen, ob er diesen Anforderun- von Zeit. Zeit kann dann .nicht mehr, gleichsam
gen genügen kann. spätontologisch, als historischer Prozeß gedacht wer-
Die theoretische Wiederbeschreibung der Wieder- den oder als Hineinkopieren des Maßes der Bewe-
beschreibung von Beschreibungen ist ein autologi- gung in das erkennende System, sondern Zeit ist jetzt
sches Konzept. Sie ist auf sich selbst anwendbar. Sie eine bestimmte Form des Beobachtens, eine Weltkon-
beansprucht nicht, eine Begründung, geschweige struktion mit Hilfe der Differenz der Endloshorizonte
denn: eine bessere Begründung zu geben. Sie setzt Vergangenheit und Zukunft. Die Begründung für das
sich daher auch keinem infiniten Regreß aus. Sie tut, ständige Neubeschreiben von Wiederbeschreibungen
was sie tut, und stellt sich auf diese Weise dar. Sie liegt dann nur noch darin, daß unsere Gesellschaft in
operiert selbst autopoietisch, ohne auf eine beruhi- dieser Hinsicht keine Wahl läßt. Unsere Zukunft kann
gend wirkende Abschlußformel zu zielen. nie wieder so sein wie unsere Vergangenheit. Deshalb
Es könnte sein, daß dieser Denkstil im Vergleich zu müssen wir, was Handeln betrifft, entscheiden und,
dem Husserls ein radikal anderes Verhältnis zur Zeit was Erkennen betrifft, beschreiben.
voraussetzt. Husserl hatte die Intentionen des trans- Wie schwer dies zu akzeptieren ist, kann man an
zendentalen Bewußtseins in der Zeit verortet, die dem Entstehen fundamentalistischer Gegenbewegun-
vom Bewußtsein gleichsam aus den Augenwinkeln gen erkennen, an dem verzweifelten Verlangen nach
mitbeobachtet wird. Und er hatte dementsprechend Sinn und nach Selbstverwirklichung. Solche Konzep-
die Krisis der neuzeitlichen Wissenschaften in der hi- te gewinnen ihre Energie aus der Differenz, und das-
storischen Zeit der abendländischen Vernunftge- selbe gilt offenbar auch von dem heute modischen
schichte lokalisiert. Bei all dem war Zeit als Strom, Begriff der Zivilgesellschaft, mit dem einige Intellek-
als Bewegung, als Prozeß gedacht. Die Theorie des tuelle dem Publikum Nachricht davon geben, daß es
58 59
sie, die Intellektuellen, gibt. Auch diese Erklärung ANMERKUNGEN
von Zeiterscheinungen ist aber nichts anderes als eine
1 Siehe dazu unter methodischen Gesichtspunkten Henk de
Wiederbeschreibung des schon Beschriebenen. Of- Berg, Kontext und Ko~tingenz: Kommunikationstheoreti-
fenbar kommt die Diagnostik unserer Zeit von dieser sche Überlegungen zur Literaturhistoriographie mit einer
Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung nicht mehr Fallstudie zur Goethe-Rezeption des Jungen Deutschland,
los, obwohl, und gerade weil, immer auch eine Beob- Diss. Leiden 1994. Vgl. auch Henk de BerglMatthias Pran-
achtung erster Ordnung mitproduziert wird. Man gel (Hg.), Kommunikation und Differenz: Systemtheoreti-
wird kaum bereit sein, dies noch als »Krise« im Kon- sche Ansätze in der Literatur- und Kunstwissenschaft, Op-
laden 1993.
tinuieren der selbstkritischen Vernunft des Abendlan- 2 Vgl. nur Talcott Parsons, Max Weber and the Contempo-
des aufzufassen. Aber vielleicht ist es eine theoreti- rary Political Crisis, The Review of Politics 4 (1942),
sche Beschreibung, die dem, was wir am Ende dieses S. 61-76, 155-172; ders., Democracy and the Social Struc-
Jahrhunderts tatsächlich beobachten können, besser ture in Pre-Nazi Germany, Journal of Legal and Political
gerecht wird. Sociology 1 (1942), S. 96-114; ders., Some Sociological
Aspects of the Fascist Movements, Social Forces 21
(1942), S. 138-147. Vgl. ferner Uta Gerhardt, Die soziolo-
gische Erklärung des nationalsozialistischen Antisemitis-
mus in den USA während des Zweiten Weltkriegs: Zur Fa-
schismustheorie Talcott Parsons', Jahrbuch für Antisemitis-
musforschung I (1992), S. 253-273; dies. (Hg.), Talcott
Parsons on National Socialism, New York 1993.
3 Siehe Talcott Parsons, The System of Modern Societies,
Englewood Cliffs N.J. 1971, S. 11.
4 Siehe dazu Burkhart Lutz, Das >Projekt Moderne< liegt
noch vor uns! Zur Notwendigkeit einer neuen Makrotheo-
rie moderner Gesellschaften, in: Festschrift Renate Mayntz,
Baden-Baden 1994, S. 513-526.
5 Um einen Buchtitel zu zitieren, nämlich Gerhart Schröder,
Logos und List: Zur Entwicklung der Ästhetik in der
frühen Neuzeit, Königsteinffs. 1985.
6 Anders als im Krisisbuch wird das in den Wiener Vorträ-
gen nur angedeutet. Siehe: Die Krisis des europäischen
Menschentums und die Philosophie, zit. nach Husserliana

60 61
Bd. VI, Den Haag 1954, S. 314-348: »Die Folge der konse- 16 Siehe George Spencer Brown, Laws of Form, Neudruck
quenten Ausbildung der exakten Wissenschaften in der New York 1979.
Neuzeit war eine wahre Revolution in der technischen Na- 17 Siehe Edmund Husserl,::Ween zu einer reinen Phänomeno-
turbeherrschung« (315 f.). .I logie und phänomenolQ~schen Philosophie Bd. 1 (1913),
7 Ähnlich Lyotards Antworten auf seine eigene Frage: »Pou- I zit. nach Husserliana Bd. m, Den Haag 1950, S. 100. Her-
vons nous aujourd'hui continuer a organiser la foule des vorhebung durch Husserl.
evenements qui nous viennent du monde, humain et non- 18 Zitiert nach: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und
humains, en les subsumant sous l'Idee d'une histoire uni- phänomenologischen Philosophie Bd. 1, Husserliana Bd.
verselle de l'humanite?, in: Jean-Fran!j:ois Lyotard, Histoire 1.I m, Den Haag 1950, S. 91 ff. Vgl. auch die Fortführung
universelle et differences culturelles, Critique 456 (1985), dieser Analysen in Edmund Husserl, Erfahrung und Urteil:
S. 559-568. Vgl. auch Gianni Vattimo, The End of I Untersuchungen zur Genealogie der Logik, Hamburg 1948,
(Hi)story, in: Ingeborg Hoesterey (Hg.), Zeitgeist in Babel: I sowie Maurice Merleau-Ponty, Phenomenologie de la Per-
.l
The Postmodernist Controversy, Bloomington 1991, S. ception, Paris 1945.
132-141 (132). j 19 A.a.O. S. 93.
8 Siehe vor allem: Joachim Ritter, Metaphysik und Politik: , 20 A.a.O. S. 94 f.
~
Studien zu Aristoteles und Hegel, Frankfurt 1969. I 21 Einen ähnlichen Sachverhalt meint Derrida schon bei Kant
9 Zitate a.a.O., S. 319 und 320. Die Drastik dieser Formulie- finden zu können, und zwar nicht zufällig in der dritten, das
rungen wird durch die Beiläufigkeit, mit der sie vorgetra- I'
~.
transzendentale System abschließenden Kritik. Die Figur
gen werden, nur noch gesteigert. des interesselosen WoWgefallens wird zerlegt in: Ausklam-
10 Zit. nach (Euvres completes (M. de la Pleiade) Bd. 1, Paris I merung von Existenzfragen (Epoche), auto-affection,
1959, S. 5. hetero-affection und, um dieser Differenz willen, jugement.
1.
11 So in: Cybemetic Ontology and Transjunctional Operati- Siehe Jacques Derrida, La verite en peinture, Paris 1978, S.
ons, in: Gottbard Günther, Beiträge zur Grundlegung einer
operationsflihigen Dialektik Bd. 1, Hamburg 1976, S. 249-
I 54ff.
22 Siehe: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeit-
328.
12 Husserl a.a.O., S. 333.
13 Hierzu Terry WinogradlFemando Flores, Understanding I bewußtseins, hg. von Martin Heidegger, Jahrbuch für Phi-
losophie und phänomenologische Forschung 9 (1928), S.
367-496..
Computers and Cognition: A New Foundation for Design,
Reading Mass. 1987, S. 7
14 Husserl a.a.O., S. 335.
15 Siehe dazu die von Richard Grathoff herausgegebene Kor-
l1 23 Dies ist nicht so neu, wie es hier scheinen mag. Auch in der
augustinischen Spekulation entsteht die Gegenwart erst in
der Reflexion der Differenz von Vergangenheit und Zu-
kunft als etwas, das erst gesucht werden muß und dann in
respondenz: The Theory of Sodal Action: The Correspon- ,I Gott gefunden werden kann. Siehe vor allem das 11. Buch
dence of Alfred Schutz und Talcott Parsons, Bloomington der Confessiones.
1978.
.I. 24 Siehe die berühmte Fußnote 2 zu Aristoteles und Hegel in
62 .,r 63
,I,

I
Martin Heidegger, Sein und Zeit S. 432, zit. nach der 6. 35 Schon Parsons hatte im übrigen an einem Ersatz gebastelt,
Aufl. Tübingen 1949. um das personale System als eine notwendige, aber nicht
25 Siehe dazu die George Spencer Brown-Rezension von Heinz L ausreichende KomponeJl1e des Zustandekommens von
,
von Foerster, Die Gesetze der Form, dt. Übers. in: Dirk • I Handlung vorsehen zu:iCönnen. Allerdings ist sein Vor-
Baecker (Hg.), Kalkül der Form, Frankfurt 1993, S. 9-11. scWag, statt von »Tatsachen des Bewußtseins« vom sach-
26 Oder an Objekten überhaupt, wie Ranulph Glanville nach- gerecht gebildeten Begriff der Handlung auszugehen, sei-
zuweisen versucht in: Objekte, Berlin 1988, insb. S. 24 ff. nerseits problematisch. Das rechtfertigt es aber kaum, von
27 So Jürgen RueschlGregory Bateson, Communication: The Parsons zu Weber oder gar zu Kant, also zum Subjekt
Social Matrix of Psychiatry, New York 1951. 2. Aufl. J
L zurückzukehren. Denn damit gerät man nur in woWbekann-
1968, S. 238. I
te, längst überwunden geglaubte Schwierigkeiten.
\
28 Es wird sich zeigen, daß und warum dieser Begriff schon 36 Vgl. für einen solchen Versuch Niklas Luhrnann, Soziale
hier im Sinne der Psychiatrie benutzt wird. i
t Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt
29 Siehe als ein Beispiel für viele: RueschlBateson a.a.O., S. 1984. Siehe auch Heinz von Foerster, Für Niklas Luhrnann:
253 ff. Wie rekursiv ist Kommunikation? Teoria Sociologica 1/2
30 Siehe nur David Bloor, Knowledge and Social Imagery, (1993), S. 61-85, mit der alles weitere entscheidenden Fest-
London 1976; Barry Barnes, Interests and the Growth of stellung: Kommunikation ist Rekursivität.
Knowledge, London 1977. 37 George Spencer Brown a.a.O., S. 57, spricht mit Bezug auf
31 Siehe Gotthard Günther a.a.O. J
die zuverlässig rechenbaren Operationen der Arithmetik
32 Nämlich Earl R. Wasserman, The Subtler Language: Criti- I
und der Algebra von »unresolvable indeterminacy«.
cal Readings of Neoclassic and Romantic Poems, Baltimo- 38 Vgl. als Anwendung auf ein aktuelles Problem Niklas Luh-
re 1959. Die Analysen behandeln die Umstellung von ei- , mann, Ökologische Kommunikation: Kann die modeme
nem noch kosmologisch gebundenen Leitfaden der Mirne-
sislImitation auf eine Form, die nur noch an der Differenz
r Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstel-
len?, Opladen 1986. Vgl. auch Niklas LuhrnannlRaffaele
von Selbstreferenz und Fremrlreferenz orientiert ist, in der ,, De Giorgi, Teoria della Societa, Milano 1992.
Zeit von Dryden bis Shelley. T 39 Vgl. Hilary Lawson, Reflexivity: The Post-Modem Predi-
33 Zitiert aus: Das Ideal und das Leben. i cament, London 1985. Siehe auch Gilles Deleuze, Logique
34 Siehe George Spencer Brown a.a.O.; Heinz von Foerster, i du sens, Paris 1969, der die Einheit des transzendentalen
.t
Observing Systems, Seaside Cal. 1981; Humberto R. Ma- Subjekts durch die Paradoxie der Einheit von zwei (oder
turana, Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von mehr) Reihen ersetzt, wobei dann die Reihe »Subjekt« und
Wirklichkeit: Ausgewählte Arbeiten zur biologischen Epi- die Reihe »Objekt« nur ein Beispiel unter vielen wäre.
stemologie, dt. Übers. Braunschweig 1982; Ernst von Gla- 40 Vgl. Michael Smithson, Iguorance and Uncertainty: Emer-
sersfeld, Wissen, Sprache und Wirklichkeit, dt. Übers. ging Paradigms, New York 1989.
Braunschweig 1987, Ranulph Glanville, Objekte, dt. Übers. 41 Vgl. Niklas Luhmann, Deconstruction as Second-Order
Berlin 1988. Inzwischen eine Fülle von Sekundärliteratur. '1" Observing, New Literary History 24 (1993), S. 763-782.
I
64 I 65
42 Vgl. Philip G. Herbst, Alternatives to Hierarchies, Leiden DER AUTOR
1976, S. 88 mit der Annahme wechselseitiger Implikation
von Primärunterscheidungen dieser Art. \ Niklas Luhmann, gebor~ 1927 in Lüneburg, Studium
"r
43 Siehe Alfred Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen " I der Rechtswissenschaften in Freiburg, ab 1954 Tätigkeit
Welt: Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Wien I
in der öffentlichen Verwaltung des Landes Niedersach-
1932. sen, 1960/61 Studium an der Harvard Universität bei
44 Um eine Formulierung aus dem »Kampanertal« von Jean
Talcott Parsons. 1964 erscheint seine erste Buchver-
Paul zu übernehmen. Siehe: Das Kampanertal oder über die
Unsterblichkeit der Seele, zit. nach Jean Pauls Werke: Aus-
öffentlichung »Funktionen und Folgen formaler Organi-
wahl in zwei Bänden, Stuttgart 1924, Bd. 2, S. 170-229 sation«, 1966 Promotion und Habilitation in Soziologie
(183). an der Universität Münster, ab 1968 Lehrstuhl für So-
45 Siehe die Ausführung zur Metaphorik theoretischer Er- ziologie an der Universität Bielefeld, 1993 emeritiert.
klärungen in: Mary Hesse, Models and Analogies in Scien- Hauptinteressensgebiet: Theorie der modemen Gesell-
ce, Notre Dame 1966, S. 157 ff. schaft. Bisheriges Hauptwerk: »Soziale Systeme.
46 Dies Beispiel mit anderen aus dem Bereich der modemen
I
~. Grundriß einer allgemeinen Theorie« (1984); neueste
Kunst bei Michael BaldwiniCharles HarrisonlMel Rams- Publikationen: »Soziologische Aufklärung 6. Die Sozio-
den, On Conceptual Art und Painting and Speaking and logie und der Mensch« (1995), »Gesellschaftsstruktur
Seeing: Three Corrected Transcripts, Art-Language N.S. 1 und Semantik«, Band 4 (1995), »Die Kunst der Gesell-
(1994), S. 30-69.
schaft« (1995)

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