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programm 1_11
Politische
Gerechtigkeit
Generationengerechtigkeit:
Vom Backen dreier Brote
Editorial
Dr. Gerhard Schwarz
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Von allen Tugenden sei die Gerechtigkeit die schwerste, auf zehn Liberalismus ist Gerechtigkeit
Großmütige komme ein Gerechter. Festgehalten hat diese Erkennt- Prof. Dr. Wolfgang Kersting
nis der Dichter Franz Grillparzer im 19. Jahrhundert. Gut möglich, 4–5
dass man auch heute nach den wahren Hütern der Gerechtigkeit
noch lange suchen muss. Ein Schattendasein führt sie allerdings „Der Einsatz für Freiheit ist nicht
nicht, zumal nicht in der Politik: Kaum ein Begriff fällt dort so blutleer, sondern ein Lebensgefühl.“
häufig wie der der Gerechtigkeit. Interview mit Christian Lindner MdB
6–7
Mit kaum einem Begriff wird folglich auch so viel Missbrauch be-
trieben. Vor allem diejenigen greifen gerne auf ihn zurück, die den Pro & Contra
Status quo der Welt für schlecht halten und meinen, bestehende Globale Gerechtigkeit: eine Frage
Ungleichheiten politisch korrigieren zu können, nicht zuletzt durch der Planung?
massive Umverteilungen. Dass Gerechtigkeit etwas anderes als Er- Pro: Michael Sommer
gebnisgleichheit bedeutet, wird dabei immer wieder gerne übersehen. Contra: Rainer Brüderle MdB
8–9
Eben deshalb dürfen die Liberalen den Anspruch, für Gerech-
tigkeit einzutreten, nicht der politischen Konkurrenz überlassen. Programm 1. Halbjahr 2011
Wir als Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit wollen einen
Beitrag dazu leisten, dass Gerechtigkeit nicht länger mit Gleich- Viel Staat, wenig Gerechtigkeit
macherei verwechselt oder als Kampfbegriff missbraucht wird, und Der bürokratische Hürdenlauf
widmen ihr deshalb die aktuelle Ausgabe unseres Magazins. eines Würstchenverkäufers
Boris Eichler
Die Beiträge auf den folgenden Seiten nähern sich dem Schwer- 10–11
punktthema in seiner ganzen Vielseitigkeit. Christian Lindner, Ge-
neralsekretär der FDP, und gegenwärtig mit der Ausarbeitung eines Durchblick passé
neuen Grundsatzprogramms betraut, geht in seinem Interview auf Die Paradoxien des deutschen Steuersystems
die freiheitliche Dimension der Gerechtigkeit ein. Der Philosoph Sandro Nücken
Wolfgang Kersting verknüpft seine Kritik am Umverteilungsstaat 12
mit einer Forderung nach mehr Chancengerechtigkeit. Gegenstand
eines weiteren Beitrags ist der Kampf des Erfinders der mobilen Fair Play
Würstchenbuden gegen die Mühlen der Bürokratie. Außerdem Fußball und Marktwirtschaft –
erfahren Sie, dass Marktwirtschaft und Fußball überraschend viel da läuft mehr, als man meint
gemeinsam haben. euckenserbe
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Um auf Grillparzer zurückzukommen: Vielleicht kann dieses
Heft dabei helfen zu verstehen, dass die Gerechtigkeit keine ganz „Für Freiheit und Fairness“
so schwere Tugend mehr ist. Ich wünsche Ihnen wie immer eine Eindrücke einer Veranstaltungsreihe
anregende Lektüre. Dr. Wolfgang Gerhardt MdB
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Lesetipps, Impressum
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Vom Backen dreier Brote gruppe viel eher Leistung und Gegenleis
tung aufeinander abgestimmt werden.
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thema | magazin 1_11
Liberalismus ist
Gerechtigkeit
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magazin 1_11 | thema
zu können, als Rechtsstaat und Marktge- und den marktspezifischen, leistungsab- den Bürgern zurück, konzentriert seine
sellschaft ihnen zu liefern in der Lage sind. hängigen Erwerbserfolgen kollektiv ent- Leistungen auf bürgerlichkeitssichernde,
Denn der Sozialstaat versteht sich nicht als zogen wird und der marktunabhängigen bürgerlichkeitsermöglichende Ziele, auf die
bürokratisiertes Samaritertum, er versteht und leistungsunabhängigen Verteilungs- Realisierung von Chancengerechtigkeit.
sich als Gerechtigkeitsordnung. Freilich, räson des Staates übergeben wird, umso
welche Art Gerechtigkeit durch die sozi- gerechter die Gesellschaft, umso mensch- Nicht nur die leeren Kassen fordern
alstaatliche Ausweitung des Rechtsstaats licher der Markt, umso humaner und ziviler ein sozialstaatliches Umdenken. Auch
und durch die sozialstaatliche Korrektur der der Kapitalismus. Das Distributionspara- eine Rückbesinnung auf unsere grund-
Verteilungsräson eines freien Marktes ver- digma wurzelt in einer moralischen Ver- legenden freiheitlichen Werte verlangt,
wirklicht werden soll, ist heftig umstritten. dächtigung des Marktes und führt zu einer das sozialdemokratische Distributionspa-
Entethisierung der Wirtschaft. radigma durch das Projekt der Chancen-
Mit dem Überschritt zum Sozialstaat gerechtigkeit zu ersetzen. Der Begriff der
verliert der Gerechtigkeitsbegriff seine Was im immer tiefer werdenden Schat- Chancengerechtigkeit bietet die normati-
klare Kontur. Was soziale Gerechtigkeit ten des sozialstaatlichen Distributions ve Grundlage für ein anspruchsvolles So-
genau ist, was Verteilungsgerechtigkeit paradigmas längst in Vergessenheit gera- zialstaatsverständnis, das sich von anti-
verlangt, auf welches normative Fun- ten ist: Dass unser moralisch-kulturelles kapitalistischen Vorurteilen befreit hat,
dament der Sozialstaat gestellt werden Selbstverständnis, dass die ihm zugrunde- das die Dämonisierung des Marktes und
sollte, ist völlig unklar. Angesichts dieser liegenden Überzeugungen des normativen die Entethisierung der Wirtschaft rück-
Ratlosigkeit sollte man einen vorsichtigen Individualismus und des menschenrecht- gängig macht und das vor allem mit un-
und behutsamen Umgang mit dem Begriff lichen Egalitarismus den Markt als Raum seren grundlegenden individualistischen
der sozialen Gerechtigkeit erwarten. Doch
die Wirklichkeit sieht anders aus. Eine
überbordende Gerechtigkeitsrhetorik prägt
das öffentliche Gespräch sozialstaatlicher
Demokratien, den politischen Markt der
Wählerbewirtschaftung und überzieht das
Verteilungsgezänk der Gruppen mit mo-
ralsemantischem Zuckerguss.
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interview | magazin 1_11
_ Herr Lindner, die Freiheit ist in der ist klar, dass es Gleichheit vor dem Ge-
öffentlichen Debatte lange gegen die setz und eine Grundsicherung unab-
Gleichheit ausgespielt worden. Inzwischen hängig von individueller Leistung oder
hat man den Eindruck, dass sich die Freiheit individuellem Verschulden geben muss.
vor allem gegen die Gerechtigkeit behaupten Das ist der Boden, auf dem wir alle ste-
muss. Sehen Sie das auch so? hen. Ansonsten fordere ich Respekt vor
Vielfalt und legitimer Ungleichheit. Ge-
Das ist nur ein Sprachspiel. Wer von rechtigkeit wollen wir am Verfahren und
sozialer Gerechtigkeit spricht, der meint nicht am Ergebnis messen. Freiheit führt
in Deutschland zu oft nur Gleichheit. zu Ungleichheit, weil die Menschen un-
Und dann wird alles vermessen, jeder terschiedlich sind. Man darf die Freiheit
kleine Unterschied. Der Vergleich heizt nicht der Gleichheit opfern, weil wir
Umverteilungsdebatten an – und macht sonst Vielfalt und Dynamik preisgeben.
die Menschen nebenbei gesagt auch Ungleichheit ist legitim, wenn die Regeln
unglücklich. Die Verteilungsströme sind des Wettbewerbs fair waren. An diesen
inzwischen kaum noch transparent. Es Regeln wollen wir arbeiten.
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magazin 1_11 | interview
_ Die Liberalen sagen den Menschen ja gerne, wir einen Staat, der die Einzelnen wirk- wortung für sich und andere überneh-
ihr seid frei von etwas. Wird es nicht wieder samer als bisher dazu befähigt, sich im men und die Freude an den Ergebnissen
Zeit, das Prinzip der „Freiheit von“ durch das Wettbewerbsspiel zu bewegen. Es geht ihrer Schaffenskraft haben. Der Einsatz
der „Freiheit zu etwas“ zu ersetzen? um Chancen und die Durchlässigkeit der für Freiheit ist nicht blutleer, sondern ein
Gesellschaft. Die Menschen brauchen Lebensgefühl.
Ich warne davor, den Freiheitsbegriff dazu Ressourcen der Selbstbestimmung,
politisch so zu interpretieren. „Freiheit also gute Bildung und Lebenstüchtigkeit. _ Es ist doch erstaunlich, dass der Staat
zu“ ist eine Art Zensur, wenn eine wohl- Auch zum Beispiel Zugänge zu Gesund- hierzulande so viel gilt, wo doch die, die
meinende politische Öffentlichkeit ent- heitsversorgung und die Sicherung natür- ihn tragen, Politiker und Beamte nämlich,
scheidet, was denn gelingendes Leben zu licher Lebensgrundlagen. Was der Staat eigentlich keinen sonderlich guten Ruf
sein hat. Das wollen wir als Liberale nicht. nicht sein darf: Mitspieler, Vormund oder genießen. Können Sie sich das erklären?
Für die Freiheit sind ihre falschen Freunde Zensor. Das Zusammenleben ist zudem
viel gefährlicher als ihre echten Feinde. ohne Werte nicht denkbar, die jenseits Ein Leben in Freiheit ist mit Unsicher-
Deshalb wird diese politische Formel von Staat und Markt in der Gesellschaft heit verbunden, denn Chancen sind kei-
auch eher von Sozialdemokraten, Grünen und dort insbesondere in den Familien ne Garantien. Die Risiken der globalen
und Linken gebraucht. Das Konzept der gelebt und vermittelt werden. Finanzmärkte, die unabsehbaren Folgen
„Freiheit von“ bzw. der negativen Freiheit des technologischen und demografischen
öffnet einen Raum für Möglichkeiten. _ So plausibel das klingt: Sie treten im Wandels und ökologische Fragen be-
Ergänzen kann man dieses Verständnis politischen Alltag gegen Konkurrenten an, sorgen viele. Manche suchen Sicherheit
durch eine Dimension, die nicht nur die die Geschenke in der Hand haben: Zuschüsse, dann nicht zuerst in sich selbst und ihren
Anzahl, sondern vor allem die Qualität der Subventionen, Ausnahmegenehmigungen. sozialen Beziehungen, sondern in Erwar-
möglichen Lebensoptionen erhöhen will. Da sind Sie doch eigentlich per se im tungen an den Staat. Das ist menschlich,
Hintertreffen? führt aber zur Unterforderung der Gesell-
_ Was heißt das für die Rolle des Staates? schaft und zugleich zur Überforderung
Nicht, wenn wir auf die Vernunft und des Staates. Angesichts der Verände-
Er hat zuerst die Aufgabe, die Regeln den gesunden Menschenverstand bauen. rungen unserer Lebensbedingungen ist
unseres Miteinanders zu bestimmen. Eine Was Liberale anzubieten haben, ist gutes der Ordnungsgedanke umso wichtiger.
Ordnung, die fair ist und durch den Wett- Recht und das leidenschaftliche Eintre- Liberale sind also nicht gegen den Staat
– im Gegenteil bejahen wir ihn
aktiv als Regelsetzer. Wir machen
ihn aber nicht zum Instrument
unserer eigenen gesellschaftspo-
litischen Vorgaben. Wir stärken
lieber die Selbstbestimmungskraft
der Einzelnen: Wer sich mehr zu-
traut, der will auch mehr Freiheit.
Und wir sollten den Blick der Öf-
fentlichkeit stärker auf die Gesell-
schaft selbst richten. Dort ist das
beste Wissen über die Lösung von
Zukunftsproblemen, dort ist das
Engagement und die Empathie für
die Bewältigung sozialer Heraus-
forderungen.
bewerb Innovation fördert. Das ist die ten für die Freiheit. Wir wenden uns an
quantitative Dimension einer Politik für Menschen, die ihr Leben selbst in die Das Interview führten Boris Eichler und
Freiheit. In qualitativer Hinsicht brauchen Hand nehmen wollen, die gerne Verant- Dr. Lars-André Richter.
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pro | magazin 1_11
Globale Gerechtigkeit:
eine Frage der Planung?
Unter der Überschrift Flexibilisierung Wie in den sozialen Sicherungssyste-
wurde in den letzten zehn Jahren arbeits- men und auf dem Arbeitsmarkt ist auch
marktpolitischer Wildwuchs betrieben. die bildungspolitische Schieflage un
Massenhafte Abhängigkeit von Hartz IV, übersehbar. Zwar existiert ein politischer
Ein-Euro-Jobs und ungleiche Bezahlung Konsens darüber, dass gute Bildung der
bei gleicher Tätigkeit haben jedoch nicht Schlüssel für künftigen Wohlstand, gute
das Geringste mit sozialer Gerechtigkeit Arbeit und gutes Leben in Deutschland
zu tun. Daher ist eine neue soziale Ord- ist, aber wohlfeilen Worten fehlen noch
nung des Arbeitsmarktes längst überfällig die politischen Taten. Die Ausgrenzung
– eine Ordnung, die gute Arbeit für alle von Kindern aus bildungsfernen, sozial
Michael Sommer
ermöglicht und die missbräuchliche Be- schwachen Arbeiter- und Migrantenfa-
schäftigung von Leiharbeitnehmerinnen milien durch das Bildungs- und Erzie-
und -nehmern beendet. hungssystem erhöht ihr Risiko, aus der
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magazin 1_11 | contra
wirkt als Motor von Wachstum und Be- tumsrechte und breite soziale Akzeptanz
schäftigung: Er sorgt für steigende Qua- sichert, sowie ein geordneter, Freiheit si-
lität, sinkende Preise und stetige Innova- chernder Wettbewerb.
tionen. Wettbewerb verändert permanent
die Machtpositionen der Marktteilnehmer Allerdings hat die Wirtschafts- und
und stellt somit sicher, dass niemand auf Finanzkrise gezeigt: Die Rahmenbedin-
Dauer den Markt beherrschen kann. gungen auf den Finanzmärkten sind re-
formbedürftig. Unzureichende Regeln und
Dazu bedarf es einer Ordnungspolitik falsch gesetzte Anreize waren für den
im ursprünglichen Sinne des Wortes. Es Ausbruch der Krise mitverantwortlich.
Rainer Brüderle
muss darum gehen, den Ordnungsrahmen Deshalb gilt es jetzt, die Spielregeln auf
für die Wirtschaft vernünftig zu gestal- den Finanzmärkten zu verbessern und Re-
ten. Konkret bedeutet das: Der Staat setzt gulierungslücken zu schließen. Doch mehr
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thema | magazin 1_11
Viel Staat,
wenig
Gerechtigkeit
Der bürokratische
Hürdenlauf eines
Würstchenverkäufers
Ein Porträt von Boris Eichler
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magazin 1_11 | thema
in Berlin, hatte die Hauptstadtverwal- wir konnten überall verkaufen“, erinnert Nun war der Selfmademan plötzlich
tung entschieden. Bauchladenverkäufer sich der Grillwalker. Bis sich die Politik auf Ausnahmegenehmigungen angewie-
brachten ihn auf die Idee, einen mobilen, an osteuropäischen Souvenirverkäufern sen. Die gab es mal und mal gab sie‘s
tragbaren Grill zu entwickeln. Für den störte, die sich mit vierzig Kilo Ware an nicht – und wenn, dann immer nur ge-
brauchte man nur eine Reisegewerbe- den Hotspots der Stadt breitmachten. gen saftige Gebühren. „Immer, wenn man
karte. Dachte Rohloff. Es folgte die le- Sie beriefen sich – wie der Grillwalker – irgendwo einen Antrag stellen muss, ist
bensmittelhygienische Genehmigung, die auf die lockeren Regeln für Bauchläden, man natürlich auch Bittsteller“, so be-
schnell erteilt wurde. Zu schnell, fanden obwohl die meisten von ihnen gar nicht schreibt Rohloff seine neue Position.
ein paar Beamte, und legten zu- Hundert Euro pro Monat für eine
sätzliche Bedingungen nach. Der personengebundene Genehmi-
erste Rechtsstreit folgte. Zu einer gung – das ist im Bratwurstge-
Begutachtung wurden Vertreter schäft schon ein Kostenfaktor.
aller Berliner Bezirke eingeladen.
Drei-Seiten-Spuckschutz, Überda- „Die sind wankelmütig – da
chung gegen Vogelkot. Rohloff er- wechselt das Personal und dann
weiterte den Grill um eine durch- fährt man plötzlich eine andere
sichtige Plastikwand und mon- Linie“, ärgert sich der Selfmade-
tierte einen Schirm. man über die Behörden. Alles sei
ihm schon begegnet – Beamte, die
Dann fand Rohloff heraus, dass tendenziell lieber nichts genehmi-
er eine CE-Baumusterprüfung für gen, weil dann auch die Kontroll-
seinen Grill braucht. Der größte arbeit entfällt.
europäische Branchen-Zertifizie-
rer im Gas- und Wasserfach, der Andere, die ihm zu erkennen
Deutsche Verein des Gas- und gaben, dass man durch hohe Ge-
Wasserfaches e. V., machte es sich bühren einer Inflation von Brat-
einfach: „Nö, prüfen wir nicht“, wurstverkäufern entgegenwirken
erinnert sich Rohloff. Ohne das will. Aber keine, die es einfach nur
Gerät in Augenschein zu nehmen, gut fanden, dass jemand mit einer
wurde festgestellt, der Grill sei Geschäftsidee kommt, Arbeits-
eine Gefahr für Leib und Leben plätze schafft und Steuern mehrt.
des Verkäufers und der Kunden.
„Da ist mir dann Europa zu Hilfe Dass er durch das Bildungs-
gekommen“, sagt Rohloff. Denn system auf diesen Kampf des
EU-weit gibt es fünf Zertifizie- freien Unternehmers mit der Bü-
rungsstellen. Der Erfinder machte Bertram Rohloff vor seinem Firmensitz in Berlin rokratie, der institutionalisierten
sich mit dem Zug auf den Weg in staatlichen Gerechtigkeit, nicht
die Niederlande, führte sein Gerät vor, alleine tragen konnten, was sie zum Ver- vorbereitet wurde, das stört Rohloff er-
samt Sicherheitseinrichtungen wie Gas- kauf anboten. Ein Katz-und-Maus-Spiel staunlicherweise nicht. Wer fix genug sei,
Notstopp-Schalter, Thermofühler und mit den Behörden begann. „Die hätte man der fände seinen Weg schon durch den
Neigungssensor, der ein Auslaufen des mit der Anwendung des geltenden Rechts Dschungel. Das, so Rohloff, unterscheide
Gases verhindert. Zwei Wochen später unkompliziert loswerden können“, sagt den Unternehmer eben von jenen, die
kam die Zertifizierung mit der Post. Rohloff, denn im Reisegewerbe „darf man sich einen solchen Kampf nicht zumuten
seine Sachen nicht abstellen, und zum wollten. Auslese nicht durch Marktge-
Das passte wiederum den deutschen Tragen hatten die zu viel dabei.“ Statt- setze, sondern durch einen Vorschriften-
Behörden nicht – das Landesamt für Ge- dessen wurde Berlin flächendeckend zur Hindernislauf: Bürokratie als Auslesever-
rätesicherheit erkannte die Zertifizierung Sondernutzungszone erklärt, das Aus für fahren – eine interessante Sichtweise.
nicht an und beschlagnahmte die mobi- Souvenirhändler, „… und damit standen
len Grills. Erneut ging Rohloff vor Gericht auch wir über Nacht illegal auf Berliner
und klagte seine Geräte erfolgreich frei. Straßenland“, so Rohloff. Boris Eichler ist Online-Referent der Friedrich-Naumann-
„Das waren dann paradiesische Zustände, Stiftung für die Freiheit.
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thema | magazin 1_11
Durchblick passé
erstreitverfahren und Verdruss bei den
Steuerpflichtigen sind durch derartige
Normen vorprogrammiert.
Die Paradoxien des deutschen Steuersystems Ein gerechtes Steuersystem sollte auf
Ausnahme- und Sonderregelungen, ins-
besondere Lenkungsnormen, verzichten.
Mit der Verständlichkeit und Gerech- Ausnahmeregelungen machen das deut- Originärer Zweck des Steuerrechts ist die
tigkeit unseres Steuersystems scheint es sche Steuersystem kompliziert und unge- Sicherung notwendiger Staatseinnahmen.
nicht allzu weit her zu sein: Jeder zweite recht. Zwar versucht der Gesetzgeber mit Die Verfolgung außersteuerlicher Ziele ist
Deutsche hält eine „gewisse Steuerhin- der Einführung solcher Normen häufig nicht Sache des Steuerrechts. Ausnah-
terziehung“ für gerechtfertigt, weil un- gerade besonders gerecht zu sein, er- me- und Sonderregelungen machen das
sere Steuergesetze unverständlich und reicht aber oft das Gegenteil. Die vor drei Steuerrecht kompliziert, zerstören die Ge-
ungerecht sind. Zu diesem Ergebnis kam Jahren eingeführte Steuerermäßigung setzessystematik, führen zu Fehlallokati-
eine im Auftrag des Steuerzahlerbundes für Aufwendungen bei „haushaltsnahen onen und wirtschaftlichem Fehlverhalten
durchgeführte Erhebung im Jahr 2008. Beschäftigungsverhältnissen und Dienst- und machen das Steuersystem ungerecht.
leistungen“ beispielsweise brachte derart Nur wenn der Steuerpflichtige übersehen
Verwunderlich ist das nicht. Selbst viele Zweifelsfragen mit sich, dass durch kann, welche steuerlichen Folgen auf ihn
unter Fachleuten ist unstreitig, dass das das Bundesministerium der Finanzen ein und seine Mitbürger zukommen, wird er
deutsche Steuerrecht sich im Laufe der im Bundessteuerblatt 3½ DIN-A4-Seiten das Gefühl haben, in einem gerechten
letzten Jahrzehnte extrem verkompliziert umfassendes Anwendungsschreiben her Steuersystem zu leben.
hat. Was ist der Grund dafür, dass Wasser ausgegeben werden musste. Darin fand
mit einem ermäßigten Umsatzsteuersatz sich die bemerkenswerte Differenzierung, Sandro Nücken ist Promotionsstipendiat der Friedrich-
Naumann-Stiftung für die Freiheit. Der Beitrag ist die
von 7 % belastet wird, Mineralwasser dass Kosten für das Streichen von Innen- Kurzfassung eines Textes, mit dem der Autor den Hayek-
aber mit 19 %? Unzählige Sonder- und wänden eines Hauses steuerbegünstigt Essay-Wettbewerb 2010 gewann.
magazin 1_11 | thema
Fair Play
Fußball und Marktwirtschaft –
da läuft mehr, als man meint
Von euckenserbe
Wettbewerb riecht streng nach Markt Der moderne Staat jedoch will Spieler, folgt, kann es keinen Sieger geben, weil
radikalität und Sozialdarwinismus – ho- Trainer und Schiedsrichter zugleich sein. alle das Gleiche tun. Er scheut den Wett-
hes Ansehen genießt er nicht. Anders am So gehören dem Bund 25 Prozent aller bewerb, seine Dynamik, das beste Ver-
Samstagabend, wenn Fußballdeutschland DAX-Unternehmen. Per Gesetz will er die fahren zur Entdeckung neuen Wissens
Sportschau guckt. Zwei Mannschaften DSL-Investition der Deutschen Telekom (v. Hayek) – vor allem und ausgerech-
unterwerfen sich Regeln, deren Einhal- schützen – der Post-Mindestlohn treibt net im deutschen Bildungssystem. Statt
tung der Schiedsrichter überwacht. Wer den einzigen Konkurrenten in die Pleite. Recht auf Bildung gibt es Schulpflicht.
sie nicht befolgt, wird sanktioniert. Be- Der Staat geht ins Risiko, in den Verlust Der Schüler ist Objekt und nicht Kunde.
dingung für die Autorität des Schieds- (siehe Landesbanken) – der Steuerbür- Die erfolgreiche Schule, die gute Univer-
richters ist seine Neutralität. Am Ende ger trägt die Kosten, als sei er haftendes sität werden nicht belohnt, der schlech-
gewinnt die Mannschaft, die die Anzahl Zwangsmitglied in einem Verein, der Ver- te Lehrer und der faule Professor aber
der eigenen Tore maximiert hat. braucher leidet unter hohen Preisen und bleiben bei voller Bezahlung auf dem
schlechter Leistung. Als Schiedsrichter Platz. Erfolgsorientierte Prämien sind ein
So wie der Fußball funktioniert auch ist der Staat parteiisch, hilft den eigenen Fremdwort.
die Marktwirtschaft. Der Staat wirkt als Mannschaften. Er übersieht hier ein Foul
Schiedsrichter. Auf die Mannschafts- oder gibt da ein gegnerisches Tor nicht. Im Sinne eines fairen Wettbewerbs
aufstellung nimmt er keinen Einfluss. Es So ruiniert er den Wettbewerb. sollte sich der überforderte Staat auf eine
gibt keine Frauen- oder Behindertenquo- Rolle konzentrieren: Er setzt das Regel-
te, aber Polen, Türken, Perser und Ober Der Staat schreibt den Spielern vor, mit werk und spielt den Schiedsrichter. Guten
bayern haben ihre Chance, wenn die Leis welchem Fuß sie aufs Tor schießen sol- Fußball spielen die Bürger und ihre Ver-
tung stimmt. Die Nationalmannschaft ist len. Er scheitert, weil er über das konkrete eine von ganz allein.
kein Beispiel für Multikulti, sondern für Wissen, wann welcher Fuß der richtige ist,
gelungene Integration: Aufgestellt wird nicht verfügt. Er ergänzt abstrakte Regeln
nur, wer sich an die Regeln hält und der um konkrete Ausführungsbestimmungen. euckenserbe betreibt das Blog „Freunde der offenen
Mannschaft einen Mehrwert verspricht. Werden die von allen Mannschaften be- Gesellschaft”: fdogblog.wordpress.com.
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magazin 1_11 | lesetipps
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