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I. Einführung
Die Erforschung der Orthodoxie, erst im 20. Jh. Kräftig gefördert, ist
verschiedene Wege gegangen. Zunächst, wie in der liberalen, Theologie als
heidnisches, dem Geist des Urchristentums fremdes Brauchtum abgetan,
wurde die Orthodoxie in der Folgezeit zunehmend ins Streitfeld der
konfessionsrundlichen Bestimmung des Christentums gezogen. Um die
Orthodoxie als geschichtliches und geistiges Phänomen einordnen und
erfassen zu können, suchte man nach einem Formelprinzip, wobei das
meditative und kultische Element als wesensbestimmend hervorgehoben
wurde. Die Orthodoxie musste demnach ihre eigenen Glaubensquellen sowie
ihre eigene Lehre über die einzelnen im Westen entwickelten Loci theologici
aufweisen. Es war dann unvermeidlich, dass die Orthodoxie dem kath. bzw.
protestantischen Verdikt unterzogen wurde. Obwohl in den gegenwärtigen
Handbüchern für Konfessionskunde das Bild der Orthodoxie erheblich
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objektiver hervortritt (Algermissen, 1969; Ivanka u.a. 1971; Heyer 1977), ist
doch auch ihr Ansatz recht fragwürdig. Auch das postulierte Formelprinzip einer
„politischen Orthodoxie“ (Beck 1980) setzt, wenn auch unbeabsichtigt, im
Grunde westliche Werturteile voraus. Die neuere Forschung hat sich hingegen
bemüht, die Eigenart der Orthodoxie in Offenheit gegenüber ihrem eigenen
Selbstverständnis zu erfassen (vor allem Heiler 1971, Benz 1952, Pelikan 1977,
Sartorius 1981).
Zum Durchbruch der orthodoxen Kirche und Theologie haben die orthodoxen
Theologen selbst wesentlich beigetragen. Ihre Begegnung mit dem Westen
nach dem 1. Weltkrieg (vor allem im Rahmen der ökumenischen Bewegung)
provozierte die Frage nach der Eigenart der Orthodoxie nach ihrem von allen
westlichen Einflüssen vergangener Jahrhunderte gereinigtem, genuinen Bild
(Erster all-orthodoxer Theologenkongress, Athen, 1936). Man glaubte, diesem
Desiderat mit einer neo-patristischen Synthese entgegenkommen zu müssen,
indem man die Aktualisierung des Ethos der Kirchenväter im Anschluss an das
gegenwärtige theol. Denken forderte. Darunter verstand man im Grunde eine
Reihe zentraler Konstanten, die wie ein roter Faden die gesamte theol.,
liturgische, asketische und verfassungsmäßige Entwicklung im Osten
durchziehen, vor allem den trinitarischen Ansatz, den Apophatismus, den
Theandrismus, das biblische Ethos, den liturgischen Realismus und das
synodale System. Im Zuge dieses neugewonnenen Selbstverständnisses und
im Anschluss an die stark geförderten patristischen Studien
(Patriarchatsstiftung für patristische Studien in Thessaloniki), an die
Liturgieforschung (jährliche liturgische Woche im Institut St. Serge, Paris), an
das erneuerte biblische Studium (Erste orthodoxe Bibelkonferenz, Athen 1972)
und an die verbreitete asketische Literatur (Philokalie, Zuwachs des
Mönchtums) streben die orthodoxen Theologen danach, die Orthodoxie als
geistiges Ganzes ins Auge zu fassen, ihre Entwicklung und Ausprägung als
einheitlichen Prozess zu erklären und ihre organische und ungebrochene
Kontinuität mit der alten, ungeteilten Kirche zu beweisen. Diese Forderung wird
damit begründet, dass man im Osten einer Denk- und Lebenshaltung
begegnet, die keine einschneidenden geschichtlichen und theol. Risse erfahren
hat. Mit diesem Anspruch wollen die orthodoxen Theologen die
konfessionalistische Einengung des Christentums überwinden und lebendiges
Zeugnis vom gemeinsamen christl. Glauben ablegen. Dieses Selbstverständnis
bedingt zugleich eine tiefe Erneuerung ihrer eigenen Theologie (Zweiter all-
orthodoxer Theologenkongress Athen 1976).
Will man den Weg der orthodoxen Kirche und Theologie in knappen Zügen
skizzieren, ist zunächst das Ethos der patristischen Synthese, d.h. ihre geistige
Wesensart, deutlich hervorzuheben, somit die Orthodoxie als einheitliches
Ganzes zu erfassen.