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FRANZ V ON SSALES

VON ALES – KKONTRO


ONTRO VERSSCHRIFTEN I
ONTROVERSSCHRIFTEN

1
Deutsche Ausgabe der

WERKE DES HL. FRANZ VON SSALES


VON ALES

Band 10

Nach der vollständigen Ausgabe der

OEUVRES DE SAINT FRANÇOIS DE SALES

der Heimsuchung Mariä zu Annecy (1892-1931)

herausgegeben von den Oblaten den hl. Franz von Sales

unter Leitung von PP.. Dr


Dr.. FFranz
ranz Reisinger OSFS.

2
Franz von Sales

K ONTRO VERSSCHRIFTEN I
ONTROVERSSCHRIFTEN

F ranz-Sales-Verlag
ranz-Sales-V

3
Aus dem Französischen übertragen

von Anneliese Lubinsky und P. Anton Nobis OSFS.

ISBN 3-7721-0040-6
Alle Rechte vorbehalten.
Franz Sales Verlag, Eichstätt
2. Auflage 2003
Herstellung Brönner und Daentler, Eichstätt

4
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W O RRT
T

Die bisher erschienenen neun Bände dieser deutschen Ausgabe der


Werke des hl. Franz von Sales enthalten Schriften des Seelsorgers und
Seelenführers, des Ordensgründers und -reformers, des Theologen und
Mystikers. Sie vor allem begründeten den unvergänglichen Ruhm des
Heiligen als Lehrer des christlichen Lebens und als Führer im Streben
nach christlicher Vollkommenheit. Das Bild seiner Persönlichkeit, sei-
nes Wirkens und seiner Schriften wäre aber einseitig und unvollständig
ohne die Zeugnisse seines Einsatzes und seiner Verdienste um die Über-
windung der Glaubensspaltung. Der Titel eines Kirchenlehrers wurde
ihm ausdrücklich ebenso für die in diesen Schriften enthaltene apologe-
tische wie für seine spirituelle Lehre verliehen.
Die Auseinandersetzung mit der abendländischen Glaubensspaltung
erlebte Franz von Sales seit seiner Kindheit. Er ist 50 Jahre nach dem
Beginn der Reformation in Deutschland und drei Jahre nach dem Ab-
schluß des Konzils von Trient als Ältester einer kernkatholischen Fami-
lie geboren. Sein Vater soll Calvins Werben abgelehnt haben mit der
Begründung, er könne nicht eine Religion annehmen, die zwölf Jahre
jünger als er selbst sei. Seine Heimat Savoyen wurde durch die Religi-
onskriege schwer erschüttert, weite Teile des Landes waren je nach
Kriegslage zeitweise unter protestantische Hoheit gefallen und von der
Kirche getrennt.
Als sie der Herzog von Savoyen zurückgewonnen hatte und sie wieder
katholisch machen wollte, begab sich Franz von Sales im September
1594, weniger als ein Jahr nach seiner Priesterweihe, in das Gebiet süd-
lich des Genfer Sees, als „Kundschafter“ und „Quartiermacher“ für die
geplante Missionierung, wie er selbst sagte, wurde aber unversehens selbst
zum Pionier des Bekehrungswerkes und blieb etwa vier Jahre an der
„Front“, lange Zeit von seinem Auftraggeber allein gelassen, ohne fi-
nanzielle und moralische Unterstützung. Mit geduldiger, zäher Beharr-
lichkeit bearbeitete er den steinigen Boden, säte das Wort Gottes und

5
bereitete die gesegnete Ernte vor, die seine späteren Mitarbeiter und
Nachfolger einbrachten, die ihm aber zu Recht den Ehrentitel des Apo-
stels des Chablais eintrug.
Die Sorge und die Bemühungen um die Wiedervereinigung im Glau-
ben beschäftigten Franz von Sales auch in den folgenden Jahren, zum
Teil literarisch und in Versuchen, theologische Disputationen offiziellen
Charakters zuwege zu bringen, zum größeren Teil in langwierigen Ver-
handlungen über die Reorganisation und finanzielle Sicherung der Seel-
sorge in den wiedergewonnenen Gebieten. Die grundlegende Erfahrung
und Prägung als Apologet gewann er freilich im unmittelbaren Einsatz
jener Jahre im Chablais.
Die Rolle des hl. Franz von Sales bei der Rekatholisierung des Chab-
lais, die in seinen Biographien meist breiten Raum einnimmt, wird in der
protestantischen Darstellung überwiegend negativ beurteilt. Man wirft
ihm insbesondere vor, er habe sie mit politischer Macht und militäri-
scher Gewalt durchgeführt. Diese Darstellung entspricht nicht den ver-
bürgten Tatsachen. Richtig ist wohl, daß das ganze Unternehmen auch
einen politischen Hintergrund und Zusammenhang hatte: der Landes-
herr gab den Auftrag1 (ließ aber aus politischen Rücksichten den Mis-
sionar mehrere Jahre völlig im Stich). Richtig ist auch, daß bei einem
ähnlichen Versuch wenige Jahre vorher „eine große Zahl der Bewohner
... in den Schoß unserer heiligen Mutter Kirche zurückkehrte, mehr be-
eindruckt durch das Krachen der Gewehre als durch die Predigten“, wie
Franz von Sales selbst bestätigt2 (ebenso wie sie zuvor durch kriegeri-
sche Gewalt zum Abfall gezwungen worden waren). Richtig ist schließ-
lich, daß Franz von Sales als Jurist gemäß der damaligen Rechtsauffas-
sung (cujus regio ejus et religio) die Maßnahmen billigte, die der Lan-
desherr nach der erfolgreichen Missionierung traf, so die Ausweisung
der Prädikanten, das Einziehen häretischer Schriften, den Ausschluß
der Hugenotten von öffentlichen Ämtern. Das war aber nicht das Mittel
und die Methode der Missionierung, sondern es geschah zur Sicherung
ihres Erfolges und erst im nachhinein durch den Herzog.

1
„Schließlich hat der Herzog befohlen und der Bischof den Auftrag gegeben. Das
duldet keinen Widerspruch“, sagte Franz von Sales zu seinem Vater, der sich dem
Vorhaben widersetzte. (Nach Charles Auguste de Sales, zitiert von E. J. Lajeunie,
Franz von Sales, Eichstätt 21980, S. 119.)
2
Oeuvres de Saint François de Sales, édition Annecy (zitiert OEA) XI,185.

6
Man kann gerechterweise an Franz von Sales und seine Zeit nicht die
Maßstäbe heutiger Ökumene anlegen. Die Wiederherstellung der Ein-
heit im Glauben konnte damals nur bedeuten, daß die Häretiker ihrem
Irrtum abschworen und „in den Schoß der Mutter Kirche“ zurückkehr-
ten, außerhalb der es kein Heil geben konnte. Diese Häretiker waren
gläubige Menschen, wenn auch in ihrem Glauben irregeleitet. Es ging
also darum, sie durch die apologetische Darlegung der katholischen
Lehre von ihrem Irrtum zu überzeugen. „Wir gehen ja nicht zu Wilden,
um ihre Hütten zu plündern und niederzureißen. Wir kämpfen mit geis-
tigen Waffen, und deshalb wird Gott unseren Worten Überzeugungs-
kraft bei der Verkündigung der Frohbotschaft verleihen.“3 Diese Gläubi-
gen betrachtete Franz von Sales als seine Brüder.
Anders beurteilte er die Urheber der Spaltung, die Reformatoren, und
ihre Nachfolger, die häretischen Theologen und Prediger; sie waren ver-
antwortlich für die Spaltung, wenn auch bei weitem nicht allein schul-
dig.4 Sie sind seine Gegner; sie sind Feinde der Kirche und damit Christi.
Bei ihnen konnte naturgemäß damals nicht der Wunsch nach der Ein-
heit mit der Kirche bestehen; die Auseinandersetzung mit ihnen mußte
die Form der Kontroverse, des theologischen Streitgesprächs anneh-
men. Das Urteil des hl. Franz von Sales über sie ist manchmal hart, aber
er suchte um der Ehre Gottes und des Heils der Seelen willen das Ge-
spräch mit ihnen, leider mit geringem Erfolg. „Glauben Sie mir, mein
Herr, nur die Ehrfurcht, die ich vor der Wahrheit des Evangeliums habe,
vor der Urkirche Unseres Herrn, der S ä u l e u n d G r u n d f e s t e d e r
W a h r h e i t (1 Tim 3,15), so wie der Wunsch, jene, die Jesus Christus
bei der Taufe den Eid geschworen haben, im Haus des Vaters wiederver-
einigt zu sehen, veranlaßt mich, Schwierigkeiten aller Art nachzulaufen,
in der Hoffnung, daß G o t t d a s G e d e i h e n g e b e n w i r d (1 Kor
3,6f). Je mehr ich Ihnen entgegenarbeite, um so mehr bin ich Ihr und
aller anderen sehr demütiger Diener in Gott.“5
Diese ökumenische Geisteshaltung dokumentieren die überlieferten
Kontroversschriften des hl. Franz von Sales. Sie sind in deutscher Spra-

3
Charles-Auguste de Sales, zit. E. J. Lajeunie, a.a.O. 119.
4
Vgl. das Schuldbekenntnis in der Antrittsrede als Dompropst: vor allem das schlechte
Beispiel der Priester und Ordensleute war „Wasser, das sie nährte und erquickte“
(vgl. OEA VII,109, in diesem Band S. 388).
5
An Louis Viret, den Prädikanten in Thonon: OEA XXIII,43 (Band 10, S. 374).

7
che fast völlig unbekannt.6 Es schien daher unvermeidlich, hier von der
ursprünglichen Planung der deutschen Ausgabe abzugehen. Sie sah die
auszugsweise Wiedergabe der „Kontroversen“ und der „Verteidigung der
Kreuzesfahne“ in einem Band vor. Dabei wäre vielleicht manche – in
den Auffassungen der damaligen Zeit bedingte – Grenze und Unvoll-
kommenheit verwischt worden, es würde aber dem Gesamtbild der Per-
sönlichkeit und des Wirkens unseres Heiligen nur unzureichend gerecht.
Daher werden diese Schriften in zwei Bänden veröffentlicht (ohne die
Gesamtzahl der geplanten 12 Bände zu vermehren), um diese beiden
Hauptwerke vollständig wiederzugeben, die in ihrem Charakter ziem-
lich verschieden sind.
Wie in den bisherigen Bänden werden zum Verständnis des Textes
nützliche Einführungen und die notwendigsten Anmerkungen gegeben.
Die Angabe der Schriftstellen erfolgt im Text; auf den Nachweis von
Väterstellen mußte im allgemeinen verzichtet werden. Die Bezeichnung
„ministre“ für die häretischen Religionsdiener wurde durchwegs mit
„Prädikant“ übersetzt. Ein Namen- und Sachregister für beide Bände
wird am Schluß des II. Bandes (Band 11) gegeben.
Die Bezeichnung „Kontroversschriften“ bedarf einer gewissen Ein-
schränkung. Wie oben angedeutet, haben die „Kontroversen“ und die
Predigten einen überwiegend apologetischen Charakter. Daher hielt es
Franz von Sales mit dem Verbot des Codex Justinianus, „öffentlich über
den Glauben zu streiten“, für vereinbar, „die Geheimnisse der Religion
demütig und unterwürfig zu erörtern, bisweilen auch öffentlich in Pre-
digten gegen die Irrlehrer, in öffentlichen Disputationen und Vorlesun-
gen. Das heißt nicht über den Glauben streiten, sondern disputieren,
um die Wahrheit zu erörtern“ (OEA XXII,77).
In diesen Schriften ist, wenigstens im Ansatz, „eine Darstellung der
ganzen Glaubenslehre“ enthalten, wie das Doktorats-Breve feststellt.7

6
Eine Übersetzung der „Fahne des Kreuzes“ von Ludwig Clarus, erschien 1867 in
Schaffhausen (Sämtliche Werke des hl. Franz von Sales, Band 7). Ob in dieser
Reihe auch die „Kontroversen“ erschienen sind, konnte nicht festgestellt werden.
7
Dives in misericordia Deus, Breve Pius IX. vom 16. September 1877: OEA I, pp.
XV-XXIII; deutscher Text in: Jahrbuch für salesianische Studien Bd. 14, Eichstätt
1978 (130-137), 134; und in: Salesianisch Leiten. Der hl. Franz von Sales: 400
Jahre Bischof – 125 Jahre Kirchenlehrer, hg. von der Internationalen Kommission
für salesianische Studien, Eichstätt 2002, 39-47.

8
Im Vordergrund stehen die Wahrheiten, die von den Reformatoren ge-
leugnet und bekämpft wurden, wie die Überlieferung und Auslegung
des Wortes Gottes, die Eucharistie, vor allem aber die Kirche. Aus allem
strahlt eine bewundernswerte Treue und Liebe zur Kirche. Darin liegt
der Schlüssel zum Verständnis des rastlosen Einsatzes des hl. Franz von
Sales für die Verteidigung der Kirche, aber auch zum besseren Verständ-
nis seiner ganzen Lehre. Das rechtfertigt ohne Zweifel die Veröffentli-
chung für den deutschen Leser.

Eichstätt, 24. Januar 1979


P. Anton Nobis OSFS.

9
Inhaltsübersicht

Vorwort
5

A. DIE KKONTRO
ONTROVERSEN
ONTROVERSEN

Einführung 17
An die Herren von Thonon 19
Vorwort 23

Erster Teil:
Ver teidigung der A
erteidigung utorität der Kirche
Autorität

Kapitel I: Erster Grund: die Sendung 27

1. Artikel: Die Prädikanten haben keine Sendung, weder vom


Volk noch von den weltlichen Fürsten 27
2. Artikel: Die Prädikanten haben keine Sendung von den
katholischen Bischöfen empfangen 29
3. Artikel: Die Prädikanten haben keine außerordentliche Sendung 30
4. Artikel: Antwort auf die Argumente der Prädikanten 35

Kapitel II: Irrtümer der Prädikanten über das Wesen der Kirche 39

1. Artikel: Die christliche Kirche ist sichtbar 39


2. Artikel: In der Kirche gibt es Gute und Böse, Vorherbestimmte
und Verworfene 47
3. Artikel: Die Kirche kann nicht untergehen 56
4. Artikel: Antworten auf die Einwände der Gegner 60
5. Artikel: Die Kirche war nie verschwunden oder geheim 62
6. Artikel: Die Kirche kann nicht irren 66
7. Artikel: Die Prädikanten haben gegen die Autorität der Kirche
verstoßen 69

10
Kapitel III: Die Kennzeichen der Kirche 74

1. Artikel: Erstes Kennzeichen: die Einheit der Kirche. Die wahre


Kirche muß eins sein im Haupt 74
2. Artikel: Die katholische Kirche ist geeint unter einem sichtbaren
Haupt: die der Protestanten ist es nicht, und was daraus folgt 79
3. Artikel: Die Einheit der Kirche in Lehre und Glauben. Die wahre
Kirche muß einig sein im Glauben 80
4. Artikel: Die katholische Kirche ist einig im Glauben;
die angeblich Reformierte ist es nicht 81
5. Artikel: Zweites Kennzeichen: die Heiligkeit der Kirche 85
6. Artikel: Die wahre Kirche muß durch Wunder leuchten 85
7. Artikel: Die katholische Kirche begleiten Wunder,
die angebliche nicht 87
8. Artikel: In der wahren Kirche muß der Geist der Prophetie sein 93
9. Artikel: Die katholische Kirche hat den Geist der Prophetie;
die angebliche Kirche hat ihn nicht 93
1 0 . Artikel: Die wahre Kirche muß die Vollkommenheit
des christlichen Lebens verwirklichen 94
1 1 . Artikel: Die Vollkommenheit des christlichen Lebens wird
in unserer Kirche geübt; in der angeblichen Kirche ist sie
mißachtet und abgeschafft 100
1 2 . Artikel: Drittes Kennzeichen: Die Universalität oder
Katholizität der Kirche 102
1 3 . Artikel: Die wahre Kirche muß alt sein 104
14. Artikel: Die katholische Kirche ist sehr alt:
die angebliche ganz neu 104
1 5 . Artikel: Die wahre Kirche muß unvergänglich sein 106
1 6 . Artikel: Unsere Kirche ist unvergänglich; die angebliche nicht 110
1 7 . Artikel: Die wahre Kirche muß umfassend sein nach Orten
und Personen 110
18. Artikel: Die katholische Kirche ist umfassend nach
Orten und Personen; die angebliche nicht 113
19. Artikel: Die wahre Kirche muß fruchtbar sein 115
20. Artikel: Die katholische Kirche ist fruchtbar;
die angebliche nicht 116
21. Artikel: Viertes Kennzeichen: der Titel der
apostolischen Kirche 117

11
Zweiter Teil:
Die Regeln des Glaubens
Vorwort 119

Kapitel I: Die sogenannten Reformatoren haben gegen die


Heilige Schrift, die erste Regel unseres Glaubens, verstoßen 123
1. Artikel: Die Heilige Schrift ist eine echte Regel des
christlichen Glaubens 123
2. Artikel: Wie sehr man auf ihre Unversehrtheit bedacht sein muß 124
3. Artikel: Die heiligen Bücher des Wortes Gottes 125
4. Artikel: Erster Verstoß der Reformatoren gegen die Heilige Schrift:
sie unterdrücken einige Teile 127
5. Artikel: Zweiter Verstoß gegen die Heilige Schrift durch die Regel,
die die Reformatoren aufstellen, um die heiligen Schriften von den
anderen zu unterscheiden. Einige Streichungen, die sich daraus
ergeben 132
6. Artikel: Wie die Würde der Heiligen Schrift verletzt wird in
häretischen Auslegungen und Übersetzungen 137
7. Artikel: Die Profanierung in Volksausgaben 139
8. Artikel: Die Profanierung durch die Verwendung der
Umgangssprache in öffentlichen Gottesdiensten 142
9. Artikel: Die Profanierung der Psalmen, indem man der
Übersetzung von Marot folgt und sie unterschiedslos überall singt 144
1 0 . Artikel: Die Profanierung durch das angeblich leichte Verständnis
der Heiligen Schrift 146
1 1 . Artikel: Antwort auf Einwände und Abschluß dieses ersten Kapitels 148

Kapitel II: Die sogenannte Kirche hat gegen die apostolischen


Überlieferungen verstoßen, die zweite Regel des christlichen
Glaubens 152
1. Artikel: Was wir unter apostolischer Überlieferung verstehen 152
2. Artikel: Daß es apostolische Überlieferungen in der Kirche gibt 155

Kapitel III: Daß die Prädikanten gegen die Autorität der


Kirche verstoßen haben, die dritte Regel unseres Glaubens 157
1. Artikel: Daß wir außer dem Wort Gottes noch eine
andere Regel brauchen 157
2. Artikel: Die Kirche ist eine unfehlbare Regel unseres Glaubens 162

12
Kapitel IV: Daß die Prädikanten gegen die Autorität der
Konzile verstoßen haben, die vierte Regel unseres Glaubens 163
1. Artikel: Zunächst von den Eigenschaften eines echten Konzils 163
2. Artikel: Wie heilig und unverletzlich die Autorität
der allgemeinen Konzile ist 167
3. Artikel: Wie sehr die Prädikanten die Autorität der Konzile
mißachtet und verletzt haben 170

Kapitel V: Die Prädikanten haben gegen die Autorität der


Kirchenväter verstoßen, die fünfte Regel unseres Glaubens 175
1. Artikel: 1. Welche Ehrfurcht die Autorität der alten Väter
verdient 175

Kapitel VI: Die Prädikanten haben gegen die Autorität


des Papstes verstoßen, die sechste Regel unseres Glaubens 177
1. Artikel: Erste Verheißung (an den hl. Petrus) 177
2. Artikel: Lösung einer Schwierigkeit 182
3. Artikel: Von der zweiten Verheißung an den hl. Petrus:
Und dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben 185
4. Artikel: Von der dritten Verheißung, die dem hl. Petrus
gemacht wurde 190
5. Artikel: Von der Erfüllung der Verheißungen 192
6. Artikel: Die Ordnung, nach der die Evangelisten die
Apostel aufzählen 196
7. Artikel: Einige weitere Hinweise auf den Primat des hl. Petrus,
die in der Heiligen Schrift verstreut sind 198
8. Artikel: Das Zeugnis der Kirche für diese Tatsache 201
9. Artikel: Der hl. Petrus hatte als Stellvertreter Unseres Herrn
Nachfolger 203
1 0 . Artikel: Die erforderlichen Bedingungen für die Nachfolge 203
1 1 . Artikel: Daß der Bischof von Rom der echte Nachfolger des
hl. Petrus und das Oberhaupt der streitenden Kirche ist 205
1 2 . Artikel: Kurze Beschreibung des Lebens des hl. Petrus und
der Einsetzung seiner ersten Nachfolger 208
1 3 . Artikel: Bestärkung alles oben Gesagten durch die Namen,
die das Altertum dem Papst gab 212
14. Artikel: Was man von der Autorität des Papstes halten muß 215
1 5 . Artikel: Wie die Prädikanten gegen diese Autorität verstoßen
haben 221

13
Kapitel VII: Daß die Prädikanten gegen die Autorität
der Wunder verstoßen haben, die 7. Regel unseres Glaubens 226
1. Artikel: Wie eindrucksvoll die Wunder sind, um den Glauben
zu festigen 226
2. Artikel: Wie die Prädikanten gegen den schuldigen Glauben
an das Zeugnis der Wunder gefehlt haben 229

Kapitel VIII: Daß die Prädikanten gegen die natürliche


Vernunft verstoßen haben, die 8. Regel unseres Glaubens 235
1. Artikel: Inwiefern die natürliche Vernunft und die Erfahrung
eine Regel rechten Glaubens sind 235
2. Artikel: Wie sehr die Prädikanten gegen die Vernunft und
die Erfahrung verstoßen haben 237
3. Artikel: Daß die Analogie des Glaubens den Prädikanten nicht
dazu dienen kann, ihre Lehre zu begründen 239
4. Artikel: Abschluß des ganzen zweiten Teils durch eine kurze
Sammlung mehrerer Vorzüge der katholischen Kirche
gegenüber den Anschauungen der Häretiker unserer Zeit 245

Dritter Teil:

Die Regeln des Glaubens


werden in der katholischen Kirche gewahr
gewahrtt

Vorwort 247

Kapitel I: Von den Sakramenten 250

1. Artikel: Der Name Sakrament 250


2. Artikel: Von der Form der Sakramente 251
3. Artikel: Von der erforderlichen Absicht bei der Spendung
der Sakramente 256

Kapitel II: Vom Fegefeuer 259

1. Artikel: Vom Namen Fegefeuer 260


2. Artikel: Von den Leugnern des Fegefeuers und von den
Beweisen für das Fegefeuer 261

14
3. Artikel: Einige Schriftstellen, die von der Läuterung nach diesem
Leben handeln, von einer Zeit und einem Ort dafür 263
4. Artikel: Eine weitere Stelle aus dem Neuen Testament
zu diesem Gegenstand 265
5. Artikel: Einige weitere Schriftstellen, durch die das Gebet,
das Almosen und die guten Werke für die Verstorbenen
bestätigt werden 268
6. Artikel: Einige Stellen der Heiligen Schrift, durch die
bewiesen wird, daß manche Sünden in der anderen Welt
vergeben werden 272
7. Artikel: Einige weitere Schriftstellen, aus denen man durch
verschiedene Folgerungen die Wahrheit des Fegefeuers ableitet 276
8. Artikel: Von den Konzilen, die den Glaubensartikel vom
Fegefeuer angenommen haben 276
9. Artikel: Von den alten Vätern 278
1 0 . Artikel: Zwei hauptsächliche Vernunftgründe und das Zeugnis
von Fremden über das Fegefeuer 279

B. APOLOGETISCHE PREDIGTEN

Einführung 281

23 18. 9. 1594 Über die Sendung der Hirten der Kirche 282
24 E. 9. 1594 Über die Sichtbarkeit der Kirche 285
25 Okt. 1594 Von der Unvergänglichkeit der Kirche 291
26 E. 10. 1594 Über die Transsubstantiation und das Meßopfer 296
27 5. 2. 1595 Zum Sonntag Quinquagesima (Bd. 9, S. 61) –
28 25. 3. 1595 Über den Englischen Gruß 301
29 23. 4. 1595 Zum 4. Sonntag nach Ostern 304
30 21. 5. 1595 Zum Fest der heiligsten Dreifaltigkeit (Bd. 9) –
31 1. 8. 1595 Zum Fest Petrus in vinculis 310
32 17. 9. 1595 Vorbilder und Vorhersage der heiligen
Eucharistie im Alten Testament 311
33 1595 Über die Reliquien der Heiligen 315
34 1595 Notizen für verschiedene Predigten 318
35 1596 Über das Wort Gottes 320
36 13. 4. 1596 Die wirkliche Gegenwart Unseres Herrn
in der Eucharistie 322

15
37 13. 6. 1596 Zum Fronleichnamsfest 323
38 16. 6. 1596 Zum Sonntag in der Fronleichnamsoktav 327
39 20. 6. 1596 Zum Oktavtag von Fronleichnam 329
41 9. 2. 1597 Zum Sonntag Sexagesima (Bd. 9, S. 73) –
42 1597 Bei einer Kircheneinweihung 330
43 7. 1597 Über die heilige Eucharistie I (Bd. 9, S. 77) –
44 7. 1597 Über die heilige Eucharistie II (Bd. 9, S. 82) –
45 7. 1597 Über die heilige Eucharistie III (Bd. 9, S. 92) –

C. BRIEFE UND MEMORANDEN

Einleitung 337

I. Bemühungen um einen mündlichen Dialog 338

II. Kurze Betrachtung über das apostolische Glaubensbekenntnis 357

III. Zwei Schreiben an Louis Viret als Antwort auf dessen Angriffe
gegen die Jungfräulichkeit der Gottesmutter Maria 363

IV. Fragen an die Prädikanten der sogenannten reformierten Religion


zu ihrer Lehre über das Abendmahl 374

V. Memorandum über die Bekehrung der Häretiker


und ihre Wiedervereinigung mit der Kirche 379

Anhang: Antrittsrede als Dompropst 383

Anmerkungen 391

16
A. Die KKontroversen
ontroversen
Einführung

Franz von Sales traf mit seinem Vetter Louis de Sales am 17. September 1594
im Chablais ein. Schon am nächsten Tag predigte er in der Kirche St. Hippolyth zu
Thonon vor wenigen Katholiken, die zumeist im Dienst des Herzogs von Savoyen
standen (s. S. 282ff). Bald wurden von den Themen seiner Predigten auch promi-
nente Protestanten angelockt, die allerdings nicht offen zu erscheinen wagten.
Das erschreckte die Stadtväter und das Konsistorium, denn der Prädikant Viret
vermochte auf die Fragen, die der Propst aufwarf, keine überzeugende Antwort
zu geben. Daher ließ man anfangs Oktober die Mitglieder beider Körperschaften
schwören, daß sie keine Predigt des „Papisten“ besuchen werden. Franz von Sales
war klar, was sie damit erreichen wollten: „Sie möchten, daß wir die Hoffnung auf
einen Erfolg unserer Mission aufgeben, und wollen uns zum Rückzug zwingen.
Doch bei uns erreichen sie das Gegenteil“ (OEA XI,92).
Er setzte seine Predigten vor wenigen Zuhörern fort, legte in persönlichen,
meist geheimen Gesprächen die Lehre der Kirche dar, suchte aber nach einem
Weg, mit seiner Verkündigung die breite Schicht des Volkes zu erreichen, das, von
der Obrigkeit eingeschüchtert, nicht zu seinen Predigten zu kommen wagte. So
begann er, etwa im Januar 1595, den Inhalt seiner Predigten auf Flugblättern
festzuhalten, die er verteilen und auf öffentlichen Plätzen anschlagen ließ. Dar-
aus entstand der Plan, die wesentlichen Inhalte der katholischen Glaubenslehre
schriftlich darzulegen. Diese Absicht kündigte er den „Herren von Thonon“ in
einem Schreiben vom 25. Januar 1595 an.
Eine große Schwierigkeit bei dieser Arbeit, die er meist in den Nachtstunden
leisten mußte, bestand darin, daß ihm die dafür benötigten Bücher in Thonon
nicht zur Verfügung standen (vgl. OEA XI,110). So bat er am 21. 7. 1595 (OEA
XI,166) Petrus Canisius um die Lösung einer exegetischen Schwierigkeit. Er hatte
auch keine Erlaubnis, häretische Bücher zu lesen, so daß er weder Calvin noch
Beza richtig zitieren konnte (OEA XI,166; vgl. XI,196). Trotzdem konnte er
Ende Oktober 1595 seinem Freund Antoine Favre gute Fortschritte der Arbeit
melden (OEA XI,162), die er vermutlich Ende Januar 1596 im wesentlichen
abgeschlossen hat.
Franz von Sales faßte bald nach Beginn dieser Arbeit den Plan, sie als Ganzes
zu veröffentlichen, und bat Favre, einen Drucker dafür zu suchen (OEA XI, 397).
Daher behielt er je ein Exemplar der Flugblätter zurück und verfaßte ein Vorwort
sowie eine Widmung an den Herzog von Savoyen. Die Manuskripte weisen man-
che Änderungen und Bemerkungen auf, die auf eine Bearbeitung für die Veröf-
fentlichung hinweisen. Zu einer abschließenden Redaktion aber fehlte offenbar

17
die Zeit. Noch 1598 schlug er als eine der erforderlichen Maßnahmen zur Konso-
lidierung der Missionsarbeit die Errichtung einer Druckerei in Annecy vor (OEA
XI,337), „weil die Werke der katholischen Autoren unveröffentlicht bleiben, da
ihnen kein Drucker zur Verfügung steht und es zu unsicher ist, die Arbeiten nach
Lyon zu schicken.“ Sein Ausscheiden aus der Chablais-Mission, die Ernennung
zum Koadjutor des Bischofs und 1602 zum Bischof trugen sicher wesentlich dazu
bei, daß die geplante Veröffentlichung nicht mehr zustandekam.
Im Februar 1609 schrieb er an Erzbischof de Villars von seinem Plan, eine
„Anleitung für Neulinge im Predigtamt“ zu schreiben mit einer Methode, „die
Häretiker durch die heilige Predigt zu bekehren“; dafür wollte er die „meditations“
verwenden, die er während fünf Jahren im Chablais geschaffen hatte (OEA
XIV,126f). Doch nach seinem Tod fanden sich die Manuskripte nicht unter sei-
nem Nachlaß. Sein Neffe und Biograph Charles-Auguste de Sales entdeckte sie
erst 1658 im Archiv des Schlosses de la Thuille, so daß die Abschrift noch in die
Akten des zweiten Seligsprechungsprozesses aufgenommen werden konnte. Die
Originale schenkte er Papst Alexander VII. der sie der Bibliothek Chigi einver-
leibte. Dort befinden sie sich noch, mit Ausnahme einiger Blätter, die im Archiv
der Heimsuchung von Annecy aufbewahrt werden.
Die Kommissare des Seligsprechungsprozesses, die diese Manuskripte sehr schätz-
ten, gaben den Anstoß zu ihrer Veröffentlichung, die P. Jacques Harel vorbereitete.
Sie erfolgte 1672 durch Léonard und bildete den 8. Band seiner Ausgabe der Werke
des hl. Franz von Sales unter dem Titel „Kontroversen“. Diese wurden 1821 von
Blaise in seine Ausgabe übernommen, mit allen Mängeln der ersten Ausgabe, mit
Anmerkungen, die den Text im Sinn der „gallikanischen Freiheiten“ umdeuteten.
Erst die Annecy-Ausgabe bietet den ursprünglichen Text nach den Manuskripten
von Rom und Annecy als ersten Band der Gesamtausgabe.
Franz von Sales hatte seine Arbeit „Mémorial“ oder „meditations“ genannt; der
Titel „Kontroversen“ stammt nicht von ihm, sondern vom ersten Herausgeber,
hat sich aber durchgesetzt. Er wird dem Werk nicht ganz gerecht, denn es ist nicht
in erster Linie polemisch, sondern apologetisch. Franz von Sales ging es vor allem
darum, die katholische Glaubenslehre darzulegen, ihre Wahrheit zu beweisen und
sie dann gegen die Irrlehren seiner Zeit zu verteidigen. In seinem theologischen
Optimismus war er überzeugt, daß die Kenntnis der Wahrheit zum Glauben füh-
ren mußte.
Das Dekret seiner Erhebung zum Kirchenlehrer sagt von den „Kontroversen“:
in ihnen „erstrahlt offenkundig eine erstaunliche Kenntnis der Theologie, eine
treffliche Methode, eine unwiderstehliche Kraft der Argumente, sowohl in der
Widerlegung der Irrlehren wie in der Darstellung der katholischen Wahrheit.“ Es
bedarf wohl keiner Rechtfertigung, daß er als Theologe seiner Zeit argumentierte,
nach den damaligen theologischen Auffassungen und nach dem Stand der Schrift-
auslegung jener Zeit, die in manchen Punkten heute als überholt gilt. Es wäre
unnütz, diese Grenzen leugnen oder verwischen zu wollen. Was aber dieses Werk
vor allem auszeichnet, ist die große Liebe des Verfassers zur Kirche. Sie hat ihn zu
ihrem glühenden Verteidiger und unermüdlichen Lehrer gemacht.

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An die Herren von Thonon

Meine Herren,

seit einiger Zeit predige ich nun schon das Wort Gottes in eurer Stadt;
eure Leute hören mich aber nur selten, nur zum Teil und im Geheimen.
Um nun meinerseits nichts zu versäumen, habe ich mich darangemacht,
einige der wichtigsten Begründungen schriftlich darzulegen, die ich für
den Großteil der Predigten und Abhandlungen zur Verteidigung des Glau-
bens der Kirche ausgewählt habe. Ich hätte ja gewünscht, ebenso angehört
zu werden wie die Ankläger (der Kirche), denn das gesprochene Wort ist
lebendig, das geschriebene tot. „Die lebendige Stimme“, sagt der hl. Hie-
ronymus, „hat, ich weiß nicht wie, eine geheime Kraft und das gesproche-
ne Wort wirkt unmittelbarer auf das Herz als das geschriebene.“ Das
veranlaßte den glorreichen Apostel Paulus (Röm 10,14f.17) zu schrei-
ben: „Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Und
wie sollen sie von ihm hören ohne Prediger? Der Glaube kommt vom Hö-
ren, das Hören vom Wort Gottes.“ Am günstigsten wäre es also für mich
gewesen, wenn man mich angehört hätte; da dies nicht zutrifft, wird diese
Schrift nicht ohne Nutzen sein, denn:
1. Sie wird zu euch bringen, was ihr nicht bei uns in der Versammlung
empfangen wollt. 2. Sie wird jene zufriedenstellen, die mir auf meine
Ausführungen erwidern, sie möchten diese gern in Gegenwart eines Prä-
dikanten prüfen, denn schon die Anwesenheit des Gegners bringe sie ins
Wanken, lasse sie verblassen und vergehen, nehme ihnen jeden Gehalt.
Jetzt können sie ihnen alles vorlegen. 3. Das Geschriebene kann man
besser erörtern. Es läßt mehr Muße zum Überlegen als das gesprochene
Wort und man kann gründlicher darüber nachdenken. 4. Auf diese Weise
wird man sehen, wenn ich die zahllosen Greuel bestreite, die man den
Katholiken vorwirft, dann nicht deswegen, um mich der Auseinanderset-
zung zu entziehen, wie einige gesagt haben, sondern um der Absicht der
Kirche zu folgen. Da ich sie vor aller Augen niederschreibe und sie dem
Urteil der Vorgesetzten unterwerfe, bin ich sicher, daß sie darin zwar viel
Unwissenheit finden werden, aber mit Gottes Hilfe keinen Unglauben
und nichts, was im Widerspruch zu den Erklärungen der römischen Kir-
che stünde.

19
Trotzdem muß ich zur Entlastung meines Gewissens bekennen, daß
mich alle diese Überlegungen nicht zum Schreiben veranlaßt hätten, denn
das ist ein Fachgebiet, das gelehrten und gebildeten Geistern zusteht. Man
muß außergewöhnlich gelehrt sein, um gut zu schreiben. Mittelmäßige
Geister sollen sich mit dem Sprechen begnügen; dabei verleihen Gesten,
Stimme und Haltung dem Wort Glanz. Mein Geist, der zu den geringsten
und allenfalls zu denen an der Untergrenze der mittelmäßigen gehört,
kann dabei keinen Erfolg haben. Ich hätte auch nicht daran gedacht, hätte
nicht ein bedeutender, kluger Edelmann mich dazu aufgefordert und er-
mutigt, was schon vorher mehrere meiner engsten Freunde für gut befun-
den hatten, deren Ansicht ich so sehr schätze, daß ich auf meine eigene
nur etwas gebe, wenn ich keine andere kenne.
Hier habe ich also einige der wichtigsten Begründungen des katholi-
schen Glaubens niedergeschrieben. Sie zeigen klar, daß alle im Irrtum
sind, die von der katholischen, apostolischen römischen Kirche getrennt
sind. Ich sende sie euch gern und übergebe sie in der Hoffnung, daß die
Gründe, die euch daran hindern, mich anzuhören, euch nicht daran zu
hindern vermögen, diese Schrift zu lesen. Ich versichere euch übrigens,
daß ihr nie eine Schrift gelesen habt, die euch von einem Menschen über-
geben wurde, der mehr als ich zu eurem geistlichen Dienst bereit wäre.
Ich kann euch wohl sagen, daß ich nie einen Auftrag mit größerem Mut
empfangen habe als den unseres hochwürdigsten Bischofs, als er mich auf
Wunsch Seiner Hoheit, dessen Brief er mir übergab, hierher kommen
ließ, um euch das heilige Wort Gottes zu bringen. Ich dachte auch, daß
ich euch nie einen größeren Dienst erweisen könnte. Da ihr die Regel
eures Glaubens nur von der Auslegung der Heiligen Schrift ableitet, die
ihr für die beste haltet, glaubte ich in der Tat, ihr wolltet auch die noch
hören, die ich euch biete, d. h. die der apostolischen römischen Kirche.
Die habt ihr bisher nur getrübt, ganz entstellt und vom Gegner verunstal-
tet gesehen. Er weiß sehr wohl, daß ihr diese nie aufgegeben hättet, hättet
ihr sie unverfälscht kennengelernt.
Die Zeiten sind böse. Das Evangelium des Friedens kann höchstens
unter großen Seufzern des Krieges empfangen werden. Doch ich verliere
den Mut nicht. Die etwas späteren Früchte halten sich viel besser als die
frühreifen. Ich hoffe, wenn Unser Herr euren Ohren einmal sein heiliges
Effata (Mk 7,34) zuruft, wird dieses späte Reifen zu viel größerer Festig-
keit führen.
Nehmt also diese Gabe, die ich euch anbiete, gut auf, meine Herren,
und lest meine Ausführungen aufmerksam. Der Arm Gottes ist nicht

20
gelähmt und nicht einseitig. Er zeigt seine Macht gern an Geringem und
Grobem. Nachdem ihr so bereitwillig die eine Seite angehört habt, bringt
auch die Geduld auf, die andere zu hören. Dann, ich fordere euch dazu im
Namen Gottes auf, dann nehmt euch die Zeit und die Muße, euren Ver-
stand zu beruhigen. Bittet Gott, euch mit seinem Heiligen Geist beizuste-
hen bei einer Entscheidung von so großer Wichtigkeit, damit sie euch
zum Heil gereiche. Vor allem aber bitte ich euch, laßt keine andere Liebe
von eurem Herzen Besitz ergreifen als die unseres Herrn und Heilands
Jesus Christus, durch die wir alle losgekauft wurden und gerettet werden,
wenn anders es nicht an uns liegt, da er wünscht, daß alle Menschen geret-
tet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1 Tim 2,4). Ich bitte
seine heilige Majestät, er möge mir und euch in dieser Sache helfen.

Am Fest der Bekehrung des hl. Paulus (25. Januar 1595).

21
22
Vo rrwor
wor
wortt

Die Tatsache, daß die Menschen sehr leicht Anstoß nehmen, veranlaßte
Unseren Herrn anscheinend zu sagen, es sei unmöglich, daß kein Ärgernis
kommt (Lk 17,1), oder wie der hl. Matthäus (18,7) sagt, daß Ärgernisse
kommen müssen: denn wenn die Menschen ihr Übel sogar an ihrem Für-
sten selbst wahrnehmen, wie könnte es da ausbleiben, daß die Welt daran
Anstoß nimmt, in der es so viel Schlechtes gibt?
Nun gibt es drei Arten von Ärgernissen, die alle drei ihrer Natur nach
schlecht sind, aber auf verschiedene Weise. Es gibt ein Ärgernis, das unse-
re gelehrten Theologen aktiv nennen; das ist eine schlechte Handlung,
die einen anderen veranlaßt, etwas Schlechtes zu tun. Der Mensch, der
dieses Ärgernis erregt, heißt mit Recht anstößig. Die beiden anderen Ar-
ten der Ärgernisse heißen passive, aber die einen passive Ärgernisse ab
extrinseco, die anderen ab intrinseco: denn von denen, die Anstoß neh-
men, geschieht es bei den einen durch schlechte Handlungen eines ande-
ren, und das sind die, denen das aktive Ärgernis gegeben wird, wenn sie
ihren Willen nach dem Ärgernis richten; die anderen nehmen Ärgernis
durch ihre eigene Schlechtigkeit. Da sie keinen anderen Anstoß haben,
erdichten und erfinden sie das Ärgernis, das ganz ihr eigenes Erzeugnis
ist.
Wer einem anderen Ärgernis gibt, fehlt gegen die Nächstenliebe; wer
sich selbst Ärgernis gibt, fehlt gegen die Liebe zu sich selbst; und wer
Anstoß nimmt durch andere, dem fehlt es an Kraft und Mut. Der erste
erregt Anstoß, der zweite erregt und nimmt Anstoß, der dritte nimmt nur
Anstoß. Das erste Ärgernis heißt datum, gegeben, das zweite acceptum,
empfangen, das dritte receptum, angenommen. Das erste übertrifft das
dritte an Schlechtigkeit, das zweite übertrifft das erste soviel, als es das
erste und das dritte zusammen enthält, da es zugleich aktiv und passiv ist
und weil es eine unnatürlichere Grausamkeit ist, sich selbst zu schinden
und zu morden, als einen anderen zu töten.
Alle diese Arten von Ärgernissen gibt es überreich in der Welt und man
sieht nichts so dicht gesät wie das Ärgernis; es ist das wichtigste Gewerbe
des Teufels, von dem Unser Herr (Mt 18,7) sagte: Wehe der Welt ob der
Ärgernisse. Aber der Anstoß, den man ohne Anlaß nimmt, hat den ersten
Rang von allen, ist am häufigsten, am gefährlichsten und schädlichsten;
und nur von diesem ist Unser Herr der Gegenstand für Menschen, die

23
sich der Bosheit ergeben haben. Doch ein wenig Geduld: Unser Herr
kann nicht Ärgernis geben, denn in ihm ist alles überaus gut; er kann
keinen Anstoß nehmen, denn er ist überaus mächtig und weise. Wie kann
es also geschehen, daß man an ihm Anstoß nimmt und daß er zum Unter-
gang vieler gereicht?
Es wäre eine schreckliche Gotteslästerung, unser Übel seiner Majestät
zuzuschreiben. Er will, daß alle gerettet werden und zur Erkenntnis der
Wahrheit gelangen (1 Tim 2,4). Er will nicht, daß einer verlorengehe (2 Petr
3,9). Unser Verderben kommt von uns und unsere Hilfe von der göttlichen
Güte (Hos 13,9). Weder Unser Herr noch sein heiliges Wort gibt uns also
Ärgernis, sondern wir selbst nehmen Anstoß an ihm. Das ist die rechte
Art, in diesem Punkt zu sprechen, die er selbst gelehrt hat mit den Wor-
ten: Glücklich, wer keinen Anstoß an mir nimmt (Mt 11,6). Und wenn es
heißt, daß er gesandt ist zum Untergang vieler, so muß man das verstehen
von der Tatsache, daß sich viele an ihm zugrundegerichtet haben, nicht
nach der Absicht der höchsten Güte, die ihn nur gesandt hat als Licht zur
Erleuchtung der Heiden und zur Verherrlichung Israels (Lk 2,32.34). Wenn
es Leute gibt, die das Gegenteil behaupten wollen, dann bleibt ihnen nur,
ihrem Erlöser mit seinem eigenen Wort zu fluchen: Wehe dem, durch den
das Ärgernis kommt (Mt 18,7). Suchen wir doch in uns die Ursache unse-
rer Fehler und Sünden; deren einzige Quelle ist unser Wille. Unsere
Stammutter Eva wollte sich wohl entschuldigen mit der Schlange, und ihr
Mann mit ihr, aber ihre Ausrede war nicht annehmbar. Sie hätten besser
daran getan, ein ehrliches „peccavi“ zu sprechen wie David, dem die Sün-
de unverzüglich vergeben wurde.
Das alles habe ich gesagt, meine Herren, damit ihr erkennt, woher die
große Uneinigkeit der Willen in der Frage der Religion kommt, die wir
unter denen feststellen, die sich mit dem Mund zum Christentum beken-
nen. Das ist das hauptsächliche und schwerste Ärgernis der Welt, das im
Vergleich mit allen anderen allein den Namen Ärgernis verdient. Und es
scheint gleichsam ganz das gleiche zu sein, wenn Unser Herr sagt: Es ist
notwendig, daß Ärgernisse kommen; und wenn der hl. Paulus (1 Kor 11,19)
schreibt: Es ist notwendig, daß es Irrlehren gibt. Doch dieses Ärgernis
wandelt sich mit der Zeit und wie eine stürmische Bewegung wird es sich
immer mehr abschwächen in seiner Schlechtigkeit. Denn bei denen, die
die Entzweiung und den Bürgerkrieg unter den Christen beginnen, ist die
Häresie ein Ärgernis im engsten Sinn, passiv ab intrinseco, und im Haupt
des Vaters der Häresie gibt es nichts Schlechtes, das nicht in seinem Wil-
len gründete; daran hat niemand teil außer ihm. Das Ärgernis der ersten,

24
die er verführt, verteilt sich bereits, aber ungleichmäßig; denn das Haupt
der Häresie hat daran einen Teil wegen seines Einflusses, die Verführten
haben einen Teil davon, uzw. um so größer, je weniger Grund sie hatten,
ihm zu folgen. Wenn dann die Häresie Fuß gefaßt hat, haben jene stets
weniger teil an der Schuld, die unter Häretikern von häretischen Eltern
geboren werden. Doch kommt es nie vor, daß nicht die einen wie die
anderen große Schuld trifft, besonders die unserer Zeit, die gewisserma-
ßen alle im fast rein passiven Ärgernis leben. Denn die Heilige Schrift,
die sie gebrauchen, die Nachbarschaft der echten Christen, die Kennzei-
chen, die sie an der wahren Kirche sehen, berauben sie jeder Entschuldi-
gung für ihre Haltung. So kann ihnen die Kirche, von der sie sich getrennt
haben, die Worte ihres Bräutigams (Joh 5,39) vorhalten: Forscht in den
Schriften, in denen ihr das ewige Leben zu besitzen glaubt; sie geben Zeug-
nis von mir; außerdem (Joh 10,25): Die Werke, die ich im Namen meines
Vaters tue, geben Zeugnis für mich.
So habe ich gesagt, daß ihr Ärgernis ganz oder fast ganz passiv ist ... Man
weiß ja wohl, daß der Grund, den sie für ihre Trennung und Abweichung
zu haben vorgeben, der Irrtum ist, die Unwissenheit, der Götzendienst,
die angeblich in der Kirche herrschen. Es ist übrigens ganz sicher, daß die
Kirche als Ganzes kein Ärgernis geben und nehmen kann, wie ihr Bräuti-
gam, der ihr durch Gnade und besonderen Beistand mitteilt, was ihm von
Natur aus eigen ist. Er ist ja ihr Haupt (Eph 1,22); er lenkt ihre Schritte
auf dem rechten Weg. Die Kirche ist sein mystischer Leib (Kol 1,24), und
dadurch empfängt sie für sich die Ehre und die Verachtung, die ihm er-
wiesen wurden (Lk 10,16). Daher kann man nicht sagen, sie gebe, nehme
oder empfange irgendwie Ärgernis. Wer also an ihr Anstoß nimmt, den
trifft selbst alle Schuld und Sünde; sein Ärgernis hat keinen anderen Grund
als seine eigene Bosheit, die ihn kitzelt, um ihn in seiner Schlechtigkeit
lachen zu lassen.
Das möchte ich nun in dieser kleinen Abhandlung zeigen. Ich habe
keine andere Absicht, meine Herren, als euch zu zeigen, daß diese Susan-
na zu Unrecht beschuldigt wird und daß sie allen Grund hat, sich über
alle zu beklagen, die sich ihren Anordnungen widersetzen, dies mit den
eigenen Worten ihres Bräutigams: Sie hassen mich mit ungerechtem Haß
(Joh 15,25). Ich werde es auf zweifache Weise tun: 1. durch einige allge-
meine Grundsätze, 2. durch bestimmte Beispiele der hauptsächlichen
Schwierigkeiten, die ich gleichsam als Proben vorlegen werde. Was so
viele gelehrte Männer geschrieben haben, bezieht sich darauf und kommt
darin vor, aber nicht unmittelbar, denn jeder legt sich einen eigenen Weg

25
zurecht. Ich werde versuchen, alle Linien meiner Ausführungen auf die-
sen Punkt wie auf das Zentrum zurückzuführen, so gut ich es vermag. Der
erste Teil wird gewissermaßen für alle Formen der Häresie in gleicher
Weise gelten, der zweite wird sich mehr an jene wenden, zu deren Wieder-
vereinigung wir besonders verpflichtet sind.
So viele große Persönlichkeiten haben in unserer Zeit geschrieben, daß
die Nachwelt gewissermaßen nichts mehr zu sagen hat, sondern nur zu
bedenken, zu lernen, nachzuahmen und zu bewundern. Ich werde hier
also nichts Neues sagen und möchte es nicht anders machen. Alles ist alt
und von mir ist fast nichts als der Faden und die Nadel; alles übrige hat
mich nichts gekostet, als es zu zertrennen und auf meine Weise zusam-
menzunähen, nach der Weisung des Vinzenz von Lerin: Eadem tamen
quae didicisti ita doce, ut cum dicas nove non dicas nova.1 Diese Abhand-
lung wird vielleicht einigen zu kurz erscheinen: das kommt nicht von
meinem Geiz, sondern von meiner Dürftigkeit. Mein Gedächtnis hat zu
wenige Hilfsmittel, es erstreckt sich nur von einem Tag zum anderen, und
ich habe nur sehr wenige Bücher hier, aus denen ich mich bereichern
könnte. Nehmt diese Schrift trotzdem günstig auf, ihr Herren von Tho-
non, ich bitte euch darum. Und wenn ihr auch deren mehrere andere
gesehen habt, die besser gemacht und inhaltsreicher sind, so befaßt doch
euren Verstand ein wenig mit dieser hier, die eurer Verfassung womög-
lich besser entspricht als andere; ihre Art ist ja ganz savoyisch, und eines
der nützlichsten Rezepte und letzten Heilmittel ist die Rückkehr zur
reinen Luft. Wenn euch diese nicht genügt, wird man euch andere zeigen,
die reiner und feiner sind.
Ich beginne also im Namen Gottes. Ihn bitte ich sehr demütig, er möge
sein heiliges Wort gleich frischem Tau ganz sanft in euer Herz träufeln.
Und euch, meine Herren, und jene, die das lesen werden, bitte ich, sich
der Worte des hl. Paulus (Eph 4,31) zu erinnern: Alle Bitterkeit, Zorn und
Verachtung, alles Lärmen und Lästern, jede Bosheit sei fern von euch.

26
Erster TTeil:
eil:

Ver teidigung der A


erteidigung utorität der Kirche
Autorität

Kapitel I

Erster Grund: die Sendung

1. Artikel: Die Prädikanten haben keine Sendung, weder vom Volk noch
von den weltlichen Fürsten.

Vor allem, meine Herren, haben eure Vorfahren und habt ihr einen
unentschuldbaren Fehler gemacht, als ihr denen Gehör schenktet, die
sich von der Kirche getrennt hatten, denn sie waren nicht zur Predigt
befugt. Sie erhoben die Stimme gegen die Kirche, wie sie sagten, im Auf-
trag Gottes. Sie erkühnten sich, im Namen Gottes der Kirche, seiner
Braut von altersher, den Scheidebrief auszustellen, damit er sich mit die-
ser jungen, erneuerten und reformierten Gemeinde vermähle. Aber wie
konntet ihr dieser neuen Lehre so schnell Glauben schenken, ohne euch
ihren Auftrag und die authentische Sendung zeigen zu lassen, so daß ihr
von Anfang an diese Königin nicht mehr als eure Fürstin anerkanntet, um
sie allenthalben als Ehebrecherin zu verschreien? Sie zogen dahin und
dorthin, um diese neue Lehre auszustreuen, aber wer hat sie denn dazu
ermächtigt? Man kann sich nicht von einem Feldherrn anwerben lassen
ohne Einwilligung des Fürsten, in dessen Land man wohnt. Und wie wart
ihr so bereit, euch diesen ersten Prädikanten anzuschließen, ohne zu wis-
sen, ob eure zuständigen Hirten dem zustimmten? Und das, obwohl ihr
sehr gut wußtet, daß man euch aus dem Land führte, in dem ihr geboren
und aufgewachsen seid. Jene sind also unentschuldbar, weil sie ohne Er-
mächtigung durch das geistliche Lehramt diesen Schild erhoben haben,
und ihr, weil ihr ihnen gefolgt seid.
Ihr seht wohl, worauf ich mich stütze: auf die fehlende Sendung und
Berufung Luthers, Zwinglis, Calvins und der übrigen. Denn es ist sicher:

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wer in der Kirche lehren und das Amt des Hirten ausüben will, muß
gesandt sein. Der hl. Paulus schreibt (Röm 10,15): Quomodo praedica-
bunt, nisi mittantur? Wie können sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind?
Und Jeremia (14,14): Die Propheten verkünden Falsches; ich habe sie
nicht gesandt; und an anderer Stelle (23,21): Non mittebam prophetas et
ipsi currebant. Ich habe die Propheten nicht gesandt; sie gingen von selbst.
Die Sendung ist also notwendig; ihr leugnet das nicht, wenn ihr nicht
mehr wißt als eure Lehrer.
Doch ich sehe euch in drei Abteilungen anrücken. Die einen von euch
werden sagen, sie hätten Sendung und Auftrag gehabt vom Volk, vom
weltlichen und zeitlichen Magistrat; die anderen: von der Kirche. Wie
das? Sie sagen: weil Luther, Oecolampadius, Buzer, Zwingli und andere
Priester der Kirche waren wie die übrigen. Die anderen schließlich, die
am schlauesten sind, sagen, sie seien von Gott gesandt, aber auf außeror-
dentliche Weise.
Sehen wir, wie es mit der ersten Gruppe steht. Wie sollen wir glauben,
das Volk und die weltlichen Fürsten hätten Calvin, Brenz, Luther beauf-
tragt, eine Lehre zu verkünden, die man nie gehört hatte? Und ehe sie
begannen, diese Lehre zu verkünden und zu verbreiten: wer hat sie er-
mächtigt, das zu tun? Ihr sagt, das fromme Volk habe sie berufen; aber
welches Volk? Das Volk ist entweder katholisch oder ist es nicht. Wenn es
katholisch ist, wie sollte es euch berufen und gesandt haben zu predigen,
was es nicht glaubte? Und wie konnte diese Berufung durch irgendeinen
kleinen Teil des Volkes außerhalb des katholischen Teils im Gegensatz
stehen zum ganzen Rest, der sich dem widersetzte? Und wie könnte euch
ein Teil des Volkes Autorität verleihen über den anderen, damit ihr von
Volk zu Volk zieht, um die Menschen, soviel ihr könnt, vom hergebrach-
ten Gehorsam abzubringen? Ein Volk kann ja nur Autorität über sich
selbst verleihen. Ihr hättet also nur da predigen dürfen, wo ihr vom Volk
berufen wurdet. Wenn ihr das getan hättet, hättet ihr nicht so viel Gefolg-
schaft gehabt. Doch sagen wir wirklich: als Luther begann, wer hat ihn
berufen? Es gab noch kein Volk, das an die Auffassungen dachte, die er
vertrat; wie sollte es ihn also berufen haben, sie zu predigen? Keineswegs,
denn ich spreche vom Beginn. Was also? Man gebe eine Antwort, wenn
man kann. Wer hat den Ersten die Autorität verliehen, Leute zu sammeln,
eigene Einheiten und Truppen zu bilden? Das war nicht das Volk, denn es
war noch nicht vereinigt.
Aber hieße es nicht alles verwirren, wenn man jedem erlaubte zu sagen,
was ihm gutdünkt? In diesem Fall wäre jeder gesandt; denn es gibt keinen

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so Verrückten, der keine Gefährten fände. Das beweisen die Tritheisten,
Wiedertäufer, Freidenker, Adamiten. Man muß sich an die Heilige Schrift
halten; dort findet man nie, daß die Völker die Vollmacht besessen hät-
ten, sich selbst Hirten und Prediger zu geben.

2. Artikel: Die Prädikanten haben keine Sendung von den katholischen


Bischöfen empfangen.

In unserer Zeit sehen daher viele von dieser Seite ihren Weg abgeschnit-
ten; sie wenden sich hin und her und sagen, die ersten Lehrer der Refor-
mation, Luther, Buzer, Oecolampadius, seien von den Bischöfen gesen-
det worden, die sie zu Priestern weihten; sie hätten dann die Nachfolgen-
den gesendet. Auf diese Weise wollen sie ihre Sendung auf die Apostel
zurückführen.
Das heißt wahrlich klar und deutlich reden und zugeben, daß ihre Sen-
dung nur von den Aposteln auf ihre Prädikanten übergehen kann durch
die Nachfolge unserer Bischöfe und ihre Handauflegung. So ist es ohne
Zweifel. Man kann diese Sendung nicht einen so weiten Sprung machen
lassen, daß sie von den Aposteln in die Hände der Prädikanten unserer
Zeit gelangt wäre, ohne einen der Alten und unserer Vorfahren zu berüh-
ren. Es hätte wahrhaftig eines sehr langen Blasrohrs im Mund der ersten
Gründer der Kirche bedurft, um Luther und die anderen berufen zu ha-
ben, ohne daß die zwischen ihnen es wahrgenommen hätten, oder wie
Calvin bei anderer Gelegenheit und sehr unpassend sagt, ihre Ohren wä-
ren sehr groß gewesen. Diese Sendung hätte wohl vollständig bewahrt
werden müssen, wenn diese sie finden sollten. Wir geben also zu, daß die
Sendung im Besitz unserer Bischöfe war, vor allem in den Händen ihres
Oberhauptes, des Bischofs von Rom. Wir bestreiten aber ausdrücklich,
daß eure Prädikanten daran irgendeinen Anteil hätten, um zu predigen,
was sie gepredigt haben; dies aus folgenden Gründen:
1. Sie predigen Dinge, die im Widerspruch zur Kirche stehen, in der sie
zu Priestern geweiht wurden. Also irren entweder sie oder die Kirche, die
sie gesendet hat; folglich ist entweder die Kirche falsch oder jene, die von
ihr die Sendung empfangen haben. Wenn es die ist, von der sie ihre Sen-
dung empfangen haben, ist ihre Sendung falsch; denn von einer falschen
Kirche kann keine echte Sendung ausgehen. Wenn ihre Kirche falsch ist,
haben sie noch weniger eine Sendung, denn in einer falschen Kirche kann
es keine echte Sendung geben. Wie dem auch sei, sie haben also keine

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Sendung zu predigen, was sie gepredigt haben. Wenn übrigens die Kirche,
in der sie zu Priestern geweiht wurden, die wahre war, sind sie Häretiker
dadurch, daß sie diese verlassen und gegen ihren Glauben gepredigt ha-
ben; wenn sie nicht die wahre war, konnte sie ihnen keine Sendung geben.
2. Ferner: auch wenn sie in der römischen Kirche eine Sendung hatten,
hatten sie doch keine, um sie zu verlassen und ihre Kinder vom Gehor-
sam gegen sie abwendig zu machen. Gewiß, ein Bevollmächtigter darf die
Grenzen seiner Vollmacht nicht überschreiten, oder sie ist hinfällig.
3. Luther, Oecolampadius oder Calvin waren nicht Bischöfe; wie konn-
ten sie also ihren Nachfolgern irgendeine Sendung seitens der römischen
Kirche vermitteln, die immer und in allem erklärt, daß nur die Bischöfe
senden können und daß dies einfachen Priestern in keiner Weise zusteht?
Darin hat der hl. Hieronymus den Unterschied zwischen dem einfachen
Priester und dem Bischof festgestellt im Brief an Evagrius; der hl. Augu-
stinus und Epiphanius rechneten Acrius zu den Häretikern, weil er am
Gegenteil festhielt.

3. Artikel: Die Prädikanten haben keine außerordentliche Sendung.

Diese Gründe sind so überzeugend, daß die Kühnsten von euch anders-
wo als in der ordentlichen Sendung Partei ergriffen haben. Sie haben
gesagt, sie seien auf außerordentliche Weise von Gott gesendet, weil die
ordentliche Sendung unter der Tyrannei des Antichristen ebenso wie die
wahre Kirche besudelt und vernichtet worden sei. Das ist ihre sicherste
Zuflucht. Da sie allen Arten von Häretikern gemeinsam ist, verdient sie,
mit Bedacht aufgegriffen und gründlich zerstört zu werden. Gehen wir
also der Reihe nach vor, um zu sehen, ob wir diese letzte Barrikade über-
winden können.
Ich sage also 1., daß sich niemand auf eine außerordentliche Sendung
berufen darf, der sie nicht durch Wunder beweist. 1) Wohin kämen wir
denn, wenn die Behauptung einer außerordentlichen Sendung ohne Nach-
weis annehmbar wäre? Wäre das nicht ein Deckmantel für jede Art von
Hirngespinsten? Könnten nicht Arius, Marcion, Montanus und Messali-
us als Reformatoren auf dieser Stufe betrachtet werden, wenn sie den
gleichen Eid leisten?
2) Niemand wurde je auf außerordentliche Weise gesendet, der nicht
dieses Beglaubigungsschreiben von der göttlichen Majestät empfing. Mose

30
wurde unmittelbar von Gott gesandt, um das Volk Israel zu führen; er
wollte den Namen dessen wissen, der ihn sandte, und als er den wunder-
baren Namen Gottes erfahren hatte, bat er um Zeichen und Beglaubigun-
gen seiner Sendung. Gott fand das so gut, daß er ihm die Gnade von
dreierlei Zeichen und Wundern gewährte (Ex 3,10.13; 4,1ff). Sie waren
wie drei Bestätigungen, in drei verschiedenen Sprachen, für den Auftrag,
den er ihm gegeben hat, damit die eine verstehe, wer die andere nicht
verstand. Wenn sie sich also auf eine außerordentliche Sendung berufen,
sollen sie uns irgendwelche außerordentliche Werke vorweisen, sonst sind
wir nicht verpflichtet, ihnen zu glauben.
Mose zeigte wahrhaftig klar die Notwendigkeit dieses Beweises für den,
der außerordentlich sprechen will. Obwohl er nämlich von Gott die Gabe
der Beredsamkeit zu erbitten hatte, bat er darum erst, als er die Wunder-
gabe besaß. Damit zeigte er, daß es notwendiger ist, die Ermächtigung
zum Sprechen zu haben als die Leichtigkeit der Rede. Obwohl die Sen-
dung des hl. Johannes des Täufers nicht in jeder Hinsicht außerordent-
lich war, wurde sie denn nicht bestätigt durch seine Empfängnis, seine
Geburt und sogar durch sein wunderbares Leben (Lk 1,18ff.63ff), für das
Unser Herr ein so gutes Zeugnis ablegte (Mt 11,7ff)? Was aber die Apo-
stel betrifft, wer kennt nicht die Wunder, die sie wirkten, und deren große
Zahl? Ihre Schweißtücher, ihr Schatten (Apg 19,11f; 5,15) brachten Kran-
ken plötzlich Heilung und vertrieben den Teufel. Durch die Hände der
Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volk (Apg 5,12).
Das geschah zur Bekräftigung ihrer Predigt, wie der hl. Lukas in den
letzten Sätzen seines Evangeliums ausdrücklich sagt und der hl. Paulus
im Hebräerbrief (2,4). Wie also wollen sich jene entschuldigen und sich
dieses Beweises für ihre Sendung entheben, die in unserer Zeit eine au-
ßerordentliche Sendung beanspruchen wollen? Welchen Vorzug haben
sie vor den Aposteln und vor Mose?
Was soll ich noch sagen? Unser erhabener Meister, wesensgleich mit
dem Vater, dessen Sendung so ursprünglich ist, daß sie die Mitteilung des
gleichen Wesens voraussetzt; wenn er selbst, sage ich, der die lebendige
Quelle jeder kirchlichen Sendung ist, nicht von diesem Beweis der Wun-
der ausgenommen sein wollte, welchen Grund gibt es, daß man diesen
neuen Prädikanten auf ihr bloßes Wort hin glauben soll? Unser Herr
beruft sich sehr oft auf seine Sendung, um seinem Wort Glauben zu ver-
schaffen. Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch (Joh 20, 21).
Meine Lehre ist nicht die meine, sondern dessen, der mich gesandt hat. Ihr
kennt mich und wißt, woher ich bin; ich bin nicht von mir selbst gekommen

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(Joh 7,16.28). Um seiner Sendung Autorität zu verleihen, hebt er aber
auch seine Wunder hervor und bestätigt (Joh 15,24), die Juden hätten
keine Sünde, daß sie nicht an ihn glaubten, wenn er nicht Werke voll-
bracht hätte, die kein anderer bei ihnen tat. An anderer Stelle (Joh 14,11f)
sagt er ihnen: Glaubt ihr nicht, daß mein Vater in mir ist und ich in meinem
Vater? So glaubt wenigstens um der Werke willen. Wer also so kühn ist, sich
einer außerordentlichen Sendung zu rühmen, ohne gleichzeitig Wunder
zu wirken, der verdient, für einen Betrüger gehalten zu werden. Nun ha-
ben weder eure ersten noch die jüngsten Prädikanten irgendein Wunder
gewirkt; sie haben also keine außerordentliche Sendung. Gehen wir wei-
ter.
2. sage ich, daß man nie eine außerordentliche Sendung annehmen muß,
die von der ordentlichen Autorität in der Kirche Unseres Herrn nicht
anerkannt wird. 1) Wir sind nämlich verpflichtet, unseren ordentlichen
Hirten zu gehorchen, unter der Strafe, als Zöllner und Heiden zu gelten
(Mt 18,17). Wie könnten wir uns also unter eine andere Disziplin als die
ihre stellen? Die Außerordentlichen kämen für nichts, weil wir verpflich-
tet wären, nicht auf sie zu hören in dem Fall, den ich genannt habe, daß sie
von den Ordinarien nicht anerkannt werden.
2) Gott ist nicht Urheber der Entzweiung, sondern der Einheit und
Eintracht (1 Kor 14,33), vor allem unter seinen Jüngern und den Dienern
der Kirche, wie Unser Herr klar gezeigt hat in dem heiligen Gebet, das er
in den letzten Tagen seines sterblichen Lebens an seinen Vater richtete
(Joh 17,11.21). Wie könnte er also zwei Arten von Hirten autorisieren,
die eine außerordentlich, die andere ordentlich? Daß die ordentlichen
autorisiert sind, das ist sicher; von den außerordentlichen setzen wir es
voraus: das wären also zwei verschiedene Kirchen. Das widerspricht dem
reinsten Wort Unseres Herrn, der nur eine Braut hat, nur eine einzige
Taube, nur eine einzige Vollkommene (Hld 6,8). Wie könnte die Herde
einig sein, geführt von zwei Hirten, die einander nicht kennen, in ver-
schiedenen Lagern, mit verschiedenen Rufen und Hürden, von denen der
eine wie der andere alles haben möchte? So wäre auch die Kirche unter
verschiedenen Hirten, ordentlichen und außerordentlichen, hin- und her-
gezerrt in verschiedene Sekten. Was dann? Ist Unser Herr geteilt (1 Kor
1,13), sei es in sich selbst oder in seinem Leib, der die Kirche ist? Nein,
wahrhaftig nicht. Es gibt im Gegenteil nur einen Herrn, der seinen mysti-
schen Leib (Eph 4,12) gebildet hat, mit einer schönen Vielfalt sehr gut
gebildeter Glieder, die vereinigt und zusammengehalten werden durch
alle Gelenke der gegenseitigen Hilfeleistung (Eph 4,5-16). Wollte man da-

32
her in der Kirche diese Aufteilung in ordentliche und außerordentliche
Herden einführen, so hieße das, sie vernichten und zerstören. Man muß
also darauf zurückkommen, was wir gesagt haben, daß die außerordentli-
che Sendung nicht rechtmäßig ist, wenn sie nicht von der ordentlichen
anerkannt wird.
3) Wo kann man mir tatsächlich eine rechtmäßige außerordentliche
Sendung zeigen, die von der ordentlichen Autorität nicht angenommen
wurde? Der hl. Paulus wurde auf außerordentliche Weise berufen, aber
wurde er nicht ein- und zweimal von der ordentlichen Autorität aner-
kannt und bestätigt? Und die von der ordentlichen Autorität angenom-
mene Sendung wird Sendung vom Heiligen Geist genannt (Apg 9,6.17;
13,3f). Die Sendung des hl. Johannes des Täufers kann man wohl nicht
außerordentlich nennen, denn er lehrte nichts im Widerspruch zur mo-
saischen Kirche und war von der Priesterklasse (Lk 1,8). Trotzdem wurde
das Ungewöhnliche seiner Lehre vom ordentlichen Lehramt der jüdi-
schen Kirche anerkannt durch die vornehme Abordnung von Priestern
und Leviten, die zu ihm geschickt wurde (Joh 1,19ff). Der Inhalt ihrer
Botschaft verrät große Achtung und Hochschätzung für ihn. Und kamen
nicht sogar die Pharisäer, die auf dem Lehrstuhl des Mose saßen, öffent-
lich und ohne Bedenken, um an seiner Taufe teilzunehmen (Mt 3,5ff)?
Das hieß doch seine Sendung ausdrücklich annehmen. Wollte nicht Un-
ser Herr selbst, der der Meister war, von Simeon (Lk 2,28.34) angenom-
men werden, wie offenbar wird durch den Lobpreis Unserer lieben Frau
und des hl. Josef, vom Priester Zacharias und vom hl. Johannes (Lk 1,76;
Joh 1,29)? Und wollte er nicht sogar für seine Passion, die die vorzüglich-
ste Ausübung seiner Sendung war, das prophetische Zeugnis des damali-
gen Hohepriesters haben (Joh 11,51)?
4) Das lehrt auch der hl. Paulus, wenn er nicht will, daß jemand sich die
Würde des Priesters anmaßt, außer er ist von Gott berufen wie Aaron (Hebr
5,4). Die Berufung Aarons erfolgte durch die ordentliche Autorität, durch
Mose, in der Weise, daß Gott sein heiliges Wort dem Aaron nicht unmit-
telbar in den Mund legte, sondern Mose, dem Gott den Auftrag dazu gab:
Sag ihm und lege ihm meine Worte in den Mund; ich werde in deinem und
in seinem Mund sein (Ex 4,15).
5) Wenn wir die Worte des hl. Paulus erwägen, erkennen wir sogar, daß
die Berufung der Hirten und kirchlichen Würdenträger sichtbar oder
wahrnehmbar erfolgen muß, nicht durch eine geheime Regung des En-
thusiasmus. Dafür führt er zwei Beispiele an: Aaron, der sichtbar gesalbt

33
und berufen wurde (Lev 8,12), und dann unseren Herrn und Meister. Er
ist der Hohepriester und Hirte aller Zeiten, hat sich aber nicht selbst
verherrlicht (Hebr 5,3f), d. h. er hat sich nicht selbst die Würde seines
heiligen Priestertums zugeschrieben, wie der hl. Paulus vorher sagt, son-
dern er wurde verherrlicht von dem, der zu ihm sagte: Mein Sohn bist du,
heute habe ich dich gezeugt, und: Du bist Priester auf ewig nach der Ord-
nung des Melchisedek. Ich bitte euch, denkt über dieses Wort nach. Jesus
Christus ist Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks. Hat er sich
selbst eingeführt und zu dieser Würde gedrängt? Nein, sondern er wurde
ernannt. Wer hat ihn ernannt? Sein ewiger Vater. Und wie? Unmittelbar
und mittelbar zugleich: unmittelbar bei seiner Taufe und bei seiner Ver-
klärung (Mt 3,17; 17,5) durch die Stimme: Dieser ist mein vielgeliebter
Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe; ihn hört; mittelbar durch die
Propheten, vor allem durch David an den Stellen, die der hl. Paulus aus
den Psalmen dazu zitiert: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.
Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks. Die Berufung ist
allgemein vernehmbar: die Stimme in der Wolke wurde gehört, sie wurde
bei David gehört und gelesen. Doch der hl. Paulus, der die Berufung Un-
seres Herrn zeigen wollte, führt nur die Stellen bei David an, in denen er
sagt, daß Unser Herr von seinem Vater verherrlicht wurde. So begnügte er
sich damit, das wahrnehmbare Zeugnis wiederzugeben, das er auf dem
ordentlichen Weg durch die Heilige Schrift und die Propheten erhalten
hat.
3. sage ich, daß die Autorität der außerordentlichen Sendung niemals
die ordentliche zerstört und daß sie nie verliehen wird, um diese zu stür-
zen. Das beweisen alle Propheten, die niemals Altar gegen Altar setzten,
nie das Priestertum Aarons abschafften, nie die Vorschriften der Synago-
ge aufhoben. Dessen Zeuge ist Unser Herr, der (Lk 11,17) versichert, daß
jedes Reich, das in sich uneins ist, zerstört wird und ein Haus über das
andere stürzt. Das beweist sein Respekt vor dem Lehrstuhl des Mose,
dessen Lehre er beachtet wissen wollte. In der Tat, wenn die außerordent-
liche Sendung die ordentliche aufheben müßte, wie sollten wir dann wis-
sen, wann, welcher und wie wir uns ihr unterordnen müssen? Nein, nein,
die ordentliche Sendung ist unvergänglich, solange die Kirche auf dieser
Welt bestehen wird. Die Hirten und Lehrer, die er der Kirche einmal gege-
ben hat, müssen eine ständige Nachfolge haben zur Vollendung der Heili-
gen, bis wir uns alle finden in der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis
des Sohnes Gottes, als vollkommene Menschen nach dem Maß des Vollal-
ters Christi, damit wir nicht mehr Kinder sind, hin- und hergetrieben durch

34
alle Winde der Lehre, durch den Betrug der Menschen und ihre hinterhälti-
ge Verführung (Eph 4,11-14).
Das ist die schöne Rede des hl. Paulus, durch die er zeigt: wenn die
ordentlichen Lehrer und Hirten nicht die ständige Nachfolge hätten, son-
dern der Absetzung durch die Außerordentlichen ausgesetzt wären, dann
hätten wir auch einen Glauben und eine Ordnung, die jeden Augenblick
verwirrt und durchbrochen werden kann, und wir wären der Verführung
durch Menschen ausgesetzt, die sich der außerordentlichen Sendung rüh-
men. Gleich den Heiden würden wir (wie Paulus später in Vers 17 hinzu-
fügt) nach unserem verkehrten Sinn wandeln, wenn jeder sich einbildet,
die außerordentliche Anregung des Heiligen Geistes zu spüren. Dafür
bietet unsere Zeit so viele Beispiele, und das ist einer der stärksten Bewei-
se, die man in dieser Frage anführen könnte. Denn wenn die außerordent-
liche Leitung die ordentliche aufzuheben vermag, wem sollen wir dann
dieses Amt zusprechen? Calvin oder Luther? Luther oder Pazmany? Paz-
many oder Blandrat? Blandrat oder Brenz? Brenz oder der Königin von
England? Jeder wird ja seinerseits die Anerkennung der außerordentli-
chen Sendung für sich beanspruchen.
Nun, das Wort Unseres Herrn enthebt uns all dieser Schwierigkeiten.
Er hat seine Kirche auf ein festes Fundament gebaut und so gediegen, daß
die Pforten der Hölle sie niemals überwinden werden (Mt 16,18). Wenn sie
aber nie Macht über die Kirche gewonnen haben noch gewinnen werden,
dann ist die außerordentliche Sendung nicht notwendig, um sie abzulö-
sen; denn Gott haßt nichts, was er geschaffen hat. Wie sollte er also die
ordentliche Kirche auflösen, um eine außerordentliche zu schaffen? Er
hat ja die ordentliche auf sich selbst gegründet und hat sie mit seinem
eigenen Blut gefestigt.

4. Artikel: Antwort auf die Argumente der Prädikanten.

Bisher konnte ich bei euren Lehrern nur zwei Einwänden begegnen auf
die Ausführungen, die ich eben gemacht habe; der eine ist vom Beispiel
Unseres Herrn und der Apostel abgeleitet, der andere vom Beispiel der
Propheten.
Was den ersten betrifft, sagt mir doch bitte, ob ihr es passend findet, die
Berufung dieser neuen Prädikanten mit der Unseres Herrn zu verglei-
chen? Wurde Unser Herr nicht von den Propheten als Messias vorherge-
sagt? War seine Zeit nicht durch Daniel (9,24.26) vorherbestimmt? Hat

35
er nicht Taten vollbracht, die fast im einzelnen geschildert sind in den
prophetischen Büchern und versinnbildet in den Patriarchen? Er hat das
Gute des mosaischen Gesetzes in Besseres verwandelt, aber war dieser
Wandel nicht (Apg 2,10) vorhergesagt? Er hat folglich das Priestertum
Aarons in das bessere des Melchisedek gewandelt. Entspricht das nicht
den Zeugnissen der Vorzeit (Hebr 5,6)? Eure Prädikanten wurden nicht
als Prediger des Wortes Gottes vorhergesagt, nicht die Zeit ihres Auftre-
tens noch eine ihrer Taten. Sie haben einen viel größeren und härteren
Umsturz in der Kirche bewirkt, als Unser Herr in der Synagoge, denn sie
haben alles weggenommen, ohne an dessen Stelle etwas anderes zu setzen
außer einige Schatten, aber Zeugnisse dafür hatten sie nicht. Zum minde-
sten wären sie nicht davon befreit gewesen, Wunder für eine solche Ver-
änderung zu wirken, obwohl ihr euch auf die Heilige Schrift beruft. Wie
ich oben gezeigt habe, hat sich Unser Herr davon nicht ausgenommen,
obwohl der Wandel, den er bewirkte, aus der reinsten Quelle der heiligen
Schriften geschöpft war (Lk 1,70). Wo aber wollen sie mir zeigen, daß die
Kirche jemals noch eine andere Form brauche, wo eine ähnliche Refor-
mation, wie jene, die Unser Herr bewirkt hat?
Was die Beispiele der Propheten betrifft, sehe ich, daß manche miß-
braucht werden. 1) Man meint, alle Berufungen der Propheten seien au-
ßerordentlich und unmittelbar gewesen; das ist falsch. Es gab nämlich
Schulen und Gemeinschaften von Propheten, die von der Synagoge aner-
kannt und gebilligt waren, wie man mehreren Stellen der Heiligen Schrift
entnehmen kann. Solche gab es in Rama (1 Sam 19,19), in Bet-El und
Jericho, wo Elischa wohnte, im Gebirge von Efraim (2 Kön 2,3.5; 5,22;
6,1f), in Samaria (1 Kön 22,10). Elischa selbst wurde von Elija gesalbt (1
Kön 19,16). Die Berufung Samuels wurde vom Hohepriester anerkannt
und bestätigt, und mit Samuel begann der Herr in Schilo zu erscheinen, wie
die Heilige Schrift (1 Sam 3,9.21) bestätigt. Das hatte zur Folge, daß die
Juden Samuel als Gründer der Propheten-Gemeinschaften betrachteten.
2) Man meint, die Propheten hätten alle das Predigeramt ausgeübt. Dem
ist nicht so, wie es bei den Boten Sauls und bei Saul offenkundig ist (1
Sam 19,20). So ist die Berufung der Propheten nicht brauchbar als Bei-
spiel für die der Häretiker und Schismatiker, denn:
1. Entweder war sie ordentlich, wie wir oben gezeigt haben, oder sie
wurde von der übrigen Synagoge bestätigt, wie man leicht daraus ersehen
kann, daß man sie sogleich anerkannte, an allen Orten bei den Juden von
ihnen erzählte und sie Gottesmänner nannte (1 Kön 17,18 u. a.). Und wer

36
die Geschichte dieser Synagoge näher betrachtet, wird feststellen, daß
damals das Amt der Propheten ebenso allgemein war wie bei uns das der
Prediger.
2. Man wird nie einen Propheten vorweisen können, der die ordentliche
Gewalt stürzen wollte. Sie sind ihr vielmehr stets gefolgt und haben nie
etwas gesagt, was im Widerspruch stünde zur Lehre jener, die auf dem
Lehrstuhl des Mose und Aarons saßen. So gab es unter ihnen solche, die
zur Priesterklasse gehörten, wie Jeremia, der Sohn des Hilkija (Jer 1,1),
und Ezechiel, der Sohn des Busis (Ez 1,3). Sie haben stets mit Ehrfurcht
von den Hohepriestern und von der Nachfolge der Priester gesprochen,
obwohl sie um deren Fehler wußten. Als Jesaja in einem großen Buch
beschreiben wollte, was ihm gezeigt wurde, da nahm er den späteren Pries-
ter Urija und den Propheten Secharja zu Zeugen (Jes 8,2), so als führe er
das Zeugnis aller Priester und Propheten an. Und bestätigt nicht Malea-
chi (2,7), daß die Lippen des Priesters die Lehre bewahren und daß sie von
seinem Mund das Gesetz erbaten, denn er ist der Bote des Herrn der Heer-
scharen? So mußte es kommen, daß sie niemals die Juden von der Ver-
bindung mit der ordentlichen Gewalt abbrachten.
3. Wie viele Wunder haben die Propheten zur Bekräftigung der prophe-
tischen Sendung gewirkt! Ich käme an kein Ende, wenn ich sie aufzählen
wollte. Wenn sie aber irgendetwas taten, was irgendwie den Anschein
außerordentlicher Macht hatte, folgten darauf sogleich die Wunder. Ein
Beispiel dafür ist Elija. Als er auf Anregung des Heiligen Geistes auf dem
Karmel einen Altar errichtete und opferte, zeigte er durch Wunder, daß
er es zur Ehre Gottes und der jüdischen Religion tat (1 Kön 18,32.38).
4. Schließlich stünden eure Prädikanten schön da, wenn sie sich die
Macht der Propheten anmaßen wollten, deren Gabe und Erleuchtung sie
nie besaßen. Das käme eher uns zu, denn wir könnten unzählige Prophe-
zeiungen der Unseren vorweisen; so von Gregor Thaumaturgus im Be-
richt des hl. Basilius, vom hl. Antonius nach dem Zeugnis des hl. Athana-
sius, vom Abt Johannes nach dem Zeugnis des hl. Augustinus, von den
Heiligen Benedikt, Bernhard, Franziskus und tausend anderen. Wenn es
also zwischen uns um die prophetische Autorität geht, dann steht sie uns
zu, sei es die ordentliche oder außerordentliche, denn wir haben ihre
Wirkung, nicht eure Prädikanten, die dafür nie die geringste Probe gelie-
fert haben. Es sei denn, sie wollten als Prophezeiung die Vision Zwinglis
bezeichnen, beschrieben im Buch mit dem Titel Subsidium de Euchari-
stia, und im Buch mit dem Titel Querela Lutheri, oder die Vorhersage, die

37
er im Jahr 25 dieses Jahrhunderts machte: wenn er noch zwei Jahre pre-
dige, werde es keinen Papst mehr geben, weder Priester noch Mönche,
weder Kirchtürme noch Messe. Tatsächlich hat diese Prophezeiung nur
einen Fehler; das ist einzig der Mangel der Wahrheit. Er predigte ja noch
fast 22 Jahre, und trotzdem gibt es noch Priester und Kirchtürme, und auf
dem Stuhl des hl. Petrus sitzt ein rechtmäßiger Papst.
Eure ersten Prädikanten, meine Herren, gehören also zu jenen Prophe-
ten, auf die zu hören Gott bei Jeremia (23,16,21) verboten hat: Hört nicht
auf die Worte der Propheten, die prophezeien und euch täuschen. Sie ver-
künden die Vision ihres Herzens, sie sprechen nicht mit dem Mund des
Herrn. Ich habe die Propheten nicht gesandt, und sie ziehen umher. Ich
habe nicht zu ihnen gesprochen, und sie weissagen. Ich habe gehört, was
die Propheten sagten, als sie lügnerisch in meinem Namen weissagten, und
mit den Worten: Ich habe geschaut, ich habe geschaut. Meint ihr nicht,
daß das auf Luther und Zwingli mit ihren Prophezeiungen und Gesichten
zutrifft? Oder auf Karlstadt mit seiner Offenbarung, die er angeblich über
sein Abendmahl hatte, die Luther veranlaßte, sein Buch Contra coelestes
prophetas zu schreiben? Sie sind es zumindest, auf die zutrifft, daß sie
nicht gesandt sind; sie sind es, die ihre Stimme erheben und sagen: Der
Herr hat gesprochen. Sie konnten ja nie einen Nachweis liefern für das
Amt, das sie sich angemaßt haben; sie konnten keinerlei rechtmäßige
Berufung vorweisen; wieso wollen sie also predigen?
Man kann sich nicht von irgendeinem Feldherrn anwerben lassen ohne
Zustimmung des Fürsten. Wieso habt ihr euch so bereitwillig diesen ers-
ten Prädikanten angeschlossen ohne Erlaubnis eurer ordentlichen Hir-
ten, um sogar das Land zu verlassen, in dem ihr geboren und aufgewach-
sen seid, die katholische Kirche? Sie sind schuldig, weil sie aus eigener
Vollmacht diesen Schild erhoben haben, und ihr, weil ihr ihnen gefolgt
seid. Darin seid ihr unentschuldbar. Der Knabe Samuel, bescheiden, sanft
und heilig, dachte stets, Eli habe ihn gerufen, als er dreimal von Gott
angerufen wurde; erst beim vierten Mal wandte er sich an Gott als den,
der ihn rief. Eure Prädikanten meinten, dreifach habe Gott sie berufen: 1.
durch das Volk und den Magistrat, 2. durch unsere Bischöfe, 3. durch eine
außerordentliche Stimme. Nein, nein ... Samuel wurde dreimal von Gott
angerufen, und in seiner Demut dachte er, es sei ein Anruf des Menschen,
bis er von Eli belehrt erkannte, daß es die Stimme Gottes war (1 Sam 3,4-
10). Eure Prädikanten, meine Herren, weisen eine dreifache Berufung
von Gott vor: durch die weltliche Obrigkeit, durch die Bischöfe und durch

38
eine außerordentliche Stimme. Sie meinen, Gott sei es gewesen, der sie
auf diese dreifache Weise berufen habe. Doch nein, mögen sie jetzt, von
der Kirche belehrt, erkennen, daß es eine Berufung von Menschen ist, daß
die Ohren nach ihrem alten Adam geklungen haben. Mögen sie sich dem
zuwenden, der wie einst Eli jetzt der Kirche vorsteht.
Das ist der erste Grund, der eure Prädikanten und euch unentschuldbar
macht vor Gott und den Menschen, die Kirche verlassen zu haben, wenn
auch in verschiedenem Maß.

Kapitel II

Irr tümer der Prädikanten


Irrtümer
über das W esen der Kirche
Wesen

1. Artikel: Die christliche Kirche ist sichtbar.

Andererseits, meine Herren, ist die Kirche, die euren ersten Prädikan-
ten widersprach und sich widersetzte, die sich auch denen unserer Zeit
noch widersetzt, allseits so gut gekennzeichnet, daß niemand, so blind er
auch sein mag, Unkenntnis der Verpflichtung vorschützen kann, die alle
guten Christen gegen sie haben, und darüber, daß sie die wahre, einzige,
unteilbare und überaus teure Braut des himmlischen Königs ist. Das macht
eure Trennung noch unentschuldbarer. Denn die Kirche verlassen, sich
ihren Anordnungen widersetzen, das heißt immer, zum Heiden und Zöll-
ner (Mt 18,17) werden, selbst wenn das auf die Verkündigung eines En-
gels oder Serafims hin geschähe (Gal 1,8). Doch auf die Überredung im
Großen durch sündhafte Menschen wie auch durch einzelne ohne Auto-
rität und Auftrag, ohne jede Eignung, wie sie für Prediger und Propheten
erforderlich ist, wie die einfache Kenntnis bestimmter Wissenschaften,
daraufhin alle Bande zu brechen und die höchste religiöse Verpflichtung
zum Gehorsam aufgeben, die man auf dieser Welt haben kann, nämlich
gegen die Kirche als Braut Unseres Herrn, das ist eine Sünde, die nur

39
durch tiefe Reue und Buße gutgemacht werden kann. Dazu lade ich euch
im Namen des lebendigen Gottes ein.
Die Gegner haben wohl gesehen, daß sich ihre Lehre in dieser Bezie-
hung als unhaltbar erweisen wird, und haben uns mit allen Mitteln von
dieser unwiderlegbaren Probe abzulenken versucht, die wir in den Kenn-
zeichen der wahren Kirche finden. Deshalb wollten sie behaupten, die
Kirche sei unsichtbar und nicht wahrnehmbar, folglich ohne Kennzei-
chen. Ich glaube, daß das äußerst absurd ist und daß darauf unmittelbar
die Wut und Raserei beruht.
Sie kommen aber auf zwei Wegen zu dieser Auffassung, daß die Kirche
unsichtbar sei. Denn die einen sagen, sie sei unsichtbar, weil sie nur aus
auserwählten und vorherbestimmten Menschen bestehe, die anderen
schreiben diese Unsichtbarkeit der Seltenheit und Zerstreuung der Gläu-
bigen zu. Die ersten behaupten, die Kirche sei zu allen Zeiten unsichtbar,
sie sei seit ungefähr tausend Jahren mehr oder weniger unsichtbar, d. h.
seit dem hl. Gregor bis zu Luther, als das Papsttum in der Christenheit
unangefochten war. Sie sagen nämlich, während dieser Zeit habe es viele
echte Christen im Geheimen gegeben, die ihre Gesinnung nicht offen
zeigten, sondern sich damit begnügten, Gott auf diese Weise im Verbor-
genen zu dienen. Diese Theorie ist so imaginär und verdammenswert, daß
die anderen lieber sagten, die Kirche sei während dieser tausend Jahre
weder sichtbar noch unsichtbar gewesen, sondern ganz vernichtet und
erstickt in Gottlosigkeit und Götzendienst.
Erlaubt mir bitte, daß ich freimütig die Wahrheit sage. Alle diese Re-
den verraten die Verrücktheit. Das sind Träume im Wachen, die nicht
soviel wert sind wie jener, den Nebukadnezzar im Schlaf hatte; sie stehen
auch zu diesem in krassem Gegensatz, wenn wir der Auslegung Daniels
(2,34f) glauben. Nebukadnezzar sah einen Stein ohne das Werk von Hän-
den sich von einem Berg lösen, der herabrollte und das große Standbild
umstürzte. Er wuchs so, daß er zum Gebirge wurde und die ganze Erde
bedeckte. Daniel verstand darunter das Reich Unseres Herrn, das ewig
bleibt (2,44). Wenn es wie ein Gebirge ist und so groß, daß es die Erde
erfüllt, wie soll es da unsichtbar und verborgen sein? Und wenn es ewig
ist, wie könnte es da tausend Jahre nicht existiert haben?
Das gilt sicher vom Reich der streitenden Kirche, denn: 1. das Reich
der triumphierenden Kirche wird den Himmel erfüllen, nicht nur die
Erde, und es wird sich nicht zur Zeit anderer Reiche erheben, wie die
Auslegung Daniels nahelegt, sondern nach der Vollendung der Zeiten.
Dazu kommt: Vom Gebirge losgelöst werden ohne das Werk der Hände,

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das trifft auf die zeitliche Geburt Unseres Herrn zu; dabei wurde er im
Schoß der seligsten Jungfrau empfangen, gezeugt aus seinem eigenen
Wesen ohne Menschenwerk, einzig durch die Segensfülle des Heiligen
Geistes. Entweder hat also Daniel eine falsche Auslegung gegeben oder
die Gegner der katholischen Kirche, wenn sie sagen, die Kirche sei un-
sichtbar, verborgen und aufgehoben. Habt Geduld, um Gottes willen; wir
werden der Ordnung nach und kurz vorgehen, um die Nichtigkeit dieser
Auffassungen zu zeigen.
Doch vor allem müssen wir sagen, was die Kirche ist. Kirche kommt
von einem griechischen Wort, das „berufen“ bedeutet. Kirche bezeichnet
also eine Versammlung oder Gemeinschaft von Berufenen. Synagoge be-
deutet genau genommen eine Herde. Die Versammlung der Juden hieß
Synagoge, die der Christen heißt Kirche deswegen, weil die Juden wie
eine Herde von Tieren waren, versammelt und zusammengedrängt aus
Furcht; die Christen werden versammelt durch das Wort Gottes, zusam-
mengerufen zur Einheit der Liebe durch die Predigt der Apostel und
ihrer Nachfolger. Davon sagte der hl. Augustinus: „Die Kirche hat ihren
Namen vom Zusammenrufen, die Synagoge von der Herde; denn zusam-
mengerufen werden paßt besser für Menschen, eine Herde bilden besser
für Tiere.“ Nun hat man das christliche Volk mit gutem Grund Kirche
genannt oder Zusammengerufensein, weil die erste Gunst, die Gott dem
Menschen erweist, um ihn in den Stand der Gnade zu versetzen, darin
besteht, ihn in die Kirche zu berufen. Das ist die erste Wirkung seiner
Vorherbestimmung: Die er vorherbestimmte, hat er berufen, sagte der hl.
Paulus den Römern (8,30); und den Kolossern (3,15): Der Friede Christi
herrsche in euren Herzen, in dem ihr zu einem Leib berufen seid. Zu einem
Leib berufen sein heißt, in die Kirche berufen sein. Wo Christus bei Mat-
thäus (20,1.16; 22,2.14) die Kirche mit dem Weinstock und mit dem
Gastmahl vergleicht, nennt er die Arbeiter im Weinberg und die zum
Hochzeitsmahl Geladenen Gerufene oder Zusammengerufene; er sagt:
Viele sind berufen, wenige aber auserwählt. Die Athener nannten die Zu-
sammenkunft der Bürger Kirche, die der Fremden dagegen hieß „diakle-
sis“. Der Ausdruck Kirche ist daher den Christen eigen; sie „sind nicht
mehr Fremdlinge und Pilger, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausge-
nossen Gottes“ (Eph 2,19).
Davon kommt also das Wort Kirche, und das ist ihre Definition. Die
Kirche ist eine heilige Gesamtheit oder allgemeine Gemeinschaft von
Menschen, geeint und vereinigt im Bekenntnis des einen gleichen christ-
lichen Glaubens, in der Teilnahme an den gleichen Sakramenten und am

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Opfer und im Gehorsam gegen den gleichen Stellvertreter und Statthal-
ter unseres Herrn Jesus Christus auf Erden, den Nachfolger des hl. Pe-
trus, unter der Führung der rechtmäßigen Bischöfe. Ich habe vor allem
gesagt, daß sie eine heilige Gemeinschaft oder Versammlung ist, weil die
innere Heiligkeit ...2
Ich will von der streitenden Kirche sprechen, von der uns die Heilige
Schrift Zeugnis gibt, nicht von jener, die Menschen uns vorstellen. In der
ganzen Heiligen Schrift findet sich keine Stelle, wo die Kirche als eine
unsichtbare Gemeinschaft verstanden würde. Das sind unsere Begrün-
dungen, ganz einfach dargelegt:
1) Unser Herr verweist uns (Mt 18,16f) an die Kirche in unseren Schwie-
rigkeiten und Zwistigkeiten; der hl. Paulus belehrt seinen Timotheus (1
Tim 3,15), wie er sich in ihr verhalten soll; er läßt die Ältesten der Kirche
von Milet rufen (Apg 20,17) und weist sie darauf hin, daß sie vom Heili-
gen Geist dazu bestellt sind, die Kirche zu leiten; er wird mit Barnabas
von der Kirche ausgesandt und wird von der Kirche aufgenommen, er
bestärkt die Kirchen (Apg 15,3f.22.41); er bestellt Priester für die Ge-
meinden, er versammelt die Gemeinde (Apg 14,22.26); er grüßt die Ge-
meinde von Cäsarea (Apg 18,22); er hat die Kirche verfolgt (Gal 1,13).
Wie soll man das alles von einer unsichtbaren Kirche verstehen? Wie
sollte man sie aufsuchen, um ihr die Beschwerden vorzulegen, um in ihr
zu wandeln, um sie zu leiten? Wann hätte sie den hl. Paulus ausgesandt,
ihn aufgenommen, wann hätte er sie bestärkt, in ihr Priester bestellt, sie
versammelt, gegrüßt, sie verfolgt? Soll das bildlich sein oder nur gedacht
und geistigerweise? Ich glaube nicht, daß nicht jeder deutlich sieht: das
waren sichtbare und von anderen wahrnehmbare Vorgänge. Und wenn er
an die Kirche schrieb (Gal 1,2; 1 u. 2 Kor 1), wandte er sich da an ein
unsichtbares Trugbild?
2) Was soll man von den Prophezeiungen sagen, die uns die Kirche
darstellen: nicht nur sichtbar, sondern ganz klar, deutlich, offenkundig,
großartig? Sie schildern sie als eine Königin, geschmückt mit einem gold-
gewirkten Gewand, mit einer herrlichen Vielfalt an Schmuck (Ps 45,10.14),
als ein Gebirge (Jes 2,2; Mi 4,1f); wie eine Sonne, wie einen Vollmond, als
Regenbogen, treuen Zeugen und Gewißheit der Gunst Gottes gegen die
Menschen, die alle Nachkommen Noachs sind. Das trägt der Psalm
(89,37) zu unserer Auffassung bei: Ihr Thron wird wie die Sonne vor mei-
nen Augen und wie der Vollmond in Ewigkeit währen und der Zeuge im
Himmel ist getreu.

42
3) Die Heilige Schrift bezeugt allgemein, daß man sie sehen und erken-
nen kann, wie sie erkannt ist. Sagt nicht Salomo im Hohelied (6,8ff),
wenn er von der Kirche spricht: Die Mädchen haben sie gesehen und selig
gepriesen? Dann führt er ihre Töchter, die voll Bewunderung sind, in sie
ein und läßt sie sagen: Wer ist jene, die der aufsteigenden Morgenröte gleicht,
schön wie der Mond, erlesen wie die Sonne, schrecklich wie ein wohlgeord-
netes Heer? Heißt das nicht, sie als sichtbar erklären? Dann läßt er sie so
anreden: Komm, komm, Schulammit, komm zurück, komm zurück, da-
mit man dich sieht; und sie antwortet: Was wollt ihr an dieser Schulammit
sehen, wenn nicht die geordnete Streitmacht? Heißt das nicht, sie als sicht-
bar erklären? Man beachte die wundervollen Hirtenlieder und Bilder der
Liebe des himmlischen Bräutigams zur Kirche: man wird sehen, daß sie
durchaus sichtbar und wahrnehmbar ist. So sagt auch Jesaja (35,8) von
ihr: Es wird ein gerader Weg für euch sein, so daß sich die Törichten nicht
auf ihm verirren. Muß sie nicht offenkundig und leicht zu erkennen sein,
da selbst die Schwerfälligsten auf diesem Weg gehen können, ohne sich zu
verirren?
4) Die Hirten und Lehrer der Kirche sind sichtbar, folglich ist die Kir-
che sichtbar. Ich bitte euch, sind denn die Hirten der Kirche nicht ein
Bestandteil der Kirche? Und müssen nicht die Hirten und die Herde
einander erkennen? Muß nicht die Herde die Stimme des Hirten hören
und ihr folgen (Joh 10,4)? Muß nicht der gute Hirte das verirrte Schäflein
suchen, damit es seinen Pferch und Stall wiederfindet? Das wären wahr-
haftig schöne Hirten, die ihre Herde nicht kennen und sehen könnten.
Ich weiß nicht, ob ich beweisen muß, daß die Hirten der Kirche sicht-
bar sind; man leugnet ja sogar auch klare Tatsachen. Der hl. Petrus war
Hirte, das glaube ich, weil Unser Herr (Joh 21,17) zu ihm sagte: Weide
meine Schafe. Auch die Apostel waren es, und dennoch hat man sie gese-
hen (Mk 1,16). Ich glaube, daß jene, zu denen der hl. Paulus (Apg 20,28)
sagte: Achtet auf euch und auf die Herde, für die euch der Heilige Geist
aufgestellt hat, um die Kirche zu leiten, ich glaube, sage ich, daß er sie sah;
und da sie als Kinder dem guten (Vater) um den Hals fielen, ihn küßten
und sein Gesicht mit Tränen benetzten, glaube ich, daß er sie berührte,
spürte und sah. Und was mich noch fester glauben läßt, ist die Tatsache,
daß sie seinen Weggang vor allem deswegen bedauerten, weil er ihnen
gesagt hatte, sie würden ihn nicht mehr von Angesicht sehen (Apg 20,37f).
Sie sahen also den hl. Paulus und der hl. Paulus sah sie. Schließlich sind
Zwingli, Oecolompadius, Luther, Calvin, Beza, Musculus sichtbar, und
es gibt viele, die die beiden Letztgenannten gesehen haben, und sie wer-

43
den doch von ihren Sekten Hirten genannt. Man sieht also die Hirten,
folglich auch die Herde.
5) Der Kirche ist die echte Verkündigung des Wortes Gottes eigen, die
wahre Spendung der Sakramente; und das alles sollte nicht sichtbar sein?
Wie will man dann behaupten, der Träger dieser Tätigkeiten sei unsicht-
bar?
6) Ist nicht bekannt, daß die zwölf Patriarchen, die Söhne Jakobs, die
lebendige Quelle der Kirche Israels waren? Als ihr Vater sie versammel-
te, um sie zu segnen (Gen 49,1), sah man sie und sie sahen sich gegensei-
tig. Warum halte ich mich dabei auf? Die ganze heilige Geschichte be-
weist, daß die alte Synagoge sichtbar war; warum dann nicht auch die
katholische Kirche?
7) Die Patriarchen, die Väter der israelitischen Synagoge, von denen
Unser Herr dem Fleisch nach abstammte (Röm 9,5), begründeten die
sichtbare jüdische Kirche; ebenso bildeten die Apostel mit ihren Schü-
lern, dem Fleisch nach Kinder der Synagoge, dem Geist nach Unseres
Herrn, den Beginn der sichtbaren katholischen Kirche, entsprechend dem
Psalmwort (45,17): Um deiner Väter willen wurden dir Kinder geboren; du
sollst sie als Fürsten über die ganze Erde setzen. „Anstelle der zwölf Patri-
archen sind die zwölf Apostel erstanden“, erklärt Arnobius. Diese Apo-
stel, in Jerusalem versammelt mit der kleinen Schar von Jüngern und der
glorreichen Mutter des Erlösers, bildeten die wahre Kirche; und wie?
Ohne Zweifel sichtbar, uzw. so sichtbar, daß der Heilige Geist sichtbar
kam, um diese heiligen Pflanzen und Setzlinge der Christenheit zu begie-
ßen (Apg 2,3).
8) Wie traten die Juden des Alten Bundes in die Reihen des Gottesvol-
kes ein? Durch das sichtbare Zeichen der Beschneidung; wir durch das
sichtbare Zeichen der Taufe. Von wem wurden die Menschen des Alten
Bundes geleitet? Von den Priestern Aarons, von sichtbaren Menschen;
wir durch die Bischöfe, sichtbare Menschen. Wer hat den Alten gepre-
digt? Die Propheten und Gesetzeslehrer, die sichtbar waren; uns predi-
gen die Hirten und Prediger, die ebenfalls sichtbar sind. Welche heilige
Speise hatten die Alten? Das Osterlamm, das Manna, beides sichtbar; wir
haben das allerheiligste Sakrament der Eucharistie, das sichtbare Zei-
chen, wenngleich einer unsichtbaren Sache. Von wem wurde die Synago-
ge verfolgt? Von den Ägyptern, Babyloniern, Midianiter, Philistern, lau-
ter sichtbare Völker; die Kirche von den Heiden, Türken, Mauren, Sara-
zenen, Häretikern; das ist alles sichtbar. Guter Gott, und wir fragen noch,
ob die Kirche sichtbar ist?

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Doch was ist die Kirche? Ein Versammlung von Menschen, die aus
Fleisch und Blut sind; und wir wollten noch sagen, sie sei nur ein Geist
oder eine Einbildung? Nein, nein; wer hat euch denn darin verwirrt, und
woher können euch solche Gedanken kommen? Seht ihre Hände, seht
ihre Diener, Anhänger und Beauftragte; seht ihre Füße, seht ihre Predi-
ger, wie sie nach Ost und West, nach Süd und Nord die Kirche tragen; sie
alle haben Fleisch und Bein. Berührt sie, kommt als demütige Kinder,
werft euch in den Schoß dieser gütigen Mutter; seht sie, betrachtet alles an
ihrem Leib, wie schön alles ist, und ihr werdet feststellen, daß sie sichtbar
ist; denn etwas Geistiges und Unsichtbares hat nicht Fleisch und Bein, wie
ihr seht, daß sie es hat (Lk 24,38f).

Das sind unsere Begründungen, die jeder Prüfung standhalten; es gibt


aber einige Gegenargumente, die sie, wie ihnen scheint, der Heiligen
Schrift entnehmen. Sie sind leicht zu widerlegen; dazu überlege man Fol-
gendes:
1) Unser Herr bestand seiner menschlichen Natur nach aus zwei Be-
standteilen: Leib und Seele. Ebenso hat seine Braut, die Kirche, zwei
Seiten, eine innere, unsichtbare, die gleichsam ihre Seele ist: der Glaube,
die Hoffnung, die Liebe, die Gnade; die andere, äußere und sichtbare wie
der Leib: das Bekenntnis des Glaubens, die Lobgesänge und Hymnen, die
Predigt, die Sakramente, das heilige Opfer. Ebenso hat alles, was in der
Kirche geschieht, seine innere und äußere Seite: das innere und äußere
Gebet (1 Kor 14,15); der Glaube erfüllt das Herz mit Gewißheit und den
Mund mit dem Bekenntnis (Röm 10,9); die Predigt geschieht äußerlich
durch Menschen, aber es bedarf des verborgenen Lichtes des himmli-
schen Vaters, denn man muß stets auf ihn hören und von ihm lernen, ehe
man zum Sohn kommt (Joh 6,44f). Was die Sakramente betrifft: das Zei-
chen ist äußerlich, die Gnade aber innerlich; wer wüßte das nicht?
Das Schönste an der Kirche ist inwendig, das Äußere ist nicht so groß-
artig, wie der Bräutigam im Hohelied (4,1.11) sagte: Deine Augen sind
wie die Augen der Taube, ohne das, was im Inneren verborgen ist. Honig
und Milch sind unter deiner Zunge, d. h. in deinem Herzen: das ist das
Inwendige; und der Duft deiner Kleider ist wie Wohlgeruch des Weihrauchs,
das ist der äußere Dienst. Der Psalmist (45,14f) sagt: Alle Herrlichkeit
dieser Königstöchter ist inwendig, das ist das Innere; sie ist gekleidet in
schöner Vielfalt goldgewirkter Gewänder, das ist das Äußere.

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2) Man muß bedenken, daß sowohl das Inwendige wie das Äußere der
Kirche geistig genannt werden kann, aber auf verschiedene Weise; denn
das Innere ist rein geistig und seiner Natur nach, das Äußere ist seiner
Natur nach körperlich; weil es aber auf das Inwendige ausgerichtet und
bezogen ist, nennt man es geistig, wie es der hl. Paulus (Gal 6,1) tat bei
Menschen, die den Leib dem Geist unterworfen hielten, obwohl sie kör-
perlich waren. Wenn jemand auch der Natur nach ein Privatmann ist,
wird doch einer, der im Dienst der Öffentlichkeit steht, wie die Richter,
ein Mann des öffentlichen Lebens genannt.
Wenn man nun behauptet, das Gesetz des Evangeliums sei innerlich in
die Herzen gelegt, nicht äußerlich auf steinernen Tafeln gegeben, wie Jere-
mia (31,33) sagt, so muß man darauf antworten, daß im Inneren der Kir-
che und in ihrem Herzen das ganze Wesen ihrer Herrlichkeit liegt, das
unablässig nach außen ausstrahlt, das sie sichtbar macht. So wenn es im
Evangelium (Joh 4,23) heißt, daß die Stunde gekommen ist, da die wah-
ren Anbeter den Vater im Geist und in Wahrheit anbeten werden. Das lehrt
uns, daß das Innere das Wesentliche ist, das Äußere dagegen unnütz, wenn
es nicht auf das Inwendige ausgerichtet und bezogen ist, um dadurch ver-
geistigt zu werden.
Desgleichen, wenn der hl. Petrus (1 Petr 2,5) die Kirche ein geistiges
Bauwerk nennt, dann deswegen, weil alles, was von der Kirche ausgeht,
sich auf das Geistliche bezieht, und weil ihre größte Herrlichkeit inwen-
dig ist, oder vielmehr, weil sie nicht ein Haus aus Stein und Kalk erbaut
ist, sondern ein mystisches Haus aus lebendigen Steinen, bei dem die
Liebe als Mörtel dient.
Das Wort der Schrift betont (Lk 17,20f), daß das Himmelreich nicht so
kommt, daß man es berechnen kann. Das Reich Gottes ist die Kirche;
also sei die Kirche unsichtbar. Antwort: Das Reich Gottes an dieser Stel-
le ist Unser Herr mit seiner Gnade, oder wenn ihr wollt, das Gefolge
Unseres Herrn, während er auf Erden weilte. Daraus folgt: Denn das
Reich Gottes ist unter euch. Und dieses Reich erscheint nicht mit Prunk
und dem Gepränge weltlicher Pracht, wie die Juden meinten. Und dann
ist das schönste Juwel dieser Königstochter verborgen im Inneren und
unsichtbar, wie ich gesagt habe.
Was das Wort des hl. Paulus im Hebräerbrief (12,18.22) betrifft, daß
wir nicht zu einem Berg gekommen sind, den man berühren kann, wie den
Berg Sinai, sondern zu einem himmlischen Jerusalem, so sagt er das nicht,
um die Kirche als unsichtbar zu erklären. Der hl. Paulus zeigt an dieser
Stelle, daß die Kirche herrlicher und reicher ist als der Sinai, daß sie nicht

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ein natürlicher Berg ist wie der Sinai, sondern mystisch. Daraus folgt
keineswegs die Unsichtbarkeit. Außerdem kann man mit Recht vom himm-
lischen Jerusalem sprechen, d. h. von der triumphierenden Kirche, der er
die große Zahl der Engel zuschreibt, als wollte er sagen, daß Gott im Alten
Bund unter Schrecken gesehen wurde, der Neue Bund ihn uns in seiner
Herrlichkeit im Himmel sehen läßt.
Schließlich das Argument, von dem jeder laut verkündet, es sei das
stärkste: Ich glaube an die heilige katholische Kirche. Wenn ich an sie
glaube, dann sehe ich sie nicht; also sei sie unsichtbar. Gibt es etwas
Schwächeres auf der Welt als dieses Trugbild einer Begründung? Haben
die Apostel nicht geglaubt, daß Unser Herr auferstanden ist, und haben
sie ihn nicht gesehen? Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt, sagt er
selbst zum hl. Thomas (Joh 20,29); und um ihn gläubig zu machen, sagt
er zu ihm: Sieh meine Hände und lege deine Hand in meine Seite, und sei
nicht mehr ungläubig, sondern gläubig (Joh 20,27). Seht, wie das Sehen
den Glauben nicht verhindert, sondern fördert. Nun, der hl. Thomas sah
etwas und glaubte etwas anderes; er sieht den Leib und glaubt an den
Geist und an die Gottheit. Nicht das Sehen ließ ihn sagen: Mein Herr und
mein Gott (Joh 20,28), sondern der Glaube. So glaubt man an eine Taufe
zur Vergebung der Sünden; man sieht die Taufe, aber nicht ihre Verge-
bung der Sünden. So sieht man auch die Kirche, nicht aber ihre innere
Heiligkeit. Man sieht ihre Taubenaugen, aber man glaubt an das, was im
Inneren verborgen ist (Hld 4,1); man sieht ihr Gewand, das reich verziert
ist in schöner Vielfalt mit seinen Goldfransen, aber der größte Glanz ihrer
Herrlichkeit, an den wir glauben, ist inwendig (Ps 45,14f). An dieser kö-
niglichen Braut kann sich das innere und das äußere Auge weiden, der
Glaube und die Sinne, und alles gereicht zur größeren Ehre ihres Bräuti-
gams.

2. Artikel: In der Kirche gibt es Gute und Böse,


Vorherbestimmte und Verworfene.

Um glaubwürdig zu machen, daß die Kirche nicht sichtbar sei, bringt


jeder seine eigene Begründung hervor, aber die am meisten bekannte, die
ich sehe, ist die, sich dafür auf die ewige Vorherbestimmung zu berufen.
Dieser Schachzug ist in der Tat nicht unbedeutend: das geistige Auge der
Menschen von der streitenden Kirche auf die ewige Vorherbestimmung

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zu lenken. Geblendet vom Licht dieses unerforschlichen Geheimnisses,
sollen wir nicht sehen, was vor uns ist. Sie sagen also, es gebe zwei Kir-
chen: eine sichtbare unvollkommene und eine unsichtbare vollkomme-
ne. Die sichtbare könne irren und im Wind der Irrtümer und Abgötterei-
en untergehen, die unsichtbare dagegen nicht. Wenn man daher fragt, was
die Kirche ist, antworten sie, das sei die Gesamtheit von Menschen, die
sich zum Glauben an die Sakramente bekennen; sie umfasse die Guten
und die Bösen und sei Kirche nur dem Namen nach. Die unsichtbare
Kirche sei jene, die nur die Auserwählten umfasse; die entzögen sich der
Kenntnis der Menschen, vielmehr erkenne und sehe sie Gott allein.
Wir werden aber klar nachweisen, daß die wahre Kirche die Guten und
die Bösen umfaßt, die Verworfenen und die Auserwählten, uzw. aus fol-
genden Gründen:
1) War das nicht die wahre Kirche, die der hl. Paulus (1 Tim 3,15) Säule
und Grundfeste der Wahrheit und Haus des lebendigen Gottes nannte?
Ohne Zweifel, denn Säule der Wahrheit zu sein, das kommt nicht einer
irrenden und schwankenden Kirche zu. Nun bescheinigt der Apostel die-
ser wahren Kirche (2 Tim 2,20), daß es in ihr Gefäße der Ehre und der
Schmach gebe, d. h. Gute und Böse.
2) War das nicht die wahre Kirche, gegen die die Pforten der Hölle keine
Übermacht gewinnen? Trotzdem gibt es in ihr Menschen, die es nötig
haben, daß man ihnen die Sünden vergibt, und andere, denen man sie
vorbehalten muß, wie Unser Herr deutlich macht durch die Verheißung
und Übertragung der Gewalt, die er dem hl. Petrus gab (Mt 16,18f). Sind
diejenigen, denen man sie vorbehält, nicht böse und verworfen? So ist es
den Verworfenen eigen, daß ihnen die Sünden vorbehalten werden, den
Auserwählten gewöhnlich, daß ihnen die Sünden vergeben werden. Nun
gehörten offenbar zur Kirche sowohl diejenigen, denen sie vorbehalten,
als auch jene, denen sie zu vergeben der hl. Petrus die Vollmacht hatte;
denn das Urteil über jene, die nicht zur Kirche gehören, steht Gott allein
zu (1 Kor 5,13). Über die der hl. Petrus zu urteilen hatte, die waren also
nicht außerhalb der Kirche, sondern in ihr; daher muß es in ihr Verwor-
fene geben.
3) Und lehrt Unser Herr uns nicht, wenn uns irgendeiner unserer Brü-
der gekränkt hat und wir ihn zweimal auf verschiedene Weise zurechtge-
wiesen haben, sollen wir ihn vor die Kirche bringen? Sag es der Kirche,
und wenn er auf die Kirche nicht hört, sei er dir wie ein Heide oder öffentli-
cher Sünder (Mt 18,17). Dem kann man sich nicht entziehen; dieses Ar-

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gument ist nicht zu umgehen. Es handelt sich um einen unserer Brüder,
der weder Heide noch öffentlicher Sünder ist, sondern der Zucht und
Ordnung der Kirche untersteht, folglich ein Glied der Kirche ist, und
doch ist es nicht ausgeschlossen, daß er verworfen ist, zänkisch und starr-
sinnig. Die Kirche bilden also nicht allein die Guten, sondern auch die
Bösen, soweit sie nicht aus ihr ausgeschlossen sind. Man soll nicht sagen,
die Kirche, an die Unser Herr uns verweist, sei im Irrtum, sündig und
antichristlich; das wäre eine zu offenkundige Gotteslästerung.
4) Unser Herr sagt (Joh 8,35): Der Knecht bleibt nicht für immer im
Haus, der Sohn bleibt immer da. Heißt das nicht, daß es im Haus der
Kirche gleichzeitig den Auserwählten und den Verworfenen gibt? Denn
wer kann dieser Knecht sein, der nicht immer im Haus bleibt, wenn nicht
derjenige, der einmal in die äußerste Finsternis hinausgestoßen wird? In
der Tat zeigt der Herr deutlich, daß er es so versteht, wenn er unmittelbar
vorher (8,34) sagt: Wer die Sünde tut, ist Knecht der Sünde. Wenn er auch
nicht für immer bleibt, so bleibt der Knecht dennoch einige Zeit, solange
er für irgendeinen Dienst behalten wird.
5) Der hl. Paulus schreibt an die Kirche in Korinth (1 Kor 1,2) und will
trotzdem, daß man einen bestimmten Blutschänder ausschließe (5,2):
Wenn man ihn ausschloß, gehörte er ihr an. Wie hätte man ihn aus ihr
entfernen können, wenn er nicht zu ihr gehörte und wenn die Kirche die
Gemeinschaft der Auserwählten wäre? Die Auserwählten können nicht
ausgestoßen werden.
6) Aber warum bestreitet man, daß die Verworfenen und Bösen zur
wahren Kirche gehören, da sie sogar Hirten und Bischöfe sein können?
Das ist sicher. Ist Judas nicht verworfen? Und doch war er Apostel und
Bischof nach dem Wort des Psalmisten (109,8) und nach dem hl. Petrus,
der (Apg 1,17) sagt, daß er des Apostelamtes teilhaft war, und nach dem
ganzen Evangelium, das ihn stets zum Apostelkollegium zählt. War Ni-
kolaus von Antiochien nicht Diakon wie der hl. Stephanus (Apg 6,5)?
Und doch zögern deswegen mehrere Kirchenväter des Altertums nicht,
ihn für einen Häretiker zu halten, so unter anderen Epiphanius, Philaster,
Hieronymus. Tatsächlich beriefen sich die Nikolaiten auf ihn für ihre
Greuel, die der hl. Johannes in der Geheimen Offenbarung (2,6) als ech-
te Irrlehren erwähnt. Der hl. Paulus bestätigt den Vorstehern von Ephe-
sus (Apg 20,28.30), daß sie der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, um
die Kirche Gottes zu leiten, aber er versichert auch, daß einige unter ihnen
auftraten, die Lügenreden hielten, um die Jünger zu verführen und auf ihre
Seite zu bringen. Er spricht zu allen, wenn er sagt, daß der Heilige Geist

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sie zu Bischöfen bestellt hat, und spricht ebenso von ihnen, wenn er sagt,
daß unter ihnen Schismatiker auftraten.
Aber wann käme ich an ein Ende, wollte ich hier die Namen all der
Bischöfe und Prälaten aufzählen, die rechtmäßig in Amt und Würden
eingesetzt wurden, dann aber von ihrer ersten Gnade abfielen und als
Häretiker starben? Wer lebte je für einen einfachen Priester so heiligmä-
ßig wie Origenes, so gelehrt, so keusch, so liebenswürdig? Wer könnte
lesen, was Vinzenz von Lerin über ihn schrieb, einer der vorzüglichsten
und gelehrtesten kirchlichen Schriftsteller, und an sein tadelnswertes Al-
ter nach einem derart bewundernswerten, heiligmäßigen Leben denken,
ohne von tiefem Mitleid bewegt zu werden, wenn er diesen großen, tüch-
tigen Steuermann sieht? Nachdem er so viele Stürme überstanden, so
reiche Beziehungen zu den Hebräern, Arabern, Chaldäern, Griechen und
Lateinern gehabt hatte und voll des Ruhmes und geistlicher Reichtümer
heimkehrte, erlitt er im Hafen seines eigenen Grabes Schiffbruch und
ging zugrunde. Wer wagte zu sagen, er hätte nicht zur wahren Kirche
gehört, er, der immer für die Kirche kämpfte, den die ganze Kirche ehrte
und als einen ihrer größten Lehrer betrachtete? Und wie? Seht ihn am
Ende als Häretiker, exkommuniziert, außerhalb der Arche in der Sintflut
der eigenen Ansichten zugrundegehen.
Das alles erinnert an das heilige Wort des Herrn (Mt 23,2f). Er hält die
Schriftgelehrten und Pharisäer für die echten Hirten der wahren Kirche
jener Zeit und gebietet, ihnen zu gehorchen; trotzdem hält er sie nicht für
Auserwählte, sondern für Verworfene (23,12f). Ich bitte euch, welche
Absurdität wäre es, wenn nur die Auserwählten zur Kirche gehörten?
Daraus würde sich als Folgerung ergeben, was die Donatisten sagten: daß
wir unsere Bischöfe nicht als solche erkennen, folglich ihnen nicht Ge-
horsam leisten könnten. Denn wie sollten wir erkennen, ob diejenigen,
die sich Bischöfe und Hirten nennen, zur Kirche gehören? Wir können ja
nicht erkennen, wer von den Lebenden vorherbestimmt ist und wer nicht,
wie später gesagt wird. Und wenn sie nicht zur Kirche gehören, wie kön-
nen sie in ihr die Stelle von Vorstehern einnehmen? Das wäre doch eine
der absonderlichsten Ungeheuerlichkeiten, wenn das Oberhaupt der Kir-
che gar nicht zur Kirche gehörte. Ein Verworfener kann also nicht nur zur
Kirche gehören, sondern kann auch Hirte der Kirche sein. Die Kirche
kann daher nicht unsichtbar genannt werden, weil sie nur aus Vorherbe-
stimmten bestünde.
Ich beschließe diese Ausführungen mit den Vergleichen des Evangeli-
ums, die diese ganze Wahrheit deutlich zeigen. Der hl. Johannes ver-

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gleicht die Kirche mit der Tenne einer Scheune, auf der sich nicht nur das
Korn für den Speicher befindet, sondern auch die Spreu, die im ewigen
Feuer brennen soll (Mt 5,12). Sind das nicht die Auserwählten und die
Verworfenen? Unser Herr vergleicht die Kirche mit einem Netz, das ins
Meer geworfen wird; mit ihm fängt man sowohl die guten als auch die
schlechten Fische (Mt 13,47); mit der Schar der zehn Jungfrauen, von
denen fünf töricht und fünf klug waren (Mt 25,1f); mit drei Knechten, von
denen einer faul ist und deswegen in die äußerste Finsternis hinausgewor-
fen wird (Mt 25,26.30); und schließlich mit einem Hochzeitsmahl, zu
dem die Guten und die Bösen kommen und die Bösen in die äußerste
Finsternis hinausgeworfen werden, weil sie kein angemessenes Gewand
hatten (Mt 22,2). Sind das nicht ebensoviele hinreichende Beweise, daß
zur Kirche nicht nur die Auserwählten gehören, sondern auch die Ver-
worfenen? Wir müssen daher die Pforte unseres eigenen Urteils verschlie-
ßen für jede Art von Ansichten, auch in dieser Frage, in Verbindung mit
dem nie ausreichend durchdachten Wort (Mt 22,14): Viele sind berufen,
wenige aber auserwählt. Alle, die zur Kirche gehören, sind berufen, aber
nicht alle in ihr sind auserwählt; daher kann man die Kirche nicht Auser-
wählung nennen, sondern Berufung in Gemeinschaft.
Doch wo können (die Gegner) in der Heiligen Schrift eine Stelle fin-
den, die ihnen irgendwie als Entschuldigung für solche Absurditäten die-
nen könnte und als Argument gegen so klare Beweise wie die angeführ-
ten? Es fehlt nicht an Einwänden in dieser Frage; daran läßt es der Eigen-
sinn seinen Dienern nie fehlen.
Deshalb werden sie anführen, was im Hohelied (4,7.12.15) von der
Braut gesagt wird: daß sie ein verschlossener Garten ist, ein Brunnen oder
eine verborgene Quelle, ein Born lebendigen Wassers, und daß sie ganz
schön ohne irgendeinen Makel ist, oder wie der Apostel (Eph 5,27) sagt:
herrlich, ohne Runzel, heilig und unbefleckt. Ich bitte sie herzlich zu über-
legen, was sie daraus folgern wollen. Wenn sie nämlich davon ableiten
wollen, es dürfe in der Kirche nur heilige Unbefleckte, ohne Runzeln,
und Glorreiche geben, dann werde ich ihnen mit den gleichen Sätzen
zeigen, daß es in der Kirche weder Auserwählte noch Verworfene gebe.
Ist es denn nicht die demütige aber wahrhaftige Stimme aller Gerechten
und Auserwählten, wie das große Konzil von Trient sagt, die betet: Vergib
uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern? Ich halte
den hl. Jakobus für einen Auserwählten, und doch bekennt er (3,2): Wir
alle fehlen in vielen Dingen, damit keiner sich rühme, ohne Sünde zu sein;
er will vielmehr, jeder soll wissen und bekennen, daß er sündigt (1 Joh

51
1,8). Ich glaube, David in seiner Entrückung und Ekstase wußte, daß es
Auserwählte gibt, und doch hielt er alle Menschen für Lügner (Ps 115,2).
Wenn also diese heiligen Eigenschaften, die der Kirche als Braut verlie-
hen sind, ständig gefährdet sind durch irgendwelche Flecken und Run-
zeln, dann muß man die Verwirklichung dieser schönen Titel außerhalb
dieser Welt suchen; die Auserwählten dieser Welt sind dafür nicht geeig-
net. Sagen wir also die Wahrheit deutlich.
1) Die Kirche als Ganzes ist ganz schön, heilig und glorreich, sowohl in
den Sitten als in der Lehre. Die Sitten hängen vom Willen ab, die Lehre
vom Verstand. In den Verstand der Kirche kann nie Falsches eindringen,
noch in den Willen irgendetwas Schlechtes. Sie kann durch die Gnade
ihres Bräutigams wie er sagen: Wer von euch kann mich einer Sünde zei-
hen (Joh 8,16), ihr verschworenen Feinde? Daraus folgt indessen nicht,
daß es in der Kirche nicht Schlechte gebe; erinnert euch, was ich oben
gesagt habe. Die Braut hat Haare und Fingernägel, die nicht lebendig
sind, obwohl sie selbst lebendig ist. Der Senat ist souverän, nicht aber
jeder einzelne Senator. Die Armee ist siegreich, doch nicht jeder einzelne
Soldat; sie gewinnt die Schlacht, aber viele Soldaten bleiben tot auf dem
Schlachtfeld. Ebenso ist die streitende Kirche immer herrlich und sieg-
reich über die Pforten und Mächte der Hölle, obwohl manche der Ihren
entweder sich verirren und in Unordnung geraten, wie ihr getan habt, sich
verlieren und zugrundegehen oder durch andere Unfälle verwundet wer-
den und sterben. Nehmt also eine nach der anderen die herrlichen Lobes-
erhebungen der Kirche, die in der Heiligen Schrift verstreut sind, und
windet ihr daraus einen Kranz. Sie stehen ihr ja durchaus zu, genau wie
viele Verwünschungen denen, die auf einem so schönen Weg zugrundege-
hen. Sie ist eine wohlgeordnete Schlachtreihe (Hld 6,9), auch wenn sich
manche von ihr absondern.
2) Wer wüßte aber nicht, wie oft man einem Körper als Ganzem zu-
schreibt, was nur einem seiner Teile zukommt? Die Braut nennt (Hld
5,10) ihren Bräutigam weiß und rot, sagt aber unmittelbar darauf, daß er
schwarze Haare hat. Der hl. Matthäus sagt (27,44), daß die mit Unserem
Herrn gekreuzigten Schächer fluchten, nach dem Bericht des hl. Lukas
(23,39) tat es aber nur einer der beiden. Man sagt, daß die Lilie weiß ist, es
gibt aber auch gelbe und grüne. Nun, wer in Ausdrücken der Liebe spricht,
bedient sich gern dieser Sprache, und das Hohelied ist eine keusche und
liebevolle Schilderung. Alle diese Eigenschaften werden also mit Recht

52
der Kirche zugeschrieben in Anbetracht so vieler heiliger Menschen, die
zu ihr gehören, die sehr genau die heiligen Gebote Gottes beobachten
und so vollkommen sind, wie man es auf dieser Pilgerfahrt sein kann,
nicht so, wie wir es in der glückseligen Heimat zu sein hoffen.
3) Wenn es übrigens keinen anderen Grund gäbe, die Kirche in dieser
Weise zu rühmen, als wegen ihrer Hoffnung, zur ganzen Reinheit und
Schönheit aufzusteigen, angesichts des einzigen Hafens, nach dem sie
sich sehnt, dem sie zustrebt, so würde das genügen, um sie heilig und
vollkommen zu nennen, zumal sie so viele herrliche Stützen dieser heili-
gen Hoffnung hat.
Man käme nie an ein Ende, wollte man sich mit allen Spitzfindigkeiten
befassen, die man hier ins Feld führt, deretwegen man das bedauernswer-
te Volk tausendfach unnötig beunruhigt. Man führt die Stelle beim hl.
Johannes (10,28) an: Ich kenne meine Schafe, und niemand wird sie mei-
nen Händen entreißen. Als Beweis, daß diese Schafe die Vorherbestimm-
ten seien, die allein zum Schafstall des Herrn gehören sollen, führt man
an, was der hl. Paulus zu Timotheus sagt: Der Herr kennt die Seinen (2
Tim 2,19), und was der hl. Johannes (1 Joh 2,19) von den Apostaten
sagte: Sie sind aus unseren Reihen hervorgegangen, doch sie gehörten nicht
zu uns.
Aber welche Schwierigkeit findet man denn in all dem? Wir stimmen
zu, daß die vorherbestimmten Schafe die Stimme ihres Hirten hören und
daß sie früher oder später alle Eigenschaften haben werden, die beim hl.
Johannes (Kap. 10) beschrieben sind; wir behaupten aber auch, daß es in
der Kirche, die der Schafstall Unseres Herrn ist, nicht nur Schafe gibt,
sondern auch Böcke. Warum würde sonst gesagt, daß im Gericht beim
Weltende die Schafe ausgeschieden werden, wenn nicht deswegen, weil es
bis zum Gericht in der Kirche, solange sie in dieser Welt ist, Böcke neben
den Schafen gibt? Wenn sie nicht beisammen wären, müßte man sie gewiß
nicht voneinander trennen. Und wenn schließlich die Vorherbestimmten
Schafe genannt werden, dann wohl auch die Verworfenen, wie David be-
stätigt: Dein Zorn lodert über den Schafen deiner Herde (Ps 74,1). Ich irrte
umher wie ein verlorenes Schaf (Ps 119,176); und wenn es an anderer
Stelle (Ps 80,1) heißt: Die ihr über Israel herrscht, hört, die ihr Josef wie ein
Schäflein lenkt. Wenn er Josef sagt, meint er die Nachkommen Josefs und
das Volk Israel, weil Josef das Erstgeburtsrecht verliehen wurde (1 Chr
5,1) und der Älteste dem Stamm den Namen gibt. Jesaja (53,6) vergleicht
alle Menschen, sowohl Verworfene als Auserwählte, mit Schafen: Wie

53
Schafe irrten wir alle umher. In Vers 7 sagt er von Unserem Herrn: Wie ein
Schaf wurde er zur Schlachtbank geführt. Im ganzen Kapitel 34 bei Eze-
chiel wird ohne Zweifel das Volk Israels Herde genannt, über die David
herrschen soll. Wer aber wüßte nicht, daß im Volk Israel nicht alle vor-
herbestimmt oder auserwählt waren? Dennoch werden sie Schafe genannt
und stehen alle unter der Leitung des gleichen Hirten. Wir behaupten
also, daß es gerettete und vorherbestimmte Schafe gibt, von denen bei
Johannes die Rede ist, und daß es verdammte gibt, von denen anderswo
gesprochen wird, und alle sind im gleichen Stall.
Wer bestreitet außerdem, daß Unser Herr die Seinen kennt? Er wußte
ohne Zweifel, was aus Judas würde; trotzdem gehörte er weiterhin zu
seinen Aposteln. Er wußte, was mit seinen Jüngern geschehen würde, die
sich wegen der Lehre vom wirklichen Essen seines Fleisches von ihm
zurückzogen (Joh 6,67); und trotzdem nahm er sie als seine Jünger an. Es
ist ein Unterschied, ob man Gott angehört nach dem ewigen Vorherwis-
sen für die triumphierende Kirche, oder ob man Gott angehört in der
gegenwärtigen Gemeinschaft der Heiligen für die streitende Kirche. Die
einen sind nur Gott bekannt, die anderen Gott und den Menschen. „Nach
dem ewigen Vorherwissen“, sagt der hl. Augustinus, „wie viele Wölfe
sind da drinnen, wie viele Schafe draußen?“ Unser Herr kennt die Seinen
also, die für die triumphierende Kirche bestimmt sind, aber außer ihnen
gibt es in der streitenden Kirche noch viele andere, deren Ende das Ver-
derben sein wird, wie der gleiche Apostel (2 Tim 2,20) zeigt, wenn er sagt,
daß es in einem großen Haus alle Arten von Gefäßen gibt, ja einige zur
Ehre, andere zur Schande.
Ebenso beweist in dieser Frage nichts, was der hl. Johannes (1 Joh
2,19) sagt: Sie sind aus unseren Reihen hervorgegangen, aber sie gehörten
nicht zu uns. Ich möchte mit dem hl. Augustinus sagen: Sie waren die
Unseren oder unter uns der Zahl nach, nicht dem Verdienst nach, d. h. mit
den Worten des gleichen Kirchenlehrers: „Sie waren die Unseren oder
unter uns durch die Gemeinschaft der Sakramente, aber infolge ihrer
besonderen Laster waren sie es nicht“; sie waren ja im Herzen und dem
Willen nach schon Häretiker, obwohl sie es dem äußeren Anschein nach
nicht waren. Man kann nicht sagen, daß es in der Kirche nicht die Guten
zugleich mit den Bösen gäbe; wie könnten sie denn sonst aus der Gemein-
schaft der Kirche hervorgehen, wenn sie nicht in ihr wären? Sie waren es
tatsächlich, ohne Zweifel, aber dem Willen nach waren sie schon drau-
ßen.

54
Schließlich ist da noch ein Argument, das nach Art und Form zutref-
fend scheint: „Keiner kann Gott zum Vater haben, der nicht die Kirche
zur Mutter hat“ (Cyprian). Das ist sicher. Ebenso ist ganz sicher: Wer
Gott nicht zum Vater hat, wird die Kirche nicht zur Mutter haben. Nun
sagen die Gegner: Die Verworfenen haben Gott nicht zum Vater, folglich
gehören die Verworfenen nicht zur Kirche. Doch die Antwort ist leicht.
Man stimmt dem ersten Satz dieser Beweisführung zu, aber der zweite,
daß die Verworfenen nicht Kinder Gottes seien, muß genauer besehen
werden. Alle Getauften können Kinder Gottes genannt werden, solange
sie gläubig sind, wenn man nicht der Taufe die Bezeichnung der Wieder-
geburt oder der geistlichen Geburt nehmen will, die Unser Herr ihr (Joh
3,5) gegeben hat. Wenn man das so versteht, gibt es viele verworfene Kin-
der Gottes, die nach dem Wort der Wahrheit (Lk 8,13) einige Zeit glau-
ben, zur Zeit der Versuchung aber abfallen. Daher lehnt man einfach diese
zweite Behauptung ab, die Verworfenen seien nicht Kinder Gottes. Da sie
zur Kirche gehören, kann man sie Kinder Gottes nennen durch die Er-
schaffung, Erlösung und Wiedergeburt, durch die Lehre und das Bekennt-
nis des Glaubens, zumal sich Unser Herr über sie durch Jesaja (1,2)
beklagt: Ich habe Kinder genährt und aufgezogen, aber sie haben mich
verachtet.
Wenn man sagen wollte, die Verworfenen hätten Gott nicht zum Vater,
weil sie nicht Erben sein werden, nach dem Wort des Apostels (Gal 4,7):
Wenn er Sohn ist, dann auch Erbe, dann bestreiten wir die Folgerung;
denn in der Kirche gibt es nicht nur die Kinder, sondern auch die Diener,
mit dem Unterschied, daß die Kinder immer bleiben als Erben, die Die-
ner nicht, sondern entlassen werden, sobald es dem Herrn gutdünkt. Zeu-
ge dafür ist Unser Herr selbst bei Johannes (8,35) und der reumütige
Sohn. Er mußte wohl anerkennen, daß viele Tagelöhner bei seinem Vater
Brot im Überfluß hatten, während er, der wahre und rechtmäßige Sohn,
vor Hunger bei den Schweinen starb (Lk 15,17). Das bestätigt den katho-
lischen Glauben in diesem Punkt. Wie viele Knechte, kann ich mit dem
Prediger (Koh 10,7) sagen, sah man zu Pferde, und wie viele Fürsten zu
Fuß wie Knechte? Wie viele unreine Tiere und Raben gibt es in dieser
Arche der Kirche; wie viele schöne, duftende Äpfel am Baum sind inwen-
dig wurmstichig, die trotzdem am Baum hängen und den guten Saft aus
dem Baum ziehen.
Wer so hellsichtige Augen hätte, das Ende des Lebensweges der Men-
schen zu sehen, der würde wohl erkennen, daß in der Kirche viele berufen,
wenige aber auserwählt sind. Das heißt: in der streitenden Kirche gibt es

55
viele, die nie zur triumphierenden gehören werden. Wie viele sind in ihr,
die draußen sein werden, wie es der hl. Antonius von Arius voraussah und
der hl. Fulbert von Berengar. Es ist also sicher, daß nicht nur die Auser-
wählten, sondern auch die Verworfenen zur Kirche gehören können und
zu ihr gehören. Wer zu ihr nur die Auserwählten gehören läßt, um sie
unsichtbar sein zu lassen, der macht es wie ein schlechter Schüler: um
seinem Meister nicht folgen zu müssen, entschuldigt er sich, er habe nichts
von seinem Leib, sondern nur von seiner Seele gehört.

3. Artikel: Die Kirche kann nicht untergehen.

Hier werde ich mich um so kürzer fassen, als das, was ich im folgenden
Kapitel (Art. 15) ausführen werde, das einen sehr kräftigen Beweis für
diesen Glauben an die Unvergänglichkeit der Kirche und an ihre ewige
Dauer ergeben wird. Um das Joch der heiligen Unterwerfung abzuschüt-
teln, die man der Kirche schuldet, sagt man, sie sei vor 80 und einigen
Jahren untergegangen, gestorben, begraben worden und das heilige Licht
des wahren Glaubens erloschen. Das ist reine Gotteslästerung, ebenso
alles gegen die Passion Unseres Herrn, gegen seine Vorsehung, gegen
seine Güte, gegen die Wahrheit.
Kennt man nicht das Wort Unseres Herrn selbst (Joh 12,3 2)? Wenn ich
von der Erde erhöht sein werde, will ich alles an mich ziehen. Ist er nicht am
Kreuz erhöht worden? Hat er nicht gelitten? Wie sollte er dann die Kir-
che, die er an sich gezogen hat, der Zerrüttung überlassen haben? Wie
hätte er diese Beute fahren lassen sollen, die ihn so viel gekostet hat? Ist
der Fürst dieser Welt, der Teufel, mit dem heiligen Stock des Kreuzes für
eine Zeit von drei bis vier Jahrhunderten hinausgestoßen worden, um
wiederzukommen und tausend Jahre zu herrschen? Wollt ihr auf diese
Weise die Kraft des Kreuzes zunichte machen? Seid ihr so aufrichtige
Richter, daß ihr so ruchlos Unseren Herrn aufteilen und künftig seine
göttliche Güte oder die teuflische Bosheit zur Entscheidung stellen wollt?
Nein, nein, wenn ein starker und mächtiger Krieger seine Festung bewacht,
ist alles im Frieden; wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und ihn über-
wältigt, nimmt er ihm die Waffen und beraubt ihn (Lk 11,21f). Wißt ihr
nicht, daß Unser Herr die Kirche mit seinem Blut erkauft hat (Apg 20,28)?
Wer könnte sie ihm entreißen? Meint ihr, er wäre schwächer als sein

56
Gegner? Ich bitte euch, sprechen wir doch ehrfürchtig von diesem Feld-
herrn. Wer von euch wird also die Kirche seinen Händen entreißen? Viel-
leicht werdet ihr sagen: Er kann sie bewahren, will es aber nicht. Ihr greift
also seine Vorsehung, seine Güte, seine Wahrhaftigkeit an.
Die Güte Gottes stieg zum Himmel auf und gab den Menschen seine
Gaben, Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer, um die Hei-
ligen zu vollenden in der Ausübung ihres Dienstamtes, zum Aufbau des
Leibes Jesu Christi (Eph 4,8.11f). War die Vollendung der Heiligen mit
11 oder 12 Jahrhunderten schon abgeschlossen? War der Aufbau des
mystischen Leibes Unseres Herrn, der Kirche, schon vollendet? Entwe-
der ihr hört auf, euch Erbauer zu nennen, oder ihr sagt nein. Wenn sie
nicht abgeschlossen ist, warum tut ihr dann der Güte Gottes das Unrecht
an zu sagen, sie hätte den Menschen genommen und entzogen, was sie
ihnen gegeben hat? Der Güte Gottes ist es eigen, wie der hl. Paulus (Röm
11,29) sagt, daß seine Gaben und seine Gnaden unwiderruflich sind, d. h.
er gibt nicht, um es wieder zu nehmen. Seit seine göttliche Vorsehung den
Menschen erschaffen hat, den Himmel und die Erde und alles, was im
Himmel und auf Erden ist, bewahrte und bewahrt sie alles dauernd, so
daß selbst die kleinste Art von Vögeln noch nicht ausgestorben ist. Was
sollen wir dann erst von der Kirche sagen? Die ganze Welt hat ihn am
Anfang nur ein einfaches Wort gekostet: Er sprach und alles wurde ge-
schaffen (Ps 148,5), und er erhält sie mit dauernder, unfehlbarer Vorse-
hung. Ich bitte euch, wie sollte er da die Kirche verlassen haben, die ihn
all sein Blut gekostet hat, soviel Leid und Mühe? Er hat Israel aus Ägyp-
ten gerettet, aus der Wüste, aus dem Roten Meer, aus so vielen Nöten und
Gefangenschaften, und wir sollten glauben, er hätte die Christenheit im
Unglauben versinken lassen? Er hat so große Sorge für seine Hagar getra-
gen, und er sollte Sara verachten? Er hat der Magd soviel Gunst erwiesen,
die aus dem Haus gejagt werden mußte (Gen 21,10ff), und sollte seiner
rechtmäßigen Braut nicht gerecht werden? Er hätte den Schatten so ge-
ehrt, und sollte den Leib im Stich lassen? Dann wären ja so viele Verhei-
ßungen der Unvergänglichkeit dieser Kirche für nichts gemacht.
Es ist die Kirche, von der der Psalmist (48,8) singt: Gott hat sie auf ewig
gegründet. Sein Thron (er spricht von der Kirche, dem Thron des Messias,
des Sohnes Davids, in der Person des ewigen Vaters) wird vor mir sein wie
die Sonne und vollkommen wie der Mond in Ewigkeit, und der treue Zeuge
im Himmel (Ps 89,37). Ich werde sein Geschlecht währen lassen von Jahr-
hundert zu Jahrhundert und seinen Thron wie die Tage des Himmels (Ps

57
89,30), d. h. solange der Himmel besteht. Daniel (2,44) nennt sie Reich,
das in Ewigkeit nicht vergehen wird. Der Engel (Lk 1,33) sagt zu Unserer
lieben Frau, daß dieses Reich kein Ende haben wird, und sagt von der
Kirche, was wir an anderer Stelle belegen. Jesaja hat doch (53,10) in der
Weise geweissagt: Wenn er sein Leben einsetzt und hingibt für die Sünde,
wird er ein langes Geschlecht sehen, d. h. ein Geschlecht von langer Dau-
er; und an anderer Stelle (61,8f): Ich werde einen ewigen Bund mit ihnen
schließen; und dann: Alle, die sie sehen (er spricht von der sichtbaren
Kirche), werden sie erkennen. Aber ich bitte euch, wer hat Luther und
Calvin ermächtigt, alle die heiligen und feierlichen Verheißungen der
Unvergänglichkeit zu widerrufen, die Unser Herr seiner Kirche gegeben
hat? Hat nicht Unser Herr (Mt 16,18) von der Kirche gesagt, daß die
Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden? Doch wie soll sich diese
Verheißung erfüllen, wenn die Kirche tausend Jahre oder mehr aufgeho-
ben war? Wenn wir sagen wollten, die Kirche könne untergehen, wie sol-
len wir dann das kostbare Wort verstehen, das Unser Herr (Mt 28,20)
seinen Aposteln zum Abschied gesagt hat: Siehe, ich bin bei euch bis zur
Vollendung der Zeiten?
Aber möchten wir denn die vorzügliche Regel Gamaliels umstoßen?
Er sagte (Apg 5,38) von der Urkirche: Wenn dieses Vorhaben oder dieses
Werk von Menschen stammt, wird es vergehen; wenn es aber von Gott
stammt, werdet ihr es nicht zerstören können. Ist die Kirche nicht das
Werk Gottes? Wie könnten wir dann sagen, sie sei verfälscht worden?
Wäre dieser schöne Baum der Kirche von Menschenhand gepflanzt wor-
den, dann würde ich gern zugeben, daß er ausgerissen werden könnte; da
er aber von so guter Hand gepflanzt wurde, wie es die Unseres Herrn ist,
wie könnte ich denen, die wir bei jeder Gelegenheit schreien hören, die
Kirche sei untergegangen, nichts anderes raten als das, was Unser Herr
(Mt 15,13 f) sagt: Laßt diese Blinden, denn jede Pflanze, die nicht der
himmlische Vater gepflanzt hat, wird ausgerissen werden, die aber Gott
gepflanzt hat, wird nicht ausgerissen.
Der hl. Paulus sagt (1 Kor 15,23 f), daß alle belebt werden müssen, jeder
nach seiner Reihenfolge. Der Erste wird Christus sein, dann jene, die Chris-
tus angehören, dann der Rest. Zwischen Christus und den Seinen, d. h. der
Kirche, gibt es kein Mittelding, denn zum Himmel aufsteigend hat er sie
auf Erden zurückgelassen. Zwischen der Kirche und dem Ende gibt es
nichts, so daß sie bis zum Ende währen muß. Wieso? Unser Herr mußte
doch inmitten seiner Feinde herrschen, bis er alle seine Feinde unter seine
Füße gelegt hat (Ps 110,1ff; 1 Kor 15,25). Wie aber sollte diese Herr-

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schaft verwirklicht werden, wenn die Kirche, das Reich Unseres Herrn,
verlorengehen und zerstört werden könnte? Wie sollte er herrschen ohne
Reich? Und wie sollte er inmitten seiner Feinde herrschen, wenn er nicht
hier auf der Welt herrscht?
Doch ich bitte euch, wenn diese Braut gestorben wäre, nachdem sie
zuerst von ihrem am Kreuz entschlafenen Bräutigam das Leben hatte,
wenn sie gestorben wäre, sage ich, wer hätte sie dann auferweckt? Weiß
man nicht, daß die Auferweckung der Toten kein geringeres Wunder ist
als die Erschaffung und ein viel größeres als die Erhaltung und Bewah-
rung (des Lebens)? Man weiß doch, daß die Erneuerung des Menschen
ein viel tieferes Geheimnis ist als die Erschaffung. Bei der Erschaffung
sprach Gott, und er ward (Ps 148,5). Er hauchte eine lebendige Seele, und
sobald er sie eingehaucht, begann dieser himmlische Mensch zu atmen.
Aber auf die Erneuerung verwandte Gott 33 Jahre, schwitzte Blut und
Wasser, starb sogar für die Erneuerung. Wer daher so kühn sein wollte zu
sagen, diese Kirche sei tot, der beleidigt die Güte, den Eifer und die Macht
dieses großen Reformators. Und wer der Reformator und Wiedererwek-
ker der Kirche zu sein glaubte, der maßt sich eine Ehre an, die einzig
Jesus Christus zusteht, und macht aus sich mehr als einen Apostel. Die
Apostel haben der Kirche nicht das Leben gegeben, sie haben es ihr aber
durch ihren Dienst bewahrt, nachdem Unser Herr es verliehen hatte. Ver-
dient also eurer Meinung nach nicht, auf den Thron der Verwegenheit
gesetzt zu werden, wer sagt, er habe die Kirche tot vorgefunden und sie
wiedererweckt?
Unser Herr hat das heilige Feuer seiner Liebe in die Welt gebracht (Lk
12,49); die Apostel haben es mit dem Atem ihrer Predigt entfacht und es
über die ganze Welt ausgebreitet. Nun sagt man, es sei im Wasser der
Unwissenheit und Bosheit erloschen. Wer wird es wieder entfachen? Bla-
sen hilft nichts; was dann? Vielleicht müßte man von neuem mit den
Nägeln und der Lanze auf Jesus Christus, den lebendigen Stein, einschla-
gen, damit aus ihm ein neues Feuer entspringt; oder sollte es genügen, daß
Calvin und Luther in der Welt sind, um es wieder zu entzünden? Das
hieße wahrhaftig, ein dritter Elija sein, denn weder Elija noch der hl.
Johannes der Täufer haben je so viel zustandegebracht. Das hieße alle
Apostel übertreffen, die wohl dieses Feuer durch die Welt getragen, es
aber nicht entzündet haben. „O unverschämte Stimme“, sagte der hl. Au-
gustinus gegen die Donatisten, „wird die Kirche nicht sein, weil du nicht
bist?“ Nein, nein, sagt der hl. Bernhard, „die Wasser kamen, die Ströme
brausten (Mt 7,25) und tobten gegen sie; doch sie stürzte nicht ein, weil

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sie auf den Felsen gegründet ist, und der Fels war Jesus Christus“ (1 Kor
10,4).
Wenn man sagt, es habe die Kirche nicht gegeben, so bedeutet das doch
nichts anderes als behaupten, daß alle unsere Vorfahren verdammt seien.
Ja wahrhaftig, denn außerhalb der wahren Kirche gibt es kein Heil, au-
ßerhalb dieser Arche gehen alle zugrunde. Welches Spiel treibt man da
mit den guten Vätern; sie haben so viel erduldet, um uns das Erbe des
Evangeliums zu bewahren, und jetzt macht man sich – anmaßend wie
Kinder – über sie lustig, hält sie für töricht und verrückt.
Ich will diese Beweisführung mit dem hl. Augustinus schließen und
euren Prädikanten sagen: „Was bringt ihr uns Neues? Muß man noch
einmal guten Samen säen, da er gesät ist und bis zur Ernte wächst (Mt
13,30)? Wenn ihr sagt, derjenige, den die Apostel gesät haben, sei ver-
nichtet, dann antworten wir euch: Belegt uns das aus der Heiligen Schrift.
Das werdet ihr wahrhaftig nie können, wenn ihr uns nicht zuerst nach-
weist, was geschrieben steht, sei falsch: daß der Same, der am Anfang
gesät wurde, bis zur Zeit der Ernte wachsen muß.“ Der gute Same, das
sind die Kinder des Reiches; das Unkraut, das sind die Bösen; die Ernte,
das ist das Ende der Welt (Mt 13,38f). Sagt daher nicht, der gute Same sei
vernichtet oder erstickt, denn er wächst bis zur Vollendung der Zeiten.

4. Artikel: Antworten auf die Einwände der Gegner.3

1. Wurde die Kirche nicht ganz zerstört, als Adam und Eva sündigten?
– Antwort: Adam und Eva waren nicht die Kirche, sondern der Anfang
der Kirche. Es ist nicht wahr, daß damals verlorenging, was noch nicht
existierte; sie sündigten ja nicht in der Lehre und im Glauben, sondern im
Tun.
2. Hat nicht der Hohepriester Aaron mit seinem ganzen Volk das gol-
dene Kalb angebetet? – Antwort: Aaron war damals noch nicht Hohe-
priester, noch war er Oberhaupt des Volkes (das war Mose); er war es erst
später (Ex 4,16; 40,12f. 31). Es ist auch nicht wahr, daß das ganze Volk
Götzendienst trieb. Waren denn die Söhne Levis nicht Gottesmänner?
Haben sie sich nicht mit Mose vereinigt (Ex 32,26)?
3. Elija beklagt sich, daß er der einzige in Israel war. – Antwort: Elija
war nicht der einzige gute Mensch in Israel, da es davon 7000 gab, die
nicht zum Götzendienst abgefallen waren (1 Kön 19,18). Was der Pro-

60
phet da sagt, dient nur dazu, die Berechtigung seiner Klage auszudrücken.
Außerdem ist es nicht richtig, daß mit ganz Israel die Kirche verloren
ging, obwohl es abfiel, denn Israel war nicht die ganze Kirche; es war
vielmehr schon gespalten durch den Abfall Jerobeams (1 Kön 12,31.38),
und das Königreich von Juda war dessen besserer und wichtigster Teil.
Asarja weissagt (2 Chr 15,3) nicht von Juda, sondern von Israel, daß es
ohne Priester und Opfer sein wird.
4. Jesaja (1,6) sagt von Israel, daß es vom Fuß bis zum Kopf keine heile
Stelle an ihm gab. – Antwort: Das ist die Ausdrucksweise, um den Ab-
scheu über die Verderbnis eines Volkes mit Nachdruck auszusprechen.
Außerdem, wenn die Propheten, die Hirten und Prediger die Ausdrucks-
weise allgemein gebrauchten, darf man sie nicht auf jeden einzelnen an-
wenden, sondern nur auf einen großen Teil, wie am Beispiel des Elija
deutlich wird, der sich beklagte, der einzige zu sein, obwohl es noch 7000
gab. Der hl. Paulus beklagt sich bei den Philippern (2,21), daß jeder nur
seinen eigenen Nutzen und Vorteil suche; trotzdem bekennt er am Schluß
des Briefes, daß es bei ihnen andererseits viele gute Leute gab. Wer weiß
nicht, daß David (Ps 14,3) sich beklagt: Es gibt keinen, nicht einen einzi-
gen, der recht handelt? Und wer weiß andererseits nicht, daß es zu seiner
Zeit viele gute Menschen gab? Diese Ausdrucksweise findet man oft, aber
man darf daraus keinen bestimmten Schluß auf den einzelnen ziehen.
Mehr noch, man kann damit nicht beweisen, daß es in der Kirche am
Glauben fehlte, noch daß die Kirche tot war; denn wenn ein Leib ganz
krank ist, folgt daraus nicht, daß er tot wäre. Ebenso ist ohne Zweifel alles
zu verstehen, was sich bei den Propheten an Drohungen und Tadel dieser
Art findet.
5. Jeremia (7,4) verbietet, der Lüge zu trauen, die sagt: der Tempel
Gottes, der Tempel Gottes. – Antwort: Wer sagt euch, daß man der Lüge
unter Berufung auf die Kirche Glauben schenken müsse? Im Gegenteil,
wer sich auf die Kirche stützt, der stützt sich auf die Säule und Grundfeste
der Wahrheit (1 Tim 3,15). Wer auf die Unfehlbarkeit der Kirche ver-
traut, glaubt nicht einer Täuschung, wenn es nicht eine Täuschung ist, was
(Mt 16,18) geschrieben steht: die Pforten der Hölle werden sie nicht über-
wältigen. Wir glauben daher an das heilige Wort, das die Unvergänglich-
keit der Kirche verheißt.
6. Es steht (2 Thess 2,3) geschrieben, daß Scheidung und Trennung
kommen müssen, daß das Opfer aufhört (Dan 12,11); und daß der Men-
schensohn auf Erden keinen Glauben finden wird bei seiner sichtbaren
Wiederkunft, wenn er kommen wird zu richten (Lk 18,8). – Antwort:

61
Alle diese Stellen beziehen sich auf die Angriffe, die der Antichrist wäh-
rend der dreieinhalb Jahre, in denen er machtvoll herrschen wird, gegen
die Kirche richtet. Dessen ungeachtet wird die Kirche während dieser
dreieinhalb Jahre nicht fehlen, sondern sie wird ernährt und bewahrt in
der Wüste und Einsamkeit, in die sie sich zurückziehen wird, wie die
Heilige Schrift (Offb 11,2; 12,14; Dan 7,25) sagt.

5. Artikel: Die Kirche war nie verschwunden noch geheim.4

Die menschliche Leidenschaft hat soviel Macht über den Menschen,


daß sie ihn drängt zu sagen, was er wünscht, ehe er dafür irgendeine
Rechtfertigung hat; und wenn er etwas gesagt hat, läßt sie ihn Gründe
dafür finden, wo es keine gibt. Gibt es einen urteilsfähigen Menschen auf
der Welt, der die Geheime Offenbarung des hl. Johannes liest und nicht
klar erkennt, daß nicht für diese Zeit gilt, daß die Frau, d. h. die Kirche, in
die Einöde flieht?
Die Alten haben sehr weise gesagt, eine gute Regel, um die Heilige
Schrift recht zu verstehen, bestehe darin, daß man den Unterschied der
Zeiten zu erkennen weiß. Ohne sie stiften die Juden bei jeder Gelegen-
heit Verwirrung, indem sie auf die erste Ankunft des Messias anwenden,
was in Wirklichkeit von seiner Wiederkunft gesagt ist, und die Gegner
der Kirche tun das noch plumper, wenn sie die Kirche seit dem hl. Gregor
bis zur Gegenwart zu dem machen wollen, was sie zur Zeit des Antichri-
sten sein muß. Daß die Frau in die Einöde flieht, wie es in der Geheimen
Offenbarung (12,6.14) heißt, verdrehen sie derart und folgern daraus, die
Kirche sei aus Angst vor der Tyrannei des Papstes tausend Jahre verbor-
gen und geheim gewesen, bis sie sich in Luther und seinen Anhängern
wieder zeigte. Doch wer sieht nicht, daß diese ganze Stelle auf das Ende
der Welt und die Verfolgung des Antichristen hinweist? Die Zeitspanne
dafür ist ausdrücklich auf dreieinhalb Jahre begrenzt (Offb 12,6.14), auch
bei Daniel (12,7). Wer aber durch irgendeine Glosse die Zeit ausdehnen
wollte, die von der Heiligen Schrift festgelegt ist, der widerspräche offen
Unserem Herrn, der (Mt 24,22) sagt, daß sie um der Auserwählten willen
alsbald abgekürzt wird. Wie können sie also dieser Schriftstelle einen
Sinn unterschieben, der der Absicht des Verfassers so fernliegt und ihren
eigenen Umständen so sehr widerspricht, ohne so viele andere Schrift-
worte zu beachten? Sie zeigen und versichern laut und deutlich, daß die
Kirche bis zu dieser letzten Zeit niemals so in der Einöde verborgen sein

62
darf, und dann für so kurze Zeit, da man sie fliehen sieht, aus der man sie
heraustreten sehen wird.
Ich will nicht mehr all die Stellen anführen, die dazu bereits (im 1.
Artikel) zitiert wurden. Dort wird von der Kirche gesagt, daß sie der Son-
ne gleicht, dem Mond, dem Bogen am Himmel (Ps 89,37), einer Königin
(Ps 45,10), einem Gebirge so groß wie die Welt (Dan 2,35), und viele ande-
re. Ich will mich damit begnügen, euch als Zeugen zwei große Säulen der
frühen Kirche zu nennen, von den bedeutsamsten, die es je gab: den hl.
Augustinus und den hl. Hieronymus.
David hatte (Ps 48) gesagt: Der Herr ist groß und überaus lobwürdig in
der Stadt unseres Gottes, auf seinem heiligen Berg. „Das ist die Stadt“, sagt
der hl. Augustinus, „die auf dem Berg erbaut ist, die sich nicht verbergen
kann; das ist die Lampe, die nicht unter dem Faß versteckt werden kann,
allen bekannt, von allen gerühmt, denn es heißt weiter: Der Berg Zion ist
gegründet zur Wonne des Universums.“ In der Tat, wie hätte Unser Herr,
der (Mt 5,15) sagte: Niemand zündet eine Lampe an, um sie unter den
Scheffel zu stellen, in der Kirche so viele Lichter entzünden sollen, um sie
in gewissen unbekannten Winkeln zu verstecken? Augustinus fährt fort:
„Das ist der Berg, der vor den Augen der ganzen Erde liegt; das ist die
Stadt, von der es (Mt 5,14) heißt: Die Stadt, die auf dem Berg liegt, kann
nicht verborgen bleiben. Die Donatisten (wie die Calviner) treffen auf den
Berg; wenn man ihnen sagt: Besteigt ihn, sagen sie: das ist kein Berg, und
sie rennen eher gegen ihn und stoßen sich den Kopf an ihm, als auf ihm
eine Wohnung zu suchen.“
„Jesaja (2,2), den man gestern las, rief aus: In den letzten Tagen wird ein
Berg bereitet sein, das Haus des Herrn auf dem Gipfel des Berges, und alle
werden sich dort einfinden. Was ist so sichtbar wie ein Berg? Es gibt aber
auch unbekannte Berge, weil sie in einem unbekannten Winkel der Erde
liegen. Wer von euch kennt den Olymp? Gewiß niemand, so wenig, wie
seine Bewohner unseren Berg Chidabbe kennen. Diese Berge liegen abge-
schieden in einem bestimmten Gebiet; das trifft aber für den Berg bei
Jesaja nicht in gleicher Weise zu, denn er liegt vor den Augen der ganzen
Erde. Der Stein, der sich vom Berg löst ohne menschliches Zutun (Dan
2,34f), ist das nicht Jesus Christus, der aus dem Stamm der Juden hervor-
gegangen ist ohne das Werk der Ehe? Und hat dieser Stein nicht alle
Reiche der Erde zerschmettert, d. h. alle Herrschaft der Götzen und Dä-
monen? Nimmt er nicht an Größe zu, bis er das ganze Universum erfüllt?
Das ist also der Berg, von dem es heißt, daß er auf dem Gipfel der Berge
errichtet ist; das ist der Berg, der sich über den Scheitel aller Berge erhebt,

63
und alle Völker strömen zu ihm hin. Wer verirrt sich und verfehlt diesen
Berg? Wer stößt sich an ihm und schlägt sich den Kopf ein? Wer kennt
nicht die Stadt, die auf dem Berg gelegen ist? Doch nein, wundert euch
nicht, daß sie denen unbekannt ist, die die Brüder hassen, die die Kirche
hassen; denn dadurch wandeln sie im Finstern und wissen nicht, wo sie
sind; sie haben sich von der übrigen Welt abgesondert, sie sind blind und
schlecht veranlagt.“ Das sind die Worte des hl. Augustinus gegen die Do-
natisten, aber die gegenwärtige Kirche gleicht der Urkirche vollkommen,
ebenso die Häretiker unserer Zeit denen des Altertums; daher braucht
man nur die Namen zu ändern, und die alten Beweise widerlegen die
Calvinisten Stück für Stück ebenso wie einst die Donatisten des Alter-
tums.
Der hl. Hieronymus geht die Frage von einer anderen Seite an, und das
ist für euch ebenso gefährlich. Er zeigt nämlich klar, daß diese angebliche
Zerstreuung, dieses Zurückziehen und Verbergen den Ruhm des Kreuzes
Unseres Herrn zerstört. Er spricht zu einem Schismatiker, der sich wie-
der mit der Kirche vereinigt hat, und sagt: „Ich freue mich mit dir und
danke Jesus Christus, meinem Gott, daß du dich guten Mutes von der
Leidenschaft des Irrtums wieder der Lust und Freude der ganzen Welt
zugewandt hast. Ich sage nicht wie manche: Herr, rette mich, denn der
Heilige hat versagt (Ps 12,2). Ihre ruchlose Stimme nimmt dem Kreuz
Jesu Christi seine Kraft, unterwirft den Sohn Gottes dem Teufel und ver-
steht die Klage des Herrn über die Sünder so, als wäre sie über alle Men-
schen gesprochen. Doch nie wird es geschehen, daß Gott für nichts ge-
storben wäre. Der Mächtige ist gefesselt und entmachtet, das Wort des
Vaters (Ps 2,8) ist erfüllt: Verlange von mir, und ich werde dir die Völker
zum Erbteil und die Grenzen der Erde zum Besitz geben. Ich bitte dich, wo
sind denn diese überfrommen oder vielmehr allzu weltlichen Leute, die
mehr Synagogen als Kirchen bauen? Wie werden die Städte des Teufels
zerstört und am Ende, d. h. bei der Vollendung der Zeit die Götzenbilder
zerstört werden? Wenn Unser Herr nicht bei der Kirche gewesen wäre
oder wenn er es nur in Sardinien gewesen wäre, dann wäre sie gewiß sehr
verarmt. Ach, wenn der Teufel erst England besitzt, Frankreich und den
Orient, die Inder, die barbarischen Völker und die ganze Welt, wie wer-
den dann die Trophäen des Kreuzes in einem Winkel der ganzen Welt
aufgenommen und bewahrt werden?“
Und was würde dieser große Mann von denen sagen, die nicht nur leug-
nen, daß die Kirche allgemein und umfassend ist, sondern auch behaup-

64
ten, sie hätte nur in bestimmten unbekannten Leuten bestanden, ohne ein
einziges kleines Dorf nennen zu wollen, wo sie seit 80 Jahren bestanden
habe? Heißt das nicht, die herrlichen Trophäen Unseres Herrn herabwür-
digen? Wegen der großen Demütigung und Erniedrigung, die Unser Herr
am Stamm des Kreuzes auf sich nahm, hat der himmlische Vater seinen
Namen so glorreich gemacht, daß sich aus Ehrfurcht vor ihm jedes Knie
beugen muß (Phil 2,8f). Sie aber schätzen weder das Kreuz noch die
Taten des Gekreuzigten so hoch und berauben die Generationen von tau-
send Jahren dieses Wertes. Der Vater hat ihm viele Völker zum Erbe
gegeben, weil er sein Leben dem Tod preisgegeben hat und auf die Stufe
der Missetäter und Räuber gestellt wurde (Jes 53,12). Sie aber schmälern
sein Los und beschneiden seinen Anteil so sehr, daß ihm während tau-
send Jahren zur Not einige Diener im Geheimen geblieben sein sollen, so
als hätte er überhaupt keine gehabt.
Ich wende mich ja an euch, ihr Vorgänger, die ihr den Namen der Chris-
ten geführt, die ihr zur wahren Kirche gehört habt: Hattet ihr den wahren
Glauben oder hattet ihr ihn nicht? Wenn ihr ihn nicht hattet, ihr Un-
glückseligen, dann seid ihr verdammt (Mt 16,16). Wenn ihr ihn hattet,
warum habt ihr ihn vor den anderen versteckt, so daß ihr keine Spur von
ihm hinterlassen habt? Daß ihr euch der Gottlosigkeit und dem Götzen-
dienst nicht widersetzt habt? Oder habt ihr nicht gewußt, daß Gott jedem
seinen Nächsten anvertraut hat (Sir 17,12)? Wer aber das Heil erlangen
will, muß seinen Glauben bekennen (Röm 10,10; Lk 12,8); und wie könn-
tet ihr sagen: Ich glaube, deshalb habe ich gesprochen (Ps 116,10)? Ihr
Unglückseligen auch, ihr habt ein so schönes Talent empfangen und habt
es in der Erde vergraben; wenn das so ist, seid ihr in der äußersten Finster-
nis (Mt 25,25.30). Wenn dagegen der wahre Glauben durch unsere Vor-
fahren stets offen bekannt und ständig gepredigt wurde, dann seid ihr, o
Luther, o Calvin, selbst unglückselig, die ihr einen ganz entgegengesetz-
ten Glauben habt und die ihr, um irgendeine Entschuldigung für eure
Wünsche und Einbildungen zu finden, alle Väter der Gottlosigkeit be-
schuldigt, als hätten sie einen falschen Glauben gehabt, oder der Nachläs-
sigkeit, daß sie geschwiegen hätten.

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6. Artikel: Die Kirche kann nicht irren.5

Als Abschalom einmal Parteiung und Spaltung gegen seinen Vater Da-
vid erregen wollte, setzte er sich in der Nähe des Tores an den Weg und
sagte zu allen, die vorübergingen: Beim König ist niemand bestellt, euch
anzuhören. Wer würde mich zum Richter über das Land bestimmen? Zu
mir dürfte jeder kommen, der eine Rechtssache hat, damit ich gerecht
urteile (2 Sam 15,2ff). So verführte er die Herzen der Israeliten. Ach, wie
viele Abschalom finden sich in unserer Zeit! Um die Leute zu verführen
und vom Gehorsam gegen die Kirche und ihre Hirten abwendig zu ma-
chen, um die Herzen der Christen aufzuwiegeln und zur Auflehnung zu
verführen, schreien sie auf allen Straßen Deutschlands und Frankreichs:
Niemand ist von Gott bestellt, um die Glaubenszweifel anzuhören und zu
lösen. Die Kirche selbst, die kirchliche Obrigkeit hat nicht die Macht zu
bestimmen, was man im Glauben festhalten muß und was nicht. Man
muß andere Richter suchen als die Bischöfe; die Kirche kann in ihren
Entscheidungen und Anordnungen irren.
Doch was hätten sie der Christenheit Schlimmeres und Verwegeneres
einreden können? Wenn also die Kirche irren kann, Luther, Calvin, an
wen soll ich mich wenden in meinen Schwierigkeiten? Sie sagen: an die
Heilige Schrift. Aber was soll ich armer Mensch tun? Ich habe ja gerade
mit der Heiligen Schrift selbst Schwierigkeiten. Mein Zweifel ist nicht,
ob man der Heiligen Schrift Glauben schenken muß oder nicht; denn wer
wüßte nicht, daß sie das Wort der Wahrheit ist? Was mir zu schaffen
macht, ist das Verständnis dieser Heiligen Schrift, das sind die Folgerun-
gen aus ihr. Sie sind zahlreich, verschieden und gegensätzlich zum glei-
chen Gegenstand. Jeder ergreift Partei, der eine für dies, der andere für
das, und doch ist nur eines davon heilsam. Ach, wer läßt mich das Richti-
ge unter so vielen Falschen erkennen? Wer läßt mich die echte Wahrheit
sehen unter so vielen offensichtlichen und verschleierten Einbildungen?
Jeder möchte sich auf dem Schiff der Heiligen Schrift einschiffen; es gibt
aber nur eines, und nur dieses wird den Hafen erreichen, alle anderen
erleiden Schiffbruch. Ach, welche Gefahr, das falsche zu wählen! Die
gleiche Prahlerei und Versicherungen der Kapitäne verführen die meis-
ten dazu, denn alle rühmen sich, darin Meister zu sein.
Wer immer behauptet, unser Meister hätte uns keine Führer auf einem
so gefahrvollen und schwierigen Weg hinterlassen, der behauptet, er woll-
te uns zugrundegehen lassen. Wer immer behauptet, er hätte uns einge-
schifft und uns dem Wind und den Wellen ausgeliefert, ohne uns einen

66
erfahrenen Steuermann zu geben, der mit Kompaß und Seekarte umzuge-
hen versteht, der behauptet, der gute Vater hätte uns in die Schule dieser
Kirche geschickt, obwohl er wußte, daß dort der Irrtum gelehrt werde,
der behauptet, er habe in uns Laster und Unwissenheit nähren wollen.
Wer hat je von einer Akademie gehört, an der jeder lehrt und keiner Hö-
rer ist? Das wäre die christliche Republik, wenn die einzelnen ... Denn
wenn die Kirche selbst irrt, wer wird dann nicht irren? Und wenn jeder
irrt oder irren kann, an wen soll ich mich dann wenden, um belehrt zu
werden? An Calvin? Oder doch eher an Luther oder an Brenz oder an
Pazmany? Wir wüßten also nicht, an wen wir uns in unseren Schwierig-
keiten wenden sollen, wenn die Kirche irrte.
Wer aber das authentische Zeugnis betrachtet, das Gott für die Kirche
abgelegt hat, der wird sehen, daß die Behauptung, die Kirche irre, nichts
anderes heißt, als daß Gott irre oder daß er sich freue und wolle, daß man
irrt. Das wäre eine große Gotteslästerung; denn Unser Herr hat doch (Mt
18,17) gesagt: Wenn dein Bruder gegen dich gefehlt hat, sag es der Kirche.
Wenn irgendeiner auf die Kirche nicht hört, sei er für dich wie ein Heide und
Zöllner. Seht ihr, wie Unser Herr uns an die Kirche verweist in unseren
Streitfragen, welcher Art sie auch sein mögen? Um wieviel mehr aber in
den wichtigeren Ungerechtigkeiten und Streitfragen. Gewiß, wenn ich
nach der Ordnung der brüderlichen Zurechtweisung verpflichtet bin, mich
an die Kirche zu wenden, um einen Sünder zu bessern, der gegen mich
gefehlt hat, um wieviel mehr werde ich verpflichtet sein, jenen vor die
Kirche zu bringen, der die ganze Kirche als Babylon bezeichnet, als Ehe-
brecherin, Götzendienerin, Lügnerin, Meineidige? Dies vor allem deswe-
gen um so mehr, als er mit dieser Böswilligkeit eine ganze Provinz ver-
führen und anstecken kann.
Das Übel der Häresie ist ja so ansteckend, daß es wie ein Krebsge-
schwür in kurzer Zeit immer mehr um sich greift (2 Tim 2,17). Wenn ich
also irgendeinen behaupten höre, alle unsere Väter, Vorfahren und Ah-
nen hätten Götzendienst getrieben, das Evangelium verfälscht und alle
Schlechtigkeiten verübt, die sich aus dem Verfall der Religion ergeben,
dann werde ich mich an die Kirche wenden, deren Urteil sich jeder beu-
gen muß. Wenn sie irren kann, bin nicht mehr ich es oder ein Mensch, der
diesen Irrtum in der Welt nährt, dann ist es Gott selbst, der ihn bestätigt
und ihm Glauben verschafft, da er uns befiehlt, vor diesen Richterstuhl
zu gehen, um dort ein gerechtes Urteil zu hören und anzunehmen. Entwe-
der weiß er nicht, was dort geschieht, oder er will uns täuschen, oder dort
wird ernsthaft die wahre Gerechtigkeit geübt und die Entscheidungen

67
sind unwiderruflich. Die Kirche hat Berengar verurteilt; wer weiterhin
darüber streiten will, den erachte ich wie einen Heiden und Zöllner, um
meinem Herrn zu gehorchen, der mir darin keine Freiheit läßt, sondern
mir befiehlt: Betrachte ihn wie einen Heiden und Zöllner.
Dasselbe lehrt der hl. Paulus, wenn er (1 Tim 3,15) die Kirche Säule
und Grundfeste der Wahrheit nennt. Heißt das nicht, daß in der Kirche
sicher an der Wahrheit festgehalten wird? Anderswo hält man zeitweise
an der Wahrheit fest, oft verfällt sie, in der Kirche aber ist sie ohne Wech-
sel, unwandelbar, ohne Veränderung, mit einem Wort beständig und im-
merwährend. Einwenden, der hl. Paulus wolle sagen, die Heilige Schrift
sei der Kirche in Obhut übergeben, sonst nichts, das hieße den Vergleich
zu sehr aushöhlen, den er gebraucht; es ist ja etwas ganz anderes, an der
Wahrheit festzuhalten, als die Heilige Schrift zu hüten. Die Juden bewah-
ren einen Teil der heiligen Schriften und viele Häretiker ebenfalls, doch
deshalb sind sie noch nicht Säulen und Grundfesten der Wahrheit. Das
Äußere des Buchstabens ist weder Wahrheit noch Irrtum, aber nach dem
Sinn, den man ihm gibt, ist er wahr oder falsch. Die Wahrheit besteht also
im Sinn, der gleichsam ihr Mark ist. Wenn daher die Kirche die Hüterin
der Wahrheit ist, wurde ihr der Sinn der Heiligen Schrift zur Bewahrung
übergeben. Man mußte ihn also bei ihr suchen, nicht im Hirn Luthers,
Calvins oder irgendeines einzelnen. Daher konnte sie nicht irren, da sie
immer den Sinn der Heiligen Schrift besaß. In der Tat, wollte man in
diesen Aufbewahrungsort den Buchstaben legen ohne den Sinn, das hieße
die Börse hinterlegen ohne das Geld, die Schale ohne den Kern, die Schei-
de ohne das Schwert, den Topf ohne die Salbe, die Blätter ohne die Frucht,
den Schatten ohne den Körper.
Doch sagt mir: Wenn die Kirche die Heilige Schrift in ihrer Obhut
hatte, warum hat Luther sie genommen und aus ihr hinausgetragen? Und
warum nehmt ihr aus ihren Händen nicht ebenso das Buch der Makkabä-
er, Jesus Sirach und alles übrige wie den Hebräerbrief an? Sie beteuert ja,
daß sie die einen wie die anderen ebenso liebevoll bewahrt. Mit einem
Wort, die Worte des hl. Paulus lassen die Deutung nicht zu, die man ihnen
geben will. Er spricht von der sichtbaren Kirche, denn wo sonst sollte er
seinen Timotheus zu wandeln anhalten? Er nennt sie Haus Gottes; sie ist
also fest gegründet, wohl geordnet, gut geschützt gegen alle Stürme und
Unwetter des Irrtums; sie ist die Säule und Grundfeste der Wahrheit. Die
Wahrheit ist also in ihr, sie wohnt hier, sie bleibt hier. Wer sie anderswo
sucht, verfehlt sie. Sie ist derart gesichert und gefestigt, daß alle Pforten

68
und Mächte der Hölle, d. h. alle feindlichen Mächte, ihrer nicht Herr
werden können (Mt 16,18). Und wäre die Festung für den Feind nicht
schon gewonnen, wenn der Irrtum in sie eindringen könnte in Dingen, die
die Ehre und den Dienst des Herrn betreffen? Unser Herr ist das Haupt
der Kirche (Eph 1,22); scheut man sich nicht zu behaupten, der Leib eines
so heiligen Hauptes sei ehebrecherisch, unheilig, verdorben? Man sage
auch nicht, er sei das Haupt der unsichtbaren Kirche (wie ich oben ge-
zeigt habe). Hört den hl. Paulus: Und ihn hat er zum Haupt über die ganze
Kirche bestellt (Eph 1,22); nicht über eine Kirche von zweien, wie ihr
euch einbildet, sondern über die ganze Kirche. Wo zwei oder drei im Na-
men Unseres Herrn versammelt sind, ist er mitten unter ihnen (Mt 18,20).
Wer aber wollte behaupten, die Versammlung der gesamten Kirche aller
Zeiten sei dem Irrtum und der Gottlosigkeit überlassen gewesen?
Ich ziehe also die Folgerung: Wenn wir sehen, daß die gesamte Kirche
den Glauben an einen bestimmten Artikel hatte und hat, sei es, daß wir
ihn ausdrücklich in der Heiligen Schrift finden, sei es, daß er aus ihr
irgendwie durch Deduktion abgeleitet wurde oder auch durch die Über-
lieferung, dann dürfen wir ihn in keiner Weise kritisieren, darüber dispu-
tieren oder daran zweifeln, sondern müssen dieser himmlischen Königin
Gehorsam und Ehrfurcht erweisen, wie Unser Herr befiehlt, und unseren
Glauben danach ausrichten. Wenn es für die Apostel ungebührlich war,
ihrem Meister zu widersprechen, dann gilt das auch für den, der der Kir-
che widerspricht. Der Vater hat ja vom Sohn gesagt: Auf ihn sollt ihr hören
(Mt 7,5); der Sohn hat von der Kirche gesagt: Wenn jemand auf die Kirche
nicht hört, dann sei er dir wie ein Heide oder Zöllner (Mt 17,5; 18,17).

7. Artikel: Die Prädikanten haben gegen die Autorität


der Kirche verstoßen.

Nun machte es mir keine Mühe zu zeigen, wie eure Prädikanten die
Heiligkeit und Erhabenheit der Kirche herabgewürdigt haben. Sie rufen
laut und deutlich, die Kirche sei 800 Jahre ehebrecherisch und antichrist-
lich gewesen, vom hl. Gregor bis Wiclef, den Beza für den ersten Erneue-
rer des Christentums hält. Calvin wollte sich wohl absichern mit einer
Unterscheidung, indem er sagte, die Kirche könne irren in Dingen, die
nicht zum Heil notwendig sind, nicht aber in notwendigen. Beza dagegen
erklärt offen, sie habe so sehr geirrt, daß sie nicht mehr Kirche sei. Heißt

69
das nicht irren in heilsnotwendigen Dingen, selbst wenn er zugibt, daß es
außerhalb der Kirche kein Heil gibt? Obwohl er sich nach allen Seiten
windet, ergibt sich also aus seinen Worten, die Kirche habe in heilsnot-
wendigen Dingen geirrt.

Wenn es aber außerhalb der Kirche kein Heil gibt und wenn die Kirche
so sehr geirrt hat, daß sie nicht mehr Kirche ist, dann gibt es gewiß kein
Heil. Nun kann sie das Heil nur verlieren, wenn sie von heilsnotwendigen
Dingen abweicht; dann hat sie in heilsnotwendigen Dingen geirrt. An-
dernfalls, wenn sie besitzt, was zum Heil notwendig ist, dann ist sie die
wahre Kirche oder man fände sein Heil außerhalb der wahren Kirche,
was nicht sein kann. Beza sagt, er habe diese Ausdrucksweise von jenen
gelernt, die ihn in seiner angeblichen Religion unterrichtet haben, d. h.
von Calvin. In der Tat, hätte Calvin gedacht, die römische Kirche habe in
heilsnotwendigen Dingen nicht geirrt, dann hätte er sich zu Unrecht von
ihr getrennt. Wenn er nämlich in ihr sein Heil wirken konnte und in ihr
das wahre Christentum war, dann war er verpflichtet, in ihr zu bleiben zu
seinem Heil, das nicht an zwei verschiedenen Orten sein konnte.

Man wird mir vielleicht erwidern, Beza sage wohl, die römische Kir-
che, wie sie heute ist, irre in heilsnotwendigen Dingen, deshalb habe er
sich von ihr getrennt, aber er sage nicht, daß die wahre Kirche je irre.
Doch auf diese Weise kann man sich nicht aus der Schlinge ziehen. Wel-
che Kirche gab es denn in der Welt vor 200 Jahren, vor 300, 400, 500
Jahren, wenn nicht die römische Kirche ganz so, wie sie gegenwärtig ist?
Es gab ohne Zweifel keine andere. Also wäre sie die wahre Kirche gewe-
sen und hätte trotzdem geirrt, oder es hätte keine wahre Kirche in der
Welt gegeben. In diesem Fall muß er zugeben, daß dieser Verfall durch
einen unerträglichen Irrtum in heilsnotwendigen Dingen gekommen sei.
Denn was jene Zerstreuung der Gläubigen und die geheime Kirche be-
trifft, die er zu schaffen glaubt, habe ich die Unhaltbarkeit schon oben
hinreichend gezeigt. Wenn sie ferner behaupten, die sichtbare Kirche
könne irren, verstoßen sie gegen die Kirche, an die Unser Herr uns in
unseren Schwierigkeiten verweist, die der hl. Paulus Säule und Grundfe-
ste der Wahrheit nennt. Diese Zeugnisse sind nur von der sichtbaren Kir-
che zu verstehen, außer man wollte sagen, Unser Herr habe uns angewie-
sen, mit etwas Unsichtbarem, nicht Wahrnehmbaren und völlig Unbe-
kannten zu sprechen, oder der hl. Paulus habe seinen Timotheus gelehrt,
in einer Gemeinschaft zu wandeln, von der er keinerlei Kenntnis hatte.

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Es heißt doch jede schuldige Achtung und Ehrfurcht verletzen gegen
diese königliche Braut des himmlischen Königs, wenn man auf ihr Ge-
biet fast alle Truppen zurückgeholt hat, die sie zuvor unter soviel Blut,
Schweiß und Mühe als Aufrührer und verschworene Feinde ihrer Krone
durch förmliche Verurteilung aus ihren Grenzen verbannt und vertrieben
hatte, ich meine, vielen Irrlehren und falschen Anschauungen wieder auf
die Beine zu helfen, die die Kirche verurteilt hatte, gleichsam die Ober-
hoheit über die Kirche an sich reißend, indem man freisprach, was sie
verurteilt hatte, und verurteilte, die sie freigesprochen hatte. Hier sind
Beispiele dafür.
Simon Magus behauptete, Gott sei die Ursache der Sünde, sagt Niko-
laus von Lyra. Doch Calvin und Beza behaupten nicht weniger, der erste
in der Abhandlung ‚Von der ewigen Vorherbestimmung‘, der zweite in
der Erwiderung auf Sebastian Castilio. Obwohl sie den Ausdruck ableh-
nen, folgen sie in der Sache und im Inhalt dieser Irrlehre, wenn man das
noch Irrlehre nennen kann statt Gottlosigkeit. Dessen haben sie so viele
gelehrte Männer mit ihren eigenen Worten überführt, daß ich mich dabei
nicht aufhalten will.
Judas dachte, sagt der hl. Hieronymus, daß die Wunder, die er die Hand
Unseres Herrn wirken sah, teuflische Blendwerke und Vorspiegelungen
seien. Ich weiß nicht, ob eure Prädikanten meinen, was sie sagen, aber
sagen sie nicht, wenn Wunder geschehen, das sei Zauberei? Statt daß euch
die auffallenden Wunder, die Unser Herr in Mondovi wirkt, die Augen
öffnen, was sagt ihr darüber?
Die Pepuzianer (oder Montanisten, auch Phrygier, wie sie der Codex
nennt), sagt der hl. Augustinus, ließen die Frauen zum Priestertum zu.
Wer wüßte nicht, daß die englischen Brüder ihre Königin Elisabeth als
Oberhaupt ihrer Kirche betrachten?
Die Manichäer, sagt der hl. Hieronymus, leugnen die Willensfreiheit.
Luther hat ein Buch gegen die Willensfreiheit geschrieben, dem er den
Titel ‚De servo arbitrio‘ gab. Bezüglich Calvin berufe ich mich auf euch.
Ambrosius: „Die Manichäer verurteilen wir zu Recht wegen des Fastens
am Sonntag.“
Die Donatisten glaubten, die Kirche sei in der ganzen Welt untergegan-
gen, nur bei ihnen allein sei sie erhalten geblieben. Eure Prädikanten
sagen ebenso. Außerdem glaubten sie, ein schlechter Mensch könne nicht
taufen. Wiclef sagte das gleiche; ich führe ihn an, weil Beza ihn für einen
großartigen Reformator hält. Was ihr Leben und ihre Tugenden betrifft:
sie gaben das allerheiligste Sakrament den Hunden, sie gossen das heilige

71
Öl auf die Erde, sie zerstörten die Altäre, sie zerbrachen und verkauften
die Kelche, sie rasierten den Priestern den Kopf, um ihnen die heilige
Salbung zu nehmen, sie rissen den Nonnen den Schleier vom Kopf, um sie
zu profanieren.
Jovinian wollte nach dem Zeugnis des hl. Augustinus, daß man jeder-
zeit und gegen jedes Verbot Fleisch jeder Art esse. Er sagte, das Fasten sei
vor Gott nicht verdienstlich, die Erlösten besäßen alle die gleiche Glorie,
die Jungfräulichkeit gelte nicht mehr als die Ehe und alle Sünden seien
gleich schwer. Bei euren Meistern lehrt man dasselbe.
Wie der hl. Hieronymus schreibt, leugnete Vigilantius, daß man die
Reliquien der Heiligen in Ehren halten muß, daß die Gebete der Heili-
gen nützlich sind, daß die Priester im Zölibat leben müssen, und die
freiwillige Armut. Leugnet ihr das alles nicht auch?
Eustathius mißachtete das vorgeschriebene Fasten der Kirche, die kirch-
lichen Traditionen, die Gedenkstätten der heiligen Märtyrer und die ih-
rer Verehrung geweihten Basiliken. Der Bericht darüber wurde von der
Synode von Gangra gegeben, die ihn wegen dieser Ansichten in den Bann
tat und verurteilte. Seht ihr, wieviel Grund es gibt, daß man eure Refor-
matoren verurteilt hat?
Eunomius wollte sich nicht der Mehrheit, der Würde und dem Alter
beugen, wie der hl. Basilius bezeugt. Er sagte, der Glaube allein genüge
zum Heil und rechtfertige. Zum ersten Satz vergleiche Beza in seinem
Werk ‚Von den Kennzeichen der Kirche‘; der zweite stimmt doch mit der
berühmten Sentenz Luthers überein, den Beza für einen hervorragenden
Reformator hält: Vides quam dives sit homo Christianus sive baptizatus,
qui etiam volens non potest perdere salutem suam, quantiscumque pecca-
tis, nisi nolit credere.6
Aerius leugnete nach dem Bericht des hl. Augustinus das Gebet für die
Verstorbenen, das vorgeschriebene Fasten, den Vorrang des Bischofs vor
dem einfachen Priester. Das alles leugnen auch eure Prädikanten.
Luzifer nannte seine Kirche die einzig wahre Kirche und behauptete,
die Kirche der Alten sei von einer Kirche zum Bordell entartet (Hierony-
mus). Und was schreien eure Prädikanten immer?
Die Pelagianer erachteten sich ihrer Gerechtigkeit für sicher und gewiß
(Hieronymus); sie verhießen den Kindern der Gläubigen, die ohne Taufe
sterben, das Heil; sie erklärten alle Sünden für Todsünden. Was das erste
betrifft, ist es eure allgemeine Sprache und die Calvins im ‚Antidoto‘; das
zweite und dritte sind zu allgemein bekannt, um darüber mehr zu sagen.

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Die Manichäer verwarfen die Opfer der Kirche und die Bilder; und was
tun eure Leute?
Die Messalianer lehnten die heiligen Weihen ab, die Kirchen und die
Altäre, wie der hl. Johannes Damascenus berichtet. Ignatius: „Euchari-
stias et oblationes non admittunt, quod non confiteantur Eucharistiam
esse carnem Servatoris nostri Jesu Christi, quae pro peccatis nostris passa
est, quam Pater benignitate suscitavit.“7 Gegen sie hat der hl. Martial die
‚Epistola ad Burdigalenses‘ geschrieben. Berengar wollte viel später das-
selbe behaupten und wurde von drei Synoden verurteilt; auf den beiden
letzten schwor er seiner Irrlehre ab.
Julian Apostata verachtete das Zeichen des Kreuzes; dasselbe tat Xe-
naias; die Mohamedaner tun nichts anderes. Doch wer darüber Ausführ-
licheres erfahren will, lese Sanders und Bellarmins ‚In notis Ecclesiae‘.
Seht ihr die Gußformen, nach denen eure Prädikanten ihre Reformation
gegossen und geformt haben?
Nun denn, diese einzigartige Übereinstimmung der Auffassungen, oder
besser gesagt, diese engste Verwandtschaft eurer Lehrer mit den unerbitt-
lichsten, verhärteten und verschworenen Feinden der Kirche, müßte sie
euch nicht davon abhalten, ihnen zu folgen und euch unter ihre Fahnen
einzureihen? Ich habe nicht eine einzige Irrlehre angeführt, die nicht als
solche von der Kirche erklärt wurde, von der Calvin und Beza zugeben,
daß sie die wahre Kirche war, d. h. in den ersten 5 Jahrhunderten des
Christentums. Ach, ich bitte euch, heißt das nicht die Erhabenheit der
Kirche mit Füßen treten, wenn man als notwendige und heilsame Erneue-
rungen und Verbesserungen ausgibt, was in ihr so sehr verabscheut wurde
in ihren reinsten Jahren und was sie als Gottlosigkeit, Untergang und
Zerstörung der wahren Lehre verworfen hat? Der zarte Magen dieser himm-
lischen Braut konnte schon vor langer Zeit die Stärke dieser Gifte nicht
vertragen und hat sie mit solcher Anstrengung ausgestoßen, daß viele
Adern ihrer Märtyrer dadurch platzten, und ihr wollt sie ihr jetzt als köst-
liche Medizin anbieten. Die Väter, die ich zitiert habe, hätten diese Leute
nicht zu den Häretikern gerechnet, hätten sie nicht gesehen, daß die Kir-
che als Ganzes sie als solche betrachtete. Sie waren äußerst rechtgläubig
und standen in Verbindung mit den übrigen Bischöfen und katholischen
Theologen ihrer Zeit. Das zeigt: was sie als Irrlehre erklärten, war es
tatsächlich.
Stellt euch daher diese ehrwürdige Versammlung im Himmel, um ih-
ren Meister geschart vor, die auf eure Reformatoren schaut. Sie haben die
Anschauungen bekämpft, die die Prädikanten vergöttern; sie haben jene

73
als Häretiker erklärt, deren Fußstapfen ihr folgt. Meint ihr, was sie bei
den Arianern, Manichäern, bei Judas als Irrtum, Irrlehre und Gotteslä-
sterung beurteilten, würden sie jetzt für Heiligkeit, Erneuerung und Ver-
besserung halten? Wer erkennt nicht, daß hier die größte Verachtung der
Erhabenheit der Kirche liegt, die es geben kann? Wenn ihr zur Nachfolge
der wahren heiligen Kirche der ersten Jahrhunderte kommen wollt, dann
dürft ihr nicht dem zuwiderhandeln, was sie so feierlich eingesetzt und
begründet hat. Niemand kann Erbe sein zum Teil, zum Teil nicht. Nehmt
die Erbschaft entschlossen an: die Auflagen sind nicht so schwer, daß ein
wenig Demut es nicht als berechtigt erkennt, seinen Leidenschaften und
Anschauungen abzusagen und die Differenzen aufzugeben, die ihr mit
der Kirche habt. Die Ehre, Erben Gottes und Miterben Jesu Christi in der
Gemeinschaft aller Seligen zu sein, ist grenzenlos.

Kapitel III

Die KKennzeichen
ennzeichen der Kirche

1. Artikel: Erstes Kennzeichen: die Einheit der Kirche.


Die wahre Kirche muß eins sein im Haupt.

1) Wie oft und an wievielen Stellen im Alten und im Neuen Testament


wird sowohl die streitende als auch die triumphierende Kirche Haus und
Familie genannt. Ich halte es für Zeitverlust, sie aufzuzählen, denn das ist
in der Heiligen Schrift so allgemein, daß keiner, der sie gelesen hat, es
bezweifeln wird. Und wer sie nicht gelesen hat, wird fast überall diese
Ausdrucksweise finden, sobald er sie liest. Von der Kirche sagt der hl.
Paulus (1 Tim 3,15) zu seinem teuren Timotheus: Damit du weißt, wie du
dich verhalten mußt im Haus Gottes, das die Kirche ist, die Säule und
Grundfeste der Wahrheit. Von ihr sagt David (Ps 84,5): Glückselig, die in
deinem Haus wohnen, Herr. Von ihr sagt Unser Herr (Joh 14,2): Im Haus

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meines Vaters gibt es viele Wohnungen; und (Mt 20,1): Das Himmelreich
gleicht einem Hausvater, und unzählige andere Stellen.
Wenn nun die Kirche ein Haus und eine Familie ist, kann in ihr ohne
Zweifel nur ein Herr sein, Jesus Christus; daher wird sie Haus Gottes
genannt. Als aber dieser Herr und Hausvater sich zur Rechten Gottes,
seines Vaters setzte und in seinem Haus viele Diener zurückließ, wollte er
einen von ihnen zum obersten Diener machen, an den die anderen sich zu
wenden haben. So sagt Unser Herr (Mt 14,45): Wer, meinst du, ist der
treue und kluge Knecht, den der Herr über sein Gesinde setzte? In der Tat,
wenn es nicht einen ersten Bediensteten in einem Geschäft gäbe, was
meint ihr, wie die Geschäfte gehen würden? Wenn es keinen König im
Königreich gäbe, keinen Kapitän auf dem Schiff, keinen Hausvater in der
Familie, das wäre in der Tat keine Familie mehr. Doch hört Unseren
Herrn (Mt 12,25): Jedes Reich und jedes Haus, das in sich uneins ist, wird
nicht bestehen. Nie kann ein Land von selbst gut regiert werden, beson-
ders wenn es groß ist.
Ich frage euch, ihr scharfsinnigen Herren, die ihr nicht wollt, daß die
Kirche ein Oberhaupt habe, könnt ihr mir ein Beispiel einer namhaften
Regierung angeben, in der nicht die Regierungen der Provinzen auf eine
bezogen sind? Man muß die Macedonier, Babylonier, Juden, Meder, Per-
ser, Araber, Syrer, die Franzosen, Spanier, Engländer und unzählige der
bedeutendsten außerachtlassen; bei ihnen ist das klar. Aber kommen wir
zu den Republiken: Sagt mir, wo habt ihr ein großes Land gesehen, das
sich von selbst regiert? Niemals. Der schönste Teil der Welt gehörte ein-
mal zur Republik der Römer, aber nur ein Rom regierte, einzig Athen,
Karthago, und so die übrigen alten: nur ein Venedig, ein Genua, ein Lu-
zern, Fribourg und andere. Ihr findet nie, daß alle Teile irgendeines be-
deutenden, großen Landes sich damit befaßt hätten, sich selbst zu regie-
ren. Vielmehr war, ist und wird es notwendig sein, daß entweder ein ein-
ziger Mann oder eine einzige Körperschaft von Männern, die in einer
bestimmten Stadt wohnen, oder eine einzige Stadt oder ein bestimmter
Teil eines Landes das übrige Land regiert, wenn es groß ist. Ihr Herren,
die ihr Freude an der Geschichte habt, ich bin sicher, ihr werdet nicht
zulassen, daß man mir widerspricht.
Doch angenommen, irgendeine Provinz hätte sich selbst regiert, was
sehr falsch ist, wie könnte man das von der christlichen Kirche behaup-
ten, die so universal ist, daß sie die ganze Welt umfaßt? Wie könnte sie
einig sein, wenn sie sich selbst regierte? Andernfalls müßte man immer
ein Konzil halten, bestehend aus allen Bischöfen; und wer würde es aner-

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kennen? Die Bischöfe müßten immer abwesend sein; wie sollte das ge-
hen? Und wenn alle Bischöfe gleich sind, wer wird sie versammeln? Und
welche Schwierigkeiten machte es, wenn man irgendeinen Zweifel im
Glauben hat, ein Konzil einzuberufen! Es kann also keineswegs sein, daß
die ganze Kirche und jeder ihrer Teile sich selbst regiere, ohne daß sie
aufeinander bezogen sind.
Nachdem ich nun hinreichend bewiesen habe, daß ein Teil auf den an-
deren bezogen sein muß, frage ich euch nach dem Teil, an den man sich
wenden muß. Entweder ist es ein Land oder eine Stadt, eine Versamm-
lung oder ein Einzelner. Wenn es ein Land ist, wo liegt es? Es ist nicht
England, denn wenn es katholisch wäre, würdet ihr das recht finden?
Wenn ihr ein anderes Land vorschlagt, wo würde es sein? Und warum
lieber dieses als ein anderes? Außerdem hat nie ein Land dieses Vorrecht
beansprucht. Wenn es eine Stadt ist, muß sie der Sitz eines Patriarchen
sein. Nun gibt es nur fünf Sitze von Patriarchen: Rom, Antiochien, Ale-
xandria, Konstantinopel und Jerusalem. Welche von den fünf? Alle sind
heidnisch, außer Rom. Wenn es eine Stadt sein soll, dann ist es Rom,
wenn eine Versammlung, dann die von Rom. Doch nein, es ist weder ein
Land, noch eine Stadt, noch eine einfache und ständige Versammlung;
ein einziger Mann ist als Haupt über die Kirche gesetzt: der treue und
kluge Knecht, den der Herr eingesetzt hat (Mt 24,45).
Ziehen wir also die Folgerung: Als Unser Herr die Welt verließ, setzte
er, damit seine ganze Kirche geeint bleibe, einen einzigen Regenten und
Statthalter ein, an den man sich in allen Schwierigkeiten wenden muß.
2) Weil dem so ist, sage ich euch: dieser allgemeine Diener, dieser
Verwalter und Regent, dieser Oberknecht des Hauses Unseres Herrn ist
der hl. Petrus. Er kann daher mit gutem Recht sagen: Herr, weil ich dein
Knecht bin (Ps 116,16); und nicht nur einfach Knecht, sondern zweifach,
denn die gut vorstehen, sind doppelter Ehre wert (1 Tim 5,17); und nicht
nur dein Knecht, sondern auch Sohn deiner Magd. Wenn man einen Die-
ner von guter Herkunft hat, schenkt man ihm mehr Vertrauen und über-
gibt ihm gern die Schlüssel des Hauses. Daher stelle ich den hl. Petrus
nicht ohne Grund vor, der sagt: Herr ..., denn er ist der gute und getreue
Knecht. Ihm als vornehmem Diener hat der Herr die Schlüssel überge-
ben: Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches übergeben (Mt 16,19).
Der hl. Lukas zeigt uns klar, daß der hl. Petrus dieser Diener ist. Er
berichtet (12,37), daß Unser Herr als Mahnung zu seinen Jüngern sagte:
Glücklich die Diener, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Amen,

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ich sage euch, er wird sich gürten, sie sich setzen lassen, herumgehen und
sie bedienen. Nachher fragte der hl. Petrus allein (12,41) Unseren Herrn:
Sagst du dieses Gleichnis für uns oder für alle? In seiner Antwort an den hl.
Petrus sagt Unser Herr nicht: „Wer meinst du, sind die Treuen“, da er
gesagt hatte: Glücklich die Diener, sondern: Wer, meinst du, ist der treue
und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzte, damit er ihnen
zur rechten Zeit den Unterhalt zuteile? (12,42). Theophylact sagt tatsäch-
lich, daß der hl. Petrus diese Frage als der Ranghöchste in der Kirche
stellte. Der hl. Ambrosius sagt zur Stelle beim hl. Lukas: Die ersten Wor-
te glücklich richten sich an alle, die anderen: Wer, meinst du, an die Bi-
schöfe und ganz besonders an den höchsten. Unser Herr antwortet also
dem hl. Petrus, als wollte er sagen: Was ich im allgemeinen gesagt habe,
betrifft alle, dich aber besonders, denn wer, meinst du, ist der kluge und
treue Knecht?
In der Tat, wenn wir diese Parabel etwas genauer ansehen wollen, wer
kann der Diener sein, der den Unterhalt geben muß, wenn nicht der hl.
Petrus? Ihm wurde der Auftrag gegeben, die anderen zu ernähren: Weide
meine Schafe (Joh 21,17). Wenn der Herr des Hauses fortgeht, übergibt
er die Schlüssel dem Oberknecht und Verwalter. Ist das nicht der hl.
Petrus? Ihm hat Unser Herr (Mt 16,19) gesagt: Dir will ich die Schlüssel
des Himmelreiches geben. Alles ist dem Verwalter überlassen, und die
übrigen Diener stützen sich auf ihn, wie das ganze Bauwerk auf das Fun-
dament. So wird der hl. Petrus Fels genannt, auf dem die Kirche gegrün-
det ist: Du bist Kephas, und auf diesem Felsen ... (Mt 16,18). Nun bedeutet
cephas im Syrischen Stein, wie sela im Hebräischen, aber der Übersetzer
ins Lateinische hat Petrus geschrieben, weil es im Griechischen petros
heißt, was ebenso Stein bedeutet wie petra. Nach dem hl. Matthäus (7,24)
sagte Unser Herr, der kluge Mann baut und gründet auf dem Felsen, supra
petram. Davon wollte der Teufel, der Vater der Lüge, der Affe Unseres
Herrn, eine gewisse Nachbildung schaffen, indem er seine unglückselige
Häresie vor allem in einer Diözese des hl. Petrus und auf einem Stein-
chen errichtete.8 Unser Herr verlangt außerdem, daß dieser Diener klug
und treu sei. Der hl. Petrus hat diese beiden Eigenschaften sehr wohl. Wie
könnte ihm auch die Klugheit fehlen, da ihn nicht Fleisch und Blut leiten,
sondern der himmlische Vater (Mt 16,17)? Und wie könnte ihm die Treue
fehlen, da Unser Herr (Lk 22,33) sagte: Ich habe für dich gebetet, daß
dein Glaube nicht wanke; und wir müssen glauben, daß er wegen seiner
Gottesfurcht erhört wurde (Hebr 5,7). Das bestätigt er wohl gut, wenn er
hinzufügt: Wenn du dich wiedergefunden hast, stärke du deine Brüder, so

77
als wollte er sagen: Ich habe für dich gebetet, folglich sei du der Bestärker
der anderen, denn für die anderen habe ich nur gebeten, daß sie in dir eine
sichere Zuflucht haben.
3) Ziehen wir also den Schluß: Als Unser Herr in seiner sichtbaren
leiblichen Gestalt seine Kirche verließ, mußte er einen sichtbaren Stell-
vertreter hinterlassen. Das ist der hl. Petrus, der deshalb wohl sagen konn-
te: Herr, dein Diener bin ich. Ihr werdet mir sagen: Ja, aber Unser Herr ist
nicht tot; außerdem ist er immer bei seiner Kirche; warum willst du ihm
also einen Stellvertreter geben? Ich antworte euch: Da er nicht tot ist, hat
er keinen Nachfolger, sondern nur einen Stellvertreter. Außerdem sorgt
er wirklich für seine Kirche in allem und überall durch seine unsichtbare
Gnade; um aber nicht einen sichtbaren Leib ohne Haupt zu bilden, woll-
te er auch für sie sorgen in der Person eines sichtbaren Stellvertreters.
Durch ihn leitet er über die unsichtbaren Gnadenerweise hinaus seine
Kirche in angemessener Weise nach der Güte seiner Vorsehung.
Ihr werdet mir auch erwidern, daß es in der Kirche kein anderes Funda-
ment gibt als Jesus Christus: Niemand kann ein anderes Fundament le-
gen, als gelegt ist, nämlich Jesus Christus (1 Kor 3,11). Ich stimme euch
zu, daß sowohl die streitende als auch die triumphierende Kirche auf
Unseren Herrn als das erste Fundament gegründet ist, aber Jesaja (28,16)
sagt voraus, daß es in der Kirche zwei Fundamente geben muß: Siehe, ich
werde in den Fundamenten Zions einen Stein legen, einen erprobten Stein,
einen kostbaren Eckstein, der im Fundament gegründet ist. Ich weiß wohl,
wie ein großer Mann diese Stellen auslegt, aber mir scheint, daß man
diesen Satz bei Jesaja keineswegs auslegen darf, ohne vom 16. Kapitel des
Matthäus-Evangeliums auszugehen, dem heutigen Evangelium. Hier be-
klagt sich also Jesaja (28,13) in der Person Unseres Herrn über die Juden
und ihre Priester, daß sie nicht glauben wollten: Ordne an, ordne wieder
an, warte, warte von neuem ..., und er fügt hinzu: Deshalb spricht der Herr.
Deshalb hat der Herr gesagt: Siehe, ich werde in den Fundamenten Zions
einen Stein legen.
Er sagt: in den Fundamenten, weil auch die anderen Apostel Grund-
steine der Kirche waren: Die Mauer der Stadt, sagt die Geheime Offenba-
rung (21,14), hat zwölf Grundsteine, auf denen die Namen der zwölf Apo-
stel des Lammes stehen. An anderer Stelle (Eph 2,20): Gegründet auf den
Fundamenten der Propheten und Apostel, während Christus Jesus selbst
der Schlußstein ist. Und der Psalmist (Ps 87,1) sagt: Ihre Fundamente
liegen auf heiligen Bergen. Aber unter allen ist einer, der eigentlich und

78
vorzüglich Stein und Fundament genannt wird. Das ist jener, zu dem Unser
Herr gesagt hat: Du bist Kephas, d. h. der Fels.
Einen erprobten Stein. Hört den hl. Matthäus (16,13ff); er sagt, daß
Unser Herr in ihr einen erprobten Stein legte. Welche Probe wollt ihr
dafür? Für wen halten die Leute den Menschensohn? Eine schwierige
Frage. Auf sie antwortet der hl. Petrus, das Geheimnis und unfaßbare
Mysterium der Mitteilung der Sprache enthüllend, überaus treffend und
beweist, daß er wahrhaft der Fels ist: Du bist Christus, der Sohn des leben-
digen Gottes.
Jesaja fährt fort und sagt: einen kostbaren Stein. Hört, welche Hoch-
schätzung Unser Herr für den hl. Petrus hat: Selig bist du Simon, Sohn des
Jona.
Einen Eckstein. Unser Herr sagt nicht, daß er nur eine Mauer der Kir-
che darauf gründen werde, sondern meine ganze Kirche. Er ist also Eck-
stein, in fundamento fundatum, auf dem Fundament gegründet. Er wird
Grundstein sein, aber nicht der erste, denn es gibt schon ein anderes Fun-
dament: der Schlußstein ist Christus selbst.
Seht, wie Jesaja den hl. Matthäus erklärt, und der hl. Matthäus Jesaja.
Ich käme an kein Ende, wollte ich alles sagen, was mir dazu einfällt.

2. Artikel: Die katholische Kirche ist geeint unter einem sichtbaren


Haupt;die der Protestanten ist es nicht, und was daraus folgt.

Ich will mich bei diesem Punkt nicht lange aufhalten. Ihr wißt, daß wir
alle, soweit wir Katholiken sind, den Papst als Stellvertreter Unseres Herrn
anerkennen. Die gesamte Kirche anerkannte das zuletzt auf dem Konzil
von Trient, als sie sich um die Bestätigung seiner Beschlüsse an ihn wand-
te und als sie seine Legaten als ordentliche und rechtmäßige Vorsitzende
des Konzils empfing.
Ich würde Zeit vergeuden, wollte ich euch beweisen, daß ihr kein sicht-
bares Oberhaupt habt; ihr leugnet das nicht. Ihr habt ein oberstes Konsi-
storium wie die von Bern, Genf, Zürich und die übrigen, das von keinem
anderen abhängig ist. Ihr seid so weit davon entfernt, ein universales Ober-
haupt anzuerkennen, daß ihr sogar kein Oberhaupt des Landes habt. Die
Prädikanten sind bei euch gleich, einer wie der andere; sie haben keinen
Vorrang vor dem Konsistorium, sondern stehen an Wissen und Stimm-

79
recht dem Präsidenten nach, der kein Theologe ist. Was eure Bischöfe
und Vorsteher betrifft, habt ihr euch nicht damit begnügt, sie auf die Stufe
der Prädikanten herabzusetzen, sondern habt sie noch geringer gemacht,
um nichts an seinem Platz zu lassen. Die Engländer betrachten ihre Köni-
gin als Oberhaupt ihrer Kirche, im Widerspruch zum reinen Wort Got-
tes. Ich wüßte aber nicht, daß sie so hoffnungslos verwirrt wären, sie zum
Oberhaupt der katholischen Kirche machen zu wollen, sondern nur ihres
bedauernswerten Landes. Mit einem Wort, bei euch gibt es keinerlei Ober-
haupt in geistlichen Dingen, noch bei den übrigen, die sich angelegen sein
lassen, den Papst abzulehnen.
Und aus all dem folgt: Die wahre Kirche muß zu ihrer Leitung und
Administration ein sichtbares Oberhaupt haben. Die eure hat keines, folg-
lich ist sie nicht die wahre Kirche. Dagegen gibt es eine Kirche auf der
Welt, die wahre und rechtmäßige, die ein sichtbares Oberhaupt hat, und
es gibt keine andere, die eines hätte, wie es in der unseren ist. Die unsere
ist daher die einzige wahre Kirche. Gehen wir weiter.

3. Artikel: Die Einheit der Kirche in Lehre und Glauben.


Die wahre Kirche muß einig sein im Glauben.

Ist Jesus Christus geteilt? Wahrhaftig nicht, denn er ist der Gott des Frie-
dens, nicht der Spaltung, wie der hl. Paulus in allen Gemeinden lehrte (1
Kor 14,33). Es kann also nicht sein, daß die wahre Kirche geteilt und
gespalten ist im Glauben und in der Lehre, denn dann wäre Gott nicht ihr
Urheber und Bräutigam, und weil ein Reich, das in sich gespalten ist,
untergeht (Mt 12,25). Sobald Gott ein Volk als das seine annimmt, wie
die Kirche, gibt er ihm die Einheit des Herzens und des Weges.
Die Kirche ist nichts anderes als ein Leib, alle Gläubigen sind dessen
Glieder, vereinigt und miteinander verbunden durch alle Gelenke (Eph
4,16). Es gibt nur einen Glauben und einen Geist, der den Leib beseelt.
Gott ist an seinem heiligen Ort, er macht sein Haus bevölkert mit Men-
schen gleicher Art und Einsicht (Ps 68,6f). Die wahre Kirche muß daher
einig sein, durch die gleiche Lehre und den gleichen Glauben verbunden,
vereinigt und zusammengehalten.

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4. Artikel: Die katholische Kirche ist einig im Glauben;
die angeblich Reformierte ist es nicht.

Der hl. Irenäus sagt: „Alle Gläubigen müssen sich sammeln und sich
mit der römischen Kirche vereinigen wegen ihrer fürstlichen Würde.“
Julius I. sagte: „Sie ist die Mutter der priesterlichen Würde“; und der hl.
Cyprian: „Sie ist der Beginn und die Einheit des Priestertums, das Band
der Einheit. Wir wissen also“, sagt er weiter, „daß ein Gott ist, ein Chris-
tus und Herr, den wir bekannt haben, ein Heiliger Geist, ein Bischof und
eine katholische Kirche.“ Der treffliche Optatus sagte den Donatisten
folgendes: „Du kannst nicht leugnen, daß du weißt, daß in der Stadt Rom
der erste Bischofsstuhl zuerst dem hl. Petrus verliehen wurde; auf ihm
saß das Oberhaupt aller Apostel, der hl. Petrus. In diesem Bischofsstuhl
wurde die Einheit aller gewahrt, damit nicht jeder der anderen Apostel
seinen eigenen beanspruchen und verteidigen wollte, sodaß von da an
jener ein Schismatiker und schuldig wurde, der für sich einen anderen
Stuhl im Gegensatz zu diesem einzigen errichten wollte. Diesen einzigen
Bischofsstuhl, der das erste Vorrecht besitzt, hatte also zuerst der hl. Pe-
trus inne.“ Das sind ziemlich genau die Worte dieses ehrwürdigen und
heiligen Theologen.
Alle Katholiken dieser Zeit sind der gleichen Überzeugung. Wir be-
trachten die römische Kirche als unseren Treffpunkt in allen Schwierig-
keiten, wir alle sind ihre demütigen Kinder und nähren uns von der Milch
ihrer Brust; wir alle sind Zweige an diesem fruchtbaren Stamm und zie-
hen den Saft der Lehre nur aus dieser Wurzel. Das bewirkt, daß wir alle
mit dem gleichen Gewand des Glaubens bekleidet sind. Wir wissen, daß
es ein Oberhaupt und einen Statthalter in der Kirche gibt. Da er den Stuhl
des hl. Petrus innehat, um die Christenheit zu belehren, dient alles, was er
im Einvernehmen mit den übrigen Bischöfen entscheidet, als Regel und
Maßstab unseres Glaubens. Wohin man in der ganzen Welt kommt, fin-
det man überall den gleichen Glauben bei den Katholiken. Wenn es ir-
gendeinen Unterschied der Auffassung gibt, ist es entweder in einer Sa-
che, die nicht den Glauben betrifft, oder ihr seht jeden sich sogleich der
Entscheidung fügen, sobald das allgemeine Konzil oder der Apostolische
Stuhl sie getroffen hat. Unsere Auffassungen im Glauben weichen nicht
voneinander ab, sondern bleiben sehr eng vereinigt und verbunden durch
das Band der höchsten Autorität der Kirche. Auf sie verläßt sich jeder in
aller Demut, auf sie als die Säule und Grundfeste der Wahrheit (1 Tim

81
13,15) stützt er seinen Glauben. Unsere katholische Kirche kennt nur
eine Sprache und eine Ausdrucksweise auf der ganzen Erde.
Eure ersten Lehrer dagegen, ihr Herren, waren kaum aufgetreten, hat-
ten kaum beabsichtigt, sich einen Turm der Lehre und der Wissenschaft
zu errichten, der offensichtlich bis zum Himmel wachsen und ihnen den
großen, außerordentlichen Ruf der Reformatoren erwerben sollte, da ließ
Gott, um diesen hochfliegenden Plan zu vereiteln, unter ihnen eine sol-
che Verschiedenheit der Sprache und des Glaubens zu, daß der eine sich
auf dies, der andere auf das festzulegen begann. So wurde aus ihrem gan-
zen Unterfangen nur ein armseliges Babel und Verwirrung. Welche Wi-
dersprüche hat die Reformation Luthers hervorgerufen; ich käme an kein
Ende, wollte ich sie zu Papier bringen. Wer sie kennenlernen will, lese
das kleine Buch ‚De Concordia discordi‘ von Friedrich Staphyl, das 7.
Buch in Sanders ‚Sichtbarer Monarchie‘ und Gabriel de Preau im ‚Leben
der Häretiker‘. Ich will nur sagen, was euch nicht unbekannt sein kann
und was ich jetzt mit meinen Augen sehe.
Ihr habt nicht den gleichen Kanon der Heiligen Schrift. Luther lehnt
den Jakobusbrief ab, den ihr annehmt. Calvin glaubt, es widerspreche der
Heiligen Schrift, daß es in der Kirche ein Oberhaupt gibt; die Engländer
behaupten das Gegenteil. Die französischen Hugenotten behaupten, nach
dem Wort Gottes seien die Priester nicht geringer als die Bischöfe; die
Engländer haben Bischöfe, die über den Priestern stehen, und zwei Erz-
bischöfe, von denen einer Primas genannt wird, ein Name, dem Calvin
sehr übel gesinnt ist. Die Puritaner in England erklären als Glaubensarti-
kel, daß es nicht erlaubt sei, in früher katholischen Kirchen zu predigen,
zu taufen und zu beten; hierzulande ist man da nicht so streng. Beachtet
aber, ich habe gesagt, daß sie es als Glaubensartikel erklären, denn sie
erdulden eher Gefängnis und Verbannung, als davon abzugehen. Wißt ihr
nicht, daß man es in Genf für Aberglauben hält, irgendein Fest der Heili-
gen zu feiern? In der Schweiz tut man das, und ihr feiert eines von Unse-
rer lieben Frau (Maria Verkündigung).
Es geht hier nicht darum, daß es die einen tun und die anderen nicht,
denn das wäre kein Widerspruch zur Religion. Doch was ihr tut und
manche Schweizer, das erklären andere als Gegensatz zur Reinheit der
Religion. Wißt ihr nicht, daß einer der Größten eurer Prädikanten (Beza)
in Poissy gesagt hat, der Leib Unseres Herrn sei „vom Abendmahl so weit
entfernt wie die Erde vom Himmel“? Und wißt ihr nicht, daß das von
vielen der anderen als falsch erklärt wird? Hat nicht einer eurer Theolo-
gen kürzlich die wirkliche Gegenwart des Leibes Unseres Herrn im

82
Abendmahl zugegeben, und leugnen sie nicht die anderen? Könnt ihr
leugnen, daß ihr in der Frage der Rechtfertigung untereinander so zer-
stritten seid, wie ihr es mit uns seid? Beweis dafür ist der ‚Anonyme Wi-
dersacher‘. Mit einem Wort, jeder spricht seine eigene Sprache, und unter
allen Hugenotten, mit denen ich sprach, habe ich nie zwei gefunden, die
den gleichen Glauben haben.
Das Schlimmste aber ist, daß ihr euch nicht einigen könnt; denn woher
nehmt ihr einen zuverlässigen Schiedsrichter? Ihr habt kein Oberhaupt
auf Erden, an das ihr euch in euren Schwierigkeiten wenden könnt. Ihr
glaubt, die Kirche könne sich irren und die anderen täuschen; ihr möch-
tet eure Seele nicht in eine so wenig sichere Hand legen, oder ihr haltet
nicht viel von ihr. Die Heilige Schrift kann nicht euer Schiedsrichter sein,
denn ihr streitet ja gerade über die Heilige Schrift, die die einen so, die
anderen anders verstehen wollen. Eure Zwistigkeiten und Streitigkeiten
werden kein Ende nehmen, wenn ihr euch nicht der Autorität der Kirche
beugt. Das beweisen die Konferenzen von Lüneburg, Maulbronn, Mobe-
liard, die jüngste in Bern. Das beweisen Tilmann Heßhusen und Erastus,
Brenz und Bullinger.
Die Uneinigkeit unter euch über die Zahl der Sakramente ist gewiß
sehr beachtlich. Gegenwärtig läßt man bei euch allgemein zwei gelten;
Calvin hat deren drei angenommen, indem er der Taufe und dem Abend-
mahl die Priesterweihe hinzufügte. Luther hat als drittes die Buße hinzu-
gefügt, dann sagte er, es gebe nur eines. Schließlich haben die Protestan-
ten auf dem Religionsgespräch von Regensburg, an dem Calvin teilnahm,
wie er in seiner Biographie bestätigt, zugegeben, daß es sieben Sakramen-
te gibt. Wie zerstritten seid ihr im Artikel über die Allmacht Gottes?
Während die einen bestreiten, ein Körper könne selbst durch göttliche
Kraft an zwei Orten sein, leugnen die anderen jede unbegrenzte Macht,
andere leugnen keines von beiden. Ich käme an kein Ende, wollte ich
euch die großen Gegensätze in der Lehre derjenigen aufzählen, die Beza
alle für große Reformatoren der Kirche hält, nämlich Hieronymus von
Prag, Jan Hus, Wiclef, Luther, Bucer, Oecolompadius, Zwingli, Pomerau
und die übrigen. Schon Luther wird euch hinreichend unterrichten über
die Eintracht, die unter ihnen herrschte, in seinen Anklagen gegen die
Zwinglianer und Sakramentarier, die er 1527 Abschaloms, Judasse und
Schwarmgeister nannte.
Se. Hoheit Philibert Emmanuel sel. Andenkens erzählte dem gelehrten
Antonio Possevino: Als man auf dem Reichstag zu Worms (1557) die
Protestanten nach ihrem Glaubensbekenntnis fragte, verließen alle, einer

83
nach dem anderen, die Versammlung, weil sie keine Übereinstimmung
finden konnten. Dieser große Fürst ist glaubwürdig, denn er berichtet als
einer, der anwesend war. Die ganze Uneinigkeit hat ihre Wurzel darin,
daß ihr ein sichtbares Oberhaupt der Kirche auf Erden ablehnt. Da ihr für
die Auslegung des Wortes Gottes an keine höhere Autorität gebunden
seid, ergreift jeder Partei für das, was er für gut hält. Das sagt der Weise
(Spr 13,10): Die Stolzen sind stets uneinig. Das ist ein echtes Kennzeichen
der Irrlehre. Die in mehrere Parteien gespalten sind, denen kann man
nicht den Namen Kirche geben, denn wie der hl. Chrysostomus sagt, „ist
der Name der Kirche ein Name der Übereinstimmung und Eintracht“.
Was aber uns betrifft, wir haben alle den gleichen Kanon der Heiligen
Schrift, das gleiche Oberhaupt und die gleiche Regel für die Schriftausle-
gung. Ihr habt Uneinigkeit im Kanon, und in der Schriftauslegung habt
ihr so viele Köpfe und so viele Regeln, als ihr Leute seid. Wir blasen alle
auf dem Ton der Trompete des einzigen Gideon; wir alle haben den glei-
chen Geist des Glaubens an den Herrn und seinen Stellvertreter, das
Schwert der Entscheide (Ri 7,20) Gottes und der Kirche, nach dem Wort
der Apostel (Apg 15,28): Es hat dem Heiligen Geist und uns gefallen.
Diese Einheit der Sprache ist für uns ein Zeichen, daß wir die Armee des
Herrn sind. Ihr könnt nur als Midianiter angesehen werden; ihr tut in
euren Auffassungen nichts, als jeder auf seine Weise zu heulen und zu
grölen; ihr balgt euch miteinander, ihr erwürgt und mordet euch selbst
durch eure Zwistigkeiten, wie Gott durch Jesaja (19, 2f) sagt: Die Ägypter
werden gegen die Ägypter kämpfen, und der Geist Ägyptens wird sich zer-
splittern. Der hl. Augustinus sagt: „Wie Donatus Christus zu teilen ver-
suchte, so wurde er in sich selbst gespalten durch eine ständige Spaltung
der Seinen.“
Schon dieses eine Zeichen müßte euch veranlassen, eure angebliche
Kirche zu verlassen, denn wer nicht für Gott ist, der ist gegen Gott (Mt
12,30). Gott ist nicht in eurer Kirche, denn er wohnt nur an einem Ort des
Friedens (Ps 76,3); in eurer Kirche gibt es aber keinen Frieden und keine
Eintracht.

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5. Artikel: Zweites Kennzeichen: die Heiligkeit der Kirche.

Die Kirche Unseres Herrn ist heilig; das ist ein Glaubensartikel. Unser
Herr hat sich für sie hingegeben, um sie zu heiligen (Eph 5,26). Sie ist ein
heiliges Volk (1 Petr 2,9), sagt der hl. Petrus. Der Bräutigam ist heilig und
die Braut ist heilig. Sie ist heilig, da sie Gott geweiht ist, wie die Erstgebo-
renen der alten Synagoge einzig unter diesem Gesichtspunkt heilig ge-
nannt wurden (Ex 13,2; Lk 2,23). Sie ist auch heilig, weil der Geist heilig
ist, der sie beseelt (Joh 6,64; Röm 8,11), und weil sie der mystische Leib
eines überaus heiligen Hauptes ist (Eph 1,22f). Sie ist es außerdem, weil
alle ihre äußeren und inneren Werke heilig sind. Sie glaubt, sie hofft, sie
liebt auf heilige Weise, in ihren Gebeten, Predigten, Sakramenten und
Opfern ist sie heilig.
Doch diese Kirche hat ihre innere Heiligkeit, nach dem Wort Davids
(Ps 45,14f): Alle Herrlichkeit dieser Königstochter ist inwendig. Sie hat
auch ihre äußere Heiligkeit in goldenen Fransen von schöner Vielfalt. Die
innere Heiligkeit kann man nicht sehen; die äußere kann nicht als Kenn-
zeichen dienen, weil alle Sekten sich ihrer rühmen und weil es schwierig
ist, das echte Gebet, die wahre Predigt und Spendung der Sakramente zu
erkennen. Es gibt aber über das alles hinaus Kennzeichen, durch die Gott
seine Kirche zu erkennen gibt. Sie sind gleichsam Düfte und Wohlgerü-
che, wie der Bräutigam im Hohelied (4,11) sagt: Der Duft deines Gewan-
des ist wie der Wohlgeruch von Weihrauch. So können wir ihren Düften
und Wohlgerüchen folgend die wahre Kirche suchen und finden und das
Lager des jungen Einhorns (Ps 29,6).

6. Artikel: Die wahre Kirche muß durch Wunder leuchten.

Die Kirche hat also Milch und Honig unter der Zunge (Hld 4,11), in
ihrem Herzen; das ist die innere Heiligkeit, die wir nicht sehen können.
Sie ist reich gekleidet mit einem schönen Gewand, das gut und schön
bestickt ist (Ps 45,10); das ist die äußere Heiligkeit, die man sehen kann.
Weil jedoch die Sekten und Irrlehren ihre Gewänder aus einem falschen
Stoff nach der gleichen Art maskieren, hat die Kirche darüber hinaus
noch Düfte und Wohlgerüche, die ihr eigen sind. Das sind bestimmte
Zeichen und Glanzlichter der Heiligkeit; die sind ihr so ausschließlich
zu eigen, daß keine andere Gemeinschaft sich ihrer rühmen kann, beson-
ders in unserer Zeit. Sie leuchtet vor allem durch Wunder. Das sind süße

85
Düfte und Wohlgerüche, ausdrückliche Zeichen der Gegenwart des un-
sterblichen Gottes, wie sie der hl. Augustinus nennt.
In der Tat, als Unser Herr aus dieser Welt ging, versprach er, daß die
Kirche Wunder begleiten werden; er sagte (Mk 16,17): Diese Zeichen
werden die Gläubigen begleiten: sie werden in meinem Namen Teufel aus-
treiben, werden in neuen Sprachen reden, sie werden Schlangen aufheben
und das Gift wird ihnen nicht schaden; durch Handauflegung werden sie
Kranke heilen. Betrachten wir doch diese Worte näher. 1. Er sagt nicht,
daß nur die Apostel Wunder wirken werden, sondern einfach: denen, die
glauben. 2. Er sagt nicht, daß jeder einzelne Gläubige Wunder wirken
wird, sondern jene, die glauben, werden Wunder begleiten. 3. Er sagt nicht,
daß das für zehn oder zwanzig Jahre gelte, sondern einfach, daß diese
Wunder die Gläubigen begleiten werden. Unser Herr spricht also nur zu
den Aposteln, aber nicht für die Apostel allein; er spricht von den Gläu-
bigen insgesamt und allgemein, d. h. von der Kirche. Er spricht absolut,
ohne Unterscheidung der Zeit. Lassen wir diesen heiligen Worten die
Weite, die Unser Herr ihnen gibt: Die Gläubigen gehören zur Kirche, die
Gläubigen begleiten Wunder, also gibt es in der Kirche Wunder. Gläubi-
ge gibt es jederzeit, die Gläubigen begleiten Wunder, folglich geschehen
zu allen Zeiten Wunder.
Doch laßt uns ein wenig sehen, warum die Wundermacht in der Kirche
erhalten blieb. Ohne Zweifel, um die Predigt des Evangeliums zu bekräf-
tigen. Das bestätigen ja der hl. Markus und der hl. Paulus, wenn er (Hebr
2,4) sagt, daß Gott Zeugnis für den Glauben gab, den er verkündete. Gott
gab dem Mose dieses Instrument in die Hand, damit man ihm glaubte.
Unser Herr sagte (Joh 15,24), die Juden wären nicht verpflichtet gewe-
sen, ihm zu glauben, wenn er keine Wunder gewirkt hätte. Nun denn, muß
die Kirche nicht immer gegen den Unglauben kämpfen? Warum wollt ihr
ihr denn diesen Stab nehmen, den Gott ihr in die Hand gegeben hat? Ich
weiß wohl, daß sie dessen nicht mehr in dem Maß bedarf wie am Beginn;
nachdem die heilige Pflanze des Glaubens gut Wurzel gefaßt hat, muß
man sie nicht mehr so oft begießen. Da aber die Notwendigkeit und der
Grund zum guten Teil weiterbestehen, wäre es eine sehr schlechte Philo-
sophie, ihr diese Wirkung ganz zu entziehen.
Außerdem, zeigt mir doch irgendeine Periode, in der die sichtbare Kir-
che, von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, ohne Wunder gewesen wäre.
Zur Zeit der Apostel geschahen zahllose Wunder, das wißt ihr sehr gut.
Nach dieser Zeit, wer kennt nicht das Wunder, das Marc Aurel berichtet,

86
bewirkt durch die Gebete der christlichen Soldaten der Legion, die in
seinem Heer waren? Sie wurde deswegen die fulminante genannt. Wer
kennt nicht die Wunder des hl. Gregor Thaumaturgus, der Heiligen Mar-
tin, Antonius, Nikolaus, Hilarion und die wunderbaren Ereignisse, die
Theodosius und Konstantin widerfuhren? Die sie berichten sind glaub-
würdig: Eusebius, Rufin, der hl. Hieronymus, Basilius, Sulpicius, Atha-
nasius. Wer weiß auch nicht, was sich bei der Auffindung des heiligen
Kreuzes zur Zeit des Julian Apostata ereignete? Zur Zeit der Heiligen
Chrysostomus, Ambrosius, Augustinus geschahen mehrere Wunder, von
denen sie selbst berichten.
Warum also wollt ihr, daß dieselbe Kirche jetzt keine Wunder mehr
habe? Welchen Grund sollte das haben? Wahrhaftig, was wir die Kirche
zu allen Zeiten stets begleiten gesehen haben, wir können nicht anders,
als es eine Eigenheit der Kirche zu nennen. Die wahre Kirche macht
daher ihre Heiligkeit durch Wunder sichtbar. Wenn Gott den Gnaden-
stuhl, den Berg Sinai und den brennenden Dornbusch so wunderbar mach-
te, weil er dort mit den Menschen sprechen wollte, warum sollte er seine
Kirche, in der er für immer wohnen will, nicht mit Wundern auszeich-
nen?

7. Artikel: Die katholische Kirche begleiten Wunder, die angebliche nicht.

Hier wünsche ich nun, daß ihr euch vernünftig zeigt, ohne Streitsucht
und Starrsinn. Nach zuverlässigen und authentischen Berichten findet
man, daß zu Beginn dieses Jahrhunderts der hl. Franz de Paula durch
unleugbare Wunder ausgezeichnet war, wie die Erweckung von Toten.
Man findet solche genauso beim hl. Diego von Alcala. Das sind nicht
unsichere Gerüchte, sondern schriftlich festgehaltene Beweise, sichere
Nachrichten.
Werdet ihr die Erscheinung des Kreuzes zu leugnen wagen, die dem
wackeren katholischen Feldherrn Albuquerque und allen seinen Leuten
in Camaran zuteil wurde? Viele Historiker beschreiben sie und bei ihr
waren so viele Leute anwesend. Der fromme Gaspard Berzee in Indien
heilte die Kranken, indem er einfach während der Messe zu Gott für sie
betete, und so rasch, daß kein anderer als die Hand Gottes es bewirken
konnte.
Der selige Franz Xaver heilte Gelähmte, Taube, Stumme und Blinde
und erweckte einen Toten zum Leben. Sein Leib konnte nicht verwesen,

87
obwohl er bei der Hitze beerdigt worden war. Das bezeugten jene, die ihn
fünfzehn Monate nach seinem Tod unversehrt gesehen haben. Die beiden
letzten sind vor 45 Jahren gestorben.
In Meliapor fand man ein Kreuz, in einen Stein eingelassen. Man nimmt
an, daß es von den Christen zur Zeit des hl. Thomas vergraben wurde.
Wunderbar und doch wahr ist, daß dieses Kreuz fast jedes Jahr um das
Fest des glorreichen Apostels viel Blut schwitzt oder eine Flüssigkeit wie
Blut, die Farbe wechselt, fahlweiß wird, dann schwarz, bald wieder in
angenehmem Blau leuchtet und schließlich wieder seine natürliche Farbe
annimmt. Das sieht das ganze Volk, und der Bischof von Cochin hat darü-
ber eine amtliche Bestätigung mit einer Abbildung des Kreuzes an das
heilige Konzil von Trient geschickt. So geschehen in Indien Wunder, wo
der Glaube noch nicht ganz gefestigt ist. Ich übergehe eine Fülle von
ihnen, um mich so kurz zu fassen, wie ich muß.
Der Pater Ludwig von Granada berichtet in seiner ,Einführung in das
Glaubensbekenntnis‘ über mehrere neue glaubwürdige Wunder. Unter
anderen führt er die Heilung an, die die katholischen Könige Frankreichs
selbst in unserer Zeit wirkten, von der unheilbaren Krankheit der Skro-
feln, indem sie nur die Worte sagten: „Gott heilt dich, der König berührt
dich.“ Sie treffen keine andere Maßnahme, als an diesem Tag zu beichten
und zu kommunizieren.
Ich habe den Bericht gelesen über die wunderbare Heilung des Jacques
de Belmonte, Sohn des Claude Andre, im Bezirk Baume in Burgund. Er
war acht Jahre stumm und hilflos gewesen. Nachdem er in der Kirche des
hl. Claudius an dessen Festtag, am 8. Juni 1588, seine Andacht verrichtet
hatte, war er plötzlich gesund und geheilt. Nennt ihr das nicht ein Wun-
der? Ich spreche von einem Ereignis der jüngsten Zeit. Ich habe den amt-
lichen Akt gelesen, ich habe mit dem Notar Vion gesprochen, der ihn
aufgenommen, ausgefertigt und in der erforderlichen Weise unterzeich-
net hat. Es fehlte nicht an Zeugen, denn zahllose Leute waren dabei.
Doch was halte ich mich dabei auf, euch Wunder unserer Zeit aufzuzäh-
len? Gehörten der hl. Malachias, der hl. Bernhard und der hl. Franziskus
nicht zu unserer Kirche? Ihr könnt es nicht leugnen. Die ihr Leben be-
schrieben haben, sind sehr heilig und gelehrt. Der hl. Bernhard hat ja das
Leben des hl. Malachias beschrieben, der hl. Bonaventura das des hl.
Franziskus. Ihnen fehlte es weder an Fähigkeit noch an Gewissenhaftig-
keit, und doch berichten sie viele große Wunder. Vor allem aber müßten
die Wunder, die jetzt vor unseren Toren, vor den Augen unserer Fürsten

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und unseres ganzen Savoyen in der Nähe von Mondovi geschehen,9 allem
Starrsinn die Tür verschließen.
Nun denn, was sagt ihr dazu? Werdet ihr sagen, daß der Antichrist Wun-
der wirken wird? Der hl. Paulus bestätigt (2 Thess 2,9), daß es falsche sein
werden, und das größte, das der hl. Johannes (Offb 13,13) anführt, be-
steht darin, daß er Feuer vom Himmel fallen lassen wird. Satan kann
solche Wunder wirken, und er hat ohne Zweifel welche gewirkt; doch
Gott wird seiner Kirche ein sicheres Gegenmittel geben. Wie die Gehei-
me Offenbarung (11.5f) und ihre Interpreten bestätigen, werden die Die-
ner Gottes Elija und Henoch diesen Wundern andere Wunder ganz ande-
rer Art entgegensetzen. Sie werden sich nicht nur des Feuers bedienen,
um ihre Feinde wunderbar zu züchtigen, sondern sie werden die Macht
haben, den Himmel zu verschließen, damit es nicht regnet, die Wasser in
Blut zu verwandeln, die Erde mit jeder Plage zu schlagen, die ihnen gut-
dünkt. Dreieinhalb Tage nach ihrem Tod werden sie auferstehen und zum
Himmel auffahren; die Erde wird bei ihrer Auffahrt beben. Dann werden
also durch die Gegenüberstellung von echten Wundern die Blendwerke
des Antichristen entlarvt werden. Wie Mose schließlich die Zauberer
Ägyptens zum Bekenntnis zwang: Das ist der Finger Gottes (Ex 8,19), so
werden Elija und Hennoch schließlich erreichen, daß ihre Feinde dem
Gott des Himmels die Ehre geben (Offb 1,13). Elija wird am Ende der
Zeiten seine heiligen Wunderwerke als Prophet vollbringen, wie er einst
(1 Kön 18) tat, um die Gottlosigkeit der Baalspriester und anderer Göt-
zendiener zu besiegen.
Ich will also sagen, 1. daß die Wunder des Antichristen nicht so be-
schaffen sind wie die, die wir für die Kirche anführen. Daraus folgt aber
nicht, wenn jene kein Kennzeichen der Kirche sind, daß diese es ebenfalls
nicht wären. Jene werden durch größere und gediegene als falsch erwie-
sen und geschlagen; diese sind gediegen und niemand kann ihnen gesi-
chertere entgegensetzen. 2. Die Wunder des Antichristen werden nur ein
kurzer Angriff von dreieinhalb Jahren sein, aber die Wunder der Kirche
sind dieser so eigentümlich, daß sie sich seit ihrer Gründung ständig durch
Wunder auszeichnet. Die Wunder des Antichristen sind unnatürlich und
nicht von Dauer, in der Kirche aber sind sie naturgemäß nach ihrem
natürlichen Wesen, folglich sind sie dauerhaft und begleiten sie ständig,
um das Wort (Mt 16,17) zu bestätigen: Die Gläubigen werden diese Zei-
chen begleiten.
Ihr möchtet gern einwenden, daß die Donatisten nach dem Bericht des
hl. Augustinus Wunder wirkten. Das waren aber nur bestimmte Visionen

89
und Offenbarungen, deren sie sich ohne jeden Nachweis rühmten. Die
Kirche kann durch solche private Visionen gewiß nicht als echt erwiesen
werden; im Gegenteil, diese Visionen können nur durch das Zeugnis der
Kirche bestätigt und für echt gehalten werden, sagt der hl. Augustinus.
Wenn Vespasian einen Blinden und einen Lahmen geheilt hat, so urteil-
ten nach dem Bericht des Tacitus sogar die Ärzte, daß es sich um eine
Blindheit und um eine Lähmung handelte, die nicht unheilbar waren; es
wäre also nicht verwunderlich, wenn sie der Teufel geheilt hätte. Ein ge-
taufter Jude stellte sich dem novatianischen Bischof Paulus vor, um sich
wiedertaufen zu lassen; da verschwand plötzlich das Taufwasser. Dieses
Wunder geschah nicht zur Bestätigung der Sekte der Novatianer, sondern
der heiligen Taufe, die nicht wiederholt werden darf. „Bei den Heiden
geschehen manche Wunder“, sagt der hl. Augustinus: nicht als Bestäti-
gung des Heidentums, sondern der Unschuld und Treue, die Gott als ihr
Urheber liebt und schätzt, wo immer sie sich finden. Nun, diese Wunder
sind nur selten geschehen; man kann daher keine Folgerungen von ihnen
ableiten. Aus den Wolken leuchten manchmal Blitze auf, aber es ist ein
Kennzeichen und eine Eigenheit der Sonne, Licht zu spenden.
Beschließen wir also diese Erörterung. Die Kirche begleiteten stets ge-
diegene und ganz sichere Wunder wie die ihres Bräutigams; folglich ist
sie die wahre Kirche. In solchen Fällen bediene ich mich des Arguments
des Nikodemus (Joh 3,2) und sage: Keine Gemeinschaft kann diese Zei-
chen tun, wie diese tut, so hervorragende und so dauerhafte, wenn nicht
Gott mit ihr ist. Unser Herr sagte (Mt 11,4f; Lk 7,22) zu den Jüngern des
Johannes: Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, um zu zeigen, daß er
der Messias ist. Wenn man sieht, daß in der Kirche so viele Wunder ge-
schehen, muß man ebenso daraus folgern, daß Gott wahrhaftig an diesem
Ort ist (Gen 28,16).
Was aber eure angebliche Kirche betrifft, kann ich ihr nichts anderes
sagen als: wenn sie glauben kann, ist dem Glaubenden alles möglich (Mk
9,22). Wäre sie die wahre Kirche, dann würden sie Wunder begleiten. Ihr
gebt zu, daß es nicht eure Sache sei, Wunder zu wirken und Teufel auszu-
treiben. Einmal bekam es einem eurer großen Meister schlecht, als er
sich damit befassen wollte, sagt Bolsec. Tertullian sagt: „Diese haben Tote
zum Leben erweckt, jene machen aus Lebenden Tote.“ Man verbreitet das
Gerücht, einer der Euren habe einmal einen Besessenen geheilt. Man sagt
jedoch nicht, wo, wann und wie, nennt nicht den Geheilten noch irgendei-
nen sicheren Zeugen. Für Anfänger in einem Gewerbe ist es bequem,

90
ihren ersten Versuch im Unklaren zu lassen. Man setzt bei euch oft be-
stimmte Gerüchte in Umlauf, um das einfache Volk in Atem zu halten;
da sie aber keine Grundlage haben, müssen sie auch keinen Glauben
finden. Außerdem muß man bei der Teufelsaustreibung nicht so sehr auf
das achten, was geschieht, man muß vielmehr die Art und Weise beach-
ten, wie man es macht; ob es durch rechtmäßige Gebete und die Anrufung
des Namens Jesu Christi geschieht. Dann macht eine Schwalbe noch kei-
nen Sommer; erst die ständige und regelmäßige Abfolge von Wundern,
nicht ein zufälliges, ist ein Kennzeichen der wahren Kirche. Es hieße aber
gegen den Schatten und den Wind kämpfen, wollte man dieses Gerücht
widerlegen, so kraftlos und haltlos, daß niemand zu sagen wagt, woher es
gekommen ist.
Die einzige Antwort, die ich bei euch in dieser äußersten Bedrängnis
gehört habe, ist die, daß man euch unrecht tue, wenn man von euch Wun-
der verlange. Man tut es auch, ich versichere euch das. Das hieße, sich
über euch lustig machen, als wenn man von einem Schmied verlangen
wollte, einen Smaragd oder Diamanten zu fassen. Man verlangt das auch
nicht von euch; nur bitte ich euch, offen zu bekennen, daß ihr eure Lehr-
zeit nicht bei den Aposteln und Jüngern, den Märtyrern und Bekennern
gemacht habt, die darin Meister waren.
Wenn ihr aber sagt, ihr brauchtet keine Wunder, weil ihr keinen neuen
Glauben aufstellen wolltet, dann sagt mir doch noch, ob die Heiligen
Augustinus, Hieronymus, Gregor, Ambrosius und die übrigen eine neue
Lehre verkündeten, und warum dann so viele und auffallende Wunder
geschahen, wie sie bewirkten. Gewiß, der Glaube wurde in der Welt bes-
ser aufgenommen als jetzt, es gab mehr hervorragende Hirten, viele Mär-
tyrer und Wunder waren vorausgegangen, aber die Kirche hat diese Gabe
der Wunder noch nicht verloren, um der heiligen Religion größeren Glanz
zu verleihen. Hätten die Wunder in der Kirche aufhören müssen, so wäre
das zur Zeit Konstantin des Großen gewesen, nachdem das Reich christ-
lich geworden war, die Verfolgungen aufgehört hatten und das Christen-
tum gut gefestigt war; aber je mehr sie damals hätten aufhören müssen,
um so mehr vermehrten sie sich überall. Überdies ist die Lehre, die ihr
predigt, weder im Großen noch im Einzelnen jemals verkündet worden.
Eure Vorgänger haben sie gepredigt; mit ihnen stimmt jeder von euch in
irgendeinem Punkt überein, aber mit keinem in allen, wie ich euch später
zeigen werde.10 Wo war eure Kirche vor 80 Jahren? Sie schlüpfte erst aus
dem Ei, und ihr nennt sie alt.

91
Ach, sagt ihr, wir haben keine neue Kirche geschaffen, wir haben die
alte Münze blankgerieben und gereinigt, die lange Zeit von Schutt be-
deckt, ganz schwarz geworden und von Schmutz und Schimmel bedeckt
war. Sagt das bitte nicht mehr, daß ihr das Metall und die Prägeform
hättet. Sind nicht der Glaube und die Sakramente notwendige Wesensele-
mente der Kirche? Ihr habt im einen wie in den anderen alles verändert;
ihr seid also Falschmünzer, wenn ihr nicht die Vollmacht vorweist, die
ihr zu haben vorgebt, mit dem Stempel des Königs diese Form zu prägen.
Aber wir wollen dabei nicht stehen bleiben: Habt ihr diese Kirche gerei-
nigt? Habt ihr diese Münze blank gemacht? Dann zeigt uns die Merkma-
le, die sie hatte, als sie in der Erde lag, wie ihr behauptet, und zu rosten
begann. Sie verfiel, sagt ihr, zur Zeit des hl. Gregor oder kurz darauf. Sagt,
was ihr wollt, aber damals hatte sie das Kennzeichen der Wunder. Zeigt es
uns jetzt; denn wenn ihr uns nicht im einzelnen die Inschrift und das Bild
des Königs zeigt, wir sie euch aber auf der unseren zeigen, dann wird die
unsere als die rechtmäßige und echte gelten, die eure wird als zu klein und
zu leicht zum Umschmelzen zurückgeschickt werden.
Wenn ihr uns die Kirche in der Gestalt zur Zeit des hl. Augustinus
vorhalten wollt, dann zeigt sie uns nicht nur, wie sie gut lehrte, sondern
auch, wie sie gut wirkte durch Wunder und heilige Werke, wie sie damals
war. Wenn ihr aber sagen wollt, sie sei damals noch neuer gewesen als
jetzt, dann werde ich euch antworten: eine so bedeutende Unterbrechung
von 900 oder 1000 Jahren, wie ihr sie behauptet, macht diese Münze so
fremd, daß wir sie niemals annehmen werden, wenn man auf ihr nicht in
großen Buchstaben die gewohnten Kennzeichen erkennt, die Inschrift
und das Bild. Nein, nein, die alte Kirche war jederzeit kraftvoll, in Wid-
rigkeit und Glück, in Werken und Worten, wie ihr Bräutigam; die eure
hat nichts als Geschwätz, im Glück wie im Unglück. Sie zeige wenigstens
einige Spuren der alten Prägung, andernfalls wird sie niemals als echte
Kirche anerkannt werden, noch als Tochter dieser alten Mutter. Wenn sie
sich dessen noch länger rühmen wollte, wird man sie zum Schweigen
bringen mit dem Schriftwort (Joh 8,39): Wenn ihr Kinder Abrahams seid,
dann tut die Werke Abrahams. Die wahre Kirche der Gläubigen müssen
stets Wunder begleiten. Es gibt aber in unserer Zeit keine Kirche, die
Wunder begleiten, als die unsere; die unsere ist folglich allein die wahre
Kirche.

92
8. Artikel: In der wahren Kirche muß der Geist der Prophetie sein.

Die Prophetie ist ein großes Wunder; sie besteht in einer bestimmten
Kenntnis, die der menschliche Verstand von Dingen hat, ohne Erfahrung
oder irgendeine natürliche Überlegung, sondern durch übernatürliche
Inspiration. Daher muß alles, was ich über die Wunder im allgemeinen
gesagt habe, darauf angewendet werden. Außerdem sagt aber der Prophet
Joel (2,28f) voraus, daß in der Endzeit, d. h. in der Zeit der Kirche des
Evangeliums, wie es der hl. Petrus (Apg 2,17) auslegt, Unser Herr über
seine Diener und Dienerinnen von seinem Heiligen Geist ausgießen wird
und daß sie prophezeien werden, wie Unser Herr (Mk 16,17) gesagt hat:
Diese Zeichen werden die Gläubigen begleiten. Folglich muß es in der
Kirche immer die Prophetie geben; in ihr sind die Diener und Dienerin-
nen Gottes, über sie gießt er stets seinen Heiligen Geist aus.
Der Engel sagt in der Geheimen Offenbarung (19,10), daß der Geist der
Prophetie das Zeugnis Unseres Herrn ist. Dieses Zeugnis des Beistands
Unseres Herrn wird nun nicht nur für die Ungläubigen gegeben, sondern
vor allem für die Gläubigen; das sagt der hl. Paulus (1 Kor 14,22). Wie
könnt ihr also behaupten, Unser Herr, der seiner Kirche diese Gabe ein-
mal verliehen hat, habe sie ihr später wieder entzogen? Der wichtigste
Grund, warum sie ihr verliehen wurde, besteht immer noch, daher be-
steht auch die Gabe weiter. Fügt hinzu, was ich von den Wundern gesagt
habe, daß es in der Kirche zu allen Zeiten Propheten gab. Wir können
daher nicht leugnen, daß diese Gabe eine ihrer Eigenheiten und ein guter
Teil ihres Erbes ist. Jesus Christus stieg zur Höhe auf und führte die Ge-
fangenen mit sich; er gab den Menschen seine Gaben, denn er bestimmte
die einen zu Aposteln, die anderen zu Propheten, wieder andere zu Evange-
listen, andere zu Hirten und Lehrern (Eph 4,8.11). Der apostolische, evan-
gelische Geist, der Geist des Hirten und Lehrers ist stets in der Kirche;
warum will man ihr den prophetischen Geist entziehen? Er ist ein Duft
des Gewandes dieser Braut (Hld 4,11).

9. Artikel: Die katholische Kirche hat den Geist der Prophetie;


die angebliche Kirche hat ihn nicht.

Es gab fast keinen Heiligen in der Kirche, der nicht die Prophetengabe
besaß. Ich will nur die neuesten nennen: die Heiligen Bernhard, Franzis-
kus, Dominikus, Antonius von Padua, Birgitta, Katharina von Siena; sie

93
waren gewiß Katholiken. Die Heiligen, von denen ich oben gesprochen
habe, sind zahlreich, und in unserer Zeit Kaspar Berse (Barcaeus) und
Franz Xaver. Es gibt keinen unserer Vorfahren, der nicht ganz gewiß
irgendeine Prophezeiung von Jehan Bourgeois berichtete; viele von ih-
nen haben ihn gesehen und gehört. Das Zeugnis Unseres Herrn ist der
Geist der Prophetie (Offb 19,10).
Nennt uns nun irgendeinen der Euren, der für eure Kirche prophezeit
hätte. Wir wissen, daß die Sybillen gleichsam die Prophetinnen der Hei-
den waren; von ihnen sprechen fast alle Alten. Auch Bileam hat prophe-
zeit (Num 22-24); aber es galt der wahren Kirche. Trotzdem hat ihre
Prophetie nicht die Gemeinschaft bestätigt, in der sie geschah, sondern
jene, der sie galt. Ich leugne jedoch nicht, daß es bei den Heiden eine
wahre Kirche von wenigen Leuten gab, die durch göttliche Gnade den
Glauben an einen wahren Gott und die Beobachtung des Naturgesetzes
als Empfehlung hatten. Beispiele sind Ijob im Alten Testament und Cor-
nelius mit seinen übrigen Soldaten, die Gott fürchteten (Apg 10, 2.7) im
Neuen.
Nun, wo sind eure Propheten? Wenn ihr keine habt, dann glaubt, daß
ihr nicht zum Leib gehört, zu dessen Auferbauung Unser Herr sie gege-
ben hat nach dem Wort des hl. Paulus (Eph 4,11f). Auch der Geist der
Prophetie ist das Zeugnis Unseres Herrn. Calvin wollte anscheinend im
Vorwort zum ,Katechismus von Genf‘ prophezeien; aber seine Vorhersa-
ge ist so günstig für die katholische Kirche, daß wir ihn gern für etwas wie
einen Propheten halten, wenn wir die Erfüllung davon haben werden.

10. Artikel: Die wahre Kirche muß die Vollkommenheit des christlichen
Lebens verwirklichen.

Seht dazu einige kostbare Lehren Unseres Herrn und seiner Apostel.
Ein reicher junger Mann beteuerte, daß er die Gebote Gottes von frühe-
ster Jugend an beobachtet hat. Unser Herr, der alles weiß, sah ihn liebe-
voll an, ein Zeichen, daß es so war, wie er sagte, er gibt ihm aber trotzdem
den Rat: Willst du vollkommen sein, dann geh, verkaufe alles, was du hast,
und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann folge mir (Mt 10,17-21;
Mk 19,16-21). Der hl. Petrus lädt uns durch sein Beispiel und das seiner
Gefährten ein: Sieh, wir haben alles verlassen. Unser Herr antwortet mit
dem feierlichen Versprechen: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet auf
zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Wer sein Haus,

94
seine Brüder oder Schwestern, Vater und Mutter, Frau oder Kinder oder
seine Äcker um meines Namens willen verläßt, wird das Hundertfache
erhalten und das ewige Leben besitzen (Mt 19,27-29).
Das sind seine Worte, und das ist das Beispiel: Der Menschensohn hat
nichts, wohin er sein Haupt legen könnte (Mt 8,20). Er war ganz arm, um
uns reich zu machen (2 Kor 8,9); er lebte von Almosen, sagt der hl. Lukas
(8,3): Einige Frauen dienten ihm mit ihrem Vermögen. In zwei Psalmen
(109,20; 40,18), die sich nach der Auslegung des hl. Petrus (Apg 1,20)
und des hl. Paulus (Hebr 10,7) unmittelbar auf ihn beziehen, wird er
Bettler genannt. Als er seine Apostel aussandte zu predigen, gebot er
ihnen (Mk 6,8f): Sie sollten nichts mitnehmen auf den Weg als einen Wan-
derstab: kein Brot, keinen Bettelsack, kein Geld im Gürtel; sie dürften
Sandalen tragen, aber nicht zwei Röcke. Ich weiß, daß diese Ratschläge
keine absoluten Gebote sind, obwohl der letzte ein Gebot für eine be-
stimmte Zeit war. Ich will damit auch nichts anderes sagen, als daß dies
sehr heilsame Ratschläge und Beispiele sind.
Hier sind noch ähnliche zu einem anderen Gegenstand. Es gibt Ehelo-
se, die vom Mutterleib an so geschaffen sind; es gibt auch Ehelose, die von
den Menschen dazu gemacht wurden; und es gibt solche, die selbst ehelos
bleiben um des Himmelreiches willen. Wer es fassen kann, der fasse es (Mt
19,12). Das ist das gleiche, was Jesaja (56,3-5) geweissagt hat: Der Ent-
mannte sage nicht: Ich bin ein dürrer Baum; denn so spricht der Herr zu
den Entmannten: Die meine Sabbattage halten und wählen, was mir
wohlgefällig ist, und an meinem Bund festhalten, denen werde ich einen
Platz in meinem Haus und in meinen Mauern geben und einen Namen, der
vortrefflicher ist als Söhne und Töchter; ich werde ihnen einen ewigen Na-
men geben, der nie erlöschen wird. Wer sieht nicht, daß sich das Evangeli-
um hier genau mit der Prophezeiung verbindet? Und in der Geheimen
Offenbarung (14,3f) heißt es: Jene, die ein neues Lied singen, das kein
anderer singen kann, das sind die, die sich mit Frauen nicht befleckt haben,
weil sie jungfräulich sind; sie folgen dem Lamm, wohin es geht.
Darauf beziehen sich die Ermahnungen des hl. Paulus: Es ist gut für
den Mann, sich nicht mit der Frau einzulassen (1 Kor 7,1). Den Ledigen
und Witwen sage ich: Es ist gut für sie, so zu bleiben wie ich (7,8). Was die
Jungfrauen betrifft, habe ich kein Gebot, ich gebe aber einen Rat als einer,
der durch die Gnade Gottes als treu befunden wurde (7,25). Und das ist
die Begründung: Wer unverheiratet ist, ist bedacht auf die Sache des Herrn,

95
wie er dem Herrn gefalle. Doch wer verheiratet ist, ist auf weltliche Dinge
bedacht, wie er der Frau gefalle; er ist geteilt. Die unverheiratete Frau und
die Jungfrau denken an die Sache des Herrn, um heilig an Leib und Seele
zu sein; doch die Verheiratete denkt an weltliche Dinge, wie sie ihrem Mann
gefalle. Das sage ich übrigens zu eurem Nutzen, nicht um euch eine Schlin-
ge zu legen, sondern damit euch das helfe, Gott ehrenhaft ohne Hindernis
zu dienen (7,32-35). Dann schreibt er: Wer also seine Jungfrau verheiratet,
handelt recht; wer sie nicht verheiratet, handelt besser (7,38). Von der
Witwe sagt er: Sie möge heiraten, wenn sie will; es soll aber im Herrn
geschehen. Sie wird jedoch glücklich sein, wenn sie meinem Rat entspre-
chend so bleibt; denn ich denke, daß ich den Geist des Herrn habe (7,39f).
Das sind die Weisungen Unseres Herrn und der Apostel. Das ist das
Beispiel Unseres Herrn, Unserer lieben Frau, des hl. Johannes des Täu-
fers, des hl. Paulus, des hl. Jakobus und des hl. Johannes. Sie alle lebten
jungfräulich wie im Alten Bund Elija, Elischa, wie die Alten betonten.
Schließlich der überaus demütige Gehorsam Unseres Herrn, der im
Evangelium so eingehend beschrieben ist, nicht nur gegen seinen Vater
(Joh 6,38), dem er ihn schuldete, sondern gegenüber dem hl. Josef und
seiner Mutter (Lk 2,51), gegen alle Geschöpfe, in seinem Leiden, aus
Liebe zu uns: Er hat sich selbst erniedrigt und ist gehorsam geworden bis
zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,8). Er ist gekommen, um uns
die Demut zu lehren, die er mit den Worten zeigt: Der Menschensohn ist
nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (Mt
20,28). Ich bin unter euch wie einer, der dient (Lk 22,27). Sind das nicht
unvergängliche Merksätze und Auslegungen seiner überaus köstlichen
Lehre? Lernt von mir, denn ich bin sanft und demütig von Herzen (Mt
11,29); und der anderen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst,
nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach (Lk 9,23). Wer die
Gebote hält, verleugnet sich hinreichend selbst, um gerettet zu werden;
das heißt sich genügend demütigen, um erhöht zu werden (Mt 23,12).
Es bleibt aber außerdem ein anderer Gehorsam, eine andere Demut
und Selbstverleugnung, wozu das Beispiel und die Lehren Unseres Herrn
uns einladen. Er will, daß wir von ihm Demut lernen. Er hat sich nicht nur
vor denen so sehr verdemütigt, denen er unterstand, daß er Knechtsgestalt
annahm (Phil 2,7), sondern auch vor solchen, die unter ihm standen. Er
wünscht also, wie er sich nie gegen seine Pflicht, sondern über Gebühr
erniedrigte, sollen auch wir gern allen Geschöpfen aus Liebe zu ihm ge-

96
horchen (1 Petr 2,13). Er will, daß wir uns nach seinem Beispiel selbst
verleugnen, aber er hat seinem Willen so entschieden entsagt, daß er sich
selbst dem Kreuz unterwarf. Er hat seinen Jüngern und Dienern gedient;
das bezeugt jener, der das ungehörig fand und zu ihm sagte: In Ewigkeit
sollst du mir die Füße nicht waschen (Joh 13,8). Was bleibt also anderes,
als in diesen Worten und Handlungen eine freundliche Einladung zu er-
kennen zu einer Unterordnung und einem freiwilligen Gehorsam gegen
jene, denen gegenüber wir ansonsten keine Verpflichtung haben?
Stützen wir uns nach dem Rat des Weisen (Spr 3,5) nicht im geringsten
auf unseren eigenen Willen und unser Urteil, sondern werden wir aus
Liebe zu Gott Untertanen und Diener Gottes und der Menschen. So wer-
den bei Jeremia (35) die Rechabiter überaus gelobt, weil sie ihrem Vater
Jonadab in sehr harten und ungewöhnlichen Dingen gehorchten, die ih-
nen zu gebieten er keine Vollmacht hatte. So durften weder sie noch die
Ihren Wein trinken, nicht säen, weder Weinberge pflanzen noch besitzen,
nicht bauen. Gewiß können die Väter ihren Nachkommen die Hände
nicht so stark binden, wenn diese nicht gern zustimmen. Die Rechabiter
wurden jedenfalls von Gott sehr gelobt und gesegnet als Anerkennung für
diesen willigen Gehorsam, durch den sie sich selbst in so außerordentli-
cher und höchst vollkommener Weise verleugneten.
Doch kommen wir nun auf unseren Glauben zurück. Wem wurden
diese ausgezeichneten Beispiele und Lehren der Armut, Keuschheit und
Selbstverleugnung gegeben? Der Kirche. Doch weshalb? Unser Herr er-
klärt es: Wer es fassen kann, der fasse es (Mt 19,12). Und wer kann es
begreifen? Wer die Gabe Gottes hat (1 Kor 7,7); und niemand hat die
Gabe Gottes, als wer darum bittet (Weish 7,21). Doch wie sollen sie den
anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie glauben ohne Prediger?
Und wie sollen sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind? (Röm 10,14f).
Nun gibt es keine Sendung außerhalb der Kirche. Wer es fassen kann, der
fasse es, richtet sich daher unmittelbar an die Kirche und an jene, die zur
Kirche gehören, weil es außerhalb der Kirche nicht geübt werden kann.
Das zeigt der hl. Paulus noch deutlicher; er sagt (1 Kor 7,35): Das sage
ich zu eurem Nutzen; nicht um euch Fallstricke und Schlingen zu legen,
sondern um euch anzuspornen zu allem, was ehrenhaft ist und euch Er-
leichterung und Hilfe sein kann, Gott zu verherrlichen und ihm ohne Hin-
dernisse zu dienen. Tatsächlich sind die heiligen Schriften und die in ih-
nen enthaltenen Beispiele nur zu unserem Nutzen und unserer Unterwei-
sung da (Röm 15,4). Die Kirche muß also diese so heiligen Weisungen

97
ihres Bräutigams befolgen und in die Tat umsetzen; andernfalls wären sie
ihr vergeblich und für nichts gegeben und vorgelegt worden. Sie hat sie
auch recht für sich anzuwenden und daraus Nutzen zu ziehen verstanden,
uzw. folgendermaßen.
Unser Herr war noch nicht lange in den Himmel aufgefahren, da ver-
kaufte von den Christen jeder seinen Besitz und legte den Erlös den Apo-
steln zu Füßen (Apg 4,34f). Der hl. Petrus, der den ersten Rat befolgte,
sagte: Gold und Silber habe ich nicht (Apg 3,6). Der hl. Philippus hatte
vier Töchter (Apg 21,9), die nach dem Zeugnis des hl. Eusebius Jung-
frauen blieben. Der hl. Paulus bewahrte die Jungfräulichkeit oder den
Zölibat, ebenso der hl. Johannes und der hl. Jakobus. Der hl. Paulus rügt
(1 Tim 5,11f) gewisse tadelnswerte junge Witwen, die entgegen dem Rat
Christi lüstern werden und heiraten wollen; sie ziehen sich das Gericht zu,
weil sie die erste Treue gebrochen haben. Das 4. Konzil von Karthago (an
dem der hl. Augustinus teilnahm), der hl. Epiphanius, der hl. Hierony-
mus und das ganze übrige Altertum verstanden diese Stelle von Witwen,
die Gott gelobt haben, die Keuschheit zu bewahren, und ihr Gelübde
brechen, indem sie heiraten und dem himmlischen Bräutigam die Treue
brechen, die sie ihm zuvor gelobt haben. Seit dieser Zeit wurde der Rat
der Ehelosigkeit und der andere, den der hl. Paulus gibt, in der Kirche
befolgt.
Eusebius von Cäsarea berichtet, daß die Apostel zwei Lebensformen
einsetzten, eine nach den Geboten, die andere nach den Räten. Daß dem
so war, ist offenkundig, denn nach dem Vorbild des vollkommenen Le-
bens, das die Apostel führten, und nach ihren Ratschlägen haben unzähli-
ge Christen ihr Leben so gut gestaltet, daß die Lebensbeschreibungen
davon voll sind. Wer wüßte nicht, wie wundervoll die Berichte des Juden
Philo über das Leben der ersten Christen in Alexandrien sind in dem
Buch mit dem Titel ,Das Leben der Beter‘ oder ,Abhandlung über den hl.
Markus‘ und seine Schüler? Das bestätigen Eusebius, Nikophorus, der hl.
Hieronymus und außer anderen Epiphanius; er sagt, Philo schreibe über
die Essener und spreche von den Christen, die einige Zeit nach der Him-
melfahrt Unseres Herrn, als der hl. Markus in Ägypten predigte, so ge-
nannt wurden, entweder Isais wegen, aus dessen Stamm Unser Herr kam,
oder wegen des Namens Jesus, ihres Meisters, den sie stets im Munde
führten.
Wer nun die Bücher Philos liest, wird in diesen Essenern und ,thera-
peutes, Heilenden oder Dienenden‘ eine sehr vollkommene Selbstver-
leugnung ihres Fleisches und ihres Besitzes erkennen. Der hl. Martial, ein

98
Schüler Unseres Herrn, berichtet in einem (angeblichen) Brief an die
Toulouser, daß die selige Valeria, die einem irdischen König verlobt war,
bei seiner Predigt die leibliche und geistige Jungfräulichkeit des himmli-
schen Königs erkannte. Der hl. Dionysius berichtet in seiner ,Kirchlichen
Hierarchie‘, daß die Apostel, seine Lehrer, die Religiosen seiner Zeit
,therapeutes‘ nannten, d. h. Diener oder Anbeter, wegen des besonderen
Dienstes oder Kultes, den sie Gott erwiesen, oder ,Mönche‘ wegen der
Vereinigung mit Gott, in der sie fortgeschritten waren. Seht, wie gut die
evangelische Vollkommenheit geübt wurde in dieser ersten Zeit der Apo-
stel und ihrer Schüler. Sie haben diesen geraden und steilen Weg zum
Himmel gebahnt und folgten ihm in einer Reihe mit vielen vortrefflichen
Christen.
Der hl. Cyprian lebte enthaltsam und gab nach dem Bericht des Dia-
kons Pontius seinen ganzen Besitz den Armen. Dasselbe taten der hl.
Paulus, der erste Einsiedler, der hl. Antonius und der hl. Hilarius nach
dem Zeugnis der Heiligen Athanasius und Hieronymus. Der heilige Bi-
schof Paulinus von Nola, nach dem Zeugnis des hl. Ambrosius aus einer
vornehmen Familie in Guyenne stammend, gab seinen ganzen Besitz den
Armen und verließ gleichsam von einer schweren Last befreit sein Land
und seine Verwandtschaft, um Gott ausschließlich zu dienen. An ihm
nahm sich der hl. Martin ein Beispiel, um alles zu verlassen und die ande-
ren zur gleichen Vollkommenheit anzuspornen. Der Patriarch Georg von
Alexandrien berichtet, daß der hl. Chrysostomus alles verließ und Mönch
wurde. Pontitianus, ein afrikanischer Edelmann, kam vom Hof des Kai-
sers zurück und erzählte dem hl. Augustinus, in Ägypten gebe es eine
große Zahl von Klöstern und Ordensleuten, die in ihrer Lebensweise
große Güte und Einfachheit bewiesen; ebenso, daß es in Mailand außer-
halb der Stadt ein Kloster gebe mit einer guten Anzahl von Ordensleuten,
die in großer Einigkeit und Brüderlichkeit leben; der hl. Ambrosius als
Ortsbischof sei gleichsam ihr Abt. Er erzählte ihm (und Alypius) auch, in
der Nähe der Stadt Trier gebe es ein Kloster von guten Ordensleuten; dort
seien zwei Höflinge des Kaisers Mönche geworden. Als zwei junge Fräu-
lein, die mit diesen zwei Höflingen verlobt waren, vom Entschluß ihres
Bräutigams hörten, hätten sie ebenfalls ihre Jungfräulichkeit Gott ge-
weiht und sich zurückgezogen, um im Ordensstand in Armut und Keusch-
heit zu leben. Der hl. Augustinus berichtet davon. Posidius berichtet eben-
falls von ihm, daß er ein Kloster gründete; das berichtet der hl. Augusti-
nus selbst in einem seiner Briefe. Auf diese großen Väter folgten die
Heiligen Gregor, Johannes Damascenus, Bruno, Romuald, Bernhard,

99
Dominikus, Franziskus, Aloisius, Antonius, Vinzenz, Thomas, Bonaven-
tura. Sie alle entsagten für immer der Welt und ihrer Pracht und brachten
sich als vollkommene Opfergabe dem lebendigen Gott dar.
Ziehen wir nun die Schlußfolgerung. Diese Konsequenzen scheinen
mir unausweichlich. Unser Herr hat in der Heiligen Schrift seine Wei-
sungen und Ratschläge niedergelegt für Keuschheit, Armut und Gehor-
sam. Er hat sie geübt und ließ sie in der Urkirche üben. Die ganze Heilige
Schrift und das ganze Leben Unseres Herrn ist nur eine Unterweisung für
die Kirche. Die Kirche mußte daher Nutzen aus ihr ziehen; eine der Übun-
gen der Kirche mußte daher diese Keuschheit, die Armut und der Gehor-
sam oder die Selbstverleugnung sein. Item, die Kirche hat diese Übung zu
allen Zeiten gemacht; sie ist also eine ihrer Eigenheiten. Doch wozu so
viele Aufforderungen, wenn sie nicht befolgt werden müßten? Die wahre
Kirche muß sich daher auszeichnen durch die Vollkommenheit des christ-
lichen Lebens; zwar nicht in der Weise, daß jeder in der Kirche verpflich-
tet wäre, ihr zu folgen; es genügt, daß sich in ihr einige ihrer hervorragen-
den und ausgezeichneten Glieder und Teile finden, damit nichts vergeb-
lich geschrieben und geraten wurde und damit die Kirche sich aller Teile
der Heiligen Schrift bediene.

11. Artikel: Die Volkommenheit des evangelischen Lebens wird in


unserer Kirche geübt; in der angeblichen Kirche ist sie
mißachtet und abgeschafft.

Der Stimme ihres Hirten und Erlösers und dem von den Vorfahren
gebahnten Weg folgend lobt und schätzt die Kirche der Gegenwart den
Entschluß derjenigen sehr, die sich der Übung der evangelischen Räte
widmen; das tut eine sehr große Zahl. Wenn ihr die Konvente der Kartäu-
ser, Kamaldulenser, Cölestiner, Minimi, Kapuziner, Jesuiten, Theatiner
und vieler anderer näher gekannt hättet, in denen die Ordensdisziplin in
Blüte steht, ich weiß nicht, ob ihr nicht im Zweifel wäret, ob ihr sie irdi-
sche Engel oder himmlische Menschen nennen sollt. Ihr wüßtet nicht,
was mehr zu bewundern ist, eine so vollkommene Keuschheit bei so gro-
ßer Jugend, eine so tiefe Demut bei soviel Gelehrsamkeit oder eine so
große Brüderlichkeit bei soviel Verschiedenheit. Und wie himmlische
Bienen sind sie emsig in der Kirche und bereiten in ihr zusammen mit der
übrigen Christenheit den Honig des Evangeliums, die einen durch Pre-

100
digten, andere als Schriftsteller, die durch Meditation und Gebet, jene
durch Vorlesungen und Disputationen, die durch Pflege der Kranken,
jene durch Spendung der Sakramente unter der Autorität der Seelsorger.
Wer wollte je den Ruhm so vieler Ordensleute aller Orden und so vieler
Weltpriester schmälern, die bereitwillig ihre Heimat oder vielmehr ihre
eigene Welt verließen, sich Wind und Wogen aussetzten, um bei den Völ-
kern der Neuen Welt zu landen, damit sie diese zum wahren Glauben
führen und sie durch das Licht des Evangeliums erleuchten? Ohne andere
Stütze als das Vertrauen auf die Vorsehung Gottes, ohne anderes zu er-
warten als Mühen, Not und Martyrium, ohne anderen Anspruch als die
Ehre Gottes und das Heil der Seelen, sind sie zu den Kannibalen gereist,
auf die Kanaren, zu den Negern, Brasilianern, Molucken, Japanern und
zu anderen fremden Völkern. Sie haben sich dort niedergelassen und sich
selbst aus ihrem eigenen Land verbannt, damit diese armen Völker nicht
aus dem himmlischen Paradies verbannt werden. Ich weiß, einige Prädi-
kanten waren dort, aber mit menschlicher Besoldung; wenn ihnen diese
fehlte, kamen sie zurück, ohne weiter zu arbeiten, denn ein Esel bleibt
immer ein Esel. Die Unseren aber blieben dort in ständiger Enthaltsam-
keit, um die Kirche mit diesen neuen Pflanzen fruchtbar zu machen, in
äußerster Armut, um diese Völker durch das Gewerbe des Evangeliums
reich zu machen, und sie sind dort in Sklaverei gestorben, um dieser Welt
die christliche Freiheit zu bringen.
Statt euren Nutzen aus diesen Beispielen zu ziehen und euren Geist am
Wohlgeruch eines so heiligen Duftes zu stärken, starrt ihr auf bestimmte
Orte, wo die klösterliche Disziplin vollständig verfallen und außer dem
Habit nichts mehr erhalten ist. Das zwingt mich zu sagen, daß ihr die
Kloaken und Schuttplätze sucht, nicht die Gärten und Weinberge. Alle
guten Katholiken bedauern das Mißgeschick dieser armen Leute und ver-
abscheuen die Nachlässigkeit der Hirten und das Streben häßlicher Gei-
ster nach Bequemlichkeit; sie wollen alles lenken, bestimmen und regie-
ren; sie verhindern rechtmäßige Wahlen und die Ordnung der Obser-
vanz, um sich die zeitlichen Güter der Kirche anzueignen. Was wollt ihr?
Der Herr hat hier den guten Samen gesät, aber der Feind hat Unkraut
dazwischen gesät (Mt 13,24f). Indessen hat die Kirche auf dem Konzil
von Trient Ordnung geschaffen, aber sie wird nicht beachtet von jenen,
die sie zur Anwendung bringen müßten. Es fehlt so weit, daß es die katho-
lischen Theologen wegen dieser Mißstände übereinstimmend für eine
schwere Sünde halten, in derart entartete Klöster einzutreten. Judas war

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kein Hindernis für das Ansehen des Standes der Apostel, Luzifer für die
Engel, Nikolaus für die Diakone. So vermögen auch diese Abscheulichen
den Glanz so vieler frommer Klöster nicht zu verdunkeln, die die katho-
lische Kirche bewahrt hat, bei aller Zügellosigkeit unseres eisernen Zeit-
alters, damit nicht ein Wort ihres Bräutigams vergeblich gesprochen sei
und nicht befolgt werde.
Eure angebliche Kirche dagegen, ihr Herren, verachtet und verabscheut
das alles soviel als möglich. Calvin im 4. Buch seiner ,Institutiones‘ hat es
nur auf die Abschaffung der Beobachtung der evangelischen Räte abgese-
hen. Wenigstens könnt ihr mir keinerlei Versuch noch guten Willen bei
euch zeigen, wo bis zu den Prädikanten jeder heiratet, jeder Geschäfte
macht, um Reichtümer zu sammeln, keiner eine andere Obrigkeit aner-
kennt, als die Gewalt ihn anzunehmen zwingt. Das ist ein offenkundiges
Zeichen, daß diese angebliche Kirche nicht die ist, für die Unser Herr
gepredigt, für die er ein Bild so vieler schöner Beispiele geschaffen hat.
Wenn jeder heiratet, was wird dann aus der Weisung des hl. Paulus: Es
ist gut für den Mann, wenn er sich mit keiner Frau einläßt (1 Kor 7,1)?
Wenn jeder dem Geld und Besitz nachläuft, für wen gilt dann das Wort
Unseres Herrn: Sammelt euch keine Schätze auf Erden, und das andere:
Geh hin, verkaufe alles und gib den Erlös den Armen (Mt 6,19; 19,21)?
Wenn jeder für sich regieren will, wo gibt es dann die Befolgung der feier-
lichen Lehre: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst (Lk 9,23)?
Wenn sich also eure Kirche mit der unseren vergleicht, wird die unsere
die echte Braut sein, die alle Worte ihres Bräutigams befolgt und nicht ein
Talent der Heiligen Schrift ungenützt läßt. Die eure wird die falsche sein,
die nicht auf die Stimme des Bräutigams hört, sondern sie mißachtet. Es
ist ja nicht vernünftig, auch nur die kleinste Silbe der Heiligen Schrift
verlorengehen zu lassen, um eure Kirche glaubwürdig zu machen. Die
Heilige Schrift, die sich nur an die wahre Kirche richtet, wäre vergeblich
und unnütz, wenn man in der wahren Kirche nicht alle ihre Teile anwen-
den wollte.

12. Artikel: Drittes Kennzeichen: die Universalität oder


Katholizität der Kirche.

Der große Vater Vinzenz von Lerin sagt in seinem überaus nützlichen
,Memorial‘, man muß vor allem darauf bedacht sein zu glauben, „was
allgemein (immer und von allen) geglaubt wurde ...“11 – – – wie die Schwert-

102
feger und Kesselflicker, denn die übrige Welt nennt uns katholisch. Wenn
man ,römisch‘ hinzufügt, dann nur, um die Völker über den Sitz des Bi-
schofs zu unterrichten, der der allgemeine und sichtbare Oberhirte der
Kirche ist; und schon zur Zeit des hl. Ambrosius bedeutete Gemein-
schaft mit den Römern haben nichts anderes als katholisch sein.
Was aber eure Kirche betrifft, nennt man sie überall hugenottisch, cal-
vinisch, zwinglianisch, häretisch, angeblich, protestantisch, neu oder sa-
kramentarisch. Eure Kirche gab es nicht vor diesen Namen, noch diese
Namen vor eurer Kirche, denn sie sind ihr eigen. Niemand nennt euch
katholisch und ihr selbst wagt fast nicht, es zu tun. Ich weiß sehr wohl, daß
man bei euch eure Kirchen reformierte nennt, aber auf diesen Namen
haben ebensoviel Anspruch die Lutheraner, Ubiquisten, Wiedertäufer,
Trinitarier und andere Abkömmlinge Luthers, und sie werden ihn euch
nicht abtreten.
Die Bezeichnung ,Religion‘ ist der Kirche der Juden und der Christen,
dem Alten und dem Neuen Bund gemeinsam; die Bezeichnung ,katho-
lisch‘ ist der Kirche Unseres Herrn eigen. Die Bezeichnung ,reformierte
Kirche‘ ist eine Lästerung gegen Unseren Herrn. Er hat seine Kirche so
gut gebildet und geheiligt in seinem Blut, daß sie nie eine andere Form
anzunehmen braucht als die der ganz schönen Braut (Hld 4,7) und der
Säule und Grundfeste der Wahrheit (1 Tim 3,15). Man kann Völker refor-
mieren und einzelne, nicht aber die Kirche und die Religion. Denn wenn
sie Kirche und Religion war, dann war sie wohlgestaltet. Die Entstellung
nennt man Häresie und Gottlosigkeit. Die Farbe des Blutes Unseres Herrn
ist zu lebhaft und echt, als daß sie neuer Färbung bedürfte.
Wenn sich nun eure Kirche ,reformiert‘ nennt, gibt sie ihren Anteil an
der Form auf, die ihr der Erlöser gegeben hat. Aber ich kann mir nicht
versagen, euch zu sagen, was Beza, Luther und Petrus der Märtyrer darun-
ter verstehen. Petrus der Märtyrer nennt die Lutheraner lutherisch; Lu-
ther nennt euch Schwarmgeister und Sakramentarier; Beza nennt die Lu-
theraner Konsubstantiarier und Alchimisten, und trotzdem zählt er sie
zu den reformierten Kirchen. Das sind die neuen Namen, die die Refor-
matoren einander beilegen. Da eure Kirche also nicht einmal dem Na-
men nach katholisch ist, könnt ihr nicht guten Gewissens das apostoli-
sche Glaubensbekenntnis sprechen, oder ihr richtet euch selbst, wenn ihr
die katholische, umfassende Kirche bekennt und auf der euren beharrt,
die das nicht ist. Wahrhaftig, wenn der hl. Augustinus jetzt lebte, würde er
an unserer Kirche festhalten, die seit Menschengedenken den Namen der
katholischen führt.

103
13. Artikel: Die wahre Kirche muß alt sein.

Um katholisch zu sein, muß die Kirche umfassend sein der Zeit nach;
und um der Zeit nach umfassend zu sein, muß sie alt sein. Das Alter ist
daher eine Eigenheit der Kirche; und im Vergleich mit den Häresien muß
sie älter sein und vor ihnen bestehen, denn wie Tertullian sehr treffend
sagt, ist der Irrtum eine Verfälschung der Wahrheit; die Wahrheit muß
also vorher da sein. Der gute Same wurde vor dem Feind gesät, der das
Unkraut später daraufgesät hat (Mt 13,24f). Mose war vor Abiram, Datan
und Korach, die Engel vor den Teufeln; Luzifer stand im Licht, ehe er in
die ewige Finsternis stürzte. Der Mangel muß nach der Gestaltung eintre-
ten.
Der hl. Johannes sagt (1 Joh 2,19) von den Häretikern: Sie sind aus uns
hervorgegangen. Sie waren also drinnen, bevor sie hinausgingen. Das Hin-
ausgehen ist die Häresie, das Drinnensein die Treue. Die Kirche ist vor
der Häresie. Das Gewand des Herrn war ganz, bevor man es aufteilte (Joh
19,23 f). Wenn Ismael auch vor Isaak geboren wurde, bedeutet das nicht,
daß der Irrtum vor der Wahrheit wäre, wohl aber der echte Schatten des
Judentums vor dem Leib des Christentums, wie der hl. Paulus (Hebr
10,1) sagt.

14. Artikel: Die katholische Kirche ist sehr alt, die angebliche ganz neu.

Nun sagt uns doch, nennt die Zeit und den Ort, da unsere Kirche zum
erstenmal seit dem Evangelium erschien, nennt den Urheber und Lehrer,
der sie ins Leben rief. Ich will die gleichen Worte wie ein Theologe und
Märtyrer unserer Zeit (Edmund Campion) gebrauchen, die wohl wert
sind, erwogen zu werden: „Ihr gebt zu und wagt nicht, anders zu sagen,
daß die römische Kirche zugleich heilig, katholisch und apostolisch wur-
de: als sie das hohe Lob des Apostels (Röm 1,8f; 15,29; 16,16.19) ver-
diente: Euer Glaube wird in der ganzen Welt gerühmt. Ich denke unabläs-
sig euer. Ich weiß, wenn ich zu euch kommen werde, komme ich in der
Segensfülle Jesu Christi. Alle Gemeinden in Jesus Christus grüßen euch.
Euer Gehorsam ist überall bekannt. Damals, als der hl. Paulus in freier
Gefangenschaft das Evangelium in ihr verbreitete (Apg 28,30f; 2 Tim
2,9); als der hl. Petrus in ihr die in Babylon versammelte Kirche grüßte (1
Petr 5,1); als Clemens, den der Apostel (Phil 4,3) so sehr lobte, in ihr am
Steuer saß; als die heidnischen Kaiser wie Nero, Domitian, Trajan, Anto-
nin, die römischen Bischöfe marterten, und selbst damals, als Damasus,

104
Siricius, Anastasius, Innozenz das apostolische Steuer hielten. Das bestä-
tigt sogar Calvin, denn er gibt freimütig zu, daß sie damals noch nicht von
der Lehre des Evangeliums abgewichen seien. Nun denn, wann soll denn
die römische Kirche diesen erhabenen Glauben verloren haben? Wann
hörte sie auf zu sein, was sie war? Zu welcher Zeit, unter welchem Bi-
schof, auf welche Weise, durch welche Macht, durch welche Entwicklung
bemächtigte sich die falsche Religion der Stadt und der ganzen Welt?
Welche Stimmen, welche Aufregung, welche Klagen rief das hervor? Ach,
haben alle auf der ganzen Welt geschlafen, während Rom, ich sage Rom,
neue Sakramente einführte, neue Opfer, neue Lehren? Fand sich nicht ein
einziger griechischer oder lateinischer Historiker, nah oder fern, der in
seinen Kommentaren oder Memoiren irgendeinen Hinweis auf ein so
bedeutendes Ereignis gesetzt und überliefert hätte?“
Es wäre gewiß sehr eigenartig, wenn die Historiker, die so gewissenhaft
die geringsten Veränderungen in den Städten und Völkern vermerken,
die bedeutendste von all denen vergessen hätten, die es geben kann, die
der Religion in der bekanntesten Stadt und Provinz der Welt, d. h. in Rom
und Italien. Ich bitte euch, meine Herren, wenn ihr wißt, wann in unserer
Kirche der angebliche Irrtum begann, dann sagt es uns freimütig, denn es
ist sicher, was der hl. Hieronymus sagt: „Die Irrlehren auf ihren Ursprung
zurückführen, heißt sie widerlegen.“ Gehen wir den Weg der Geschichte
zurück bis zum Fuß des Kreuzes, schauen wir dahin und dorthin, wir
werden niemals, zu keiner Zeit sehen, daß die katholische Kirche ihr
Aussehen geändert hätte; sie ist immer sie selbst in der Lehre und in den
Sakramenten.
Gegen euch brauchen wir in dieser Frage keine anderen Zeugen als die
Augen unserer Väter und Großväter, um zu sagen, wann eure Kirche
entstand. Im Jahr 1517 begann Luther seine Tragödie, im Jahre 34 und 35
spielte man diesseits einen Akt davon; Zwingli und Calvin waren die zwei
Hauptpersonen. Wollt ihr, daß ich im einzelnen aufzähle, durch welche
Ereignisse und Handlungen, durch welche Mächte und Gewalttaten sich
diese Reformation der Städte Bern, Genf und Lausanne und anderer be-
mächtigte, welche Wirren und Klagen sie verursacht hat? Ihr hättet keine
Freude an diesem Bericht, das sehen wir, das fühlen wir. Mit einem Wort,
eure Kirche ist keine 80 Jahre alt, ihr Urheber ist Calvin, ihre Wirkung
das Unglück unserer Zeit. Wenn ihr sie älter machen wollt, dann sagt, wo
sie vor dieser Zeit war. Sagt nicht, sie sei da gewesen, aber unsichtbar;
denn wie kann man wissen, daß sie existierte, wenn man sie nicht sah?

105
Dann widerspricht euch auch Luther, der zugibt, daß er anfangs ganz
allein war.
Wenn nun schon Tertullian zu seiner Zeit, da die Kirche in ihrer Jugend
stand, bestätigt, daß die Katholiken die Häretiker zurückweisen, weil sie
später gekommen und neu sind (er sagte: „Wir pflegen die Häretiker des
Nachteils wegen der späteren Entstehung zu zeihen“), wieviel mehr Ur-
sache haben wir heute dazu? Wenn eine der zwei Kirchen die wahre sein
muß, dann bleibt dieser Titel der unseren, die sehr alt ist, der euren der
Name der Neuerung, des schimpflichen Namens der Häresie.

15. Artikel: Die wahre Kirche muß unvergänglich sein.12

Wenn die Kirche auch alt ist, so wäre sie doch nicht umfassend der Zeit
nach, wenn sie zu irgendeiner Zeit nicht existiert hätte. Die Häresie der
Nikolaiten ist alt, aber nicht universal, denn sie bestand nur sehr kurze
Zeit. Ein Sturmwind scheint das Meer verdrängen zu wollen, dann löst er
sich mit einem Schlag von selbst auf; ein Pilz, der in irgendeinem schlech-
ten Dunst gedeiht, erscheint in einer Nacht und vergeht an einem Tag.
Ebenso haben sich alle Häresien verflüchtigt, so alt sie auch sein moch-
ten, die Kirche aber dauert ewig.
Man kennt doch das Wort Unseres Herrn (Joh 12,32): Wenn ich von der
Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen. Ist er nicht am Kreuz
erhöht worden? Wie sollte er daher die Kirche in Unordnung geraten
lassen, die er an sich gezogen hat? Wie sollte er diese Beute loslassen, die
ihn so viel gekostet hat? Wurde der Teufel, der Fürst der Welt, mit dem
heiligen Stock des Kreuzes für eine Spanne von drei oder vier Jahrhun-
derten verjagt, um dann zurückzukommen und tausend Jahre zu herr-
schen? Wollt ihr auf diese Weise die Kraft des Kreuzes zunichte machen?
Wollt ihr Unseren Herrn so ruchlos behandeln und entweder ihn oder
den Teufel zur Wahl stellen? Wahrlich, wenn ein starker und mächtiger
Krieger seine Festung bewacht, ist alles in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer
über ihn kommt und ihn überwältigt, wird er ihn entwaffnen und ihn berau-
ben (Lk 11,21f). Wißt ihr nicht, daß Unser Herr die Kirche mit seinem
Blut erkauft hat? Wer könnte sie ihm nehmen und seinen Händen entrei-
ßen? Vielleicht sagt ihr, er kann sie bewahren, will es aber nicht. Ihr
beleidigt also seine Vorsehung.

106
Gott hat den Menschen seine Gaben geschenkt, die Apostel, Prophe-
ten, Evangelisten, Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, in
Ausübung des Dienstes, zur Erbauung des Leibes Christi (Eph 4,8.11).
War die Vollendung vor 1100 Jahren schon geschehen? War die Erbau-
ung des mystischen Leibes Unseres Herrn, d. h. der Kirche, schon abge-
schlossen? Entweder ihr hört auf, euch Erbauer zu nennen, oder ihr sagt
nein. Wenn sie nicht abgeschlossen war, warum fügt ihr Gott den Schimpf
zu, zu behaupten, er hätte den Menschen genommen, was er ihnen gege-
ben hatte? Die Gaben und Gnaden Gottes sind unwiderruflich (Röm
11,29), d. h. er gibt sie nicht, um sie wieder zu entziehen. Seine göttliche
Vorsehung erhält dauernd die Art des kleinsten Vogels der Welt; ich bitte
euch, wie sollte er die Kirche aufgegeben haben, die ihn sein Blut, so viele
Leiden und Mühen gekostet hat? Gott befreite Israel aus Ägypten, aus der
Wüste, aus dem Roten Meer, aus so vielen Nöten und Gefangenschaften;
wie könnten wir glauben, er hätte die Christenheit dem Unglauben über-
lassen? Wenn er seine Hagar so geliebt hat, wie sollte er Sara verachten?
Von der Kirche singt der Psalmist: Gott hat sie auf ewig gegründet (Ps
48,8). Sein Thron (er spricht von der Kirche, dem Thron des Messias)
wird vor mir sein wie die Sonne und vollkommen wie der Mond in Ewigkeit,
und der treue Zeuge im Himmel (Ps 89,37). Ich werde sein Geschlecht
währen lassen von Jahrhundert zu Jahrhundert (Ps 89,30). Daniel (2,44)
nennt sie ein Reich, das in Ewigkeit nicht untergehen wird. Der Engel sagt
(Lk 1,33) zu Unserer lieben Frau, daß dieses Reich kein Ende haben wird.
Jesaja (53,10) sagt von Unserem Herrn: Wenn er sein Leben einsetzt und
hingibt für die Sünde, wird er eine lange Geschlechterfolge sehen, und an
anderer Stelle (61,8f): Ich werde einen ewigen Bund mit ihnen schließen;
die sie sehen, werden sie erkennen.
Hat nicht Unser Herr (Mt 16,18) von der Kirche gesagt, daß sie die
Pforten der Hölle nicht überwältigen werden? Hat er nicht (Mt 28,20)
seinen Aposteln für sie und ihre Nachfolger versprochen: Siehe, ich bin
bei euch bis zur Vollendung der Zeiten? Wenn dieses Vorhaben, sagte Ga-
maliel (Apg 5,38), oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es verge-
hen; wenn es aber von Gott stammt, werdet ihr es nicht zerstören können.
Die Kirche ist das Werk Gottes; wer kann sie zerstören? Laßt diese Blin-
den, denn jede Pflanze, die nicht der himmlische Vater gepflanzt hat, wird
ausgerissen werden (Mt 15,13f). Die Kirche aber ist von Gott gepflanzt;
sie kann nicht ausgerissen werden.
Der hl. Paulus sagt (1 Kor 15,23f), daß alle belebt werden müssen, jeder,
wenn die Reihe an ihm ist. Der Erste wird Christus sein, dann jene, die

107
Christus angehören, dann der Rest. Zwischen Christus und dem Rest gibt
es keinen Zwischenraum, weil die Kirche bis zum Ende währen muß.
Unser Herr muß inmitten seiner Feinde herrschen, bis er alle seine Feinde
unter seine Füße gelegt hat (Ps 110,1f; 1 Kor 15,25). Und wann wird er sie
unterwerfen, wenn nicht am Tag des Gerichtes? Indessen aber muß er
herrschen inmitten seiner Feinde. Wo sind seine Feinde, wenn nicht hier
unten? Und wo herrscht er, wenn nicht in seiner Kirche?
Wenn diese Braut gestorben wäre, nachdem sie zuerst von ihrem am
Kreuz entschlafenen Bräutigam das Leben hatte, wenn sie gestorben wäre,
sage ich, wer hätte sie dann auferweckt? Die Auferweckung eines Toten
ist kein geringeres Wunder als die Erschaffung. Bei der Erschaffung sprach
Gott, und er ward (Ps 148,5); er hauchte eine lebendige Seele ein (Gen
2,7), und sobald er sie eingehaucht, begann der Mensch zu atmen. Aber
als Gott den Menschen erneuern wollte, verwandte er darauf 33 Jahre,
schwitzte Blut und Wasser und starb über dem Werk.
Wer also sagt, die Kirche sei tot und verloren, der beleidigt die Vorse-
hung des Erlösers. Wer sich als ihren Reformator oder Wiedererwecker
bezeichnet, wie Beza Calvin nennt, Luther und die übrigen, der maßt sich
die Ehre an, die Jesus Christus zusteht, und macht aus sich mehr als einen
Apostel. Unser Herr hat das heilige Feuer seiner Liebe in die Welt ge-
bracht (Lk 12,49), die Apostel haben es mit dem Atem ihrer Predigt
entfacht und es über die ganze Welt ausgebreitet. Nun sagt man, es sei
durch das Wasser der Unwissenheit und des Aberglaubens ausgelöscht
worden; wer kann es wieder entzünden? Blasen hilft da nichts; man müß-
te daher vielleicht von neuem mit den Nägeln und der Lanze auf Jesus
Christus, den lebendigen Stein, einschlagen, damit aus ihm ein neues Feu-
er entspringt. Außer man wollte Luther und Calvin als Eckstein des Bau-
werks der Kirche setzen.. „O unverschämte Stimme“, sagt der hl. Augu-
stinus gegen die Donatisten, „wird die Kirche nicht sein, weil du nicht
bist?“ Nein, nein, sagt der hl. Bernhard, „die Wasser kamen, die Ströme
brausten (Mt 7,25) und tobten gegen sie; doch sie stürzte nicht ein, weil
sie auf den Felsen gegründet ist, und der Fels war Jesus Christus (1 Kor
10,4).“
Was also? Sind unsere Vorfahren verdammt? Ja wahrhaftig, wenn die
Kirche untergegangen war, denn außerhalb der Kirche gibt es kein Heil.
Welcher Gegensatz: unsere Väter haben soviel erduldet, um uns das Erbe
des Evangeliums zu bewahren, und jetzt macht man sich über sie lustig,
hält sie für töricht und verrückt.

108
„Was sagt ihr uns Neues“, sagt der hl. Augustinus, „muß man noch
einmal den guten Samen säen, da er gesät ist und bis zur Ernte wächst (Mt
13,30)? Wenn ihr sagt, derjenige, den die Apostel gesät haben, sei voll-
ständig vernichtet, dann antworten wir euch: Lest uns das aus der Heili-
gen Schrift vor. Wenn ihr nicht verfälscht, was geschrieben steht, werdet
ihr nur lesen, daß der Same, der am Anfang gesät wurde, wächst bis zur
Zeit der Ernte.“ Der gute Same, das sind die Kinder des Reiches; das
Unkraut, das sind die Bösen; die Ernte, das ist das Ende der Welt (Mt
13,38f). Sagt daher nicht, der gute Same sei vernichtet oder erstickt, denn
er wächst bis zum Ende der Welt.
Die Kirche wurde also nicht zerstört, als Adam und Eva sündigten;
denn das war nicht die Kirche, sondern der Anfang der Kirche. Außer-
dem sündigten sie nicht in der Lehre und im Glauben, sondern im Tun.
Auch nicht, als Aaron das goldene Kalb anfertigte; denn Aaron war
noch nicht Hohepriester und Oberhaupt des Volkes. Das war Mose; er
hat keinen Götzendienst getrieben, ebenso der Stamm Levi, der sich Mose
anschloß.
Nicht, als sich Elija beklagte, daß er der einzige sei. Er spricht ja von
Israel, Juda aber war der bessere und wichtigere Teil der Kirche. Was er
sagt, ist nur eine Ausdrucksweise, um die Berechtigung seiner Klage bes-
ser auszudrücken. Im übrigen gab es noch 7000 Menschen, die nicht zum
Götzendienst abgefallen waren (1 Kön 19,14.18). Das sind also bestimm-
te Ausdrücke und starke Hinweise, die in Prophezeiungen üblich sind.
Man darf sie nur im allgemeinen verstehen als Ausdruck eines großen
Sittenverfalls, so wie wenn David (Ps 14,4) sagt: Alle suchen ihren Vorteil.
Auch nicht, daß Spaltung und Abfall kommen müssen (2 Thess 2,3),
wenn das Opfer aufhören wird (Dan 12,11), und daß der Menschensohn
kaum Glauben finden wird auf Erden (Lk 18,8). Das alles wird sich in
dreieinhalb Jahren bewahrheiten, in denen der Antichrist herrschen wird.
In dieser Zeit wird die Kirche dennoch nicht untergehen, sondern wird in
der Wüste und Einöde ernährt, wie die Heilige Schrift (Offb 12,14) sagt.

109
16. Artikel: Unsere Kirche ist unvergänglich, die angebliche nicht.

Ich sage euch, wie ich schon oben (14. Art.) gesagt habe: Zeigt mir zehn
Jahre nach der Himmelfahrt des Herrn, in denen es unsere Kirche nicht
gab. Das wird euch davor bewahren, sagen zu können, wann unsere Kir-
che entstand; denn sie bestand immer. Wenn ihr euch darüber aufrichtig
Klarheit verschaffen wollt, Sanders in seiner ,Sichtbaren Monarchie‘,
Gilbert Genebrard in seiner ,Chronologie‘ und vor allem Caesar Baroni-
us in seinen ,Annalen‘ werden euch genügend Licht verschaffen. Wenn ihr
die Bücher eurer Lehrer nicht von vornherein übergehen wollt und eure
Augen nicht durch allzu große Leidenschaft geblendet sind, und wenn ihr
die ,Magdeburger Centurionen‘ näher betrachtet, werdet ihr nirgends et-
was anderes finden als die Taten der Katholiken; denn ein Gelehrter un-
serer Tage (E. Campion) sagt sehr richtig: „Wenn sie diese nicht hier
gesammelt hätten, wären 1500 Jahre ohne Geschichte geblieben.“ Ich
werde darüber später (18. u. 20. Art.) noch einiges sagen.
Was nun eure Kirche betrifft: selbst wenn wir die grobe Unwahrheit als
Wahrheit unterstellen, sie hätte zur Zeit der Apostel bestanden, wäre sie
dennoch nicht die katholische Kirche. Denn die katholische Kirche muß
umfassend sein der Zeit nach, sie muß also immer bestehen. Doch sagt
mir, wo eure Kirche war vor 100, 200, 300 Jahren. Ihr könnt es nicht
sagen, denn es gab sie nicht; also ist sie nicht die wahre Kirche. Sie war da,
wird mir vielleicht jemand sagen, aber unbekannt. Guter Gott, wer kann
nicht das gleiche sagen? Adamiten, Wiedertäufer, jeder kann diese Be-
hauptung aufstellen. Ich habe schon bewiesen, daß sie zeitlich umfassend
ist; ich will noch zeigen, daß sie nicht unbekannt sein kann.

17. Artikel: Die wahre Kirche muß umfassend sein nach


Orten und Personen.13

Die Alten haben sehr weise gesagt, eine gute Regel, die Heilige Schrift
recht zu verstehen, bestehe darin, daß man den Unterschied der Zeiten zu
erkennen weiß. Ohne sie irren die Juden, indem sie auf die erste Ankunft
des Messias anwenden, was sehr oft von seiner Wiederkunft gesagt ist. Die
Prädikanten irren noch schwerer, wenn sie die Kirche seit dem hl. Gregor
zu dem machen wollen, was sie zur Zeit des Antichristen sein muß. In
diesem Sinn deuten sie um, was in der Geheimen Offenbarung (12,6.14)
geschrieben steht, daß die Frau in die Einöde floh. Das nehmen sie zum

110
Anlaß, zu sagen, die Kirche sei verborgen und geheim gewesen, bis sie
sich in Luther und seinen Anhängern wieder gezeigt habe. Doch wer sieht
nicht, daß diese Stelle nur auf das Ende der Welt und die Verfolgung des
Antichristen hinweist? Die Zeitspanne dafür ist ausdrücklich auf dreiein-
halb Jahre begrenzt, auch bei Daniel (12,7). Wer aber durch irgendeine
Glosse die Zeit ausdehnen wollte, die von der Heiligen Schrift festgesetzt
ist, der widerspräche offen Unserem Herrn, der (Mt 24,22) sagt, daß sie
um der Auserwählten willen alsbald abgekürzt wird. Wie können sie also
dieser Schriftstelle einen Sinn unterschieben, der ihren eigenen Umstän-
den so sehr widerspricht? Von der Kirche wird im Gegenteil gesagt, daß
sie der Sonne gleicht, dem Mond, dem Bogen am Himmel (Ps 89,37),
einer Königin (Ps 45,10), einem Gebirge, so groß wie die Welt (Dan 2,35).
Sie kann also nicht verborgen und geheim sein, sondern muß umfassend
sein in ihrer Ausdehnung.
Ich will mich damit begnügen, euch als Zeugen dafür zwei der größten
Theologen anzuführen, die es je gab. David hatte gesagt: Der Herr ist groß
und überaus lobwürdig in der Stadt unseres Gottes, auf seinem heiligen
Berg. „Das ist die Stadt“, sagt der hl. Augustinus, „die auf dem Berg erbaut
ist, die sich nicht verbergen kann; das ist die Lampe, die nicht unter dem
Faß versteckt werden kann, allen bekannt, von allen gerühmt, denn es
heißt weiter: Der Berg Zion ist gegründet zur Wonne des Universums.“ In
der Tat, wie hätte Unser Herr, der (Mt 5,15) sagte: Niemand zündet eine
Lampe an, um sie unter den Scheffel zu stellen, in der Kirche so viele
Lichter entzünden sollen, um sie in bestimmten unbekannten Winkeln zu
verstecken? „Das ist der Berg, der das Weltall erfüllt, der nicht verborgen
bleiben kann. Die Donatisten treffen auf den Berg; wenn man ihnen sagt:
Besteigt ihn, dann sagen sie: Das ist kein Berg, und sie rennen eher gegen
ihn und stoßen sich den Kopf an ihm, als auf ihm eine Wohnung zu su-
chen.“
„Jesaja (2,2), den man gestern las, rief aus: In den letzten Tagen wird ein
Berg bereitet sein, das Haus des Herrn auf dem Gipfel des Berges, und alle
Völker werden sich dort einfinden. Was ist so sichtbar wie ein Berg? Aber
es gibt unbekannte Berge, weil sie in einem Winkel der Erde liegen. Wer
von euch kennt den Olymp? Gewiß niemand, so wenig seine Bewohner
unseren Berg Chidabbe kennen. Diese Berge liegen abgeschieden in ei-
nem bestimmten Gebiet; das gilt aber nicht in gleicher Weise für den
Berg bei Jesaja, denn er bedeckt die ganze Erdoberfläche. Der Stein, der
sich vom Berg löst ohne menschliches Zutun (Dan 2,34f), ist das nicht

111
Jesus Christus, der aus dem Stamm der Juden hervorgegangen ist ohne
das Werk der Ehe? Und hat dieser Stein nicht alle Reiche der Welt zer-
schmettert, d. h. alle Herrschaft der Götzen und Dämonen? Nimmt er
nicht an Größe zu, bis er die ganze Welt erfüllt? Das ist also der Berg, von
dem es heißt, daß er auf dem Gipfel der Berge errichtet ist, das ist ein Berg,
der sich über den Scheitel aller Berge erhebt, und alle Völker strömen zu
ihm hin. Wer verirrt sich und verfehlt diesen Berg? Wer stößt sich an ihm
und schlägt sich den Kopf ein? Wer kennt nicht die Stadt, die auf dem
Berg gelegen ist? Doch nein, wundert euch nicht, daß sie denen unbe-
kannt ist, die die Brüder hassen, die die Kirche hassen; denn dadurch
wandeln sie im Finstern und wissen nicht, wo sie sind. Sie haben sich von
der übrigen Welt abgesondert, sie sind blind und unbegabt.“ Das sagt der
hl. Augustinus.
Hört nun den hl. Hieronymus, der zu einem bekehrten Schismatiker
sagt: „Ich freue mich mit dir und danke Jesus Christus, meinem Gott
dafür, daß du mutig zurückgekehrt bist von der Glut des Irrtums zur
Wonne der ganzen Welt. Sag nicht mehr wie manche: Herr, rette mich,
denn der Heilige hat versagt (Ps 12,2). Ihre ruchlose Stimme vereitelt und
zerstört den Ruhm des Kreuzes, unterwirft den Sohn Gottes dem Teufel;
sie versteht den Überdruß über die Sünde als von allen Menschen gespro-
chen. Doch nie kann es geschehen, daß Gott für nichts gestorben ist. Der
Mächtige ist gebunden und vernichtet, das Wort des Vaters (Ps 2,8) ist
erfüllt: Bitte mich, und ich werde dir die Völker zum Erbe geben, die Gren-
zen der Erde zum Besitz. Ich bitte euch, wo sind diese überfrommen oder
besser zu gottlosen Leute, die mehr Synagogen als Kirchen bauen? Wie
werden die Stätten des Teufels zerstört werden? Wenn Unser Herr keinen
Anteil an der Kirche hätte, oder wenn sie ihm nur in Sardinien gehörte,
dann wäre er gewiß sehr verarmt. Wenn der Satan einmal die Welt besitzt,
wie sollen dann die Trophäen des Kreuzes so gesammelt und in einem
Winkel der ganzen Welt zusammengedrängt werden ?“
Was würde dieser große Mann sagen, wenn er heute lebte? Heißt das
nicht den kostbaren Sieg Unseres Herrn entwerten? Wegen der großen
Demütigung, die Unser Herr am Stamm des Kreuzes auf sich nahm (Phil
2,8-10), hat der himmlische Vater seinen Namen so verherrlicht, daß sich
aus Ehrfurcht vor ihm jedes Knie beugen muß. Weil er sein Leben dem
Tod preisgegeben hat und auf die Stufe der Missetäter und Räuber gestellt
wurde (Jes 53,12), bekam er viele Völker zum Erbe. Sie aber schätzen die
Leiden des Gekreuzigten so gering, daß sie seinem Anteil die Generatio-

112
nen von tausend Jahren entziehen, als hätte er während dieser Zeit höch-
stens einige heimliche Diener gehabt, die schließlich nur Heuchler und
Bösewichte sind. Ich wende mich an euch, ihr Vorgänger, die ihr den
Namen von Christen geführt und zur wahren Kirche gehört habt: Hattet
ihr den wahren Glauben oder hattet ihr ihn nicht? Wenn ihr ihn nicht
hattet, ihr Unglückseligen, dann seid ihr verdammt (Mk 16,16). Wenn ihr
ihn hattet, warum habt ihr ihn vor den anderen versteckt, so daß ihr keine
Spur von ihm hinterlassen, daß ihr euch dem Götzendienst nicht wider-
setzt habt? Habt ihr nicht gewußt, daß Gott jedem den Nächsten anver-
traut hat (Sir 17,12)? Habt ihr nicht gewußt, daß man mit dem Herzen
glaubt zur Rechtfertigung (Röm 10,10; Lk 12,8). Und wie könntet ihr
sagen: Ich glaube, deshalb habe ich gesprochen (Ps 116,1)? Ihr seid auch
unselig, weil ihr ein so gutes Talent empfangen und es in der Erde vergra-
ben habt. Wenn dagegen der wahre Glaube von altersher stets verkündet
wurde, dann seid ihr, Luther und Calvin, selbst zu beklagen. Um irgend-
eine Entschuldigung für eure Hirngespinste zu finden, beschuldigt ihr die
Vorfahren entweder der Gottlosigkeit, als hätten sie den falschen Glau-
ben gehabt, oder der Nachlässigkeit, weil sie geschwiegen hätten.

18. Artikel: Die katholische Kirche ist umfassend nach Orten


und Personen, die angebliche nicht.

Zur Universalität der Kirche ist nicht erforderlich, daß alle Länder und
Völker auf einmal das Evangelium annehmen; es genügt, daß es nachein-
ander geschieht, jedoch so, daß man die Kirche immer sieht und daß man
erkennt, daß es die gleiche ist, die überall in der Welt oder in deren größ-
tem Teil war, damit man sagen kann: Kommt, steigen wir hinauf zum Berg
des Herrn (Jes 2,3). Die Kirche wird ja der Sonne gleichen, heißt es im
Psalm (89,37). Die Sonne scheint nicht immer gleichzeitig in allen Ge-
genden; es genügt, daß es am Ende des Jahres keinen gibt, der sich vor ihrer
Wärme verborgen hat (Ps 19,7). Ebenso genügt es, wenn sich am Ende der
Zeiten die Vorhersage Unseres Herrn (Lk 24,47) erfüllt, daß Buße und
Vergebung der Sünden, angefangen mit Jerusalem, allen Völkern gepredigt
werden muß.
Nun breitete die Kirche zur Zeit der Apostel überall ihre Äste aus, die
mit der Frucht des Evangeliums beladen waren, wie der hl. Paulus (Kol
1,6) bezeugt. Dasselbe sagt der hl. Irenäus zu seiner Zeit. Er spricht von

113
der römischen oder päpstlichen Kirche und will, daß die ganze übrige
Kirche „wegen ihrer machtvollen Vorherrschaft“ auf sie zurückgeführt
werde. Prosper spricht von unserer Kirche, nicht von der euren, wenn er
sagt: „Wegen der Ehre des Hirten ist Rom, Sitz des Petrus, Hauptstadt
der Welt. Was es durch Krieg oder Waffen nicht unterwarf, ist ihm nun
erworben durch die Religion.“ Ihr seht doch wohl, daß er von der Kirche
spricht, die den Papst von Rom als Oberhaupt anerkennt. Zur Zeit des hl.
Gregor gab es überall Katholiken, wie man aus den Briefen ersehen kann,
die er an die Bischöfe fast aller Völker geschrieben hat. Zur Zeit Grati-
ans, Valerians und Justinians gab es überall römische Katholiken, wie
man ihren Gesetzen entnehmen kann. Der hl. Bernhard sagte dasselbe
von seiner Zeit, und ihr wißt genau, daß dem auch so war zur Zeit Gott-
frieds von Bouillon.
Seitdem ist die Kirche gleichgeblieben bis in unsere Zeit, immer rö-
misch und päpstlich. Obwohl unsere Kirche jetzt viel kleiner ist, als sie
war, hat sie doch nicht aufgehört, ganz katholisch zu sein, weil sie diesel-
be römische Kirche ist, die sie war und die in fast allen Ländern der
Völker unzählige Gläubige besaß. Sie ist aber auch jetzt noch über die
ganze Erde verbreitet: in Siebenbürgen, Polen, Ungarn, Böhmen und ganz
Deutschland, in Frankreich, Italien, Slavonien und Kreta, in Spanien,
Portugal, Sizilien, Malta und Korsika, in Griechenland, Armenien, Syri-
en und allüberall. Soll ich noch Ost- und Westindien dazurechnen? Wer
davon einen Begriff bekommen möchte, sollte an einem Kapitel oder
einer Generalversammlung der Ordensleute des hl. Franziskus, die man
Observanten nennt, teilnehmen. Er würde aus allen Ecken der alten und
neuen Welt Ordensleute im Gehorsam gegen einen einfachen, geringen
und niedrigen Menschen kommen sehen. Schon sie allein würden ihm
genügend scheinen, um diesen Teil der Prophezeiung des Maleachi (1,11)
zu erfüllen: An allen Orten wird meinem Namen geopfert.
Die angebliche Kirche dagegen überschreitet von hier aus die Alpen
nicht, von Frankreich aus nicht die Pyrenäen nach Spanien; Griechen-
land kennt euch nicht; die anderen drei Erdteile wissen nicht, daß es euch
gibt. Sie haben nie etwas gehört von Christen ohne Opfer, ohne Altar,
ohne Priester, ohne Oberhaupt, ohne Kreuz, wie ihr es seid. In Deutsch-
land schmälern euren Anteil eure lutherischen Gesinnungsgenossen, die
Brenzianer, Wiedertäufer und Trinitarier, in England die Puritaner, in
Frankreich die Freidenker. Wie wagt ihr euch da noch darauf zu verstei-
fen, euch von der ganzen übrigen Kirche abzusondern nach Art der Dona-
tisten und Luziferianer? Ich will euch sagen, was der hl. Augustinus zu

114
einem euresgleichen sagte: Wollt uns bitte gnädig darüber aufklären, wie
es geschehen kann, daß Unser Herr seine Kirche auf der ganzen Welt
verloren hätte, und wie es kommen konnte, daß er nur euch allein hätte.
Gewiß, ihr macht Unseren Herrn sehr arm, sagt der hl. Hieronymus.
Wenn ihr aber sagt, eure Kirche sei schon katholisch gewesen zur Zeit
der Apostel, dann zeigt uns, daß sie zu jener Zeit bestanden hat, denn alle
Sekten behaupten das gleiche. Wie wollt ihr diese kleine Knospe der
angeblichen Religion diesem heiligen, alten Stamm aufpfropfen? Laßt
eure Kirche durch ununterbrochene Dauer bis zur Urkirche zurückrei-
chen; denn wenn sie nicht in Verbindung miteinander stehen, wie soll
dann eine den Saft von der anderen saugen? Das werdet ihr nie zustande-
bringen. Auch werdet ihr, wenn ihr euch nicht im Gehorsam der katholi-
schen Kirche unterstellt, ich sage, dann werdet ihr nie zu denen gehören,
die singen: Du hast uns losgekauft mit deinem Blut aus allen Stämmen,
Sprachen, Völkern und Nationen und du hast uns zum Reich für unseren
Gott gemacht (Offb 5,9f).

19. Artikel: Die wahre Kirche muß fruchtbar sein.

Vielleicht sagt ihr schließlich, eure Kirche werde später ihre Schwin-
gen ausbreiten und im Lauf der Zeit katholisch werden. Doch das hieße
auf gut Glück sprechen. Wenn Augustinus, Chrysostomus, Ambrosius,
Cyprian, Gregor und die große Schar hervorragender Hirten nicht so gut
dafür zu sorgen wußten, daß die Kirche nicht bald darauf zuschanden
wurde, wie Calvin, Luther und die anderen behaupten, welche Wahrschein-
lichkeit besteht dann, daß sie sich jetzt unter der Führung eurer Prädikan-
ten wieder kräftige, die mit ihnen weder an Heiligkeit noch in der Lehre
zu vergleichen sind? Wenn die Kirche in ihrem Frühling, Sommer und
Herbst keine Früchte trug, wie wollt ihr, daß man in ihrem Winter Früch-
te von ihr sammle? Wenn sie in ihrer Jugend nicht voranging, wie wollt
ihr erreichen, daß sie in ihrem Greisenalter laufe?
Doch ich sage noch mehr. Eure Kirche ist nicht nur nicht katholisch,
sondern sie kann es auch nicht sein, da sie weder die Kraft noch die Fähig-
keit hat, Kinder hervorzubringen, sondern nur die Küken der anderen zu
stehlen, wie es das Rebhuhn macht. Es ist indessen sehr wohl eine der
Eigenheiten der Kirche, fruchtbar zu sein. Das ist einer der Gründe, unter
anderen, daß sie Taube (Hld 6,8) genannt wird. Wenn ihr Bräutigam

115
einen Mann segnen will, macht er seine Frau fruchtbar wie einen frucht-
baren Weinstock an den Wänden seines Hauses (Ps 128,3) und läßt die
Unfruchtbare wohnen in einer Familie als frohe Mutter vieler Kinder (Ps
113,9); muß er da nicht selbst eine Braut haben, die fruchtbar ist? Eben-
so, wenn nach dem Schriftwort (Jes 54, 1) die Verlassene viele Kinder
haben soll, muß das neue Jerusalem sehr zahlreich bevölkert sein und
eine große Nachkommenschaft haben. Die Völker werden in deinem Licht
wandeln, sagt der Prophet (Jes 60,3f), und die Könige im Glanz deines
Ursprungs. Erhebe deine Augen und schau ringsum; sie alle sind versam-
melt, sie kamen zu dir; deine Töchter erheben sich von allen Seiten. Ebenso
(53,11f): Weil seine Seele gelitten hat, will ich ihm sehr viele zuteilen.
Diese Fruchtbarkeit vieler Generationen der Kirche wird vor allem
durch die Predigt erreicht, wie der hl. Paulus (1 Kor 4,15) sagt: Durch das
Evangelium habe ich euch gezeugt. Die Predigt der Kirche muß also feu-
rig sein: Dein Wort ist feurig, Herr (Ps 119,140). Und was ist tätiger, leben-
diger, durchdringender und geeigneter als das Feuer, andere Stoffe zu
verändern und ihnen eine Form zu geben?

20. Artikel: Die katholische Kirche ist fruchtbar, die angebliche ist steril.

Von solcher Art war die Predigt des hl. Augustinus in England, des hl.
Bonifatius in Deutschland, des hl. Patrik in Irland, des Willibrord in
Friesland, des Cyrillus in Böhmen, des Adalbert in Polen, des Anastasius
in Ungarn, des hl. Vinzenz Ferrer, des Johannes von Capestran. So war
die Predigt der eifrigen Brüder, Heinrich, Antonius, Ludwig, Franz Xa-
ver und tausend anderer, die durch ihre heilige Predigt den Götzendienst
vernichteten; und sie alle waren römisch-katholisch.
Eure Prädikanten dagegen haben noch kein Land und keine Gegend
vom Heidentum bekehrt. Die Christenheit entzweien, in ihr Parteien bil-
den, das Gewand des Herrn in Stücke reißen, das sind die Wirkungen
eurer Predigten. Die katholische christliche Lehre ist ein sanfter Regen,
der die unfruchtbare Erde sprießen läßt; die eure gleicht eher dem Hagel,
der die Ernte zerschlägt und die fruchtbarsten Felder in Brachland ver-
wandelt. Beachtet, was der hl. Judas (11-13) sagt: Sie sind Schandflecken
bei einem Fest; sie prassen ohne Scham und mästen sich selbst; sie sind
wasserlose Wolken, die von den Winden hierhin und dorthin getrieben wer-
den. Sie haben das Äußere der Heiligen Schrift, sie haben aber nicht den
inneren Saft des Geistes: unfruchtbare Bäume im Herbst. Sie haben nur

116
das Blatt des Buchstabens, nicht aber die Frucht der Einsicht: zweifach
Gestorbene, der Liebe gestorben durch die Spaltung, dem Glauben durch
die Irrlehre. Entwurzelte, die keine Frucht mehr bringen können. Wellen
des stürmischen Meeres; sie speien ihre Wirren der Debatten, Streitreden
und Hetze aus. Irrsterne, die niemand als Führer dienen können; sie ha-
ben keinen festen Glauben, sondern wechseln ihn bei jeder Gelegenheit.
Was Wunder also, wenn eure Predigt unfruchtbar ist? Ihr habt nur die
Schale ohne Frucht; wie wollt ihr dann, daß sie keime? Ihr habt nur die
Scheide ohne Schwert, den Buchstaben ohne Sinn; es ist also nicht ver-
wunderlich, wenn ihr den Götzendienst nicht besiegen könnt. So erklärt
der hl. Paulus (2 Tim 3,9), wenn er von denen spricht, die sich von der
Kirche getrennt haben: Sie werden keinen weiteren Erfolg haben.
Wenn sich also eure Kirche bis jetzt in keiner Weise katholisch nennen
kann, dürft ihr noch weniger erwarten, daß es später sein wird. Ihre Pre-
digt ist ja so kraftlos und ihre Prediger haben es niemals unternommen,
wie Tertullian sagt, „die Heiden zu bekehren“, sondern nur „die Unseren
abwendig zu machen“.
Was ist das also für eine Kirche, die nicht einig, nicht heilig noch katho-
lisch ist, und was das Schlimmste ist, keine vernünftige Hoffnung haben
kann, es jemals zu werden?

21. Artikel: Viertes Kennzeichen: der Titel der apostolischen Kirche.14

117
118
Zweiter TTeil
eil

Die Regeln des Glaubens

Vorwort

Der hl. Johannes hat (1 Joh 4,1) die Weisung gegeben, nicht jedem
beliebigen Geist zu glauben. Wenn das jemals notwendig war, dann jetzt
mehr denn je, da verschiedene einander widersprechende Geister mit
gleicher Bestimmtheit unter Berufung auf das Wort Gottes in der Chri-
stenheit Glauben fordern. In ihrem Gefolge sieht man so viele Leute vom
Weg abkommen, die einen dahin, die anderen dorthin, jeder nach seiner
Laune. Der Ungebildete bewundert die Kometen und Irrlichter; er hält
sie für echte Sterne und lebendige Planeten; besser Unterrichtete dagegen
wissen wohl, daß sie nur Flammen sind, die sich in der Luft bewegen
entlang bestimmter Dünste, die ihnen als Nahrung dienen. Sie haben mit
den unvergänglichen Sternen nichts gemeinsam als diese große Helle, die
sie sichtbar macht. Ebenso sah das bedauernswerte Volk unserer Tage
bestimmte hitzige Köpfe im Gefolge irgendwelcher menschlicher Spitz-
findigkeiten sich begeistern, die mit dem Buchstaben der Heiligen Schrift
erklärt werden; es hielt sie für himmlische Wahrheiten und gab sich mit
ihnen ab, obwohl rechtschaffene, urteilsfähige Leute versicherten, daß es
nur irdische Erfindungen waren, die sich allmählich auflösen und keine
andere Erinnerung an sie hinterlassen werden als das schmerzliche Be-
dauern über viele Übel, das gewöhnlich auf diese Scheingebilde folgt.
Wie notwendig wäre es doch gewesen, sich diesen Geistern nicht zu
überlassen und, bevor man ihnen folgte, zu prüfen, ob sie von Gott sind
oder nicht (1 Joh 4,1). Ach, es fehlte nicht an Prüfsteinen, um das schlech-
te Gold ihrer Diamanten zu entdecken. Der uns sagen läßt, wir sollen die
Geister prüfen, hätte das nicht getan, wüßte er nicht, daß wir unfehlbare
Regeln haben, um den heiligen vom falschen Geist zu unterscheiden. Wir
haben also welche und keiner leugnet das, aber die Verführer stellen sol-

119
che auf, die sie fälschen und nach ihren Absichten biegen können, um
sich glaubwürdig zu machen, da sie Regeln gleichsam als unfehlbares
Zeichen ihrer Meisterwürde haben, um unter diesem Vorwand einen Glau-
ben und eine Religion nach ihrer Vorstellung bilden zu können. Es ist
daher ungeheuer wichtig zu wissen, welche die echten Regeln unseres
Glaubens sind; denn damit wird man leicht die Irrlehre von der wahren
Religion unterscheiden können. Das will ich in diesem zweiten Teil zei-
gen.
Das ist nun mein Vorhaben. Der christliche Glaube beruht auf dem
Wort Gottes; das gibt ihm den höchsten Grad an Gewißheit, da er als
Bürgschaft diese ewige, unfehlbare Wahrheit hat. Ein Glaube, der sich
auf etwas anderes stützt, ist nicht christlich. Daher ist das Wort Gottes die
echte Regel des wahren Glaubens, denn Grundlage und Regel sein be-
deutet in diesem Fall das gleiche. Da aber diese Regel unseren Glauben
nur bestimmt, wenn sie angewendet, vorgelegt und erklärt wird, und weil
man das im guten und im schlechten Sinn tun kann, genügt es nicht zu
wissen, daß das Wort Gottes die echte und unfehlbare Regel des wahren
Glaubens ist, wenn ich nicht weiß, welches Wort von Gott ist, wo es steht,
wer es vorlegen, anwenden und erklären muß. Es nützt mir nichts zu
wissen, daß das Wort Gottes unfehlbar ist, wenn ich trotz alledem nicht
glaube, daß Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, und wenn ich nicht
überzeugt bin, daß das ein vom himmlischen Vater geoffenbartes Wort ist
(Mt 18,16f). Und wenn ich das wüßte, wäre ich doch nicht außer Gefahr,
wenn ich nicht weiß, wie man es verstehen muß, ob als Adoptiv-Sohn-
schaft im Sinn der Arianer oder als natürliche Sohnschaft im katholi-
schen Sinn.
Daher bedarf es außer dieser ersten und grundlegenden Regel des Wor-
tes Gottes einer zweiten Regel, durch die uns die erste richtig und ord-
nungsgemäß vorgelegt, angewendet und erklärt wird. Damit wir nicht der
Schwankung und Unsicherheit unterworfen sind, muß nicht nur die erste
Regel, d. h. das Wort Gottes unbedingt unfehlbar sein, sondern auch die
zweite, die dieses Wort vorlegt und anwendet. Andernfalls sind wir stets
in Gefahr und in Unsicherheit, daß wir in unserem Glauben falschen
Regeln und Grundlagen folgen; nicht zwar durch irgendeinen Fehler der
ersten Regel, sondern durch den Irrtum und Fehler in deren Vorlage und
Anwendung. Gewiß, die Gefahr ist dieselbe, ob man irregeleitet wird
mangels einer richtigen Regel oder ob man irregeleitet wird mangels ei-
ner guten und richtigen Anwendung der Regel selbst. Doch diese Unfehl-
barkeit, die sowohl für die Regel als auch für deren Anwendung erforder-

120
lich ist, kann ihren Ursprung nur in Gott selbst haben, der lebendigen
und ersten Quelle aller Wahrheit. Gehen wir weiter.
Gott hat sein Wort geoffenbart und vormals durch den Mund der Väter
und Propheten gesprochen, schließlich durch seinen Sohn (Hebr 1,1f),
dann durch die Apostel und Evangelisten. Ihre Zunge war nur wie die
Feder von schnell und genau schreibenden Sekretären (Ps 45,2). Auf die-
se Weise bediente sich Gott der Menschen, um zu den Menschen zu spre-
chen; ebenso bedient er sich seiner sichtbaren Braut als Dolmetscherin
und Auslegerin seiner Absichten, um sein Wort vorzulegen, anzuwenden
und zu erklären. Es ist also Gott allein, der unseren christlichen Glauben
bestimmt, jedoch mit zwei Instrumenten auf verschiedene Weise: 1. durch
sein Wort als seiner förmlichen Regel, 2. durch seine Kirche als jener, die
zumißt und regelt. Sagen wir also: Gott ist der Maler, unser Glaube das
Gemälde, die Farben sind das Wort Gottes, der Pinsel ist die Kirche. Es
gibt also zwei ordentliche und unfehlbare Regeln unseres Glaubens: das
Wort Gottes, das die grundlegende und formelle Regel ist, und die Kirche
Gottes als Regel der Anwendung und Erklärung. In diesem zweiten Teil
behandle ich die eine und die andere; um aber deren Darstellung klarer
und handlicher zu machen, habe ich diese zwei Regeln folgendermaßen
in mehrere unterteilt:
Das Wort Gottes, die formelle Regel unseres Glaubens, findet sich ent-
weder in der Heiligen Schrift oder in der Überlieferung. Ich behandle
zuerst die Heilige Schrift, dann die Überlieferung.
Die Kirche, die Regel der Anwendung, äußert sich entweder in ihrer
Gesamtheit durch einen allgemeinen Glauben aller Christen oder in ih-
ren wichtigen und vorzüglichen Gliedern durch die Übereinstimmung
ihrer Hirten und Lehrer. In diesem letzten Fall geschieht es entweder
durch ihre gleichzeitig an einem Ort versammelten Hirten, wie in einem
allgemeinen Konzil, oder es geschieht durch ihre nach Ort und Zeit ge-
trennten Hirten, die aber geeint sind durch die Einheit und Übereinstim-
mung des Glaubens, oder schließlich äußert sich die gleiche Kirche und
spricht durch ihr Oberhaupt. Das sind vier Regeln der Erklärung und
Anwendung für unseren Glauben: die Gesamtkirche, das allgemeine Kon-
zil, die Übereinstimmung der Väter und der Papst. Darüber hinaus brau-
chen wir keine anderen zu suchen; diese hier genügen, um die Wankelmü-
tigsten zu bestärken.
Doch Gott, der sich in seiner überreichen Gnade gefällt und der Schwach-
heit der Menschen zu Hilfe kommen will, fügt diesen ordentlichen Re-

121
geln (ich sage, seit der Errichtung und Gründung der Kirche) manchmal
eine außerordentliche Regel hinzu, die sehr sicher und von großer Be-
deutung ist; das ist das Wunder, ein außergewöhnliches Zeugnis für die
wahrhaftige Anwendung des göttlichen Wortes.
Schließlich kann auch die natürliche Vernunft eine Regel des rechten
Glaubens genannt werden, allerdings im negativen Sinn, nicht als Bestä-
tigung. Wenn nämlich jemand sagte, dieser Satz ist ein Glaubensartikel,
folglich entspricht er der natürlichen Vernunft, dann wäre diese Schluß-
folgerung als Beweis schlecht gezogen, weil fast unser ganzer Glaube au-
ßerhalb und über unserer Vernunft steht. Wenn er aber sagt, das ist ein
Glaubensartikel, also kann es nicht im Widerspruch zur natürlichen Ver-
nunft stehen, dann ist die Folgerung richtig, denn die natürliche Vernunft
und der Glaube sind aus der gleichen Quelle geschöpft und gehen vom
gleichen Urheber aus, sie können also nicht Gegensätze sein.
Es gibt also acht Regeln des Glaubens: die Heilige Schrift, die Überlie-
ferung, die Kirche, das Konzil, die Väter, der Papst, die Wunder, die
natürliche Vernunft. Die ersten zwei bilden nur eine formelle Regel, die
nächsten vier bilden nur eine Regel der Anwendung, die siebente ist au-
ßergewöhnlich und die achte negativ. Wer schließlich alle diese Regeln
auf eine einzige zurückführen wollte, könnte sagen: Die einzig wahre
Regel, recht zu glauben, ist das Wort Gottes, verkündet durch die Kirche
Gottes.
Ich unternehme es nun hier, sonnenklar zu zeigen, daß eure Reformato-
ren gegen alle diese Regeln verstoßen und sie verletzt haben. (Es würde ja
genügen, nachzuweisen, daß sie eine davon verletzt haben, denn sie ent-
sprechen einander so sehr, daß, wer eine davon verletzt, gegen alle ande-
ren verstößt.) Wie ihr im ersten Teil gesehen habt, daß sie euch dem
Schoß der wahren Kirche entrissen haben durch das Schisma, sollt ihr in
diesem zweiten Teil erkennen, daß sie euch das Licht des wahren Glau-
bens entzogen haben durch die Irrlehre, um euch davon abzubringen,
ihren Illusionen zu folgen. Ich nehme stets den gleichen Standpunkt ein,
denn zuerst beweise ich, daß die Regeln, die ich aufstelle, ganz sicher und
unfehlbar sind, dann zeige ich handgreiflich, daß eure Lehrer sie verletzt
haben. Hier wende ich mich an euch im Namen Gottes des Allmächtigen
und fordere euch auf, gerecht zu urteilen.

122
Kapitel I

Die sogenannten Reformatoren


haben gegen die Heilige Schrif t,
Schrift,
die erste Regel unseres Glaubens,
verstoßen.

1. Artikel: Die Heilige Schrift ist eine echte Regel


des christlichen Glaubens.

Dank Gott weiß ich gut, daß die mündliche Überlieferung vor jeder
Schrift war, da selbst ein guter Teil der Heiligen Schrift nichts anderes ist
als Überlieferung, die unter dem unfehlbaren Beistand des Heiligen Geis-
tes niedergeschrieben wurde. Da aber die Autorität der Heiligen Schrift
von den Reformatoren leichter angenommen wird als die der Überliefe-
rung, beginne ich mit dieser Seite, um einen leichteren Zugang zu meinen
Ausführungen zu schaffen.
Die Heilige Schrift ist so sehr Regel unseres christlichen Glaubens, daß
ein Ungläubiger ist, wer nicht alles glaubt, was sie enthält, oder irgendet-
was glaubt, was ihr im geringsten widerspricht. Unser Herr hat die Juden
auf sie verwiesen, um ihren Glauben zurechtzubiegen (Joh 5,39). Die
Sadduzäer irrten, weil sie die heiligen Schriften nicht kannten (Mk 12,24).
Sie ist also eine ganz sichere Grundlage, sie ist ein Licht, das in der Fins-
ternis leuchtet, wie der hl. Petrus (2 Petr 1,17) sagt. Er hatte selbst die
Stimme des Vaters bei der Verklärung des Sohnes gehört, hält aber den-
noch das Zeugnis der Propheten für zuverlässiger (1,19).
Doch ich verschwende die Zeit. In diesem Punkt stimmen wir überein,
und jene, die so unverbesserlich sind, dem zu widersprechen, können
ihren Widerspruch nur auf die Heilige Schrift selbst stützen. Dabei wi-
dersprechen sie eher sich als der Heiligen Schrift, indem sie sich ihrer
bedienen für die Behauptung, sie wollten von ihr keinen Gebrauch ma-
chen.

123
2. Artikel: Wie sehr man auf ihre Unversehrtheit bedacht sein muß.

Ich will mich bei dieser Frage ebenfalls nur kurz aufhalten. Man nennt
die Heilige Schrift Buch des Alten und des Neuen Testaments. Wenn ein
Notar einen Vertrag oder ein anderes Schriftstück ausgefertigt hat, kann
gewiß niemand auch nur ein Wort ändern, streichen oder hinzufügen,
ohne für einen Fälscher gehalten zu werden. Da ist die Schrift des Testa-
ments Gottes, angefertigt von den dazu ermächtigten Notaren; wie kann
man sie im geringsten abändern ohne Vermessenheit?
Die Verheißungen wurden Abraham gegeben, sagt der hl. Paulus (Gal
3,16), und seinem Nachkommen. Es heißt nicht, seinen Nachkommen in
der Mehrzahl, sondern in der Einzahl: deinem Nachkommen, der Christus
ist. Seht doch, ich bitte euch, wie sehr die Änderung der Einzahl in die
Mehrzahl den geheimnisvollen Sinn dieser Stelle verdorben hätte. Unser
Herr beachtet das Jota, ja die kleinsten Punkte und Akzente dieser heili-
gen Worte (Mt 5,18); wie sehr ist er doch auf ihre Unversehrtheit be-
dacht. Die Efraimiter sagten sibollet, ohne einen einzigen Buchstaben
auszulassen; aber weil sie es nicht breit genug aussprachen, wurden sie
von den Leuten Gileads am Jordan niedergemacht (Ri 12,6). Schon der
Unterschied in der Aussprache und beim Schreiben, schon die Verschie-
bung eines Punktes beim Wort sein machte alles zweideutig; und die Än-
derung von jamin in semol machte aus einer Weizenähre eine Last oder
Bürde.
Wer das heilige Wort im geringsten ändert, verdient den Tod, ebenso,
wer Profanes mit Heiligem zu vermengen wagt. Die Arianer fälschten den
Satz des Evangeliums (Joh 1,1f): Am Anfang war das Wort, und das Wort
war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war am Anfang bei Gott. Sie
verschoben ein einziges Satzzeichen; denn sie lasen folgendermaßen: Und
das Wort war bei Gott, und Gott war. Hier setzten sie den Punkt, dann
begannen sie den neuen Satz: Dieses Wort war am Anfang bei Gott. Sie
machten den Punkt nach war, statt ihn nach das Wort zu setzen. Das taten
sie, um durch diesen Text nicht überzeugt zu werden, daß das Wort Gott
ist. So viel vermag eine Kleinigkeit dieses heilige Wort zu verändern.
Je besser der Wein ist, um so eher merkt man den außergewöhnlichen
Geschmack, und die Vollkommenheit eines vorzüglichen Bildes kann
keine Beimischung neuer Farben vertragen. Das überlieferte Gut der hei-
ligen Schriften muß sehr sorgsam bewahrt werden.

124
3. Artikel: Die heiligen Bücher des Wortes Gottes.

Alle heiligen Bücher werden zunächst in zwei Gruppen eingeteilt: in


die des Alten und des Neuen Testamentes; dann werden die einen wie die
anderen nach zwei Ordnungen unterschieden. Es gibt ja sowohl im Alten
wie im Neuen Testament Bücher, bei denen man nie gezweifelt hat, daß
sie heilige und kanonische Bücher sind; und es gibt solche, bei denen man
eine Zeit lang zweifelte, aber schließlich wurden alle mit denen des ersten
Rangs angenommen.
Die Bücher der ersten Ordnung im Alten Testament sind die fünf Bü-
cher Mose, Josua, Richter, Rut, vier Bücher der Könige (1 u. 2 Sam; 1 u.
2 Kön), zwei Bücher der Chronik, je eines Esra und Nehemia, Ijob, 150
Psalmen, das Buch der Sprüche, der Prediger (Koh), das Hohelied, die
vier größten Propheten, die 12 kleineren. Diese wurden kanonisiert durch
die große Synode, an der Esters als Schreiber teilnahm. Ihre Autorität hat
nie jemand bezweifelt, ohne zwingend als Irrlehrer betrachtet zu werden,
wie unser gelehrter Genebrard in seiner „Chronologie“ darlegt.
Die zweite Ordnung enthält folgende: Ester, Baruch, einen Teil von
Daniel, Tobias, Judit, das Buch der Weisheit, Jesus Sirach, das 1. und 2.
Buch der Makkabäer. Bei diesen ist es nach dem gleichen Dr. Genebrard
sehr wahrscheinlich, daß auf der Versammlung, die in Jerusalem statt-
fand, um die 72 Übersetzer nach Ägypten zu senden, diese Bücher, die es
noch nicht gab, als Esra den ersten Kanon aufstellte, damals wenigstens
stillschweigend kanonisiert wurden, da sie mit den anderen geschickt
wurden, um übersetzt zu werden; ausgenommen die Makkabäer-Bücher,
die später auf einer anderen Versammlung angenommen wurden, auf der
die vorausgehenden von neuem anerkannt wurden. Wie dem auch sei,
dadurch, daß dieser zweite Kanon nicht so glaubwürdig gemacht wurde
wie der erste, konnte diese Kanonisation ihnen keine vollständige und
zweifelsfreie Autorität bei den Juden verschaffen, noch sie den Büchern
der ersten Ordnung gleichstellen.
So kann ich auch von den Büchern des Neuen Testamentes sagen, daß es
solche der ersten Ordnung gibt, die bei den Katholiken stets als heilig und
kanonisch anerkannt und angenommen wurden. Das sind die vier Evan-
gelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, (die Apostelgeschich-
te), alle Briefe des hl. Paulus außer dem an die Hebräer, einer vom hl.
Petrus, einer vom hl. Johannes. Die Schriften der zweiten Ordnung sind
der Brief an die Hebräer, der des hl. Jakobus, der 2. Brief des hl. Petrus,
der 2. und 3. Brief des hl. Johannes, der Brief des hl. Judas, die Geheime

125
Offenbarung und bestimmte Teile vom hl. Markus, vom hl. Lukas, vom
Evangelium und 1. Brief des hl. Johannes.
Diese Schriften waren anfangs in der Kirche nicht von unzweifelhafter
Autorität, mit der Zeit aber wurden sie als heiliges Werk des Heiligen
Geistes anerkannt, uzw. nicht auf einmal, sondern zu verschiedenen Zei-
ten. Zunächst nahm man außer den Büchern der ersten Ordnung sowohl
des Alten wie des Neuen Testamentes um das Jahr 364 auf dem Konzil
von Laodicäa (das dann vom 6. allgemeinen Konzil bestätigt wurde) das
Buch Ester an, den Brief des hl. Jakobus, den zweiten des hl. Petrus, den
zweiten und dritten des hl. Johannes, den des hl. Judas und den Brief an
die Hebräer als vierten des hl. Paulus. Einige Zeit später, auf dem 3.
Konzil von Karthago, an dem der hl. Augustinus teilnahm, das vom 6.
allgemeinen Trullanischen Konzil bestätigt wurde, wurden außer den ge-
nannten Schriften der zweiten Ordnung als zweifelsfrei in den Kanon
aufgenommen: Tobias, Judit, die zwei Bücher der Makkabäer, das Buch
der Weisheit, Jesus Sirach und die Geheime Offenbarung. Aber vor allen
Büchern der zweiten Ordnung wurde das Buch Judit auf dem 1. allgemei-
nen Konzil von Nicäa als Buch göttlichen Ursprungs anerkannt, wie der
hl. Hieronymus in seinem Vorwort zu diesem Buch bestätigt.
So vereinigte man die beiden Ordnungen zu einer und sie erhielten in
der Kirche Gottes die gleiche Autorität, aber nach und nach wie ein schö-
ner Tagesanbruch, der allmählich unsere Hemisphäre erhellt. So wurde
auf dem Konzil von Karthago die gleiche Liste der kanonischen Bücher
aufgestellt, die dann stets in der katholischen Kirche galt, und sie wurde
bestätigt auf dem 6. allgemeinen Konzil, auf dem großen Konzil von Flo-
renz in der Union mit den Armeniern, und in unserer Zeit auf dem Kon-
zil von Trient. Ihr folgte der hl. Augustinus.
Fast hätte ich vergessen zu sagen, daß ihr nicht zweifeln dürft an dem,
was ich eben aufgezählt habe, weil das Buch Baruch auf dem Konzil von
Karthago nicht namentlich aufgeführt wurde, sondern nur auf dem von
Florenz und von Trient. Da Baruch der Schreiber des Jeremia war, be-
trachtete man das Buch Baruch im Altertum als Zusatz oder Anhang zu
Jeremia und als in diesem enthalten, wie der hervorragende Theologe
Bellarmin in seinen „Kontroversen“ nachweist. Mir genügt, daß ich das
erwähnt habe; mein „Memorial“ braucht sich nicht bei jeder Einzelheit
aufzuhalten. Ergebnis: Alle Bücher der ersten wie der zweiten Ordnung
sind in gleicher Weise sicher, heilig und kanonisch.

126
4. Artikel: Erster Verstoß der Reformatoren gegen die heiligen Schriften:
sie unterdrücken einige Teile.

Das sind die heiligen und kanonischen Bücher, die die Kirche seit 1200
Jahren als solche einmütig angenommen und anerkannt hat. Mit welcher
Autorität haben diese neuen Reformatoren es gewagt, mit einem Schlag
so viele edle Teile der Bibel zu streichen? Sie haben einen Teil des Buches
Ester gestrichen, Baruch, Tobias, Judit, das Buch der Weisheit, Jesus Si-
rach, die Makkabäer. Wer hat ihnen gesagt, diese Bücher seien nicht recht-
mäßig und annehmbar? Warum zerstückeln sie auf diese Weise den heili-
gen Körper der heiligen Schriften?
Das sind ihre hauptsächlichen Begründungen, wie ich sie dem alten
Vorwort entnehmen konnte, das den angeblich apokryphen Büchern vor-
ausgeschickt wurde, gedruckt in Neufchâtel, in der Übersetzung von Pierre
Robert, alias Olivetanus, einem Verwandten und Freund Calvins, ebenso
aus dem neuesten zu den gleichen Büchern, von den Professoren und
angeblichen Hirten der Kirche von Genf im Jahr 1588: 1. „Sie finden
sich weder in Hebräisch noch in Chaldäisch, den Sprachen, in denen sie
vormals geschrieben wurden (außer vielleicht das Buch der Weisheit); es
wäre sehr schwierig, sie wiederherzustellen.“ – 2. „Sie wurden von den
Hebräern nicht als rechtmäßig angenommen;“ – 3. „nicht von der ganzen
Kirche.“ – 4. Der hl. Hieronymus sage, man hielt sie nicht für geeignet,
„die Autorität der kirchlichen Lehren zu bekräftigen.“ – 5. Das kanoni-
sche Recht „trägt sein Urteil vor;“ – 6. und die Glosse, „die sagt, man lese
sie, aber nicht allgemein, als wollten sie sagen, daß sie keineswegs allge-
mein anerkannt seien.“ – 7. „Sie wurden verdorben und gefälscht, wie
Eusebius sagt;“ – 8. „vor allem die Makkabäer“, – 9. insbesondere das 2.
Buch, da der hl. Hieronymus sagt, „er habe sie nicht in Hebräisch gefun-
den.“ Das sind die Begründungen des Olivetanus. 10. Es gibt in ihnen
„mehrere falsche Dinge“, sagt das neue Vorwort. Sehen wir nun, was diese
schönen Untersuchungen wert sind.
1. Was das erste betrifft: Seid ihr der Meinung, ihr solltet diese Bücher
nicht annehmen, weil sie sich nicht in Hebräisch oder Chaldäisch finden?
Dann nehmt Tobias an, denn der hl. Hieronymus bestätigt im Brief, den
ihr selbst zitiert, daß er das Buch aus dem Chaldäischen ins Lateinische
übersetzt hat. Das läßt mich annehmen, daß ihr kaum Menschen guten
Glaubens seid. Und warum Judit nicht? Es war ebensogut in Chaldäisch
geschrieben, wie der gleiche hl. Hieronymus im Prolog schreibt. Und
wenn der hl. Hieronymus sagt, daß er das 2. Buch der Makkabäer nicht in

127
Hebräisch finden konnte, wie kann es aber beim ersten sein? Haltet es
stets in Ehren; vom zweiten werden wir später sprechen. Dasselbe will ich
sagen von Jesus Sirach, das der hl. Hieronymus in Hebräisch fand und
hatte, wie er in seinem Vorwort zu den Büchern Salomos sagt. Da ihr also
diese Bücher, die in Hebräisch oder Chaldäisch geschrieben sind, in glei-
cher Weise wie die anderen zurückweist, die nicht in diesen Sprachen
geschrieben sind, müßt ihr einen anderen Vorwand finden als den angege-
benen, um diese Bücher aus dem Kanon zu streichen. Wenn ihr sagt, daß
ihr sie zurückweist, weil sie weder in Hebräisch noch in Chaldäisch ge-
schrieben seien, so trifft das nicht zu, denn aus diesem Grund könntet ihr
Tobias, Judit, das 1. Buch der Makkabäer, Jesus Sirach nicht zurückwei-
sen, die entweder in Hebräisch oder in Chaldäisch geschrieben sind.
Doch sprechen wir von den anderen Büchern, die in einer anderen Spra-
che geschrieben sind, als ihr wollt. Wo steht denn, es sei ein Kriterium,
um die heiligen Schriften recht anzunehmen, daß sie in diesen Sprachen
geschrieben sind statt in Griechisch oder Latein? Ihr sagt, in Sachen der
Religion dürfe man nur annehmen, was geschrieben steht, und führt in
eurem schönen Vorwort den Ausspruch der Juristen an: „Wir scheuen
uns, ohne Gesetz zu sprechen.“ Meint ihr nicht, daß die Diskussion über
die Gültigkeit oder Ungültigkeit der heiligen Schriften eine der wichtig-
sten auf dem Gebiet der Religion ist? Nun denn, entweder ihr schämt
euch oder ihr stellt die Heilige Schrift als das Negative dar, an dem ihr
festhaltet. Der Heilige Geist kann sich gewiß ebensogut auf Griechisch
ausdrücken wie auf Chaldäisch.
Ihr sagt, man hätte „große Schwierigkeiten, sie wiederherzustellen“,
weil man sie nicht in ihrer ursprünglichen Sprache besitzt. Ist es das, was
euch stört? Doch bei Gott, sagt mir, wer hat euch gesagt, daß sie verloren,
verdorben oder verändert seien, so daß sie der Wiederherstellung bedürf-
ten? Ihr setzt vielleicht voraus, daß jene, die sie aus dem Original übertru-
gen, sie schlecht übersetzt hätten, und ihr möchtet das Original haben,
um sie zu vergleichen und zu beurteilen. Wollt ihr also nichts davon wis-
sen und sagt, sie seien apokryph, weil ihr nicht selbst Übersetzer des
Originals sein könnt und weil ihr dem Urteil des Übersetzers nicht ver-
trauen könnt? Es gäbe also nichts Sicheres außer dem, was ihr geprüft
habt? Zeigt mir diese Regel für die Sicherheit in der Heiligen Schrift.
Außerdem, seid ihr ganz sicher, daß ihr den hebräischen Text der Bücher
der ersten Ordnung so rein und tadellos habt, wie er zur Zeit der Apostel
und der Siebzig war? Hütet euch vor Täuschung. Gewiß, ihr folgt diesem

128
Text nicht immer und ihr könnt es nicht mit gutem Gewissen: zeigt mir
das noch in der Heiligen Schrift. Das ist also eure recht unvernünftige
erste Begründung.
2. Ihr sagt, diese Bücher, die ihr apokryphe nennt, wurden von den
Hebräern nicht angenommen; damit sagt ihr nichts Neues und nichts von
Bedeutung. Der hl. Augustinus erklärt ganz laut: „Libros Machabaeorum
nuon Judaei sed Ecclesia Catholica pro canonicis habet. Die Bücher der
Makkabäer halten nicht die Juden für kanonisch, sondern die katholische
Kirche.“ Dank Gott sind wir nicht Juden, wir sind Katholiken. Zeigt mir
durch die Heilige Schrift, daß die christliche Kirche nicht ebensoviel
Macht hat wie das Judentum, die heiligen Bücher zu autorisieren. Dafür
gibt es keine Schriftstelle noch einen Vernunftbeweis, der das zeigt.
3. Ja, sagt ihr, aber selbst die ganze Kirche nimmt sie nicht an. Von
welcher Kirche versteht ihr das? Gewiß, die katholische Kirche, die al-
lein die wahre ist, nimmt sie an, wie der hl. Augustinus im eben zitierten
Satz sagt und an anderen Stellen wiederholt; das Konzil von Karthago,
das Trullanum, das 6. allgemeine, das von Florenz und hundert Schrift-
steller des Altertums sind dafür Zeugen, namentlich der hl. Hieronymus,
der bestätigt, daß das Buch Judit auf dem ersten Konzil (von Nicäa) ange-
nommen wurde.
Vielleicht wollt ihr sagen, daß in alter Zeit manche Katholiken an ihrer
Autorität zweifelten; das gilt gemäß der Unterscheidung, die ich oben
getroffen habe. Doch was tut das zur Sache? Konnte ihr Zweifel den Be-
schluß ihrer Nachfahren verhindern? Heißt das, wenn man nicht auf An-
hieb entschlossen ist, müsse man immer schwankend, unsicher und un-
entschlossen bleiben? Ihr werdet nicht zu leugnen wagen, daß man eine
Zeit lang unsicher über die Geheime Offenbarung und Ester war; dafür
habe ich zu gute Zeugen; für Ester die Heiligen Athanasius und Gregor
von Nazianz, für die Geheime Offenbarung das Konzil von Laodicäa:
und trotzdem nehmt ihr sie an. Entweder nehmt ihr alle an, weil sie von
gleicher Beschaffenheit sind, oder ihr nehmt aus demselben Grund kei-
nes davon an.
Aber um Gottes willen, welche Laune veranlaßt euch, hier die Kirche
vorzuschützen, deren Autorität ihr für hundertmal unsicherer haltet als
diese Bücher selbst? Ihr sagt von ihr, sie sei fehlbar gewesen, unbeständig,
ja apokryph, wenn apokryph verborgen bedeutet. Ihr nennt sie nur, um sie
zu verachten und sie unbeständig erscheinen zu lassen, indem sie diese
Bücher einmal anerkennt, einmal ablehnt. Man muß aber wohl unter-

129
scheiden zwischen dem Zweifel, ob eine Sache annehmbar ist, und der
Ablehnung. Der Zweifel verhindert nicht die nachfolgende Entscheidung,
sondern ist eine Voraussetzung dafür; die Ablehnung setzt die Entschei-
dung voraus. Unbeständig sein heißt nicht, einen Zweifel zur Entschei-
dung bringen, sondern vielmehr, die Entscheidung in Zweifel zu ziehen.
Es ist keine Unbeständigkeit, nach der Schwankung Festigkeit zu gewin-
nen, sondern vielmehr nach der Festigkeit schwankend zu werden. Nach-
dem nun die Kirche über diese Bücher einige Zeit im Zweifel war, hat sie
diese schließlich in einer authentischen Entscheidung angenommen; und
ihr wollt, daß sie von dieser Entscheidung zum Zweifel zurückkehre. Das
ist das Kennzeichen der Irrlehre, nicht der Kirche, vom Übel zum Schlim-
meren fortzuschreiten; doch darüber an anderer Stelle.15
4. Was den hl. Hieronymus betrifft, den ihr anführt, trifft das in keiner
Weise zu, da die Kirche zu seiner Zeit noch nicht die Entscheidung ge-
troffen hatte, die sie später über die Kanonisation dieser Bücher faßte,
außer über das Buch Judit.
5. Was den Kanon „Sancta Romana“ betrifft, der von Gelasius I. ist,
glaube ich, dem seid ihr im Finstern begegnet, denn er ist ganz gegen
euch. Indem er die apokryphen Schriften verurteilt, nennt er keine von
denen, die wir annehmen, sondern bestätigt im Gegensatz, daß Tobias
und die Makkabäer in der Kirche allgemein angenommen wurden.
6. Und die bedauernswerte Glosse verdient nicht, daß ihr sie in dieser
Weise auslegt, denn sie sagt eindeutig, daß „diese Bücher gelesen wurden,
vielleicht aber nicht allgemein“. Dieses „vielleicht“ gilt es zu beachten,
und ihr habt es übersehen. Und wenn sie diese Bücher, um die es geht, als
apokryph einschätzt, dann weil sie der Meinung war, apokryph bedeute,
daß sie keinen bestimmten Verfasser haben. Daher erscheint hier das
Buch der Richter als apokryph. Dieses Urteil ist nicht so authentisch, daß
es als Entscheidung gilt; schließlich ist es nur eine Glosse.
7. Und die Verfälschungen, die ihr anführt, sind nicht so schwerwie-
gend, daß sie ausreichen, die Autorität dieser Bücher zu untergraben, da
sie berichtigt und von jeder Verderbnis gereinigt wurden, ehe die Kirche
sie annahm. Gewiß, alle Bücher der Kirche wurden von den früheren
Feinden der Kirche verdorben, aber durch die Vorsehung Gottes blieben
sie in der Hand der Kirche echt und rein als ein heiliges Vermächtnis, und
man konnte niemals so viele Exemplare verderben, daß nicht genügend
davon erhalten blieben, um die anderen wiederherzustellen.

130
8. Ihr wollt aber vor allem die Makkabäer-Bücher unseren Händen
entreißen, wenn ihr sagt, sie seien verdorben. Nun, da ihr nur eine einfa-
che Behauptung aufstellt, will ich nur mit einer einfachen Verneinung
darauf antworten.
9. Der hl. Hieronymus sagt, er habe das 2. Buch Makkabäer nicht auf
Hebräisch finden können. Und obwohl das erste hebräisch geschrieben
war, ist das zweite nichts als ein Brief, den die Ältesten von Israel an die
jüdischen Brüder sandten, die außerhalb von Judäa lebten. Und wenn er
in der bekanntesten und allgemeinen Sprache jener Zeit geschrieben ist,
folgt daraus, daß er nicht annehmbar ist? Bei den Ägyptern war die grie-
chische Sprache viel mehr gebräuchlich als die hebräische; das zeigte
Ptolemäus deutlich, als er die Übersetzung der 72 (Septuaginta) veran-
laßte. Deshalb wurde dieses 2. Buch Makkabäer in Griechisch statt in
Hebräisch geschrieben; es war wie ein Brief oder Kommentar, zum Trost
der Juden gesandt, die in Ägypten wohnten.
10. Bleibt, daß die Schreiber des neuen Vorworts die Irrtümer zeigen,
deren sie diese Bücher beschuldigten. Das werden sie in Wirklichkeit
niemals tun. Aber ich sehe sie kommen; sie werden die Fürsprache der
Heiligen anführen, das Gebet für die Verstorbenen, die Willensfreiheit,
die Verehrung der Reliquien und ähnliche Punkte, die ausdrücklich in
den Makkabäer-Büchern, in Jesus Sirach und anderen Büchern bestätigt
werden, die sie als apokryphe ausgeben. Gebt um Gottes willen acht, daß
euer Urteil euch nicht täuscht. Ich bitte euch, warum nennt ihr Irrtümer,
was das ganze Altertum als Glaubensartikel betrachtet hat? Warum über-
prüft ihr nicht lieber eure Einbildungen, die die Lehren dieser Bücher
nicht annehmen wollen, statt diese Bücher zu zensieren, die seit so langer
Zeit angenommen sind, weil sie euren Launen nicht entsprechen? Weil
ihr nicht glauben wollt, was diese Bücher lehren, verwerft ihr sie. Warum
verurteilt ihr nicht lieber eure Verwegenheit, die euch ungläubig für ihre
Lehre macht?
Ich halte also alle eure Behauptungen für hinfällig, und ihr könnt keine
anderen vorbringen. Wir können aber wohl sagen: wenn es erlaubt ist,
unterschiedslos heilige Schriften zu verwerfen oder ihre Autorität zu be-
zweifeln, über die man ehedem Zweifel hatte, obwohl die Kirche darüber
entschieden hat, dann müßte man einen großen Teil des Alten und Neuen
Testaments verwerfen oder daran zweifeln. Es ist also kein geringer Ge-
winn für den Feind der Christenheit, auf einmal so viele bedeutende Teile
in der Heiligen Schrift gestrichen zu haben. Gehen wir weiter.

131
5. Artikel: Zweiter Verstoß gegen die Heilige Schrift durch die Regel, die
die Reformatoren aufstellen, um die heiligen Bücher von den
anderen zu unterscheiden. Einige Streichungen, die sich
daraus ergeben.

Der schlaue Kaufmann stellt die geringeren Stücke seines Ladens zur
Schau und bietet sie als erste den Käufern an, um zu versuchen, ob er sie
loswerden und irgendeinem Einfältigen verkaufen kann. Die Begründun-
gen, die die Reformatoren im vorausgehenden Artikel vorgelegt haben,
sind nur ein Täuschungsmanöver, wie wir gesehen haben. Man bedient
sich ihrer gleichsam als Unterhaltung, um zu sehen, ob sich irgendein
einfältiger und schwacher Geist damit begnügen will. Tatsächlich beken-
nen sie, wenn es zur Ausführung kommt, daß weder die Autorität der
Kirche noch die des hl. Hieronymus, der Glosse, des Chaldäischen und
des Hebräischen ein hinreichender Grund sind, irgendeine Schrift anzu-
nehmen oder zurückzuweisen. Das ist ihre Erklärung in dem von den
sogenannten reformierten Franzosen „dem König von Frankreich vorge-
legten Glaubensbekenntnis“. Nachdem sie im 3. Artikel die Bücher auf-
gezählt haben, die sie annehmen wollen, schreiben sie im 4. Artikel: „Wir
wissen, daß diese Bücher kanonisch und eine sehr sichere Regel unseres
Glaubens sind, nicht so sehr durch die allgemeine Übereinstimmung und
Einmütigkeit der Kirche als durch das Zeugnis und die innere Überre-
dung des Heiligen Geistes, der sie uns von den anderen kirchlichen Bü-
chern unterscheiden läßt.“ Sie verlassen also das Feld der vorhergehen-
den Begründungen, und um sich abzusichern, verlegen sie sich auf die
innere, geheime und unsichtbare Überzeugung, die sie durch den Heili-
gen Geist in ihnen bewirkt wähnen.
In der Tat ist es ein gutes Vorgehen von ihnen, sich in dieser Frage nicht
auf die allgemeine Übereinstimmung und Einmütigkeit der Kirche stüt-
zen zu wollen; denn diese allgemeine Übereinstimmung hat Jesus Sirach
kanonisiert, die Makkabäer-Bücher, ebenso und zugleich mit der Gehei-
men Offenbarung; und trotzdem wollen sie diese annehmen und jene
verwerfen: Judit, autorisiert durch das große erste und untadelige Konzil
von Nicäa, wurde von den Reformatoren gestrichen. Sie tun also recht zu
bekennen, daß sie in der Annahme von kanonischen Büchern nicht die
Übereinstimmung und Einmütigkeit der Kirche annehmen, die nie grö-
ßer und feierlicher war als auf diesem ersten Konzil. Doch seht die List.
„Wir erkennen“, sagen sie, „daß diese Bücher kanonisch sind, nicht so
sehr durch die allgemeine Übereinstimmung der Kirche.“

132
Wenn ihr sie das sagen hört, würdet ihr nicht sagen, daß sie sich wenigs-
tens irgendwie von der Kirche leiten lassen? Ihre Sprache ist nicht auf-
richtig: Es scheint, daß sie der allgemeinen Übereinstimmung der Chris-
ten den Glauben nicht gänzlich verweigern, sondern sie nur nicht im
selben Grad annehmen wie ihre innere Überzeugung. Trotzdem tragen
sie ihr in keiner Weise Rechnung; vielmehr gehen sie in ihrer Sprache so
zurückhaltend vor, um nicht ganz und gar ungeschliffen und unvernünftig
zu erscheinen. Denn ich bitte euch, wenn sie sich der kirchlichen Autori-
tät nur im geringsten beugten, warum nähmen sie dann die Geheime Of-
fenbarung eher an als Judit und die Makkabäer, für die der hl. Augustinus
und der hl. Hieronymus uns zuverlässige Zeugen sind, daß sie einmütig
von der ganzen katholischen Kirche angenommen wurden? Auch das
Konzil von Karthago, das Trullanum und das Konzil von Florenz bestäti-
gen uns das. Warum sagen sie dann, daß sie die heiligen Schriften anneh-
men „nicht so sehr durch die allgemeine Übereinstimmung der Kirche
als durch innere Überzeugung“? Die allgemeine Übereinstimmung der
Kirche spielt dabei ja überhaupt keine Rolle. Das ist ihre Gewohnheit,
wenn sie irgendeine befremdende Ansicht vorbringen wollen, nicht klar
und deutlich zu sprechen, um die Leser an irgendetwas Besseres denken
zu lassen.
Sehen wir nun, welche Regel sie haben, um die kanonischen Schriften
von den anderen kirchlichen zu unterscheiden: „Das Zeugnis und die
innere Überredung des Heiligen Geistes“, sagen sie. O Gott, welche Heim-
lichkeit, welcher Nebel, welche Nacht; werden wir nicht gut aufgeklärt in
einer so wichtigen und schwerwiegenden Unterscheidung? Man fragt, wie
man die kanonischen Bücher erkennen kann; man möchte gern irgendei-
ne Regel haben, um sie zu unterscheiden, und man bietet uns das an, was
im Inneren der Seele geschieht, was niemand sieht, niemand kennt als die
Seele selbst und ihr Schöpfer.
1. Zeigt mir klar, daß diese Eingebungen und Überredungen, die ihr zu
haben behauptet, vom heiligen und nicht vom falschen Geist stammen.
Wer wüßte nicht, daß der Geist der Finsternis sehr oft im Gewand des
Lichtes auftritt?
2. Zeigt mir klar, daß ihr nicht lügt, mich nicht täuscht, wenn ihr mir
sagt, daß diese oder jene Eingebung in eurem Bewußtsein geschieht. Ihr
sagt, daß ihr diese Überzeugung in euch fühlt, aber warum bin ich ver-
pflichtet, das zu glauben? Ist euer Wort so mächtig, daß ich gezwungen
bin zu glauben, daß ihr denkt und fühlt, was ihr sagt? Ich will euch für
ehrliche Leute halten, aber wenn es sich um die Grundlagen meines Glau-

133
bens handelt, wie darum, kirchliche Schriften anzunehmen oder zurück-
zuweisen, finde ich weder eure Gedanken noch eure Worte sicher genug,
um mir als Grundlagen zu dienen.
3. Gibt dieser Geist seine Einsprechungen unterschiedslos jedem oder
nur manchen im besonderen? Wenn jedem, was will es dann heißen, daß
viele tausend Katholiken nie eine erfuhren, noch so viele Frauen, Arbei-
ter und andere bei euch? Wenn es für einige im besonderen geschieht,
dann zeigt sie mir bitte, und warum ihnen und nicht vielmehr anderen.
An welchem Merkmal kann ich sie erkennen und aus der Masse der ande-
ren herausfinden? Muß ich dem Erstbesten glauben, der behauptet, zu
ihnen zu gehören? Das hieße uns zu sehr den Verführern ausliefern und
überlassen. Zeigt mir also irgendeine unfehlbare Regel, um diese Er-
leuchteten und Überzeugten zu erkennen, oder erlaubt mir, daß ich kei-
nem von ihnen glaube.
4. Doch im Ernst, glaubt ihr, daß die innere Überzeugung ein hinrei-
chendes Mittel ist, um die heiligen Schriften zu unterscheiden und die
Leute des Zweifels zu entheben? Was bedeutet es dann, daß Luther den
Brief des hl. Jakobus streicht, den Calvin annimmt? Ich bitte euch, bringt
doch ein wenig in Einklang, daß dieser Geist den einen überzeugt, das zu
verwerfen, was er den anderen anzunehmen überredet. Vielleicht sagt ihr,
daß Luther sich täuscht; er wird genau dasselbe von euch sagen. Wem soll
man glauben? Luther spottet über Jesus Sirach, er hält Ijob für eine Fabel;
werdet ihr ihm eure Überzeugung entgegenhalten? Er wird euch die seine
vorhalten. So läßt euch dieser Geist, der sich selbst widerspricht, keine
andere Entscheidung, als einer gegen den anderen auf seiner Ansicht zu
beharren.
5. Welchen Grund gibt es dann dafür, daß der Heilige Geist das, was
jeder glauben muß, ich weiß nicht wem eingeben sollte, Luther oder Cal-
vin, die Konzile und die ganze Kirche aber ohne jede Eingebung dieser
Art gelassen hätte? Wir leugnen nicht, um es deutlich zu sagen, daß die
Kenntnis der echten heiligen Schriften eine Gabe des Heiligen Geistes
ist, wir behaupten aber, daß der Heilige Geist sie dem einzelnen durch
die Vermittlung der Kirche gibt. Gewiß, wenn Gott etwas einem einzel-
nen tausendmal geoffenbart hätte, wären wir nicht verpflichtet, es zu glau-
ben, wenn Gott ihn nicht so deutlich gekennzeichnet hätte, daß wir an
seiner Zuverlässigkeit nicht zweifeln können. An euren Reformatoren
sehen wir aber nichts davon. Mit einem Wort, der Heilige Geist richtet
seine Eingebungen und Überredungen unmittelbar an die gesamte Kir-
che, dann vermittelt er sie den einzelnen durch die Predigt der Kirche.

134
Die Milch bildet sich in der Braut, dann saugen sie die Kinder an ihrer
Brust. Aber ihr wollt im Gegenteil, daß Gott die einzelnen inspiriere und
durch sie die Kirche; daß die Kinder die Milch empfangen und die Mutter
an ihrem Euter ernährt werde; das ist absurd.
Wenn nun durch diese inneren und besonderen Eingebungen nicht ge-
gen die Heilige Schrift verstoßen und ihre Würde nicht verletzt wurde,
dann wurde und wird nie gegen sie verstoßen werden, dann ist für jeden
die Tür offen, von den heiligen Schriften anzunehmen oder zu verwerfen,
was ihm gutdünkt. Erlaubt doch, warum soll man eher Calvin erlauben,
das Buch der Weisheit und die Makkabäer zu streichen, als Luther, den
Brief des hl. Jakobus oder die Geheime Offenbarung zu entfernen, oder
Castilio, das Hohelied, den Wiedertäufern, das Evangelium des hl. Mar-
kus, oder einem anderen die Genesis oder Exodus? Wenn alle sich auf
eine innere Offenbarung berufen, warum glaubt man eher dem einen als
dem anderen? So wird durch die Vermessenheit jedes Verführers diese
heilige Regel unter Berufung auf den Heiligen Geist zur Zügellosigkeit.
Erkennt doch den Kunstgriff. Man hat der Überlieferung, der Kirche,
den Konzilen alle Autorität entzogen; was bleibt noch? Die Heilige Schrift.
Der Feind ist schlau: wollte er sie mit einem Schlag entreißen, würde er
Alarm auslösen; er hat ein sicheres und unfehlbares Mittel gefunden, sie
ganz sachte Stück für Stück wegzunehmen. Durch diese Idee der inneren
Einsprechung kann jeder annehmen oder verwerfen, was ihm gutdünkt;
und tatsächlich, seht ein wenig den Erfolg dieses Planes. Calvin entfernt
und streicht aus dem Kanon Baruch, Tobias, Judit, die Weisheit, Jesus
Sirach, die Makkabäer; Luther entfernt den Brief des hl. Jakobus, des hl.
Judas, den 2. des hl. Petrus, den 2. und 3. des hl. Johannes, den Brief an die
Hebräer; er spottet über Jesus Sirach, er hält Ijob für eine Fabel. In Daniel
hat Calvin den Gesang der drei Jünglinge gestrichen, die Geschichte der
Susanna und die vom Drachen Bel, ebenso einen großen Teil von Ester.
Im Exodus hat man in Genf und anderswo bei diesen Reformatoren den
22. Vers des 2. Kapitels entfernt, der so wesentlich ist, daß ihn weder die
Siebzig noch die anderen Übersetzer je aufgeschrieben hätten, wenn er
nicht in den Urschriften stünde. Bèze (Beza) zieht die Geschichte der
Ehebrecherin im Evangelium des hl. Johannes (8,1-11) in Zweifel (der
hl. Augustinus bemerkt, daß sie die Feinde der Christenheit früher aus
ihren Büchern gestrichen hatten, doch nicht aus allen, wie der hl. Hiero-
nymus sagt).
Will man nicht in den geheimnisvollen Worten von der Eucharistie die
Autorität der Worte qui pro vobis fundetur (Lk 22,20) erschüttern, weil

135
der griechische Text eindeutig zeigt, daß im Kelch nicht Wein war, son-
dern das Blut des Erlösers? In unserer Sprache heißt es: Das ist der Kelch
des Neuen Bundes in meinem Blut, das für euch vergossen wird. Nach
dieser Ausdrucksweise muß das, was im Kelch ist, das wahre Blut sein,
nicht Wein, denn nicht der Wein wurde für uns vergossen, und der Kelch
kann nur in dem Sinne ausgegossen werden, was er enthält. Was ist das
Messer, mit dem man so viel weggeschnitten hat? Die Meinung von die-
sen besonderen Einsprechungen. Was macht eure Reformatoren so kühn,
daß der eine dieses Stück abschneidet, der andere jenes, der dritte ein
anderes? Diese angeblichen inneren Überredungen des Geistes, die sie,
jeden für sich, zum Urteil über die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßig-
keit der heiligen Schriften ermächtigen.
Der hl. Augustinus dagegen erklärt: „Ego vero Evangelio non crede-
rem, nisi me Catholicae Ecclesiae commoveret authoritas; ich würde dem
Evangelium nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholi-
schen Kirche dazu bewegte.“ Und an anderer Stelle: „Novum et Vetus
Testamentum in illo Librorum numero recipimus quam Sanctae Ecclesiae
Catholicae tradit autoritas; wir nehmen das Neue und Alte Testament in
der Zahl von Büchern an, wie sie die Autorität der katholischen Kirche
vorlegt.“ Der Heilige Geist vermag zu inspirieren, wen ihm gutdünkt;
doch für die Begründung des öffentlichen und allgemeinen Glaubens der
Gläubigen verweist er uns an die Kirche; an ihr liegt es zu bestimmen,
welche Schriften echt sind, welche nicht. Nicht als könnte sie der Heili-
gen Schrift die Echtheit oder Sicherheit verleihen, sie kann uns aber die
Gewißheit und Überzeugung von ihrer Sicherheit verleihen. Die Kirche
könnte eine Schrift nicht kanonisch machen, wenn sie es nicht ist, wohl
aber kann sie erreichen, daß sie als solche anerkannt wird, nicht durch
Änderung der Substanz der Schriften, sondern indem sie die Überzeu-
gung der Christen ändert dadurch, daß sie ihr volle Gewißheit verschafft
in dem, worüber sie im Zweifel war.
Wenn sie unser Erlöser je gegen die Pforten der Hölle verteidigt, wenn
der Heilige Geist sie je inspiriert und führt, dann bei diesem Anlaß. Es
hieße sie ja ganz im Stich lassen und der Not aussetzen, wenn er sie in
dieser Frage im Stich ließe, von der unsere Religion zum Großteil ab-
hängt. Wir hätten in Wahrheit sehr wenig Gewißheit, wenn wir unseren
Glauben auf diese besonderen inneren Einsprechungen stützen, die wir,
wenn es sie gibt oder je gab, nur durch das Zeugnis bestimmter Personen
kennen. Und vorausgesetzt, daß es sie gibt oder gab, wissen wir nicht, ob
sie vom echten oder falschen Geist kommen. Und angenommen, daß sie

136
vom echten Geist stammen, wissen wir nicht, ob sie jene, die sie vortra-
gen, wahrheitsgetreu wiedergeben oder nicht, da sie keinerlei Merkmal
der Unfehlbarkeit haben. Wir verdienten unterzugehen, wenn wir uns aus
dem Schiff des öffentlichen Urteils der Kirche stürzten, um im armseli-
gen Boot dieser besonderen, neuen, widersprüchlichen Überzeugungen
zu segeln. Unser Glaube wäre nicht mehr katholisch, sondern absonder-
lich.
Doch bevor ich weitergehe, bitte ich euch Reformatoren, sagt mir, wo-
her ihr den Kanon der heiligen Schriften genommen habt, dem ihr folgt.
Ihr habt ihn nicht von den Juden genommen, denn darin gab es die evan-
gelischen Bücher nicht; nicht vom Konzil von Laodicäa, denn dort stand
die Geheime Offenbarung nicht; auch nicht vom Konzil von Karthago
und von Florenz, denn dort fanden sich nicht Jesus Sirach und die Mak-
kabäer. Woher habt ihr ihn also genommen? In Wahrheit wurde vor euch
nie von einem ähnlichen Kanon gesprochen. Die Kirche sah nie einen
Kanon der heiligen Schriften, in dem es nicht mehr oder weniger als in
dem euren gab. Welche Anzeichen gibt es dafür, daß sich der Heilige
Geist dem ganzen Altertum verschlossen und nach 1500 Jahren bestimm-
ten Personen die Liste der echten Schriften geoffenbart hätte? Wir unse-
rerseits folgen genau dem Verzeichnis des Konzils von Laodicäa mit der
Ergänzung durch das Konzil von Karthago und Florenz. Kein urteilsfähi-
ger Mensch wird je diese Konzile aufgeben, um den persönlichen Über-
zeugungen zu folgen.
Das ist also die Quelle jedes Verstoßes, den man gegen diese heilige
Regel begangen hat; das war, als man sich einbildete, sie nur nach Maßga-
be der Einsprechungen anzunehmen, die jeder zu fühlen glaubt und denkt.

6. Artikel: Wie die Würde der heiligen Schriften verletzt wurde


in häretischen Auslegungen und Übersetzungen.

Um diese erste und ganz heilige Regel unseres Glaubens vollständig zu


entkräften, haben sich die Protestanten dieser Zeit nicht damit begnügt,
sie um so viele schöne Teile zu vermindern und zu beschneiden, sondern
haben sie verdreht und verfälscht, jeder nach seinem Belieben. Statt ihre
Kenntnis dieser Regel anzupassen, haben sie selbst Regeln dafür aufge-
stellt nach dem Maß ihrer Fähigkeiten, ob groß oder klein.
Die Kirche hat vor mehr als 1000 Jahren allgemein die lateinische
Übersetzung angenommen, die die katholische Kirche vorlegt. Der hl.

137
Hieronymus, ein hochgelehrter Mann, war ihr Urheber oder Verbesserer.
In unserer Zeit hat sich ein nebelhafter Geist des Schwindels (Jes 19,14)
verbreitet. Er hat diese Erneuerer alter Ansichten, die vordem im Um-
lauf waren, so verblendet, daß jeder die Heilige Schrift Gottes verdrehen
wollte, der nach dieser, der nach jener Seite, jeder nach seinem schiefen
Urteil. Wer sieht darin nicht die Entweihung dieses heiligen Gefäßes der
Heiligen Schrift, in dem der kostbare Balsam der Lehre des Evangeliums
geborgen ist? Wäre es nicht eine Entweihung der Bundeslade gewesen,
hätte irgendwer behaupten wollen, jeder könnte sie nehmen, nach Hause
tragen, sie zerlegen und zerstückeln, ihr dann die Form geben, die er
wollte, wenn sie nur irgendwie das Aussehen der Lade hätte? Und was
bedeutet es anderes, wenn man behauptet, man könnte die heiligen Schrif-
ten nehmen, sie ändern und jeder nach seinem Verständnis anpassen?
Und trotzdem ist der Verwegenheit Tür und Tor geöffnet, seit man be-
hauptet, die ordentliche Ausgabe der Kirche sei so entstellt, daß man sie
ganz neu fassen müsse, und seit ein einzelner Mensch Hand an sie legte
und so vorzugehen begann. Denn wenn Luther das zu tun wagte, warum
nicht auch Erasmus? Und wenn Erasmus, warum nicht Calvin und Me-
lanchton? Warum nicht Heinrich Merker, Sebastian Castilio, Bèze und
alle anderen? Wenn man nur einige Verse von Pindar kannte und vier
oder fünf Worte Hebräisch, ungefähr nach irgendeinem „Thesaurus“ der
einen oder anderen Sprache. Und wie können so viele Übersetzungen
durch so viele Köpfe entstehen, ohne vollständige Zerstörung der Echt-
heit der Heiligen Schrift?
Was sagt ihr? Daß die ordentliche Ausgabe entstellt ist? Wir geben zu,
die Abschreiber und Drucker ließen gewisse Zweideutigkeiten von sehr
geringer Bedeutung einfließen (obwohl es in der Heiligen Schrift nichts
gibt, was unbedeutend genannt werden könnte). Das Konzil von Trient
hat angeordnet, daß sie entfernt werden und daß man künftig darauf ach-
te, sie möglichst sorgfältig drucken zu lassen. Im übrigen gibt es darin
nichts, was nicht dem Sinn des Heiligen Geistes sehr angemessen wäre,
der ihr Urheber ist. Das haben bereits so viele unserer Gelehrten gezeigt,
die sich der Vermessenheit dieser neuen Religionsgründer entgegenstell-
ten, daß es Zeitvergeudung wäre, darüber mehr sagen zu wollen. Außer-
dem wäre es töricht, wenn ich über die Echtheit der Übersetzungen spre-
chen wollte; ich konnte die eine der beiden Sprachen, deren Kenntnis
dafür notwendig ist, nie gut mit den Vokalzeichen lesen und ich bin in der
anderen kaum mehr bewandert.

138
Doch was habt ihr denn Besseres getan? Jeder hat seine Übersetzung
geschätzt und die anderen verachtet; man ist herumgekreist, soviel man
wollte, aber keiner hat sich um die Übersetzung seines Nebenmannes
gekümmert. Heißt das nicht die Würde der Heiligen Schrift zerstören
und sie der Verachtung bei den Leuten preisgeben? Sie denken, diese
Verschiedenheit der Ausgaben komme eher von der Unsicherheit der
Heiligen Schrift als vom bunten Gemisch der Übersetzer. Schon diese
Buntheit allein muß uns Sicherheit über die alte Übersetzung geben, die,
wie das Konzil sagt, die Kirche so lange, so beständig und so einmütig
anerkannt hat.

7. Artikel: Die Profanierung in Volksausgaben.

Wenn das von lateinischen Übersetzungen gilt, wie groß ist dann die
Geringschätzung und Entwürdigung in französischen, deutschen, polni-
schen Fassungen und in anderen Sprachen. Dennoch ist das einer der
gefährlichsten Kunstgriffe, die der Feind der Christenheit und der Ein-
heit in unserer Zeit anwendet, um die Leute auf seine Seite zu bringen. Er
kannte die Absonderlichkeit der Menschen, und wie sehr jeder sein eige-
nes Urteil schätzt; daher hat er alle Sektierer dazu verführt, die Heilige
Schrift zu übersetzen, jeder in der Sprache des Landes, wo er wohnt, und
die noch nie gehörte Meinung zu vertreten, jeder sei fähig, die Heilige
Schrift zu verstehen, alle müßten sie lesen, die öffentlichen Gottesdienste
müßten in der Umgangssprache jedes Landes gefeiert und gesungen wer-
den.
Doch wer sieht nicht die Kriegslist? Es gibt nichts auf der Welt, das sich
nicht ändert und seinen ursprünglichen Glanz verliert, wenn es durch
viele Hände geht. Der Wein, den man oft ausgießt und umfüllt, wird schal
und verliert seine Kraft; wenn das Wachs geknetet wird, ändert es die
Farbe; die Münze verliert ihre Prägung. Glaubt mir, daß auch die Heilige
Schrift, wenn sie durch so viele Übersetzer in so vielen Übersetzungen
und Rückübersetzungen geht, sich verändern muß. Wenn es unter diesen
Übersetzern über die lateinischen Fassungen so verschiedene Meinungen
gibt, wieviel mehr gibt es dann in den Übersetzungen in der Mutterspra-
che jedes einzelnen, die der einzelne nicht verbessern und beurteilen kann.
Es ist ein sehr großer Vorteil für die Übersetzer zu wissen, daß sie nur von
Leuten ihres Landes selbst kritisiert werden. Nicht jedes Land hat so klar-
sichtige Augen wie Frankreich und Deutschland. „Wissen wir genau“,

139
sagt ein profaner Gelehrter, „ob es im Baskischen und in der Bretagne
genügend Richter gibt, um diese Übersetzung in ihre Sprache einzufüh-
ren? Die allgemeine Kirche hat kein schwierigeres Urteil zu fällen.“ Es
ist die Absicht Satans, die Unversehrtheit dieses Vermächtnisses zu zer-
stören. Er weiß, daß es wichtig ist, den Brunnen zu trüben und zu vergif-
ten; das heißt gleichzeitig, die ganze Herde zu verderben.
Doch sprechen wir offen. Wissen wir nicht, daß die Apostel alle Spra-
chen redeten (Apg 2,9f)? Das will heißen, sie haben ihre Evangelien und
Briefe nicht nur in Hebräisch geschrieben, wie der hl. Hieronymus vom
Evangelium des hl. Matthäus bestätigt; in Latein, meinen manche vom
Evangelium des hl. Markus, und in Griechisch, wie man von den anderen
Evangelisten sagt. Welche drei Sprachen wurden für das Kreuz Unseres
Herrn selbst gewählt, für die Verkündigung des Gekreuzigten? Haben sie
nicht das Evangelium in die ganze Welt gebracht? Und gab es in der Welt
keine andere Sprache als diese drei? Es gab sie wirklich, und trotzdem
hielten sie es nicht für zweckmäßig, ihre Schriften in so verschiedenen
Sprachen abzufassen. Wer wird also die Gewohnheit unserer Kirche ver-
achten, die ihr großes Vorbild in den Aposteln hat? Dafür haben wir eine
bemerkenswerte Spur im Evangelium. Als Unser Herr in Jerusalem ein-
zog, riefen die Scharen: Hosanna dem Sohn Davids; gebenedeit sei, der
kommt im Namen des Herrn, Hosanna in der Höhe (Mt 21,9). Dieses
Wort Hosanna ließ man unverändert in den Texten beim hl. Markus und
beim hl. Johannes stehen, ein Zeichen, daß es das Wort des Volkes selbst
war. Nun ist Hosanna oder besser Hosianna (das eine bedeutet soviel wie
das andere, sagen die Sprachforscher) ein hebräisches, nicht ein syrisches
Wort, mit dem übrigen Lobpreis, der Unserem Herrn dargebracht wurde,
dem Psalm 118 (24) entnommen. Diese Leute waren also gewohnt, die
Psalmen auf Hebräisch zu sprechen; trotzdem war das Hebräische nicht
mehr ihre Umgangssprache. Das kann man an verschiedenen Ausdrük-
ken erkennen, die Unser Herr gebrauchte, die syrisch waren und die die
Evangelisten beibehalten haben, wie Abba, Haceldama, Golgota, Pascha
und andere, von denen die Gelehrten behaupten, daß sie nicht reines
Hebräisch sind, sondern Syrisch. Sie werden aber als Hebräisch bezeich-
net, weil das die Umgangssprache der Hebräer seit der babylonischen
Gefangenschaft war.
Außer dem großen Gewicht, das (die lateinische Sprache) haben muß
als Gegengewicht zu unserer ganzen Neuerungssucht, gibt es einen Grund,
den ich für sehr gut halte: Die anderen Sprachen haben keine festen Re-
geln, sie ändern sich von Zeit zu Zeit, von Jahrhundert zu Jahrhundert.

140
Man nehme die Memoiren des Herrn von Joinville zur Hand oder auch
die des Philippe de Commines; man wird sehen, daß wir ihre Sprache
völlig geändert haben. Sie müssen trotzdem als die Feinsten zu ihrer Zeit
gelten, da beide am Hof erzogen wurden. Wenn wir daher (vor allem für
den öffentlichen Gebrauch) jeder eine Bibel in seiner Sprache bräuchten,
müßten wir alle fünfzig Jahre Änderungen vornehmen, indem man an-
paßt, aufhebt oder einen guten Teil der heiligen Ursprünglichkeit der
Heiligen Schrift verändert, was nicht ohne großen Verlust geschehen kann.
Mit einem Wort, es ist mehr als vernünftig, daß eine so heilige Regel
(unseres Glaubens), wie es das heilige Wort ist, in einer regelfesten Spra-
che bewahrt wird, denn es könnte sich in gemischten und ungeregelten
Sprachen nicht in dieser Unversehrtheit erhalten.
Ich weise euch aber darauf hin, daß das Konzil Übersetzungen in die
Umgangssprache nicht verwehrt, die unter der Autorität der Bischöfe
gedruckt werden; es ordnet lediglich an, daß man sie nicht zu lesen unter-
nimmt ohne Genehmigung der Oberen. Das ist sehr vernünftig, um dieses
scharfe zweischneidige Messer (Hebr 4,12) keinem in die Hand zu geben,
der sich mit ihm selbst töten könnte. Darüber werden wir später spre-
chen. Daher findet es die Kirche nicht gut, daß jeder, der lesen kann,
dieses heilige Buch in Händen hat, ohne andere Sicherheit, als er aus
seiner Kühnheit gewinnt. Ich erinnere mich, in einem Essay des Herrn de
Montaigne gelesen zu haben: „Es hat gewiß keinen Sinn, das heilige Buch
der Geheimnisse unseres Glaubens“ in den Händen aller Leute „gehand-
habt zu sehen in einem Zimmer und in einer Küche. Ein derart gediege-
nes und Ehrfurcht erheischendes Studium darf man nicht nebenbei und
zerstreut betreiben. Das muß eine bedachtsame und gelassene Tätigkeit
sein, mit der man stets die Präfation ‚Sursum corda‘ unseres Meßopfers
und sogar den Körper in rechter Haltung beitragen muß, die eine beson-
dere Aufmerksamkeit und Ehrfurcht bezeigt.“ Und er sagt: „Glaube wei-
terhin, daß in der Freiheit für jeden, ein derart religiöses und wichtiges
Wort“ zu übersetzen und „in so vielen verschiedenen Sprachen zu ver-
breiten, viel mehr Gefahr als Nutzen liegt.“

141
8. Artikel: Die Profanierung (durch die Verwendung der
Umgangssprache in öffentlichen Gottesdiensten).

Das Konzil bestimmt auch, daß die öffentlichen Gottesdienste nicht in


der Volkssprache gehalten werden, sondern in einer regelfesten Sprache
und nach den überlieferten Formen, die von der Kirche approbiert sind.
Diese Vorschrift hat ihren Grund zum Teil in dem, was ich bereits gesagt
habe. Denn wenn es nicht zweckmäßig ist, auf diese Weise den heiligen
Text fortwährend von Land zu Land zu übersetzen, dann ist es ebensowe-
nig angebracht, die Gottesdienste in Französisch zu halten, da fast alles in
ihnen der Heiligen Schrift entnommen ist. Zum mindesten liegt darin,
die Heilige Schrift bei öffentlichen Gottesdiensten in der Umgangsspra-
che zu verwenden, um so größere Gefahr, weil nicht nur die Alten son-
dern auch die Kinder, nicht nur die Weisen sondern auch die Törichten,
nicht nur die Männer sondern auch die Frauen, mit einem Wort, weil alle
darin Anlaß zum Irrtum finden könnten, jeder nach seinem Belieben.
Lest die Passagen, wo David wegen des Wohlergehens der Bösen gegen
Gott zu murren scheint; ihr werdet sehen, daß ein Mann ohne Urteil sich
daran in seiner Ungeduld schmeichelt. Lest, wo er Rache an seinen Fein-
den zu fordern scheint, und der Geist der Rache wird sich ausbreiten.
Lest selbst die himmlischen und ganz göttlichen Liebesworte im Hohe-
lied; wer sie nicht recht zu vergeistigen versteht, wird daraus nur Nutzen
im Bösen ziehen. Und werden nicht das Wort bei Hosea (1,2): Geh und
zeuge Kinder des Ehebruchs, und die Handlungen der Patriarchen des
Alten Bundes den Dummköpfen als Vorwand für Zügellosigkeiten die-
nen?
Aber erkennen wir doch ein wenig, warum man die Heilige Schrift und
den Gottesdienst in der Umgangssprache haben will. Um dabei die Lehre
kennenzulernen? Aber die Lehre läßt sich daraus gewiß nicht gewinnen,
wenn nicht jemand die Rinde des Buchstabens geöffnet hat, in dem das
Verständnis enthalten ist; das werde ich an anderer Stelle ausführen. Dazu
dient die Predigt, nicht die Rezitation des Gottesdienstes. In der Predigt
wird das Wort Gottes nicht nur rezitiert, sondern durch den Seelsorger
ausgelegt. Doch wo ist jener, so bewandert und beschlagen er sein mag,
der ohne Studium die Prophezeiungen Ezechiels und der anderen sowie
die Psalmen versteht? Wozu dient es also den Leuten, sie zu hören, außer
dazu, sie zu profanieren und in Zweifel zu ziehen?
Übrigens können wir Katholiken unsere Gottesdienste in keiner Weise
auf einzelne Sprachen beschränken. Da unsere Kirche umfassend nach

142
Zeit und Orten ist, muß sie vielmehr ihre öffentlichen Gottesdienste in
einer Sprache halten, die selbst umfassend nach Zeit und Orten ist. Das
ist Latein im Abendland, Griechisch im Orient; andernfalls könnten un-
sere Priester außerhalb ihres Landes die Messe nicht feiern, die anderen
sie nicht hören. Die Einheit und die weite Verbreitung unserer Brüder
erfordert, daß wir unsere öffentlichen Gebete in einer Sprache verrich-
ten, die allen Nationen gemeinsam ist. Auf diese Weise sind unsere Gebe-
te universal durch so viele Leute, die in jedem Land Latein verstehen
können. Ich bin ehrlich der Überzeugung, daß schon dieser Grund allein
genügen muß, denn wenn wir es recht bedenken, werden unsere Gebete in
Latein nicht weniger verstanden als in Französisch. Teilen wir die Ge-
samtbevölkerung einer Republik in drei Stände ein, nach der alten fran-
zösischen Einteilung, oder in vier nach der neuen. Es gibt vier Gruppen
von Menschen: die Geistlichen, die Adeligen, die Bürgerlichen und das
niedere Volk oder den dritten Stand. Die ersten drei verstehen Latein
oder müßten es verstehen; wenn nicht, ist es zu ihrem Nachteil. Bleibt der
dritte Stand, von dem es ein Teil ebenfalls versteht. Der Rest könnte den
einfachen Vortrag der Heiligen Schrift wahrhaftig nur zur Not verstehen,
wenn man nicht das Kauderwelsch ihrer Gegend spricht.
Der hervorragende Theologe Robert Bellarmin berichtet, er habe von
zuverlässiger Seite gehört, daß eine Frau in England einen Geistlichen
das 25. Kapitel Jesus Sirach lesen hörte (obwohl sie ihn nur für altehr-
würdig, nicht für kanonisch halten). Weil darin ausführlich von der
Schlechtigkeit der Frauen gesprochen wird, stand sie auf und sagte: „Wie,
ist das das Wort Gottes? Das ist doch vom Teufel.“ Er berichtet auch nach
Theodoret ein gutes und treffendes Wort des hl. Basilius des Großen zum
Küchenmeister des Kaisers, der den Kenner spielen wollte, bestimmte
Stellen der Heiligen Schrift anzuführen: „Deine Aufgabe ist es, an die
Zukost zu denken, nicht die göttlichen Lehren auszukochen;“ als hätte er
gesagt: Befasse dich damit, deine Soßen abzuschmecken, nicht das Wort
Gottes zu genießen.

143
9. Artikel: Die Profanierung der Psalmen, indem man der Übersetzung
von Marot folgt und sie unterschiedslos überall singt.

Doch unter allen Entwürdigungen scheint mir jene quer durch die an-
deren zu geschehen: in Kirchen, öffentlich und allüberall, auf den Fel-
dern und in Kaufläden singt man die Reimereien Marots als Psalmen
Davids. Schon die Unzulänglichkeit des Verfassers, der nur ein Ignorant
war, die Laszivität, von der seine Schriften zeugen, sein sehr weltliches
Leben, das nichts weniger als christlich ist, verdienten, daß man ihm das
Betreten der Kirche verwehrte. Trotzdem gelten sein Name und seine
Psalmen in euren Kirchen als heilig und man singt sie bei euch, als stamm-
ten sie von David.
Wer sieht nicht, daß hier gegen das heilige Wort verstoßen wird? Die
Dichtung, ihr Aufbau, ihre Steifheit erlauben nicht, daß man der Eigenart
der Worte der Heiligen Schrift folgt, man hat vielmehr von Eigenem da-
mit vermengt, um den Sinn zu ergänzen, und dieser unwissende Verse-
schmied mußte da einen Sinn suchen, wo es mehrere gab. Und ist es nicht
eine Profanierung und ein arger Verstoß, daß man diesem geistlosen Kopf
ein Urteil von so großer Wichtigkeit überließ und dann in öffentlichen
Gebeten ebenso genau der Auswahl eines Gauklers folgte, wie man es nie
getan hat seit der Interpretation der Siebzig, die in besonderer Weise
unter dem Beistand des Heiligen Geistes standen? Wie viele Worte, wie
viele Sentenzen sind hier verborgen, die nie in der Heiligen Schrift stan-
den. Das ist etwas ganz anderes, als sibbolet schlecht auszusprechen. Je-
denfalls weiß man gut, daß nichts diese Vorwitzigen, vor allem die Frau-
en, so sehr gekitzelt hat wie die Ermächtigung, in der Kirche und in der
Versammlung zu singen.
Wir verwehren gewiß niemandem, bescheiden und geziemend mit dem
Chor zu singen; es scheint aber passender, daß gewöhnlich die Geistli-
chen und Vertreter des Volkes singen, wie es bei der Weihe des Tempels
Salomos (2 Chr 7,6) geschah. Ach, wie gefällt man sich darin, seine Stim-
me in der Kirche hören zu lassen. Aber täuscht man euch nicht mit diesen
Gesängen, die man euch singen läßt? Ich habe nicht die Gelegenheit und
Muße, die Frage weiter zu verfolgen, wenn ihr die Verse des 8. Psalms
schreit, wie oben.16
Und was die Art betrifft, die Psalmen unterschiedslos an allen Orten
und bei jeder Beschäftigung singen zu lassen, wer sieht nicht, daß das eine
Mißachtung der Religion ist? Heißt es nicht die göttliche Majestät belei-
digen, ohne jede Ehrfurcht und Aufmerksamkeit mit so erlesenen Worten

144
zu ihm zu sprechen, wie es die Psalmen sind? Gebete zur Unterhaltung
sprechen, heißt das nicht, sich über den lustig machen, zu dem man
spricht? Wenn man in Genf oder anderswo sieht, wie ein Händler scherz-
haft diese Psalmen singt, dann den Faden eines überaus schönen Gebetes
abreißt, um zu sagen: „Mein Herr, was ist gefällig?“, erkennt man da
nicht, daß er die Nebensache zur Hauptsache macht und daß er diesen
göttlichen Gesang nur zum Zeitvertreib singt, von dem er trotzdem glaubt,
daß er vom Heiligen Geist stammt? Erinnert uns das nicht deutlich an
jene Köche, die die Bußpsalmen Davids singen und bei jedem Vers den
Speck verlangen, den Kapaun, das Rebhuhn? „Diese Stimme ist zu gött-
lich“, sagt Montaigne, „um zu nichts anderem zu dienen, als die Lungen
zu üben und den Ohren zu gefallen.“ Ich gebe zu, daß im einzelnen jeder
Ort gut zum Beten ist und jede Handlung, die nicht Sünde ist, vorausge-
setzt, daß man von Herzen betet, weil Gott das Innere sieht, in dem das
Wesen des Gebetes liegt. Ich glaube aber, wer in der Öffentlichkeit betet,
muß ein äußeres Zeichen der Ehrfurcht geben, die die angemessenen
Worte erfordern, die er spricht. Andernfalls gibt er dem Nächsten Ärger-
nis, der nicht zu denken braucht, er habe innerlich Religion, wenn er im
Äußeren deren Verachtung sieht.
Ich behaupte daher, durch das Singen als göttliche Psalmen, was sehr
häufig Phantasie Marots ist, und durch das unehrerbietige Singen ohne
Ehrfurcht sündigt man in eurer so sehr reformierten Kirche sehr oft ge-
gen das Wort (Joh 4,24): Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn
anbeten im Geist und in Wahrheit. Denn abgesehen davon, daß in diesen
Psalmen sehr oft Auffassung Marots im Gegensatz zur Wahrheit ist, was
ihr dem Heiligen Geist zuschreibt, auch der Mund schreit in tausend
Straßen und Küchen Herr, Herr, ohne daß Herz und Geist dabei sind,
sondern aus Geschäftigkeit und gewinnsüchtig. Es ist, wie Jesaja (29,13)
sagt: Ihr erhebt euch mit dem Mund zu Gott und preist ihn mit den Lip-
pen, aber euer Herz ist fern von ihm und ihr fürchtet ihn gemäß den Gebo-
ten und Lehren der Menschen. Tatsächlich kommt dieser Mißstand, ohne
Frömmigkeit zu beten, auch bei den Katholiken sehr häufig vor, aber das
geschieht nicht mit Billigung der Kirche. Ich tadle jetzt nicht die einzel-
nen auf eurer Seite, sondern die Körperschaft eurer Kirche, die durch
ihre Übersetzungen und Freiheiten dem weltlichen Gebrauch ausliefert,
was mit sehr großer Ehrfurcht behandelt werden müßte.
Die Frauen sollen in der Kirche schweigen (1 Kor 14,34), scheint sich
ebensogut auf die Gesänge zu erstrecken wie auf das übrige. Unsere Or-
densfrauen befinden sich im Oratorium, nicht in der Kirche.

145
10. Artikel: Die Profanierung durch das angeblich leichte Verständnis der
Heiligen Schrift.

Die Phantasie muß große Macht über den Verstand der Hugenotten
haben, weil sie euch so fest von dem Unsinn überzeugt, die heiligen Schrif-
ten seien jedem leicht verständlich, jeder könne sie verstehen. In der Tat
mußte man so sagen, um in Ehren die Übersetzungen in die Volkssprache
zu machen. Doch sagt die Wahrheit: meint ihr, daß dem so ist? Findet ihr
sie so leicht? Versteht ihr sie gut? Wenn ihr das meint, bewundere ich
euren Glauben, der nicht nur die Erfahrung übertrifft, sondern dem wi-
derspricht, was ihr seht und fühlt. Wenn dem so wäre, daß die Heilige
Schrift so leicht zu verstehen ist, wozu dann so viele Kommentare der
alten Väter und so viele Erklärungen eurer Prädikanten? Zu welchem
Zweck so viele Harmonien und wozu diese theologischen Schulen?
In der Kirche muß nur die Lehre des reinen Gotteswortes sein, sagt man
euch. Doch wo ist dieses Wort Gottes? In der Heiligen Schrift. Und ist die
Heilige Schrift etwas Geheimes? Nicht für die Gläubigen, sagt man. Wozu
dann diese Erklärer, diese Prädikanten anstellen? Wenn ihr gläubig seid,
versteht ihr davon so viel wie sie. Schickt sie zu den Ungläubigen und
behaltet nur einige Diakone, daß sie euch das Stück Brot reichen und den
Wein bei eurem Abendmahl eingießen. Wenn ihr euch selbst auf dem
Feld der Heiligen Schrift nähren könnt, was habt ihr dann mit Hirten zu
tun? Irgendein kleines unschuldiges Kind, das lesen kann, wird euch da-
für den Beweis liefern.
Doch woher kommt der so häufige und unversöhnliche Streit unter
euch Brüdern in Luther, allein schon über die Worte: Das ist mein Leib,
und über die Frage der Rechtfertigung? Der hl. Petrus ist gewiß nicht
eurer Meinung; in seinem 2. Brief (3,16) macht er darauf aufmerksam,
daß es in den Briefen des hl. Paulus einige schwierige Stellen gibt, die
Ungebildete und Schwankende wie die übrigen Schriften zu ihrem Verder-
ben verdrehen. Der Eunuch und Oberschatzmeister von Äthiopien war
sehr gläubig, denn er war gekommen, um im Tempel von Jerusalem anzu-
beten. Er las Jesaja (Apg 8,27f). Er verstand wohl die Worte, da er fragte,
von wem der Prophet meinte, was er gelesen hat (8,34). Trotzdem hatte er
nicht die Einsicht und den Geist, wie er selbst bekannte: Wie könnte ich,
wenn mich niemand anleitet? (8,31). Ihm fehlt nicht nur das Verständnis,
sondern er bekennt, daß er es nicht haben kann, wenn er nicht belehrt

146
wird; und wir sehen eine Waschfrau sich rühmen, daß sie die Heilige
Schrift ebensogut verstehe wie der hl. Bernhard.
Erkennt ihr nicht den Geist der Spaltung? Man muß überzeugt sein,
daß die Heilige Schrift leicht verständlich ist, damit jeder sie zerzaust, der
eine da, der andere dort, und jeder sich zu ihrem Lehrer macht, und damit
sie jedem für seine Anschauungen und Einbildungen dient. David hielt
sie gewiß nicht für leicht verständlich, als er (Ps 109,73) sagte: Gib mir
Einsicht, damit ich deine Gebote kennenlerne. Wenn man euch den Brief
des hl. Hieronymus an Paulinus vor euren Bibeln gelassen hat, dann lest
ihn, denn er befaßt sich ganz ausdrücklich mit dieser Frage. Der hl. Augu-
stinus spricht an vielen Stellen davon, vor allem aber in seinen „Bekennt-
nissen“. Im Brief 119 bekennt er, in der Heiligen Schrift viel mehr nicht
zu kennen, als er wisse. Origenes in seinem Vorwort zum Hohelied und
der hl. Hieronymus im Vorwort zu Ezechiel berichten, daß es den Juden
nicht erlaubt war, vor dem 30. Lebensjahr die ersten drei Kapitel der
Genesis zu lesen, den Anfang und den Schluß von Ezechiel und das Ho-
helied, dies wegen ihrer großen Schwierigkeit, in der nur wenige schwim-
men können, ohne unterzugehen. Und heute spricht jeder darüber, jeder
urteilt darüber, jeder bildet sich dabei wunder was ein.
Wie groß nun die Profanierung von dieser Seite ist, kann niemand hin-
reichend ermessen, der sie nicht gesehen hat. Ich werde sagen, was ich
weiß, und ich lüge nicht. Ich habe eine Persönlichkeit in guter Gesell-
schaft getroffen, der man auf eine seiner Äußerungen den Satz Unseres
Herrn (Lk 6,29) vorgehalten hatte: Wer dich auf die eine Wange schlägt,
dem halte auch die andere hin. Er verstand ihn unverzüglich folgender-
maßen: Um ein Kind zu liebkosen, das gut lernt, gibt man ihm einen
leichten Klaps mit der Hand auf die Wange, um es zu größerem Eifer
anzuspornen. Ebenso habe Unser Herr sagen wollen: Wenn jemand fin-
det, daß du recht handelst, und dich darin ermutigt, dann handle so gut,
daß er ein andermal noch mehr Gelegenheit hat, dich noch mehr zu er-
mutigen, dich zu liebkosen oder auf beiden Seiten zu tätscheln. Ist das
nicht eine schöne und köstliche Deutung? Doch die Begründung war noch
schöner: Es anders verstehen, sei gegen die Natur. Man müsse die Heilige
Schrift durch die Heilige Schrift erklären; dort finde man, daß Unser
Herr nicht ebenso gehandelt habe, als der Knecht (des Hohepriesters)
ihn auf die Wange schlug. Das sind die Früchte einer laienhaften Theolo-
gie.

147
Ein ehrenhafter Mann, der nach meiner Meinung nicht lügen wollte,
erzählte mir, daß er einen Prädikanten in dieser Gegend über die Geburt
Unseres Herrn sprechen hörte. Er versicherte, er sei nicht in einer Krippe
geboren, und legte den Text, der dieser Behauptung ausdrücklich wider-
spricht, als Gleichnis aus; er sagte: Unser Herr sagt wohl, daß er der
Weinstock ist; er ist es aber doch nicht. Ebenso sei er, obwohl es heißt, er
sei in einer Krippe geboren, es dennoch nicht, sondern an einem würdi-
gen Ort, den man im Vergleich mit seiner Hoheit eine Krippe nennen
kann. Die Art dieser Auslegung läßt mich dem einfachen Mann noch
mehr glauben, der mir das sagte, der nicht lesen kann; er hat es schwerlich
erfunden. Es ist schon sehr befremdend zu sehen, wie diese angebliche
Befähigung zur Entwürdigung der Heiligen Schrift führt.
Hier sind die Sätze aus Kapitel 35 von Vinzenz von Lerin anzuführen:
„Du wirst sie nämlich sehen ...“17 Heißt das nicht tun, was Gott bei Eze-
chiel (34,18) sagt: Genügt es euch nicht, gute Weiden abzuweiden? Ihr
habt außerdem mit den Füßen zertrampelt, was von eurer Weide übrig
blieb.

11. Artikel: Antwort auf Einwände und Abschluß dieses 1. Kapitels.

Nun folgt, was ihr zu eurer Verteidigung anführt. Im 1. Korintherbrief


(14) wünscht der hl. Paulus scheinbar, daß der Gottesdienst in einer ver-
ständlichen Sprache gehalten wird. Ihr werdet sehen, daß er damit nicht
wünscht, man solle den Gottesdienst in verschiedenen Sprachen halten.
Er will nur, daß die Ermahnungen und Gesänge erklärt werden, die durch
die Sprachengabe geschehen, damit die Versammlung, in der man sich
befindet, wisse, was gesagt wird: So möge denn, wer in einer Sprache redet,
um die Auslegung bitten (14,13). Er will also, daß die Lobgesänge in Ko-
rinth in Griechisch erfolgten. Da sie nicht als gewöhnlicher Gottesdienst
geschahen, sondern als außergewöhnliche Gesänge derjenigen, die diese
Gabe besaßen, um das Volk zu erbauen, war es vernünftig, daß sie in
verständlicher Sprache erfolgten oder daß man sie auf der Stelle erklärte.
Darauf weist er anscheinend hin, wenn er später (14,23) sagt: Wenn sich
also die Gemeinde versammelt und alle reden in Sprachen, und es kom-
men Unerfahrene oder Ungläubige dazu, werden sie dann nicht sagen, daß
ihr von Sinnen seid? Und weiter unten (14,27f): Wenn jemand in Sprachen
redet, dann nur zwei oder höchstens drei und nacheinander, und einer soll
die Auslegung geben. Ist aber kein Ausleger da, so schweige er in der Ver-

148
sammlung; er spreche vielmehr für sich mit Gott. Wer sieht nicht, daß
Paulus nicht vom feierlichen Gottesdienst in der Kirche spricht, der nur
vom Pfarrer gehalten wurde, sondern von Gesängen, die durch die Spra-
chengabe erfolgten, von denen er wollte, daß sie verstanden wurden? Denn
wenn das nicht zutraf, befremdete es tatsächlich die Versammlung und
nützte nichts.
Von diesen Gesängen sprechen nun mehrere Väter, unter anderen Ter-
tullian. Er legt ausführlich die Heiligkeit der Agapen und Liebesmähler
der ersten Christen dar und sagt: „Wenn die Hände gewaschen und die
Lichter angezündet sind, wird jeder aufgefordert, vorzutreten und Gott
Lob zu singen, wie er es aus der Heiligen Schrift oder durch eigenes Ta-
lent vermag.“
Einwand: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz aber ... (Jes
39,13). – Das bezieht sich auf jene, die, in welcher Sprache auch immer,
singen und beten und nur zum Schein von Gott sprechen, ohne Ehrfurcht
und Frömmigkeit. Es bezieht sich nicht auf diejenigen, die in einer Spra-
che reden, die ihnen unbekannt, der Kirche aber bekannt, deren Herz
aber in Gott entrückt ist.
Einwand: In der Apostelgeschichte (2,11) pries man Gott in allen Spra-
chen. – Das muß man auch, aber in den allgemeinen katholischen Gottes-
diensten braucht man eine allgemeine und umfassende Sprache; abgese-
hen davon soll jede Zunge bekennen, daß der Herr Jesus zur Rechten Gott
Vaters sitzt (Phil 2,11).
Heißt es im Deuteronomium (30,11.14) nicht, daß die Gebote Gottes
nicht geheim und verborgen sind? Und sagt der Psalmist nicht: Das Ge-
bot des Herrn ist lichtvoll (Ps 19,9), und: Dein Wort ist meinen Füßen eine
Leuchte (Ps 119,105)? – Das alles ist richtig, aber es bezieht sich (auf das
Wort Gottes), das gepredigt, erklärt und recht verstanden wurde; denn
wie sollen sie glauben ohne Predigt (Röm 10,14)? Und nicht alles, was der
große Prophet David gesagt hat, darf auf jeden einzelnen angewendet wer-
den.
Man erwidert mir aber dauernd: Muß ich nicht die Nahrung für meine
Seele und mein Heil suchen? Armer Mensch, wer leugnet das? Wenn aber
jeder auf die Weide geht wie die alten Gänse, wozu stellt man dann Hirten
auf? Suche die Weideplätze, aber mit deinem Hirten. Würde man nicht
über einen Kranken spotten, der bei Hipokrates Heilung suchen wollte
ohne Hilfe des Arztes? Oder über einen, der sein Recht bei Justinus
suchen wollte, ohne sich an den Richter zu wenden? Suche deine Gesund-
heit, würde man ihm sagen, aber mit Hilfe der Ärzte; und du suche dein

149
Recht und sorge dafür, aber durch die Obrigkeit. „Welcher einigermaßen
Vernünftige wird nicht einsehen, daß er um die Auslegung der Heiligen
Schrift jene bitten muß, die ihre Lehrer sind?“ sagt der hl. Augustinus.
Was denn? Wenn niemand das Heil findet, als wer die Heilige Schrift
lesen kann, was wird dann aus so vielen armen Ungebildeten? Sie finden
und suchen ihr Heil gewiß hinreichend, wenn sie durch den Mund der
Seelsorger die Zusammenfassung dessen hören, was man glauben, hoffen
und lieben, tun und von Gott erbitten muß. Glaubt mir, daß dem Sinne
nach noch gilt, was der Weise (Spr 28,6) sagte: Besser ist ein Armer, der in
seiner Einfalt wandelt, als ein Reicher auf Abwegen; und anderswo: Die
Einfalt der Gerechten leitet sie (11,3); und: Wer einfältig wandelt, wandelt
zuverlässig (10,9). Damit will ich nicht sagen, man müßte sich nicht um
das Verständnis bemühen, sondern nur, daß man nicht meinen darf, man
finde von sich aus sein Heil und seine Weide, ohne Führung dessen, den
Gott zu diesem Zweck bestellt hat. Das entspricht dem Wort des Weisen:
Verlaß dich nicht auf deine Klugheit, und: Halte dich nicht selbst für weise
(Spr 3,5.7). Das befolgen jene nicht, die jedes Geheimnis durch eigene
Fähigkeit allein zu verstehen glauben, ohne die Ordnung einzuhalten, die
Gott aufgestellt hat. Darin hat er unter uns die einen zu Lehrern und Hirten
(Eph 4,11) bestellt, nicht alle und keinen für sich selbst. Gewiß fand der
hl. Augustinus, daß der hl. Antonius, ein ungebildeter Mann, dennoch
den Weg zum Paradies kannte, und er mit seiner Gelehrsamkeit damals
inmitten der Irrtümer der Manichäer weit davon entfernt war.
Ich habe aber einige Zeugnisse aus dem Altertum und einige bezeich-
nende Beispiele, die ich euch am Schluß dieses Kapitels weitergeben will.
Der hl. Augustinus: „Eure Liebe mußte daran erinnert werden, daß das
Bekenntnis nicht immer die Stimme des Sünders ist; denn sobald dieses
Wort im Mund des Lektors erklang, hörte man sogleich auch das Schla-
gen an eure Brust. Ihr hörtet nämlich, daß der Herr sagte: Confiteor tibi
Pater, und im selben Augenblick, als Confiteor erklang, habt ihr an eure
Brust geklopft. Was heißt aber an die Brust klopfen anderes, als anklagen,
was in der Brust verborgen ist, und durch den sichtbaren Schlag die ver-
borgene Sünde züchtigen? Warum habt ihr das getan? Doch deswegen,
weil ihr hörtet: Confiteor tibi Pater. Ihr habt Confiteor gehört und habt
nicht darauf geachtet, wer bekannte; achtet darauf.“ Seht ihr, wie das Volk
die öffentliche Verkündigung des Evangeliums hörte und nichts verstand
als die Worte Confiteor tibi Pater? Die war es zu hören gewohnt, weil man
sie am Beginn der Messe sprach, wie wir es jetzt tun. Ohne Zweifel erfolg-
te die Lesung in Latein, aber das war nicht ihre Umgangssprache.

150
Wer aber sehen will, wie die Katholiken die Heilige Schrift schätzen
und welche Ehrfurcht sie vor ihr haben, der bewundere den großen Kar-
dinal Borromäus. Er studierte die Heilige Schrift stets nur kniend, denn
er glaubte, in ihr Gott sprechen zu hören, und für eine so göttliche Audi-
enz sei diese Ehrerbietung angemessen. Nie wurde, entsprechend der Un-
gunst der Zeit, das Volk besser belehrt als das Volk von Mailand unter
Kardinal Borromäus. Doch die Unterweisung des Volkes geschieht nicht,
indem man Lärm um die heiligen Bücher macht und die göttlichen Schrif-
ten herunterleiert, noch indem man überall Psalmen in Gestalt von Phan-
tasien singt; sie geschieht vielmehr, indem man sie handhabt, liest und
hört, singt und betet im lebendigen Bewußtsein der Majestät Gottes, zu
der man spricht, deren Wort man liest oder hört, stets mit der Präfation
der frühen Kirche: „Sursum corda“.
Der große Freund Gottes, der hl. Franziskus, zu dessen ruhmvollem
und heiligem Gedenken man gestern in der ganzen Welt sein Fest feierte,
gibt uns ein schönes Beispiel der Aufmerksamkeit und Ehrfurcht, mit der
man zu Gott beten muß. Seht, was der heilige und glühende Kirchenleh-
rer Bonaventura darüber berichtet: „Der heilige Mann pflegte die heili-
gen Tagzeiten ebenso ehrfürchtig wie fromm zu verrichten. Obwohl er an
Augen, Magen, Milz und Leber litt, wollte er sich nicht an die Mauer oder
Wand lehnen, während er psalmodierte, sondern verrichtete die Tagzei-
ten stets aufrecht und ohne Kapuze, ohne die Augen schweifen zu lassen
oder irgendetwas auszulassen. Wenn er auf Reisen war, hielt er dann inne
und unterließ diese heilige Übung nicht wegen des Regens. Er sagte: Wenn
der Leib, der die Speise der Würmer sein wird, seine Nahrung in Ruhe zu
sich nimmt, in welchem Frieden und mit welcher Ruhe muß die Seele die
Lebensspeise empfangen!“

151
Kapitel II

Die sogenannte Kirche hat gegen die


apostolischen Überlieferungen
verstoßen, die zweite Regel des
christlichen Glaubens.

1. Artikel: Was wir unter apostolischer Überlieferung verstehen.

Das sind die Worte des heiligen Konzils von Trient (Sess. IV), wo es von
der christlichen evangelischen Wahrheit und Lehre spricht: Die heilige
Synode „erkennt, daß diese Wahrheit und Lehre enthalten ist in geschrie-
benen Büchern und in ungeschriebenen Überlieferungen, die die Apostel
aus dem Mund Christi empfangen haben oder die, auf Eingebung des
Heiligen Geistes von den Aposteln gleichsam von Hand zu Hand weiter-
gegeben, bis auf uns gekommen sind. Nach dem Vorbild der rechtgläubi-
gen Väter nimmt sie mit gleicher Frömmigkeit und Ehrfurcht an und
verehrt sowohl die Bücher des Alten und Neuen Testaments, da Gott der
eine Urheber beider ist, als auch die Überlieferungen selbst, die sich auf
Glauben und Sitten beziehen, als wörtlich von Christus oder vom Heili-
gen Geist diktiert und in fortwährender Nachfolge in der katholischen
Kirche bewahrt.“ Das ist wahrhaftig ein Dekret, würdig einer Versamm-
lung, die sagen konnte: „Es hat dem Heiligen Geist und uns gefallen.“
Darin gibt es ja fast kein Wort, das nicht einen Schlag gegen die Gegner
führte und ihnen alle Waffen aus der Faust schlägt.
Es wird ihnen künftig nichts mehr nützen zu rufen: Vergeblich dienen sie
mir, indem sie Menschensatzungen verkünden (Jes 29,13; Mk 7,7). Ihr
habt das Gesetz Gottes eurer Überlieferung zuliebe außer Kraft gesetzt (Mt
15,6). Laß dich nicht auf jüdische Fabeleien ein (Tit 1,14; 1 Tim 1,4). Ich
war ein Eiferer für die Überlieferungen meiner Väter (Gal 1,14). Nehmt
euch in acht, damit euch keiner verführe durch Philosophie und leere Täu-
schung, die auf der Überlieferung der Menschen beruht (Kol 2,8). Ihr seid
erlöst von eurem törichten Wandel nach der väterlichen Überlieferung (1
Petr 1,18). Das alles verfängt nicht, denn das Konzil erklärt ausdrücklich,

152
daß die Überlieferungen, die es annimmt, keine „menschlichen Überlie-
ferungen und Lehren“ sind, sondern „von den Aposteln aus dem Mund
Christi empfangen oder von den Aposteln selbst auf Eingebung des Hei-
ligen Geistes gleichsam von Hand zu Hand weitergegeben und bis auf uns
gekommen“. Sie sind also Wort Gottes, Lehre des Heiligen Geistes, nicht
von Menschen. Hier seht ihr fast alle eure Prädikanten haften bleiben und
lange Reden halten, um zu zeigen, daß man die menschlichen Überliefe-
rungen nicht mit der Heiligen Schrift gleichsetzen dürfe. Aber wozu an-
ders dient das, als dazu, die bedauernswerten Zuhörer zu betören? Das
haben wir ja nie behauptet.
In einem ähnlichen Fall halten sie uns vor, daß der hl. Paulus seinem
guten Timotheus (2 Tim 3,16f) sagte: Jede von Gott inspirierte Schrift ist
nützlich zur Belehrung, zur Zurechtweisung, zur Besserung und zur Erzie-
hung in Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes untadelig sei, bereit zu
jedem guten Werk. Wem wollen sie das sagen? Das ist eine Streitfrage der
Deutschen. Wer leugnet, daß die Heilige Schrift äußerst nützlich ist, wenn
nicht die Hugenotten, die aus ihr einige der schönsten Teile als unnütz
entfernen? Sie sind gewiß sehr nützlich; es ist eine große Gnade, daß Gott
sie uns bewahren ließ inmitten so vieler Verfolgungen. Aber die Nütz-
lichkeit der Heiligen Schrift macht die heiligen Überlieferungen ebenso-
wenig unnütz, wie der Gebrauch eines Auges, eines Ohres, einer Hand
die andere unnütz macht. Dazu sagt das Konzil: „Es nimmt mit gleicher
Frömmigkeit und Ehrfurcht an und verehrt alle Bücher des Alten und
Neuen Testaments und die Überlieferungen selbst.“ Eine schöne Art der
Beweisführung: Die Heilige Schrift ist nützlich, also nützen die Werke
nichts.
Ebenso: Jesus hat noch viele andere Zeichen gewirkt, die in diesem Buch
nicht aufgezeichnet sind. Diese sind aber aufgezeichnet, damit ihr glaubt,
daß Jesus der Sohn Gottes ist, und durch den Glauben das Leben habt in
seinem Namen (Joh 20,30f): also ist nichts anderes zu glauben als das.
Eine schöne Folgerung! Wir wissen sehr wohl, daß alles, was geschrieben
steht, zu unserer Belehrung geschrieben wurde (Röm 15,4); aber schließt
das aus, daß die Apostel predigen? Das wurde aufgezeichnet, damit ihr
glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist; aber das genügt nicht, denn wie
sollen sie glauben, wenn niemand predigt? (Röm 10,14). Die Heilige Schrift
wurde zu unserem Heil gegeben, aber nicht nur die Heilige Schrift; auch
die Überlieferungen haben dabei ihren Platz. Die Vögel haben den rech-
ten Flügel zum Fliegen; ist also der linke zu nichts nütze? Doch der eine
hilft nichts ohne den anderen. Ich übergehe die Antworten im einzelnen,

153
denn der hl. Johannes spricht nur von den Wundern, die er aufgeschrie-
ben hat, die er für ausreichend hielt, um die Gottheit des Sohnes Gottes
zu beweisen.
Sie sagen: Ihr sollt dem Wort, das ich euch vorschreibe, nichts hinzufü-
gen, noch etwas wegnehmen (Dtn 4,2). Doch wenn wir selbst oder ein
Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkünden sollte, als wir
euch verkündet haben, der sei verflucht (Gal 1,8). Wenn sie diese Stelle
anführen, sagen sie nichts gegen das Konzil, das ausdrücklich sagt, daß
die Lehre des Evangeliums nicht nur aus der Heiligen Schrift besteht,
sondern auch in der Überlieferung. Die Heilige Schrift ist das Evangeli-
um, aber nicht das ganze Evangelium, denn die Überlieferung ist der
andere Teil. Wer also etwas darüber hinaus lehrt, was die Apostel gelehrt
haben, der sei verflucht. Die Apostel haben aber gelehrt durch Schrift und
Überlieferung, und beides ist das Evangelium. Wenn ihr näher betrach-
tet, wie das Konzil die Überlieferungen der Heiligen Schrift gleichachtet,
werdet ihr erkennen, daß es keine Überlieferung im Gegensatz zur Heili-
gen Schrift annimmt; es nimmt ja die Überlieferung und die Heilige
Schrift mit gleicher Ehrerbietung an, weil die eine wie die andere ein
lieblicher und reiner Strom ist, der aus dem gleichen Mund Unseres Herrn
hervorgegangen ist als der einen lebendigen Quelle der Weisheit. Daher
können sie keine Gegensätze sein, sondern sind von gleichem Geschmack
und gleicher Güte, und sie vereinigen sich miteinander, um den Baum
der Christenheit freigebig zu begießen, der Frucht tragen wird zu seiner
Zeit (Ps 1,3).
Wir nennen also apostolische Überlieferung die Lehre, sei es des Glau-
bens oder der Sitten, die Unser Herr entweder mit seinem eigenen Mund
oder durch den Mund der Apostel verkündet hat. Sie wurde nicht in kano-
nischen Schriften aufgezeichnet, vom Anfang bis in unsere Zeit bewahrt
und durch die ununterbrochene Nachfolge der Kirche gleichsam von Hand
zu Hand weitergegeben. Mit einem Wort, sie ist das lebendige Wort Got-
tes, nicht auf Papier (2 Joh 12) geschrieben, sondern nur in das Herz der
Kirche (2 Kor 3,2f). Und da gibt es nicht nur eine Überlieferung von
Zeremonien und einer bestimmten äußeren Ordnung nach Belieben und
Nützlichkeit, sondern die Überlieferung einer Lehre, die den Glauben
selbst und die Sitten betrifft, wie das Konzil sagt. Trotzdem gibt es bei den
Überlieferungen der Sitten solche, die uns sehr streng verpflichten, und
andere, die nur als Rat und Schicklichkeit vorgelegt werden. Wenn diese
nicht befolgt werden, machen sie uns nicht schuldig, vorausgesetzt, daß
sie anerkannt, als heilig betrachtet und nicht verachtet werden.

154
2. Artikel: Daß es apostolische Überlieferungen in der Kirche gibt.

Wir bekennen, daß die Heilige Schrift höchst vortrefflich und sehr nütz-
lich ist; sie ist aufgezeichnet, damit wir glauben. Nichts kann ihr wider-
sprechen als die Unwahrheit und Gottlosigkeit. Um diese Tatsache fest-
zustellen, braucht man aber die andere nicht zu verwerfen, daß nämlich
die Überlieferungen sehr nützlich sind. Sie sind gegeben, damit wir glau-
ben. Nichts kann ihnen widersprechen als die Gottlosigkeit und die Un-
wahrheit. Denn um eine Wahrheit festzustellen, darf man niemals eine
andere zerstören. Die Heilige Schrift ist nützlich, um zu belehren. Lernt
also aus der Heiligen Schrift selbst, daß man die heiligen Überlieferun-
gen mit Ehrfurcht und Glauben annehmen muß. Wenn man dem, was
Unser Herr geboten hat, nichts hinzufügen darf, wo steht, daß er geboten
hätte, man müsse die apostolischen Überlieferungen verwerfen? Warum
fügt ihr das seinen Worten hinzu? Wo steht, daß Unser Herr das jemals
gelehrt hätte? Er kann die Verachtung der apostolischen Überlieferun-
gen so wenig jemals geboten haben, als er niemals eine Überlieferung des
geringsten Propheten verachtete. Durchforscht das ganze Evangelium,
und ihr werdet darin nur die menschlichen Überlieferungen verurteilt
finden, die der Heiligen Schrift widersprechen. Seht die „Novelle“ 146.18
Wenn weder Unser Herr noch seine Apostel das geschrieben haben, wa-
rum verkündet ihr uns diese Dinge? Umgekehrt ist es untersagt, aus der
Heiligen Schrift etwas wegzunehmen; warum wollt ihr die Überlieferun-
gen entfernen, die dort so ausdrücklich bestätigt sind?
Ist es nicht die Heilige Schrift des hl. Paulus, die (2 Thess 2,14) sagt:
Meine Brüder, so haltet denn fest an den Überlieferungen, die ihr empfan-
gen habt, sei es mündlich oder durch einen Brief? „Daraus geht hervor“,
sagt der hl. Hieronymus in seiner Erklärung dieser Stelle, „daß die Apo-
stel nicht alles durch Briefe überlieferten, sondern vieles auch mündlich.
Daher verdient das eine denselben Glauben wie das andere.“ Das bestä-
tigt der hl. Johannes selbst: Ich hätte euch noch vieles zu schreiben, wollte
es aber nicht mit Papier und Tinte tun. Ich hoffe ja, zu euch zu kommen
und von Mund zu Mund zu sprechen (2 Joh 12). Das waren Dinge, die
aufgeschrieben zu werden verdienten; er hat es dennoch nicht getan, son-
dern sie gesagt, und statt zur Schrift hat er sie zur Überlieferung gemacht.
Halte an den gesunden Lehren fest, die du von mir empfangen hast ...
Bewahre das gute, anvertraute Erbe, schrieb der hl. Paulus (2 Tim 1,13f)
an seinen Timotheus. Bedeutet das nicht, daß er ihm das ungeschriebene

155
apostolische Wort empfahl? Und das nennt man Überlieferung. Und spä-
ter (2,2): Was du von mir durch viele Zeugen gehört hast, das vertraue
zuverlässigen Männern an, die fähig sind, es wieder anderen zu lehren. Gibt
es einen klareren Beweis für die Überlieferung? Der Vorgang ist der: Der
Apostel spricht, die Zeugen berichten es, der hl. Timotheus soll es ande-
ren lehren und diese wieder anderen. Ist das nicht eine heilige Überliefe-
rung und eine geistliche Treuhandschaft?
Lobt nicht der gleiche Apostel (1 Kor 11,2) die Korinther, daß sie die
Überlieferungen bewahren? Daß ihr in allem meiner gedenkt und an den
Vorschriften festhaltet, die ich euch gegeben habe, schreibt er. Wenn das
im zweiten Brief an die Korinther stünde, könnte man sagen, er meine
mit diesen Vorschriften die im ersten, obwohl dieser Sinn an den Haaren
herbeigezogen wäre (doch wer nicht gehen will, dem ist jeder Schatten
willkommen); es steht aber im ersten Brief. Er spricht nicht von einem
Evangelium, denn dann hätte er nicht meine Vorschriften gesagt. Was war
das also anderes als eine ungeschriebene apostolische Lehre? Das nennen
wir Überlieferung. Und wenn er ihnen gegen Schluß (11,54) sagt: Das
übrige werde ich anordnen, wenn ich komme, können wir annehmen, daß
er sie verschiedene sehr wichtige Dinge gelehrt hat; und doch haben wir
darüber anderswo keine Aufzeichnung. Ist es daher für die Kirche verlo-
ren? Gewiß nicht, sondern es ist durch die Überlieferung auf sie gekom-
men, sonst hätte sie der Apostel nicht der Nachwelt anvertraut und sie
aufgeschrieben.
Unser Herr sagte (Joh 16,12): Ich habe euch vieles zu sagen, was ihr
noch nicht ertragen könnt. Ich frage euch: Wann sagte er ihnen diese
Dinge, die er ihnen zu sagen hatte? Tatsächlich geschah es entweder in
den vierzig Tagen nach seiner Auferstehung, da er bei ihnen war, oder
durch die Ankunft des Heiligen Geistes. Doch was wissen wir, was er mit
dem Wort meinte: Ich habe euch vieles zu sagen, und ob alles aufgeschrie-
ben ist? Es heißt wohl (Apg 1,3), daß er vierzig Tage mit ihnen beisammen
war und sie über das Himmelreich belehrte, aber wir haben (keinen schrift-
lichen Bericht) über alle seine Erscheinungen, noch darüber, was er sie
dabei lehrte.

156
Kapitel III

Daß die Prädikanten gegen die Autori-


tät der Kirche verstoßen haben, die
dritte Regel unseres Glaubens.
1. Artikel: Daß wir außer dem Wort Gottes noch eine andere Regel
brauchen.

Als Abschalom einst die Leute gegen seinen Vater aufwiegeln wollte,
setzte er sich nahe am Tor an den Weg und sagte zu den Vorübergehen-
den: Vom König ist niemand aufgestellt, um euch anzuhören. Wer würde
mich zum Richter über das Land bestellen, damit jeder zu mir komme, der
einen Streitfall hat, und ich gerecht entscheide? (2 Sam 15,2ff). So verführ-
te er das Herz der Israeliten. Doch wie viele Abschalom finden sich in
unserer Zeit! Um die Leute zu verführen und vom Gehorsam gegen die
Kirche abzubringen und um die Christen zum Aufruhr zu verleiten, schrien
sie auf den Straßen Deutschlands und Frankreichs: Vom Herrn ist nie-
mand aufgestellt, um die Streitfragen über den Glauben und die Religion
anzuhören und zu entscheiden; die Kirche hat dazu keine Vollmacht.
Wenn ihr Christen genauer hinschaut, wer diese Sprache führt, dann wer-
det ihr sehen, daß er selbst Richter sein möchte, auch wenn er das, schlau-
er als Abschalom, nicht so offen sagt.
Ich habe eines der neuesten Bücher von Theodore de Bèze gesehen mit
dem Titel „Die echten, wesentlichen und sichtbaren Kennzeichen der
wahren katholischen Kirche“.19 Mir scheint, damit zielt er darauf ab, sich
mit seinen Helfern zum Richter über alle Streitfragen aufzuwerfen, in
denen wir stecken. Er sagt, das Ergebnis seiner ganzen Abhandlung sei,
„daß der wahre Christus das einzige, echte und beständige Kennzeichen
der katholischen Kirche ist“, wobei er den wahren Christus so versteht,
sagt er, „wie er sich selbst von Anfang an geoffenbart hat, sowohl in pro-
phetischen wie apostolischen Schriften, in dem, was unser Heil betrifft.“
Weiter unten sagt er: „Das ist es, was ich zu sagen hatte über das echte,
einzige und wesentliche Kennzeichen der wahren Kirche; es ist das gut
und gebührend verwaltete geschriebene prophetische und apostolische
Wort.“ Und weiter oben hatte er zugegeben, daß er große Schwierigkeiten

157
mit den heiligen Schriften hatte, aber nicht mit den Teilen, die unseren
Glauben berühren. An den Rand setzt er die Anmerkung, die gewisser-
maßen für den ganzen Text gilt: „Die Auslegung der Heiligen Schrift darf
sich auf nichts anderes stützen als auf die Heilige Schrift selbst, indem
man die Stellen miteinander vergleicht und sie auf die Analogie des Glau-
bens bezieht.“
Im Brief an den König von Frankreich heißt es: „Wir fordern, daß man
sich an die kanonischen heiligen Schriften hält. Wenn es einen Zweifel
über ihre Auslegung gibt, sollen die Übereinstimmung und die Bezie-
hung entscheiden, die zwischen den Stellen der Heiligen Schrift und den
Glaubensartikeln bestehen müssen.“ Er anerkennt „die Väter genau mit
der Autorität, als sie in der Heiligen Schrift eine Grundlage finden“, und
fährt fort: „Was die Lehre betrifft, können wir uns an keinen unumstritte-
nen Schiedsrichter wenden als an den Herrn selbst, der seine Absicht
bezüglich unseres Heiles durch die Apostel und die Propheten kundge-
macht hat.“ Er sagt noch, sie seien „jene, die kein einziges Konzil, das
diesen Namen verdient, ob ein allgemeines oder Provinzialkonzil, ob in
früher oder neuerer Zeit, nicht anerkannten oder nicht anerkennen woll-
ten, vorausgesetzt“, sagt er (beachtet das), „daß der Prüfstein, d. h. das
Wort Gottes, es bestätigt.“
Mit einem Wort, soviele Reformatoren es gibt, wollen alle, daß man die
Heilige Schrift zum Schiedsrichter macht. Doch darauf antworten wir:
Amen. Wir sagen aber, daß unser Streitfall nicht hier liegt. Es geht darum,
daß wir bei Meinungsverschiedenheiten in der Auslegung, die sich dabei
in zwei von zwei Worten finden, einen Schiedsrichter brauchen. Sie ant-
worten, man müsse nach den Auslegungen der Heiligen Schrift urteilen,
indem man eine Stelle mit der anderen vergleicht und alles mit dem Glau-
bensbekenntnis. Amen, amen, sagen wir; aber wir fragen nicht, wie man
die Heilige Schrift auslegen muß, sondern wer Schiedsrichter sein soll.
Denn nachdem wir eine Stelle mit der anderen und alles mit dem Glau-
bensbekenntnis verglichen haben, finden wir (Mt 16,18f) die Stelle: Du
bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen; und die
Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Dir will ich die Schlüssel
des Himmelreiches geben.
Wir finden, daß dadurch der hl. Petrus der oberste Leiter und Verwalter
der Kirche Gottes geworden ist. Ihr beruft euch eurerseits auf die Stelle
(Lk 22,25f): Die Könige der Heidenvölker herrschen über sie; bei euch
aber soll es nicht so sein; oder auf die andere (sie sind ja alle so wenig
beweiskräftig, daß ich nicht weiß, welche für euch grundlegend sein kann):

158
Niemand kann einen anderen Grund legen ... (1 Kor 3,11). Ihr sagt, der
Vergleich mit den anderen Stellen und mit dem Glaubensbekenntnis ver-
anlasse euch, einen obersten Leiter abzulehnen. Wir schlagen beide den
gleichen Weg ein in der Suche nach der Wahrheit in dieser Frage, d. h. ob
es in der Kirche einen Statthalter Unseres Herrn gibt; trotzdem bin ich zu
einem Ja gekommen und ihr beharrt auf dem Nein. Wer kann noch über
unseren Streit entscheiden? Gewiß, wer sich an Théodore de Bèze wen-
det, dem wird er sagen, daß ihr besser argumentiert als ich. Aber worauf
stützt er sich bei diesem Urteil, wenn nicht darauf, daß es ihm so scheint,
entsprechend dem Vorurteil, das er schon vor so langer Zeit gefaßt hat?
Und er möge sagen, was er will, denn wer hat ihn zum Schiedsrichter
zwischen euch und mir bestellt?
Hier liegt der Kern unserer Frage, ihr Christen. Erkennt doch den Geist
der Spaltung. Man verweist euch an die Heilige Schrift; da sind wir, bevor
ihr auf der Welt wart, und hier finden wir klar und deutlich, was wir
glauben. Man muß sie aber recht verstehen, indem man eine Stelle mit
der anderen vergleicht und alles mit dem Glaubensbekenntnis (sagen
sie); auf diesem Weg sind wir seit 1500 und mehr Jahren. Hier irrt ihr,
sagt Luther. Wer hat dir das gesagt? Die Heilige Schrift. Welche Heilige
Schrift? Die und die, auf diese Weise verglichen und dem Glaubensbe-
kenntnis gegenübergestellt. Im Gegenteil, sage ich, du bist es, Luther, der
sich täuscht. Das sagt mir die Heilige Schrift an der und der Stelle, genau
mit dem und jenem Teil der Heiligen Schrift verglichen und dem Glau-
bensbekenntnis gegenübergestellt. Ich habe keinen Zweifel, daß man den
Glauben dem heiligen Wort angleichen muß; wer wüßte nicht, daß es den
höchsten Grad an Sicherheit besitzt? Was mir Schwierigkeiten macht, ist
das Verständnis dieser Heiligen Schrift, das sind die Folgerungen und
Schlüsse, die man damit verbindet. Sie sind verschieden, zahllos und sehr
oft gegensätzlich in der gleichen Frage, wo jeder Partei ergreift, der eine
so, der andere anders. Wer zeigt mir die Wahrheit inmitten so vieler Eitel-
keiten? Wer zeigt mir die Heilige Schrift in ihrer natürlichen Farbe? Denn
der Hals dieser Taube wechselt so oft das Aussehen, als seine Betrachter
die Stellung und Entfernung ändern.
Die Heilige Schrift ist ein sehr heiliger und unfehlbarer Prüfstein. Je-
den Satz, der diese Probe besteht, halte ich für echt und zuverlässig. Doch
was geschieht, wenn ich den Satz nehme: Der natürliche Leib Unseres
Herrn ist wirklich, wesentlich und tatsächlich im Sakrament des Altares?
Ich bringe ihn nach allen Richtungen und von allen Seiten mit dem aus-
drücklichen und reinen Wort Gottes und mit dem apostolischen Glau-

159
bensbekenntnis in Verbindung. Es gibt keine Stelle, an der ich nicht hun-
dertmal schabe, wenn ihr wollt; und je genauer ich schaue, ich erkenne
ihn als ganz feines Gold und reinstes Metall. Ihr sagt, wenn ihr dasselbe
getan habt, findet ihr darin Falsches. Was wollt ihr, daß ich tun soll? So
viele Lehrer haben den Satz vor mir behandelt, und alle haben ebenso
geurteilt wie ich, und mit so großer Sicherheit, daß sie auf allgemeinen
Fachversammlungen ausgeschlossen haben, was immer dem widerspre-
chen wollte. Mein Gott, wer wird uns vom Zweifel befreien? Man darf
nicht mehr sagen, der Prüfstein, sonst könnte man sagen: Die Gottlosen
gehen im Kreis (Ps 12,9). Es muß irgendeinen geben, der ihn behandelt
und selbst die Prüfung des Stückes vornimmt und dann das Urteil fällt,
daß wir es annehmen, der eine wie der andere, und nicht länger streiten.
Sonst wird jeder glauben, was ihm gefällt. Gebt acht, mit solchen Gauke-
leien unterwerfen wir die Heilige Schrift unseren Einbildungen, wir rich-
ten uns nicht nach ihr. Wenn das Salz schal geworden ist, womit soll man es
salzen? (Mt 5,13). Wenn die Heilige Schrift der Gegenstand unserer Mei-
nungsverschiedenheiten ist, wer kann sie dann beilegen?
Ach, wer immer behauptet, Unser Herr hätte uns in seiner Kirche ein-
geschifft und dem Wind und Wetter preisgegeben, ohne uns einen erfah-
renen Steuermann zu geben, der sich vollkommen auf die Kunst der See-
fahrt nach Karte und Kompaß versteht, der behauptet, daß er uns zugrun-
degehen lassen wollte. Wenn er den vorzüglichsten Kompaß und die ge-
naueste Karte der Welt gemacht hätte, wozu nützte das, wenn niemand
sich darauf verstünde, damit irgendeine unfehlbare Regel zu gewinnen,
um das Schiff zu steuern? Was nützte es, wenn es ein sehr gutes Ruder in
ihm gäbe, wenn kein Steuermann da ist, der es nach Maßgabe der Karte
handhaben kann? Wenn jeder es den Kurs steuern darf, der ihm gutdünkt,
wer sieht da nicht, daß wir verloren sind? Nicht die Heilige Schrift bedarf
einer Regel und eines fremden Lichtes, wie Beza denkt, daß wir glauben.
Das brauchen unsere Glossen, unsere Folgerungen, unser Verständnis,
unsere Auslegungen, Vermutungen, Zusätze und ähnliche Erzeugnisse
des menschlichen Geistes, der nicht untätig sein kann und sich stets um
neue Erfindungen bemüht.
Ebenso wollen wir keinen Schiedsrichter zwischen Gott und uns, wie
Beza anscheinend in seinem Brief folgern möchte; vielmehr zwischen
einem Menschen wie Calvin, Beza, Luther, und einem anderen Menschen
wie Echius, Fischer, Morus. Wir fragen ja nicht, ob Gott die Heilige Schrift
besser versteht als wir, sondern ob sie Calvin besser versteht als der hl.

160
Augustinus oder der hl. Cyprian. Der hl. Hilarius sagt sehr treffend: „Die
Irrlehre kommt vom Verständnis, nicht von der Heiligen Schrift; nicht
das Wort, sondern der Sinn wird schuldig.“ Und der hl. Augustinus: „Die
Irrlehren sind nicht anders entstanden, als wenn die gute Heilige Schrift
nicht gut verstanden und wenn das in ihr Mißverstandene leichthin und
kühn behauptet wurde.“ Das ist in der Tat der Streich Michals (1 Sam
19,13), ein geschnitztes Bild ins Bett zu legen und mit den Kleidern Da-
vids zu bedecken. Wer es anschaut, glaubt David gesehen zu haben; aber
er täuscht sich, David ist nicht da. Die Irrlehre bedeckt im Bett ihres
Geistes die eigene Meinung mit den Kleidern der Heiligen Schrift. Wer
diese Lehre sieht, meint das heilige Wort Gottes zu vernehmen, aber er
täuscht sich, sie ist es nicht; die Worte sind da, aber nicht der Sinn. „Die
Heilige Schrift besteht nicht in dem, was man liest, sondern was man
versteht“, sagt der hl. Hieronymus. Das Gesetz kennen, heißt nicht, die
Worte kennen, sondern den Sinn.
Damit glaube ich schlüssig bewiesen zu haben, daß wir außer der Regel
der Heiligen Schrift noch eine andere Regel für unseren Glauben brau-
chen. „Wenn die Welt noch länger stehen soll (sagte Luther eines Tages),
wird es wegen der verschiedenen Auslegungen der Heiligen Schrift, die es
jetzt gibt, wieder notwendig sein, daß wir zur Wahrung der Einheit des
Glaubens die Dekrete der Konzile annehmen und bei ihnen Zuflucht
suchen.“ Er gibt zu, daß man sie früher angenommen hat, und gibt zu, daß
man es künftig wieder tun muß.
Ich bin sehr ausführlich geworden. Aber wenn man das einmal gut ver-
standen hat, ist es keine geringe Hilfe, um zu einem ganz heiligen Ent-
schluß zu kommen.
Dasselbe sage ich von den Überlieferungen. Denn wenn jeder Überlie-
ferungen vorbringen will und wir keinen Richter auf Erden haben, der in
letzter Instanz entscheidet, welche anzunehmen sind und welche nicht,
ich bitte euch, wohin kommen wir dann? Das Beispiel ist klar: Calvin hält
die Geheime Offenbarung für annehmbar, Luther lehnt sie ab; dasselbe
gilt vom Brief des hl. Jakobus. Wer soll diese Ansichten der Reformato-
ren reformieren? Entweder die eine oder die andere ist schlecht gebildet;
wer soll Hand an sie legen? Seht, das ist ein weiterer Grund, daß wir außer
dem Wort Gottes eine dritte Regel brauchen.
Es besteht dennoch ein sehr großer Unterschied zwischen den beiden
ersten Regeln und dieser. Denn die erste Regel, das Wort Gottes, ist eine
in sich selbst unfehlbare Regel und völlig hinreichend, um alle Auffas-
sungen der Welt zu bestimmen. Die zweite ist nicht eigentlich eine Regel

161
in sich selbst, sondern nur, insofern sie die erste anwendet und uns die im
heiligen Wort enthaltene Richtschnur vorlegt. So sagt man, daß die Ge-
setze eine Regel für die bürgerlichen Rechtsfälle sind. Der Richter ist es
nicht aus sich selbst, denn sein Urteil ist an die Bestimmungen des Geset-
zes gebunden. Trotzdem ist er und kann er sehr wohl Regel genannt wer-
den: Die Anwendung der Gesetze ist ja dem Wandel unterworfen; doch
wenn er sie getroffen hat, muß man sich daran halten. Das heilige Wort ist
also das erste Gesetz unseres Glaubens; bleibt die Anwendung dieser
Regel. Da sie so viele Formen annehmen kann, als es Köpfe in der Welt
gibt, ungeachtet aller Analogien des Glaubens, muß man noch eine zwei-
te Regel als Richtlinie für die Anwendung haben: Man braucht die Lehre
und einen, der sie vorlegt. Die Lehre ist im heiligen Wort enthalten, doch
wer soll sie darlegen?
Seht, wie man einen Glaubensartikel ableitet: Das Wort Gottes ist un-
fehlbar; das Wort Gottes lehrt, daß die Taufe zum Heil notwendig ist (Mk
16,16); also ist die Taufe zum Heil notwendig. Der erste Satz ist unwider-
legbar; beim zweiten haben wir Schwierigkeiten mit Calvin; wer wird uns
in Einklang bringen? Wer wird den Zweifel klären? Wenn jeder die Auto-
rität besitzt, den Sinn des heiligen Wortes zu bestimmen, nimmt die
Schwierigkeit kein Ende. Wenn jener, der die Autorität zur Auslegung
hat, bei seiner Auslegung irren kann, geht alles von vorne an. Es muß also
eine unfehlbare Autorität geben, deren Auslegung wir anzunehmen ver-
pflichtet sind. Das Wort Gottes kann nicht irren; der es auslegt, kann
nicht irren; also wird alles ganz sicher sein.

2. Artikel: Die Kirche ist eine unfehlbare Regel unseres Glaubens.

Nun ist es nicht vernünftig, daß jeder einzelne sich dieses unfehlbare
Urteil zur Erklärung und Auslegung des heiligen Wortes anmaßt. Wohin
kämen wir dann? Wer möchte das Joch des Urteils eines einzelnen ertra-
gen? Warum eher das des einen als des anderen? Er mag von der Analogie
sprechen, soviel er will, von Enthusiasmus, vom Herrn, vom Heiligen
Geist; das alles vermag meinen Verstand nicht so zu beeindrucken, daß
ich, wenn man sich auf gut Glück einschiffen muß, mich nicht lieber auf
das Schiff meines Urteils begebe als auf das eines anderen, mag er auch
Griechisch sprechen, Hebräisch, Tatarisch, Maurisch und alles, was ihr
wollt. Wenn man schon Gefahr laufen muß, zu irren, wer wird es nicht
lieber nach seiner Phantasie tun, als sich der Calvins oder Luthers zu

162
unterwerfen? Jeder wird seinem Geist die Freiheit lassen, durch die ver-
schiedensten Auffassungen sich freizügig dahin und dorthin zu wenden.
Vielleicht begegnet er tatsächlich ebenso bald wie ein anderer der Wahr-
heit.
Es ist aber frevelhaft zu glauben, Unser Herr hätte uns nicht einen
unfehlbaren Richter auf Erden gegeben, an den wir uns in unseren Schwie-
rigkeiten wenden können, der in seinen Urteilen so unfehlbar ist, daß wir
nicht irren können, wenn wir seinen Entscheidungen folgen. Ich behaup-
te, daß dieser Richter niemand anders ist als die katholische Kirche. Sie
kann in keiner Weise irren in den Auslegungen und in den Folgerungen,
die sie aus der Heiligen Schrift zieht, noch in den Entscheidungen, die sie
in den Schwierigkeiten trifft, die sich dabei ergeben. Denn wer hat jemals
gehört ...20

Kapitel IV

Daß die Prädikanten gegen die Autori-


tät der KKonzile
onzile verstoßen haben,
die vier te Regel unseres Glaubens.
vierte
1. Artikel: Zunächst von den Eigenschaften eines echten Konzils.

Man könnte ein echtes und heiliges Konzil nicht besser planen als nach
dem Vorbild desjenigen, das die Apostel in Jerusalem gehalten haben.
Sehen wir also 1. wer es einberufen hat, und wir werden sehen, daß es
durch die Autorität der Hirten selbst versammelt wurde: Die Apostel und
Ältesten kamen zusammen, um über diese Sache zu beraten (Apg 15,6).
In der Tat haben die Hirten die Aufgabe, das Volk zu belehren und für
sein Heil Vorsorge zu treffen durch die Lösung von Zweifeln über die
christliche Lehre. Die Kaiser und die Fürsten müssen dafür sorgen, aber
ihrem Amt gemäß, d. h. durch die Justiz, die Polizei und durch das
Schwert, das sie nicht ohne Grund tragen (Röm 13,4). Wer also wollte,
daß der Kaiser diese Autorität habe, findet dafür weder in der Heiligen
Schrift noch in der Vernunft eine Grundlage. Was sind denn die wichtig-
sten Gründe, warum man ein allgemeines Konzil einberuft, wenn nicht,

163
um den Häretiker, den Schismatiker, den Ärgernisgeber zu bekämpfen
und zurückzuweisen, wie Wölfe vom Schafstall? So wurde diese erste
Versammlung in Jerusalem gehalten, um sich einigen von der Sekte der
Pharisäer zu widersetzen. Und wer hat die Aufgabe, den Wolf abzuweh-
ren, wenn nicht der Hirte? Und wer ist der Hirte als der, dem Unser Herr
(Joh 21,17) sagte: Weide meine Schafe? Findet ihr, daß die gleiche Aufga-
be dem Tiberius übertragen wurde?
Wer die Vollmacht hat, die Herde zu weiden, hat auch die Vollmacht,
die Hirten zu versammeln, um zu erkennen, welche Weide und welches
Wasser für die Schafe zuträglich sind. Das bedeutet eigentlich, die Hirten
im Namen Christi (Mt 18,20) zu versammeln, d. h. in der Vollmacht Un-
seres Herrn. Was heißt denn die Stände im Namen des Fürsten versam-
meln anderes, als sie in Vollmacht des Fürsten zusammenzurufen? Und
wer hat diese Vollmacht als jener, der als Statthalter die Schlüssel des
Himmelreiches (Mt 16,19) empfangen hat? Das ließ den guten Vater Lu-
centius, bischöflicher Vikar des heiligen Apostolischen Stuhles, sagen,
daß Dioscorus sehr unrecht tat, ein Konzil ohne apostolische Ermächti-
gung einzuberufen: „Er hat es gewagt“, sagte er, „ein Konzil ohne Er-
mächtigung des Apostolischen Stuhles zu halten, was nie rechtmäßig ge-
schah noch geschehen durfte.“ Er sagte diese Worte in der Vollversamm-
lung des großen Konzils von Chalcedon.
Wenn aber die Stadt, wo die Versammlung stattfindet, dem Kaiser oder
einem Fürsten untersteht, oder wenn man eine öffentliche Sammlung für
die Kosten eines Konzils halten möchte, ist es trotzdem notwendig, daß
der Fürst, bei dem man sich versammelt, die Erlaubnis dazu gibt und die
Versammlung autorisiert; und die Sammlungen müssen von den Fürsten
genehmigt sein, in deren Staaten sie gehalten werden. Und wenn der Kai-
ser ein Konzil einberufen möchte ...21, vorausgesetzt, daß der Heilige Stuhl
zustimmt, damit die Einberufung rechtmäßig wird. Von dieser Art waren
die Einberufungen einiger ganz rechtmäßiger Konzile, ebenso desjeni-
gen, das Herodes in Jerusalem anordnete (Mt 2,4), um zu erfahren, wo
Christus geboren wurde, wozu die Priester und Schriftgelehrten ihre Zu-
stimmung gaben. Wer aber daraus die Folgerung ziehen wollte, den Für-
sten die Vollmacht zuzuschreiben, daß sie die Einberufung befehlen könn-
ten, der hätte dazu ebensoviel Grund, wie wenn er Folgerungen ziehen
wollte aus seiner Grausamkeit gegen den hl. Johannes den Täufer und aus
der Ermordung der kleinen Kinder.
2. Als nächstes stellen wir fest, wer zu dem ersten Konzil, das die Apo-
stel hielten, berufen wurde; der Text (Apg 15,6) sagt: Die Apostel und

164
Presbyter kamen zusammen, um über diese Sache zu beraten. Die Apostel
und die Priester, mit einem Wort die Männer der Kirche. Das verlangte
die Vernunft, denn das alte Sprichwort ist ganz richtig: „Schuster, bleib
bei deinem Leisten.“ Ebenso das Wort des Vaters Hosius, das er dem
Bericht des hl. Athanasius zufolge an Kaiser Konstantin schrieb: „Dir hat
Gott die Herrschaft übertragen, uns hat er die Angelegenheiten der Kir-
che anvertraut.“ Es müssen also die Geistlichen dazu berufen werden,
obwohl die Fürsten, der Kaiser, die Könige und andere dabei ihren Platz
als Protektoren der Kirche haben.
3. Wer muß dabei Schiedsrichter sein? Wir sehen, daß niemand einen
Spruch fällte als vier der Apostel: der hl. Petrus, der hl. Paulus, der hl.
Barnabas und der hl. Jakobus. Ihrem Urteil beugte sich jeder. Solange
man beriet, sprachen die Ältesten oder Priester; das ist wahrscheinlich
nach den Worten (Apg 15,7): Als man lange hin und her beraten hatte.
Das zeigt, daß man die Frage sehr eingehend erörterte. Als es aber dazu
kam, eine Entscheidung zu treffen und einen Spruch zu fällen, sprach
niemand, der nicht Apostel war. So sieht man auch, daß bei den alten
kanonischen Konzilen niemand als die Bischöfe unterzeichnet und ent-
schieden hat. Das war der Grund, daß die Väter des Konzils von Chalce-
don, als sie die Ordensleute und Laien eintreten sahen, mehrmals ausrie-
fen: „Schickt die Überflüssigen hinaus; das ist das Konzil der Bischöfe.“
Habt acht auf euch und auf die ganze Herde, sagte der hl. Paulus (Apg
20,28). Wer aber muß das tun, an sich und für die Gesamtheit zu denken?
In der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, um die Kirche zu
leiten. Es obliegt den Hirten, auf eine gesunde Lehre für die Schafe be-
dacht zu sein.
4. Wenn wir überlegen, wer dort den Vorsitz führte, finden wir, daß es
der hl. Petrus war, der als erster den Spruch fällte, dem die übrigen folg-
ten, wie der hl. Hieronymus sagt. Er hatte auch den höchsten Rang als
Hirte: Weide meine Schafe (Joh 21,17). Er war der oberste Aufseher über
die anderen: Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben (Mt 16,19).
Er war es, der die Brüder bestärkte (Lk 22,32), eine Aufgabe, die in be-
sonderer Weise dem Vorsteher und Oberaufseher zukommt. So hat spä-
ter der Nachfolger des hl. Petrus, der Bischof von Rom, stets den Vorsitz
bei den Konzilen durch seine Legaten geführt. Die ersten, die auf dem
Konzil von Nicäa unterzeichneten, sind Bischof Hosius und die Priester
Vitus und Modestus, die vom Heiligen Stuhl delegiert waren. Welchen
Grund hätte es in der Tat geben können, daß zwei Priester vor den Patri-

165
archen unterzeichneten, wenn nicht den, daß sie Vertreter des höchsten
Patriarchen waren? Was den hl. Athanasius betrifft, fehlte so viel, daß er
den Vorsitz geführt hätte, daß er keinen Sitz hatte und nicht unterzeichne-
te, weil er damals nur Diakon war. Und der große Konstantin hat nicht
nur nicht den Vorsitz geführt, sondern saß tiefer als die Bischöfe; er woll-
te nicht als Hirte dabei sein, sondern als Schäflein.
Auf dem Konzil von Konstantinopel war kein einziger Legat des Pap-
stes anwesend, weil er in Rom mit den abendländischen Bischöfen die
gleiche Frage behandelte, die in Konstantinopel von den Orientalen erör-
tert wurde, die sich nur im Geist und in der Entscheidung mit ihnen
vereinigen konnten. Trotzdem wurde durch die Schreiben, die die Kon-
zilsväter der einen und der anderen Seite sandten, Damasus, der Bischof
von Rom, als rechtmäßiges Haupt und als Vorsitzender anerkannt. Auf
dem Konzil von Ephesus hatte der hl. Cyrillus den Vorsitz als Legat und
Stellvertreter des Papstes Cölestin. Das sind die Worte des hl. Prosper
von Aquitanien über Papst Cölestin: „Durch diesen Mann sind auch die
orientalischen Kirchen von der zweifachen Pest gereinigt worden, als er
sich des Bischofs Cyrillus von Alexandria, des ruhmreichsten Verteidi-
gers des katholischen Glaubens, als apostolisches Schwert zur Ausrot-
tung der nestorianischen Irrlehre bediente.“ Und derselbe Prosper sagt in
der „Chronik“ noch: „Der Irrlehre des Nestorius widersteht vor allem
der Eifer des Bischofs Cyrillus von Alexandrien und die Autorität des
Papstes Cölestin.“ Auf dem Konzil von Chalcedon gibt es nichts, was
nicht immer und überall laut verkündete, daß die Legaten des heiligen
Römischen Stuhles an ihm teilnahmen, Pascanius und Lucentius. Man
braucht nur die Akten zu lesen.
Da sind also die Heilige Schrift, die Vernunft, die Praxis der vier echte-
sten Konzile, die es ja gab, auf denen der hl. Petrus und seine Nachfolger
den Vorsitz führten, wenn sie anwesend waren. Ich könnte das genau so
gut von allen anderen zeigen, die je in der ganzen Kirche rechtmäßig
anerkannt wurden, aber das wird wohl genügen.
Bleibt die Übereinstimmung, die Annahme und Durchführung der De-
krete des Konzils, die erfolgte, wie es auch gegenwärtig noch geschehen
muß, durch alle, die daran teilnehmen. Darüber heißt es (Apg 15,22): Da
beschlossen die Apostel und Ältesten mit der ganzen Gemeinde, aus ihnen
Männer auszuwählen ... Was aber die Autorität betrifft, kraft welcher die
Verkündigung des Beschlusses dieses Konzils erfolgte, geschah sie nur
im Namen der Geistlichen: Die Apostel und die Ältesten an die Brüder in

166
Antiochien, Syrien und Zilizien (15,23). Die Autorität der Schafe wird hier
nicht erwähnt, sondern nur die der Hirten. Laien können wohl am Konzil
teilnehmen, wenn es ratsam ist, doch nicht, um hier als Richter zu walten.

2. Artikel: Wie heilig und unverletzlich die Autorität der allgemeinen


Konzile ist.

Wir sprechen also hier von einem Konzil wie jenem, wo die Autorität
des hl. Petrus ist, sowohl am Beginn als auch beim Abschluß, und die der
übrigen Apostel und Hirten, die, wenn nicht alle, so doch zu einem be-
trächtlichen Teil anwesend sein sollen; auf dem die Diskussion frei ist,
d.h. jeder, der will, legt seine Gründe zu der unterbreiteten Schwierigkeit
dar; auf dem die Bischöfe entscheidende Stimme haben; von einem schließ-
lich, wie die ersten vier waren, die der hl. Gregor so sehr schätzte, daß er
bekannte: „Ich bekenne, daß ich die vier Konzile annehme und verehre
wie die vier Bücher des heiligen Evangeliums.“
Nun denn, überlegen wir ein wenig, wie groß ihre Autorität über den
Verstand der Christen sein muß. Seht, wie die Apostel darüber sprechen:
Der Heilige Geist und wir haben beschlossen (Apg 15, 28). Der Autorität
der Konzile gebührt also Ehrfurcht als auf der Führung des Heiligen
Geistes beruhend. Denn wenn der Heilige Geist, der Lehrer und Führer
seiner Kirche, der Versammlung gegen jene Irrlehre der Pharisäer seiner
Kirche beistand, muß man auch glauben, daß er aus allen ähnlichen An-
lässen den Versammlungen der Hirten beistehen wird, um durch ihren
Mund unsere Handlungen und unseren Glauben zu bestimmen. Es ist ja
die gleiche Kirche, dem göttlichen Bräutigam ebenso teuer wie damals,
in größerer Bedrängnis, als sie damals war. Welchen Grund könnte es
geben, daß er ihr aus gleichem Anlaß nicht denselben Beistand gewährte?
Ich bitte euch, bedenkt die Bedeutung der Worte des Evangeliums (Mt
18,17): Wenn jemand auf die Kirche nicht hört, gelte er dir wie ein Heide
oder Zöllner. Und wann kann man je die Kirche deutlicher hören als
durch die Stimme eines allgemeinen Konzils, wo die Häupter der Kirche
alle versammelt sind, um die Schwierigkeiten zu nennen und zu lösen?
Der Leib spricht nicht durch seine Füße noch durch seine Hände, son-
dern nur durch seinen Kopf; wie könnte ebenso die Kirche ihre Entschei-
dungen besser verkünden als durch ihre Häupter? Doch Unser Herr er-
klärt seinen Satz (18,19f) noch: Ich sage euch ferner: Um was immer zwei

167
aus euch einmütig auf Erden bitten werden, das wird ihnen von meinem
Vater, der im Himmel ist, gewährt werden. Denn wo zwei oder drei in mei-
nem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Wenn zwei
oder drei, falls die Notwendigkeit besteht, im Namen Unseres Herrn ver-
sammelt sind, haben sie seinen Beistand in so besonderem Maß, daß er
mitten unter ihnen ist, wie ein General bei der Armee, wie ein Lehrer
oder Erzieher inmitten seiner Schüler. Wenn der Vater sie unfehlbar er-
hört in dem, worum sie ihn bitten, wie könnte er seinen Heiligen Geist
der allgemeinen Versammlung der Hirten der Kirche versagen?
Ferner: Wenn die rechtmäßige Versammlung der Hirten und Häupter
der Kirche einmal dem Irrtum verfallen könnte, wie sollte sich dann der
Ausspruch des Meisters (Mt 16,18) bewahrheiten: Die Pforten der Hölle
werden sie nicht überwältigen? Wie könnte sich der Irrtum und die hölli-
sche Macht ihrer mit besseren Garantien bemächtigen, als wenn sie sich
die Lehrer und Hirten, die Hauptleute mit ihrem General unterworfen
hätten? Und was würde aus dem Wort (Mt 28,20): Siehe, ich bin bei euch
bis zur Vollendung der Welt? Und wie wäre sie Säule und Grundfeste der
Wahrheit (1 Tim 5,15), wenn ihre Grundlagen und Fundamente den Irr-
tum und die Unwahrheit stützten? Die Lehrer und Hirten sind die sicht-
baren Fundamente der Kirche, auf ihre Leitung stützt sich das übrige.
Welch klareres Gebot haben wir schließlich als jenes, die Nahrung aus
der Hand unserer Hirten zu empfangen (Lk 10,16; Hebr 13,17)? Sagt
nicht der hl. Paulus, daß sie der Heilige Geist über die Herde gesetzt hat,
um uns zu weiden, und daß Unser Herr sie uns gegeben hat, damit wir
nicht geschaukelt und fortgetragen werden von jedem Windhauch einer
Lehre (Eph 4,11.14)? Welche Hochschätzung müssen wir daher für die
Anordnungen und Satzungen haben, die von ihrer allgemeinen Versamm-
lung erlassen werden? Jeder einzelne von ihnen unterliegt gewiß auch der
Prüfung seiner Lehren, doch wenn sie alle versammelt sind und alle kirch-
liche Autorität in eine zusammengefaßt ist, wer könnte dann den Spruch
bemängeln, der von ihnen gefällt wird? Wenn das Salz schal geworden ist,
womit kann man es erhalten? (Mt 5,13). Wenn die Häupter blind sind,
wer wird die übrigen führen? Wenn die Säulen stürzen, wer soll sie stüt-
zen?
Mit einem Wort, was hat die Kirche Gottes Größeres, Sichereres und
Gediegeneres, um die Irrlehre zu Fall zu bringen, als die Beschlüsse der
allgemeinen Konzile? Die Heilige Schrift, würde Beza sagen. Aber ich
habe schon oben22 gezeigt, daß „die Irrlehre von der Auslegung kommt,

168
nicht von der Heiligen Schrift; daß der Sinn schuldig macht, nicht das
Wort.“ Wer wüßte nicht, wie viele Schriftstellen der Arianer anführt?
Was kann man ihm anderes erwidern, als daß er sie falsch versteht? Aber
er hat alle Freiheit zu glauben, daß ihr sie falsch auslegt, nicht er, daß ihr
euch täuscht, nicht er, daß seine Berufung auf die Analogie des Glaubens
gediegener sei als die eure, solange nur einzelne seinen Neuerungen wi-
dersprechen. Wenn man den Konzilen die Souveränität in den notwendi-
gen Entscheidungen und Erklärungen über das Verständnis des heiligen
Wortes abspricht, wird das heilige Wort ebenso herabgewürdigt wie die
Texte des Aristoteles, unsere Glaubensartikel werden einer endlosen Re-
vision unterliegen, aus entschlossenen und sicheren Christen werden be-
dauernswerte Akademiker.
Athanasius sagt: „Das Wort Gottes bleibt durch das ökumenische Kon-
zil von Nicäa in Ewigkeit.“ Der hl. Gregor von Nazianz spricht von den
Apollinaristen, die sich rühmten, sie seien durch das katholische Konzil
anerkannt worden, und sagt: „Wenn sie entweder jetzt oder früher aner-
kannt wurden, sollen sie uns das nachweisen, und wir werden zufrieden
sein. Dann wird offenkundig, daß sie der rechten Lehre anhängen, denn
anders kann es nicht sein.“ Der hl. Augustinus sagt, daß die berühmte
Frage, die von den Donatisten erörtert wurde, mehrere Bischöfe zweifeln
ließ, „bis sie auf dem allgemeinen Konzil des ganzen Erdkreises, das
äußerst heilsam urteilte, nach Überwindung der Zweifel entschieden wur-
de.“ Ruffinus sagt: „Der Spruch des geistlichen Konzils (von Nicäa) wird
Konstantin überbracht. Er achtet ihn als gleichsam von Gott gefällt und
erklärt, wer sich ihm zu widersetzen wagte, den werde er verbannen wie
einen, der gegen ein göttliches Gebot verstößt.“
Wenn jemand meint, weil er Analogie anführt, Sätze der Heiligen Schrift,
griechische und hebräische Wörter, sei es ihm erlaubt, in Zweifel zu zie-
hen, was schon durch die allgemeinen Konzile entschieden wurde, der
muß schon recht unterfertigte und gesiegelte Dokumente vom Himmel
vorweisen, oder er muß sagen, daß jeder es so machen kann wie er und daß
alles unserem spitzfindigen Vorwitz preisgegeben, daß alles ungewiß und
der Vielfalt der Urteile und Ansichten der Menschen unterworfen ist.
Der Weise gibt uns (Koh 12,11f) einen anderen Rat: „Die Worte der Wei-
sen gleichen dem Stachel, doch tief wie eingedrungene Nägel ist, was auf
den Rat der Lehrer von einem Hirten gegeben wird. Darüber hinaus, mein
Sohn, suche nichts.“

169
3. Artikel: Wie sehr die Prädikanten die Autorität der Konzile mißachtet
und verletzt haben.

Wollt ihr nun weiterschlafen nach diesem Schlag, den eure Lehrer der
Kirche versetzt haben? Denkt an euch, ich bitte euch. In seinem Buch
über die Konzile begnügt sich Luther nicht damit, die offenliegenden
Steine auszubrechen, sondern er untergräbt auch die Fundamente der
Kirche. Wer hätte das von Luther gedacht, diesem großen, ruhmvollen
Reformator, wie Beza ihn nennt? Wie behandelt er das große Konzil von
Nicäa? Weil dieses Konzil verbietet, daß in den geistlichen Stand aufge-
nommen werden, die sich selbst verstümmelt haben, und weil es gleich-
zeitig verbietet, daß Geistliche in ihren Häusern andere Frauen halten als
ihre Mütter und Schwestern, sagt Luther: „Hier erkenne ich keineswegs
den Heiligen Geist auf diesem Konzil.“ Und warum? „Soll etwa ein Bi-
schof oder Prediger diese unerträgliche Glut und Hitze der unerlaubten
Liebe ertragen und sich weder durch Entmannung noch durch die Ehe
aus diesen Gefahren befreien? Hat der Heilige Geist auf Konzilen keine
andere Aufgabe, als seine Diener durch unmögliche, gefährliche, unnöti-
ge Gesetze zu binden und zu belasten?“ Er nimmt kein Konzil aus, son-
dern behauptet fest, daß ein einziger Pfarrer so viel vermöge wie ein Kon-
zil. Das also ist die Meinung dieses großen Reformators.

Doch muß ich noch weiter gehen? Beza sagt im Brief an den König von
Frankreich, daß euer Reformierter die Autorität keines Konzils ablehne.
Das ist gut, aber was darauf folgt, verdirbt alles; er sagt: „vorausgesetzt,
daß das Wort Gottes es bestätigt.“ Mein Gott, wann wird man aufhören,
Verwirrung zu stiften? Die Konzile urteilen und entscheiden über einen
Artikel, nachdem sie alles beraten und die Probe am Prüfstein des Wortes
Gottes gemacht haben. Wenn dann alles einer weiteren Prüfung bedarf,
bevor man diese Entscheidung annimmt, bedarf es nicht noch einer wei-
teren? Wer will dann nicht prüfen? Und wann wird man damit jemals an
ein Ende kommen? Nach der Prüfung durch das Konzil wollen Beza und
seine Schüler noch einmal prüfen. Und wer will einen anderen daran
hindern, dasselbe zu verlangen, um zu wissen, ob die Prüfung des Konzils
gut gemacht wurde? Warum sollte es nicht einer dritten bedürfen, um zu
wissen, ob die zweite zuverlässig ist, und dann einer vierten über die drit-
te? Alles müßte von neuem gemacht werden und die Nachwelt würde den
Vorfahren nie trauen, sondern würde alles wieder aufrollen und die hei-

170
ligsten Glaubensartikel im Rad des Verstandes drunter und drüber brin-
gen.
Für uns gibt es keinen Zweifel, ob man eine Lehre unbesehen anneh-
men oder ob man sie am Prüfstein des Wortes Gottes prüfen soll. Aber
wir sagen: Wenn ein allgemeines Konzil diese Prüfung vorgenommen
hat, haben unsere Köpfe daran nichts noch einmal zu prüfen, sondern nur
zu glauben. Wenn man einmal die Kanones der Konzile der Prüfung ein-
zelner ausliefert, dann gibt es so viele Prüfungen wie einzelne und so viele
Meinungen wie Prüfungen. Der Artikel über die wirkliche Gegenwart des
Leibes Unseres Herrn im allerheiligsten Sakrament wurde von mehreren
Konzilen nach der Prüfung angenommen. Luther wollte eine neue Prü-
fung vornehmen, Zwingli eine weitere über die Prüfung Luthers, Brenz
wieder eine über die beiden, Calvin eine weitere. So viele Prüfungen, so
viele Meinungen.
Aber ich bitte euch, wenn die Prüfung durch ein allgemeines Konzil
nicht authentisch genug ist, um den Geist eines Menschen zu beruhigen,
wie könnte das die Autorität eines Beliebigen erreichen? Das ist wahrhaf-
tig ein großer Ehrgeiz. In den vergangenen Jahren haben sehr gelehrte
Prädikanten von Lausanne anhand der Heiligen Schrift und der Analogie
des Glaubens gegen die Lehre Calvins von der Rechtfertigung Stellung
genommen. Nichts Neues, um die Wirkung ihrer Beweisführung zu un-
terstützen, obwohl man bestimmte langweilige, geschmacklose Schrift-
chen ohne Lehrgehalt in Umlauf setzte. Wie behandelt man sie? Man
verfolgt sie, man weist sie aus, man läßt sie bedrohen; warum das? Weil
sie eine Lehre vertreten im Gegensatz zum Glaubensbekenntnis unserer
Kirche (sagt man). Gütiger Gott, man unterzieht zum Beweis für Luther,
Calvin und Beza die Lehre des Konzils von Nicäa der Prüfung, 1300
Jahre nach ihrer Approbation, man will aber nicht, daß man die calvini-
stische Lehre einer Prüfung unterzieht, die ganz neu ist, sehr zweifelhaft,
zusammengestoppelt und buntscheckig. Warum will man nicht jeden sei-
ne Untersuchung anstellen lassen? Wenn die des Konzils von Nicäa eu-
rem Geist nicht genügen konnte, warum wollt ihr durch eure Beweisfüh-
rung dem Geist eurer Gefährten Schranken setzen, ebenso ehrenwerten
Leuten wie ihr, ebenso gelehrt und fähig? Erkennt die Ungerechtigkeit
dieser Richter: um ihren Auffassungen Freiheit zu verschaffen, setzten
sie die ehrwürdigen Konzile herab, wollen aber durch ihre Auffassungen
die der anderen zügeln. Sie suchen ihre eigene Ehre, erkennt das recht,
und je mehr sie die der Alten schmälern, um so mehr schreiben sie sich
diese zu.

171
Doch kommen wir wieder zu ihrer Verachtung der Konzile, und wie
sehr sie gegen diese Regel des rechten Glaubens verstoßen. Beza sagt im
Brief an den König von Frankreich und in der Abhandlung selbst, daß
„das Konzil von Nicäa ein echtes und rechtmäßiges Konzil war, wenn es
je eines gegeben hat.“ Er sagt die Wahrheit, kein guter Christ zweifelt
daran, ebensowenig bei den drei anderen. Wenn dem so ist, warum nennt
er dann den Satz des Konzils in seinem Glaubensbekenntnis hart: Deum
de Deo, lumen de lumine (Gott von Gott, Licht vom Licht)? Und was soll
es heißen, daß das Wort „homoousion“ (wesensgleich) Luther so sehr
mißfällt? „Meine Seele haßt dieses Wort homoousion“, ein Wort, das so
hoch einzuschätzen ist bei diesem Konzil. Was will es bedeuten, daß ihr
der wirklichen Gegenwart des Leibes Unseres Herrn im heiligen Sakra-
ment nicht Rechnung tragt, daß ihr das hochheilige Meßopfer einen Aber-
glauben nennt, den die Priester mit dem kostbaren Leib Unseres Herrn
treiben, und daß ihr keinen Unterschied zwischen Bischof und Priester
machen wollt? Das alles wurde doch von diesem großen Konzil nicht nur
ganz ausdrücklich definiert, sondern als etwas in der Kirche ganz Be-
kanntes vorausgesetzt. Niemals hätten Luther, Petrus der Märtyrer oder
Ochino zu euren Prädikanten gehört, hätten sie die Akten des Konzils
von Chalcedon im Gedächtnis gehabt; denn dort ist ganz ausdrücklich
verboten, daß Ordensmänner und Ordensfrauen heiraten. Wie schön sähe
es rund um euren See aus, hätte man dieses Konzil von Chalcedon in
Ehren gehalten; wie oft hätten eure Prädikanten aus sehr gutem Grund
geschwiegen, denn dort wird den Laien ausdrücklich geboten, sich in kei-
ner Weise an den kirchlichen Gütern zu vergreifen, und allen, keine Ver-
schwörung gegen die Bischöfe anzuzetteln und die Geistlichen weder in
Taten noch in Worten anzugreifen. Das Konzil von Konstantinopel spricht
dem Papst von Rom den Primat zu und setzt ihn als bekannt voraus.
Dasselbe tut wohl auch das Konzil von Chalcedon.
Doch gibt es überhaupt einen Artikel, über den wir verschiedener Auf-
fassung mit euch sind, der nicht mehrmals von heiligen allgemeinen Kon-
zilen verurteilt wurde oder von Provinz-Synoden, die allgemein aner-
kannt sind? Und doch haben eure Prädikanten sie ohne Scham und Be-
denken wieder erweckt, gerade so, als wären sie irgendwelche heiligen
Vermächtnisse und Kleinode, die dem Altertum verborgen blieben oder
die das Altertum mit Bedacht verschlossen hätte, damit wir in unserer
Zeit daran Freude hätten.
Ich weiß, daß es unter den Konzilsbestimmungen Artikel für die kirch-
liche Ordnung und Verwaltung gibt, die geändert werden können und

172
zeitbedingt sind. Es ist aber nicht Sache einzelner, Hand an sie zu legen.
Die gleiche Autorität, die sie aufgestellt hat, muß sie abschaffen; wenn
sich ein anderer damit befaßt, ist es wirkungslos. Und es ist nicht die
gleiche Autorität, wenn es nicht ein Konzil ist oder das Oberhaupt oder
die Gewohnheit der ganzen Kirche. Was die Dekrete der Glaubenslehre
betrifft: sie sind unveränderlich. Was einmal wahr ist, bleibt es in Ewig-
keit. So nennen die Konzile auch Kanones, was sie darüber beschließen,
weil sie unverletzliche Regeln unseres Glaubens sind.
Doch das alles versteht sich von echten Konzilen, seien es allgemeine
oder Provinzsynoden, die von den allgemeinen oder vom Heiligen Stuhl
bestätigt wurden. Ein solches war nicht das der 400 Propheten, die Ahab
versammelt hatte (1 Kön 22,6); denn es war nicht allgemein, weil die von
Juda nicht dazu einberufen wurden, noch recht zusammengesetzt, denn
es gab auf ihm keine priesterliche Autorität, und diese Propheten waren
nicht rechtmäßig und vom König Joschafat von Juda nicht als solche
anerkannt, als er fragte: Ist hier kein Prophet des Herrn, daß wir ihn durch
ihn befragen können? (22,7), als wollte er sagen, daß die anderen keine
Propheten des Herrn waren. Ein solches war ebensowenig die Versamm-
lung der Priester gegen Unseren Herrn (Joh 11,47), die keinerlei Form
eines Konzils hatte, sondern eine wilde Verschwörung ohne das erforder-
liche Verfahren war. Sie war so weit davon entfernt, in der Heiligen Schrift
die Versicherung des Beistands des Heiligen Geistes zu haben, daß die
Propheten sie im Gegenteil dieses Beistands für verlustig erklärten. Die
Vernunft forderte tatsächlich, daß die Statthalter die Vollmacht verloren,
wenn der König anwesend war, und daß die Würde des Stellvertreters auf
den Rang der anderen herabgesetzt wurde, wenn der Hohepriester zuge-
gen war. Sie war ohne Autorität des Oberhauptes der Kirche, das Unser
Herr war, damals sichtbar gegenwärtig; Ihn mußten sie anerkennen. In
der Tat, wenn der Hohepriester zugegen ist, kann sich der Stellvertreter
nicht Oberhaupt nennen; wenn der Kommandant einer Festung anwe-
send ist, obliegt es ihm, das Losungswort zu geben, nicht seinem Stellver-
treter.
Über all das hinaus mußte die Synagoge damals verwandelt und umge-
staltet werden; und dieses Versagen war ihr vorausgesagt worden (Joh
12,31.37f; 15,25). Aber die katholische Kirche braucht nie umgestaltet
zu werden, solange die Welt besteht. Wir erwarten keinen dritten Gesetz-
geber und kein anderes Priestertum, es muß vielmehr ewig sein. Unser
Herr erwies dennoch dem Priestertum Aarons diese Ehre. Das prophe-
zeite der Hohepriester, ungeachtet der schlechten Absicht jener, die diese

173
Würde besaßen, und verkündete einen ganz untrüglichen Wahrspruch:
Es ist besser, daß ein Mensch für das Volk stirbt, damit nicht das ganze Volk
zugrundegeht. Das sagte er nicht aus sich selbst und zufällig, sondern pro-
phetisch, sagt der Evangelist, weil er in jenem Jahr Hohepriester war (Joh
11,50f). So wollte Unser Herr diese Synagoge und die priesterliche Wür-
de besonders ehrenvoll zu Grabe tragen, um ihr die katholische Kirche
und das neutestamentliche Priestertum folgen zu lassen. Und wie die
Synagoge endete mit dem Beschluß, Unseren Herrn zu töten, so wurde
die Kirche durch diesen Tod selbst gegründet: Ich habe das Werk vollen-
det, das du mir zu tun gegeben hast (Joh 17,4), sagte Unser Herr nach dem
letzten Abendmahl. Beim Abendmahl hatte Unser Herr den Neuen Bund
eingesetzt, so daß der Alte mit seinen Zeremonien und seinem Priester-
tum seine Gewalt und seine Vorrechte verliert, obwohl die Bestätigung
des Neuen Testamentes erst durch den Tod des Erblassers erfolgte, wie
der hl. Paulus (Hebr 9,15) sagt. Man braucht also die Vorrechte der Syn-
agoge nicht mehr zu berücksichtigen; sie beruhten auf einem alten Testa-
ment und wurden aufgehoben, als sie die schrecklichen Worte sagten:
Kreuzige ihn (Mk 15,13f), und die anderen: Er hat Gott gelästert, was
brauchen wir noch Zeugen? (Mt 26,65). Das war ja nichts anderes, als sich
am Stein des Anstoßes stoßen, gemäß der alten Vorhersage (Jes 8,14).
Ich wollte diesen zwei Einwänden den Boden entziehen, die man gegen
die unfehlbare Autorität der Konzile und der Kirche erhebt. Die anderen
werde ich später in eigenen Ausführungen über die katholische Lehre
auflösen. Es gibt nichts so Sicheres, was nicht Widersprüche erführe, aber
die Wahrheit bleibt fest und siegreich in den Angriffen der Widersacher.

174
Kapitel V

Die Prädikanten haben gegen die Auto-


rität der Kirchenväter verstoßen,
die fünf te Regel unseres Glaubens.
fünfte
1. Artikel: Welche Ehrfurcht die Autorität der alten Väter verdient.23

Theodosius der Ältere fand kein besseres Mittel, um die zu seiner Zeit
auftretenden Streitigkeiten über Fragen der Religion zu unterdrücken,
als nach dem Rat des Sisinius die Häupter der Sekten vorzuladen und sie
zu fragen, ob sie die alten Väter, die vor all diesen Streitigkeiten in der
Kirche wirkten, für ehrbare, heilige Männer hielten, für gute und aposto-
lische Christen. Wenn die Sektierer mit Ja antworteten, erwiderte man
ihnen: Prüfen wir also eure Lehre nach der ihren; wenn sie mit ihr über-
einstimmt, behalten wir sie, wenn nicht, soll sie abgeschafft werden. Es
gibt nichts Zweckmäßigeres als das in der Welt.
Calvin und Beza erklären, daß die Kirche in den ersten sechs Jahrhun-
derten unverdorben war. Sehen wir also, ob eure Kirche in Glaube und
Lehre jener gleicht. Und wer könnte uns besser den Glauben bezeugen,
dem die Kirche in jener Zeit folgte, als jene, die damals mit ihr und an
ihrer Tafel lebten? Wer könnte besser die Lebensweise dieser himmli-
schen Braut in der Blüte ihrer Jugend darstellen als jene, die die Ehre
hatten, die wichtigsten Ämter bei ihr zu bekleiden? Daher verdienen die
Väter, daß man ihnen Glauben schenkt, nicht nur wegen der vorzüglichen
Gelehrsamkeit, mit der sie ausgestattet waren, sondern wegen der Red-
lichkeit ihres Gewissens und wegen der Glaubenstreue, mit der sie zu
Werke gingen.
Von einem Zeugen verlangt man ja nicht so sehr Wissen als Redlichkeit
und Zuverlässigkeit. Wir wollen sie hier nicht als Quellen unseres Glau-
bens haben, sondern nur als Zeugen für den Glauben, in dem die Kirche
damals lebte. Niemand kann darüber zutreffender Zeugnis geben als jene,
die darin führend waren; sie sind in jeder Hinsicht untadelig. Wer wissen
will, welchen Weg die Kirche damals ging, der frage jene, die sie sehr treu
begleitet haben. Der Weise forscht nach der Weisheit aller Alten; er befaßt
sich mit den Propheten; die Aussprüche berühmter Männer studiert er

175
(Sir 39,1f). Hört, was der hl. Hieronymus sagt: „So sagt der Herr: Haltet
ein auf dem Weg; seht und fragt nach den alten Pfaden, welcher Weg gut
ist. Wandelt auf ihm, und ihr werdet Erquickung für eure Seele finden.“
Und der Weise: Laß dir die Reden der Alten nicht entgehen, denn sie
haben von ihren Vätern gelernt (Sir 8,9).
Wir müssen aber nicht nur ihr Zeugnis als sehr sicher und zuverlässig
hochschätzen, sondern auch ihrer Lehre großen Glauben schenken, über
alle unsere Erfindungen und Eigenheiten. Wir haben keinen Zweifel, ob
die alten Väter als Quellen für unseren Glauben zu betrachten sind; wir
wissen besser als eure Prädikanten, daß das nicht zutrifft. Wir streiten
auch nicht darüber, ob man als sicher annehmen muß, worüber ein oder
zwei Väter eine Meinung hatten. Hier liegt unser Streitfall: Ihr sagt, ihr
habt eure Kirche reformiert nach dem Vorbild der Urkirche; wir bestrei-
ten das und rufen jene als Zeugen an, die sie gesehen haben, die sie be-
wahrt und geleitet haben. Ist das nicht ein echter Beweis, frei von allem
Trug? Wir führen hier nur die Redlichkeit und Zuverlässigkeit der Zeu-
gen an.
Außerdem sagt ihr, eure Kirche sei nach der Regel und den Richtlinien
der Heiligen Schrift geformt. Wir bestreiten das und sagen, ihr habt diese
Regel gestutzt, verkürzt und verbogen, um sie eurem Kopf anzupassen ...
und nach dem echten Sinn der Heiligen Schrift reformiert. Wir bestreiten
das und sagen, die alten Väter hatten mehr Bildung und Fähigkeiten als
ihr, und haben trotzdem gesagt, daß die Heilige Schrift nicht den Sinn hat,
wie ihr sagt. Ist das nicht ein sicherer Beweis? Ihr sagt, nach der Heiligen
Schrift müsse man die Messe abschaffen; alle Kirchenväter bestreiten
das. Wem sollen wir glauben: dieser Schar der ehrwürdigen Bischöfe und
Märtyrer oder dem Haufen dieser Neuankömmlinge? Seht, wo wir ste-
hen.
Wer sieht nun nicht, daß es eine unerträgliche Unverschämtheit ist,
dieser Unzahl von Märtyrern, Bekennern und Kirchenlehrern, die uns
vorausgegangen sind, den Glauben zu verweigern? Wenn uns der Glaube
der Urkirche als Regel des guten Glaubens dienen muß, können wir diese
Regel nirgends besser finden als in den Schriften und Aussagen dieser
sehr heiligen und hervorragenden Vorfahren. – – –

176
Kapitel VI

Die Prädikanten haben gegen die


apstes verstoßen,
A utorität des PPapstes
die sechste Regel unseres Glaubens.
1. Artikel: Erste Verheißung (an den hl. Petrus).24

Wenn Unser Herr den Menschen einen Namen gibt, verleiht er ihnen
stets eine besondere Gnade, die dem Namen entspricht, den er ihnen
beilegt. Wenn er den Namen des großen Vaters der Glaubenden von Ab-
ram in Abraham ändert, macht er auch den erhabenen Vater zum Vater
vieler Völker und gibt sogleich die Begründung dafür an: Du sollst Abra-
ham heißen, weil ich dich zum Vater vieler Völker bestimmt habe (Gen
17,5). Wenn er den Namen Sarai in Sara ändert, macht er die persönliche
Ehefrau Abrahams zur allgemeinen Frau der Nationen und Völker, die
aus ihr geboren werden sollen (17,15f). Wenn er Jakob in Israel umbe-
nennt, liegt der Grund auf der Hand: Weil du gegen Gott stark warst, wirst
du auch die Menschen überwinden (32,28). Durch die Namen, die Gott
gibt, bezeichnet er nicht nur die Dinge, sondern belehrt uns auch über
ihre Eigenschaften und Fähigkeiten. Ein Beispiel dafür sind die Engel,
die einen Namen nur entsprechend ihrem Auftrag haben, und der hl.
Johannes der Täufer, der in seinem Namen die Gnade trägt, die er in
seiner Predigt ankündigen soll. Das ist das Gewohnte in der heiligen Spra-
che der Israeliten. So ist auch die Namensgebung beim hl. Petrus (Joh
1,42) kein unbedeutender Beweis für die einmalige Erhabenheit seines
Amtes, entsprechend der Begründung, die Unser Herr selbst damit ver-
band: Du bist Petrus ...
Doch welchen Namen gibt er ihm? Einen Namen voll Hoheit, nicht
alltäglich und gewöhnlich, sondern einen, der seine Erhabenheit und
Autorität ausdrückt, ähnlich dem Namen Abraham selbst. Denn wenn
Abraham so genannt wurde, weil er der Vater vieler Völker sein sollte,
dann hat der hl. Petrus diesen Namen bekommen, weil auf ihm wie auf
einem festen Felsen die Vielzahl der Christen begründet sein sollte. We-
gen dieser Ähnlichkeit nennt der hl. Bernhard die Würde des hl. Petrus
„Patriarchat Abrahams“. Als Jesaja (51,1f) die Juden durch das Vorbild

177
ihres Stammvaters Abraham ermutigen wollte, nannte er Abraham Fels:
Schaut auf den Felsen, aus dem ihr gehauen seid; schaut auf euren Vater
Abraham. Damit zeigt er, daß der Name Petrus sich sehr eng auf die
väterliche Autorität bezieht.
Dieser Name ist einer der Namen Unseres Herrn; denn welchen ande-
ren Namen finden wir öfter dem Messias beigelegt als den des Felsen?
(Eph 2,20; Ps 118,21; 1 Kor 10,4). Diese Änderung, diese Namensge-
bung nun ist sehr beachtenswert; denn die Namen, die Gott gibt, sind
inhaltsschwer und gewichtig. Er verleiht dem hl. Petrus seinen Namen, er
hat ihm daher auch eine gewisse dem Namen entsprechende Beschaffen-
heit verliehen. Unser Herr wird vor allem deswegen Fels genannt, weil er
das Fundament der Kirche ist und der Eckstein (1 Kor 3,10; Eph 2,20; 1
Petr 2,6f), die Stütze und Standfestigkeit dieses geistigen Bauwerks. So
hat er auch erklärt, daß auf dem hl. Petrus seine Kirche erbaut werde (Mt
16,18) und daß er sie im Glauben stärken soll: Stärke deine Brüder (Lk
22,32). Ich weiß wohl, daß er den beiden Brüdern Johannes und Jakobus
den Namen Boanerges, Donnersöhne gab, aber dieser Name ist keine Be-
zeichnung des Vorrangs oder der Befehlsgewalt, sondern des Gehorsams,
und kein Eigenname, sondern beiden gemeinsam, noch scheint es, daß er
ihnen dauernd blieb, weil sie dann nie mehr so genannt werden, sondern
daß es eher ein Lobestitel war wegen ihrer hervorragenden Predigt. Doch
dem hl. Petrus gab er einen bleibenden Namen voll Autorität, der ihm so
ausschließlich eigen war, daß wir wohl sagen können: Zu wem sonst wur-
de gesagt, du bist der Fels? Damit soll gezeigt werden, daß der hl. Petrus
über den anderen steht.
Ich möchte euch aber darauf aufmerksam machen, daß Unser Herr den
Namen des hl. Petrus nicht geändert, sondern nur dem alten, den er hatte,
einen neuen hinzugefügt hat; vielleicht deswegen, damit er sich in seinem
Vorrang daran erinnere, was er von Natur aus war, daß die Erhabenheit
des zweiten Namens gemäßigt wird durch die Niedrigkeit des ersten; eben-
so, wenn der Name Petrus ihn uns als Oberhaupt anerkennen läßt, der
Name Simon uns anzeige, daß er nicht unbeschränktes Oberhaupt ist,
sondern gehorsames, untergebenes Oberhaupt und erster Diener. Mir
scheint, daß der hl. Basilius dasselbe meint, was ich sage, wenn er schreibt:
„Petrus hat dreimal geleugnet und wurde in das Fundament versetzt. Pe-
trus hatte schon früher gesprochen, und er hatte einen glücklichen Aus-
spruch getan, indem er sagte: Du bist der Sohn Gottes, des Höchsten.
Dafür hörte er, daß er Petrus ist, auf diese Weise vom Herrn gelobt. Mag

178
er aber Fels sein, er war nicht Fels wie Christus; er war Fels als Petrus.
Denn Christus ist wahrhaftig der unüberwindliche Fels, Petrus aber um
Christi willen. Christus verleiht anderen seine Würde, er verleiht sie aber
nicht entleert, sondern mit vollem Gehalt. Er ist der Fels und macht zum
Felsen, er gewährt seinen Dienern das Seine. Das ist ein Kennzeichen des
Reichen, nämlich besitzen und anderen geben.“ So spricht Basilius.
Was sagt Unser Herr? Drei Dinge; aber man muß sie nacheinander
betrachten: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche
bauen; und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Und dir
will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben; was immer ... (Mt 16, 18f).
Er sagt, daß er der Stein oder der Fels ist und daß er auf diesen Stein oder
Felsen seine Kirche bauen wird.
Doch da haben wir eine Schwierigkeit: Man stimmt wohl zu, daß Unser
Herr mit dem hl. Petrus und vom hl. Petrus gesprochen hat bis „und auf
diesen Felsen“, aber diese Worte habe er nicht mehr vom hl. Petrus gesagt.
Nun, ich bitte euch, welche Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Unser
Herr die große Vorrede getan hätte: Selig bist du, Simon, Sohn des Jona,
denn nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein Vater,
der im Himmel ist; und ich sage dir (Mt 16,17), um dann nichts zu sagen
als: du bist Petrus; daß er dann mit einem Schlag den Gegenstand gewech-
selt und von etwas anderem gesprochen hätte? Denn wenn er sagt: und auf
diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, seht ihr da nicht, daß er offen-
bar von dem Felsen spricht, von dem er vorher gesprochen hat? Und von
welchem anderen Stein hat er gesprochen als von Simon, zu dem er gesagt
hat: Du bist Petrus?
Doch da liegt der ganze Doppelsinn, der in eurer Vorstellung Zweifel
wecken kann. Vielleicht meint ihr, wie Petrus jetzt ein männlicher Vor-
name ist, sei er es auch damals gewesen, und Petrus sei nicht dasselbe wie
petra; wir hätten daher die Bezeichnung Petrus in Fels geändert, infolge
der verschiedenen Bedeutung des Masculinum und des Femininum. Aber
wir treiben hier kein Wortspiel; denn es ist dasselbe Wort und in der
gleichen Bedeutung gebraucht, wenn Unser Herr zu Simon sagt: Du bist
Petrus, und wenn er sagt: Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.
Und dieses Wort Petrus war kein männlicher Vorname, sondern wurde
nur auf Simon Bar Jona angewendet. Das werdet ihr noch besser verste-
hen, wenn man das Wort in der Sprache nimmt, in der es Unser Herr
sagte. Er sprach nicht lateinisch, sondern aramäisch; er nannte ihn also
nicht Petrus, sondern Kephas in der Weise: Du bist Kephas, und auf die-
sen Kephas will ich ... bauen. Auf lateinisch hätte er gesagt: Tu es Saxum,

179
et super hoc saxum ..., und auf französisch: Tu es Roche, et sur ceste roche
j’edifieray mon Eglise. Welcher Zweifel bleibt nun, daß es derselbe ist, zu
dem er sagte: Du bist Fels, und zu dem er sagte: und auf diesen Felsen ...?
Es ist sicher, daß er im ganzen Abschnitt von keinem anderen Kephas
sprach als von Simon. Wozu beziehen wir das Relativpronomen hanc
(diesen) auf einen anderen Kephas als den unmittelbar vorausgehenden?
Ihr werdet mir sagen: Ja, aber im Lateinischen heißt es: Tu es Petrus,
und nicht: Tu es Petra; das Pronomen hanc, das weiblich ist, konnte sich
also nicht auf Petrus beziehen, das männlich ist. Gewiß, die lateinische
Fassung hat genug andere Hinweise, um erkennen zu lassen, daß dieser
Fels kein anderer ist als der hl. Petrus. Um daher das Wort der Person
anzugleichen, der man es als Namen beilegt, die männlich ist, hat er ihm
ebenfalls eine männliche Endung gegeben nach dem Vorbild des Grie-
chischen, wo es heißt: Du bist petros, und auf diese petra ... Aber im
Lateinischen gelingt das nicht so gut wie im Griechischen; Petrus bedeu-
tet nicht das gleiche wie petra, aber im Griechischen ist petros und petra
ein- und dasselbe, wie im Französischen rocher und roche. Wenn ich das
eine oder andere auf einen Mann anwenden müßte, würde ich ihm jeden-
falls lieber den Namen rocher beilegen als roche, weil das männliche Wort
der männlichen Person entspricht. Bleibt zu dieser Auslegung noch zu
sagen, daß niemand daran zweifelt, daß Unser Herr den hl. Petrus Kephas
nannte; das beweist ja der hl. Johannes (1,42) ganz ausdrücklich; noch
daran, daß Kephas soviel bedeutet wie Stein oder Fels, wie der hl. Hiero-
nymus sagt.
Um euch schließlich zu zeigen, daß es sehr wohl der hl. Petrus ist, von
dem er sagt: und auf diesen Felsen, weise ich auf die anschließenden Wor-
te hin. Es bedeutet ja ganz dasselbe, ihm die Schlüssel des Himmelreiches
zu verheißen und ihm zu sagen: auf diesen Felsen. Trotzdem gibt es für
uns keinen Zweifel daran, daß es der hl. Petrus ist, dem er die Schlüssel
des Himmelreiches verheißt, weil er ausdrücklich sagt: und dir will ich die
Schlüssel des Himmelreiches geben. Wenn wir daher diese Stelle des Evan-
geliums nicht von den vorausgehenden und nachfolgenden trennen wol-
len, um sie nach unserem Gutdünken anderswo einzusetzen, können wir
nicht glauben, daß das nicht zum hl. Petrus und vom hl. Petrus gesagt
worden sei: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche
bauen. Und tatsächlich hat die wahre und reine katholische Kirche, wie
sogar die Prädikanten zugeben, das in der Versammlung von 630 Bischö-
fen auf dem Konzil von Chalcedon laut und deutlich bekannt.

180
Sehen wir nun, welchen Wert und welches Gewicht diese Worte haben.
1. Wir wissen, was das Haupt im Leib eines Lebenden, was die Wurzel
beim Baum, das ist das Fundament bei einem Bauwerk. Unser Herr ver-
gleicht seine Kirche mit einem Bauwerk, wenn er sagt, daß er sie auf den
hl. Petrus bauen will. Damit zeigt er also, daß der hl. Petrus ihr Grund
sein wird, die Wurzel dieses kostbaren Baumes, das Haupt dieses schö-
nen Leibes. Der Stein, auf den man den Bau stellt, ist der erste, die ande-
ren erhalten durch ihn Festigkeit; die nicht auf ihm ruhen, gehören nicht
zum Gebäude. Man kann wohl die anderen Steine bewegen, ohne daß der
Bau einstürzt, wenn man aber den Grundstein wegnimmt, zerstört man
das Gebäude. Die Franzosen nennen „Haus“ das Gebäude, aber auch die
Familie. Wie ein Haus nichts anderes ist als eine Vereinigung von Steinen
und anderen Materialien, nach Ordnung, Abhängigkeit und Maß zusam-
mengefügt, so ist eine Familie gleichermaßen eine Ansammlung von Men-
schen nach Ordnung und Abhängigkeit der einen von den anderen. Nach
diesem Vergleich nennt Unser Herr seine Kirche ein Bauwerk. Indem er
den hl. Petrus zu seinem Fundament macht, macht er ihn zum Oberhaupt
dieser Familie.
2. Mit diesen Worten zeigt Unser Herr die Beständigkeit und Unbe-
weglichkeit dieses Fundamentes an. Der Stein, auf dem man das Gebäude
errichtet, ist der erste, die anderen gewinnen durch ihn Festigkeit. Man
kann wohl die anderen Steine bewegen, ohne das Gebäude zu zerstören,
doch wer den Grundstein entfernt, bringt das Haus zum Einsturz. Wenn
also die Pforten der Hölle nichts gegen die Kirche vermögen, dann ver-
mögen sie nichts gegen das Fundament und Oberhaupt, das sie nicht ent-
fernen und zerstören können, wenn sie nicht das ganze Gebäude durch-
einanderbringen. Unser Herr zeigt einen der Unterschiede zwischen dem
hl. Petrus und ihm: Unser Herr ist Fundament und Gründer, Fundament
und Erbauer der Kirche, der hl. Petrus dagegen ist nur ihr Fundament;
Unser Herr ist ihr Meister und Herr (Joh 13,13) als ihr Eigentümer, der
hl. Petrus hat nur ihre Verwaltung; darüber werden wir später sprechen.
3. Durch diese Worte zeigt Unser Herr, daß die Steine, die nicht auf
dieses Fundament gesetzt und von ihm befestigt werden, nicht zu diesem
Gebäude gehören.

181
2. Artikel: Lösung einer Schwierigkeit.

Doch ein starker Gegenbeweis scheint den Gegnern das Pauluswort (1


Kor 3,11) zu sein: Niemand kann ein anderes Fundament legen, als gelegt
ist, das ist Jesus Christus. Nach ihm sind wir Hausgenossen Gottes, aufge-
baut, auf dem Fundament der Apostel und Propheten, während Christus
Jesus selbst der Schlußstein ist (Eph 2,19f). Und in der Geheimen Offen-
barung (21,14) heißt es: Die Mauer der heiligen Stadt hatte zwölf Grund-
steine, und auf diesen zwölf Fundamenten die Namen der zwölf Apostel.
Wenn also, sagen sie, alle zwölf Apostel Grundsteine der Kirche sind,
warum schreibt ihr diesen Titel dem hl. Petrus im besonderen zu? Und
wenn der hl. Petrus sagt, daß niemand ein anderes Fundament legen kann
als Unseren Herrn, wieso wagt ihr zu sagen, der hl. Petrus sei zum Funda-
ment der Kirche bestellt worden durch die Worte: Du bist Petrus und auf
diesen Felsen will ich meine Kirche bauen? Warum sagt ihr nicht lieber,
schreibt Calvin, daß dieser Fels auf den die Kirche gegründet wurde, kein
anderer ist als Unser Herr? Und Luther schreibt: „Warum sagt ihr nicht
lieber, daß dies das Glaubensbekenntnis ist, das der hl. Petrus abgelegt
hat?“
Das ist aber wahrhaftig keine gute Art, die Heilige Schrift auszulegen,
wenn man eine Stelle durch die andere umstößt oder sie durch eine ge-
waltsame Auslegung zu einer fremden und unzutreffenden Bedeutung
strecken will. Man muß ihr soviel als möglich die natürliche und liebli-
che Bedeutung lassen, die sich hier bietet. Da wir also in diesem Fall
sehen, daß uns die Heilige Schrift lehrt, es gibt kein anderes Fundament
als Unseren Herrn, und dieselbe Heilige Schrift uns lehrt, daß es der hl.
Petrus ebenfalls ist, und außerdem noch, daß alle Apostel es sind, darf
man nicht die erste Lehre wegen der zweiten ablehnen, noch die zweite
wegen der dritten, sondern muß alle drei bestehen lassen. Das wird sich
gut machen lassen, wenn wir diese Stellen ehrlich und unbefangen be-
trachten.
Unser Herr ist in der Tat das einzige Fundament der Kirche. Er ist das
Fundament unseres Glaubens, unserer Hoffnung und Liebe; er ist das
Fundament des Wertes der Sakramente und unserer Glückseligkeit; er ist
auch die Grundlage aller kirchlichen Autorität und Ordnung, aller Lehre
und Verwaltung in ihr. Wer hat daran jemals gezweifelt? Aber, sagt man,
wenn er das einzige Fundament ist, wieso macht ihr auch den hl. Petrus
zum Fundament?

182
1. Ihr tut uns Unrecht. Nicht wir machen ihn zum Fundament. Jener,
über den man keinen setzen kann, hat ihn selbst eingesetzt. Wenn daher
Unser Herr das wahre Fundament der Kirche ist, was ja stimmt, muß man
glauben, daß es auch der hl. Petrus ist, weil ihn Unser Herr zu dieser
Würde erhoben hat. Wenn ein anderer als Unser Herr selbst ihm diesen
Rang verliehen hätte, würden wir mit euch rufen: Niemand kann ein an-
deres Fundament legen, als gelegt ist.
2. Und dann: Habt ihr die Worte des hl. Paulus gut überlegt? Er will
nicht, daß man ein anderes Fundament über Unseren Herrn anerkennt,
aber weder der hl. Petrus noch die anderen Apostel sind Fundamente
über Unseren Herrn, sondern unter Unserem Herrn. Ihre Lehre steht
nicht über der ihres Meisters, sondern ist die ihres Meisters selbst. Das
höchste Amt, das der hl. Petrus in der streitenden Kirche innehat, auf-
grund dessen er als Oberhaupt und Statthalter Fundament der Kirche
genannt wird, steht nicht über der Autorität seines Meisters, sondern ist
nur ein Teilhaben an ihr. So ist er selbst nicht Grundlage dieser Hierar-
chie über Unseren Herrn, sondern vielmehr in Unserem Herrn, wie wir
ihn Heiliger Vater in Unserem Herrn nennen, denn außerhalb von ihm
wäre er nichts. Wir anerkennen gewiß keine weltliche Autorität über der
Sr. Hoheit; aber wir anerkennen wohl deren mehrere unter ihr, die ei-
gentlich keine anderen sind als die des Fürsten, weil sie nur bestimmte
Anteile und ein Teilhaben an ihr sind.
3. Legen wir Satz für Satz aus. Meint ihr, der hl. Paulus drückt sich nicht
deutlich genug aus, wenn er sagt: Ihr seid aufgebaut auf den Fundamenten
der Propheten und Apostel? Damit man aber wisse, daß diese Fundamen-
te nicht über dem stehen, das er predigt, fügt er hinzu: Der Eckstein indes-
sen ist Christus Jesus. Unser Herr ist also Fundament und der hl. Petrus
ebenfalls, aber mit einem so bedeutenden Unterschied, daß im Vergleich
mit dem einen vielleicht gesagt werden kann, daß er es nicht ist. Unser
Herr ist ja Grundlage und Gründer, Fundament ohne ein anderes Funda-
ment, Fundament der natürlichen Kirche, der Kirche des mosaischen
Gesetzes und der Kirche des Evangeliums, ewiges und unsterbliches Fun-
dament, Fundament der streitenden und der triumphierenden Kirche,
Fundament aus sich selbst, Fundament unseres Glaubens, unserer Hoff-
nung und Liebe und der Kraft der Sakramente.
Der hl. Petrus ist Fundament, nicht Gründer der ganzen Kirche, Funda-
ment, aber gegründet auf einem anderen Fundament, das Unser Herr ist;
Fundament nur der Kirche des Evangeliums, Fundament, das der Nach-
folge unterliegt, Fundament der streitenden, nicht der triumphierenden

183
Kirche; Fundament durch Teilhabe, leitendes, nicht absolutes Fundament;
schließlich Verwalter und nicht Herr und keineswegs Fundament unseres
Glaubens, unserer Hoffnung und Liebe, noch der Wirksamkeit der Sa-
kramente. Dieser große Unterschied bewirkt, daß im Vergleich der eine,
gemessen am anderen, nicht Fundament genannt werden kann. Für sich
genommen kann er dennoch Fundament genannt werden, um dadurch
den heiligen Worten ihre eigene Bedeutung zu lassen. Obwohl Er der gute
Hirte ist, gibt er uns dennoch Hirten unter ihm (Eph 4,11). Zwischen
ihnen und seiner Erhabenheit besteht ein solcher Unterschied, daß er
selbst zeigt, daß er der einzige Hirte ist (Joh 10,11.16; Ez 34,23).
Genau so heißt es schlecht philosophieren, wenn man sagt, alle Apostel
insgesamt werden Fundamente der Kirche genannt, also sei es der hl.
Petrus nur wie die anderen. Im Gegenteil. Da Unser Herr im besonderen
und mit eigenen Worten zum hl. Petrus sagte, was er später zu den ande-
ren im allgemeinen sagte, muß man folgern, daß es im hl. Petrus ein
Fundament besonderer Art gibt und daß er in besonderer Weise hat, was
das ganze Apostelkollegium gemeinsam hat. Die ganze Kirche wurde
gegründet auf alle Apostel und die ganze auf den hl. Petrus im besonde-
ren. Der hl. Petrus für sich genommen ist daher ihr Fundament. Das sind
die anderen nicht, denn zu wem wurde jemals im einzelnen gesagt: Du bist
Petrus ...? Es hieße die Heilige Schrift vergewaltigen, wenn jemand sagte,
alle Apostel seien nicht insgesamt Fundament der Kirche; es hieße sie
ebenfalls vergewaltigen, wenn jemand leugnen wollte, daß es der hl. Pe-
trus im besonderen ist. Das allgemeine Wort muß seine allgemeine Wir-
kung haben, das besondere seine besondere Wirkung, damit nichts un-
nütz und ohne Geheimnis bleibt in der so geheimnisreichen Heiligen
Schrift.
Schauen wir nun, aus welchem allgemeinen Grund die Apostel Funda-
mente der Kirche genannt werden: weil sie es sind, die durch ihre Predigt
den Glauben und die christliche Lehre gepflanzt haben. Wenn man darin
irgendeinem der Apostel einen Vorrang einräumen muß, dann demjeni-
gen, der (1 Kor 15,10) gesagt hat: Ich habe mehr als sie alle gearbeitet. So
ist auch die Stelle der Geheimen Offenbarung (21,14) zu verstehen. Denn
die zwölf Apostel werden Fundament des himmlischen Jerusalems ge-
nannt, weil sie die ersten sind, die die Welt zur christlichen Religion
bekehrten; das hieß gleichsam die Fundamente für die Glorie der Men-
schen und den Samen für ihre glückselige Unsterblichkeit säen. Doch die
Stelle beim hl. Paulus (Eph 2,19f) scheint sich weniger auf die Person der
Apostel zu beziehen als auf ihre Lehre. Es heißt ja nicht, daß wir aufge-

184
baut sind auf die Apostel, sondern auf das Fundament der Apostel, d. h.
auf die Lehre, die sie verkündet haben. Das ist leicht einzusehen, weil er
nicht nur sagt, daß wir das sind auf dem Fundament der Apostel, sondern
auch der Propheten. Wir wissen gut, daß die Propheten Fundamente der
Kirche des Evangeliums nur durch ihre Lehre sind. In dieser Hinsicht
scheinen alle Apostel ebenbürtig zu sein, wenn nicht der hl. Johannes und
der hl. Paulus durch ihre ausgezeichnete Theologie hervorragen. In die-
sem Sinn sind also die Apostel Fundamente der Kirche.
Der hl. Petrus hat aber alle anderen an Autorität und Leitungsgewalt
überragt, wie das Haupt die Glieder überragt. Er wurde ja zum ordnungs-
gemäßen Hirten und Oberhaupt der Kirche bestellt, die anderen waren
beauftragte und helfende Hirten mit soviel Vollmacht und Autorität über
die ganze übrige Kirche wie der hl. Petrus, außer daß der hl. Petrus ihrer
aller Haupt und ebenso ihr Hirte wie der der ganzen Christenheit war. So
waren sie Fundamente der Kirche gleich ihm in bezug auf die Bekehrung
der Menschen und durch die Lehre, sie waren es aber nicht in gleichem
Maß in bezug auf die Leitung und Autorität, weil der hl. Petrus das ord-
nungsgemäße Oberhaupt nicht nur der ganzen übrigen Kirche war, son-
dern auch der Apostel. Unser Herr hat ja seine ganze Kirche erbaut. Von
ihr waren sie nur Teile, aber die wichtigsten und edelsten Teile. „Mag
auch die Kraft der Kirche auf alle Apostel gleichmäßig verteilt sein“, sagt
der hl. Hieronymus, „so wird doch unter zwölf einer ausgewählt, damit
durch die Bestellung eines Oberhauptes der Anlaß zur Spaltung ausge-
schlossen ist.“ Der hl. Bernhard sagt zu seinem Eugen, und wir können es
vom hl. Petrus mit gleichem Recht sagen: „Es gibt auch andere Pförtner
des Himmels und Hirten der Herden, du aber bist soviel glorreicher, als
der Name sich unterscheidet, den du geerbt hast.“

3. Artikel: Von der zweiten Verheißung an den hl. Petrus: Und dir will ich
die Schlüssel des Himmelreiches geben.

Wenn man den Gegnern den Stuhl des hl. Petrus als einen heiligen
Prüfstein vorhält, an dem man die Prüfung ihrer Auffassungen, Einbil-
dungen und Phantasien über die Heilige Schrift vornehmen muß, dann
ärgert sie das so sehr, daß sie Himmel und Erde in Bewegung setzen, um
uns die ausdrücklichen Worte Unseres Herrn aus der Hand zu nehmen
durch die ...

185
Unser Herr sagte dem hl. Petrus, daß er auf ihn seine Kirche bauen
werde; damit wir genauer wissen, was er damit sagen wollte, fährt er fort
mit den Worten: Und dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben.
Man könnte es nicht deutlicher sagen. Er hatte gesagt: Selig bist du, Simon
Bar Jona, denn nicht Fleisch und Blut ... Und ich sage dir, du bist Petrus und
dir will ich ... geben. Dieses dir will ich geben bezieht sich auf denselben, zu
dem er gesagt hat: Und ich sage dir, also auf den hl. Petrus. Aber die
Prädikanten versuchen, soviel sie können, die klare Quelle des Evangeli-
ums so sehr zu trüben, daß der hl. Petrus seine Schlüssel in ihr nicht mehr
finden kann, und um uns zu verleiden, daß wir aus ihr das Wasser des
heiligen Gehorsams trinken, den man dem Stellvertreter Unseres Herrn
schuldet. Daher sind sie auf die Idee gekommen zu sagen, der hl. Petrus
habe diese Verheißung Unseres Herrn im Namen der ganzen Kirche be-
kommen, ohne dadurch irgendeinen besonderen Vorrang in seiner Per-
son zu erhalten. Doch wenn das nicht gegen die Heilige Schrift verstoßen
heißt, dann hat nie jemand gegen sie verstoßen. War es denn nicht der hl.
Petrus, mit dem er sprach? Und wie konnte er seine Absicht besser aus-
drücken als mit den Worten: Und ich sage dir; dir will ich geben? Und da er
unmittelbar vorher von der Kirche gesprochen hat mit den Worten: Die
Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen, wer hätte ihn daran gehin-
dert zu sagen: und ihr will ich die Schlüssel des Reiches geben, wenn er
sie der ganzen Kirche unmittelbar geben wollte? Nun hat er nicht „ihr“
gesagt, sondern dir will ich geben.

Wenn es erlaubt ist, das aus so klaren Worten herauszulesen, dann wird
es in der Heiligen Schrift nichts geben, was man nicht zu jedem Sinn
umdeuten kann. Zwar bestreite ich nicht, daß der hl. Petrus an dieser
Stelle in seinem Namen und im Namen der ganzen Kirche sprach, als er
das herrliche Bekenntnis ablegte; jedoch nicht im Auftrag der Kirche
oder der Jünger (wir haben ja nicht den geringsten Hinweis auf einen
solchen Auftrag in der Heiligen Schrift; und die Offenbarung, auf der
sein Bekenntnis beruhte, wurde ihm allein zuteil, außer das ganze Apo-
stelkollegium hätte Simon Bar Jona geheißen). Er machte dieses Bekennt-
nis vielmehr als Sprachrohr, Fürst und Haupt der anderen, wie die Heili-
gen Chrysostomus und Cyrill sagten, und „wegen des Vorrangs seines
Apostelamtes“, wie der hl. Augustinus sagt. So sprach die Kirche in der
Person des hl. Petrus als in der Person ihres Oberhauptes, und nicht der
hl. Petrus sprach in der Person der Kirche. Der Leib spricht ja nur durch
sein Haupt; und das Haupt spricht in sich selbst, nicht durch seinen Leib.

186
Und obwohl der hl. Petrus noch nicht Oberhaupt und Fürst der Kirche
war, was ihm erst nach der Auferstehung des Herrn übertragen wurde,
genügt es, daß er dazu bereits auserwählt war und dafür ein Unterpfand
hatte. Ebenso besaßen auch die Apostel noch nicht die apostolische Ge-
walt, sondern diese ganze gesegnete Schar wandelte eher als Schüler mit
ihrem Lehrer, um die tiefgründigen Lehren zu lernen, die sie später ande-
ren gelehrt haben, denn als Apostel und Gesandte, die sie dann waren, als
der Schall ihrer Stimme durch die ganze Welt ertönte (Ps 19,5).
Ich bestreite auch nicht, daß die anderen Prälaten teilhaben am Ge-
brauch der Schlüssel; und was die Apostel betrifft, bekenne ich, daß sie
darüber alle Vollmacht hatten. Ich sage nur, daß hier die Übertragung der
Schlüssel vorzüglich der Person des hl. Petrus und zum Nutzen der gan-
zen Kirche verheißen wurde. Denn wenn auch er es war, der sie empfing,
so doch nicht zu seinem persönlichen Vorteil, sondern zu dem der Kir-
che. Die Handhabung der Schlüssel ist dem hl. Petrus in besonderer und
vorzüglicher Weise verheißen, nachher der Kirche, vor allem aber zum
allgemeinen Wohl der Kirche, dann, nachher zu dem des hl. Petrus, wie
sich das in allen öffentlichen Ämtern geziemt.
Man wird mich aber fragen, welcher Unterschied besteht zwischen der
Verheißung, die Unser Herr hier dem hl. Petrus machte, ihm die Schlüs-
sel zu übergeben, und jener, die er den Aposteln später machte. Es scheint
tatsächlich, daß es dasselbe war; denn um zu erklären, was er mit den
Schlüsseln meinte, sagte Unser Herr: Was immer du binden wirst auf Er-
den, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was immer du lösen
wirst ... Das ist nichts anderes, als was er den Aposteln allgemein sagte:
Was immer ihr binden werdet ... Wenn er also allgemein verheißt, was er
dem hl. Petrus im besonderen verheißt, gebe es keinen Grund zu sagen,
daß der hl. Petrus auf Grund dieser Verheißung mehr sei als die anderen.
Ich antworte, daß Unser Herr den hl. Petrus in der Verheißung und in der
Erfüllung der Verheißung stets hervorgehoben hat durch Ausdrücke, die
uns zu glauben verpflichten, daß er das Oberhaupt der Kirche war.
Was die Verheißung betrifft, gebe ich zu, daß Unser Herr dem hl. Pe-
trus durch die Worte: was immer du lösen wirst, nicht mehr verheißen hat
als später den anderen: Was immer ihr binden werdet auf Erden ... (Mt
18,18). Die Worte haben ja den gleichen Inhalt und die gleiche Bedeu-
tung in beiden Stellen. Ich gebe auch zu, daß er durch die Worte, und was
immer du lösen wirst, die vorausgehenden erklärt: Dir will ich die Schlüssel

187
geben. Ich bestreite aber, daß es ganz dasselbe ist, die Schlüssel zu verhei-
ßen, und zu sagen: Was immer du lösen wirst.
Sehen wir daher, was es heißt, die Schlüssel des Himmelreiches zu
verheißen. Wer wüßte nicht, daß ein Herr, der sein Haus verläßt und
einem die Schlüssel übergibt, diesem auch dessen Aufsicht und Leitung
übergibt? Wenn der Fürst in eine Stadt einzieht, überreicht man ihm die
Schlüssel und überträgt ihm gleichsam die Oberhoheit. Es ist also die
höchste Vollmacht, die Unser Herr dem hl. Petrus hier verheißt. Tatsäch-
lich gebraucht die Heilige Schrift ähnliche Worte, wenn sie eine souverä-
ne Autorität ausdrücken will; so in der Geheimen Offenbarung (1,18):
Als Unser Herr sich seinem Diener zu erkennen geben will, sagt er zu
ihm: Ich bin der Erste und der Letzte, der Lebendige und der tot war. Und
siehe, ich lebe in die Ewigkeit der Ewigkeiten. Ich habe die Schlüssel des
Todes und der Unterwelt. Was versteht er unter den Schlüsseln des Todes
und der Unterwelt anderes als die höchste Macht über den einen und die
andere? Ebenso, wenn es von Unserem Herrn (3,7) heißt: So spricht der
Heilige und Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, und
niemand schließt, der schließt, und niemand öffnet. Was können wir dar-
unter anderes verstehen als die höchste Autorität in der Kirche? Und was
der Engel zu Unserer lieben Frau sagte: Der Herr wird ihm den Thron
seines Vaters David geben und er wird herrschen über das Haus Jakob in
Ewigkeit (Lk 1,32). Der Heilige Geist gibt uns das Königtum Unseres
Herrn bald durch den Sitz oder Thron zu erkennen, bald durch die Schlüs-
sel.
Vor allem aber ist der Auftrag durch Elija für Eljakim in allem demje-
nigen ähnlich, den Unser Herr hier dem hl. Petrus gibt. Dort also ist die
Absetzung eines Hohepriesters und Tempelvorstehers beschrieben: So
spricht der Herr, Gott der Heerscharen: Geh hinein zu dem, der im Tempel
wohnt, zu Schebna, dem Tempelvorsteher, und sag zu ihm: Was hast du
hier? Und später: Ich werde dich absetzen (Jes 22,15f.19). Sieh, die Abset-
zung des einen, sieh jetzt die Einsetzung des anderen: Siehe, an jenem Tag
berufe ich meinen Diener Eljakim, den Sohn des Hilkijas, und lege ihm
dein Amtskleid an, gürte ihn mit deiner Schärpe und lege ihm deine Voll-
macht in seine Hände. Er wird den Bewohnern Jerusalems und dem Haus
Juda Vater sein. Ich lege ihm den Schlüssel des Hauses David auf die Schul-
ter; er wird öffnen, und niemand schließt, er wird schließen und niemand
öffnet (22,20-22).
Gibt es etwas Überzeugenderes als diese beiden Schriftstellen? Selig
bist du, Simon Bar Jona, denn nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffen-

188
bart, sondern mein Vater, der im Himmel ist. Das wiegt doch nicht weniger
als: Ich berufe meinen Diener Eljakim, den Sohn des Hilkijas. Und: Ich
sage dir: du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen;
die Pforten der Hölle ... Wiegt das nicht ebensoviel wie: Ich lege ihm dein
Amtskleid an, gürte ihn mit deiner Schärpe und lege ihm deine Vollmacht
in die Hände; und er wird den Bewohnern Jerusalems wie ein Vater sein?
Fundament oder Grundstein einer Familie sein, was heißt das anderes,
als ihr Vater sein, in ihr die Oberaufsicht und die Leitung haben? Wenn
der eine diese Zusicherung hatte: Ich werde den Schlüssel Davids auf
seine Schulter legen, hatte sie der andere nicht weniger durch die Verhei-
ßung: Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben. Wenn der eine
öffnet und niemand schließt, wenn er schließt und niemand öffnet; wenn
der andere löst, wird niemand binden, wenn er bindet, wird niemand lösen.
Der eine ist Eljakim, der Sohn des Hilkijas, der andere Simon, Sohn des
Jona; der eine ist versehen mit dem Gewand des Hohepriesters, der ande-
re mit der himmlischen Offenbarung; der eine hat die Macht in seiner
Hand, der andere ist ein starker Fels; der eine ist wie ein Vater in Jerusa-
lem, der andere wie ein Fundament der Kirche; der eine hat die Schlüssel
des Tempels Davids, der andere die der Kirche des Evangeliums. Wenn
der eine schließt, öffnet niemand, wenn der andere bindet, löst niemand;
wenn der eine öffnet, schließt niemand, wenn der andere bindet, löst nie-
mand. Was bleibt noch zu sagen als dies? Wenn Eljakim, der Sohn des
Hilkijas, je Vorsteher des mosaischen Tempels war, dann war Simon, der
Sohn des Jona, es in der Kirche des Evangeliums. Eljakim stellt Christus
als Gleichnis dar, der hl. Petrus stellt ihn dar als Statthalter; Eljakim
repräsentierte ihn in der mosaischen Kirche, der hl. Petrus in der christ-
lichen Kirche.

Das ist die Bedeutung dieser Verheißung, dem hl. Petrus die Schlüssel
zu übergeben; eine Verheißung, die den anderen Aposteln nicht gemacht
wurde. Ich sage aber, es ist nicht ganz dasselbe, die Schlüssel des Him-
melreiches zu verheißen und zu sagen: Was immer du lösen wirst, obwohl
das eine die Erklärung des anderen ist. Und welcher Unterschied besteht
da? Gewiß ganz der gleiche wie zwischen dem Besitz einer Vollmacht
und ihrem Gebrauch. Es kann sehr gut sein, daß zu Lebzeiten eines Kö-
nigs die Königin oder sein Sohn ebensoviel Macht hat wie der König
selbst, zu strafen, zu vergeben, zu schenken, Gnade walten zu lassen. Er
wird jedoch nicht das Zepter führen, sondern nur den Gebrauch der Macht
haben. Er wird wohl dieselbe Vollmacht haben, aber nicht als Besitz,

189
sondern nur zum Gebrauch und zur Ausübung. Alles, was er tut, wird
geschehen, aber nicht als Oberhaupt und König, sondern er muß anerken-
nen, daß seine Macht eine außergewöhnliche ist, durch Verleihung und
Übertragung, während der König die Macht, mag sie auch nicht größer
sein, als ordentliche zu eigen hat.
Indem Unser Herr dem hl. Petrus die Schlüssel verheißt, überträgt er
ihm die ordentliche Vollmacht und gibt ihm dieses Amt zu eigen; ihren
Gebrauch erklärt er mit den Worten: Was immer du lösen wirst. Wenn er
nun später den Aposteln die Verheißung macht, gibt er ihnen nicht die
Schlüssel oder die ordentliche Vollmacht, sondern ermächtigt sie nur
zum Gebrauch der Schlüssel und zur Ausübung der Vollmacht. Diese
Unterscheidung ist den Worten der Heiligen Schrift selbst entnommen;
denn lösen und binden bezeichnet nur die Tätigkeit und Ausübung, die
Schlüssel haben die Dauer. So verschieden ist die Verheißung, die Unser
Herr dem hl. Petrus machte, von der, die er den anderen Aposteln gab.
Die Apostel haben alle dieselbe Macht wie der hl. Petrus, aber nicht im
gleichen Grad, insofern sie diese als Delegierte und Beauftragte haben,
der hl. Petrus als ordentliches Oberhaupt und ständiger Diener. Es war
tatsächlich angebracht, daß die Apostel, die überall die Kirche einpflan-
zen sollten, volle Gewalt und alle Autorität hatten, die Schlüssel zu ge-
brauchen und die Vollmacht auszuüben. Es war aber auch sehr notwen-
dig, daß einer von ihnen sie kraft Amt und Würde verwahre, „damit die
Kirche, die eine ist“, wie der hl. Cyprian sagt, „durch das Wort des Herrn
auf einen gegründet ist, der ihre Schlüssel empfangen hat.“

4. Artikel: Von der dritten Verheißung,


die dem hl. Petrus gemacht wurde.

Zu welchem von den anderen wurde je gesagt: Ich habe für dich gebetet,
Petrus, daß dein Glaube nicht versage. Du hinwieder stärke deine Brüder,
wenn du dich wieder gefunden hast (Lk 22,32). Das sind gewiß zwei Privi-
legien von großer Tragweite. Unser Herr, der den Glauben in seiner Kir-
che aufrechterhalten mußte, hat nicht für den Glauben eines der anderen
im einzelnen gebetet, sondern nur für den des hl. Petrus als Oberhaupt.
Welchen Grund könnten wir uns denn denken für diesen Vorzug? Satan
hat verlangt, euch sieben zu dürfen (22,31), euch alle, so viele ihr seid,
doch ich habe für dich gebetet. Heißt das nicht, ihn allein für alle nehmen

190
als Haupt und Führer der ganzen Schar? Doch wer sieht nicht, wie be-
zeichnend die Stelle für diese Absicht ist? Betrachten wir, was voraus-
ging; dort werden wir finden, was Unser Herr seinen Aposteln erklärt hat,
unter ihnen gebe es einen, der größer ist als die anderen: Wer unter euch
der Größere ist ... und der Vorsteher; und sogleich sagt er ihm, daß sie der
Feind zu sieben verlangt hat, alle, so viele sie sind, und trotzdem sagt er,
daß er für ihn persönlich gebetet hat, damit sein Glaube nicht versage. Ich
bitte euch, diese ganz persönliche Gnade, die nicht allen anderen zuteil
wurde, wie der Fall des hl. Thomas (Joh 20,25.27) beweist, zeigt doch,
daß der hl. Petrus derjenige ist, der der Größere unter ihnen war. Alle
werden versucht, und man betet nur für einen. Aber die folgenden Worte
machen das ganz einleuchtend.

Irgendein Protestant könnte sagen, er habe für den hl. Petrus im beson-
deren gebetet aus irgendeinem anderen Grund, den man sich vorstellen
kann (die Phantasie bietet ja dem Starrsinn genügend Unterstützung),
nicht weil er das Oberhaupt der anderen war und damit der Glaube der
anderen in ihrem Hirten gestärkt werde. Im Gegenteil, ihr Herren, es
geschah, damit er seine Brüder stärke, wenn er sich wieder gefunden hat.
Er betet für den hl. Petrus als Halt und Stütze der anderen, und was heißt
das anderes, als ihn zum Oberhaupt der anderen erklären? Man könnte
wahrhaftig dem hl. Petrus nicht den Auftrag geben, die Apostel zu stär-
ken, wenn man ihm nicht das Amt übertrüge, Sorge für sie zu tragen. Wie
könnte er denn diesen Auftrag ausführen, ohne auf die Schwachheit oder
Festigkeit der anderen zu achten, um sie zu stärken und zu stützen?

Heißt das nicht noch einmal, ihn als Fundament der Kirche einsetzen?
Wenn er jene stützt, ermutigt, festigt und stärkt, die selbst Grundsteine
sind, wie sollte er nicht alles übrige festigen? Wenn er die Aufgabe hat, die
Säulen der Kirche zu stützen, wie sollte er nicht das ganze übrige Bau-
werk stützen? Wenn er die Aufgabe hat, die Hirten zu ernähren, sollte er
dann nicht selbst der oberste Hirte sein? Wenn der Gärtner die glühen-
den Sonnenstrahlen ständig auf einer jungen Pflanze liegen sieht, gießt er
nicht auf jeden Zweig Wasser, um sie vor dem drohenden Austrocknen zu
bewahren; er glaubt vielmehr, daß alles andere in Sicherheit ist, wenn er
die Wurzel gut begossen hat, weil die Wurzel die Feuchtigkeit über die
ganze übrige Pflanze verbreitet. So hat Unser Herr, nachdem er die heili-
ge Gemeinschaft der Jünger gepflanzt hatte, für das Haupt und die Wur-
zel gebetet, damit das Wasser des Glaubens dem nicht mangle, der damit

191
alles übrige versorgen mußte, und damit durch Vermittlung des Ober-
hauptes der Glaube stets in der Kirche erhalten bleibe. Er betete deshalb
für den hl. Petrus im besonderen, aber zum allgemeinen Vorteil und Nut-
zen der ganzen Kirche.
Doch bevor ich diesen Gegenstand abschließe, muß ich sagen, daß der
hl. Petrus den Glauben nicht verlor, als er Unseren Herrn verleugnete,
vielmehr ließ ihn die Furcht leugnen, was er glaubte; das heißt, er verfehl-
te sich nicht gegen den Glauben, sondern gegen das Bekenntnis des Glau-
bens. Er hatte den rechten Glauben, aber er redete schlecht und bekannte
nicht, was er glaubte.

5. Artikel: Von der Erfüllung der Verheißungen.

Wir wissen wohl, daß Unser Herr den Aposteln sehr weitgehend Voll-
macht und Auftrag gab, mit der Welt zu ihrem Heil zu verfahren, als er
ihnen (Joh 20,21f) sagte: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich
euch. Empfangt den Heiligen Geist; wem ihr die Sünden nachlaßt ... Das
war die Erfüllung der Verheißung, die er ihnen insgesamt gemacht hatte:
Was immer ihr binden werdet ... Doch zu wem von den anderen sagte er
jemals im besonderen: Weide meine Schafe? Dieses Amt hatte nur der hl.
Petrus. Sie waren gleich im Apostelamt, was aber die apostolische Würde
betrifft, war der hl. Petrus als einziger von ihnen dazu eingesetzt: Weide
meine Schafe (Joh 21,17). Es gibt andere Hirten in der Kirche; jeder muß
die Herde weiden, die ihm anvertraut ist, wie der hl. Petrus (2 Petr 5,2)
sagt, oder in der ihn der Heilige Geist zum Bischof bestellt hat, nach den
Worten des hl. Paulus (Apg 20,28). Aber, sagt der hl. Bernhard, „wem
von den anderen wurden je die Schafe so unbedingt, so unterschiedslos
anvertraut: weide meine Schafe?“
Ich berufe mich auf die Heilige Schrift, daß diese Worte sehr wohl an
den hl. Petrus gerichtet sind. Nur der hl. Petrus heißt Simon, Sohn des
Johannes oder Jona (was dasselbe bedeutet, denn Jona ist nur die Abkür-
zung von Joannah). Damit man weiß, daß dieser Simon, Sohn des Johan-
nes, nur der hl. Petrus ist, bestätigt der hl. Johannes (21,15), daß es Simon
Petrus war: Jesus sagte zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst
du mich mehr als diese? Es ist also der hl. Petrus persönlich, zu dem
Unser Herr sagte: Weide meine Schafe. Unser Herr hebt mit diesem Wort
den hl. Petrus sogar von den anderen ab, indem er ihn mit ihnen ver-
gleicht: Liebst du mich?, das ist der hl. Petrus auf der einen Seite: mehr als

192
diese?, das sind die Apostel auf der anderen Seite, obwohl nicht alle Apo-
stel da waren, jedoch die bedeutendsten, der hl. Jakobus, der hl. Johannes,
der hl. Thomas und andere (Joh 21,2). Es war kein anderer als der hl.
Petrus, der traurig wurde, kein anderer als der hl. Petrus, dem der Tod
vorhergesagt wurde (Joh 21,17f). Welchen Grund könnte es also geben zu
zweifeln, daß das Wort: Weide meine Schafe, das mit all den anderen in
Zusammenhang steht, an ihn allein gerichtet ist?

Nun ist klar: die Schafe weiden heißt, die Sorge für sie haben. Denn was
heißt, den Auftrag haben, die Schafe zu weiden, anderes als ihr Hüter und
Hirte sein? Die Hirten haben für die Schafe in allem zu sorgen; sie führen
diese nicht nur auf die Weide, sondern führen sie in den Stall zurück,
lenken und leiten sie, halten sie in Furcht, strafen und verteidigen sie. In
der Heiligen Schrift bedeutet regieren und das Volk weiden dasselbe, wie
man leicht sehen kann bei Ezechiel (24,23), im 2. Buch Samuel (5,2; 7,7)
und an verschiedenen Stellen in den Psalmen. Da heißt es im Original
weiden, wo wir regieren haben, wie in Psalm 2 (9): Du wirst sie mit eiser-
nem Zepter regieren. Tatsächlich ist kein Unterschied zwischen regieren
und die Schafe mit einem eisernen Hirtenstab weiden. Der Herr regiert
mich, in Psalm 23,1 bedeutet, er leitet mich als Hirte; und wenn es (Ps
78,78f) heißt, David wurde erwählt, seinen Knecht Jakob und sein Erbe
Israel zu weiden; und er weidete sie in der Unschuld seines Herzens, dann
ist das dasselbe, als sagte man regieren, leiten, vorstehen. In der gleichen
Ausdrucksweise werden auch die Völker Schafe der Weide Unseres Herrn
(Ps 74,1; 95,8) genannt. Den Auftrag haben, die Christen zu weiden, be-
deutet also nichts anderes, als ihr Lehrer und Hirte sein.

Nun ist leicht zu erkennen, welche Autorität Unser Herr dem hl. Petrus
verleiht durch dieses Wort: Weide meine Schafe; denn in der Tat ist 1. der
Auftrag so persönlich, daß er nur an den hl. Petrus gerichtet ist; 2. das
Amt so umfassend, daß es alle Gläubigen jeglichen Standes einschließt.
Wer die Ehre haben will, zu den Schafen Unseres Herrn gezählt zu wer-
den, der muß den hl. Petrus oder jenen, der seinen Platz einnimmt, als
seinen Hirten anerkennen. „Wenn du mich liebst“, sagt der hl. Bernhard,
„weide meine Schafe. Welche? Die Bevölkerung dieser oder jener Stadt,
einer Provinz oder eines bestimmten Reiches? Meine Schafe, sagt er.
Wem ist da nicht klar, daß er nicht irgendwelche, sondern alle damit
bezeichnet hat? Nichts wird ausgenommen, wo keine Unterscheidung
getroffen wird. Und wahrscheinlich waren die übrigen Mitjünger zuge-

193
gen, als er durch den Auftrag an den einen allen die Einheit empfahl in
der einen Herde mit einem Hirten, nach den Worten: Eine ist meine Tau-
be, meine Schöne meine Vollkommene (Hld 6,8). Wo Einheit, da ist Voll-
kommenheit.“ Als Unser Herr sagte: Ich kenne meine Schafe, meinte er
damit alle; als er sagte: Weide meine Schafe, meinte er ebenfalls alle.
Wenn er sagt: Weide meine Schafe, was heißt das anderes als: trage Sorge
für meinen Schafstall, für meine Schäferei oder meinen Pferch? Nun hat
Unser Herr nur eine Herde (Joh 10,11f); sie untersteht also insgesamt
dem hl. Petrus.
Doch wenn er ihm sagte: Weide meine Schafe, hat er ihm entweder alle
anvertraut oder nur einige. Wenn er ihm nur einige anvertraut hat, welche
dann? Ich bitte euch: hieße es nicht, ihm keines anvertrauen, wenn er ihm
nur einige anvertraute, ohne ihm zu sagen, welche, und ihm die Sorge für
unbekannte Schafe zu übertragen? Wenn alle, wie das Wort besagt, dann
war er der oberste Hirte der ganzen Kirche. So ist es auch ohne Zweifel;
das ist die gewöhnliche Auslegung der alten Väter; das ist die Erfüllung
seiner Verheißungen.
In dieser Einsetzung liegt aber ein Geheimnis; der hl. Bernhard, den
ich schon als Führer in dieser Frage gewählt habe, läßt nicht zu, daß ich es
vergesse. Es liegt darin, daß Unser Herr ihn dreimal beauftragt, das Amt
des Hirten auszuüben, indem er ihm sagt, 1. Weide meine Lämmer, 2.
meine Schäflein, 3. meine Schafe. Das tat er nicht nur, um diese Einset-
zung feierlicher zu machen, sondern um zu zeigen, daß er ihm nicht nur
die Völker anvertraute, sondern auch die Hirten und die Apostel selbst,
die als Schafe die Lämmer und Schäflein nähren und deren Mütter sind.
Es spricht nicht gegen diese Wahrheit, daß der hl. Paulus und die ande-
ren Apostel viele Völker mit der Lehre des Evangeliums genährt haben.
Da sie alle unter der Leitung des hl. Petrus standen, kommt alles, was sie
getan haben, auch ihm zu, wie der Sieg dem Feldherrn, obwohl die Haupt-
leute gekämpft haben. Ebenso nicht, daß der hl. Petrus dem hl. Paulus die
Hand zum Zeichen der Gemeinschaft gab (Apg 2,9). Sie waren Gefährten
in der Verkündigung, aber der hl. Petrus überragte ihn im Hirtenamt. Die
Befehlshaber nennen die Soldaten und Hauptleute Kameraden.
Auch nicht, daß der hl. Paulus Apostel der Heiden genannt wird, der hl.
Petrus Apostel der Juden (Gal 2,7). Das geschah nicht, um die Leitung
der Kirche aufzuteilen, noch um den einen oder den anderen daran zu
hindern, unterschiedslos sowohl die Heiden als auch die Juden zu bekeh-

194
ren; vielmehr sollte dadurch das Gebiet bezeichnet werden, auf dem sie
vor allem durch die Predigt wirken sollten, damit die Welt früher vom
Klang des Evangeliums erfüllt werde, wenn jeder von seiner Seite gegen
die Gottlosigkeit vorging.
Es spricht auch nicht dagegen, daß der hl. Petrus scheinbar nicht er-
kannte, daß die Heiden zum Schafstall Unseres Herrn gehören müssen.
Er sagte zu Kornelius: Ich begreife in Wahrheit, daß Gott nicht auf die
Person sieht, daß ihm vielmehr in jedem Volk der angenehm ist, der ihn
fürchtet und Gerechtigkeit übt (Apg 10,34f). Das heißt doch nichts ande-
res, als was er lange Zeit vorher gesagt hatte: Jeder, der den Namen des
Herrn anruft, wird gerettet (Apg 2,21), und die Vorhersage, die er auslegte:
In deinem Stamm sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet sein (Apg
3,25). Er war aber nicht sicher, wann mit der Rückführung der Heiden
begonnen werden sollte, entsprechend dem Wort des Meisters: Ihr sollt
meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria und bis an die
Grenzen der Erde (Apg 1,8), und nach dem Wort des hl. Paulus: Euch
muß das Wort Gottes zuerst gepredigt werden; doch weil ihr es zurückweist,
wenden wir uns an die Heiden (Apg 13,46). Unser Herr selbst hatte dem
Geist der Apostel den Sinn der Heiligen Schrift erschlossen, als er ihnen
(Lk 24,47) sagte: In seinem Namen muß allen Völkern, angefangen mit
Jerusalem, Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden.
Es sagt auch nichts, daß die Apostel ohne Auftrag des hl. Petrus Diako-
ne bestellten (Apg 6,6). Da der hl. Petrus dabei war, autorisierte er diese
Handlung hinreichend. Außerdem leugnen wir nicht, daß die Apostel
unter der Oberaufsicht des hl. Petrus die volle Leitungsgewalt in der Kir-
che hatten. Ebenso nicht, daß die Apostel den Petrus und Johannes nach
Samaria entsandten (Apg 8,14). Das Volk sandte auch den Hohepriester
und Vorsteher Pinhas zu den Rubenitern und Gaditern (Jos 22,13); der
Hauptmann schickte die Ältesten und Vorsteher der Juden, die er für
mehr als sich selbst hielt (Lk 7,3.7). Da der hl. Petrus selbst beim Rat
anwesend war, stimmte er zu und autorisierte seine eigene Entsendung.
Schließlich besagt nichts, was man so laut hinausposaunt, daß der hl.
Paulus dem hl. Petrus ins Angesicht widersprach (Gal 2,11). Jeder weiß
doch, daß es dem Geringeren erlaubt ist, dem Größeren zu widerspre-
chen und ihn zu tadeln, wenn es die Liebe erfordert. Das bestätigt der hl.
Bernhard in seinen Büchern „De Consideratione“, und der hl. Gregor
sagt zu dieser Frage die ganz goldenen Worte: „Er wurde dem Geringeren

195
folgsam, damit er auch darin vorangehe. Der Erste auf dem Gipfel des
Apostelamtes wurde auf diese Weise auch der Erste in der Demut.“

6. Artikel: Die Ordnung, nach der die Evangelisten


die Apostel aufzählen.

In diesem Zusammenhang ist sehr bemerkenswert,25 daß die Evangeli-


sten nie entweder alle Apostel oder einen Teil von ihnen nennen, ohne
stets den hl. Petrus hervorzuheben und an die Spitze der Gruppe zu set-
zen. Man kann nicht annehmen, daß das zufällig geschehen ist, sondern
wird von den Evangelisten ständig eingehalten, und sie werden nicht nur
vier- oder fünfmal, sondern sehr oft miteinander genannt; im übrigen
aber halten sie bei den Aposteln keine Rangordnung ein. Die Namen der
zwölf Apostel sind, sagt der hl. Matthäus (10,2): An erster Stelle Simon, der
Petrus genannt wird, und sein Bruder Andreas, Jakobus, der Sohn des Ze-
bedäus, und sein Bruder Johannes, Philippus und Bartholomäus, Thomas
und Matthäus der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus,
Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verraten sollte. Er nennt den
hl. Andreas als zweiten, der hl. Markus (3,18) als vierten und der hl.
Lukas setzt ihn einmal (Lk 6,14) an die zweite, einmal (Apg 1,13) an die
vierte Stelle, um zu zeigen, daß es unwichtig ist. Der hl. Matthäus nennt
den hl. Johannes als vierten, der hl. Johannes als dritten, der hl. Lukas an
einer Stelle als vierten, an der anderen als zweiten. Mit einem Wort, nur
der hl. Philippus, der hl. Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Judas ste-
hen nicht bald weiter oben, bald weiter unten.

Wenn die Evangelisten an anderen Stellen alle miteinander nennen,


gibt es nichts zu beobachten, als daß der hl. Petrus durchwegs an der
Spitze steht. Nun denn, stellen wir uns vor, daß wir auf den Fluren, auf der
Straße, in Versammlungen sehen, was wir in den Evangelien lesen, und
das ist noch gewisser, als hätten wir es gesehen: wenn wir stets den hl.
Petrus an erster Stelle sehen und die übrigen durcheinander, werden wir
dann nicht zu dem Urteil kommen, daß die anderen gleichrangig und
Gefährten sind, der hl. Petrus aber das Haupt und der Anführer?

Außerdem aber nennen die Evangelisten sehr oft nur den hl. Petrus,
wenn sie von der Apostelschar sprechen, und erwähnen die anderen ne-

196
benbei anschließend: Es folgten ihm Simon und die bei ihm waren (Mk
1,36). Petrus, und die bei ihm waren, sagte (Lk 8,45). Petrus und die bei ihm
waren, wurden vom Schlaf übermannt (Lk 9,32). Ihr wißt sicher, wenn
man eine Person mit Namen nennt und die anderen gemeinsam mit ihr,
heißt das, ihn für bedeutender zu halten und die anderen für weniger
bedeutend.
Sehr oft nennt man ihn auch gesondert von den anderen; so der Engel:
Sagt seinen Jüngern und dem Petrus (Mk 16,7). Petrus stand da mit den Elf
(Apg 2,14). Sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln (2,37). Petrus
und die Apostel antworteten und sagten (5,29). Haben wir nicht das Recht,
eine Schwester als Frau mitzunehmen wie die anderen Apostel, die Brüder
des Herrn und Kephas? (1 Kor 9,5). Was heißt das: Sagt seinen Jüngern
und dem Petrus? War Petrus kein Apostel? Entweder war er weniger oder
mehr als sie oder ihnen gleich. Keiner, der nicht hoffnungslos verbohrt
ist, wird behaupten, daß er weniger war. Wenn er den anderen gleichge-
stellt war, warum nennt man ihn gesondert? Wenn nichts besonders an
ihm war, warum sagt man nicht ebensogut: Sagt seinen Jüngern und dem
Andreas oder Johannes? Gewiß muß er eine besondere Eigenschaft ha-
ben, die die anderen nicht besitzen, und mehr als ein einfacher Apostel
sein. Wenn es nur hieße: Sagt den Jüngern, oder wie die übrigen Jünger,
könnte man noch daran zweifeln, daß Petrus mehr als Apostel und Jünger
war.
Nur einmal wird der hl. Petrus in der Heiligen Schrift nach dem hl.
Jakobus genannt: Da gaben Jakobus, Kephas und Johannes die Hand zur
Gemeinschaft (Gal 2,9). Tatsächlich gibt es zu viel Grund zu zweifeln, ob
im Original und in frühester Zeit Petrus an erster oder zweiter Stelle
genannt wurde, um aus dieser einzigen Stelle einen stichhaltigen Schluß
zu ziehen. Der hl. Augustinus, der hl. Ambrosius und der hl. Hieronymus
haben sowohl im Kommentar wie im Text geschrieben: Petrus, Jakobus,
Johannes. Das hätten sie nie getan, hätten sie nicht in ihren Ausgaben
diese Reihenfolge gefunden. Dasselbe hat der hl. Chrysostomus in sei-
nem Kommentar getan. Das zeigt die Verschiedenheit der Ausgaben und
macht die Schlußfolgerung der einen und der anderen Seite zweifelhaft.
Aber selbst wenn die Ausgaben, die wir jetzt haben, dem Original ent-
sprächen, könnte man aus dieser einzigen Stelle nicht einen Schluß zie-
hen, der im Widerspruch zu so vielen anderen steht. Es kann ja sein, daß
sich der hl. Paulus an die zeitliche Reihenfolge hält, in der sie ihm die
Hand zur Gemeinschaft gaben, oder daß er, ohne sich um die Rangfolge
zu kümmern, zuerst den schrieb, der ihm einfiel. Der hl. Matthäus dage-

197
gen zeigt uns klar, welche Rangordnung es unter den Aposteln gab, d. h.
daß es einen ersten gab und die übrigen gleichrangig waren, ohne einen
zweiten oder dritten: An erster Stelle Simon, der auch Petrus heißt, sagt er.
Er sagt nicht: An zweiter Stelle Andreas, an dritter Jakobus, sondern
nennt sie einfach, um uns zu erkennen zu geben, daß wohl der hl. Petrus
der erste war, alle anderen aber gleich, und daß es unter ihnen keinen
Vorrang gab. Primus, sagt er, Petrus und Andreas. Davon ist der Ausdruck
„Primat“ abgeleitet; denn wenn er der erste war, war seine Stellung erst-
rangig und seine Eigenschaft der Primat.
Dagegen wendet man ein: Wenn die Evangelisten den hl. Petrus als
ersten nannten, dann deswegen, weil er der Älteste unter den Aposteln
war, oder wegen irgendwelcher Vorzüge, die er besaß. Aber ich bitte euch:
was heißt das? Behaupten, daß der hl. Petrus der Älteste in der Gruppe
gewesen sei, das heißt auf gut Glück eine Entschuldigung für den Starr-
sinn suchen. Man sieht ganz klare Beweise in der Heiligen Schrift, weil
man aber entschlossen ist, am Gegenteil festzuhalten, sucht man da und
dort mit seiner Phantasie. Warum sagt man, der hl. Petrus sei der Älteste
gewesen, obwohl es reine Phantasie ist, die keine Grundlage in der Heili-
gen Schrift hat und im Widerspruch zu den alten Vätern steht? Warum
sagt man nicht lieber, daß er es war, auf den Unser Herr seine Kirche
baute, dem er die Schlüssel des Himmelreiches übergab, der Bestärker
der Brüder? Das alles steht in der Heiligen Schrift. Was man behaupten
will, behauptet man; ob es eine Grundlage in der Heiligen Schrift hat
oder nicht, spielt keine Rolle. Und was die anderen Vorzüge betrifft, so
zähle man sie mir der Reihe nach auf; man wird beim hl. Petrus keine
besonderen finden als jene, die ihn zum Oberhaupt der Kirche machen.

7. Artikel: Einige weitere Hinweise auf den Primat des hl. Petrus, die in
der Heiligen Schrift verstreut sind.

Wenn ich alles anführen wollte, was ich darüber gefunden habe, würde
ich den Beweis zu umfangreich machen, den ich in diesem ganzen Teil
führen will. Es fiele mir nicht schwer, denn der ausgezeichnete Theologe
Robert Bellarmin gäbe mir vieles an die Hand; vor allem aber hat Dr.
Nikolaus Sanders diesen Gegenstand so gediegen und ausführlich behan-
delt, daß man darüber schwerlich etwas sagen könnte, was er nicht in

198
seinen Büchern „Von der sichtbaren Monarchie“ gesagt und geschrieben
hätte. Ich will euch einige Proben davon vorlegen.
Wenn die Kirche (Mt 16,18) mit einem Bauwerk verglichen wird, wie
es geschehen ist, dann ist sein Fels und sein hauptsächliches Fundament
der hl. Petrus. Wenn ihr sie mit einer Familie vergleicht (1 Tim 3,15),
dann zahlt in ihr nur Unser Herr als Hausvater Steuer und nach ihm der
hl. Petrus als sein Stellvertreter (Mt 17,26).
Wenn einem Fischerboot, dann ist der hl. Petrus sein Eigentümer; von
ihm aus lehrt Unser Herr (Lk 5,3).
Wenn einem Fischfang, dann ist der hl. Petrus der erste; die echten
Jünger Unseres Herrn fischen nur mit ihm (Lk 5,10; Joh 21,3).
Was Garn und Netze betrifft (Mt 13,47), ist es der hl. Petrus, der sie ins
Meer auswirft, der sie einzieht (Lk 5,5.7); die anderen Jünger sind dabei
Helfer; der hl. Petrus bringt sie an Land und bietet Unserem Herrn die
Fische an (Joh 21,11).
Sagt ihr, daß sie einer Gesandtschaft gleicht? Der hl. Petrus ist dabei
der erste (Mt 10,2.5).
Sagt ihr, daß sie eine Bruderschaft ist? Der hl. Petrus ist in ihr der erste,
der Leiter, der Bestärker der anderen (Lk 22,32).
Wollt ihr lieber, daß sie ein Reich ist? Der hl. Petrus trägt die Schlüssel
zu ihm (Mt 16,19).
Wollt ihr, daß sie ein Pferch oder Schafstall der Schafe des Lammes ist?
Der hl. Petrus ist ihr Hüter und allgemeiner Hirte (Joh 21,17).
Nun sagt aufrichtig: Wie hätte Unser Herr seine Absicht lebhafter kund-
tun können? Ist der Eigensinn stockblind bei so viel Licht? Der hl. An-
dreas folgte Unserem Herrn als erster nach; er führte seinen Bruder, den
hl. Petrus zu ihm, und der hl. Petrus geht überall voraus. Was will das
anderes heißen als: der Vorrang, den der eine an Zeit hatte, den hatte der
andere an Würde?
Doch gehen wir weiter. Als Unser Herr in den Himmel aufgefahren ist,
zieht sich die ganze heilige Apostelschar beim hl. Petrus als dem gemein-
samen Vater der Familie zurück (Apg 1,15); der hl. Petrus erhebt sich als
erster von ihnen und spricht (1,16); er verkündet die Auslegung einer
schwerwiegenden Prophezeiung; er trägt als erster Sorge für die Wieder-
herstellung und Zunahme der Zahl der Apostel als Oberhaupt und Füh-
rer (1,21). Er war es, der als erster vorschlug, einen Apostel zu wählen.
Das war ein Zug nicht geringer Autorität, denn die Apostel hatten nicht
alle einen Nachfolger und durch den Tod verloren sie ihre Autorität nicht;

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doch der hl. Petrus belehrt die Kirche und zeigt, daß Judas seine Apostel-
würde verloren hat und daß ein anderer seinen Platz einnehmen mußte,
entgegen der gewöhnlichen Ordnung dieser Autorität, die nach dem Tod
in anderen weiterbesteht, die sie am Tag des Gerichtes noch ausüben,
denn da werden sie rings um den Richter sitzen und die zwölf Stämme
Israels richten (Mt 19,28).
Kaum hatten die Apostel und Jünger den Heiligen Geist empfangen, da
begann der hl. Petrus als Haupt der evangelischen Gemeinschaft seinem
Amt entsprechend den Juden in Jerusalem die Frohe Botschaft des Heils
zu verkünden. Er ist der erste Katechet der Kirche und predigt Buße (Apg
2,14.38). Die anderen sind bei ihm und man befragt alle, aber der hl.
Petrus antwortet allein für alle als das Oberhaupt aller.
Wenn man Hand an den Schatz der Wunder legen muß, der der Kirche
anvertraut ist, dann tut es der hl. Petrus allein, obwohl der hl. Johannes
dabei war und angesprochen wurde.
Muß man anfangen, das geistliche Schwert der Kirche zu gebrauchen,
um die Lüge zu bestrafen? Der hl. Petrus führt den ersten Streich gegen
Hananias und Saphira (Apg 5,3). Daher kommt der Haß, den alle Lügner
gegen den Heiligen Stuhl haben, weil „Petrus die Lügner durch das Wort
tötet“, wie der hl. Gregor sagt.
Er ist der erste, der die Toten erweckt, als er für die fromme Tabita betet
(Apg 9,40).
Ist es Zeit, die Hand an die Ernte des Heidentums zu legen? Die Offen-
barung darüber ergeht an den hl. Petrus als Haupt aller Arbeiter und als
Verwalter des Gutshofs (Apg 10,9). Der fromme römische Hauptmann
Kornelius ist bereit, die Gnade des Evangeliums zu empfangen: man ver-
weist ihn an den hl. Petrus, damit durch seine Hände das Heidentum
dargebracht und gesegnet werde (Apg 10,5). Er ist der erste, der anordnet,
daß man die Heiden taufe (10,48).
Hält man ein allgemeines Konzil? Der hl. Petrus als Vorsitzender er-
öffnet die Erörterung und den Beschluß, und seinem Spruch folgen die
anderen, seine besondere Offenbarung dient dabei als Gesetz (15,7).
Der hl. Paulus bekennt, daß er eigens nach Jerusalem kam, um den hl.
Petrus zu treffen. Er blieb vierzehn Tage bei ihm (Gal 1,18). Er sah den
hl. Jakobus, aber er war nicht gekommen, um ihn zu treffen, sondern nur
den hl. Petrus. Was ist dazu zu sagen? Daß er nicht ebensogut hinging, um
den großen Apostel und hervorragenden Heiligen Jakobus zu sehen, wie
den hl. Petrus? Weil man die Leute am Kopf und im Gesicht anschaut und
der hl. Petrus das Haupt aller Apostel war.

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Als er im Gefängnis war, verrichtete die ganze Kirche andauernd Gebe-
te für ihn (Apg 12,5).
Wenn das nicht heißt, der Erste und das Haupt der Apostel sein, dann
behaupte ich, daß die Apostel keine Apostel sind, die Hirten keine Hir-
ten, die Lehrer keine Lehrer. Denn mit welch anderen noch ausdrückli-
cheren Worten und Hinweisen könnte man einen als Hirten, als Lehrer,
als Apostel kenntlich machen als mit denen, die der Heilige Geist in der
Heiligen Schrift gegeben hat, um den hl. Petrus als Haupt der Kirche zu
kennzeichnen?

8. Artikel: Das Zeugnis der Kirche für diese Tatsache.

Die Heilige Schrift genügt wahrhaftig; doch überlegen wir, wer sie ver-
gewaltigt und gegen sie verstößt. Wenn wir es unternehmen, aus ihr den
Primat des hl. Petrus abzuleiten, könnte man meinen, daß wir sie pressen.
Doch wie? Sie ist in dieser Tatsache sehr klar und wurde von der ganzen
Urkirche in diesem Sinn verstanden. Also vergewaltigen sie jene, die ei-
nen neuen Sinn hineinlegen, die sie gegen den natürlichen Sinn ihrer
Worte und entgegen dem Verständnis der Frühzeit heranziehen. Wenn
das jedem erlaubt ist, wird die Heilige Schrift nur noch als Spielball für
phantastische und störrische Geister dienen.
Was will es besagen, daß die frühe Kirche als Patriarchatssitze stets nur
die von Rom, Alexandria und Antiochia anerkannte? Man mag tausend
Erklärungen ersinnen, aber es gibt dafür keinen anderen Grund als jenen,
den der hl. Leo anführt: weil der hl. Petrus diese drei Bischofssitze ge-
gründet hat, wurden sie als Patriarchate betrachtet und anerkannt. Das
bestätigen das Konzil von Nicäa und das von Chalcedon, auf dem man
einen großen Unterschied zwischen diesen drei Bischofssitzen und den
anderen machte.
Was den Sitz von Konstantinopel und von Jerusalem betrifft, muß man
die Konzilsakten lesen und wird den Unterschied sehen, den man zwi-
schen ihnen und den drei vom hl. Petrus gegründeten macht. Das Konzil
von Nicäa spricht ja nicht vom Sitz von Konstantinopel, denn Konstanti-
nopel hatte zu der Zeit noch keinen; es wurde erst durch Konstantin den
Großen dazu erhoben, der es im 25. Jahr seiner Regierung gründete und
ihm den Namen gab. Das Konzil von Nicäa behandelt aber den Sitz von
Jerusalem, das Konzil von Chalcedon den von Konstantinopel. Durch
den Vorrang und Vorzug dieser drei Bischofssitze hat die frühe Kirche

201
hinreichend bestätigt, daß sie den hl. Petrus als ihr Oberhaupt betrachtet,
der sie gegründet hat. Hätte sie sonst nicht den Bischofssitz von Ephesus
auch auf eine ähnliche Stufe gestellt, den der hl. Paulus errichtet, der hl.
Johannes bestätigt und befestigt hat, oder den Bischofssitz von Jerusa-
lem, wo der hl. Jakobus wohnte, der ihn innehatte?
Wenn die Kirche in öffentlichen Urkunden, die man früher „förmli-
che“ nannte, nach den Anfangsbuchstaben des Vaters, des Sohnes und des
Heiligen Geistes den Anfangsbuchstaben von Petrus setzte, was bezeugte
sie damit anderes, als daß nach dem allmächtigen Gott, dem unbeschränk-
ten König, die Autorität des Statthalters in großem Ansehen stand bei
denen, die gute Christen sind?
Was die Übereinstimmung der Väter in dieser Frage betrifft, hat San-
ders der Nachwelt jeden Anlaß entzogen, daran zu zweifeln. Ich will nur
die Namen wiedergeben, mit denen sie ihn nannten; sie beweisen hinrei-
chend ihren Glauben.
Sie nannten ihn „Oberhaupt der Kirche“, so der hl. Hieronymus und
der hl. Chrysostomus in der Predigt 56 über das Matthäus-Evangelium.
Optatus von Mileve nennt ihn „Haupt“, „Seliges Fundament der Kirche“,
wie der hl. Hilarius, und „Himmelspförtner“.
Den „ersten Apostel“, wie der hl. Augustinus (nach Mt 10,2); „Mund
und Haupt der Apostel“, wie Origenes und der hl. Chrysotomus; „Spre-
cher und Fürst der Apostel“, wie der gleiche hl. Chrysostomus; „Vorste-
her der Brüder und des Erdkreises“, wie derselbe; „Hirt der Kirche und
Haupt, härter als Stahl“, „Grundlage der Kirche“, „unzerstörbarer Fels,
unverrückbare Säule, Großer Apostel, Erster der Jünger, als erster beru-
fen und als erster gehorsam“.
„Stütze der Kirche, Führer und Lehrer der Christen, Säule des geistigen
Israel, Lenker der Schwankenden, Lehrer des Himmels, Mund Christi,
höchster Gipfel der Apostel, Fürst der Kirche, Hafen des Glaubens, Leh-
rer des Erdkreises“ (Chrysostomus).
„Erster auf dem Gipfel des Apostolates“ (Gregor), „Hohepriester der
Christen, Lehrer des Heerbanns Christi“ (Eusebius). „Vorsteher der üb-
rigen Jünger“ (Basilius), „Vorsteher des Erdkreises“ (Chrys.), „Herr des
Hauses des Herrn und Fürst all seines Besitzes“ (Bernhard).
Wer wird sich dieser Gemeinschaft zu widersetzen wagen? So sprachen
sie; so verstanden sie die Heilige Schrift.

202
9. Artikel: Der hl. Petrus hatte als Stellvertreter
Unseres Herrn Nachfolger.

Ich habe oben schlüssig bewiesen, daß die katholische Kirche eine Mon-
archie war, in der ein Statthalter alles übrige leitete. Es war also nicht der
hl. Petrus allein, der ihr Oberhaupt war, denn wie die Kirche nicht mit
dem Tod des hl. Petrus aufhörte, so fehlte es ihr nicht an der Autorität
eines Oberhauptes; sonst wäre sie nicht einig und nicht auf dem Weg, auf
den ihr Gründer sie gestellt hat.
Alle Gründe, derentwegen Unser Herr diesem Leib ein Haupt gegeben
hat, verlangen in Wahrheit nicht so sehr, daß es das am Anfang gab, da die
Apostel, die die Kirche leiteten, heilig, demütig, liebenswürdig waren,
die Einheit und Eintracht liebten, als in der Folge bei ihrem Fortschritt,
als die Liebe erkaltete, jeder sich selbst liebt, keiner sich an die Anord-
nung eines anderen halten und der Disziplin unterwerfen will.
Ich bitte euch, wenn die Apostel, deren Verstand der Heilige Geist so
hell erleuchtet hat, so stark und mächtig, einen Bestärker und Hirten
brauchten für die Erhaltung ihrer Einheit, um wieviel mehr jetzt die Kir-
che in ihrer Notlage, da so viele Gebrechen und Schwächen bei den Glie-
dern der Kirche herrschen?
Die Begründung des hl. Hieronymus ist wohl jetzt noch ganz anders am
Platz als zur Zeit der Apostel: „Unter allen wird einer ausgewählt, damit
er zum Oberhaupt bestellt und der Anlaß zur Spaltung beseitigt wird.“
Der Schafstall Unseres Herrn muß bis zur Vollendung der Welt (Mt 28,20)
bestehen in Einheit, daher muß auch die Einheit eines Hirten weiterbe-
stehen. Das alles wurde oben gut belegt. Daraus folgt handgreiflich, daß
der hl. Petrus Nachfolger hatte, sie noch hat und bis zur Vollendung der
Zeit haben wird.

10. Artikel: Die erforderlichen Bedingungen für Nachfolger.

Ich behaupte hier nicht, daß ich die Schwierigkeiten erschöpfend be-
handle, mir genügt es, einige grundlegende Beweise vorzulegen und unse-
ren Glauben verständlich zu machen. Wollte ich mich bei den Einwän-
den aufhalten, die man gegen diesen Punkt macht, hätte ich mehr Lange-
weile als Mühe, und die meisten sind so unbedeutend, daß es sich nicht
lohnt, die Zeit damit zu verlieren. Sehen wir, welche Voraussetzungen
erforderlich sind für die Nachfolge in einem Amt.

203
Man kann nur dem nachfolgen, der abtritt und seinen Platz verläßt, sei
es durch Absetzung oder durch den Tod. Daher ist Unser Herr immer
Oberhaupt und Hohepriester der Kirche; er kann keinen Nachfolger ha-
ben, weil er immer lebt und das Hohepriestertum nicht abgetreten oder
aufgegeben hat, auch wenn er es teilweise durch seine Beauftragten und
Diener in der streitenden Kirche hier auf Erden ausübt. Aber diese Be-
auftragten und Statthalter, soviele Hirten es gibt, können ihr Amt und
ihre Würde abtreten und treten sie ab, sei es durch Absetzung, sei es
durch den Tod.
Nun haben wir gezeigt, daß der hl. Petrus das beauftragte Oberhaupt
der Kirche war und daß dieses Amt oder diese Würde ihm nicht für ihn
allein übertragen wurde, sondern zum Wohl und Nutzen der ganzen Kir-
che, so daß es ein ständiges Amt in der streitenden Kirche sein muß. Aber
wie könnte das immerwährend sein, wenn der hl. Petrus keinen Nachfol-
ger hätte? Man kann doch nicht bezweifeln, daß der hl. Petrus nicht mehr
Hirte der Kirche ist, da er nicht mehr zur streitenden Kirche gehört, ja
keine sichtbare Person ist, was eine notwendige Voraussetzung ist, um in
der sichtbaren Kirche ein Amt zu bekleiden. Bleibt noch zu wissen, wie
er abgetreten ist, wie er sein Pontifikat beendet hat, ob durch Absetzung
zu Lebzeiten oder durch den natürlichen Tod. Dann kann man sehen, wer
ihm nachfolgte und mit welchem Recht.
Einerseits zweifelt niemand daran, daß der hl. Petrus sein Amt das
ganze Leben ausgeübt hat. Das Wort Unseres Herrn: Weide meine Schafe
(Joh 21,17) bedeutete für ihn nicht nur eine Einsetzung in das höchste
Hirtenamt, sondern einen unbegrenzten Auftrag, der keine andere Be-
grenzung hatte als durch das Ende seines Lebens, genau so wie das andere
Wort: Predigt das Evangelium allen Geschöpfen; dem gingen die Apostel
bis zu ihrem Tod nach. Solange also der hl. Petrus dieses sterbliche Leben
führte, hatte er keinen Nachfolger. Er legte sein Amt nicht nieder und
wurde nicht abgesetzt. Das hätte ja nicht geschehen können, außer durch
die Irrlehre, die bei den Aposteln nie Eingang fand, viel weniger bei ih-
rem Oberhaupt, wenn ihn nicht der Herr des Schafstalls enthoben hätte,
was nicht geschah.
Es war also der Tod, der ihn von diesem Wachposten und von dieser
allgemeinen Aufsicht als ordentlicher Hirte über den Schafstall seines
Herrn ablöste. Doch wer folgte an seiner Stelle nach? Was das betrifft,
stimmt das ganze Altertum darin überein, daß das der Bischof von Rom
ist, uzw. aus folgendem Grund: Der hl. Petrus starb als Bischof von Rom,
also war der Bischofssitz von Rom der letzte Sitz des Oberhaupts der

204
Kirche, daher folgte der Bischof von Rom, der es nach dem Tod des hl.
Petrus wurde, dem Oberhaupt der Kirche nach und wurde folglich Ober-
haupt der Kirche.
Irgendjemand könnte sagen, er folgte dem Oberhaupt der Kirche nach
als Bischof von Rom, nicht jedoch in der Regierung der Welt. Der müßte
aber zeigen, daß der hl. Petrus zwei Sitze innehatte, einen für Rom, den
anderen für die Welt, was nicht zutrifft. Er hatte wohl tatsächlich einen
Bischofssitz in Antiochien, doch der ihn nach ihm innehatte, hatte nicht
die allgemeine Stellvertretung, weil der hl. Petrus nachher noch lange
lebte und dieses Amt nicht niedergelegt hatte. Vielmehr hatte er Rom zu
seinem Amtssitz gewählt und starb als Bischof von Rom. Der ihm nach-
folgte, folgte ihm einfach nach und nahm seinen Bischofssitz ein; der aber
war der oberste Bischofssitz der ganzen Welt und des Bistums von Rom
im besonderen, so daß der Bischof von Rom der allgemeine Statthalter in
der Kirche und Nachfolger des hl. Petrus blieb. Das will ich nun so schlüs-
sig beweisen, daß nur Starrköpfe daran zweifeln können.

11. Artikel: Daß der Bischof von Rom der echte Nachfolger des hl. Petrus
und das Oberhaupt der streitenden Kirche ist.

Ich habe vorausgesetzt, daß der hl. Petrus Bischof von Rom war und als
solcher gestorben ist. Das bestreiten alle Gegner, ja einige von ihnen be-
streiten auch, daß er jemals in Rom war, die anderen, falls er dort war, daß
er dort gestorben ist. Ich kann jedoch nichts anderes tun, als diese Be-
hauptungen im einzelnen widerlegen; denn wenn ich klar bewiesen habe,
daß der hl. Petrus Bischof von Rom war und als solcher gestorben ist,
habe ich auch hinreichend bewiesen, daß der Bischof von Rom der Nach-
folger des hl. Petrus ist. Alle meine Beweise und meine Zeugen lauten in
ausdrücklichen Worten, daß der Bischof von Rom dem hl. Petrus nach-
folgte; das ist meine Absicht. Daraus geht außerdem dennoch eine klare
Gewißheit hervor, daß der hl. Petrus in Rom war und dort gestorben ist.
Hier ist mein erster Zeuge: der hl. Clemens, Schüler des hl. Petrus, im
ersten Brief, den er „an Jakobus, den Bruder des Herrn“, schrieb. Er ist so
authentisch, daß ihn Rufinus vor ungefähr 1200 Jahren übersetzt hat. Er
schreibt: „Simon Petrus, der erste Apostel, hat den König der Zeiten der

205
Stadt Rom bekannt gemacht, damit auch sie gerettet werde. Als er im
Begriff war, aus Frömmigkeit zu sterben, ergriff er in der Versammlung
meine Hand und sagte: Diesen Clemens bestimme ich für euch als Bi-
schof, ihm allein übertrage ich meinen Sitz der Predigt und Lehre; (und
etwas später): ihm übertrage ich die mir vom Herrn verliehene Gewalt,
zu binden und zu lösen.“ Was die Echtheit dieses Briefes betrifft, sagt
Damasus „in Pontificali“ in der Lebensbeschreibung des Clemens: „Im
Brief an Jakobus wirst du finden, wie dem Clemens vom hl. Petrus die
Kirche anvertraut wurde.“ Und Rufinus, im Vorwort zu den Büchern der
„Anerkennung“ des hl. Clemens, spricht sehr ehrenvoll von ihm und sagt,
er habe ihn ins Lateinische übersetzt, und der hl. Clemens bezeuge darin
seine Einsetzung, „und daß er ihm als Nachfolger die Kanzel überlassen
hat“. Dieses Zeugnis zeigt sowohl, daß der hl. Petrus in Rom gepredigt
hat, als auch, daß er dort Bischof war. Denn wäre er nicht Bischof gewe-
sen, wie hätte er dem hl. Clemens die Kanzel überlassen können, wenn er
dort keine hatte?
Der zweite ist der hl. Irenäus: (Von der Überlieferung) „der größten,
ältesten und allbekannten Kirche, die von den beiden ruhmreichen Apo-
steln Petrus und Paulus in Rom gegründet wurde ...;“ und wenig später:
„Nachdem also die heiligen Apostel die Kirche gegründet und geordnet
hatten, übertrugen sie dem Linus das Bischofsamt zu ihrer Leitung; auf
ihn folgte Anacletus; nach ihm erlangte Clemens als dritter von den Apo-
steln das Bischofsamt.“
Der dritte ist Tertullian: „Die römische Kirche nennt Clemens als vom
hl. Petrus bestellt, d. h. sie weist es durch Dokumente und öffentliche
Beweise nach;“ und im gleichen Buch: „Glückliche Kirche, über die die
Apostel die ganze Lehre mit ihrem Blut ergossen.“ Er spricht von der
römischen Kirche, „wo Petrus dem Herrn im Leiden gleich wurde“. Hier
seht ihr, daß der hl. Petrus in Rom gestorben ist und dort den hl. Clemens
eingesetzt hat. Wenn man dieses Zeugnis zusammen mit den anderen
nimmt, sieht man, daß er dort Bischof war und dort lehrend gestorben ist.
Der vierte ist der hl. Cyprian: „Sie wagen es, zum Lehrstuhl Petri und
zur ersten Kirche zu kommen, von der die Einheit des Priestertums aus-
gegangen ist.“ Er spricht von der römischen Kirche.
Eusebius in der Chronik des Jahres 44: „Petrus, seiner Herkunft nach
Galiläer, erster Hohepriester der Christen, ging, nachdem er zuerst die
Kirche von Antiochien gegründet hatte, nach Rom. Hier verkündete er
25 Jahre das Evangelium und bleibt Bischof dieser Stadt.“

206
Epiphanius: „Die Reihenfolge der Bischöfe von Rom ist: Petrus und
Paulus, Linus, Cletus, Clemens ...“
Dorotheus in der ‘Sinopse‘: „Linus war nach dem Oberhaupt Petrus
Bischof von Rom.“
Optatus von Mileve: „Du kannst nicht leugnen, daß du weißt, daß in der
Stadt Rom zuerst Petrus der Bischofsstuhl errichtet wurde, auf dem Pe-
trus, das Haupt aller Apostel saß;“ und etwas später: „Ihn hatte zuerst
Petrus inne; ihm folgte Linus, diesem Clemens.“
Hieronymus an Damasus: „Ich spreche zum Nachfolger des Fischers
und Jüngers des Kreuzes; ich vereinige mich Eurer Heiligkeit, d. h. der
Kathedra Petri, zur Gemeinschaft.“ Der hl. Augustinus an Generosus:
„Auf Petrus folgte Linus, auf Linus Clemens.“
Als die Legaten des Heiligen Stuhles auf dem 4. allgemeinen Konzil
von Chalcedon den Spruch gegen Dioscorus fällen wollten, sagten sie:
„Daher hat Leo, der heiligste und glücklichste Bischof des großen und
ältesten Rom, durch uns diese heilige Synode, in Einheit mit dem allerse-
ligsten und allen Lobes würdigen heiligen Apostel Petrus, dem Fels und
der Grundfeste der katholischen Kirche, ihn der bischöflichen Würde
entkleidet und ihn aus dem priesterlichen Dienst entfernt.“ Beachtet die-
sen Vorgang ein wenig: Einzig der Bischof von Rom enthebt ihn durch
seine Legaten und das Konzil seines Amtes; sie bringen den Bischof von
Rom mit dem hl. Petrus in Verbindung, denn sie zeigen, daß der Bischof
von Rom die Stelle des hl. Petrus einnimmt.
Die Synode von Alexandria, an der Athanasius teilnahm, sagt im Brief
an Felix Wundervolles zu diesem Gegenstand und berichtet unter ande-
rem, daß man auf dem Konzil von Nicäa bestimmt hatte, es sei nicht
erlaubt, irgendein Konzil ohne Ermächtigung durch den Heiligen Stuhl
von Rom zu halten; aber die Kanones, die man darüber aufgestellt hatte,
seien von den arianischen Häretikern verbrannt worden. Tatsächlich führt
Julius I. im „Reskript gegen die Orientalen für Athanasius“ zwei Kano-
nes des Konzils von Nicäa an, die diese Frage betreffen. Diese Schrift
Julius’ I. wurde von Gratian um 400 zitiert, von Isidor 900, und der große
Kirchenvater Vinzenz von Lerin erwähnt sie um das Jahr 1000. Das sage
ich, weil nicht alle Kanones des Konzils von Nicäa vorhanden sind, son-
dern nur 20 blieben. Aber so bedeutende Autoren zitieren so viele andere
außer den 20, die wir haben, daß wir zu glauben haben, was diese alexan-
drinischen Väter oben sagten, daß die Arianer die Mehrzahl davon ver-
nichtet haben.

207
Bei Gott, richten wir den Blick auf diese sehr ehrwürdige und ganz
reine Kirche der ersten sechs Jahrhunderte und betrachten wir sie in allen
Teilen. Wenn wir sie fest glauben sehen, daß der Papst der Nachfolger des
hl. Petrus war, welche Vermessenheit ist es dann, es zu leugnen. Das ist
meiner Meinung nach ein Beweis, der keinerlei Glauben mehr erfordert,
sondern zur Genüge feststeht: Der hl. Petrus hatte als Stellvertreter Nach-
folger; und wer hatte in der frühen Kirche den Ruf, Nachfolger des hl.
Petrus und Oberhaupt der Kirche zu sein, als der Bischof von Rom?
Gewiß, soviele Autoren des Altertums es gibt, geben alle diesen Titel
dem Papst und niemals einem anderen. Wie könnten wir daher sagen, er
sei es nicht gewesen? Das heißt gewiß, die erkannte Wahrheit leugnen.
Oder sie sollen uns doch sagen, welcher andere Bischof das Oberhaupt
der Kirche und der Nachfolger des hl. Petrus ist. Auf dem Konzil von
Nicäa, von Konstantinopel und von Chalcedon sieht man nicht, daß ir-
gendein Bischof sich den Primat angemaßt hätte; er steht nach altem
Brauch dem Papst zu; außer ihm wurde keinem die gleiche Würde zuge-
sprochen. Mit einem Wort: in den ersten fünf Jahrhunderten wurde von
keinem Bischof gesagt oder vermutet, er sei das Oberhaupt oder höher als
die anderen, außer vom Bischof von Rom. Bei ihm zweifelte man wahr-
haftig nie, sondern hielt es für ganz entschieden, daß er es war. Wozu will
man also nach 1500 Jahren diese alte Überlieferung in Frage stellen? Ich
käme nie an ein Ende, wollte ich alle Versicherungen und Bestätigungen
anführen, die wir für diese Wahrheit in den Schriften der Alten haben.
Das möge indessen von dieser Seite genügen, um zu beweisen, daß der
Bischof von Rom der Nachfolger des hl. Petrus ist, daß der hl. Petrus in
Rom war und dort gestorben ist.

12. Artikel: Kurze Beschreibung des Lebens des hl. Petrus und der Einset-
zung seiner ersten Nachfolger.

Es gibt keine Frage, bei der sich die Prädikanten so anstrengen, das
Altertum anzufechten, wie bei dieser. Mit Hilfe von Vermutungen, Ein-
bildungen, Trugschlüssen, Auslegungen und mit allen Mitteln versuchen
sie zu beweisen, daß der hl. Petrus nie in Rom gewesen sei. Calvin bildet
eine Ausnahme. In der Erkenntnis, daß dies das ganze Altertum verleug-
nen hieße und daß es für seine Auffassung nicht erforderlich sei, begnügt
er sich damit zu behaupten, der hl. Petrus sei wenigstens nicht lange Bi-

208
schof in Rom gewesen: „Wegen der Übereinstimmung der Schriftsteller
bestreite ich nicht, daß er dort gestorben ist; doch daß er dort Bischof
gewesen sei, vor allem lange Zeit, davon kann ich nicht überzeugt wer-
den.“ Doch wahrhaftig, selbst wenn er nur sehr kurze Zeit Bischof von
Rom gewesen wäre, wenn er dort als Bischof gestorben ist, hat er dort
seinen Bischofssitz seinem Nachfolger hinterlassen. Auf diese Weise wer-
den wir uns mit Calvin nicht viel auseinanderzusetzen haben, da er als
sicher zuzugeben entschlossen ist, daß der hl. Petrus in Rom gestorben ist
und daß er dort Bischof war, als er starb. Was die anderen betrifft, haben
wir im vorausgehenden Artikel hinreichend nachgewiesen, daß der hl.
Petrus als Bischof von Rom gestorben ist.
Die Geschichten, die man dagegen vorbringt, sind eher langweilig als
schwierig. Wer die wahre Lebensgeschichte des hl. Petrus vor Augen hat,
wird genug wissen, um auf diese Einwände zu antworten. Deshalb will ich
darüber in Kürze berichten, was ich davon für das Wahrscheinlichste
halte. Dabei folge ich der Auffassung folgender hervorragender Theolo-
gen: Gilbert Genebrard, Erzbischof von Aix, in seiner „Chronologie“;
dem Jesuiten Robert Bellarmin in seinen „Kontroversen“. Beide halten
sich ziemlich genau an den hl. Hieronymus und an Eusebius in der „Kir-
chengeschichte“.
Unser Herr fuhr also im 18. Regierungsjahr des Tiberius in den Him-
mel auf. Nach der alten Überlieferung des Märtyrers Thraseas befahl er
den Aposteln, sich zwölf Jahre in Jerusalem aufzuhalten. Das galt gewiß
nicht für alle, sondern für einige, um das Wort wahrzumachen, das durch
Jesaja (65,1) verkündet wurde, das anscheinend auch der hl. Paulus und
Barnabas (Apg 13,46f) anführen wollen. Der hl. Petrus war aber in Lydda
und Joppe, ehe die zwölf Jahre vergangen waren (Apg 9,32; 10,5). Es
genügte daher, daß einige Apostel in Jerusalem blieben, um den Juden
Zeugnis zu geben. Der hl. Petrus blieb also nach der Himmelfahrt etwa
fünf Jahre in Jerusalem, predigte und verkündete das Evangelium. Gegen
Ende des ersten Jahres oder bald darauf wurde der hl. Paulus bekehrt
(Apg 9), der drei Jahre später nach Jerusalem kam, um den hl. Petrus zu
sehen, bei dem er vierzehn Tage blieb (Gal 1,18).
Nachdem nun der hl. Petrus etwa fünf Jahre in Judäa gepredigt hatte,
kam er gegen Ende des fünften Jahres nach Antiochien, wo er ungefähr
sieben Jahre als Bischof blieb, d. h. bis zum zweiten Regierungsjahr des
Claudius. Deswegen unterließ er es nicht, apostolische Reisen nach Gala-
tien, Asien, Kapadozien und anderswohin zu unternehmen, um die Völ-

209
ker zu bekehren. Nachdem er im 7. Jahr seines Pontifikates in Antiochi-
en sein bischöfliches Amt dem Evodius übergeben hatte, kam er nach
Jerusalem zurück. Als er dort eintraf, wurde er von Herodes den Juden zu
Gefallen um Ostern eingekerkert (Apg 12,4). Als er bald darauf unter der
Führung des Engels das Gefängnis verließ, kam er im gleichen Jahr, d. h.
im 2. Regierungsjahr des Claudius, nach Rom und errichtete dort seinen
Bischofssitz, den er ungefähr 25 Jahre innehatte. Während dieser Zeit
unterließ er es jedoch nicht, verschiedene Provinzen zu besuchen, wenn
es das allgemeine christliche Interesse erforderte. Aber unter anderem
wurde er um das Jahr 18 nach der Passion und Himmelfahrt des Erlösers,
d. h. im 9. Regierungsjahr des Claudius, mit den übrigen Juden aus Rom
vertrieben und kam wieder nach Jerusalem, wo das Apostelkonzil gehal-
ten wurde (Apg 15), bei dem der hl. Petrus den Vorsitz hatte.
Nach dem Tod des Claudius begab sich dann der hl. Petrus wieder nach
Rom und nahm seine frühere Tätigkeit wieder auf, zu lehren und manch-
mal verschiedene Provinzen zu besuchen. Als ihn Nero mit seinem Ge-
fährten, dem hl. Paulus, auf den Tod verfolgte, wollte er auf das heilige
Drängen der Gläubigen nachts die Stadt verlassen, um zu fliehen. Da
begegnete er in der Nähe des Tores Unserem Herrn und sagte zu ihm:
„Domine, quo vadis? Herr, wohin gehst du?“ Jesus Christus antwortete:
„Ich gehe nach Rom, um von neuem gekreuzigt zu werden.“ Der hl. Pe-
trus erkannte, daß diese Antwort wohl auf sein Kreuz hinwies. Auf diese
Weise wurde er, nachdem er ungefähr 5 Jahre in Judäa, 7 Jahre in An-
tiochia und 25 Jahre in Rom gelebt hatte, im 14. Regierungsjahr Neros
mit den Füßen nach oben gekreuzigt und am gleichen Tag der hl. Paulus
enthauptet.
Bevor er starb, nahm er jedoch seinen Schüler, den hl. Clemens, bei der
Hand und bestellte ihn zu seinem Nachfolger. Der hl. Clemens wollte
aber dieses Amt nicht annehmen und es erst ausüben nach dem Tod des
Linus und Cletus, die Mitarbeiter des hl. Petrus in der Leitung des römi-
schen Bistums waren. Wer daher wissen möchte, warum einige alte Auto-
ren an erster Stelle nach dem hl. Petrus den hl. Clemens nennen, einige
andere den hl. Linus, dem lasse ich die Antwort durch den hl. Epiphanius,
einen glaubwürdigen Autor, geben. Das sind seine Worte: „Niemand soll
sich wundern, daß Linus und Cletus vor Clemens das Bischofsamt über-
nahmen, da er unter den Aposteln ein Zeitgenosse des Petrus und Paulus
war, denn auch sie waren Zeitgenossen der Apostel. Wir wissen daher
nicht ganz sicher, ob er noch zu ihren Lebzeiten die Handauflegung der

210
Bischofsweihe empfing, sie zurückwies und wartete, oder ob er von Cle-
tus nach der apostolischen Nachfolge eingesetzt wurde.“ Weil also der hl.
Clemens vom hl. Petrus erwählt wurde, wie er selbst bestätigt, weil er aber
das Amt dennoch nicht vor dem Tod des Linus und Cletus übernehmen
wollte, deshalb nennen ihn die einen mit Rücksicht auf die Erwählung
durch den hl. Petrus an erster Stelle, die anderen nennen ihn an vierter
Stelle in Anbetracht seiner Weigerung, das Amt zu übernehmen, dessen
Ausübung er Linus und Cletus überließ.
Der hl. Epiphanius konnte übrigens Gründe haben, an der Erwählung
des hl. Clemens durch den hl. Petrus zu zweifeln, weil er keine ausrei-
chenden Beweise dafür hatte. Es kann auch sein, daß Tertullian, Dama-
sus, Rufinus und andere Gründe hatten, daran nicht zu zweifeln. Das läßt
den hl. Epiphanius über diese Tatsache so unentschieden sprechen, ver-
anlaßt aber andererseits den älteren Tertullian, so entschieden zu versi-
chern, daß „die römische Kirche Clemens als von Petrus geweiht nennt,
d. h. durch Dokumente und öffentliche Beweise nachweist.“ Was mich
betrifft, schließe ich mich gern, und wie mir scheint, mit guten Gründen
denen an, die es behaupten. Denn zweifeln an dem, was ein ehrenhafter
Mann von Geist so entschieden behauptet, hieße den Sprecher des Irr-
tums zeihen. Behaupten aber, woran ein anderer zweifelt, hieße anderer-
seits zugeben, daß der Zweifelnde nicht alles weiß, was er selbst als erster
durch seinen Zweifel zugegeben hat; denn zweifeln heißt nichts anderes,
als nicht sicher sein, ob etwas wahr ist.
Ihr habt durch diesen kleinen Bericht über das Leben des hl. Petrus, der
sehr zuverlässig ist, bereits gesehen, daß der hl. Petrus nicht immer unbe-
weglich in Rom war, sondern dort seinen Sitz hatte und dennoch mehrere
Provinzen besuchte, nach Jerusalem zurückkehrte und das Apostelamt
ausübte. Jetzt werden alle leichtfertigen Begründungen, die man von der
negativen Autorität der Briefe des hl. Paulus ableitet, zu eurem Geist
keinen Zugang mehr finden. Man sagt, der hl. Paulus habe an Rom und
von Rom aus geschrieben, erwähnt aber den hl. Petrus nicht. Das darf
man nicht befremdend finden, weil demnach der hl. Petrus vielleicht nicht
dort war. So ist es ganz sicher, daß der erste Brief des hl. Petrus in Rom
geschrieben wurde, wie der hl. Hieronymus bestätigt; er sagt: „Im ersten
Brief bezeichnete Petrus Rom bildlich mit dem Namen Babylon und
schrieb: Es grüßt euch die erwählte Kirche, die in Babylon ist (1 Petr 5,13).“
Das hatte vorher schon Papias in sehr früher Zeit erklärt, nach dem Be-
richt des Eusebius ein Schüler der Apostel. Aber wäre die Folgerung gut:
der hl. Petrus gibt in diesem Brief keinen Hinweis, daß der hl. Paulus bei

211
ihm war, also war er nie in Rom? Dieser Brief sagt nicht alles; und wenn
er nicht sagt, daß er dort war, sagte er auch nicht, daß er nicht dort war. Es
ist wahrscheinlich, daß er nicht dort war, oder wenn er dort war, daß es
aus irgendeinem Grund nicht ratsam war, es zu sagen. Dasselbe sage ich
von den Briefen des hl. Paulus.
Um schließlich das Leben des hl. Petrus zeitlich mit den Regierungs-
zeiten des Tiberius, Cajus Calligula, Claudius und Nero abzustimmen,
könnte man es folgendermaßen festlegen: Im 28. Regierungsjahr des Ti-
berius fuhr Unser Herr in den Himmel auf; 5 Jahre später, das ist im
letzten Regierungsjahr des Tiberius, kam der hl. Petrus nach Antiochia.
Dort blieb er ungefähr 7 Jahre, d. h. das letzte der Regierung des Tiberius,
die Regierungsjahre des Cajus Calligula und 2 des Claudius. Gegen Ende
des 2. Regierungsjahres von Claudius kam er nach Rom. Dort blieb er
ungefähr 7 Jahre, d. h. bis zum 9. Regierungsjahr des Claudius, in dem die
Juden aus Rom vertrieben wurden. Das veranlaßte den hl. Petrus, sich
nach Judäa zurückzuziehen. Ungefähr 5 Jahre später, nachdem Claudius
in seinem 14. Regierungsjahr gestorben und Nero ihm nachgefolgt war,
kam der hl. Petrus wieder nach Rom und blieb dort bis zum Martyrium,
das er im 14. und letzten Regierungsjahr Neros erlitt. Das ergibt ungefähr
37 Jahre, die der hl. Petrus nach dem Tod seines Meisters lebte. Davon
blieb er ungefähr 12 Jahre teils in Judäa, teils in Antiochia; 25 Jahre war
er in Rom.

13. Artikel: Bestätigung alles oben Gesagten durch die Namen, die das
Altertum dem Papst gab.

Vernehmt in wenigen Worten, was die Alten über diese Tatsache dach-
ten und welches Ansehen der Bischof von Rom bei ihnen genoß. Seht,
welche Namen sie bald dem Bischofssitz von Rom und seiner Kirche,
bald dem Papst gaben; beides kommt ja auf dasselbe hinaus.26
Petri Cathedram – Ecclesiam principalem – Exordium unitatis sacer-
dotalis – Unitatis vinculum – Sacerdotii sublime Fastigium – Ecclesia in
qua est potentior principalitas – Ecclesiae radix et matrix – Sedes super
quam Dominus universam construxit Ecclesiam – Cardo et caput omni-
um ecclesiarum – Episcoporum refugium – Summa sedes Apostolica –
Caput pastoralis honoris – Apostolicae Cathedrae pincipatus – Principa-
tus Apostolici sacerdotii – Caput omnium ecclesiarum – Caput orbis et
mundi religione – Caeteris praelata ecclesiis – Ecclesia praesidens – Pri-

212
ma sedes, a nemine judicanda – Prima sedes omnium – Tutissimus com-
munionis Catholicae portus – Fons Apostolicus – Sanctissimae Catholi-
cae Ecclesiae Episcopum – Sanctissimus et beatissimus Patriarcha –
Universalis Patriarcha – Caput Concilii Calcedonensis – Caput universa-
lis ecclesiae – Beatissimus Dominus – Apostolico culmine sublimatus –
Pater patrum – Summus omnium praesulum Pontifex – Summus sacer-
dos – Princeps sacerdotum — Rector domus Domini – Custos vineae
Dominicae – Christi vicarius – Fratrum confirmator – Sacerdos magnus
– Summus Pontifex – Princeps episcoporum – Haeres Apostolorum –
Primatu Abel – Gubernatu Noe – Patriarchatu Abraham – Ordine Mel-
chisedech – Dignitate Aaron – Authoritate Moises – Judicatu Samuel –
Potestate Petrus – Unctione Christus – Olivis Dominici Pastor – Clavi-
ger Domus Domini – Pastorum omnium Pastor – In plenitudinem pote-
statis vocatus.
Ich käme nie an ein Ende, wollte ich alle Titel sammeln, die die Alten
dem Heiligen Stuhl von Rom und seinem Bischof gaben. Das hier muß
selbst den wunderlichsten Geistern genügen, um die großartige Lüge Be-
zas zu erkennen, die er seinem Lehrer Calvin nachspricht. In seiner Ab-
handlung „Über die Kennzeichen der Kirche“ behauptet er, Phocas sei
der erste gewesen, der dem Bischof von Rom Autorität über die anderen
zugeschrieben und ihn zum Primat erhoben habe. Doch wozu soll es
dienen, eine so grobe Lüge zu verbreiten? Phocas lebte zur Zeit des hl.
Gregor des Großen, und alles, was ich von den Autoren angeführt habe,
stammt aus der Zeit vor dem hl. Gregor, abgesehen vom hl. Bernhard; ihn
habe ich nach den Büchern „De Consideratione“ zitiert, weil Calvin diese
für so richtig hält, daß ihm scheint, er habe darin die Wahrheit gesagt.
Man wendet ein, der hl. Gregor habe nicht universaler Bischof genannt
werden wollen. Aber universaler Bischof kann man so verstehen, als ob
einer in dem Sinn Bischof der Welt wäre, daß die anderen Bischöfe nur
Vikare und Beauftragte sind. Das trifft nicht zu, denn die Bischöfe sind
wirklich geistliche Fürsten, Oberhaupt und Bischöfe, nicht Statthalter
des Papstes, sondern Unseres Herrn; daher nennt sie der Papst Brüder.
Man kann den Ausdruck andererseits so verstehen, daß einer der Ober-
aufseher über alle ist, dem die anderen, die Aufseher im einzelnen sind,
unterstehen, aber keineswegs als Vikare und Beauftragte. In diesem Sinn
haben die Alten den Papst universaler Bischof genannt.
Man führt das Konzil von Karthago an, das verbietet, daß einer sich
„Princeps sacerdotum“ (Hohepriester) nenne. Doch das führt man an,
weil man keinen anderen Anhaltspunkt hat. Man weiß doch, daß dies eine

213
Provinzial-Synode war, die die Bischöfe dieser Provinz angeht. Zu ihr
gehört der Bischof von Rom nicht; dazwischen liegt das Mittelmeer.
Bleibt der Name Papst, den ich aufgehoben habe, um damit diese Aus-
führungen zu beschließen. Das ist der gewöhnliche Titel, den wir dem
Bischof von Rom geben. Dieser Name war den Bischöfen gemeinsam,
wie der hl. Hieronymus bestätigt, der am Schluß seines Briefes den hl.
Augustinus so nennt: „Der Allmächtige bewahre dich wohlbehalten, wahr-
haftig heiliger Herr und preiswürdiger papa.“ Er wird aber besonders
dem Papst par excellence gegeben wegen der Universalität seines Amtes.
Deshalb wurde er auf dem Konzil von Chalcedon „universaler Papst“
oder ganz kurz „Papst“ ohne Beifügung oder Beschränkung genannt. Die-
ses Wort will nichts anderes besagen als Ahnherr oder erhabener Vater:
„Vor den Ahnherren und Großmüttern zitternd ziehen es die Nachkom-
men vor, den Vätern mit neuer Sorgfalt zu dienen“ (Ausonius).
Damit ihr wißt, wie altehrwürdig dieser Name bei den ehrenwerten
Leuten ist, sagt der hl. Ignatius, Schüler der Apostel, im Brief an Maria
Zarbensis: „Wenn du in Rom beim Papst bist.“ Schon zu jener Zeit gab es
Papisten, und was für Leute!
Wir nennen ihn Seine Heiligkeit; und wir finden, daß ihn schon der hl.
Hieronymus so nannte: „Ich beschwöre Eure Heiligkeit beim Kreuz ...
Ich folge keinem eher als Christus und vereinige mich mit Eurer Heilig-
keit, d. h. mit der Kathedra Petri, zur Gemeinschaft.“ Wir nennen ihn
Heiliger Vater; aber ihr habt gesehen, daß der hl. Hieronymus den hl.
Augustinus so nennt.
Übrigens sind jene die größten Lügner der Welt, die das 2. Kapitel des
2. Thessalonicherbriefes auslegen, um euch glauben zu machen, der Papst
sei der Antichrist, und die euch gesagt haben, er lasse sich Gott auf Erden
oder Sohn Gottes nennen. Es ist ja so notwendig, daß sich die Päpste
einen anspruchsvollen Titel zulegen, so daß sie sich seit der Zeit des hl.
Gregor vorzüglich Diener der Diener Gottes nennen. Sie haben sich ge-
wiß nur im gewöhnlichen Sinn so genannt, wie es jeder sein kann, wenn er
die Gebote Gottes beobachtet, entsprechend der Macht, die jenen gege-
ben ist, die an seinen Namen glauben (Joh 1,12). Ebenso heißen im glei-
chen Sinn jene Kinder des Teufels (Joh 8,44), die so unverschämt lügen,
wie es die Prädikanten tun.

214
14. Artikel: Was man von der Autorität des Papstes halten muß.

Es entbehrt wahrlich nicht des Geheimnisses, daß im Evangelium, wo


es darum geht, daß die Gesamtheit der Apostel spricht, oft der hl. Petrus
für alle spricht. Beim hl. Johannes (6,69) war er es, der sagte: Herr, zu
wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir haben ge-
glaubt und erkannt, daß du Christus bist, der Sohn Gottes. Er war es, der
beim hl. Matthäus (16,16) im Namen aller als ihr Haupt das hochherzige
Bekenntnis ablegte: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Er
fragte für alle: Siehe, wir haben alles verlassen ... (Mt 19,27); und beim hl.
Lukas (12,41): Herr, sagst du dieses Wort für uns oder für alle? Es ist das
Übliche, daß das Haupt für den ganzen Leib spricht, und was das Ober-
haupt sagt, gilt als für die übrigen gesagt. Seht ihr nicht, daß bei der Wahl
des hl. Matthias (Apg 1,15ff) er allein spricht und entscheidet? Die Juden
fragten (Apg 2,38) alle Apostel: Männer, Brüder, was sollen wir tun?, und
der hl. Petrus allein antwortete für alle: Tut Buße. Das ist der Grund, daß
ihn der hl. Chrysostomus und Origenes „Mund und Haupt der Apostel“
nannten, wie wir oben gesehen haben, weil er für alle Apostel zu sprechen
pflegte. Ebenso nennt ihn der hl. Chrysostomus „Mund Christi“, denn
was er für die ganze Kirche und zur ganzen Kirche als Oberhaupt und
Hirte sagt, ist nicht so sehr menschliches Wort als Wort Unseres Herrn:
Amen, ich sage euch, wer den aufnimmt, den ich sende, der nimmt mich
auf (Joh 13,20). Deshalb konnte nicht falsch sein, was er sagte und be-
stimmte.
In der Tat, wäre der Bestärker gefallen, wäre dann nicht alles andere
gefallen? Wenn die Stütze fällt oder wankt, wer soll sie stärken? Wenn die
Stütze nicht stark und standfest ist, wenn die anderen schwach werden,
wer soll sie stärken? Es heißt doch: Wenn der Blinde den Blinden führt,
werden beide in die Grube fallen (Mt 15,14). Wenn der Unsichere und
Schwache den Schwachen stützen und stärken will, werden beide zu Bo-
den gehen. Wenn daher Unser Herr dem hl. Petrus die Autorität verlie-
hen und ihm aufgetragen hat, die anderen zu stärken, dann gab er ihm
gleichzeitig die Macht und die Mittel, es zu tun, sonst hätte er ihm vergeb-
lich etwas Unmögliches befohlen. Die erforderlichen Mittel, um die an-
deren zu festigen, die Schwachen zu stärken, bestehen darin, selbst nicht
der Schwachheit unterworfen zu sein, sondern standhaft und fest zu sein
wie ein echter Stein und ein Fels. Das war der hl. Petrus als allgemeiner
Hirte und Lenker der Kirche.

215
Da der hl. Petrus der Kirche zum Fundament gegeben und der Kirche
zugesichert wurde, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen wer-
den, ist damit nicht hinreichend gesagt, daß der hl. Petrus als Grundstein
der Leitung und Verwaltung der Kirche nicht splittern und brechen konn-
te durch Unglauben und Irrtum, der hauptsächlichen Macht der Hölle?
Wer wüßte denn nicht, daß das ganze Haus einstürzt, wenn das Funda-
ment zusammenfällt, wenn man es untergraben kann? Und was, wenn der
Hirte seine Schafe auf eine giftige Weide führt, wird dann die Herde nicht
sogleich zugrundegehen? Die Schafe folgen dem Hirten; wenn er sich
verirrt, geht alles zugrunde. Ist es nicht vernünftig, daß die Schafe ... Eben-
so sieht man klar, wenn der oberste Hirte seine Schafe auf giftige Weiden
führen kann, dann wird die Herde sehr bald zugrundegehen. Denn wenn
der oberste Hirte falsch führt, wer soll ihn dann wieder auf den rechten
Weg bringen? Wenn er sich verirrt, wer soll ihn zurückholen? Wir brau-
chen in der Tat einen, um ihm zu folgen, nicht um ihn zu führen, denn
sonst wären die Schafe Hirten. Tatsächlich kann die Kirche nicht immer
in einem allgemeinen Konzil versammelt werden, und in den ersten drei
Jahrhunderten fand keines statt. An wen könnte man sich daher in den
Schwierigkeiten, die täglich auftreten, besser wenden, von wem könnte
man ein besser gesichertes Gesetz, eine zuverlässigere Regel erwarten als
vom allgemeinen Oberhaupt und Stellvertreter Unseres Herrn?27
Das alles traf nicht nur beim hl. Petrus zu, sondern auch bei seinen
Nachfolgern. Denn wenn die Ursache bestehen bleibt, dann bleibt auch
die Wirkung. Die Kirche braucht immer einen unfehlbaren Bestärker, an
den man sich wenden kann, ein Fundament, das die Mächte der Hölle, vor
allem der Irrtum, nicht zerstören können. Die Nachfolger des hl. Petrus
haben deshalb alle die gleichen Privilegien, die nicht der Person, sondern
der Würde und dem öffentlichen Amt zukommen.
Der hl. Bernhard nennt den Papst einen zweiten „Mose an Autorität“.
Nun gibt es niemand, der nicht wüßte, wie groß die Autorität des Mose
war. Er saß zu Gericht über alle Streitigkeiten beim Volk und über alle
Schwierigkeiten, die sich im Gottesdienst ergaben. Er bestellte Richter
für Angelegenheiten von geringerer Bedeutung, aber die großen Zweifel
waren seiner Sachkenntnis vorbehalten (Ex 18,13.19.26). Wenn Gott zum
Volk sprechen will, geschieht es durch seinen Mund und durch seine
Vermittlung (Ex 21,18 u. a.). Ebenso ist daher der Oberhirte für uns der
berufene und befähigte Richter in allen unseren Schwierigkeiten, sonst
wären wir schlechter dran als das Volk des Alten Bundes, das ein Gericht
hatte, an das es sich zur Lösung seiner Zweifel, vor allem auf dem Gebiet

216
der Religion, wenden konnte. Wenn jemand einwenden wollte, Mose sei
nicht Priester gewesen noch geistlicher Hirte, den verweise ich auf das,
was ich darüber oben28 gesagt habe, denn es müßte langweilen, das zu
wiederholen.
Im 5. Buch Mose (Dtn 17,10-12) heißt es: Handle nach dem Spruch,
den sie fällen an der vom Herrn erwählten Stätte, und was sie nach seinem
Gesetz lehren. Folge ihrem Spruch und weiche weder nach rechts noch
nach links ab. Wer aber so vermessen wäre, daß er dem Befehl des Priesters
nicht folgen wollte, der soll nach dem Spruch des Richters sterben. Was
wird da gesagt? Man mußte sich dem Urteil des Hohepriesters beugen.
War man verpflichtet, dem Urteil zu folgen, das nach dem Gesetz war,
und keinem anderen? Ja, aber dabei mußte man sich dem Spruch des
Priesters beugen; wenn man ihm dagegen nicht folgte, sondern darüber
diskutierte, wäre man vergeblich zu ihm gegangen, die Schwierigkeit und
Meinungsverschiedenheit würde bei den Starrsinnigen niemals gelöst.
Daher heißt es einfach: Wer aber so vermessen wäre, daß er dem Befehl des
Priesters nicht folgen wollte, der soll nach dem Spruch des Richters sterben.
Bei Maleachi (2,7) heißt es: Die Lippen des Priesters bewahren die Wis-
senschaft; aus seinem Mund erwarten sie das Gesetz. Daraus folgt, daß in
Fragen der Religion nicht jeder selbst entscheiden kann, noch das Gesetz
nach seiner Phantasie machen, sondern nach der Vorlage des Hoheprie-
sters. Wenn Gott so Vorsorge traf für die Religion und Gewissensruhe
der Juden, daß er ihnen einen obersten Richter bestellte, dessen Spruch
sie sich fügen mußten, dann darf man nicht daran zweifeln, daß er uns, der
Christenheit, einen Hirten gab, der die gleiche Autorität besitzt, um uns
die Zweifel und Gewissensfragen abzunehmen, die über die Auslegung
der Heiligen Schrift auftauchen könnten.
Der Hohepriester trug auf der Brust das Rationale (die Lostasche), in
dem die Urim und Tummim waren, Lehre und Wahrheit, wie die einen sie
erklären, oder die Erleuchtungen und Vollkommenheiten, wie die ande-
ren sagen, was fast dasselbe ist, da die Vollkommenheit in der Wahrheit
besteht und die Lehre nichts anderes ist als Erleuchtung. Sollen wir nun
denken, daß der Hohepriester des Neuen Bundes nicht auch die gleichen
Kleidungsstücke hätte? In Wahrheit, was an Gutem der alttestamentli-
chen Kirche und der Magd Hagar gewährt wurde, das alles wird in viel
besserer Form der Sara und der Braut geschenkt: unser Hohepriester
trägt ebenfalls die Urim und Tummim auf seiner Brust. Sei es nun, daß
diese „Lehre und Wahrheit“ nichts anderes ist als diese zwei Worte, die

217
auf dem Rationale stehen, wie der hl. Augustinus anzunehmen scheint
und wie Hugo von St. Victor versichert, oder ob es der Name Gottes war,
wie Rabbi Salomon nach dem Bericht von Vatable will und Bischof Au-
gustin von Eugubbium, oder ob es nur die Edelsteine des Rationale wa-
ren, durch die der allmächtige Gott dem Priester seinen Willen offenbar-
te, wie der gelehrte Franz Ribera will: der Grund, warum der Hoheprie-
ster im Rationale auf seiner Brust „die Wahrheit und die Lehre“ trug, war
ohne Zweifel der, weil er die Wahrheit des Urteils verkündete (Dtn 17,9).
Sei es auch, daß durch die Urim und Tummim die Priester über das Wohl-
gefallen Gottes belehrt und durch göttliche Offenbarung ihr Verstand
erleuchtet und vervollkommnet wurde, wie es der gute Nikolaus von Lyra
verstanden und Ribera nach meiner Meinung hinreichend bewiesen hat.
Als daher David wissen wollte, ob er die Amalekiter verfolgen sollte,
sagte er zum Priester Abjatar: Bring mir das Efod oder Schulterkleid (1
Sam 30,7). Das tat er ohne Zweifel, um den Willen Gottes zu erkennen
im Rationale, das mit ihm verbunden war, wie der Gelehrte Ribera kun-
dig darlegt.
Ich bitte euch, wenn es im Schatten Erleuchtungen über die Lehre und
die Vollkommenheiten in der Brust des Priesters gab, um damit das Volk
zu nähren und zu bestärken, sollte sie dann unser Hohepriester nicht
haben? Der unsere, sage ich, die wir zum Tag und zur Sonne erhoben
sind? Der Hohepriester des Alten Bundes war nur Stellvertreter und Statt-
halter Unseres Herrn, ebenso wie der unsere; aber es scheint, daß er durch
seine Erleuchtungen der Nacht vorstand; der unsere steht durch seine
Belehrungen dem Tag vor: beide als Gesandte und durch das Licht der
Sonne der Gerechtigkeit, die wohl aufgegangen, infolge unserer eigenen
Sterblichkeit unseren Augen dennoch verschleiert ist. Es von Angesicht
zu schauen, kommt gewöhnlich nur denen zu, die befreit sind vom ver-
gänglichen Leib (Weish 9,15).
So glaubte die ganze Kirche des Altertums, die in ihren Schwierigkei-
ten stets zum Rationale des Bischofssitzes von Rom ihre Zuflucht nahm,
um hier „die Lehre und die Wahrheit“ zu sehen. Aus diesem Grund hat
der hl. Bernhard den Papst „Aaron an Würde“ und „Erben der Apostel“
genannt, und der hl. Hieronymus nannte den Heiligen Stuhl den „sicher-
sten Hafen der katholischen Gemeinsamkeit“. Er trägt ja das Rationale,
um mit ihm, wie die Apostel und Aaron, die ganze Christenheit mit der
„Lehre und Wahrheit“ zu erleuchten. Deshalb sagte der hl. Hieronymus
zu Papst Damasus: „Wer nicht mit dir sammelt, der zerstreut; wer nicht
zu Christus gehört, der gehört zum Antichristen.“

218
Der hl. Bernhard sagt, man muß die Ärgernisse, die vorkommen, „vor
allem im Glauben“, dem Heiligen Stuhl von Rom berichten: „Denn ich
halte dafür, daß es vor allem ihm zusteht, die Schäden des Glaubens zu
beheben, wo der Glaube noch keinen Fehler spüren kann; denn welchem
anderen Bischofssitz wurde je gesagt: Ich habe für dich gebetet, daß dein
Glaube nicht wanke (Lk 22,32)?“ Der hl. Cyprian sagt: „Zur Kathedra
Petri und zur Mutterkirche wagen sie zu fahren, nicht aber zu denken, daß
jene Römer sind, zu denen Treulosigkeit keinen Zugang finden kann.“
Seht ihr nicht, daß er wegen des Lehrstuhls des hl. Petrus von Römern
spricht und sagt, daß der Irrtum dort nichts vermag?
Die Väter des Konzils von Mileve, mit dem glorreichen hl. Augustinus,
bitten um Beistand und rufen die Autorität des römischen Stuhles gegen
die pelagianische Irrlehre an; sie schreiben an Papst Innozenz: „Ange-
sichts großer Gefahren für die schwachen Glieder Christi bitten wir, die
apostolische Hirtensorge walten lassen zu wollen. Denn eine neue Irrleh-
re und ein überaus gefährlicher Ansturm der Feinde der Gnade Christi
hat sich zu erheben begonnen.“ Wenn ihr wissen wollt, warum sie sich an
ihn wenden: „Weil dich der Herr“, sagen sie, „durch seine besondere
Gnade auf den apostolischen Stuhl erhoben hat.“ So also dachte dieses
heilige Konzil mit dem großen hl. Augustinus. Ihm antwortete Innozenz
in einem Brief, der auf den vorausgehenden zusammen mit denen des hl.
Augustinus folgte: „Gewissenhaft und zu recht seid ihr auf das apostoli-
sche Ansehen bedacht; auf das Ansehen dessen, sage ich, dem abgesehen
von dem, was im Inneren ist, die Sorge für alle Kirchen bleibt, welcher
Spruch in allen Ängsten zu fällen ist. Ihr seid ja der ehrwürdigen Regel
gefolgt, von der ihr wißt wie ich, daß sie vom ganzen Erdkreis immer
beobachtet wurde. Das will ich wahrhaftig nicht aufgeben, noch glaube
ich, daß eure Klugheit darin verborgen bleibt. Was bestätigt ihr denn
durch euer Vorgehen anderes, als daß ihr wißt, daß von der apostolischen
Quelle stets Antworten an alle Provinzen ergehen, die sie erbitten? Vor
allem bin ich der Auffassung, sooft die Glaubenslehre erörtert wird, dür-
fen alle Brüder und unsere Mit-Bischöfe sich nur an Petrus wenden, d. h.
an den Urheber seines Namens und Ansehens, wie jetzt eure Liebe vorge-
bracht hat, was allen Kirchen in der ganzen Welt zum allgemeinen Nut-
zen gereichen kann.“
Seht ihr, welches Ansehen und welche Geltung der Apostolische Stuhl
bei den Gelehrtesten und Heiligsten im Altertum genoß, ja sogar bei
ganzen Konzilen? Man wandte sich an ihn als an das wahre Efod und
Rationale des Neuen Bundes. So wandte sich der hl. Hieronymus an ihn

219
zur Zeit des Damasus; er sagte zunächst, daß der Orient das von oben bis
unten gewebte Gewand Unseres Herrn zerrissen und in Stücke gerissen
hat (Joh 19,23) und daß die Füchse den Weinberg des Herrn verwüstet
haben (Hld 2,15); dann sagt er: „Da es bei den wasserlosen Zisternen
schwierig ist zu erkennen, wo man die versiegte Quelle und den verschlos-
senen Garten finden kann, habe ich es für richtig gehalten, die Kathedra
Petri und den apostolischen Glauben zu Rate zu ziehen ...“
Ich würde nie fertig, wollte ich die herrlichen Sentenzen der Alten zu
diesem Gegenstand anführen. Wer will, der lese sie im großen Katechis-
mus des Petrus Canisius nach, wo sie getreulich wiedergegeben und von
Busaeus ausführlich dargelegt sind. Der hl. Cyprian zählt alle Irrlehren
und Spaltungen auf, die sich aus der Verachtung dieses höchsten Amtes
ergeben; das tut auch vorzüglich der hl. Hieronymus. Der hl. Ambrosius
hält es für dasselbe, Gemeinschaft und Übereinstimmung mit den katho-
lischen Bischöfen zu haben und mit der römischen Kirche übereinzu-
stimmen. Er bekennt, daß er in allem und stets der Form der römischen
Kirche folge. Der hl. Irenäus will, daß jeder sich dem Heiligen Stuhl
anschließe „wegen des mächtigen Vorrangs“.
Die Eusebianer brachten hier ihre Anklagen gegen den hl. Athanasius
vor. Der hl. Athanasius, der den Haupt- und Patriarchalsitz von Alexan-
dria innehatte, kam nach Rom, um sich zu verantworten, als er vorgela-
den wurde. Die Gegner wollten nicht erscheinen, wissend, sagt Theodo-
ret, „daß ihre Lügen offenkundig aufgedeckt würden.“ Die Eusebianer
anerkennen die Autorität des Heiligen Stuhles von Rom, indem sie den
hl. Athanasius dort anklagen, der hl. Athanasius, indem er dort erscheint.
Vor allem aber bekennen die Eusebianer hinreichend, wie unfehlbar sein
Urteil ist, da sie dort nicht zu erscheinen wagen aus Furcht, dort verurteilt
zu werden.
Doch wer wüßte nicht, daß alle Irrlehrer des Altertums versuchten,
vom Papst anerkannt zu werden? Beispiele dafür sind die Montanisten
oder Kataphrygier. Wenn man Tertullian glauben darf, nicht dem von
früher, sondern dem in eigener Sache zum Häretiker gewordenen, haben
sie Papst Zephyrin dermaßen getäuscht, daß er Friedensbriefe zu ihren
Gunsten erlassen hat, die er aber auf den Bescheid des Praxeas hin so-
gleich widerrief. Wer die Autorität des Papstes mißachtet, wird schließ-
lich die Pelagianer, Priszillianer und andere anführen, die nur durch Pro-
vinz-Synoden mit der Autorität des Heiligen Stuhles von Rom verurteilt
wurden.

220
Wollte ich mich dabei aufhalten, euch zu zeigen, welche Stücke Luther
in der ersten Zeit seiner Irrlehre auf ihn setzte, würde ich euch in Staunen
versetzen über einen so großen Gesinnungswandel eures großen Vaters.
Seht ihn bei Cochläus: „Ich werfe mich Eurer Heiligkeit zu Füßen mit
allem, was ich bin und habe. Belebe, töte, rufe, widerrufe, billige, mißbil-
lige, ich werde die Stimme des in dir gegenwärtigen Christus anerken-
nen.“ Das sind seine Worte im Widmungsschreiben, das er Papst Leo X.
zu einigen seiner „Resolutionen“ 1518 schrieb. Ich kann aber nicht über-
gehen, was dieser große Erzprädikant 1519 in bestimmten anderen „Re-
solutionen“ über andere Behauptungen schrieb; denn in der 13. aner-
kannte er nicht nur die Autorität des Heiligen römischen Stuhles, son-
dern belegt sie durch sechs Gründe, die er als Beweise ansieht; ich will sie
im Überblick anführen, 1. Der Papst kann nicht zu dieser Würde und
Herrschaft gelangt sein ohne den Willen Gottes; der Wille Gottes aber ist
anbetungswürdig, daher darf man dem Primat des Papstes nicht wider-
sprechen. 2. Man muß eher seinem Gegner nachgeben, als das Band der
Liebe zu zerreißen; daher gilt es mehr, dem Papst zu gehorchen als sich
von der Kirche zu trennen. 3. Man darf Gott nicht widerstehen, der uns
den Sprüchen Salomos zufolge durch mehrere Fürsten bedrängen und
belasten will. 4. Es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott stammt (Röm
13,1); daher ist die des Papstes, die so gefestigt ist, von Gott. 5. Sagt
dasselbe. 6. Alle Gläubigen glauben daran; es ist unmöglich, daß Unser
Herr nicht bei ihnen ist; daher muß man sich in allem stets an Unseren
Herrn und an alle Christen halten. Er sagt dann, daß die Gründe unwider-
legbar sind und daß die ganze Heilige Schrift darauf hinauskommt. Was
haltet ihr von Luther? Ist er kein Katholik? Und doch war das am Beginn
seiner Reformation.
Calvin kommt auf diesen Punkt, obwohl er den Gegenstand verwirrt,
soviel er kann; denn indem er vom Bischofssitz von Rom spricht, gibt er
zu, daß ihn im Altertum alle achteten und verehrten, daß er die Zuflucht
der Bischöfe war und beständiger im Glauben als die anderen Bischofs-
sitze. Das schreibt er der mangelnden Beweglichkeit des Geistes zu.

15. Artikel: Wie die Prädikanten gegen diese Autorität verstoßen haben.

Im Alten Bund trug der Hohepriester das Rationale nur, wenn er mit
den hohepriesterlichen Gewändern bekleidet war und vor den Herrn hin-
trat (Ex 28,29f). So sagen wir nicht, der Papst könne in seinen persönli-

221
chen Auffassungen nicht irren, wie Johannes XXII. es getan hat, oder
überhaupt nicht häretisch werden, wie es möglicherweise Honorius war.
Doch wenn er ausgesprochen häretisch wird, fällt er ipso facto von seiner
Würde außerhalb der Kirche, und die Kirche muß ihn entweder absetzen,
wie einige sagen, oder ihn des Apostolischen Stuhles für verlustig erklä-
ren und, wie es der hl. Petrus (Apg 1,20) tat, sagen: Sein Amt soll ein
anderer erhalten. Wenn er in seiner persönlichen Meinung irrt, muß man
ihn belehren, beraten, überzeugen, wie man bei Johannes XXII. getan
hat. Er war weit davon entfernt, als Eigensinniger zu sterben oder wäh-
rend seines Lebens irgendeine Entscheidung nach seiner Auffassung zu
fällen. Nach dem Bericht seines Nachfolgers starb er, während er in der
„extravaganten“ Konstitution „Benedictus Deus“ die erforderliche Un-
tersuchung vornahm, um eine Entscheidung in Glaubensfragen zu fällen.
Wenn aber der Papst mit den Gewändern des Hohepriesters bekleidet
ist, ich will sagen, wenn er die ganze Kirche als Oberhirte in Sachen des
Glaubens und der allgemeinen Sitten belehrt, dann gibt es dabei nur „Lehre
und Wahrheit“. In der Tat, nicht alles, was der König sagt, ist schon Ge-
setz und Edikt, sondern nur, was der König als König und rechtskräftige
Entscheidung sagt. Ebenso ist nicht alles, was der Papst sagt, schon kano-
nisches Recht und Gesetz; dazu ist erforderlich, daß er eine Entschei-
dung treffen und der Herde ein Gesetz geben will und daß er dabei die
erforderliche Ordnung und Form wahrt. So sagen wir, man muß sich an
ihn wenden, nicht als an einen gelehrten Mann, denn darin wird er ge-
wöhnlich von manchen anderen übertroffen, sondern als an das Ober-
haupt und den Oberhirten der Kirche. Als solchen müssen wir ihn ach-
ten, seiner Lehre folgen und sie fest annehmen. Denn jetzt trägt er auf
seiner Brust die Urim und Tummim, die „Lehre und Wahrheit“.
Man darf außerdem nicht meinen, sein Urteil sei in allem und immer
unfehlbar, sondern nur dann, wenn er einen Spruch fällt in Fragen des
Glaubens oder über Handlungen, der für die ganze Kirche erforderlich
ist. In Detailfragen, die von menschlichen Gegebenheiten abhängen, kann
er ja ohne Zweifel irren. Trotzdem dürfen wir ihm in solchem Fall nur mit
aller Ehrfurcht, Unterwürfigkeit und Zurückhaltung widersprechen. Die
Theologen haben alles in einem Satz ausgedrückt: er kann irren „in Fra-
gen der Tatsachen, nicht des Rechtes“; er kann irren „extra Cathedram“,
außerhalb des Lehrstuhls des hl. Petrus, d. h. als Privatmann, durch Schrif-
ten und schlechtes Beispiel, nicht aber, wenn er „in Cathedra“ ist, d. h.
wenn er eine Weisung oder Verordnung erlassen will, um die ganze Kir-
che zu belehren, wenn er als Oberhirte die Brüder bestärken und sie auf

222
die Weide des Glaubens führen will. Dann ist es ja nicht so sehr der Mensch,
der erklärt, beschließt und entscheidet, als vielmehr der gebenedeite Hei-
lige Geist. Nach der Verheißung, die Unser Herr (Joh 16,13) seinen Apo-
steln gab, lehrt er die Kirche alle Wahrheit, oder wie es das Griechische
sagt und es die Kirche in einem Gebet an Pfingsten zu verstehen scheint,
führt und erhält er seine Kirche in aller Wahrheit: Wenn aber jener Geist
der Wahrheit kommt, wird er euch alle Wahrheit lehren, oder: wird er euch
in alle Wahrheit einführen.
Und wie führt der Heilige Geist die Kirche anders als durch den Dienst
und das Amt der Prediger und Hirten? Wenn aber auch die Hirten noch
Hirten haben, müssen sie ihnen folgen. So müssen alle dem folgen, der
Oberhirte ist, durch dessen Dienst Gott nicht nur die Lämmer und Schäf-
lein führen will, sondern die Schafe und Mutterschafe, d. h. nicht nur das
Volk, sondern auch die anderen Hirten; jenem also, der dem hl. Petrus
nachfolgt, der den Auftrag hat: Weide meine Schafe (Joh 21,17). So führt
Gott seine Kirche auf die Weide seines heiligen Wortes und in dessen
Auslegung. Wer die Wahrheit unter einer anderen Führung sucht, der
verfehlt sie. Der Heilige Geist ist der Lenker der Kirche; er leitet sie
durch seinen Hirten. Wer also dem Hirten nicht folgt, der folgt nicht dem
Heiligen Geist.
Der große Kardinal Toletus bemerkt aber zu dieser Stelle sehr treffend:
Es heißt nicht, er werde die Kirche in alle Wahrheit tragen, sondern er
wird sie einführen, um zu zeigen: obwohl der Heilige Geist die Kirche
erleuchtet, will er doch, daß sie die erforderliche Sorgfalt anwendet, um
den rechten Weg einzuhalten. Das taten die Apostel. Als sie eine wichtige
Frage zu entscheiden hatten, erörterten sie diese nach allen Seiten und
zogen gemeinsam die Heilige Schrift zu Rate. Als sie das mit aller Sorg-
falt getan hatten, beschlossen sie: Es hat dem Heiligen Geist und uns gefal-
len (Apg 15,28); d. h. der Heilige Geist hat uns erleuchtet und wir sind
vorgegangen; er hat uns geführt, und wir sind ihm bis zu dieser Wahrheit
gefolgt. Man muß aber dennoch im Finden und im Zugang zu ihr den
Beistand des Heiligen Geistes anerkennen. So wird die christliche Herde
vom Heiligen Geist geführt, aber unter dem Amt und der Leitung ihres
Hirten. Der geht aber trotzdem nicht leichtfertig vor, sondern ruft nach
Bedarf die anderen Hirten zusammen, entweder zum Teil oder allgemein,
verfolgt sorgsam die Spur der Vorgänger, erwägt die Urim und Tummim
des Wortes Gottes, tritt vor seinen Gott mit seinen Gebeten und Anru-
fungen, und wenn er sich auf diese Weise gewissenhaft nach dem rechten
Weg erkundigt hat, bricht er beherzt auf und setzt mutig die Segel. Glück-

223
lich, wer ihm folgt und sich der Leitung seines Stabes fügt; glücklich, wer
sein Schiff besteigt, denn er nährt sich mit der Wahrheit, er landet im
Hafen der heiligen Lehre.
Ebenso erläßt er nie anders ein allgemeines Gebot an die ganze Kirche
in notwendigen Dingen als unter dem Beistand des Heiligen Geistes; der
fehlt ja selbst den Arten von Lebewesen nicht in notwendigen Dingen,
weil er sie festgelegt hat. So wird er auch der Christenheit nicht mangeln
in dem, was für ihr geistliches Leben erforderlich ist. Wie sollte auch die
Kirche einig und heilig sein, wie die Heilige Schrift und die Glaubensbe-
kenntnisse sie beschreiben? Denn wenn sie einem Hirten folgt und der
Hirte irrte, wie sollte sie heilig sein? Und wenn sie ihm nicht folgt, wie
könnte sie einig sein? Und welche Zersplitterung sähe man in der Chri-
stenheit, wenn die einen ein Gesetz schlecht fänden und beurteilten, die
anderen gut, und wenn die Schafe, statt sich auf der Weide der Heiligen
Schrift und des Gotteswortes zu nähren und zuzunehmen, sich damit
abgeben, den Urteilen der Vorgesetzten zu widersprechen? Es bleibt also
dabei, daß wir nach der göttlichen Vorsehung für verschlossen halten, was
der hl. Petrus mit seinen Schlüsseln verschließen wird, und für offen, was
er öffnen wird, wenn er auf dem Lehrstuhl sitzt und die ganze Kirche
belehrt.
Hätten die Prädikanten die Laster gerügt und bei einigen Zensuren und
Dekreten gezeigt, daß sie unnütz waren; hätten sie einige heilige Weisun-
gen von den Moralbüchern des hl. Gregor entlehnt und solche aus „De
Consideratione“ des hl. Bernhard; hätten sie irgendwie gute Abhilfe ge-
schaffen gegen die Mißbräuche, die sich durch die Ungunst der Zeit und
die Schlechtigkeit der Menschen im Pfründenwesen eingeschlichen ha-
ben; hätten sie sich in Demut und Unterwürfigkeit an Seine Heiligkeit
gewandt, alle Guten hätten sie geehrt und ihre Pläne bereitwillig aufge-
nommen. Die vorzüglichen Kardinäle Contareno, Theatino, Sadolet und
Polus mit den anderen großen Persönlichkeiten, die auf diese Weise den
Rat vorlegten, diese Mißbräuche abzustellen, haben sich dadurch die un-
sterbliche Achtung der Nachwelt verdient. Aber wer könnte es gutheißen,
wenn man die Luft und die Erde mit Beleidigungen, Schmähungen und
Beschimpfungen erfüllt, wenn man den Papst verleumdet, uzw. nicht nur
in seiner Person, was nie geschehen darf, sondern in seiner Würde; wenn
man den Heiligen Stuhl angreift, den das ganze Altertum geehrt hat; wenn
man ihn gegen den Rat der ganzen Kirche verurteilt, das Amt selbst als
Antichristentum bezeichnet?

224
Das große Konzil von Chalcedon fand es äußerst befremdend, daß der
Patriarch Dioscorus den Papst Leo exkommunizierte; und wer könnte
die Unverschämtheit Luthers ertragen, der eine Bulle verfaßte, in der er
den Papst, die Bischöfe und die ganze Kirche exkommunizierte? Die
ganze Kirche gibt ihm ehrenvolle Titel, spricht in Ehrfurcht von ihm: was
sollen wir sagen zu dem sauberen Anfang des Buches, das Luther dem
Heiligen Stuhl widmete? „Martin Luther dem heiligen Apostolischen
Stuhl und seinem ganzen Rat meine Gunst und meinen Gruß. Vor allem,
heiligster Stuhl, stöhne und brich nicht ob diesem neuen Gruß, bei dem
ich meinen Namen an den Anfang und Schluß setze.“ Und nachdem er
die Bulle genannt hat, gegen die er schrieb, beginnt er mit den zynischen
und widerlichen Worten: „Ich aber sage zu den Drohungen des Papstes
und dieser Bulle: Wer wegen Drohungen stirbt, zu dessen Begräbnis muß
man mit Blähungen des Bauches zusammenläuten.“ Und wenn er gegen
den König von England schreibt, sagt er: „Lebendig werde ich der Feind
des Papsttums sein, verbrannt werde ich dein Feind sein.“
Was sagt ihr zu diesem großen Vater? Sind das nicht Worte, würdig
eines solchen Reformators? Ich schäme mich beim Lesen und meine
Feder sträubt sich, diese Niederträchtigkeiten niederzuschreiben; aber
wenn man sie euch vorenthält, werdet ihr ihn nie für das halten, was er ist.
Auch wenn er sagt: „Unsere Sache ist es, nicht von ihm gerichtet zu wer-
den, sondern ihn zu richten.“
Doch ich halte euch zu lange auf mit einem Gegenstand, der keine lange
Untersuchung erfordert. Ihr lest die Schriften von Calvin, Zwingli und
Luther; ich flehe euch an: sondert diese Beleidigungen aus, die Verleum-
dungen, Schimpfworte und Lästerungen, das Gespött und die Possen, die
sich darin gegen den Papst und den Heiligen Stuhl von Rom finden, und
ihr werdet sehen, daß nichts mehr übrig bleibt. Ihr hört eure Prädikanten;
gebietet ihnen Schweigen, was diese Beleidigungen, Verspottungen, Ver-
leumdungen und Verhöhnungen des Heiligen Stuhles betrifft, und eure
Predigten werden um die Hälfte kürzer sein. Man sagt darüber tausend
Torheiten; darin stimmen alle eure Prädikanten überein. Wenn sie Bü-
cher verfassen, verbreiten sie sich bei jeder Gelegenheit, als wären sie von
der Arbeit ermüdet und ermattet, über die Laster von Päpsten und sagen
sehr oft Dinge, von denen sie wohl wissen, daß sie nicht wahr sind. Beza
behauptet, seit langer Zeit habe es keinen einzigen Papst gegeben, der
sich um die Religion kümmerte, noch einen, der ein Theologe war. Will
er damit niemand täuschen? Er weiß ja gut, daß Hadrian, Marcellus und
die letzten fünf Päpste sehr große Theologen waren; wozu lügen?

225
Sagen wir jedoch, daß es Laster und Unwissenheit gab. Der hl. Augusti-
nus sagt euch: „Was hat dir der Lehrstuhl der römischen Kirche getan, auf
dem der hl. Petrus saß, den heute Anastasius innehat? Warum nennst du
den Apostolischen Stuhl einen Lehrstuhl der Pestilenz? Wenn du es der
Menschen wegen tust, von denen du meinst, daß sie das Gesetz verkünden
und nicht halten, hat etwa Unser Herr Jesus Christus der Pharisäer we-
gen, von denen er sagte: Sie sprechen und tun es nicht (Mt 23,3), dem
Lehrstuhl unrecht getan, auf dem sie saßen? Hat er nicht den Lehrstuhl
des Mose empfohlen und jene unter Wahrung der Ehre des Lehrstuhls
zurechtgewiesen? Er sagt ja: Auf dem Lehrstuhl des Mose sitzen die Pha-
risäer ... (23,2). Wenn ihr das bedächtet, würdet ihr nicht der Menschen
wegen, die ihr beschuldigt, den Apostolischen Stuhl schmähen, mit dem
ihr keine Gemeinschaft habt. Doch was heißt das anderes, als nichts zu
sagen wissen und doch nur Übles reden?“

Kapitel VII

Daß die Prädikanten gegen die


A utorität der Wunder verstoßen
Wunder
haben, die siebte Regel unseres
Glaubens

1. Kapitel: Wie eindrucksvoll die Wunder sind,


um den Glauben zu festigen.

Damit man Mose glaubte, gab Gott ihm die Macht der Wunder (Ex
4,1). Unser Herr, sagt der hl. Markus (16,20), bekräftigte auf diese Weise
die Predigt der Apostel. Hätte Unser Herr nicht so viele Wunder gewirkt,
dann hätte man nicht gesündigt, wenn man ihm nicht glaubte, sagt der
Herr selbst (Joh 15,24). Der hl. Paulus bestätigt (Hebr 2,4), daß Gott den
Glauben durch Wunder bekräftigte. Das Wunder ist also ein berechtigter
Grund zu glauben, ein rechtmäßiger Beweis für den Glauben, ein ein-

226
drucksvolles Argument, um die Menschen zum Glauben zu überreden.
Denn wenn dem nicht so wäre, hätte Gott sich ihrer nicht bedient.
Es nützt auch nichts, wenn man einwendet, die Wunder seien nicht
mehr notwendig, nachdem der Glaube eingepflanzt ist. Abgesehen da-
von, daß ich oben29 das Gegenteil bewiesen habe, spreche ich jetzt nicht
davon, daß sie notwendig sind, sondern nur davon, daß wir daran glauben
müssen, wenn es der Güte Gottes gefällt, zur Bekräftigung irgendeiner
Wahrheit Wunder zu wirken. Denn entweder ist das Wunder eine recht-
mäßige Überzeugung und Bestätigung oder nicht. Wenn nicht, dann hat
Unser Herr seine Lehre nicht rechtmäßig bekräftigt; wenn es eine recht-
mäßige Überzeugung ist, dann müssen wir, sobald es geschieht, es als
einen sehr sicheren Beweis auffassen; das ist es auch. Du bist Gott, der du
Wunder tust, sagt David (Ps 77,14) vom allmächtigen Gott. Was also
durch Wunder bekräftigt wurde, ist von Gott bekräftigt. Nun kann Gott
nicht der Urheber und Bekräftiger der Lüge sein; was also durch Wunder
bekräftigt wurde, kann keine Lüge sein, sondern nur die reine Wahrheit.
Um allen Phantasien den Weg abzuschneiden, bekenne ich, daß es fal-
sche Wunder und echte Wunder gibt und daß es unter den echten Wun-
dern solche gibt, die den offensichtlichen Beweis liefern, daß hier die
Allmacht Gottes am Werk ist; die anderen nicht, außer durch die Um-
stände. Die Wunder, die der Antichrist wirken wird, sind alle unecht,
sowohl deswegen, weil seine Absicht sein wird zu täuschen, als auch des-
wegen, weil ein Teil nur in Vorspiegelungen und leerem magischem Schein
bestehen wird; der eine Teil werden nicht Wunder der Natur nach sein,
sondern nur Wunder vor den Menschen, d. h. sie liegen nicht außerhalb
der Naturkräfte, weil sie aber außergewöhnlich sind, erscheinen sie Ein-
fältigen als Wunder. Solche werden sein, daß er Feuer vom Himmel fal-
len lassen wird, das vor den Augen der Menschen herabfällt (Offb 13,13),
und daß er das Bild des Tieres sprechen lassen (13,15) und eine tödliche
Wunde heilen wird (13,3). Davon scheinen das Herabfallen des Feuers
auf die Erde und das Sprechen des Bildes Vorspiegelungen zu sein, von
denen er hinzufügt: vor den Augen der Menschen, das ist Magie. Die
Heilung der tödlichen Wunden wird ein volkstümliches Wunder sein,
nicht ein nachweisbares. Denn was das Volk für unmöglich hält, das hält
es für ein Wunder, wenn es das sieht. Es hält aber vieles für unmöglich von
Natur aus, was es nicht ist.
Dazu gehören verschiedene Heilungen. Verschiedene Wunden sind töd-
lich und unheilbar im Beisein bestimmter Ärzte; sie werden es aber nicht

227
sein im Beisein anderer, die fähiger sind und vorzüglichere Heilmittel
haben. So wird die Wunde nach dem gewöhnlichen Stand der Medizin
unheilbar sein, doch der Teufel, der mehr Fähigkeiten als die Menschen
besitzt in der Kenntnis der Kräfte von Pflanzen, Düften, Mineralien und
anderen Arzneien, wird diese Heilung bewirken durch die geheime An-
wendung von Arzneien, die den Menschen unbekannt sind. Das wird dem
als Wunder erscheinen, der nicht zu unterscheiden weiß zwischen mensch-
lichem und teuflischem Wissen, zwischen teuflischem und göttlichem.
Dabei übersteigt das diabolische das menschliche um ein gutes Stück, das
göttliche übertrifft das teuflische unendlich. Das menschliche Wissen
kennt nur einen kleinen Teil der Kräfte, die in der Natur sind; das teufli-
sche kennt viel mehr, aber in den Grenzen der Natur; das göttliche hat
keine andere Begrenzung als seine Unendlichkeit.
Ich sagte, daß es unter den echten Wundern solche gibt, die ein sicheres
Wissen und einen Beweis liefern, daß der Arm Gottes wirkt, die anderen
nicht, wenn man die Umstände und Hilfen außer acht läßt. Das ergibt
sich aus dem, was ich gesagt habe. Die Wunderdinge z. B., die die Zaube-
rer Ägyptens taten, glichen dem äußeren Anschein nach alle den Wun-
dern, die Mose wirkte (Ex 7). Wer aber die Umstände betrachtet, wird
sehr leicht erkennen, daß die einen echte Wunder waren, die anderen
falsche, wie die Zauberer zugaben, als sie sagten: Hier ist der Finger Gottes
(8,19). So könnte ich sagen: Wenn Unser Herr nie andere Wunder ge-
wirkt hätte, als der Samariterin zu sagen, daß der Mann, mit dem sie lebte,
nicht ihr Ehemann war, oder daß er das Wasser in Wein verwandelte,
könnte man denken, daß hier Vorspiegelung und Magie war. Da aber
diese Wunder von der gleichen Hand gewirkt wurden, die Blinde sehend
machte, Stumme reden, Taube hören, Tote lebendig, gibt es keinerlei
Zweifel mehr. Nach dem Verlust den Gebrauch wiedergeben, dem Nicht-
sein das Sein, den Menschen Lebensfunktionen zu geben, das ist allen
menschlichen Kräften unmöglich, das sind Taten des höchsten Herrn.
Wenn es ihm dann später gefällt, durch seine Allmacht zu heilen oder
Veränderungen an Dingen zu bewirken, läßt sie uns das weiterhin als
wunderbar anerkennen, obwohl die verborgene Natur ganz dasselbe be-
wirken kann. Da er getan hat, was die Natur übersteigt, versichert uns das
bereits seiner Eigenschaft und der Wunderkraft. Wenn ein Mensch ein
Meisterwerk geschaffen hat, hält man ihn für einen Meister, auch wenn er
dann mehrere gewöhnliche Werke macht.
Kurz gesagt, das Wunder ist ein ganz sicherer Beweis und eine Bestär-
kung im Glauben, wenn es ein echtes Wunder ist, und zu der Zeit, da es

228
geschieht. Andernfalls müßte man die ganze Predigt der Apostel umwer-
fen. Da der Glaube in Dingen besteht, die die Natur übersteigen, war es
angebracht, daß er sich als wahr erwies durch Werke, die die Natur über-
steigen und die zeigen, daß die Predigt oder das verkündete Wort aus dem
Mund und der Vollmacht des Herrn der Natur hervorgeht, dessen Macht
nicht begrenzt ist, der sich durch das Wunder als Zeuge der Wahrheit
erweist, das vom Prediger vorgetragene Wort unterschreibt und besiegelt.
Nun scheint es, daß die Wunder gewöhnliche Zeichen für die Einfachen
und Ungebildeten seien; denn nicht jeder kann die wunderbare Entspre-
chung ergründen, die zwischen den Prophezeiungen und dem Evangeli-
um besteht, die große Weisheit der Heiligen Schrift und ähnliche hervor-
ragende Merkmale der christlichen Religion. Das ist eine Untersuchung,
die Gelehrte zu machen haben. Es gibt aber keinen, der nicht das Zeugnis
eines echten Wunders verstünde; jeder Christ versteht diese Sprache. Es
scheint, daß die Wunder nicht notwendig sind; sie sind es aber wahrhaftig.
Nicht ohne Grund gewährt die gütige Vorsehung Gottes seiner Kirche zu
allen Zeiten Wunder, denn es gibt zu allen Zeiten Irrlehren. Diese sind
wohl hinreichend zurechtgerückt, selbst für das Fassungsvermögen der
Kleinen, durch das ehrwürdige Alter der Kirche, durch ihre Erhabenheit,
Echtheit, Katholizität und Heiligkeit. Trotzdem kann nicht jeder diese
„Leibgedinge“, wie Optatus sagt, in ihrem wahren Wert abschätzen; nicht
jeder versteht diese Sprache gründlich. Wenn aber Gott durch Werke
spricht, versteht das jeder; das ist ein allen Völkern gemeinsames Wort.
So ist die Schrift eines Schutzbriefes nicht jedem verständlich; wenn man
aber das weiße Kreuz und die Waffen des Fürsten sieht, dann erkennt
jeder, daß hier das Zeugnis und die höchste Autorität umgeht.

2. Artikel: Wie die Prädikanten gegen den schuldigen Glauben an das


Zeugnis der Wunder gefehlt haben.

Es gibt fast keinen Artikel unserer Religion, der nicht durch Wunder
von Gott beglaubigt wäre. Die Wunder, die in der Kirche geschehen und
zeigen, wo die wahre Kirche ist, bestätigen hinreichend den ganzen Glau-
ben der Kirche. Gott würde ja niemals Zeugnis geben für eine Kirche, die
nicht den wahren Glauben hat und sich im Irrtum befindet, götzendiene-

229
risch ist und irreführt. Doch dabei bleibt die höchste Güte nicht stehen;
sie bestätigt fast alle Punkte des katholischen Glaubens durch hervorra-
gende Wunder. Und durch eine besondere Vorsehung Gottes finden wir,
daß Unser Herr bei fast allen Glaubensartikeln, über die wir mit den
Prädikanten im Streit sind, durch unwiderlegbare Wunder ein überaus
klares Zeugnis für die Wahrheit gegeben hat, die wir verkünden. Wenn ihr
wollt, lege ich einige Beispiele vor.
Der hl. Gregor sagt: „Als Agapitus, Bischof der heiligen römischen
Kirche, zum Fürsten Justinian in Griechenland reiste, brachten die Ver-
wandten eines stummen Gelähmten diesen zu Agapitus, damit er ihn
heile. Sie sagten sich, in der Kraft Gottes habe er durch die Vollmacht des
hl. Petrus die sichere Hoffnung auf sein Heil.“ Seht den Glauben dieser
guten Leute; sie sahen im Papst den Nachfolger des hl. Petrus; daher
mußte er eine überragende Vollmacht besitzen. Einer eurer Prädikanten
hätte sie für abergläubisch gehalten; die katholische Kirche hätte immer
gesagt, wie sie jetzt sagt: ihr Glaube war richtig. Seht, welches Zeugnis
Unser Herr dafür gibt: „Sogleich“, fährt der hl. Gregor fort, „oblag der
ehrwürdige Mann dem Gebet, begann die Meßfeier und brachte das heili-
ge Opfer im Angesicht des allmächtigen Gottes dar. Als sie beendet war,
stieg er vom Altar herab, ergriff im Beisein und vor den Augen des Volkes
die Hand des Lahmen, erhob ihn vom Boden und stellte ihn auf seine
Füße. Als er ihm den Leib des Herrn in den Mund legte, wurde die seit
langem stumme Zunge gelöst. Alle staunten und begannen vor Freude zu
weinen. Sogleich erfaßte die Leute Furcht und Ehrfurcht, da sie offenkun-
dig sahen, was Agapitus in der Kraft Gottes und durch den Beistand des
hl. Petrus vermochte.“ Das sind die Worte des hl. Gregor.
Was sagt ihr dazu? Wenn ihr mich fragt, wer dieses Wunder gewirkt hat,
antworte ich euch mit den eigenen Worten Unseres Herrn: Blinde sehen,
Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, den
Armen wird das Evangelium verkündet (Mt 11,5). Welcher Glaube hat es
erbeten? Der Glaube, daß der Papst der Nachfolger des hl. Petrus ist und
dadurch eine überragende Vollmacht besitzt. Durch welche Handlungen
wurde es erreicht? Durch das hochheilige Meßopfer und durch das Legen
des wirklichen Leibes Unseres Herrn in den Mund des Kranken. Worin
bestand das Wunder? Darin, daß dem Kranken nach dem Verlust der
Gebrauch wiedergegeben wurde und ihm eine Lebensfunktion verliehen
wurde, nämlich das Gehör; denn obwohl nicht gesagt wird, daß er taub
war, war er es dennoch, denn der von Natur Stumme ist immer taub.

230
Was kann man also daraus anderes schließen als: Es ist der Finger Got-
tes (Ex 8,19)? Gott hat unseren Glauben bestätigt und besiegelt, den Glau-
ben an den Artikel über die Nachfolge des Papstes in der Vollmacht des
hl. Petrus und an den Artikel von der heiligen Messe. Was will man dage-
gen einwenden? Zu welcher Zeit dieses Wunder geschehen ist? Zur Zeit
der ganz reinen und heiligen Kirche. Calvin und die Lutheraner geben ja
zu, daß die Reinheit der Kirche bis zur Zeit nach dem hl. Gregor dauerte.
Wer berichtet diese Geschichte? Eine ganz heilige und gelehrte Persön-
lichkeit, selbst nach der Meinung der Gegner, die ihn zum letzten guten
Papst machen. Wo ist das Wunder geschehen? In Gegenwart eines ganzen
Volkes, des griechischen, das nicht für den Heiligen Stuhl begeistert war.
So predigen wir die wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Unse-
res Herrn im Sakrament des Altares. Unser Herr hat sie bestätigt durch
die wunderbare Erfahrung, die er einem Juden und einer Jüdin gewährte,
die nach dem Zeugnis des hl. Amphilochius, der um das Jahr 380 lebte,
der Messe des hl. Basilius beiwohnten. Auch eine Frau, die das Brot ge-
knetet hatte, das man konsekrieren mußte, kam zur heiligen Kommuni-
on. Als sie den hl. Gregor, der nicht mehr das Brot, sondern das allerhei-
ligste Sakrament in Händen hielt, auf sich zukommen sah, um ihr die
Kommunion zu reichen, und ihn sagen hörte: „Der Leib unseres Herrn
Jesus Christus ...“, da begann sie zu lachen. Der hl. Gregor fragte sie,
warum sie lache; sie antwortete: deswegen, weil sie das Brot geknetet
habe, von dem der hl. Gregor sagte, das sei der Leib Unseres Herrn. Der
hl. Gregor erwirkte durch Gebete, daß die heilige Eucharistie nach außen
als das sichtbar wurde, was sie im Inneren war. Dadurch wurde diese
arme Frau zum Glauben zurückgeführt und das ganze Volk bestärkt. Das
ist eine Begebenheit, die der Diakon Paulus berichtet.
Wir predigen, daß man Unseren Herrn anbeten muß, der wirklich im
allerheiligsten Sakrament gegenwärtig ist. Das tat Gorgonia, die Schwe-
ster des hl. Gregor von Nazianz, und sogleich war sie nach dem Bericht
ihres Bruders von einer unheilbaren Krankheit geheilt. Der hl. Chryso-
stomus berichtet von zwei schönen Erscheinungen, bei denen eine Schar
von Engeln um das heilige Opfer des Altares zu sehen war, „mit geneig-
tem Haupt, so als sähe jemand Soldaten vor dem König stehen; davon
habe ich mich selbst leicht überzeugt“, sagt dieser Goldmund.
Wir predigen die Wesensverwandlung; die beglaubigen die Erlebnisse,
die ich nach dem hl. Amphilochius und dem Diakon Paulus berichtet
habe.

231
Wir predigen, daß die heilige Eucharistie nicht nur Sakrament ist, son-
dern Opfer. Der hl. Augustinus berichtet von einem Ort in Hesperius im
Gebiet von Fussale, der durch die Gewalttätigkeit der bösen Geister un-
bewohnbar war, und sagt: „Einer von den Priestern ging hin, brachte dort
das Opfer des Leibes Christi dar und betete inständig, daß die Plage wei-
che, und durch Gottes Erbarmen wich sie.“ Hier schließt sich an, was ich
von Agapitus berichtet habe.
Wir predigen die Gemeinschaft der Heiligen in ihrer Fürbitte für uns
und in der Verehrung, die wir für sie haben. Doch wann würde ich fertig,
auch die Wunder aufzuzählen, die durch diesen Glauben geschehen sind?
Theodoret hat darüber eine lange Predigt gehalten; der hl. Gregor von
Nazianz berichtet davon ein ganz sicheres Wunder bei der Bekehrung des
hl. Cyprian durch die Fürsprache Unserer lieben Frau.
Wir verehren ihre Reliquien. Seht die lange Abhandlung des hl. Augu-
stinus über ganz sichere Wunder, die bei den Reliquien des hl. Stephanus
geschahen. Er berichtet ebenfalls von einem, das bei den Reliquien des
hl. Gervasius in Mailand geschah an einem Blinden, der geheilt wurde.
Darüber berichtet er auch in seinen „Bekenntnissen“; ebenso der hl.
Ambrosius.
Wir machen das Kreuzzeichen gegen den Teufel. Der hl. Gregor von
Nazianz bestätigt, daß Julian Apostata bei einem Götzenopfer den Teufel
sah; er bekreuzigte sich und der Teufel floh. Der Hexenmeister und Zau-
berer sagte zum Apostaten, daß der Teufel nicht aus Furcht floh, sondern
aus Abscheu: „Wir sind ihnen zum Abscheu geworden“, sagte er, „nicht
zum Schrecken. Er besiegte, was schlimmer ist.“ Eusebius bezeugt die
Wunder, die Gott durch dieses Zeichen zur Zeit Konstantin des Großen
wirkte.
In unseren Kirchen haben wir heilige Gefäße. Der hl. Chrysostomus
berichtet, daß Julian, der Onkel des Kaisers Julian, mit einem gewissen
Schatzmeister sie raubte und entweihte; aber Julian starb plötzlich, von
Würmern zerfressen, und der Schatzmeister zerbarst auf der Stelle.
Wir vertrauen auf den heiligen Chrisam, mit dem man bei der heiligen
Firmung die Getauften salbt. Der hl. Optatus von Mileve berichtet: Als
die Phiole oder Ampulle des heiligen Chrisams von den Donatisten an
den Steinen zerschlagen wurde, „fehlte die Hand des Engels nicht, die sie
durch geistiges Eingreifen entführte; die weggeworfene konnte den Fall
nicht fühlen.“
Wir bekennen demütig unsere Sünden den kirchlichen Vorgesetzten.
Der hl. Johannes Climacus berichtet: Als ein sehr lasterhafter Mensch

232
seine Sünden beichtete, sah man eine große, furchterregende Gestalt, die
aus einem großen Kontobuch in dem Maß die Sünden ausradierte, wie
jener sie bekannte; deswegen, sagt Climacus, weil die Beichte sicher vor
der ewigen Schande bewahrt.
Wir haben in unseren Kirchen Bilder; wer aber kennt nicht die großen
Wunder, die an einem Bild Unseres Herrn geschahen, das die Juden in
Syrien in der Stadt von Berit kreuzigten? Aus ihm floß nicht nur Blut,
sondern dieses Blut heilte jeden, der mit ihm in Berührung kam, von jeder
Krankheit. Das berichtet der große hl. Athanasius.
Wir haben hier Weihwasser und gesegnetes Brot. Doch der hl. Hierony-
mus berichtet, daß viele vom hl. Hilarion gesegnetes Brot nahmen, um
die Kranken zu heilen. Und der hl. Gregor sagt, daß der hl. Fortunatus
einen Mann, der sich beim Sturz vom Pferd das Bein gebrochen hatte,
durch die bloße Besprengung mit Weihwasser heilte. Das genügt.
Welche Verachtung so vieler und so großer Wunder ist es nun, sich
lustig zu machen und zu spötteln über diese ganze Lehre und über die
Kirche, die sie verkündet. Wenn ihr das Zeugnis des Altertums nicht
schätzen wollt, das Zeugnis Gottes ist größer (1 Joh 5,9). Was werdet ihr
antworten? Ich habe hier die erstbesten Wunder aufgeschrieben, die mir
unterkamen. Trotzdem habe ich Autoren gewählt, die in der reinen Kir-
che lebten. Denn hätte ich euch die Wunder vorgetragen, die zur Zeit des
hl. Bernhard geschahen, des hl. Malachias und Beda, des hl. Franziskus,
eure Prädikanten hätten sogleich geschrien, das seien Wunderwerke des
Antichristen. Da aber alle, wie sie sind, zugeben, daß der Antichrist erst
einige Zeit nach dem hl. Gregor aufgetreten sei, und da alles, was ich
anführe, früher oder zur Zeit des hl. Gregor geschehen ist, gibt es keine
Schwierigkeit.
Die Arianer leugneten das Wunder an dem Blinden, der durch die Be-
rührung mit dem Saum des Tuches geheilt wurde, das die Reliquien der
Heiligen Gervasius und Protasius bedeckte; sie sagten, er sei nicht geheilt
worden. Der hl. Ambrosius antwortet: „Sie leugnen, daß er sehend wurde,
er aber leugnet nicht, daß er geheilt wurde. Doch ich frage“, sagt er etwas
später, „was sie nicht glauben. Ob jemand durch die Märtyrer eine Gnade
erfahren kann? Das heißt, Christus nicht glauben, denn er hat selbst ge-
sagt: Noch Größeres als das werdet ihr vollbringen (Joh 14,12).“ Und wei-
ter unten sagt er: „Sie würden das Wirken der Märtyrer nicht leugnen,
wenn sie nicht meinten, daß ihnen der Glaube gefehlt hätte, den sie selbst
nicht haben; jenen Glauben, der durch die Überlieferung der Alten bestä-
tigt ist, den selbst die Dämonen nicht verweigern können, den aber die

233
Arianer verweigern. Vom Teufel nehme ich kein Zeugnis an, sondern ein
Bekenntnis.“
Welche Umstände machen denn diese Wunder unwiderlegbar? Zum
Teil sind sie die Wiederherstellung von Lebensfunktionen. Das kann durch
keine andere als die göttliche Macht geschehen. Die Zeit, zu der sie ge-
schahen, war der Unseres Herrn sehr nahe, die Kirche war ganz rein und
heilig; der Antichrist war nicht in der Welt, wie die Prädikanten sagen;
die Menschen, auf deren Gebete hin die Wunder geschahen, waren sehr
heilig; der Glaube, der dadurch gefestigt wurde, war allgemein und ganz
katholisch; die Autoren, die sie berichten, sind sehr zuverlässig.
Hier will ich einen entlehnten Text30 anführen: „Wenn wir bei Bouchet
von den Wundern der Reliquien des hl. Hilarius lesen, meinetwegen.
Seine Glaubwürdigkeit ist nicht groß genug, um uns die Berechtigung
zum Widerspruch zu nehmen. Doch im gleichen Zug alle derartigen Be-
richte zu verwerfen, das halte ich für eine einmalige Unverschämtheit.
Der große hl. Augustinus bezeugt, daß er selbst gesehen hat, wie durch
die Reliquien der Heiligen Gervasius und Protasius in Mailand ein blin-
der Mann das Augenlicht wiedergewann. Eine Frau in Karthago wurde
von einem Krebs geheilt durch das Kreuzzeichen, das eine neugetaufte
Frau über sie machte. Hesperius, einer seiner Vertrauten, hat die Geister,
die sein Haus heimsuchten, durch ein wenig Erde vom Grab Unseres
Herrn vertrieben. Diese Erde wurde dann in die Kirche gebracht, und ein
Gelähmter, den man hinbrachte, wurde plötzlich geheilt. Eine Frau hatte
bei einer Prozession den Reliquienschrein des hl. Stephanus mit einem
Blumenstrauß berührt; mit diesem rieb sie sich die Augen und gewann
die Sehkraft wieder, die sie lange vorher verloren hatte. Er berichtet noch
mehrere andere Wunder und sagt, daß er selbst dabei war. Wessen be-
schuldigen wir ihn und die beiden Bischöfe Aurelius und Maximinus, die
er als seine Zeugen nennt? Käme das von Unwissenheit, beschränktem
Geist und Leichtsinn? Oder von Bosheit und Heuchelei? Gibt es in unse-
rem Jahrhundert einen Menschen, der so unverschämt wäre zu denken,
daß er sich mit ihnen messen könnte, sei es an Tugend, sei es an Wissen,
Urteil und Fähigkeiten?“
Dasselbe sage ich von den beiden Heiligen Gregor, die ich angeführt
habe, vom hl. Amphilochius, vom hl. Hieronymus, vom hl. Chrysosto-
mus, Athanasius, Climacus, Optatus, Ambrosius, Eusebius. Sagt um Got-
tes willen, ist Gott nicht sehr gut möglich, was sie berichten? Und wenn es
ihm möglich ist, wie könnten wir zu leugnen wagen, daß er es gewirkt hat,
da es so viele große Persönlichkeiten bezeugen?

234
Man hat mir mehrfach gesagt: Ist das ein Glaubensartikel, daß man
diese Berichte glaubt? Das ist wahrhaftig kein Glaubensartikel, aber eine
Sache der Weisheit und der Einsicht. Es ist ja eine offenkundige Dumm-
heit, und eine sehr törichte Anmaßung, diese alten und ehrwürdigen Per-
sönlichkeiten der Lüge zu zeihen, ohne andere Grundlage als die, daß
das, was sie sagen, nicht in unser Konzept paßt. Würde das nicht heißen,
daß unser kleines Hirn über Wahrheit und Lüge entscheidet und das Ge-
setz für Sein und Nichtsein bestimmt?

Kapitel VIII

Daß die Prädikanten gegen die


natürliche Vernunftt verstoßen haben,
ernunf
Vernunf
die achte Regel unseres Glaubens.

1. Artikel: Inwiefern die natürliche Vernunft und die Erfahrung eine


Regel rechten Glaubens sind.

Gott ist der Urheber der natürlichen Vernunft in uns, und er haßt nichts,
was er geschaffen hat (Weish 11,25). Da er unseren Verstand mit diesem
Licht ausgestattet hat (Ps 4,7), darf man daher nicht meinen, das andere,
übernatürliche Licht, das er den Gläubigen verleiht, stehe im Widerspruch
und Gegensatz zum natürlichen. Sie sind Kinder ein- und desselben Va-
ters, das eine durch die Natur, das andere durch höhere und erhabenere
Mittel; sie können und müssen also zueinander wie sehr liebevolle Schwes-
tern sein. Ob natürlich oder übernatürlich, die Vernunft ist immer Ver-
nunft und die Wahrheit bleibt Wahrheit. Es ist auch nur ein- und dasselbe
Auge, das in der Dunkelheit einer sehr finsteren Nacht zwei Schritte weit
sieht und das am Mittag eines schönen Tages den ganzen Umkreis seines
Horizonts sieht; aber es ist jedesmal ein anderes Licht, das es erleuchtet.
So ist es auch sicher, daß die Wahrheit, sowohl über die Natur als in der

235
Natur, stets dieselbe ist; es ist nur ein verschiedenes Licht, das sie unse-
rem Verstand zeigt. Der Glaube zeigt sie uns über die Natur hinaus und
der Verstand in der Natur, aber die Wahrheit ist nie ein Widerspruch in
sich selbst.
Ebenso: Unsere Sinne täuschen sich nicht über ihren eigentlichen Ge-
genstand, wenn sie in rechter Weise angewandt werden, und unsere Erfah-
rung für sich genommen, einfach und bloß, kann nicht trügen. Das sind
Lehrsätze der Philosophie, die ihre ganz gesicherte Grundlage darin ha-
ben, daß Gott der Urheber unserer Sinne ist und sie als heiliger und
unfehlbarer Schöpfer auf das ihnen eigene Ziel und ihren Zweck ausrich-
tet. Das sind gewiß grundlegende Prinzipien, und wer sie aufheben wollte,
würde jede Überlegung und Vernunft aufheben. Ein Beispiel soll uns
diese Grundsätze besser zu verstehen helfen. Mein Auge kann sich täu-
schen, wenn es einen Gegenstand für größer hält, als er ist; aber die Größe
ist nicht der meinem Auge eigene Gegenstand, denn sie gehört dem Tast-
sinn und der Hand an. Es kann sich täuschen, wenn es eine Bewegung
annimmt, wo keine ist. Die im Schiff am Ufer entlang fahren, denen schei-
nen sich die Bäume und Türme zu bewegen; aber die Bewegung ist nicht
der dem Auge eigene Gegenstand, daran hat auch der Tastsinn Anteil. Es
kann sich auch täuschen, wenn seine Wahrnehmung nicht unverfälscht
ist; denn wenn es durch ein grünes oder rotes Glas blickt, hält es etwas für
grün oder rot, das es nicht ist.
Außerdem: Wenn ihr zum Urteil der Sinne und zur Erfahrung die Über-
legung und Schlußfolgerung hinzufügt, dann kommt der Irrtum nicht mehr
von der Sinneswahrnehmung und Erfahrung, denn sie ist nicht mehr un-
getrübt und einfach; hier hat euch die Überlegung und Schlußfolgerung
getäuscht, die ihr damit verbunden habt.
So täuschen die Augen und die Erfahrung jene nicht, die in Unserem
Herrn die menschliche Gestalt und Lebensweise sehen und feststellen,
denn das alles hatte er. Wenn sie aber daraus folgern, er sei nicht Gott
gewesen, dann täuschen sie sich. Die Sinne, die feststellen, daß auf dem
Altar etwas Rundes, Weißes mit dem Geschmack von Brot ist, urteilen
richtig; aber die Überlegung, die daraus schließt, daß hier noch die Sub-
stanz des Brotes sei, zieht eine sehr schlechte und falsche Schlußfolge-
rung. Dazu sind die Sinne nicht fähig, denn sie gewinnen keine Erkennt-
nis über das Wesen der Dinge, sondern über die Eigenschaften. Ebenso ist
die Erfahrung ganz richtig, die uns zeigt, daß wir nicht wissen, wie diese
Eigenschaften ohne ihr natürliches Wesen sind. Wenn aber unser Ver-

236
stand daraus schließt, daß es ein solches nicht gebe, dann irrt er und täuscht
auch uns; und unsere Erfahrung ist dazu unfähig; sie hat kein Organ für
diese Schlußfolgerung.
Die Erfahrung und die Wahrnehmung der Sinne sind also sehr richtig,
aber die Überlegungen, die wir daraus ableiten, täuschen uns. Außerdem,
wer die Wahrnehmung der Sinne und die eigene Erfahrung anficht, der
bekämpft die Vernunft und stellt sie auf den Kopf, denn die Grundlage
jeder Überlegung ist abhängig von der Wahrnehmung der Sinne und von
der Erfahrung. Wie sehr nun eure Prädikanten gegen die Erfahrung, ge-
gen die Sinneswahrnehmung und gegen die natürliche Vernunft versto-
ßen haben, will ich euch nun gleich aufzeigen, damit ihr selbst nicht gegen
euer eigenes Urteil verstoßt.

2. Artikel: Wie sehr die Prädikanten gegen die Vernunft und die Erfah-
rung verstoßen haben.

Luther sagt in der „Verteidigung der von Leo verurteilten Artikel“, daß
„die Heilige Schrift für jeden sehr leicht verständlich und klar“ sei; daß
jeder in ihr die Wahrheit erkennen, zwischen den Anschauungen und
Meinungen unterscheiden könne, welche die wahre ist, welche die fal-
sche. Sagt doch bitte, verstößt er damit nicht gegen die eigene Erfahrung
aller? Und wenn ihr diesen Unsinn geglaubt habt, erkennt ihr nicht ganz
offenkundig das Gegenteil? Ich kenne keinen so Tüchtigen, der selbstbe-
wußt zu beschwören wagte, daß er den wahren Sinn kenne, ich sage nicht:
der ganzen Heiligen Schrift, aber irgendeines Teils von ihr; und wenn,
dann habe ich bei euch noch keinen gesehen, der den Sinn eines ganzen
Kapitels versteht.
Wenn Calvin und Bucer leugnen, daß wir in unserem Willen irgendeine
Freiheit hätten, nicht nur für die übernatürlichen Akte, sondern auch für
die natürlichen Handlungen, widerspricht das nicht der natürlichen Ver-
nunft und jeder Philosophie, wie Calvin selbst zugibt, und gleichzeitig der
Erfahrung, sowohl der euren, wenn ihr aufrichtig seid, und der aller übri-
gen Menschen?
Luther sagt, glauben, hoffen und lieben seien keine Tätigkeiten unseres
Willens, sondern reine Leidenschaften ohne irgendeine Betätigung unse-
res Willens. Zerstört er dadurch nicht mit einem Schlag das Glauben,
Hoffen und Lieben und verwandelt sie in geglaubt, gehofft und geliebt
werden? Und widerspricht er nicht dem Herzen des Menschen, das sehr

237
wohl weiß, daß es mit der Gnade Gottes glaubt, hofft und liebt? Ebenso,
wenn Luther sagt, daß die Kinder bei der Taufe den Gebrauch des Ver-
standes und der Vernunft hätten, und wenn die Synode von Wittenberg
sagt, die Kinder hätten bei der Taufe Regungen und Neigungen vergleich-
bar den Regungen des Glaubens und der Liebe, und das ohne Verstand,
heißt das nicht, sich über Gott, die Natur und die Erfahrung lustig ma-
chen?
Und wenn man sagt, wir sündigten, „getrieben, gestoßen, genötigt durch
den Willen, die Anordnung, das Gebot und die Vorsehung Gottes“, heißt
das nicht gegen alle Vernunft und gegen die Majestät der höchsten Güte
lästern? Seht doch die feine Theologie Zwinglis, Calvins und Bezas: „Ja,
aber, wirst du sagen“, sagt Beza; „du wirst sagen, sie konnten dem Willen
Gottes nicht widerstehen, d. h. seinem Gebot; ich stimme zu. Aber wie
sie nicht konnten, so wollten sie auch nicht. Sie konnten in Wahrheit
nicht anders wollen. Ich gebe zu, was den Ausgang und die Kraft betrifft,
aber der Wille Adams war nicht genötigt.“ Gütiger Gott, ich rufe dich
zum Bürgen an: Du hast mich gedrängt, Böses zu tun. Du hast es so be-
stimmt, angeordnet und gewollt, ich konnte nicht anders handeln, ich
konnte nicht anders wollen; was ist da meine Schuld? Gott meines Her-
zens, züchtige meinen Willen, wenn er das Böse nicht wollen kann, daß er
es wolle; denn wenn es ihm unmöglich ist, es zu wollen, und wenn du die
Ursache dieses Unvermögens bist, was kann er dabei für eine Schuld
haben? Wenn das nicht gegen die Vernunft ist, bekenne ich, daß es keine
Vernunft in der Welt gibt.
„Das Gebot Gottes (zu halten) ist unmöglich.“ So Calvin und die übri-
gen. Was folgt daraus, wenn nicht, daß Unser Herr ein Tyrann ist, der
Unmögliches gebietet? Wenn es unmöglich ist, warum gebietet man es
dann?
„Genau betrachtet, verdienen die Werke, so gut sie sein mögen, eher die
Hölle als das Paradies.“ Die Gerechtigkeit Gottes, die jedem nach seinen
Werken vergelten wird (Röm 2,6), wird also jedem mit der Hölle vergel-
ten?
Das genügt. Aber die Absurdität der Absurditäten, der schrecklichste
Widersinn von allen ist der, darauf zu bestehen, daß die ganze Kirche
tausend Jahre lang im Verständnis des Wortes Gottes geirrt habe, daß
aber Luther, Zwingli und Calvin sicher sein können, sie recht zu verste-
hen. Mehr noch, daß ein simples Prädikantlein als Wort Gottes verkün-
det, die ganze sichtbare Kirche habe sich geirrt, Calvin und alle Men-
schen könnten irren, und es dann wagt, aus den Auslegungen der Heiligen

238
Schrift die herauszunehmen und zu wählen, die ihm gefällt, sie als Wort
Gottes zu bezeichnen und festzuhalten. Und noch mehr: Ihr hört, auf
dem Gebiet der Religion könne jeder sich irren, selbst die ganze Kirche.
Ohne euch unter den tausend Sekten, die sich alle rühmen, die Heilige
Schrift recht zu verstehen und recht zu predigen, eine andere suchen zu
wollen, glaubt ihr so halsstarrig einem Prädikanten, der euch predigt, daß
ihr nichts anderes hören wollt. Wenn jeder sich im Verständnis der Heili-
gen Schrift irren kann, warum nicht auch ihr und euer Prädikant? Ich
muß mich wundern, daß ihr nicht ständig zittert und schwankt; ich wun-
dere mich, wie ihr mit solcher Sicherheit in der Lehre leben könnt, der ihr
folgt, als ob ihr euch nicht alle irren könntet, und daß ihr trotzdem für
gewiß haltet, daß jeder sich geirrt hat und sich irren kann.
Das Evangelium steht sehr hoch über jeder erhabensten natürlichen
Vernunft. Es widerspricht ihr nie, verdirbt sie niemals, löst sie nicht auf.
Aber diese Hirngespinste eurer Evangelisten zerstören und verdunkeln
das natürliche Licht.

3. Artikel: Daß die Analogie des Glaubens den Prädikanten nicht dazu
dienen kann, ihre Lehre zu begründen.

Es ist eine selbstgefällige und überhebliche Redensart bei euren Prädi-


kanten, die ihnen geläufig ist, man müsse die Heilige Schrift auslegen und
die Auslegung prüfen durch die Analogie des Glaubens. Wenn das einfa-
che Volk von der Analogie des Glaubens sprechen hört, meint es, das sei
ein bestimmtes Wort von verborgener Macht und Kraft und geheimnis-
voll; es bewundert jede Auslegung, weil man dieses Wort damit verbin-
det. Sie haben tatsächlich recht, wenn sie sagen, man muß die Heilige
Schrift auslegen und die Auslegungen prüfen durch die Analogie des Glau-
bens; aber sie haben unrecht, wenn sie nicht tun, was sie sagen. Das arme
Volk hört nichts anderes als die Prahlerei mit dieser Analogie des Glau-
bens, und die Prädikanten haben nichts anderes getan, als sie zu verder-
ben, zu verletzen, zu vergewaltigen und in Stücke zu reißen.
Sagen wir es doch: Ihr behauptet, die Heilige Schrift sei leicht zu verste-
hen, wenn man sie nur der Regel und dem Maßstab der Analogie des
Glaubens angleicht. Doch welche Regel des Glaubens können jene ha-
ben, die nur eine Heilige Schrift besitzen, die ganz glossiert, ganz ausge-

239
walzt und durch Auslegungen, Metaphern und Metanomyen verdreht ist?
Wenn die Regel in Unordnung geraten ist, wer soll sie normieren? Und
welche Analogie und welche Norm des Glaubens kann es geben, wenn
man die Glaubensartikel den ausgefallensten Vorstellungen ihrer Leicht-
gläubigkeit anpaßt? Wollt ihr, daß euch der Maßstab der Glaubensartikel
hilft, um euch über die Lehre und Religion schlüssig zu werden? Dann
laßt den Glaubensartikeln ihre natürliche Gestalt, gebt ihnen keine ande-
re Form, als sie von den Aposteln erhalten haben.
Ich überlasse es euch zu denken, was mir das Glaubensbekenntnis hel-
fen kann, um die Heilige Schrift zu erklären, nachdem ihr es in einer
Weise glossiert, daß ihr mich in so große Unsicherheit über seinen Sinn
stürzt, wie ich sie über die Heilige Schrift selbst nie hatte. Wenn man
fragt, wie es geschehen kann, daß der gleiche Leib Unseres Herrn an zwei
Orten ist, sage ich, daß das für Gott leicht ist, entsprechend dem Wort des
Engels (Lk 1,37): Bei Gott ist nichts unmöglich, und ich bekräftige es
durch das Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott, den Vater den All-
mächtigen.“ Wenn ihr aber sowohl die Heilige Schrift als auch den Glau-
bensartikel glossiert, wie wollt ihr dann eure Glosse beglaubigen? Dafür
wird es kein anderes Grundprinzip geben als euer Hirn. Wenn die Analo-
gie des Glaubens euren Glossen und Meinungen unterworfen ist, muß
man das offen sagen, damit man eure Absicht kennt. Dann hieße das, die
Heilige Schrift auslegen durch die Heilige Schrift und die Analogie, das
Ganze euren Auslegungen und Vorstellungen angepaßt.
Ich wende das Ganze auf die Analogie des Glaubens an. Diese Erklä-
rung paßt sehr gut zum ersten Wort des Glaubensbekenntnisses, wo uns
„ich glaube“ jeder Schwierigkeit menschlicher Überlegung enthebt. „An
den Allmächtigen“: das bestärkt mich, die Schöpfung belebt mich neu;
denn „warum sollte nicht den Leib Christi aus dem Brot werden lassen,
der alles aus nichts gemacht hat?“ Der Name Jesus ermutigt mich, denn
darin ist seine Barmherzigkeit und sein erhabener Wille ausgedrückt.
Daß er der „mit dem Vater wesensgleiche Sohn“ ist, zeigt mir seine gren-
zenlose Macht. Seine Empfängnis außerhalb des natürlichen Ablaufs, daß
er es nicht verschmähte, dort zu wohnen, daß er geboren wurde unter
Durchdringung des Raumes, ein Vorgang, der die Natur eines Körpers
übersteigt und übertrifft, das überzeugt mich von seinem Willen und sei-
ner Macht. Sein Tod bestärkt mich, denn was wird der nicht für uns tun,
der für uns gestorben ist? Sein Begräbnis und sein Hinabsteigen in das
Reich des Todes tröstet mich, denn ich zweifle nicht daran, daß er in das

240
Dunkel meines Leibes herabsteigen wird, usw. Seine Auferstehung belebt
mich neu, denn die neue Durchdringung des Steines, die Behendigkeit,
Zartheit, Klarheit, Leidensunfähigkeit seines Leibes ist nicht mehr den
zu groben Gesetzen unseres Geistes unterworfen. Seine Himmelfahrt er-
hebt mich zu diesem Glauben; denn wenn sein durchgeistigter Leib sich
durch seinen bloßen Willen erhebt und sich ohne Raum zur Rechten des
Vaters setzt, warum sollte er nicht auch hier unten sein, wo es ihm beliebt,
ohne einen anderen Raum einzunehmen als in seinem Willen? Das „er
sitzt zur Rechten des Vaters“ zeigt mir, daß ihm alles unterworfen ist, der
Himmel, die Erde, Zeit, Ort und Ausdehnung. Das „von dort wird er
wiederkommen, um die Lebenden und die Toten zu richten“ drängt mich
zum Glauben an seine unbeschränkte Herrlichkeit. Daher ist seine Herr-
lichkeit nicht an einen Ort gebunden, sondern wo immer er ist, umgibt sie
ihn; daher ist er im allerheiligsten Sakrament, ohne seine Herrlichkeit
und seine Vollkommenheit aufzugeben.
Der Heilige Geist, durch dessen Wirken er von einer Jungfrau empfan-
gen und geboren wurde, könnte sehr wohl durch sein Wirken das wunder-
bare Werk der Wesensverwandlung wieder vollziehen. Da die Kirche „hei-
lig“ ist, kann sie nicht zum Irrtum führen; da sie „katholisch“ ist, kann sie
nicht an dieses erbärmliche Zeitalter gebunden sein, sondern muß ihre
Ausdehnung haben in der Größe der Apostel, in der Weite der ganzen
Welt, in der Tiefe bis zum Fegefeuer, in der Höhe bis zum Himmel; d. h.
alle Völker, alle vorangegangenen Jahrhunderte, die kanonisierten Heili-
gen und unsere Vorfahren, für die wir Hoffnung haben, die Bischöfe, die
alten und die neuen Konzile, alle in allem singen Amen, amen zu diesem
heiligen Glauben. Das hier ist die vollkommene „Gemeinschaft der Hei-
ligen“, denn das ist die gemeinsame Speise der Engel und der heiligen
Seelen im Himmel und von uns hier; das ist das wahre Brot, an dem alle
Christen teilhaben. Die „Vergebung der Sünden“ ist dadurch gesichert,
daß der Urheber der Vergeltung hier ist, der Same der „Auferstehung“ ist
gesät, das „ewige Leben“ verliehen.
Wo findet ihr einen Widerspruch zu dieser heiligen Analogie des Glau-
bens? So wenig, daß in der Tat der heilige Glaube an das allerheiligste
Sakrament, das wahrhaftig, wirklich und wesentlich den natürlichen Leib
Unseres Herrn enthält, tatsächlich die Zusammenfassung unseres Glau-
bens ist, entsprechend dem Wort des Psalmisten (Ps 111,4): Er hat ein
Gedächtnis eingesetzt. O heiliges, vollkommenes Gedächtnis des Evan-
geliums, wunderbare Zusammenfassung unseres Glaubens: Wer an deine

241
Gegenwart in diesem hochheiligen Sakrament glaubt, Herr, wie deine
heilige Kirche lehrt, der sammelt, saugt den süßen Honig aus allen Blüten
unserer heiligen Religion, so daß er kaum je den Glauben verlieren kann.
Doch ich komme auf euch zurück, ihr Herren, und frage, was man mir
weiter erwidern wird auf die so klaren Worte: Das ist mein Leib (Mt 26,26
u. a.). Daß das Fleisch zu nichts nütze ist (Joh 6,64)? Nicht das eure oder
das meine, das nichts als Aas ist, noch unsere fleischlichen Sinne; nicht
bloßes Fleisch, tot, ohne Geist und Leben; aber der Leib des Erlösers, der
immer versehen ist mit dem lebendig machenden Geist und mit seinem
Wort; ich sage, er nützt allen, die ihn würdig empfangen, zum ewigen
Leben. Was sagt ihr? Daß die Worte Unseres Herrn Geist und Leben sind
(Joh 6,64)? Wer leugnet das außer euch? Ihr sagt, sie seien bildliche Aus-
drücke und Gleichnisse. Doch wozu die Folgerung: Die Worte Unseres
Herrn sind Geist und Leben; folglich darf man sie nicht von seinem Leib
verstehen? Und wenn er (Mt 20,18f) sagt: Der Menschensohn wird zur
Verspottung und Geißelung überliefert (ich nehme als Beispiel, was mir
gerade einfällt), waren diese Worte nicht Geist und Leben? Sagt also, er
sei nur bildlich gekreuzigt worden. Wenn er (Joh 6,63) sagt: Wenn ihr den
Menschensohn dorthin auffahren seht, wo er vorher war, folgt daraus, daß
er nur bildlich aufgefahren sei? Sie alle sind so zu verstehen wie die ande-
ren, von denen er sagt, daß sie Geist und Leben sind. Schließlich ist auch
im heiligen Sakrament ebensogut wie in den heiligen Worten Unseres
Herrn der Geist, der das Fleisch lebendig macht, sonst nützte es nichts;
aber das Fleisch ist hier nicht ohne sein Leben und seinen Geist. Was sagt
ihr noch? Daß dieses Sakrament Brot genannt wird? So ist es, aber in dem
Sinn, wie Unser Herr es (Joh 6,51) erklärt: Ich bin das lebendige Brot.
Das genügt wohl zu diesem Beispiel.
Was euch betrifft, was bringt ihr Ähnliches hervor? Ich zeige euch ein
ist; zeigt mir das „ist nicht“ oder das „versinnbildet“, das ihr behauptet.
Ich habe euch den Leib gezeigt; zeigt mir das „wirkliche Zeichen“. Sucht,
dreht und wendet, stützt euch mit Ungestüm auf euren Geist der Verdre-
hung (Jes 19,14); ihr werdet es doch nie finden. Ihr werdet höchstens
zeigen können, wenn einer diese Worte ein wenig pressen wollte, könnte
er in der Heiligen Schrift einige Ausdrücke finden, die denen vergleich-
bar sind, von denen ihr behauptet, daß sie hier stünden; aber vom Können
zum Sein ist ein weiter Weg. Ich bestreite, daß ihr sie zusammenreimen
könnt. Ich sage, wenn sie jeder nach seiner Weise handhabt, werden sie
die meisten falsch gebrauchen. Doch gut, laßt uns ein wenig sehen.

242
Ihr gebt als euren Glauben an: Die Worte, die ich sage, sind Geist und
Leben (Joh 6,64), und verbindet damit: Sooft ihr dieses Brot eßt (1 Kor
11,26); dem fügt ihr hinzu: Tut dies zu meinem Gedächtnis; hier fügt ihr
an: Ihr verkündet den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (1 Kor 11,24.26);
mich aber werdet ihr nicht immer haben (Joh 12,8). Überlegt doch ein
wenig, welchen Zusammenhang diese Worte untereinander haben. Ihr
paßt das der Regelwidrigkeit eures Glaubens an; und wie? Unser Herr
„sitzt zur Rechten des Vaters“, folglich ist er nicht hier. Zeigt mir den
Faden, mit dem ihr das Nein an die Zustimmung annäht? Weil ein Körper
nicht an zwei Orten sein kann. Ach, ihr möchtet sagen, daß ihr euer Nein
mit der Analogie verbinden wollt durch den Faden der Heiligen Schrift.
Wo ist diese Schriftstelle, daß ein Körper nicht an zwei Orten sein könne?
Seht doch ein wenig, wie ihr die laienhafte Vorstellung einer rein mensch-
lichen Vernunft mit dem heiligen Wort vermengt. Ach, sagt ihr, Unser
Herr wird von der Rechten des Vaters kommen, die Lebenden und die
Toten zu richten. Was soll daraus folgen? Wenn es notwendig wäre, daß er
kommt, um im heiligen Sakrament gegenwärtig zu sein, hätte eure Analo-
gie einige Wahrscheinlichkeit für sich, nicht aber die Wirklichkeit; denn
wenn er kommt, um zu richten, wird niemand sagen, daß er auf Erden sei;
das Feuer wird vorausgehen (Ps 97,3).
Das ist eure Analogie. Ich möchte wissen, wer besser vorgegangen ist,
ihr oder ich. Wenn man euch das Hinabsteigen Unseres Herrn in das
Reich des Todes erklären läßt als Grab oder als Ahnung von der Hölle
oder von der Pein der Verdammten, die Heiligkeit der Kirche als die
einer unsichtbaren und unbekannten Kirche, ihre Universalität als die
einer geheimen und verborgenen Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen
als bloßes allgemeines Wohlwollen, die Vergebung der Sünden als bloßes
Nichtanrechnen; wenn ihr auf diese Weise das Glaubensbekenntnis eu-
rem Ermessen angepaßt habt, wird es zugleich zum Rest eurer Lehre
passen. Doch wer sieht nicht den Widersinn: Das Glaubensbekenntnis,
das zur Unterweisung der einfachsten Leute dient, würde zur dunkelsten
Lehre der Welt, und statt eine Regel des Glaubens zu sein, bedürfte es
einer anderen Regel, um bestimmt zu werden: Die Gottlosen gehen im
Kreis (Ps 12,9).
Hier ist eine unfehlbare Regel unseres Glaubens: Gott ist allmächtig.
Wer all-mächtig sagt, nimmt nichts aus. Und ihr wollt diese Regel be-
stimmen und sie so begrenzen, daß sie sich nicht auf die absolute Macht
erstreckt oder auf die Macht, einen Körper an zwei Orten sein zu lassen,

243
oder an einem Ort, ohne nach außen einen Raum einzunehmen. Sagt mir
also: wenn die Regel einer Bestimmung bedarf, wer soll sie bestimmen?
So sagt das Glaubensbekenntnis, daß Unser Herr in das Reich des Todes
hinabgestiegen ist, und Calvin will das in der Weise bestimmen, daß es als
bloß gedachtes Hinabsteigen verstanden werde; der andere bezieht es auf
das Begräbnis. Heißt das nicht, mit dieser Regel wie die Lesbierinnen
umgehen, die Höhe nach dem Stein richten, statt den Stein nach der Höhe
zu behauen? Wahrhaftig, wenn der hl. Clemens und der hl. Augustinus
(das Glaubensbekenntnis) eine Regel nennen, der hl. Ambrosius einen
Schlüssel, wenn man aber einen anderen Schlüssel braucht, um diesen
Schlüssel zu öffnen, wo sollen wir den finden? Zeigt uns das. Soll es das
Hirn der Prädikanten sein oder was? Soll es der Heilige Geist sein? Aber
jeder wird sich rühmen, seinen Teil daran zu haben. Guter Gott, in wel-
ches Labyrinth geraten jene, die vom Weg der Alten abweichen!
Ihr sollt nicht meinen, ich wüßte nicht, daß das Glaubensbekenntnis
allein nicht die ganze Regel und der Maßstab des Glaubens ist. Denn der
hl. Augustinus und der große Vinzenz von Lerin nennen auch den kirch-
lichen Sinn eine Regel unseres Glaubens. Das Glaubensbekenntnis sagt
nichts ausdrücklich von der Wesensgleichheit, von den Sakramenten und
anderen Glaubensartikeln, es enthält aber den ganzen Glauben wurzel-
haft und grundlegend, vor allem wenn es uns zu glauben lehrt, daß die
Kirche heilig und katholisch ist, denn dadurch verweist es uns auf das,
was sie lehrt. Aber wie ihr die ganze kirchliche Lehre verachtet, so miß-
achtet ihr auch diesen erhabenen und wesentlichen Teil, den das Glau-
bensbekenntnis darstellt, und verweigert ihm den Glauben, außer ihr habt
es auf das Niveau eurer Auffassungen herabgedrückt. So verstoßt ihr ge-
gen diese Richtlinie und den Maßstab des Glaubens, den uns der hl. Pau-
lus (Röm 12,6) vorlegt, damit man ihm folge, sogar den Propheten selbst.

244
4. Artikel: Abschluß des ganzen zweiten Teils durch eine kurze Samm-
lung mehrerer Vorzüge der katholischen Kirche gegenüber den
Anschauungen der Häretiker unserer Zeit.

So segelt ihr also ohne Wegweiser, Kompaß und Ruder auf dem Meer
eurer menschlichen Anschauungen dahin; ihr könnt nur mit einem be-
klagenswerten Schiffbruch enden. Ich bitte euch, werft euch in das Boot
einer gediegenen Buße, solange es Tag ist, solange Gott euch Gelegenheit
gibt; kommt auf das glückselige Schiff, das mit vollen Segeln zum Hafen
der Herrlichkeit fährt. Wenn es keine andere gäbe, würdet ihr nicht er-
kennen, welche Vorzüge die katholische Lehre gegenüber euren Anschau-
ungen hat.
Die katholische Lehre beruht unmittelbar auf dem Wort Gottes, entwe-
der auf dem geschriebenen oder dem von Hand zu Hand überlieferten;
eure Auffassungen beruhen nur auf euren Auslegungen.
Die katholische Lehre macht die Güte und Barmherzigkeit Gottes glor-
reicher und verherrlicht sie; eure Anschauungen schmälern sie. Ist es z.B.
nicht eine größere Barmherzigkeit, seinen wirklichen Leib zu unserer
Speise hinzugeben, als nur dessen Gleichnis, Andenken und den Genuß
aufgrund des Vertrauens zu gewähren? Bedeutet es nicht, den Menschen
mehr zu rechtfertigen, wenn man seine Seele mit der Gnade schmückt,
als, ohne sie zu schmücken, ihn durch bloße Nachsicht und Nichtanrech-
nung zu rechtfertigen? Ist es nicht eine größere Gnade, den Menschen
und seine Werke wohlgefällig und gut zu machen, als den Menschen nur
für gut zu halten, ohne daß er es wirklich ist? Ist es nicht mehr, sieben
Sakramente eingesetzt zu haben zur Rechtfertigung und Heiligung des
Sünders, als nur zwei übrigzulassen, von denen das eine nichts und das
andere nicht viel nützt? Ist es nicht mehr, in der Kirche die Macht zur
Lossprechung hinterlassen zu haben, als sie nicht gegeben zu haben?
Ist es nicht mehr, eine sichtbare, umfassende, hervorragende, bedeuten-
de und unvergängliche Kirche hinterlassen zu haben, als eine kleine, ge-
heime, zerstreute, der Verderbnis unterworfene? Heißt es nicht das Wir-
ken Unseres Herrn höher schätzen, wenn man sagt, daß ein einziger Trop-
fen seines Blutes genügt hätte, die Welt zu erlösen, als zu sagen, wenn er
nicht die Leiden der Verdammten erduldet hätte, hätte er nichts erreicht?
Wird die Barmherzigkeit Gottes nicht mehr verherrlicht, wenn er seinen
Heiligen die Kenntnis dessen verleiht, was hier auf Erden geschieht, die
Erlaubnis, für uns zu bitten, und sich ihren Fürbitten gnädig zu erweisen,

245
sie nach ihrem Tod zu verherrlichen, als sie warten zu lassen und sie bis
zum jüngsten Gericht „in der Schwebe“ zu halten, wie Calvin sagt, sie
taub für unsere Gebete zu machen und unerbittlich für die ihren zu sein?
Das wird noch deutlicher im dritten Teil sichtbar.
Unsere Lehre läßt die Macht Gottes noch herrlicher erscheinen im
Sakrament der Eucharistie, in der Rechtfertigung und innewohnenden
Gerechtigkeit, in den Wundern, in der Bewahrung der unfehlbaren Kir-
che, in der Glorie der Heiligen.
Die katholische Lehre kann nicht von irgendeiner Leidenschaft ausge-
hen, weil sich ihr niemand anschließt, außer unter der Bedingung, seinen
Verstand unter die Autorität der Hirten zu beugen (1 Kor 10,5). Sie ist
nicht stolz, weil sie lehrt, nicht sich selbst zu glauben, sondern der Kirche.
Was soll ich noch sagen? Erkennt die Stimme der Taube neben der des
Raben. Seht ihr nicht die Braut, die nur Honig und Milch auf der Zunge
hat (Hld 4,11), die nur für die größere Herrlichkeit ihres Bräutigams
atmet, für seine Ehre und den Gehorsam gegen ihn? Nun denn, ihr Her-
ren, wollt ihr als lebendige Steine in die Mauern des himmlischen Jerusa-
lems eingefügt werden? Entzieht euch den Händen eurer liederlichen
Bauleute, die nicht ihre Pläne dem Glauben anpassen, sondern den Glau-
ben ihren Auffassungen. Kommt und stellt euch der Kirche vor. Sie wird
euch, wenn es nicht an euch liegt, nach der wahren Regel und Richt-
schnur des Glaubens in dieses himmlische Bauwerk einsetzen. Denn kei-
ner wird je oben einen Platz haben, der nicht hier unten geschliffen und
nach der Regel und dem Richtmaß des Glaubens eingesetzt worden ist.

246
Dritter TTeil
eil

Die Regeln des Glaubens werden in der


katholischen Kirche gewahr t.
gewahrt.

Vorwort

Eure Prädikanten haben euch zu zwei grundlegenden Fehlern verführt:


daß ihr die Kirche verlassen und daß ihr gegen alle echten Regeln der
christlichen Religion verstoßen habt. Das macht euch völlig unentschuld-
bar, ihr Herren. Sie sind ja so bedeutend, daß ihr sie nicht übersehen
könnt, und so wichtig, daß (der Verstoß gegen) eine der beiden genügt,
um euch das wahre Christentum verlieren zu lassen. Denn weder der
Glaube außerhalb der Kirche noch die Kirche ohne Glauben vermag
euch zu retten, so wenig, wie das Auge getrennt vom Kopf noch der Kopf
ohne das Auge das Licht zu sehen vermöchte. Wer euch von der Einheit
der Kirche trennen möchte, der muß euch verdächtig sein, und wer die
heiligen Regeln des Glaubens so sehr verachtet, den muß man fliehen
und verachten, gleich wie er sich gebärdet und was er angibt.
Aber, sagt ihr mir, sie behaupten, daß sie nichts sagen, was nicht aus-
drücklich im reinen, einfachen und unverfälschten Wort Gottes steht.
Mein Gott, wie könnt ihr so leichtgläubig sein? Es gab nie eine Irrlehre,
die das Wort Gottes unzutreffender anführte als diese und die aus ihr
weniger angemessene Schlüsse ableitete, insbesondere in grundsätzlichen
Fragen. Ihr hättet das schon vorher in den beiden ersten Teilen dieser
Denkschrift feststellen können, ich möchte aber, daß ihr es mit Händen
greift, damit euch keinerlei Ausrede mehr bleibt. Ihr dürft nicht so leicht-
gläubig sein. Wäret ihr recht auf eure Sache bedacht gewesen, dann hättet
ihr gesehen, daß es nicht das Wort Gottes war, was sie vortrugen, sondern
ihre eigenen Anschauungen, bemäntelt mit Worten der Heiligen Schrift,
und ihr hättet wohl erkannt, daß ein so kostbares Gewand niemals ge-
schaffen wurde, um einen so häßlichen Leib zu bedecken, wie es diese
Irrlehre ist.

247
Nehmen wir an, daß es seit der Zeit der Apostel nie eine Kirche gege-
ben habe, kein Konzil, keine Hirten und Lehrer; daß die Heilige Schrift
nur die Bücher enthalte, die Calvin, Beza und Petrus der Märtyrer anzu-
erkennen belieben; daß es keine unfehlbare Regel gebe, um sie recht zu
verstehen, sondern daß sie den Auffassungen jedes Beliebigen ausgelie-
fert sei, der sie gebrauchen will; daß er die Heilige Schrift durch die
Heilige Schrift und die Analogie des Glaubens erklärt, wie man Aristote-
les durch Aristoteles und die Analogie der Philosophie verstehen will.
Geben wir nur zu, daß diese Schrift göttlichen Ursprungs ist, und ich
behaupte vor allen unparteiischen Richtern, wenn nicht alle, so sind we-
nigstens diejenigen von euch unentschuldbar, die eine gewisse Kenntnis
und Fähigkeit besitzen, daß sie ihre Religion nicht durch Vermessenheit
und Leichtfertigkeit absichern können. Und seht, worauf ich mich stütze:
Die Prädikanten wollen nur mit der Heiligen Schrift kämpfen; ich will
das auch. Sie wollen von der Heiligen Schrift nur die Teile, wie es ihnen
beliebt; ich stelle mich darauf ein. Am Ende von allem sage ich, der
Glaube der katholischen Kirche schätzt sie überaus hoch, er hat mehr
Stellen für sich als die gegenteilige Meinung, und die seinen sind klarer,
reiner und einfacher, vernunftgemäßer erklärt, folgerichtiger und zutref-
fender. Das halte ich für so gewiß, daß jeder es wissen und erkennen kann,
aber man käme nie an ein Ende, das ausführlich zu zeigen. Meiner Mei-
nung nach wird es wohl genügen, das in einigen wichtigen Artikeln zu
zeigen.
Das will ich nun in diesem dritten Teil unternehmen. In ihm werde ich
eure Prädikanten angreifen in der Frage der Sakramente im allgemeinen,
in jener der Eucharistie, der Beichte und der Ehe im besonderen, bezüg-
lich der Verehrung und Anrufung der Heiligen, der Angemessenheit der
Zeremonien im allgemeinen, dann im besonderen, bezüglich der Gewalt
der Kirche, des Verdienstes der guten Werke, der Rechtfertigung und der
Ablässe. Dabei werde ich nur das reine, einfache Wort Gottes anführen.
Mit ihm allein als Probe werde ich euren Irrtum so offenkundig zeigen,
daß ihr allen Grund haben werdet, ihn zu bereuen.
Ich bitte euch trotzdem, wenn ihr seht, daß ich den Gegner einzig mit
der Heiligen Schrift bekämpfe, schlage und schließlich überwinde, dann
haltet euch die lange und ruhmvolle Reihe der Märtyrer, Hirten und Leh-
rer vor Augen, die durch ihre Lehre und unter Einsatz ihres Blutes be-
zeugt haben, daß die Lehre, für die wir jetzt kämpfen, die heilige, reine
und apostolische war; das wird eine zusätzliche Bestätigung des Sieges

248
sein. Denn wenn wir uns aufgrund der Heiligen Schrift allein in der glei-
chen Lage mit unseren Gegnern befänden, so wird uns das Alter, die
Übereinstimmung und Heiligkeit unserer Gewährsmänner stets siegen
lassen. Unter diesen Voraussetzungen werde ich den Sinn und die Folge-
rung, die ich von der Heiligen Schrift ableite, stets den Regeln anpassen,
die ich im zweiten Teil aufgestellt habe. Meine erste Absicht ist dennoch,
euch die Unfähigkeit eurer Prädikanten erfahren zu lassen, die nichts tun,
als zu schreien: die Heilige Schrift! Die Heilige Schrift!, und nichts wei-
ter tun, als gegen deren sicherste Lehren zu verstoßen.
Auf dem Reichstag zu Speyer im Jahr 1526 trugen die protestantischen
Prediger auf dem rechten Ärmel ihres Anzugs die Buchstaben
V.D.M.I.A.E. Damit wollten sie erklären: Verbum Domini Manet In Ae-
ternum.31 Wolltet ihr nicht sagen, daß sie allein und sonst niemand die
Heilige Schrift gebrauche? Sie zitieren tatsächlich bei jeder Gelegenheit
Bruchstücke aus ihr, „öffentlich und privat“, sagt der große Vinzenz von
Lerin, „in ihren Reden, in ihren Büchern, auf den Straßen, bei Tisch. Lest
die Schriften des Paulus von Samosata, des Priscillian, Eunomius, Jovini-
an und dieser anderen Seuchen; ihr werdet eine große Menge von Bei-
spielen sehen und fast keine Seite finden, die nicht verziert und gefärbt ist
mit einigen Aussprüchen des Alten und Neuen Testamentes. Sie machen
es wie jene, die kleinen Kindern irgendeinen bitteren Saft zu trinken ge-
ben wollen: sie bestreichen und bedecken den Rand des Bechers mit
Honig, damit dieses einfältige Alter, wenn es zuerst das Süße schmeckt,
das Bittere nicht wahrnehme.“ Wer aber ihrer Lehre auf den Grund geht,
wird sonnenklar sehen, daß sie nichts ist als ein falscher Edelstein, der
gelb gefärbt ist, von der Art, wie es der Teufel machte, als er Unseren
Herrn versuchte (Mt 4,6), denn er führte die Heilige Schrift für seine
Absicht an.
„O Gott“, sagt der gleiche Vinzenz von Lerin, „was wird er den armse-
ligen Menschen gegenüber tun, wenn er es wagte, mit der Heiligen Schrift
den erhabenen Herrn selbst anzugreifen? Überlegen wir die Lehre aus
dieser Stelle genauer. Denn wie damals das Haupt der einen Partei mit
dem Haupt der anderen sprach, so sprechen heute die Mitglieder mit den
Mitgliedern, d. h. die Glieder des Teufels mit den Gliedern Jesu Christi,
die Treulosen mit den Getreuen, die Gotteslästerer mit den Gottesfürch-
tigen, schließlich die Häretiker mit den Katholiken.“ Aber wie das Haupt
dem Haupt antwortete, können es wir Glieder mit den Gliedern tun:
Unser Haupt wies ihr Oberhaupt mit den Worten der Heiligen Schrift

249
selbst zurück; weisen wir sie in gleicher Weise zurück durch gediegene
und redliche Folgerungen, die aus der Heiligen Schrift abgeleitet sind.
Zeigen wir den vergeblichen Betrug, durch den sie ihre Auffassungen mit
Worten der Heiligen Schrift decken wollen.
Das habe ich hier vor, aber in aller Kürze. Ich behaupte, daß ich alles
sehr getreu vorbringen werde, wovon ich glaube, daß es auf ihrer Seite am
offenkundigsten ist. Dann werde ich sie durch die Heilige Schrift selbst
widerlegen, damit ihr seht, daß zwar sie und wir die Heilige Schrift ge-
brauchen und uns mit ihr wappnen, daß aber trotzdem wir sie sachlich
und richtig gebrauchen, sie aber nur einen leeren Anschein davon durch
die Einbildung haben. So haben nicht nur Mose und Aaron, sondern auch
die Zauberer ihre Stäbe lebendig gemacht und in Nattern verwandelt,
aber der Stab Aarons verschlang die der anderen (Ex 7,10-12).

Kapitel I

Von den Sakramenten

1. Artikel: Der Name Sakrament.

Das Wort Sakrament findet sich ganz ausdrücklich in der Heiligen Schrift
in der Bedeutung, die es in der katholischen Kirche hat, da der hl. Paulus,
wo er (Eph 5,32) von der Ehe spricht, sie klar und deutlich Sakrament
nennt. Doch das werden wir später sehen; für jetzt genügt es, daß die
Urkirche diesen Namen gebrauchte, als Beweis gegen die Unverschämt-
heit Zwinglis und der anderen, die ihn ablehnen wollten; denn auch die
Worte Trinität, wesensgleich und Person wurden nicht mit größerem Ge-
wicht als heilig und legitim in der Kirche beibehalten. Es ist eine sehr
nutzlose und törichte Anmaßung, die kirchlichen Ausdrücke ändern zu
wollen, die von altersher überliefert sind, abgesehen von der Gefahr, die
darin liegt, daß man von der Änderung der Worte zur Änderung des Sin-
nes und des Glaubens übergeht. Wie man sieht, ist das gewöhnlich die
Absicht der Neuerer von Worten.

250
Da nun die sogenannten Reformatoren zum größten Teil, wenn auch
nicht ohne Grollen, in ihren Büchern dieses Wort weiterhin gebrauchen,
befassen wir uns mit den Schwierigkeiten, die wir mit ihnen haben bezüg-
lich des Zweckes und der Wirkungen der Sakramente. Sehen wir, wie sie
dabei die Heilige Schrift und die anderen Regeln des Glaubens mißach-
ten.

2. Artikel: Von der Form der Sakramente.

Gehen wir davon aus: Die katholische Kirche betrachtet als Form der
Sakramente das heilwirkende Wort. Die sogenannten Prädikanten woll-
ten diese Form reformieren und sagten, die sakramentalen Worte seien
Zauberformeln und die wahre Form der Sakramente sei die Predigt. Was
führen die Prädikanten aus der Heiligen Schrift an, um diese Änderung
zu begründen? Nur zwei Stellen, die ich kenne, die eine vom hl. Paulus,
die andere vom hl. Matthäus. Der hl. Paulus sagt (Eph 5,26) von der
Kirche, daß Unser Herr sie geheiligt hat, indem er sie rein machte im Bad
des Wassers durch das Wort des Lebens; und Unser Herr selbst gab nach
dem hl. Matthäus (28,19) seinen Jüngern den Auftrag: Lehrt alle Völker
und tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geis-
tes. Sind das nicht sehr klare Stellen, um zu zeigen, daß die Predigt die
wahre Form der Sakramente ist?
Aber wer sagt ihnen, daß es kein anderes Wort des Lebens gibt als die
Predigt? Ich behaupte im Gegenteil, die heilige Anrufung: „Ich taufe dich
im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, ist eben-
falls ein Wort des Lebens, wie der hl. Hieronymus und Theodoret gesagt
haben. Es gibt noch viele andere heilige Gebete und Anrufungen des
Namens Gottes, die trotzdem keine Predigten sind. Wenn der hl. Hiero-
nymus die Predigt im mystischen Sinn als eine Art reinigenden Wassers
verstehen will, steht er damit trotzdem nicht im Widerspruch zu anderen
Vätern, die das Bad des Wassers gerade als die Taufe verstanden haben
und das Wort des Lebens als die Anrufung der heiligsten Dreifaltigkeit,
um damit die Stelle beim hl. Paulus durch die andere beim hl. Matthäus
zu erklären: Lehrt alle Völker und tauft sie im Namen des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes.
Was diese Stelle betrifft, leugnet niemand, daß die Unterweisung der
Taufe vorausgehen muß bei denen, die dafür aufnahmefähig sind, entspre-
chend den Worten Unseres Herrn, der die Unterweisung zuerst nennt

251
und die Taufe danach. Wir halten uns aber an eben dieses Wort und stel-
len die Unterweisung für sich voran als erforderliche Disposition für den,
der den Gebrauch der Vernunft hat, und auch die Taufe für sich. Keines
von beiden kann die Form des anderen sein, weder die Taufe die Form der
Predigt, noch die Predigt die Form der Taufe. Wenn dennoch eines die
Form des anderen sein müßte, wäre eher die Taufe die Form der Predigt
als die Predigt die Form der Taufe. Die Form kann ja der Materie nicht
vorausgehen, sondern muß auf sie folgen; die Predigt geht aber der Taufe
voraus und die Taufe folgt auf die Predigt. Anders hätte der hl. Augustinus
nicht gut sagen können: „Das Wort kommt zum Element und bewirkt das
Sakrament;“ er hätte vielmehr sagen müssen: Das Element kommt zum
Wort. Die zwei Schriftstellen sind also nicht tauglich und nicht zutreffend
für eure Reformatoren. Seht trotzdem alles.

Eure Behauptungen wären indessen einigermaßen annehmbar, wenn


wir nicht in der Heiligen Schrift Gegenbeweise hätten, die ohne jeden
Vergleich ausdrücklicher sind als die euren. Hier sind sie: Wer glaubt und
sich taufen läßt (Mt 16,16). Seht ihr, daß der Glaube, der durch die Pre-
digt in uns entsteht, von der Taufe unterschieden wird? Die Predigt und
die Taufe sind also zwei verschiedene Dinge. Wer bezweifelt, daß der hl.
Paulus viele Korinther belehrt und im Glauben unterwiesen hat? Wenn
die Unterweisung und Predigt die Form der Taufe wäre, hätte der hl.
Paulus nicht recht gehabt zu sagen: Ich danke Gott, daß ich niemand
getauft habe als Krispus und Gaius (1 Kor 1,14). Heißt denn, einer Sache
Form geben, nicht, sie machen? Darüber hinaus unterscheidet der hl.
Paulus zwischen Taufen und Predigen: Christus hat mich nicht gesandt zu
taufen, sondern zu predigen (1,18). Und um zu zeigen, daß die Taufe von
Unserem Herrn stammt und nicht von dem, der sie spendet, sagt er nicht:
Seid ihr etwa auf die Predigt des Paulus getauft, sondern vielmehr: Seid ihr
etwa auf den Namen des Paulus getauft? (1,13). Damit zeigt er, daß die
Predigt, obwohl sie vorausgeht, nicht zum Wesen der Taufe gehört, um
dem Prediger oder Katecheten die Taufe zuzuschreiben, wie sie dem zu-
geschrieben wird, dessen Name bei ihr angerufen wird. Wahrlich, wer die
erste Taufe nach dem Pfingstfest genau betrachtet, wird sonnenklar sehen,
daß die Predigt eine Sache ist und die Taufe eine andere: Als sie dies
hörten, das ist die Predigt einerseits, ging ihnen das zu Herzen und sie
sagten zu Petrus und den anderen Aposteln: Männer, Brüder, was sollen wir
tun? Petrus sagte zu ihnen: Tut Buße und jeder von euch lasse sich auf den
Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden (Apg 2,37f); das ist

252
die Taufe andererseits für sich. Dasselbe kann man feststellen bei der
Taufe des frommen Eunuchen aus Äthiopien, bei der Taufe des hl. Paulus,
dem niemand gepredigt hatte, und bei der des guten, gottesfürchtigen
Kornelius (Apg 8,35-38; 9,18; 10,47f).
Was die heilige Eucharistie betrifft, das andere Sakrament, das eure
Prädikanten anzunehmen scheinen, wo finden sie je, daß Unser Herr sich
dabei der Predigt bedient hätte? Der hl. Paulus lehrt die Korinther, wie
man das Abendmahl feiern muß, aber dabei findet man nicht, daß dabei
zu predigen geboten wäre. Und damit niemand zweifle, daß der Ritus
echt ist, den er vorlegt, sagt er, daß er ihn so von Unserem Herrn empfan-
gen hat: Ich habe nämlich vom Herrn empfangen, was ich euch auch
überliefert habe (1 Kor 11,23). Unser Herr hat wohl eine wundervolle
Rede nach dem Abendmahl gehalten, die der hl. Johannes (Kap. 14-16)
wiedergibt, aber das geschah nicht für das Mysterium des Abendmahls,
das schon abgeschlossen war.
Das heißt nicht, daß es nicht angebracht sei, das Volk über die Sakra-
mente zu unterweisen, die man ihnen spendet, sondern nur, daß diese
Unterweisung nicht die Form der Sakramente ist. Wenn wir bei der Ein-
setzung dieser göttlichen Geheimnisse und in der Übung der Apostel
selbst die Unterscheidung zwischen der Predigt und den Sakramenten
finden, aufgrund welcher Lehren vermengen wir sie? Warum verbinden
wir, was Gott getrennt hat? In diesem Punkt tragen wir also nach der
Heiligen Schrift klar den Sieg davon und eure Prädikanten sind des Ver-
stoßes gegen die Heilige Schrift überführt; sie wollen das Wesen der Sa-
kramente im Widerspruch zu ihrer Einsetzung ändern.
Sie verstoßen auch gegen die Überlieferung, gegen die Autorität der
Kirche, der Konzile, der Päpste und der Väter, die alle geglaubt haben
und glauben, daß die Taufe der kleinen Kinder gültig und erlaubt ist. Aber
wie will man dabei die Predigt anwenden? Die Kinder verstehen nicht,
was man sagt, sie sind des Gebrauchs der Vernunft nicht fähig; wozu sie
unterweisen lassen? Man kann zwar vor ihnen predigen, aber das wäre
zwecklos, denn ihr Verstand ist noch nicht erwacht, um die Unterweisung
als Unterweisung aufzunehmen. Sie erreicht sie nicht und kann ihnen
nicht beigebracht werden; welche Wirkung kann sie also in ihnen errei-
chen? Ihre Taufe wäre daher nichtig, weil sie ohne Form und Sinn wäre.
Daher ist die Predigt nicht die Form der Sakramente. Luther antwortet,
die Kinder empfänden durch die Predigt vorübergehende Regungen des
Glaubens. Das heißt gegen die Erfahrung und das Empfinden selbst ver-

253
stoßen und sie leugnen. Außerdem wird die Mehrzahl der Taufen in der
katholischen Kirche ohne jede Predigt gespendet; sie wären also keine
wirklichen Taufen, weil dabei die Form fehlte. Warum tauft ihr also nicht
noch einmal jene, die von unserer Kirche zu der euren kommen? Das
wäre eine Wiedertaufe.
Nun denn, ihr seht nach der Regel des Glaubens und vor allem nach der
Heiligen Schrift, wie eure Prädikanten irren, wenn sie euch lehren, die
Predigt sei die Form der Sakramente. Doch laßt uns sehen, ob das, was
wir glauben, dem heiligen Wort besser entspricht. Wir sagen, die Form
der Sakramente ist ein Wort der Weihe, des Segens und der Anrufung.
Nichts steht klarer in der Heiligen Schrift: Lehrt alle Völker und tauft sie
im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (Mt 28,19).
Ist diese Form: im Namen des Vaters ... keine Anrufung? Gewiß. Der
gleiche hl. Petrus, der den Juden (Apg 2,38) sagte: Tut Buße und jeder von
euch lasse sich taufen im Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden,
sagt wenig später zu dem Lahmen an der schönen Pforte: Im Namen Jesu
Christi des Nazareners, steh auf und geh (Apg 3,6). Wer sieht nicht, daß
dieses letzte Wort eine Anrufung enthält? Warum dann nicht das erste,
das gleichen Inhalts ist? Ebenso sagt der hl. Paulus (1 Kor 10,16) nicht:
„Ist nicht der Kelch der Predigt, den wir verkünden“, Gemeinschaft mit
dem Blut Christi, sondern im Gegenteil: der Kelch des Segens, den wir
segnen. Man weihte ihn also und segnete ihn. Ebenso heißt es auf dem
Konzil von Laodicäa: „Der Diakon soll den Kelch nicht segnen.“
Der hl. Dionysius, ein Schüler des hl. Paulus, nennt diese Worte „kon-
sekratorisch“, und in seiner Beschreibung der Liturgie oder Meßfeier
führt er die Predigt nicht an; er ist so weit davon entfernt, sie für die Form
der Eucharistie zu halten. Wo auf dem Konzil von Laodicäa die Ordnung
der Messe behandelt wurde, wird nichts von der Predigt gesagt, da sie
etwas Geziemendes ist, aber nicht zum Wesen dieses Geheimnisses ge-
hört. Justin der Märtyrer beschreibt den Gottesdienst, den die Christen
der Urkirche am Sonntag feierten; dabei sagt er u. a., daß man nach dem
allgemeinen Gebet „Brot, Wein und Wasser darbrachte, dann richtete der
Vorsteher mit aller Kraft Gebete und Danksagungen an Gott, das Volk
pries ihn und sagte Amen. An diesen Gaben, die in die Eucharistie ver-
wandelt werden, hat jeder Anteil; sie werden den Diakonen gegeben, um
sie den Abwesenden zu bringen.“ Hier sind mehrere Dinge bemerkens-
wert: das Wasser vermischte sich mit dem Wein, man opferte, man konse-
krierte, man brachte davon den Kranken. Wären aber unsere Reformato-

254
ren dabei gewesen, dann hätte man das Wasser weglassen müssen, das
Darbringen, die Konsekration, und man hätte den Kranken die Predigt
bringen müssen, oder es wäre für nichts gewesen. Denn wie Jean Calvin
sagte, „bewirkt nur die Auslegung für das Volk, daß das tote Element
beginnt, Sakrament zu werden.“ Der hl. Gregor von Nyssa (spricht vom
Sakrament des Altares und) sagt: „Wir glauben zu Recht, daß nun auch
das durch das Wort Gottes geheiligte Brot in den Leib des Wortes verwan-
delt wird;“ und später sagt er, daß diese Wandlung „kraft des Segens“
geschieht. Der große hl. Ambrosius sagt: „Wie kann, was Brot ist, der
Leib Christi sein? Durch die Konsekration;“ und weiter unten: „Vor der
Konsekration war es nicht der Leib Christi, aber nach der Konsekration
sage ich dir, daß es schon der Leib Christi ist.“ Seht ihn das breit ausfüh-
ren, aber ich will mich in dieser Frage zurückhalten, bis wir die heilige
Messe behandeln.
Ich will aber schließen mit diesem bedeutsamen Ausspruch des hl. Au-
gustinus: „Paulus konnte den Herrn Jesus Christus deutlich predigen,
anders durch seine Sprache, anders durch den Brief, anders durch das
Sakrament seines Leibes und Blutes. Wir nennen ja weder seine Stimme
den Leib und das Blut Christi, nicht das Pergament und die Tinte, noch
die von der Stimme hervorgebrachten Laute oder die auf Pergament ge-
schriebenen Buchstaben, sondern nur, was wir in rechter Weise genießen,
nachdem es von den Früchten der Erde genommen und durch das Gebet
geheimnisvoll konsekriet ist.“ Wir sagen nichts Gegenteiliges, wenn der
hl. Augustinus sagt: „Woher kommt solche Kraft des Wassers, daß es den
Leib berührt und das Herz reinwäscht, wenn nicht durch das wirkende
Wort? Nicht weil es gesprochen wird, sondern weil wir glauben.“ Denn
die Worte des Segens und der Heiligung, mit denen man den Sakramen-
ten Form und Wirkung verleiht, haben in Wahrheit keine Kraft, wenn sie
nicht in der allgemeinen Absicht und im Glauben der Kirche ausgespro-
chen werden. Wenn sie jemand ohne diese Absicht ausspräche, wären sie
tatsächlich gesprochen, aber für nichts, da sie wirken, „nicht weil man
spricht, sondern weil man glaubt“.

255
3. Artikel: Von der erforderlichen Absicht bei der Spendung
der Sakramente.

Ich habe nie irgendeinen Beweis gefunden, der aus der Heiligen Schrift
geschöpft wäre, für die Auffassung, die eure Prädikanten in dieser Hin-
sicht haben. Sie sagen, auch wenn der Spender in keiner Weise die Ab-
sicht hätte, das Abendmahl zu feiern oder zu taufen, sondern nur, sich
lustig zu machen und zu scherzen, komme dennoch das Sakrament zu-
stande, wenn er die äußere Handlung der Sakramente vollzieht. Ohne das
Wort Gottes ist das so hingesagt, ohne etwas anderes zu bewirken als
gewisse Folgerungen durch die Form der Spitzfindigkeit. Dagegen erklä-
ren das Konzil von Florenz und das von Trient: „Wenn jemand sagt, daß
die Absicht, wenigstens zu tun, was die Kirche tut, bei den Spendern nicht
erforderlich sei, wenn sie die Sakramente spenden, der sei im Bann.“ Das
sind die Ausdrücke des Konzils von Trient.
Das Konzil sagt nicht, daß es erforderlich sei, die besondere Absicht
der Kirche zu haben, denn sonst würden die Calvinisten, die bei der Taufe
nicht die Absicht haben, die Erbschuld nachzulassen, nicht taufen, da die
Kirche diese Absicht hat. Es genügt vielmehr die allgemeine Absicht, zu
tun, was die Kirche tut, wenn sie tauft, ohne im einzelnen zu bestimmen,
was und wie. Ebenso sagt das Konzil nicht, daß es notwendig sei, tun zu
wollen, was die römische Kirche tut, sondern nur im allgemeinen, was die
Kirche tut, ohne im einzelnen zu entscheiden, welche Kirche die wahre
ist. Wenn also jemand meinte, die sogenannte Kirche von Genf sei die
wahre, und seine Absicht auf die Absicht der Kirche von Genf beschränk-
te, der irrte sich, wenn je ein Mensch sich irrte, in der Erkenntnis der
wahren Kirche, aber seine Absicht genügte in diesem Fall. Denn obwohl
sie sich auf die Absicht einer falschen Kirche richtet, richtet sie sich auf
diese nur in der Gestalt und in der Annahme, daß sie die wahre Kirche
sei, und der Irrtum wäre nur materiell, nicht formell, wie unsere Theolo-
gen sagen.
Ebenso ist es nicht notwendig, daß wir diese Absicht ausdrücklich ha-
ben, wenn wir das Sakrament vollziehen. Es genügt vielmehr, daß man in
Wahrheit sagen kann, daß wir diese oder jene Zeremonie vollziehen und
diese oder jene Worte sprechen, wie Wasser übergießen und sprechen:
„Ich taufe dich im Namen des Vaters ...“, in der Absicht, zu tun, was die
wahren Christen tun und was Unser Herr geboten hat, auch wenn wir
gerade nicht darauf achten und nicht genau daran denken. Um zu sagen,
daß ich predige, um Gott zu dienen, und zum Heil der Seelen, genügt es,

256
daß ich diese Absicht habe, wenn ich mich darauf vorbereiten will, ob-
wohl ich auf der Kanzel an das denke, was ich zu sagen habe, und es im
Gedächtnis zu behalten, und wenn ich nicht mehr an die ursprüngliche
Absicht denke. Oder jemand hat sich entschlossen, aus Liebe zu Gott
hundert Taler zu verschenken; sobald er dann aus dem Haus geht, um es
zu tun, denkt er an andere Dinge, verteilt aber dennoch die Summe. Ob-
wohl er seine Gedanken nicht ausdrücklich auf Gott gerichtet hat, kann
man doch nicht sagen, daß seine Absicht nicht kraft seiner ersten Ent-
scheidung auf Gott gerichtet sei und er dieses Werk nicht bewußt aus
Liebe und nach seinem Vorsatz tue. Eine solche Absicht ist für die Spen-
dung der Sakramente mindestens erforderlich, genügt aber auch.
Da nun der Satz des Konzils geklärt ist, wollen wir sehen, ob er ebenso
wie jener der Gegner ohne Grundlage in der Heiligen Schrift ist. Man
kann vernünftiger Weise nicht bezweifeln, daß man, um das Abendmahl
Unseres Herrn oder die Taufe zu vollziehen, tun muß, was Unser Herr zu
diesem Zweck geboten hat. Und man muß es nicht nur tun, sondern muß
es kraft dieses Auftrags und der Einsetzung tun. Man könnte ja wohl diese
Handlung aus einem anderen Grund als dem der des Gebotes Unseres
Herrn tun. Das täte etwa ein schlafender Mensch, der im Traum taufte,
oder auch ein Betrunkener. In der Tat wären dabei die Worte und die
Sache gegeben, sie hätten aber keine Wirkung, da sie nicht aus dem Auf-
trag kämen, der ihnen Kraft und Wirksamkeit verleiht. So ist nicht alles,
was ein Richter sagt und schreibt, ein richterliches Urteil, sondern nur
das, was er in seiner Eigenschaft als Richter sagt. Wie könnte man nun
unterscheiden zwischen sakramentalen Handlungen, die kraft des Gebo-
tes verrichtet werden, das sie wirksam macht, und den gleichen Handlun-
gen, die mit einem anderen Ziel verrichtet werden? Der Unterschied kann
gewiß nur in der Absicht liegen, mit der sie verrichtet werden. Es ist also
notwendig, daß nicht nur die Worte vorgetragen werden, sondern daß sie
in der Absicht vorgetragen werden, den Auftrag Unseres Herrn auszufüh-
ren: Tut das, beim Abendmahl; Tauft sie im Namen des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes, bei der Taufe.
Doch um es offen auszusprechen: richtet sich dieser Auftrag: Tut das (1
Kor 11,24), nicht eigentlich an den Spender des Sakramentes? Ohne Zwei-
fel. Nun heißt es nicht einfach: Tut das, sondern: Tut das zu meinem
Gedächtnis. Wie kann man aber diese Handlung zum Gedächtnis Unse-
res Herrn tun, ohne die Absicht zu haben, dabei zu tun, was Unser Herr
geboten hat, oder wenigstens das, was die Christen, die Jünger Unseres

257
Herrn tun? Auf diese Weise verrichtet man diese Handlung zum Ge-
dächtnis Unseres Herrn, wenn schon nicht unmittelbar, so wenigstens
vermittels der Absicht der Christen oder der Kirche. Ich glaube, man
kann sich unmöglich vorstellen, daß ein Mensch das Abendmahl zum
Gedächtnis Unseres Herrn feiert, wenn er nicht die Absicht hat zu tun,
was Unser Herr geboten hat, oder wenigstens zu tun, was jene tun, die es
zum Gedächtnis Unseres Herrn feiern. Es genügt also nicht, das zu tun,
was Unser Herr geboten hat, als er sagte: Tut das, sondern man muß es in
der Absicht tun, die Unser Herr geboten hat, d. h. zu seinem Gedächtnis;
wenn nicht in dieser bestimmten Absicht, dann wenigstens allgemein;
wenn nicht unmittelbar, dann wenigstens mittelbar, indem man tun will,
was die Kirche tut. Sie hat die Absicht, das zu tun, was Unser Herr getan
und geboten hat. Auf diese Weise bezieht man sich auf die Absicht der
Braut, die mit dem Auftrag des Bräutigams übereinstimmt.
In gleicher Weise sagte Unser Herr nicht, daß man einfach die Worte
spreche: „Ich taufe dich“, sondern er hat geboten, daß die ganze Hand-
lung der Taufe geschieht im Namen des Vaters ... So genügt es nicht, daß
man spreche: Im Namen des Vaters; vielmehr muß das Waschen oder
Besprengen selbst im Namen des Vaters geschehen, und diese Macht gibt
nicht nur dem Wort Seele und Kraft, sondern der ganzen Handlung des
Sakramentes, die aus sich keine übernatürliche Kraft hätte. Doch wie
kann eine Handlung im Namen Gottes getan werden, wenn sie geschieht,
um Gott zu verspotten? In Wahrheit hängt die Spendung der Taufe nicht
so sehr von Worten ab, daß sie nicht geschehen könnte kraft einer Macht,
die ganz im Gegensatz zu den Worten steht, wenn sie das Herz, die Trieb-
kraft der Worte und der Handlungen, auf ein entgegengesetztes Ziel und
eine andere Absicht ausrichtet. Mehr noch, die Worte Im Namen des
Vaters ... können ja im Namen des Feindes des Vaters gesprochen sein, wie
die Worte „in Wahrheit“ in Wahrheit als Lüge gesagt werden können und
oftmals gesagt werden. Wenn also Unser Herr nicht einfach befiehlt, daß
man die Handlung der Taufe vollziehe, noch daß man die Worte spreche,
sondern daß die Handlung geschehe und die Worte gesprochen werden
im Namen des Vaters ..., dann muß man wenigstens allgemein die Absicht
haben, die Taufe kraft des Gebotes Unseres Herrn zu spenden, in seinem
Namen und Auftrag.
Was die Absolution betrifft, welche Absicht dabei erforderlich ist, so
ist das noch klarer: Denen ihr die Sünden nachlaßt, denen sind sie nachge-
lassen (Joh 20,23). Er überläßt das ihrer Entscheidung. Dazu sagt der hl.

258
Augustinus: „Woher kommt die Kraft des Wassers, daß sie den Leib be-
rührt und das Herz reinwäscht, wenn sie nicht das Wort bewirkt? Nicht
weil man spricht, sondern weil man glaubt.“ Das heißt, die Worte haben
aus sich keine Kraft, wenn sie ohne irgendeine Absicht oder ohne Glau-
ben gesprochen werden; wenn sie aber kraft des Glaubens und nach der
allgemeinen Absicht der Kirche gesprochen werden, haben sie diese heil-
same Wirkung. Wenn es daher in Berichten heißt, daß bestimmte Taufen,
die zum Scherz vorgenommen waren, anerkannt wurden, darf man das
nicht befremdend finden. Man kann ja viele Dinge zum Scherz tun und
trotzdem die Absicht haben, wirklich das zu tun, was man tun sah. Man
nennt aber Scherz alles, was ohne Ernst und Verstand geschieht, wenn es
nicht aus Bosheit oder ohne Absicht geschieht.

Kapitel II

Vom FFegefeuer
egefeuer

Vorwort

Der katholischen Kirche hat man in unserer Zeit Aberglauben in ihren


Gebeten für die verstorbenen Gläubigen vorgeworfen, da sie dabei zwei
Wahrheiten voraussetzt, von denen man behauptet, daß sie es nicht seien,
daß nämlich die Verstorbenen sich in Leiden und Not befinden und daß
man ihnen zu Hilfe kommen kann. Nun sind die Verstorbenen entweder
verdammt oder gerettet. Die Verdammten erleiden Strafe, aber unwider-
ruflich; die Geretteten sind erfüllt mit aller Wonne. Auf diese Weise fehlt
bei den einen die Bedürftigkeit, bei den anderen die Möglichkeit, Hilfe
zu empfangen; daher bleibt kein Platz, Gott für die Verstorbenen zu bit-
ten.
Das ist, kurz gesagt, der Vorwurf. Wahrhaftig, um ein gerechtes Urteil
über diese Anklage zu fällen, müßte es jedermann genügen, daß die An-
kläger Einzelpersonen sind und die Angeklagte die umfassende Kirche

259
als Ganzes. Die Laune unseres Jahrhunderts hat aber dazu geführt, alle
Dinge, so heilig, fromm und verbürgt sie sein mögen, der Kritik und dem
Urteil jedes einzelnen zu unterwerfen. Deshalb haben sich dennoch meh-
rere geachtete Persönlichkeiten von Ansehen der Sache der Kirche ange-
nommen, um sie zu verteidigen. Sie glaubten ihre Frömmigkeit und ihr
Wissen nicht besser einsetzen zu können als zur Verteidigung derjenigen,
durch deren Hände sie all ihr geistliches Gut empfangen haben, die Tau-
fe, die christliche Lehre und die Heilige Schrift selbst.
Ihre Beweise sind so zwingend, daß man sogleich ihre gute Schlagkraft
erkannt hätte, wenn sie denen der Ankläger richtig gegenübergestellt und
gegen sie aufgewogen worden wären. Doch wie? Man hat das Urteil ge-
fällt, ohne die Gegenseite zu hören. Haben wir alle, die wir Hausgenossen
und Kinder der Kirche sind, nicht allen Grund, Berufung einzulegen und
uns über die Parteilichkeit der Richter zu beschweren, wenn wir für jetzt
deren Unzuständigkeit außer acht lassen? Wir appellieren daher von nicht
unterrichteten Richtern an jene, die selbst unterrichtet sind, von Urtei-
len, die ohne Anhören der Gegenseite gefällt wurden, an Urteile nach
Anhörung. Wir flehen alle an, die in diesem Streit urteilen wollen, unsere
Angaben und Beweise aufmerksam zu prüfen, weil es hier nicht um die
Verurteilung der beschuldigten Partei geht, die nicht von ihren Unterge-
benen verurteilt werden kann, sondern um Verdammnis oder Rettung
derjenigen, die über sie richten wollen.

1. Artikel: Vom Namen Fegefeuer.

Wir halten also daran fest, daß man für die verstorbenen Gläubigen
beten kann und daß ihnen die Gebete und guten Werke der Lebenden
große Erleichterung und Nutzen bringen. Die in der Gnade Gottes ster-
ben, gehören folgerichtig alle zur Zahl der Auserwählten, aber nicht alle
kommen sogleich in den Himmel, sondern viele kommen ins Fegefeuer,
wo sie eine zeitliche Strafe abbüßen. Zur Befreiung aus dieser können
unsere Gebete und guten Werke helfen und beitragen. Hier liegt der
Schwerpunkt unserer Streitfrage.
Wir stimmen zu, daß das Blut unseres Erlösers das wahre Reinigungs-
bad der Seelen ist, denn in ihm sind alle Seelen der Welt reingewaschen.
Deshalb nennt es der hl. Paulus im Hebräerbrief (1,3) die Reinigung von
den Sünden bewirkend. Auch Trübsale sind gewisse Mittel der Läuterung;

260
durch sie werden unsere Seelen rein, wie das Gold im Schmelzofen geläu-
tert wird. Die Gefäße des Töpfers erprobt der Ofen, die Gerechten aber die
Prüfung der Trübsal (Sir 27,6). Buße und Reue sind ebenfalls ein gewisses
Reinigungsbad; davon sagt David im Psalm 51 (9): Besprenge mich mit
Ysop, Herr, und ich werde rein. Man weiß auch, daß die Taufe, durch die
unsere Sünden abgewaschen werden, ein Reinigungsbad genannt werden
kann, ebenso alles, was zur Reinigung von unseren Sünden dienen kann.
Doch hier nennen wir Fegefeuer einen Ort, an den die Seelen kommen,
die nach diesem Leben aus dieser Welt scheiden, bis sie von allen Makeln
gereinigt sind, die sie sich zugezogen haben, weil nichts in das Paradies
eingehen kann, was nicht rein und unbefleckt ist (Offb 21,27); sie bleiben
dort, bis sie gereinigt und geläutert sind.
Wenn man wissen will, warum dieser Ort eher einfach Fegefeuer ge-
nannt wird als die anderen Mittel der Läuterung, die oben genannt wur-
den, so kann man antworten: weil an diesem Ort nichts anderes geschieht
als die Reinigung von den Makeln, die beim Verlassen der Welt geblieben
sind. Bei der Taufe, Buße und den anderen wird die Seele nicht nur von
ihren Unvollkommenheiten gereinigt, sondern auch durch viele Gnaden
und Vollkommenheiten bereichert. Das ließ den Namen Fegefeuer für
diesen Ort der anderen Welt beibehalten, der genau genommen nichts
anderes bedeutet als Reinigung der Seelen. Was das Blut Unseres Herrn
betrifft, anerkennen wir seine Kraft so sehr, daß wir in allen unseren Ge-
beten bekennen, daß die Reinigung der Seelen, sei es in dieser Welt oder
in der anderen, nur durch seine Zuwendung erfolgt. Wir sind mehr auf die
Ehre dieses kostbaren Heilmittels bedacht als diejenigen, die seinen hei-
ligen Gebrauch verschmähen, um es zu schätzen. Unter dem Fegefeuer
verstehen wir also einen Ort, wo die Seelen einige Zeit geläutert werden
von den Makeln und Unvollkommenheiten, die sie von diesem sterbli-
chen Leben davontragen.

2. Artikel: Von den Leugnern des Fegefeuers und von den Beweisen für
das Fegefeuer.

Der Artikel vom Fegefeuer ist nicht eine leichthin übernommene Mei-
nung. Die Kirche hat seit langem an diesem Glauben festgehalten, allen
gegenüber und gegen alle. Der erste, der ihn bestritt, scheint Aerius gewe-
sen zu sein, ein arianischer Irrlehrer, wie der hl. Epiphanius bestätigt,

261
ebenso der hl. Augustinus und Socrates; das war vor ungefähr 1200 Jah-
ren. Später kamen gewisse Leute, die sich Apostoliker nannten, zur Zeit
des hl. Bernhard; dann vor ungefähr 500 Jahren die Petrobusianer, die
ebenfalls den gleichen Artikel leugneten, wie der hl. Bernhard und Petrus
von Cluny berichten. Der gleichen Auffassung wie die Petrobusianer folg-
ten um das Jahr 1170 die Waldenser, wie Guidon in seiner Summa be-
richtet. Auch einige Griechen standen im gleichen Verdacht; sie rechtfer-
tigten sich darüber auf dem Konzil von Florenz und in ihrer Apologie,
die sie auf dem Konzil von Basel vorlegten.
Schließlich haben Luther, Zwingli, Calvin und ihre Anhänger die Wahr-
heit des Fegefeuers ganz und gar geleugnet. Obwohl Luther in der Dispu-
tation von Leipzig sagte, er glaube fest, vielmehr wisse sicher, daß es ein
Fegefeuer gibt, sagte er sich später davon los im Buch „De abroganda
missa privata“. Schließlich ist es bei allen Sekten unserer Zeit üblich,
über das Fegefeuer zu spotten und die Gebete für die Verstorbenen zu
schmähen. Doch die katholische Kirche hat sich ihnen allen, jedem in
seiner Zeit, lebhaft widersetzt, anhand der Heiligen Schrift, der unsere
Vorfahren einige schöne Beweise entnommen haben.
1. Sie hat bezeugt, daß die Almosen, Gebete und andere gute Werke den
Verstorbenen Linderung bringen können. Daraus folgt, daß es ein Fege-
feuer gibt, denn für die in der Hölle kann es keinerlei Hilfe in ihren
Peinen geben; da es im Himmel alles Gute gibt, können wir denen, die
bereits in ihm sind, nichts von dem Unseren geben. Daher geschieht es für
jene, die an einem dritten Ort sind, den wir Fegefeuer nennen.
2. Die Heilige Schrift hat bestätigt, daß manche Verstorbene in der
anderen Welt von ihren Strafen und Sünden befreit wurden. Da dies we-
der in der Hölle noch im Himmel geschehen kann, folgt daraus, daß es
ein Fegefeuer gibt.
3. Sie hat bestätigt, daß viele Seelen, ehe sie in den Himmel gelangten,
durch einen Ort der Pein gingen, der nur das Fegefeuer sein kann.
4. Indem sie bezeugte, daß die Seelen unter der Erde Unserem Herrn
Ehre und Ehrfurcht erweisen, bezeugte sie gleichzeitig das Fegefeuer,
weil man sich das von den armen Seelen nicht vorstellen kann, die in der
Hölle sind.
5. Sie bestätigt es durch mehrere andere Stellen mit einer Vielfalt an
Folgerungen, die trotzdem alle recht treffend sind. Dabei muß man unse-
ren Theologen um so mehr beipflichten, als die Stellen, die sie jetzt an-
führen, zum gleichen Ziel von den großen Vätern des Altertums ange-

262
führt wurden, so daß wir zur Verteidigung dieses heiligen Artikels keine
neue Auslegung aufstellen müssen. Das beweist hinlänglich, wie ehrlich
wir da zu Werke gehen, wo unsere Ankläger aus der Heiligen Schrift
Folgerungen ziehen, an die bis jetzt nie jemand gedacht hat; sie wurden
vielmehr ganz neu ins Werk gesetzt, einzig um die Kirche zu bekämpfen.
Unsere Beweisführung wird nun in der Ordnung erfolgen: Wir werden
1. die Stellen der Heiligen Schrift anführen, dann 2. die der Konzile, 3.
der alten Väter, 4. von Autoren aller Art; dann werden wir die Vernunft-
gründe darlegen und schließlich werden wir die Begründungen der Ge-
genseite anführen und zeigen, daß sie nicht stichhaltig sind. So werden
wir den Beweis für den katholischen Glauben führen. Bleibt noch, daß
der Leser ohne die Brille seiner eigenen Leidenschaft aufmerksam das
Gewicht unserer Beweise bedenkt, sich der göttlichen Güte zu Füßen
wirft und in aller Demut mit David (Ps 119,34) ausruft: Gib mir Einsicht,
und ich werde dein Gesetz erforschen und es von ganzem Herzen befolgen.
Dann zweifle ich nicht daran, daß er in den Schoß seiner großen Mutter,
der katholischen Kirche zurückkehren wird.

3. Artikel: Einige Schriftstellen, die von der Läuterung nach


diesem Leben handeln, von einer Zeit und einem Ort dafür.

Dieses erste Argument ist unwiderlegbar: Es gibt eine Zeit und einen
Ort der Läuterung für die Seelen nach diesem sterblichen Leben; daher
gibt es ein Fegefeuer, weil die Hölle keine Läuterung bringen und das
Paradies nichts aufnehmen kann, was einer Reinigung bedarf. Seht nun,
woraus sich ergibt, daß es eine Zeit und einen Ort der Läuterung nach
diesem Leben gibt.
1. Aus Psalm 66,12: Durch Feuer und Wasser sind wir gegangen, und du
hast uns herausgeführt an den Ort der Erquickung. Diese Stelle wird von
Origenes als Beweis für das Fegefeuer herangezogen, ebenso vom hl. Am-
brosius (über Ps 36 und in der 3. Predigt über Ps 118); hier deutet er das
Wasser als die Taufe und das Feuer als das Fegefeuer.
2. Aus Jesaja (4,4): Der Herr hat die Söhne und Töchter Zions vom
Schmutz gereinigt im Geist des Gerichtes und des Feuers. Diese Reinigung
verstand der hl. Augustinus im „Gottesstaat“ (20,25) als das Fegefeuer.
In der Tat fördern die vorausgehenden Worte diese Auslegung; dort wird

263
von der Rettung der Menschen gesprochen. Und wo am Schluß des Kapi-
tels von der Ruhe der Seligen die Rede ist, müssen die Worte, der Herr hat
vom Schmutz gereinigt, von der zu dieser Rettung notwendigen Reinigung
verstanden werden. Weil es heißt, daß diese Reinigung im Geist der Glut
und des Feuers geschehen muß, kann man sie nicht gut anders als vom
Fegefeuer und seinem Feuer verstehen.
3. Aus Micha (7,8f): Juble nicht über mich, meine Feindin, weil ich gefal-
len bin. Ich werde mich erheben, wenn ich im Finstern sitze. Der Herr ist
mein Licht. Den Zorn des Herrn will ich ertragen, weil ich gegen ihn gesün-
digt habe, bis er meine Sache entscheidet und mein Urteil fällt. Er wird
mich ans Licht führen, und ich werde die Gerechtigkeit schauen. Diese
Stelle galt schon bei den Katholiken zur Zeit des hl. Hieronymus, das war
vor ungefähr 1200 Jahren, als Beweis für das Fegefeuer, wie der hl. Hiero-
nymus selbst zum letzten Kapitel Jesaja bestätigt. Die Stelle, wenn ich im
Finstern sitze, werde ich den Zorn des Herrn ertragen, bis er meine Sache
entscheidet, kann man von keiner anderen Strafe so gut verstehen wie von
der des Fegefeuers.
4. Aus Sacharja (9,11): Du aber hast im Blut deines Bundes deine Ge-
fangenen aus der Grube gezogen, in der kein Wasser ist. Die Grube, aus der
diese Gefangenen gezogen wurden, ist nichts anderes als das Fegefeuer,
aus dem sie Unser Herr befreite durch sein Hinabsteigen in das Reich des
Todes. Darunter kann man nicht den Ort im Schoß Abrahams verstehen,
an dem die Väter vor der Auferstehung Unseres Herrn weilten, weil es
dort das Wasser des Trostes gab, wie man beim hl. Lukas (16,22-25) sehen
kann. Der hl. Augustinus sagt dazu im Brief 99 an Evodius: Unser Herr
suchte jene auf, die in den Qualen der Unterwelt waren, d. h. im Fegefeu-
er, und befreite sie daraus. Daraus folgt, daß es einen Ort gibt, an dem die
Gläubigen gefangen gehalten werden und aus dem sie befreit werden kön-
nen.
5. Aus Maleachi (3,3): Er wird sitzen, das Silber schmelzen und läutern;
er wird die Söhne Levis läutern wie Gold und Silber. Diese Stelle wurde als
ein reinigendes Leiden gedeutet von Origenes (Hom. 6 über Exodus),
vom hl. Ambrosius (zu Ps 36), vom hl. Augustinus im „Gottesstaat“
(20,25) und vom hl. Hieronymus zu dieser Stelle. Wir wissen wohl, daß
sie damit die Reinigung meinen, die am Weltende durch das Feuer des
Weltbrandes geschieht, durch den die Restsünden der Lebenden gereinigt
werden. Wir gewinnen daraus dennoch ein gutes Argument für unser Fe-
gefeuer; denn wenn die Menschen zu dieser Zeit einer Läuterung bedür-

264
fen, ehe sie die Wirkung des Segens des höchsten Richters erfahren dür-
fen, warum sollten ihrer jene nicht bedürfen, die vor dieser Zeit sterben?
Es kann ja solche geben, denen beim Tod noch irgendein Rest ihrer Un-
vollkommenheit anhaftet. In der Tat, wenn das Paradies zu jener Zeit
keinerlei Makel aufnehmen kann, wird sie ihn auch jetzt nicht aufneh-
men. Der hl. Irenäus sagt dazu: Weil die streitende Kirche dann zur himm-
lischen Wohnung ihres Bräutigams aufsteigen muß und weil dann keine
Zeit zur Läuterung mehr sein wird, werden ihre Fehler und Mängel un-
verzüglich durch dieses Feuer gereinigt, das dem Gericht vorausgeht.
6. Ich übergehe den Satz im Psalm 38,1: Strafe mich nicht in deinem
Grimm, Herr, und züchtige mich nicht in deinem Zorn. Der hl. Augustinus
erklärt ihn mit der Hölle und dem Fegefeuer in der Weise, daß im Grimm
strafen für die ewige Strafe stehe, im Zorn züchtigen für die Pein des Fege-
feuers.

4. Artikel: Eine weitere Stelle aus dem Neuen Testament zu diesem


Gegenstand.

7. Im ersten Korintherbrief (3,13-15) steht: Der Tag des Herrn wird es


offenbaren, weil er sich im Feuer kundgibt. Wie das Bauwerk jedes einzel-
nen ist, wird das Feuer erweisen. Ist das Bauwerk, das einer errichtet, von
Bestand, dann wird er Lohn empfangen; brennt aber das Bauwerk nieder,
wird er Schaden leiden. Er selbst wird zwar gerettet werden, jedoch wie
durch Feuer. Diese Stelle hat man immer für eine der tiefsten und schwie-
rigsten der ganzen Heiligen Schrift gehalten.
Wer nun das ganze Kapitel genau betrachtet, wird leicht feststellen, daß
der Apostel (3,12) zwei Vergleiche anstellt: den ersten mit einem Bau-
meister, der ein kostbares Haus aus gediegenem Material auf einem Fel-
sen baut; den zweiten mit jenem, der auf dem gleichen Fundament ein
Haus aus Brettern, Schilf und Stroh baut. Stellen wir uns nun vor, daß
Feuer auf das eine und das andere Haus fällt. Für das aus gediegenem
Material wird das ohne Gefahr sein, das andere wird in Schutt und Asche
gelegt. Der Baumeister, der sich im ersten befindet, wird heil und gesund
bleiben; wenn er aber im zweiten ist und sich retten will, muß er sich in
Feuer und Flammen stürzen. Auf diese Weise wird er sich retten, aber die
Kennzeichen tragen, daß es durch Feuer geschah. Er selbst wird zwar ge-
rettet werden, aber wie durch Feuer.

265
Das Fundament in diesem Vergleich ist Unser Herr. Von ihm sagt der
hl. Paulus: Ich habe gepflanzt ... (3,6); als kluger Baumeister habe ich das
Fundament gelegt (3,10); und später: Niemand kann ein anderes Funda-
ment legen als jenes, das gelegt ist, nämlich Jesus Christus (3,11). Die
Baumeister sind die Prediger und Lehrer des Evangeliums; das kann man
erkennen, wenn man die Worte des ganzen Kapitels aufmerksam erwägt.
Der hl. Ambrosius und Sedulius legen diese Stelle ebenfalls so aus. Der
Tag des Herrn, von dem gesprochen wird, ist als Tag des Gerichtes zu
verstehen, der in der Heiligen Schrift gewöhnlich Tag des Herrn genannt
wird; bei Joel (2,1): Der Tag des Herrn wird kommen; bei Zefanja (1,14):
Der Tag des Herrn ist nahe. Das ergibt sich auch aus dem, was hinzugefügt
wird: Der Tag des Herrn wird es offenbaren, denn an diesem Tag werden
sich alle Taten der Welt offen zeigen. Wenn der Apostel schließlich sagt:
denn im Feuer wird er sich kundgeben, zeigt er damit hinreichend, daß es
der Tag des Jüngsten Gerichtes ist. Im 2. Thessalonicherbrief (1,7f) heißt
es: Wenn sich Unser Herr Jesus Christus vom Himmel her mit seinen Engel-
scharen offenbart in Feuerflammen; in Psalm 97,3: Feuer wird ihm voraus-
gehen.
Das Feuer, durch das der Baumeister gerettet wird, kann nicht anders
gedeutet werden als durch das Feuer des Fegefeuers: Er selbst wird zwar
gerettet werden, aber wie durch Feuer. Wenn der Apostel sagt, daß er geret-
tet wird, schließt er ja das Feuer der Hölle aus, in dem niemand gerettet
wird, und das nur von dem sagt, der mit Holz, Schilf und Stroh gebaut hat,
so zeigt er damit, daß er nicht vom Feuer spricht, das dem Tag des Gerich-
tes vorausgeht, denn durch dieses gehen nicht nur diejenigen, die mit
diesem minderwertigen Material gebaut haben, sondern auch diejenigen,
die mit Gold und Silber gebaut haben.
Abgesehen davon, daß sich diese ganze Auslegung sehr gut mit dem
Text vereinbaren läßt, ist sie auch sehr gut verbürgt dadurch, daß ihr die
alten Väter in einmütiger Übereinstimmung folgten. Der hl. Cyprian
scheint im 4. Buch (ep. 2) eine Anspielung auf diese Sätze zu machen; der
hl. Ambrosius zu dieser Stelle, der hl. Hieronymus zu Amos 4, der hl.
Augustinus über Psalm 37, der hl. Gregor, Rupert und die anderen tun es
hier ganz ausdrücklich; auch die Griechen, Origenes in der 6. Homilie
über Exodus, Oecumenes zu diesen Sätzen, wo er den hl. Basilius zitiert,
und Theodoret, den der hl. Thomas im Opusculum I gegen die Griechen
anführt.
Nun könnte man sagen, in dieser Auslegung gebe es eine Zweideutig-
keit oder Unstimmigkeit, weil das Feuer, von dem die Rede ist, bald als

266
das Feuer des Fegefeuers verstanden wird, bald als das Feuer, das dem Tag
des Gerichtes vorausgeht. Die Antwort darauf ist, daß es eine vorzügliche
Ausdrucksweise ist, durch die Gegenüberstellung von diesen zwei Feu-
ern zu sprechen, denn der Sinn des Abschnitts ist folgender: Der Tag des
Herrn wird erhellt werden durch das Feuer, das ihm vorausgeht; und wie
dieser Tag erhellt wird durch das Feuer, ebenso wird der gleiche Tag das
Verdienst und den Mangel jedes Werkes durch das Urteil erhellen. Und
wie jedes Werk erhellt wird, so werden jene, die unvollkommen gewirkt
haben, durch das Feuer des Fegefeuers gerettet werden. Außerdem, wenn
wir sagen wollten, der hl. Paulus gebrauche ein und dasselbe Wort im
gleichen Abschnitt in verschiedenem Sinn, so wäre das nichts Neues, denn
er bedient sich dessen auch an anderen Stellen, aber so trefflich, daß es als
Zierde seiner Sprache dient; so im 2. Korintherbrief (5,21): Ihn, der kei-
ne Sünde kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht. Wer sieht da nicht, daß
Sünde das erste Mal im eigentlichen Sinn verstanden wird als Missetat,
das zweite Mal bildlich für jenen, der die Strafe für die Sünde auf sich
nimmt?
Man könnte auch sagen, es heißt nicht, daß er durch das Feuer gerettet
wird, sondern wie durch Feuer; daher könne man nicht wirklich das Fege-
feuer daraus folgern. Ich antworte, daß es sich in diesem Abschnitt um
einen Vergleich handelt. Der Apostel will nämlich sagen, daß einer, des-
sen Werke nicht ganz gediegen sind, gerettet wird wie der Baumeister, der
sich vor dem Feuer rettet, dazu aber durch das Feuer gehen muß, aller-
dings ein Feuer von anderer Art, als es in dieser Welt brennt. Es genügt,
wenn man aus diesem Abschnitt freimütig folgert, daß viele durch das
Feuer gehen, die das Himmelreich in Besitz nehmen werden. Das kann
nun nicht das Feuer der Hölle sein, noch das Feuer, das dem Jüngsten
Gericht vorausgehen wird; also muß es das Feuer des Fegefeuers sein.
Der Abschnitt ist schwierig und nicht leicht zu verstehen, doch wenn man
ihn gut überlegt, liefert er uns eine klare Schlußfolgerung für unsere Be-
hauptung.
Seht, an wie vielen Stellen man feststellen kann, daß es nach diesem
Leben eine Zeit und einen Ort der Läuterung gibt.

267
5. Artikel: Einige weitere Schriftstellen, durch die das Gebet,
das Almosen und die guten Werke für die Verstorbenen
bestätigt werden.

Der zweite Beweis für das Fegefeuer, den wir der Heiligen Schrift ent-
nehmen, stammt aus dem 2. Makkabäerbuch (12,43ff). Dort berichtet die
Heilige Schrift, daß Judas Makkabäus 12000 Silberdrachmen nach Jeru-
salem schickte, damit man Opfer für die Verstorbenen darbringe; dann
fügt er hinzu: Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbe-
nen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden. Unsere Schlußfol-
gerung ist nämlich folgende: Es ist eine heilige und nützliche Sache, für
die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden;
daher gibt es nach dem Tod eine Zeit und einen Ort für die Vergebung der
Sünden. Nun kann dieser Ort weder die Hölle noch das Paradies sein,
folglich ist er das Fegefeuer.
Dieser Beweis ist so gut gemacht, daß unsere Gegner, um auf ihn zu
erwidern, die Autorität des Makkabäerbuches leugnen und es als apo-
kryph bezeichnen. Das tun sie in Wahrheit nur mangels einer anderen
Erwiderung. Denn dieses Buch wurde für authentisch und heilig gehalten
vom 3. Konzil von Karthago im Kanon 47, von Innozenz I. im Brief an
Exuperius und vom hl. Augustinus im „Gottesstaat“ (18,36); dort stehen
die Worte: „Die Makkabäerbücher haben nicht die Juden für kanonisch
gehalten, sondern die Kirche.“ Dasselbe sagt der hl. Augustinus im 2.
Buch „De doctrina Christiana“, Kapitel 8, ebenso Gelasius im Dekret
über die kanonischen Bücher, das auf einer Synode von 70 Bischöfen
erlassen wurde, und mehrere andere Väter; aber es wäre zu lang, es zu
zitieren. Wenn man daher antworten will, indem man die Autorität des
Buches leugnet, dann heißt das gleichzeitig, die Autorität der Alten leug-
nen.
Man kennt sehr gut alles, was man als Vorwand für diese Leugnung
anführt; das zeigt zum Großteil nur die Schwierigkeit, die es in den heili-
gen Schriften gibt, nicht irgendetwas Falsches in ihnen. Ich halte es nur
für erforderlich, auf einen oder zwei Einwände zu antworten, die sie ma-
chen. Der erste lautet, man habe das Gebet verrichtet, um die große An-
hänglichkeit an die Verstorbenen zu zeigen, nicht weil sie glaubten, die
Verstorbenen bedürften dessen. Dem widerspricht aber die Heilige Schrift
durch die Worte, damit sie von ihren Sünden erlöst werden.

268
Zweitens wenden sie ein, es sei ein offenkundiger Irrtum, um die Aufer-
stehung der Toten vor dem Jüngsten Gericht zu beten; das heiße ja vor-
aussetzen, daß entweder die Seelen auferstehen, folglich auch sterben,
oder daß die Leiber nur durch Vermittlung der Gebete und guten Werke
der Lebenden auferstehen; das widerspreche dem Glaubensartikel „Ich
glaube an die Auferstehung der Toten“. Daß nun diese Irrtümer an dieser
Stelle vorausgesetzt würden, das gehe aus den Worten (12,44) hervor:
Denn hätte er nicht geglaubt, daß die Gefallenen auferstehen werden, wäre
es überflüssig und töricht gewesen, für die Verstorbenen zu beten.
Die Antwort darauf heißt, daß sie an dieser Stelle weder um die Aufer-
stehung der Seele noch des Leibes beten, sondern nur für die Erlösung der
Seelen. Damit setzen sie die Unsterblichkeit der Seele voraus. Denn hät-
ten sie geglaubt, daß die Seele mit dem Leib gestorben sei, dann wären sie
nicht auf deren Erlösung bedacht gewesen. Bei den Juden war der Glaube
an die Unsterblichkeit der Seele so sehr mit dem Glauben an die Aufer-
stehung des Leibes verbunden, daß einer, der das eine leugnete, auch das
andere leugnete. Um zu zeigen, daß er an die Auferstehung der Seele
glaubte, sagte er daher, daß er an die Auferstehung des Leibes glaubte. So
begründet der Apostel die Auferstehung des Leibes mit der Unsterblich-
keit der Seele, obwohl es sein könnte, daß die Seele unsterblich ist ohne
Auferstehung des Leibes. So heißt es im 1. Korintherbrief (15,32): Was
nützt es mir, wenn die Toten nicht auferstehen? Laßt uns essen und trinken,
denn morgen sterben wir. Daraus würde nichts anderes folgen, als daß man
sich in dieser Weise gehen lassen sollte; ebenso, daß es keine Auferste-
hung gäbe, denn die Seele, die weiterlebt, empfinge die gebührende Strafe
für die Sünden und empfinge den Lohn für die Tugenden. Der hl. Paulus
setzte daher an dieser Stelle die Auferstehung der Toten für die Unsterb-
lichkeit der Seele, denn wer damals an das eine glaubte, der glaubte auch
an das andere.
Es gibt also keine Stelle, um das Zeugnis der Makkabäer als Beispiel
eines rechten Glaubens zurückzuweisen. Wenn wir sie aber höchstens als
Zeugnis eines einfachen aber gewichtigen Geschichtsschreibers anneh-
men wollen, was man uns nicht verwehren kann, so muß man wenigstens
zugeben, daß die alttestamentliche Synagoge an ein Fegefeuer glaubte, da
diese ganze Schar so bereitwillig für die Verstorbenen betete.
Tatsächlich haben wir Zeichen dieser Frömmigkeit in anderen Abschnit-
ten der Heiligen Schrift, die uns das leichter annehmen lassen, was wir
eben angeführt haben. Bei Tobit (4,18) heißt es: Spende dein Brot und

269
deinen Wein beim Begräbnis des Gerechten; iß und trink davon nicht mit
Sündern. Dieser Wein und dieses Brot waren beim Begräbnis für nichts
anderes bestimmt als für die Armen, damit der Seele des Verstorbenen
dadurch geholfen werde, wie die Exegeten zu dieser Stelle übereinstim-
mend sagen. Vielleicht wollen sie sagen, dieses Buch sei apokryph, aber
das ganze Altertum hat es stets als echt betrachtet. Der Brauch, bei Be-
gräbnissen Speise für die Armen zu bestimmen, ist tatsächlich sehr alt,
selbst in der katholischen Kirche, denn der hl. Hieronymus, der vor mehr
als 1200 Jahren lebte, spricht in der Homilie 32 über das 9. Kapitel des
hl. Matthäus davon folgendermaßen: „Warum rufst du nach dem Tod der
Deinen die Armen zusammen? Warum beschwörst du die Priester, für sie
zu beten?“
Doch was sollen wir vom Fasten und den Strengheiten halten, die die
Alten nach dem Tod ihrer Freunde auf sich nahmen? Die Leute von Ja-
besch Gilead fasteten nach dem Tod Sauls sieben Tage über ihm; dasselbe
tat David mit den Seinen ebenfalls über Saul, Jonatan und seinen Anhang
(1 Sam 31,13; 2 Sam 1,12). Man kann nur annehmen, daß das geschah,
um den Seelen der Verstorbenen zu helfen, denn auf welch anderen Zweck
könnte man das Fasten von sieben Tagen beziehen? Wie (2 Sam 12,16.20)
berichtet wird, fastete und betete David auch für seinen kranken Sohn
und hörte nach dessen Tod zu fasten auf. Das zeigt, daß er fastete, um für
den Kranken Hilfe zu erlangen; nach seinem Tod bedurfte er keiner Hilfe
mehr, weil er als unschuldiges Kind starb; deshalb hörte er zu beten auf.
So legte Beda vor mehr als 700 Jahren den Schluß des 1. Buches Samuel
aus. Demnach bestand in der Kirche des Altertums bereits der Brauch bei
den heiligen Personen, den Seelen der Verstorbenen mit Gebeten und
guten Werken zu helfen; das setzt aber offenbar den Glauben an ein Fege-
feuer voraus.
Von diesem Brauch spricht ganz offensichtlich der hl. Paulus im 1.
Korintherbrief (15,29), indem er ihn als lobenswert und gut anführt; er
sagt: Was wollen denn diejenigen tun, die sich für die Toten taufen lassen?
Wenn die Toten nicht auferstehen, wozu lassen sie sich für sie taufen? Recht
verstanden zeigt diese Stelle klar den Brauch in der Urkirche, für die
Seelen der Verstorbenen zu fasten, zu beten und zu wachen. Denn 1. wird
in der Heiligen Schrift „getauft werden“ sehr oft für Trübsal und Bußwer-
ke gesetzt. So spricht (Lk 12,50) Unser Herr von seinem Leiden und sagt:
Ich muß mit einer Taufe getauft werden, und wie drängt es mich, bis sie
vollendet ist. Ebenso (Mk 10,38): Könnt ihr den Kelch trinken, den ich
trinken muß, und mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?

270
Hier bezeichnet Unser Herr seine Leiden und Trübsale als Taufe. Der
Sinn dieser Schriftstelle ist also folgender: Wenn die Toten nicht auferste-
hen, wozu nimmt man dann Kummer und Leid auf sich, indem man für
die Toten betet und fastet? Dieser Ausspruch des hl. Paulus gleicht gewiß
dem oben zitierten der Makkabäer: Es wäre überflüssig und vergeblich, für
die Verstorbenen zu beten, wenn die Toten nicht auferstehen.
Man mag diesen Text in Auslegungen wenden und drehen, soviel man
will, es wird sich keine finden, die dem Wortlaut der Heiligen Schrift so
gut entspricht wie diese. Man müßte auch nicht sagen, die Taufe, von der
der hl. Paulus spricht, sei nichts anderes als eine Taufe von Traurigkeit,
Tränen und Gebeten, Fasten und anderen Werken, denn mit diesem Ver-
ständnis wäre seine Folgerung sehr schlecht. Er will den Schluß ziehen,
daß man vergeblich um die Toten trauert, wenn die Toten nicht auferste-
hen und wenn die Seele sterblich ist. Aber ich bitte euch, hätte man nicht
mehr Grund, sich in Trauer über den Tod der Freunde zu grämen, wenn
sie nicht auferstehen, als wenn sie auferstehen? Er meint also freiwillige
Anstrengungen, die man macht, um den Verstorbenen die Seelenruhe zu
erwirken. Das würde man ohne Zweifel vergeblich tun, wenn die Seele
sterblich wäre oder wenn die Toten nicht auferstehen. Dabei muß man
sich daran erinnern, was oben gesagt wurde, daß der Glaubensartikel von
der Auferstehung der Toten und der von der Unsterblichkeit der Seele im
Glauben der Juden so eng miteinander verbunden waren, daß, wer dem
einen zustimmte, auch den anderen annahm, und wer den einen leugnete,
auch den anderen ablehnte. Aus diesen Worten des hl. Paulus geht daher
klar hervor, daß es lobenswert ist, Gebete, Fasten und andere heilige An-
strengungen für die Verstorbenen zu verrichten. Das geschieht nun nicht
für die im Paradies, denn sie bedürfen dessen nicht, noch für die in der
Hölle, denn sie könnten deren Früchte nicht empfangen; folglich geschieht
es für die im Fegefeuer. So hat es vor 1200 Jahren der hl. Ephräm in
seinem Testament erklärt, ebenso die Väter, die gegen die Petrobusianer
gekämpft haben.
Dasselbe kann man aus den Worten des guten Schächers ableiten, der
sich (Lk 23,42) an Unseren Herrn wandte und sagte: Gedenke meiner,
wenn du in dein Reich kommst. Denn wozu hätte er sich empfohlen, er,
der am Sterben war, wenn er nicht geglaubt hätte, daß man den Seelen
nach dem Tod beistehen und helfen kann? Der hl. Augustinus beweist im
6. Buch gegen Julian (Kap. 5) aus diesem Text, daß manche Sünden in der
anderen Welt vergeben wurden.

271
6. Artikel: Einige Stellen der Heiligen Schrift, durch die bewiesen wird,
daß manche Sünden in der anderen Welt vergeben werden
können.

Es gibt manche Sünden, die in der anderen Welt vergeben werden kön-
nen. Das geschieht weder in der Hölle noch im Himmel, sondern im
Fegefeuer. Daß es Sünden gibt, die in der anderen Welt vergeben werden,
nun, das beweisen wir vor allem durch den Satz beim hl. Matthäus (12,32),
wo Unser Herr sagt, daß es eine Sünde gibt, die weder in dieser Welt noch
in der anderen vergeben werden kann. Folglich gibt es Sünden, die in der
anderen Welt vergeben werden können; denn wenn es keine Sünden gäbe,
die in der anderen Welt vergeben werden können, bräuchte man nicht
einer bestimmten Sünde die Eigenschaft zuschreiben, daß sie in der ande-
ren Welt nicht vergeben werden kann; es würde vielmehr genügen zu
sagen, daß sie in dieser Welt nicht vergeben werden kann. Gewiß, als
Unser Herr nach dem hl. Johannes (18,36) zu Pilatus sagte: Mein Reich
ist nicht von dieser Welt, zog Pilatus daraus den Schluß: Also bist du Kö-
nig? Das fand Unser Herr gut und er stimmte zu. Wenn er sagt, daß es eine
Sünde gibt, die in der anderen Welt nicht vergeben werden kann, folgt
daraus ebensogut, daß es folglich andere gibt, die vergeben werden kön-
nen.
Die Gegner möchten sagen, diese Worte, weder in dieser Welt noch in
der anderen, wollten nichts anderes besagen als „in Ewigkeit“ oder „nie-
mals“, wie es beim hl. Markus (3,29) heißt: Sie findet in Ewigkeit keine
Vergebung. Das ist gut, aber deswegen verliert unsere Begründung nichts
von ihrer Gediegenheit; denn entweder hat der hl. Matthäus die Absicht
Unseres Herrn gut ausgedrückt oder nicht. Man wird nicht zu behaupten
wagen, daß er es nicht tat. Wenn er sie aber gut ausgedrückt hat, dann folgt
daraus allemal, daß es Sünden gibt, die in der anderen Welt vergeben
werden können, da Unser Herr gesagt hat, es gibt eine, die in der anderen
Welt nicht vergeben werden kann. Sagt mir doch bitte, wenn der hl. Petrus
beim hl. Johannes (13,8) gesagt hätte: „Du sollst mir weder in dieser Welt
noch in der anderen die Füße waschen“, hätte er das nicht spöttisch ge-
sagt, da man sie in der anderen Welt nicht waschen kann? Er sagte aber in
Ewigkeit. Man darf also nicht glauben, der hl. Matthäus hätte die Absicht
Unseres Herrn ausgedrückt mit den Worten: weder in dieser Welt noch in
der anderen, wenn es in der anderen keine Vergebung gäbe. Man würde
über einen lachen, der sagte, ich will weder in dieser noch in der anderen
Welt heiraten, wenn er meinte, man könnte in der anderen heiraten. Wer

272
daher sagt, daß eine Sünde weder in dieser noch in der anderen Welt
nachgelassen werden kann, der setzt voraus, daß man die Vergebung man-
cher Sünden in dieser Welt und auch in der anderen erlangen kann.

Ich weiß wohl, daß unsere Gegner diesen Schlag durch verschiedene
Auslegungen aufzufangen versuchen, aber er ist so gut geführt, daß sie
ihm nicht ausweichen können. In Wahrheit ist es viel mehr wert, mit den
alten Vätern und mit aller möglichen Ehrfurcht die Worte Unseres Herrn
buchstäblich zu verstehen, als sie für plump und schlecht wiedergegeben
hinzustellen, um eine neue Lehre zu begründen. Der hl. Augustinus im
„Gottesstaat“ (21,24), der hl. Gregor im 4. Buch seiner Dialoge (Kap.
39), Beda zum 3. Kapitel des hl. Lukas, der hl. Bernhard in der 66. Homi-
lie über das Hohelied und jene, die gegen die Petrobusianer schrieben,
haben sich dieser Stelle nach unserer Auffassung bedient, mit solcher
Sicherheit, daß der hl. Bernhard, um diese Wahrheit zu erklären, keine
andere anführt, so sehr schätzte er sie.

Beim hl. Matthäus (5,25f) und beim hl. Lukas (12,58f) heißt es: Einige
dich schnell mit deinem Gegner, solange du mit ihm auf dem Weg bist;
sonst könnte dein Gegner dich dem Richter übergeben, der Richter dem
Kerkermeister, und du könntest in den Kerker geworfen werden. Wahrlich,
ich sage dir, von dort wirst du nicht herauskommen, bis du den letzten
Heller zurückgezahlt hast. Origenes, der hl. Cyprian, der hl. Hilarius, der
hl. Ambrosius, der hl. Hieronymus und der hl. Augustinus sagen, der
Weg, von dem es heißt, solange du auf dem Weg bist, ist nichts anderes als
der Durchgang durch das gegenwärtige Leben. Der Gegner sei unser eige-
nes Gewissen, das stets gegen uns und für uns kämpft, d. h. es widersetzt
sich stets unseren schlechten Neigungen und unserem alten Adam zu
unserem Heil; so legen es der hl. Ambrosius, Beda, der hl. Augustinus,
der hl. Gregor und der hl. Bernhard an verschiedenen Stellen aus. Der
Richter ist ohne Zweifel Unser Herr, nach dem hl. Johannes (5,22): Der
Vater hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen. Ebenso ist der Kerker die
Unterwelt oder der Ort der Strafe in der anderen Welt. Dort gibt es wie in
einem großen Gefängnis mehrere Verliese, das eine für die Verdammten,
das dem für die Verbrecher entspricht, das andere für jene, die im Fege-
feuer sind, das gleichsam für die Schuldner ist. Der Heller, von dem es
heißt: du wirst von dort nicht herauskommen, bis du den letzten Heller
zurückgezahlt hast, das sind die kleinen Sünden aus Schwachheit, wie der
Heller die kleinste Münze ist, die man schulden kann.

273
Überlegen wir nun ein wenig, wo dieses Zurückzahlen geschehen muß,
von dem Unser Herr sagt: bis du den letzten Heller zurückgezahlt hast. 1.
Wir finden unter den ältesten Vätern solche, die sagten, im Fegefeuer:
Tertullian im Buch „De Anima“, Kap. 58; Cyprian im 4. Buch der Briefe,
2; Origenes in der Homilie 35 über diese Stelle; Eusebius von Emisa in
der 3. Homilie von Epiphanie; der hl. Ambrosius über das 12. Kapitel
des hl. Lukas, der hl. Hieronymus über das 5. des hl. Matthäus, der hl.
Bernhard in der Predigt vom Tod Humberts. – 2. Wenn es heißt, bis du
den letzten Heller zurückgezahlt hast, ist dann nicht vorausgesetzt, daß
man ihn bezahlen und die Schuld so weit verringern kann, daß nur mehr
der letzte Heller bleibt? Wenn es im Psalm (110,1) heißt: Setze dich zu
meiner Rechten, bis ich deine Feinde dir zu Füßen lege, folgt daraus ganz
richtig: also wird er ihm einmal die Feinde zu Füßen legen. Wenn er sagt:
Von dort wirst du nicht herauskommen, zeigt er damit ebenso, daß er
irgendeinmal zurückzahlen wird oder zurückzahlen kann. – 3. Wer sieht
nicht, daß beim hl. Lukas im 12. Kapitel der Vergleich nicht mit einem
Mörder oder irgendeinem Verbrecher gezogen wird, der keine Hoffnung
auf seine Rettung haben kann, sondern mit einem Schuldner, der in den
Kerker geworfen wird, bis bezahlt ist? Wenn das geschehen ist, wird er
unverzüglich freigelassen. Das ist also die Absicht Unseres Herrn: wir
sollen, solange wir in dieser Welt sind, die Strafe zu zahlen versuchen, zu
der unsere Sünden uns verpflichten, durch die Buße und ihre Früchte,
entsprechend dem Vermögen dazu, das wir durch das Blut des Erlösers
haben. Denn wenn wir den Tod abwarten, werden wir dazu nicht so gut
imstande sein im Fegefeuer, wo wir streng behandelt werden.
Das alles hat anscheinend Unser Herr selbst beim hl. Matthäus (5,22)
ausgesprochen, als er sagte: Wer seinem Bruder zürnt, wird dem Gericht
verfallen; wer ihn Dummkopf schimpft, wird dem Hohen Rat verfallen;
wer ihn gottlos nennt, wird der Hölle des Feuers verfallen. Hier handelt es
sich um die Strafe, die man durch das Urteil Gottes empfangen muß, wie
aus den Worten hervorgeht: der wird der Hölle des Feuers verfallen. Trotz-
dem wird nur die dritte Form der Kränkung mit der Hölle bestraft. Daher
muß es im Gericht Gottes nach diesem Leben auch andere Strafen geben,
die nicht ewig und nicht die Hölle sind; das sind die Strafen des Fegefeu-
ers. Man kann sagen, daß diese Strafen in dieser Welt abgebüßt werden,
aber der hl. Augustinus und die anderen Väter verstehen sie von der ande-
ren Welt. Dann: kann es nicht sein, daß ein Mensch über der ersten oder
zweiten Sünde stirbt, von denen hier die Rede ist?

274
Wo soll er die Strafen zahlen, die er sich durch sein Vergehen zugezo-
gen hat? Oder wenn ihr wollt, daß er sie nicht bezahlt, welchen Ort wollt
ihr ihm als Aufenthalt nach dieser Welt geben? Ihr werdet ihm nicht die
Hölle anweisen, außer ihr wolltet weiter gehen als der Spruch Unseres
Herrn, der die Hölle nur als Strafe über jene verhängt, die das dritte Ver-
gehen begangen haben. Ihr dürft ihn nicht in das Paradies versetzen, weil
die Natur dieses himmlischen Ortes jede Unvollkommenheit ausschließt.
Beruft euch hier nicht auf die Barmherzigkeit des Richters, denn er er-
klärt an dieser Stelle, daß er auch Gerechtigkeit walten lassen will. Macht
es daher wie die Väter und sagt, daß es einen Ort gibt, wo die Seelen
geläutert werden und dann von dort in das Paradies aufsteigen.
Beim hl. Lukas (16,9) heißt es: Macht euch Freunde mit dem ungerech-
ten Mammon, damit sie euch, wenn es zu Ende geht, in die ewigen Woh-
nungen aufnehmen. Was bedeutet zu Ende gehen anderes als sterben?
Und wer sind die Freunde anderes als die Heiligen? So verstehen es alle
Interpreten. Daraus ergeben sich zwei Dinge: daß die Heiligen den Ver-
storbenen helfen können und daß die Verstorbenen von den Heiligen
Hilfe erfahren können. Denn in welch anderem Sinn kann man die Worte
verstehen: macht euch Freunde, die euch aufnehmen? Man kann das nicht
vom Almosen verstehen. Das Almosen ist ja oftmals gut und heilig, ge-
winnt uns aber trotzdem keine Freunde, die uns in die ewigen Wohnungen
aufnehmen könnten; so wenn man es in heiliger und gerader Absicht
schlechten Menschen gibt. So legt diesen Satz der hl. Ambrosius aus, der
hl. Augustinus im „Gottesstaat“ (21,27). Die Parabel, die Unser Herr
gebraucht, ist doch zu klar, um uns an dieser Auslegung zweifeln zu las-
sen. Der Vergleich ist ja von einem Verwalter genommen, der aus seinem
Amt entlassen und verarmt, seine Freunde um Hilfe bittet. Mit dieser
Entlassung vergleicht Unser Herr den Tod, mit dem von den Freunden
erbetenen Beistand die Hilfe, die man nach dem Tod von denen erfährt,
denen man Almosen gegeben hat. Diese Hilfe können weder die Seelen
im Himmel erfahren noch die in der Hölle, folglich jene, die im Fegefeu-
er sind.

275
7. Artikel: Einige weitere Schriftstellen, aus denen man durch
verschiedene Folgerungen die Wahrheit des Fegefeuers ablei-
tet.

Der hl. Paulus schreibt an die Philipper (2,10) folgende Worte: Damit
im Namen Jesu jedes Knie sich beuge, im Himmel, auf Erden und unter
der Erde. Im Himmel findet man Knie in Fülle, die sich im Namen des
Erlösers beugen; auf Erden findet man viele in der streitenden Kirche;
aber wo finden wir solche unter der Erde? David wagt nicht, dort welche
zu finden, wenn er (Ps 6,6) sagt: Wer wird dich in der Unterwelt loben?
Hiskija sagt bei Jesaja (38,18): Die Unterwelt lobpreist dich nicht. Oder
muß man sich auch noch darauf berufen, was David an anderer Stelle (Ps
50,16) sagt: Zum Sünder aber sprach Gott: Wozu erzählst du von meinen
Satzungen und führst meinen Bund im Mund? Wenn Gott vom verstock-
ten Sünder kein Lob annehmen will, wie könnte er dann zulassen, daß die
erbärmlichen Verdammten sich dieses heilige Amt anmaßten? Der hl.
Augustinus legt großes Gewicht auf diese Stelle in dieser Bedeutung, im
12. Buch über die Genesis, Kap 33.
Es gibt eine ähnliche Stelle in der Geheimen Offenbarung (5,2f): Wer
ist würdig, das Buch zu öffnen und seine sieben Siegel zu lösen? Doch
niemand fand sich, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde;
und weiter unten (5,13 f) im gleichen Kapitel: Und jedes Geschöpf, das
im Himmel ist, auf der Erde und unter der Erde, hörte ich zu dem auf dem
Thron und zum Lamm sagen: Dir sei Lob und Ehre und Herrlichkeit und
Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und die vier Wesen sagten Amen. Wird
hier nicht eine Kirche festgestellt, in der Gott unter der Erde gelobt wird?
Und welche kann das sein, wenn es nicht das Fegefeuer ist?

8. Artikel: Von den Konzilen, die den Glaubensartikel vom Fegefeuer


angenommen haben.

Wie ich oben (2. Art.) gesagt habe, hat Aerius als erster gegen die Ka-
tholiken gepredigt und gesagt, die Gebete, die sie für die Toten verrichten,
beruhten auf einem Aberglauben. Er hat auch in unserer Zeit Nachfolger
in diesem wichtigen Punkt. Unser Herr hat uns in seinem Evangelium
(Mt 18,15-17) die Regel aufgestellt, wie wir uns in solchen Fällen zu
verhalten haben: Wenn dein Bruder gegen dich gefehlt hat ... sag es der
Kirche. Wenn er nicht auf die Kirche hört, sei er für dich wie ein Heide und

276
Zöllner. Hören wir also, was die Kirche in diesem Fall sagt: in Afrika auf
dem Konzil von Karthago, in Spanien auf dem Konzil von Braga, in Frank-
reich auf dem Konzil von Chalons und auf dem Konzil von Orleans, in
Deutschland auf dem Konzil von Worms, in Italien auf dem 6. Konzil
unter Symmachus, in Griechenland, wie man in der Sammlung der Syno-
den von Martin von Braga sehen kann. Und bei all diesen Konzilen wer-
det ihr sehen, daß die Kirche das Gebet für die Verstorbenen als authen-
tisch betrachtet, folglich auch das Fegefeuer. Und später hat sie das, was
sie in Teilkonzilen erklärt hatte, in ihrer Gesamtheit definiert auf dem
Laterankonzil unter Innozenz III., auf dem Konzil von Florenz, an dem
alle Nationen teilnahmen, und schließlich auf dem Konzil von Trient,
sessio 25.
Doch wo könnte man eine heiligere Entscheidung sehen als die in allen
ihren Messen enthaltene? Betrachtet die Liturgie des hl. Jakobus, des hl.
Basilius, des hl. Chrysostomus, des hl. Ambrosius, die noch gegenwärtig
alle Christen des Orients gebrauchen. Dort werdet ihr das Gedächtnis der
Toten finden, wie man es annähernd auch in der unseren sieht. Was denn?
Petrus der Märtyrer, einer der Bedeutenden, der der Gegenpartei anhing,
bekennt zum 3. Kapitel des 1. Korintherbriefes, daß die ganze Kirche
dieser Auffassung folgt; da brauche ich mich nicht weiter bei diesem
Beweis aufzuhalten. Er behauptet, sie habe geirrt und gefehlt; ach, wer
soll das glauben? Wer bist du, daß du die Kirche Gottes richtest? (vgl. Röm
14,4). Wenn einer auf die Kirche nicht hört, sei er für dich wie ein Heide und
Zöllner (Mt 18,17). Die Kirche ist die Grundfeste der Wahrheit (1 Tim
3,15), und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen (Mt 16,18).
Wenn das Salz schal wird, womit soll man es würzen? (Mt 5,13). Wenn die
Kirche irrte, von wem soll sie zurechtgewiesen werden? Wenn die Kir-
che, die treue Hüterin der Wahrheit, die Wahrheit verlöre, von wem soll
die Wahrheit wieder gefunden werden? Wenn Christus die Kirche zu-
rückwiese, wen soll er annehmen? Er läßt keinen zu, außer durch die
Kirche. Und wenn die Kirche irrt, könntest du nicht irren, Petrus Märty-
rer? Ohne Zweifel. Ich werde daher viel eher glauben, daß du im Irrtum
bist, als die Kirche.

277
9. Artikel: Von den alten Vätern.

Es ist schön und überaus trostvoll zu sehen, wie gut die gegenwärtige
Kirche mit der frühen Kirche übereinstimmt, vor allem im Glauben.
Sagen wir, was in unserem Zusammenhang vom Fegefeuer gilt. Alle ha-
ben geglaubt und bezeugt, daß dieser Glaube apostolischen Ursprungs
ist. Seht die Autoren, die wir dafür haben: von den Apostelschülern der
hl. Clemens und der hl. Dionysius; dann der hl. Athanasius, der hl. Basi-
lius, der hl. Gregor von Nazianz, Ephräm, Cyrillus, Epiphanius, Chryso-
stomus, Gregor von Nyssa, Tertullian, Cyprian, Ambrosius, Hieronymus,
Augustinus, Origenes, Boetius, Hilarius, d. h. das ganze Altertum, selbst
1200 Jahre, in denen diese Väter lebten. Ihre Zeugnisse könnte ich sehr
leicht beibringen; sie sind getreulich gesammelt in Büchern unserer Ka-
tholiken: im Katechismus des Canisius, in der „Sichtbaren Monarchie“
von Sanders, von Genebrard in seiner „Chronologie“, von Bellarmin in
seinen „Kontroversen“ über das Fegefeuer, von Stapleton in seinem
„Promptuarium“. Vor allem aber, wer die Ausführungen der alten Väter
ausführlich und getreu zitiert nachlesen will, der nehme das von Busaeus
durchgesehene Werk des Canisius zur Hand.
Doch Calvin wird uns gewiß dieser Mühe entheben durch das 3. Buch
seiner „lnstitution“ (c. 5, § 10), wo er sagt: „Vor 1300 Jahren war als
Übung angenommen, daß man Gebete für die Verstorbenen verrichtete;“
und später fügt er hinzu: „Aber ich gestehe, daß alle dem Irrtum verfallen
waren.“ Wir haben also nichts anderes zu tun, als den Namen und die
Stelle der alten Väter zu suchen, um das Fegefeuer zu beweisen, da sie
Calvin für nichtig erklärt, um auf seine Rechnung zu kommen. Was spricht
denn dafür, daß nur Calvin allein unfehlbar wäre und das ganze Altertum
geirrt hätte?
Man sagt, die alten Väter hätten an das Fegefeuer geglaubt, um sich dem
göttlichen Volk anzupassen. Eine schöne Ausrede. War es nicht Sache
der Väter, das Volk vor dem Irrtum zu bewahren, wenn sie sahen, daß es
ihm verfiel, nicht ihm zu verfallen und sich zu ihm herbeizulassen? Diese
Ausrede ist daher nichts anderes als eine Beschuldigung der Alten. Aber
wieso sollten die Väter nicht ernsthaft an das Fegefeuer geglaubt haben?
Wie ich oben gesagt habe, wurde Aerius als Häretiker betrachtet, weil er
es leugnete.
Es ist ein Jammer, die Kühnheit zu sehen, mit der Calvin den hl. Augu-
stinus behandelt, weil er für seine Mutter, die hl. Monika, betete und
beten ließ. Als einzigen Vorwand führt er an, daß der hl. Augustinus im

278
„Gottesstaat“ (21,26) am Feuer des Fegefeuers zu zweifeln scheine. Das
hat aber nichts mit unserer Frage zu tun. Es ist wahr, daß der hl. Augusti-
nus sagt, man könne am Feuer und an seiner Beschaffenheit zweifeln,
nicht aber am Fegefeuer. Mag nun die Läuterung durch Feuer geschehen
oder auf andere Weise, mag das Feuer von der gleichen Art sein wie das
der Hölle oder nicht, deswegen gibt es doch eine Läuterung und ein Fege-
feuer. Er zieht also nicht das Fegefeuer in Zweifel, sondern seine Beschaf-
fenheit. Das werden jene niemals leugnen, die sehen, was er im 16. und 24.
Kapitel des gleichen Buches vom „Gottesstaat“ sagt, im Buch über die
Sorge für die Toten und an tausend anderen Stellen. Seht also, wie wir uns
auf dem Weg der heiligen und altehrwürdigen Väter befinden, was diesen
Artikel vom Fegefeuer betrifft.

10. Artikel: Zwei hauptsächliche Vernunftgründe und das Zeugnis von


Fremden über das Fegefeuer.

Hier sind zwei unwiderlegbare Beweise für das Fegefeuer. Der erste: Es
gibt Sünden, die im Vergleich mit anderen leicht sind und den Menschen
nicht der Hölle schuldig machen. Wenn nun der Mensch in ihnen stirbt,
was geschieht dann mit ihm? Das Paradies nimmt nichts Beflecktes auf
(Offb 21,27); die Hölle ist eine zu harte Strafe, die seine Sünde nicht
verdient; man muß also zugeben, daß er an einem Reinigungsort bleiben
wird, bis er ganz geläutert ist und dann in den Himmel kommt.
Nun, daß es Sünden gibt, die den Menschen nicht der Hölle schuldig
machen, hat Unser Herr beim hl. Matthäus (5,22) gesagt: Wer seinem
Bruder zürnt, wird dem Gericht verfallen; wer ihn gottlos nennt, wird der
Hölle des Feuers verfallen. Ich bitte euch, was heißt denn der Hölle des
Feuers verfallen anderes, als der Verdammnis schuldig sein? Dieser Strafe
verfallen nun nur jene, die ihn „Gottloser“ nennen. Jene, die in Zorn
geraten und die ihren Zorn äußern durch ein Wort, das nicht beleidigt
und verleumdet, stehen nicht auf der gleichen Stufe. Vielmehr verdient
der eine das Gericht, d. h. sein Zorn wird beurteilt wie das unnütze Wort
(Mt 12,36), von dem Unser Herr sagte, daß die Menschen darüber Re-
chenschaft am Tag des Gerichtes ablegen müssen; er muß sich dafür ver-
antworten. Der andere verfällt dem Hohen Rat, d. h. er verdient, daß man
entscheidet, ob er verdammt wird oder nicht (denn Unser Herr paßt sich
der menschlichen Ausdrucksweise an). Nur der Dritte wird ohne Zweifel
unfehlbar verdammt. Folglich sind die erste und zweite Sünden, die den

279
Menschen nicht des ewigen Todes schuldig machen, sondern einer zeitli-
chen Strafe. Wenn daher ein Mensch mit ihnen stirbt, durch einen Unfall
oder auf andere Weise, muß er dem Gericht unterworfen werden, d. h.
einer zeitlichen Strafe. Wenn eine Seele durch diese gereinigt ist, wird er
in den Himmel mit den Seligen kommen.
Von diesen Sünden spricht der Weise, wenn er (Spr 24,16) sagt: Der
Gerechte fällt siebenmal am Tag. Der Gerechte kann ja, solange er gerecht
ist, keine Sünde begehen, die die Verdammnis verdient. Das ist also so zu
verstehen, daß er in Sünden fällt, denen nicht die Hölle droht; die Katho-
liken nennen sie läßliche Sünden. Von ihnen kann man in der anderen
Welt gereinigt werden im Fegefeuer.
Der zweite Beweis ist, daß nach der Vergebung der Sünde ein Teil der
Strafe bleibt, die sie verdient. So wurde z. B. (2 Sam 12,13 f) David die
Sünde vergeben nach dem Wort des Propheten: Gott hat zwar deine Sün-
de weggenommen, ... weil aber deinetwegen die Feinde den Namen des
Herrn lästern, wird dein Sohn sterben.32

280
B. Apologetische Predigten

Einführung

Aus der Entstehungsgeschichte der Kontroversen ergibt sich bereits ein


enger Zusammenhang dieses Werkes mit den Predigten, die Franz von Sales
im Chablais gehalten hat. Er zeigt sich vielfach darin, daß die gleichen The-
men in beiden behandelt werden, manchmal in wörtlicher Übereinstimmung
ganzer Passagen, besonders deutlich in den frühesten Predigten. Daraus er-
klärt sich weitgehend auch der „affektive“ Stil der Kontroversen, den Franz
von Sales auch in späteren Werken beibehalten hat.
Andererseits behandeln einzelne Predigten Themen, die sich in den Kon-
troversen nicht finden, z. B. den Englischen Gruß (Nr. 28), die Reliquienver-
ehrung (Nr. 32), das Jüngste Gericht (Nr. 34), das Gotteshaus (Nr. 42). In
den Kontroversen dagegen sind die Gedanken in der Regel breiter ausgeführt,
die in den Predigtentwürfen oft nur durch Stichworte angedeutet sind. Wie-
weit Gegenstände der Kontroversen nicht auch in Predigten behandelt wur-
den, läßt sich bei der geringen Zahl der überlieferten Predigten nicht feststel-
len. Die hier folgenden Texte sind, zusammen mit den in Band 9 als Beispiele
veröffentlichten autographen Predigten Nr. 27, 30, 41, 43, 44 und 45, außer
den Notizen Nr. 40 und 46 alles, was an Predigten, Entwürfen und Notizen
aus der Chablais-Zeit erhalten blieb. Das kann nur ein kleiner Bruchteil der
in mehr als drei Jahren gehaltenen Predigten sein.
Dieses Wenige bestätigt, was die Biographen über die schwierigen Bedin-
gungen berichten, unter denen der Missionar seine Predigten vorbereiten
mußte. So war er (in seinen ersten Priesterjahren!) vielfach gezwungen, sich
mit der Aufzeichnung der Disposition und wichtiger Beweisstellen zu begnü-
gen und dann frei zu predigen. Die Aufzeichnungen lassen auch erkennen,
daß Methode und Inhalt der Predigten, ebenso wie die der Kontroversen,
vorwiegend apologetisch sind. Das wird noch deutlicher durch einen Ver-
gleich mit der Predigt vom 6. 2. 1594 in Seyssel (Bd. 9, S. 35-41), die im Ton
polemischer ist. Hier im Chablais ging es Franz von Sales vor allem darum,
die wenigen Katholiken im Glauben zu festigen und die Protestanten, die zu
einem guten Teil ursprünglich katholisch waren, zu überzeugen und zum rech-
ten Glauben zurückzuführen. Diese Predigten gelten nur indirekt den prote-
stantischen Predigern und Theologen, insofern sie zur Stellungnahme heraus-
gefordert und die Gläubigen aufgefordert werden, ihnen Fragen zu stellen
und von ihnen Schriftbeweise für ihre Lehre zu verlangen.

281
Über die Sendung
der Hir ten der Kirche
Hirten
Nr. 23 (Zusammenfassung): 18. September 15941 VII,201-205
Wer bin ich denn, daß ich zum Pharao gehen und Israel aus
Ägypten herausführen soll? Wenn sie sagen: Was ist sein
Name, was soll ich ihnen antworten? Sie werden sagen: Der
Herr ist dir nicht erschienen. (Ex 3,11.13; 4,1)
Um Zeuge der Wahrheit zu sein, genügt es nicht, sich auf die Heilige
Schrift zu berufen; denn wer hat sich je mehr auf sie berufen als die Aria-
ner? Selbst die Freigeister berufen sich auf die Heilige Schrift, um zu
zeigen, daß man keine Heilige Schrift brauche. Gegen sie hat sogar Cal-
vin geschrieben; selbst der Teufel (Mt 4,6; Lk 4,10f).
Man muß gesandt sein.
Röm 10,14f: Wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie
sollen sie an ihn glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie
von ihm hören ohne Prediger? Wie sollen sie predigen, wenn sie nicht ge-
sandt sind? Jer 23,16.21: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch
weissagen und euch schmeicheln; sie künden Einbildungen des Herzens,
nicht aus dem Mund Gottes. Ich habe die Propheten nicht gesandt, sie sind
selbst gegangen; ich habe nicht zu ihnen gesprochen, sie haben selbst ge-
weissagt. Jer 14,14: Fälschlich weissagen die Propheten; ich habe sie nicht
gesandt.
Sehen wir den Willen Unseres Herrn. Joh 20,21f: Wie mich der Vater
gesandt hat, so sende ich euch. Empfangt den Heiligen Geist. Vor der
Himmelfahrt (Mt 28,18f): Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf
Erden: geht und lehrt alle Völker. Unser Herr nimmt sich von dieser Be-
dingung nicht aus: Wie mich der Vater gesandt hat ... Wer hat dich so
gesandt, Calvin? Joh 7,16: Meine Lehre ist nicht die meine, sondern die
Lehre dessen, der mich gesandt hat. Er rief (Joh 7,28) aus: Ihr kennt mich
und wißt, woher ich gekommen bin. Ich bin nicht aus mir selbst gekom-
men.
Zwei Arten der Sendung:
Die ordentliche und die außerordentliche. Beide müssen bewiesen wer-
den. Wie hat sie denn Unser Herr seiner Herde bewiesen?

282
Wie sich die ordentliche erweist.
Durch Nennung des Namens und ihrer Nachfolge, mit der Autorität des
Oberhirten und der Kirche. 2 Chr 19,11: Euer Oberpriester soll Vorsteher
sein in allem, was den Herrn betrifft. Dtn 17,12: Sollte einer so vermessen
sein, daß er der Anordnung des Priesters nicht folgen wollte, soll er nach
dem Urteil des Richters sterben. 1 Tim 3,15: Sieh, wie man sich in der
Kirche Gottes zu benehmen hat; sie ist die Säule und Grundfeste der Wahr-
heit. Mt 18,17: Wenn einer auf die Kirche nicht hört, sei er dir wie ein Heide
und Zöllner.

Die außerordentliche.
Durch Wunder. Mt 3,27: Dies ist mein geliebter Sohn. Joh 12,28: Ich
habe ihn verherrlicht und werde ihn von neuem verherrlichen. Joh 14,10.12:
Die Worte, die ich spreche, sage ich nicht aus mir selbst. Glaubt wenigstens
um der Werke selbst willen. Joh 15,24: Hätte ich nicht Werke vollbracht, die
kein anderer vollbracht hat, dann hätten sie keine Sünde. So auch Mose
(wie oben). 2 Kor 12,12: Die Kennzeichen für mein Apostelamt sind unter
euch in aller Geduld gegeben worden durch Zeichen, Wunder und kraftvol-
le Taten.

Die außerordentliche ist ohne Anerkennung durch die ordentliche nicht gut.

Der hl. Paulus wollte von Hananias die Anerkennung seiner außeror-
dentlichen (Apg 9,17). Der legte ihm die Hände auf und sagte: Damit du
sehend wirst und vom Heiligen Geist erfüllt. Apg 13,2: Der Heilige Geist
sprach: Sondert mir den Barnabas und Saulus aus für die Aufgabe, zu der
ich sie berufen habe. Hierauf fasteten und beteten sie, legten ihnen die
Hände auf und entließen sie. Andernfalls steht Wahrheit gegen Wahrheit.
Unser Herr will von der ordentlichen anerkannt werden; so Simeon, Za-
charias, der hl. Johannes. Die Häretiker unserer Zeit sind nicht gesandt,
denn sie weisen die Sendung nicht nach: das ist das Argument der Argu-
mente.

Sehen wir nun die Sendung des hl. Johannes im besonderen.

Der Evangelist (Joh 1,6) bezeugt, daß er gesandt war: Ein Mensch ward
gesandt. Die Propheten hatten ihn vorhergesagt. Mal 3,1: Siehe, ich sende
meinen Boten vor mir her. Aber damit begnügte er sich nicht.

283
Gott beglaubigte ihn durch das Wunder seiner Geburt, in seinem wun-
derbaren Leben. Seine Sendung, die allen Anschein des Außerordentli-
chen hatte, wurde von der ordentlichen bestätigt. Er war aus der Priester-
klasse und ihm stand das Amt zu. Sie anerkannten ihn hinreichend durch
jene ehrenvolle Gesandtschaft (Joh 1,19): Wer bist du? Ihr werdet nicht
finden, daß sie ihm widersprachen. Also war er ein Mensch, von Gott
gesandt. Ein gediegenes Zeugnis, dessen Unser Herr sich beim hl. Johan-
nes (5,35) bedient, wenn er ihn eine hell leuchtende und brennende Lam-
pe nennt. Es enthält dreierlei: 1. den Glauben: Seht das Lamm Gottes
(Joh 1,36); die Sakramente; daher taufte er; die Gebote, und er beobach-
tete sie genau. Daher gab er Zeugnis für das Licht (Joh 1,7). Dies in vier
Zeiten: im Schoß seiner Mutter frohlockte er (Lk 1,41) über die Güte; bei
der wunderbaren Geburt für seine Allmacht; als er Buße predigte, für
seine Barmherzigkeit; als er wegen des Auftretens gegen die Sünde starb,
für seine Gerechtigkeit.

Dieses große Zeugnis unseres Heils macht uns froh.

Das Morgengrauen läßt die Hähne krähen; der Morgenstern ergötzt die
Kranken, läßt die Vögel singen. Selig, die du geglaubt hast; Magnificat;
Benedictus; Was mag aus diesem Kind werden? (Lk 1,45-68).
Gibt es aber keinen Zweifel, daß wir nicht weinen müssen? Was zu
sehen seid ihr hinausgezogen? (Mt 11,7). Er war eine hell leuchtende und
brennende Lampe (Joh 5,35), und wir haben uns nicht an den Weg gehal-
ten. Ihre Augen hielten sie auf die Erde geheftet (Ps 17,11). Er wollte nicht
einsehen, damit er recht handelte (Ps 36,4). Die Zöllner kamen zu ihm, um
sich taufen zu lassen (Lk 3,12); wir haben seine Bußtaufe nötig: so viele
Sünden. Herr, besprenge mich mit Ysop, und ich werde rein (Ps 51,9). Was
bezeugt wird. Der hl. Markus (1,5) bestätigt: Es kam zu ihm das ganze
Land Judäa und wurde von ihm im Jordanfluß getauft, während sie ihre
Sünden bekannten. Jes 65,2; 66,4; Spr 1,24: Den ganzen Tag habe ich
meine Hände ausgebreitet; ich habe gerufen, und ihr habt euch geweigert.
Ps 95,8: Heute, wenn ihr die Stimme des Herrn hört, verschließt euer Herz
nicht. Lk 18,11: Der Hochmütige, die Unzüchtigen. Lk 3,14: Soldaten.
Lk 3,7-14: Vier Aufrufe.

284
Über die Sichtbarkeit der Kirche
Sichtbarkeit
Nr. 24: Ende September 15942 VII,206-214

Die bis jetzt die Kirche verlassen haben, brachten verschiedene Ausre-
den von zwei gegensätzlichen Standpunkten hervor, um den Fehler zu
bemänteln, den sie begingen, daß sie nicht mehr in ihr bleiben wollten,
und den schlechten Willen, daß sie nicht zu ihr zurückkehren wollen;
denn die einen sagten, die Kirche sei unsichtbar, die anderen gaben zu,
daß sie sichtbar ist, sagten aber, sie habe für eine bestimmte Zeit ausfallen
und fehlen können. Infolgedessen sei zwar ihre Kirche scheinbar etwas
neues, weil sie niemandes Nachfolge angetreten hat, sei es aber dennoch
nicht, sondern sei die alte Kirche, die für eine bestimmte Zeit tot und
ausgelöscht gewesen sei, dann aber durch sie wieder erweckt und dieses
heilige Feuer (Lev 4,2.12) wieder entfacht worden sei. Die einen wollten
eine derart vollkommene Kirche, daß sie ganz geistig und unsichtbar wäre,
die anderen wollten sie so unvollkommen machen, daß sie nicht nur sicht-
bar, sondern auch der Verderbnis ausgesetzt wäre. Sie gleichen ihren hä-
retischen Vorgängern; von denen wollten die einen Unseren Herrn so
sehr vergöttlichen, daß sie seine Menschheit leugneten, die anderen ihn
so sehr vermenschlichen, daß sie seine Gottheit leugneten.
Das alles sind aber nichts anderes als erfundene Vorwände, um die ab-
scheuliche Spaltung zu vertuschen und zu bemänteln, die sie in der Kirche
herbeigeführt haben, die Beweise ihrer Sichtbarkeit und Unversehrtheit
liefert. Während die Sektierer so über sie schwätzen, ist sie an allen Orten
der alten und neuen Welt sichtbar und zeigt sich überall in ihren Dienern
und Predigern, als ganz sicheres Zeugnis für ihre Sichtbarkeit, und um ihre
Unversehrtheit zu bezeugen. Obwohl sie alt ist, macht sie sichtbar, daß sie
auch voller Kraft, Festigkeit und Lebendigkeit ist wie eh und je, allen ihren
Feinden tapfer zu widerstehen und durch keinen Ansturm erschüttert zu
werden, so heftig er sein mag, daß sie die ganze Welt durcheilt, um das Evan-
gelium ihres Bräutigams zu verkünden (Ps 18,5f).
Was sie selbst durch Erfahrung erkennen läßt, will ich mich nun durch
Überlegung zu zeigen bemühen, indem ich gute und zweifelsfreie Bewei-
se für ihre Sichtbarkeit und Unversehrtheit vorlege. Das ist ja der haupt-
sächliche Streitpunkt zwischen uns und unseren Gegnern. Bitten wir

285
Gott, er möge uns die Gnade erweisen, daß alles zu seiner Ehre gereicht,
und Unsere liebe Frau, sie möge uns durch ihre Fürbitte fördern. Daher
grüßen wir sie und sprechen andächtig Ave Maria.
Die Kirche, christliche Zuhörer, macht also in der Tat hinreichend of-
fenkundig, daß sie sichtbar, nicht der Verderbnis unterworfen und un-
sterblich ist. Sie zeigt sich überall ganz so, wie sie von Unserem Herrn,
seinen Aposteln und den Propheten vorhergesagt wurde. Mich dünkt wohl,
daß dieser Beweis allein dem genügen könnte, der nicht streitsüchtig und
halsstarrig sein will. Um aber keine Gelegenheit ungenützt zu lassen, die
Anerkennung der Kirche zu fördern, werde ich euch nun ganz sichere und
sehr klare Beweise bringen, wie sichtbar sie ist.
Als erstes frage ich unsere Gegner, wo sie je in der Heiligen Schrift
finden, daß die Kirche unsichtbar sei. Wo wollen sie finden, wenn von der
Kirche die Rede ist, sie sei eine unsichtbare Versammlung oder Beru-
fung? Das gab es nie; sie werden es nie finden.
Sie werden wohl (Num 20,4) finden, daß sich das Volk über Mose in der
Wüste Sin wegen des Mangels an Wasser beklagte; er sagte: Warum hast
du die Gemeinde in die Wüste geführt? Doch wer sieht nicht, daß diese
Gemeinde sichtbar war? Sie werden (Apg 20,15-17.28) finden, daß der
hl. Paulus, als er von Chios nach Jerusalem fuhr, nicht über Ephesus
reisen wollte; er fürchtete, sich dort zu lange aufzuhalten, denn er wollte
das Pfingstfest in Jerusalem verbringen. Von Milet schickte er nach Ephe-
sus und ließ die Ältesten zu sich kommen. In einer Ansprache, die er ihnen
hielt, sagte er: Habt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der
Heilige Geist zu Vorstehern eingesetzt hat, um die Kirche Gottes zu leiten,
die er mit seinem Blut erworben hat. Vorsteher heißt Priester. Als er nach
Cäsaräa kam (18,22), heißt es: er grüßte die Gemeinde; und an die Galater
(1,13) schrieb er: Ich habe die Kirche Gottes über die Maßen verfolgt. Ist
das nicht überall eine sichtbare Gemeinde?
Daher frage ich, meine Brüder: Wenn unsere Gegner keine Stelle fin-
den, wo die Kirche als eine unsichtbare Körperschaft verstanden wird,
heißt das nicht, es ohne die Heilige Schrift durchsetzen zu wollen? Wenn
sich aber im Gegenteil mehrere Stellen finden, an denen von der Kirche
die Rede ist, und sich alle von einer sichtbaren Gemeinde verstehen,
heißt das nicht, sich in Widerspruch zur Heiligen Schrift setzen, wenn
man sich auf das Gegenteil versteift? Wenn sie euch also das Hirngespinst
vortragen und leugnen, daß die Kirche sichtbar ist, dann fragt sie nach
einer Stelle der Heiligen Schrift, wo die Kirche als etwas Unsichtbares

286
bezeichnet werden sollte. Und was wollen sie machen? Um Glauben zu
finden, hörte man zuerst nur das Wort: Wort des Herrn, Wort des Herrn
(Jes 11,8); und nun wollen sie, ohne irgendeine Spur der Heiligen Schrift,
sondern gegen den Wortlaut der Heiligen Schrift, aus der Kirche ein Trug-
bild machen.
Aber sagt mir doch: Wenn die Kirche unsichtbar ist, wozu hätte Unser
Herr uns (Mt 18,17) gesagt: Sag es der Kirche; wenn er auf die Kirche nicht
hört, sei er für dich wie ein Heide und Zöllner? Was für eine Anrufung wäre
das: Sag es der Kirche? Wie wollt ihr, daß man sich an die Kirche wende,
wenn man sie nicht sieht, wenn man sie nicht kennt? 1 Tim 3,14f: Das
schreibe ich dir, damit du weißt, wie man sich im Haus Gottes zu beneh-
men hat, das die Kirche des lebendigen Gottes ist, die Säule und Grundfe-
ste der Wahrheit. Wie könnte er sich verhalten, wenn er die Kirche nicht
sieht und nicht kennt? Mt 16,18: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will
ich meine Kirche bauen. Wie sie es auch verstehen, hier muß der Gründer
sichtbar oder wahrnehmbar sein; daher wird auch die Kirche sichtbar
oder wahrnehmbar sein. Es ist also sicher, daß die Kirche sichtbar ist,
durch die Zeugnisse der Heiligen Schrift, um so mehr, als die Heilige
Schrift überall, wo sie die Kirche nennt, darunter eine sichtbare Gemein-
schaft versteht.
Sehen wir nun, welche Eigenschaften ihr in der Heiligen Schrift zuge-
schrieben werden. Im Psalm 19,5 sagt David: In die Sonne hat er sein Zelt
gesetzt (Augustinus: „Er hat seine Kirche in Anschaulichkeit gesetzt“).
Psalm 48,9: Wie wir gehört, so haben wir in die Stadt des Herrn der Mächte
gesehen; Gott hat sie für ewig gegründet. Seht ihr nicht, daß er sagt: Wie wir
gehört, so haben wir gesehen? Nachdem er in Psalm 45 den Bräutigam
beschrieben hat, über alles schön, selbst sichtbar, beschreibt er (45,10)
die Braut ebenso: Die Braut sitzt zu seiner Rechten in goldenem Gewand,
bedeckt mit reichem Geschmeide; und weiter unten (45,13): Alle Reichen
der Völker werden deinen Anblick suchen. Wie soll sie mit Gold gekleidet
sein, wenn sie nicht sichtbar ist? Wie kann man vor ihren Anblick treten,
wenn sie nicht zu sehen ist? Jes 61,9: Ihr Stamm sei bei den Heiden be-
kannt, und ihr Geschlecht inmitten der Völker. Alle, die sie erblicken, erken-
nen sie, daß sie ein Stamm sind, den der Herr gesegnet hat. Das deutet
Unser Herr zu seiner Zeit (Lk 4,18): Der Geist des Herrn ruht auf mir.
Vor allem aber müssen die Vergleiche gut beachtet werden und die
Namen, die die Heilige Schrift der Kirche gibt. Ps 48,1 nennt sie einen
Berg: Groß ist der Herr und überaus rühmenswert, in der Stadt unseres

287
Gottes, auf seinem heiligen Berg. Daniel 2,34f: Der Stein, der vom Berg
herabrollt und die große Statue zerstört, erfüllt die Erde und wird zu einem
großen Gebirge. Ps 89,36-38: Ich habe einmal bei meinem Heiligen ge-
schworen, wie sollte ich David täuschen? Bei meinem Heiligen, das heißt
bei mir selbst, der ich der Heilige der Heiligen (Dan 9,24) bin. Und was?
Sein Geschlecht wird in Ewigkeit dauern, und sein Thron wie die Sonne in
meinem Anblick und wie der Vollmond in Ewigkeit, und der getreue Zeuge
im Himmel.
In diesem Psalm geschieht zweierlei: Bis zum Vers und sein Thron
besingt er zunächst die großen Verheißungen, die David gegeben wurden,
die zur Zeit Unseres Herrn in Erfüllung gehen sollten. Von diesem Vers
bis zum Schluß beklagt sich dann der Psalmist, daß Gott diese Erfüllung
so sehr verzögert, während sein Volk bedrängt ist.
In diesem Vers spricht er also davon, was die Christenheit und die Kir-
che sein müssen, und vergleicht sie mit drei der edelsten und bekannte-
sten Dinge der Welt. 1. mit der Sonne: Und sein Thron ist wie die Sonne.
Sie verschwindet zwar manchmal, aber niemals ganz, sondern nur in ir-
gendeinem Teil der Welt; ebenso ist es mit der Kirche. – 2. mit dem
Mond. Da aber der Mond manchmal verschwindet und stets ganz, fügt er
hinzu: wie der Vollmond in Ewigkeit. – 3. mit dem Regenbogen am Him-
mel, den er den getreuen Zeugen im Himmel nennt, weil ihn (Gen 9,13)
Gott dem Noach als Zeugen seiner Aussöhnung mit der Welt gegeben hat.
Ebenso ist die Kirche der wahre Zeuge der neuen Versöhnung. Obwohl
der Regenbogen nichts als eine Wolke ist, fängt er doch die Strahlen der
Sonne auf und wird sehr schön und sichtbar; ebenso ist die Kirche zwar
nur eine Gemeinschaft von Menschen, sie empfängt aber den Beistand
des Heiligen Geistes und ist sehr schön und vorzüglich, etc., in ihrer
Einheit und Reinheit, in ihrer Beständigkeit und Dauer.
Doch wo haben unsere Gegner ihren Geist in dieser Frage? Sehen sie
nicht, daß sie das Verdienst der Passion Unseres Herrn herabsetzen? Bei
Jesaja (53,11f) heißt es: Weil seine Seele gelitten hat, will ich ihm viele
zuteilen und er wird die Beute der Starken verteilen; weil er seine Seele dem
Tod ausgesetzt hat und weil er zu den Missetätern gezählt wurde. Bei dir ist
mein Ruhm in der großen Gemeinde (Ps 22,26), sagt unser Herr Jesus
Christus zu seinem Vater, als wollte er sagen: Von dir geht aus, von dir
hängt ab das Lob, das ich in der großen Gemeinde empfange, oder das
Lob, das dir zuteil wird in meiner Menschwerdung. In der großen Ge-

288
meinde, das heißt in der katholischen Kirche,sagt Augustinus. Nachdem
Gott Vater ihm (Ps 2,7) gesagt hat: Heute habe ich dich gezeugt, sagt er
ihm (2,8): Verlange von mir, und ich werde dir die Völker als dein Erbteil
geben, zum Besitz die Grenzen der Erde. Im Psalm 72,8: Er wird herrschen
von Meer zu Meer, vom Fluß bis an die Grenzen des Erdkreises; und dann
(72,11): Alle Könige der Erde werden ihn anbeten und alle Völker ihm
dienen. Doch Unser Herr selbst sagt (Joh 12,32): Wenn ich erhöht sein
werde, will ich alles an mich ziehen.
Auf diese Weise kann ich denen, die diese Kirche so verborgen und
unsichtbar machen, wohl das gleiche sagen, was Optatus (von Mileve)
gegen Parmenas geschrieben hat: „Wenn ihr nach eurem Willen die Kir-
che so klein zusammendrängt, wo bleibt dann, was der Sohn Gottes ver-
dient hat, wo bleibt, was ihm der Vater freigebig gewährt hat mit den
Worten: Ich will dir die Völker als dein Erbteil geben? Warum ist die Weite
der Reiche im Kerker? Laßt den Sohn besitzen, was ihm gewährt wurde;
laßt den Vater das Versprechen erfüllen.“ Der hl. Hieronymus sagt im
Dialog gegen die Luziferianer: „Ich beglückwünsche dich, daß du dich
guten Mutes vom Irrtum der Sarden der Überzeugung der ganzen Kirche
zugewandt hast und nicht wie gewisse Leute sagst: Rette mich, Herr, es gibt
keinen Heiligen (Ps 12,1). Ihre ruchlose Stimme entwertet das Kreuz Chri-
sti, unterwirft den Sohn Gottes dem Teufel und versteht jene Klage Gottes
über die Sünder (Ps 30,10) als über alle Menschen gesprochen. Der Aus-
spruch des Vaters ist erfüllt: Ich gebe dir die Völker. Wo sind denn, frage
ich, jene Überfrommen, allerdings allzu Weltlichen, die behaupten, es
gebe mehr Synagogen als Kirchen?“
Sagt doch, was nennt ihr denn Kirche? Ist sie nicht eine Gemeinschaft
von Menschen? Ja gewiß, nicht von Engeln. Sagt mir, wo gibt es die wahre
Predigt, wenn nicht in der Kirche? Wo gibt es die echte Spendung der
Sakramente, wenn nicht in der Kirche? Und wo soll ich diese Kirche
nach eurer Meinung suchen, wenn sie unsichtbar und verborgen ist? Selbst
der Heilige Geist betrachtet die Kirche so sehr als sichtbar, daß er, um
sich ihrer Sichtbarkeit anzupassen, obwohl er selbst unsichtbar ist, in
sichtbarer Gestalt in ihr erschienen ist. Wenn sie unsichtbar ist, wo kann
man sie dann suchen? Wo haben sie die Kirche gefunden? Wer hat sie
über sie belehrt?
O meine Brüder, es ist die Absicht des Teufels, sie unsichtbar zu ma-
chen, um uns vom Gehorsam gegen sie abzubringen, um uns die Möglich-
keit zu nehmen, daß wir bei ihr Zuflucht finden, und ihr die Möglichkeit,

289
zu uns zu sprechen, uns zu unterweisen, uns unsere Fehler zu zeigen, uns
zurechtzuweisen und uns in Pflicht zu nehmen.
Doch sie sagen: Ich lege mein Gesetz in ihre Herzen (Jer 31,33; Hebr
10,16). Einst war das Gesetz auf Tafeln aus Stein geschrieben, jetzt in die
Herzen: Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen (Röm 5,5).
Nennt nicht der hl. Petrus im ersten Brief (2,5) die Kirche ein geistiges
Haus? Das ist sie auch, denn sie ist nicht ein stoffliches Haus, sondern auf
den Geist ausgerichtet. Wie die Menschen, die Gott dienen, Geistliche
genannt werden, deshalb aber nicht aufhören, sichtbar zu sein.
Sie wenden noch ein: „Ich glaube an die heilige katholische Kirche.“
Man glaubt an ihre Heiligkeit, die unsichtbar ist, man glaubt, daß sie die
Kirche Unseres Herrn ist, den man nicht sieht. Und sie fügen hinzu: Es
kennt der Herr die Seinen (2 Tim 2,19). Viele sind berufen, wenige aber
auserwählt (Mt 20,16). Das gibt scheinbar zu verstehen, die Kirche um-
fasse nur die Auserwählten, die nur Gott kennt. Wenn aber nur Gott die
Heiligkeit und die Auserwählten kennt, wenn sie die Kirche des Erlösers
ist, die man nicht sieht, ist dann nicht wahr, daß die Kirche der Acker ist,
auf dem der gute Same und das Unkraut (Mt 13,24-30) wächst? Ist sie
nicht die Scheune, in der das Korn und das Stroh sind? Sie ist das große
Haus, von dem der hl. Paulus (2 Tim 2,20) sagt, daß es in ihm kostbare
Gefäße gibt und geringe und verächtliche; daß die Scheidung erst am Ende
der Welt erfolgt, wenn aus der streitenden Kirche die triumphierende
wird.
Diese bedauernswerten Blinden gleichen den Aposteln, als sie sich in
Unserem Herrn täuschten, der sich in ihrer Mitte befand und zu ihnen
sagte: Friede sei mit euch, sie aber noch glaubten, daß es ein Gespenst sei
(Lk 24,36f). Sie gleichen jenen, von denen es beim hl. Matthäus (25,44)
heißt, daß sie zu Unserem Herrn sagen werden: Herr, wann haben wir dich
hungrig gesehen ...?
Nun denn, meine Brüder, was werden wir aus dieser ganzen Predigt
gewinnen: 1. eine Sicherheit in der Lehre von der Kirche, daß sie sichtbar
ist; 2. wie sehr wir Dem verpflichtet sind, der diese Stadt als Hort für uns
erbaut hat, wo wir Zuflucht finden können.

290
Von der Unvergänglichkeit der Kirche
Unvergänglichkeit

Nr. 25: Oktober 1594 VII,215-222

Ich schaute die heilige Stadt, das neue Jerusalem vom


Himmel niedersteigen, von Gott ausgestattet wie eine
Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat.
Offb 21,2

Der glorreiche Vertraute Gottes sagt an dieser Stelle, daß die Kirche
eine neue Stadt ist, geschmückt von Gott wie eine Braut für ihren Bräuti-
gam. Denkt nun nach, meine Brüder, wie eine Braut beschaffen sein muß,
wenn sie dem Wunsch und dem Verlangen ihres Bräutigams entsprechen
soll. Wenn ihr Bräutigam sie nach seinem Willen gestaltete, ich glaube, er
würde sie zur Schönsten und Tugendhaftesten machen, zur Gesündesten
mit dem längsten Leben, das man sich vorstellen kann. Es gibt ja keine
Liebe wie die des Bräutigams zur Braut, wenn auch im Verlauf der Ehe
infolge unserer unglücklichen verderbten Natur der Wille sich ändert.
Wie wäre doch diese Braut ausgestattet mit so vielen Vollkommenheiten,
die ihr Bräutigam ihr wünschte! Überlegt also bitte, wie diese heilige Stadt
beschaffen sein muß, die Gott selbst als Braut für sich ausgestattet hat. Sie
muß ganz schön (Hld 4,7) sein, sie muß ganz weise sein, vor allem aber
muß sie von sehr langer Lebensdauer sein, wie man gewöhnlich von den
Ehen wünscht, daß sie von langer Dauer sind. Ohne Zweifel hat Gott, der
die Kirche gegründet hat, sie so gut und so fest errichtet, daß sie unver-
gänglich sein muß. Das will ich nun mit drei gewichtigen Gründen bewei-
sen, aus Anlässen, die ich euch sogleich sagen werde. Bitten wir Gott, daß
es zu seiner Ehre und Verherrlichung gereiche, und sichern wir uns in
dieser Absicht die Fürsprache der seligsten Jungfrau. Ave.
Ich glaube, christliche Zuhörer, ihr wißt, als Gott die Welt erschaffen
wollte und seine göttliche Majestät die Erde und das Wasser von Tieren
erfüllt sah, segnete er alle und gab jedem in seiner Art in seiner Natur die
Kraft, ihre Art bis zum Ende der Welt zu erhalten. Als er den Menschen
erschaffen hatte, segnete er ihn ebenfalls und verlieh ihm die gleiche Voll-
kommenheit und Beschaffenheit (Gen 1,21-28). Daher fand man seither
nicht, daß je eine Art von Tieren ausstarb. Und was uns betrifft, weiß jeder
genau, daß wir in gerader Linie und ständiger, ununterbrochener Abfolge

291
vom Vater zum Sohn von dem ersten Vater abstammen, dem Gott die
Kraft und den Auftrag gab, sich zu vermehren. In der Tat entsprach es der
göttlichen Weisheit, die Welt zu erhalten, die er einmal so feierlich er-
schaffen hat.
Als es nun Gott in gleicher Weise gefiel, meine Brüder, die Welt wie-
derherzustellen und die Kirche zu gründen, hat er sie mehr denn je geseg-
net, daß diese Schöpfung nie in irgendeiner Weise fehlen oder fehlschla-
gen könnte. Daher muß die wahre Kirche, wie sie jetzt ist, durch die geis-
tige Zeugung des zweiten Adam, unseres Herrn und Meisters, vom Vater
auf den Sohn übergegangen sein. Wer anders sagte, verunglimpfte das
Blut Jesu Christi, das nicht weniger Kraft besaß, seine Kirche für immer
zu gründen, als das Blut Adams hatte, die Generationen der Menschen zu
erhalten. Wißt ihr denn nicht, daß Jesus Christus in seinem Blut ebenso
ein unvergängliches Geschlecht hinterlassen hat wie Adam in dem sei-
nen? Wenn die Welt noch im Blut Adams weiterbesteht, warum sollte
nicht auch die Kirche im Blut Jesu Christi weiterbestehen? Das ist es, was
der große David sagen wollte: Gott hat sie für ewig gegründet (Ps 48,9).
Groß ist der Herr und überaus lobenswert in der Stadt unseres Gottes (48,1).
Es wäre wahrlich eines solchen Gründers unwürdig, eine Kirche für
kurze Zeit zu gründen, die mit solcher Freude und solchem Aufwand
gegründet wurde; wenn Jesus Christus bei ihrer Gründung so viel erdul-
det, so viel Blut vergossen hätte und wenn sie dann vergänglich wäre. Der
Berg Zion wird unter dem Jubel der ganzen Erde gegründet (Ps 48,2). Doch
ich bitte euch, wäre es wohl angemessen, wenn Unser Herr sein Blut
vergossen hätte, um seine Kirche mit Gott, seinem Vater, auszusöhnen,
und wenn dann diese Kirche schließlich so im Stich gelassen würde, daß
sie ganz verloren wäre? Ein solcher Mittler (1 Tim 2,5) verdient gewiß
einen dauerhaften Frieden, eine ganz enge Verbindung, von der Jesaja
(41,8) sagt: Ich will einen ewigen Bund mit ihnen schließen, wenn er von
der Christenheit spricht.
Nein, nein, man darf nicht sagen, daß die Kirche je gestorben sei. Ihr
Bräutigam ist für sie gestorben, damit sie nicht sterbe. Das wollte der hl.
Paulus (Eph 4,11-13) sagen: Und er bestimmte die einen zu Aposteln,
andere zu Propheten, andere zu Evangelisten, zu Hirten und zu Lehrern,
zur Vollendung der Heiligen, zur Ausübung des Amtes, zum Aufbau des
Leibes Christi, bis wir alle zur Einheit im Glauben gelangen und zur vollen
Erkenntnis des Sohnes Gottes. Damit stimmt überein, was er im ersten

292
Brief an die Korinther (15,23-26) sagt: Christus ist der Erstling, dann jene,
die Christus angehören, dann kommt der Rest. Er muß herrschen, bis er
seine Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod
vernichtet. Seht ihr? Es gibt nichts zwischen Christus und den Seinen,
nichts zwischen den Seinen und dem Ende. Die Kirche wird also bis zum
Ende immer fortdauern, denn er wird auch bis zum Ende nie alle Feinde
unterworfen haben. Und in dieser Zeit wird Unser Herr herrschen und
sich in seiner Kirche ausbreiten, inmitten und trotz aller seiner größten
Feinde, entsprechend dem, was dazu der Psalmist (Ps 110,9f) versichert:
Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten ... Das
Szepter seiner Macht wird der Herr von Zion aus verbreiten; herrsche inmit-
ten deiner Feinde.
Dieses Szepter ist das Gesetz des Evangeliums, von dem es im Psalm
45,7 heißt: Dein Thron, o Gott, besteht von Ewigkeit zu Ewigkeit; das
Szepter der Leitung ist das Szepter deines Reiches. Es geht von Zion aus,
wie es bei Jesaja (2,3) vorhergesagt ist: Und von Zion geht das Gesetz aus
und das Wort des Herrn von Jerusalem. Es beginnt durch Jesus Christus:
Christus mußte leiden ... und in seinem Namen Buße und Vergebung gepre-
digt werden allen Völkern, angefangen von Jerusalem (Lk 24,26f). Mit
diesem Szepter des heiligen Gesetzes herrsche inmitten deiner Feinde.
Was heißt das aber anderes, als daß diese Kirche immer beständig und
sichtbar ist, in der Unser Herr regieren und herrschen wird, selbst unter
den größten Stürmen und Unwettern der Anfeindungen? Es wird also nie
einen Sturm geben, der Unseren Herrn daran hindert, in der Kirche zu
herrschen, sonst würde er ja nicht herrschen inmitten seiner Feinde, son-
dern wäre ohne Reich und Herrschaft in dieser Welt. Das wurde noch
klarer bestätigt durch den Engel, als er Unserer lieben Frau die Mensch-
werdung ankündigte und sagte, daß Unser Herr groß sein werde und Sohn
des Allerhöchsten genannt; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines
Vaters David geben, und er wird ewig herrschen über das Haus Jakob und
seines Reiches wird kein Ende sein (Lk 1,32f). Was ist der Thron Davids
und das Haus Jakob anderes als die streitende Kirche? Denn ohne Zwei-
fel ist das kein vergänglicher Thron. Und wie könnte Unser Herr ewig
über das Haus Jakob herrschen, wenn es einmal nicht mehr da wäre?
Überdies, hat nicht Unser Herr diese Unvergänglichkeit der Kirche
beim hl. Johannes (14,16f) bezeugt? Ich will den Vater bitten, und er wird
euch einen anderen Beistand geben, damit er in Ewigkeit bleibe, den Geist
der Wahrheit. Welche Sicherheit des Beistands! Den Geist der Wahrheit;

293
wie sollte er die Lüge dulden? Und beim hl. Matthäus (28,20): Ich bin bei
euch bis zum Ende der Zeiten. Hier verheißt er offenkundig seinen beson-
deren Beistand für die Kirche. Diese Stelle wurde von altersher von der
Gegenwart Unseres Herrn im heiligen Sakrament verstanden. Doch wie
dem auch sei, Unser Herr zeigt, daß es immer eine wahre Kirche geben
wird, in der er sein wird; und wenn er mit ihr ist, wer wird gegen sie sein
(vgl Röm 8,31)?
Doch Jesaja (59,20f) gibt eine feierliche Bekräftigung dieser Wahrheit:
Wenn der Retter für Zion kommt, ist das der Bund, den ich mit ihnen
schließe, spricht der Herr: Mein Geist, der auf dir ruht, und meine Worte, die
ich dir in den Mund gelegt habe, werden nicht aus deinem Mund weichen
und nicht aus dem Mund deines Stammes, spricht der Herr, von nun an bis
in Ewigkeit. Mein Bund, den ich mit ihnen schließe, d. h. mit den Christen,
denn vorher (59,19) sagt er: Die im Westen werden den Namen des Herrn
fürchten und die im Aufgang der Sonne seine Herrlichkeit. Was möchte
man noch als Bestätigung dieser Unvergänglichkeit? Die Prophezeiun-
gen und die Evangelien sind erfüllt davon. Eine einzige Stelle würde für
alle reichen; sie steht beim hl. Matthäus (16,18): Du bist Petrus ... Er sagt:
Ich werde bauen. Welch ein Baumeister! Er sagt: auf dem Felsen; welch
ein Fundament! Und die Pforten der Hölle ...; welche Verheißung! Die
Hölle mit allen Verbündeten vermag nichts. Die Pforten bedeutet die
Mächte. Aber ich finde außerdem drei Pforten der Hölle; die Bosheit, die
Unwissenheit und den Mangel an Seelenstärke. Weder die Schwachheit
in Anfechtungen, noch die Unwissenheit bei Zweifeln, noch die Bosheit
in Reden können die Kirche überwinden.
Diese Wahrheit ist so klar und so stark, daß selbst Calvin sich das Be-
kenntnis zu ihr entschlüpfen ließ in den bereits angeführten Worten, wo
er bekennt, daß der ständige Beistand der Kirche verheißen wurde. Er
fügt dann eine gute Begründung hinzu: denn, sagt er, es wäre wenig, daß
uns das Evangelium und der Heilige Geist einmal gegeben wurden, wenn
er nicht immer bei uns bliebe. Seht ihr die Kraft der Wahrheit, da er sie
bekennt? Da werdet ihr mir aber sagen: Wenn Calvin diese Wahrheit
zugibt, warum begründest du sie so genau? Ich antworte euch: weil die
Lüge unbeständig ist und ebenso die Lehre Calvins. Er bekennt hier diese
Wahrheit, ohne sie zu bedenken, aber er verfehlt sich an anderen Stellen
schwer gegen sie. Und der Grund, warum er die Kirche unsichtbar, sterb-
lich und dem Irrtum verfallen macht, ist folgender:
Man fragt unsere Gegner, ob es eine Kirche Unseres Herrn gab oder
nicht, als sie die neue Lehre begründeten. Die einen sagen ja, die anderen

294
nein. Wenn es eine Kirche gab, seid ihr mit ihr gewesen oder nicht? Sagen
sie nein, dann sagt man ihnen: Ihr seid also verdammt gewesen, denn
„niemand kann Gott zum Vater haben ...“ Daher darf man euch nicht
folgen. Wenn ihr mit ihr gewesen seid, dann sagt uns, wo sie war. Dann
sagen sie, sie sei unsichtbar in den Herzen einiger gewesen, da und dort.
Die anderen sahen, daß es keine Ehre war zu behaupten, entweder, daß es
keine Kirche gab oder daß sie unsichtbar gewesen sei, und sagten deshalb,
zur Zeit, als sie sich erhoben, hätte es keinerlei Kirche mehr gegeben,
sondern alles sei Apostasie, Götzendienst und Aberglaube gewesen; die
Kirche sei tot und erloschen gewesen, voll von Irrtümern, und durch sie
sei sie wiedererstanden. Gegen diese habe ich jetzt gezeigt, daß dieses
Feuer nicht gelöscht werden kann; denn seht ihr nicht die Konsequenz?
Die Kirche ist also sichtbar und unvergänglich; die Calvins aber war
vor Calvin nicht zu sehen und unbekannt; daher ist die Kirche Calvins
nicht die wahre Kirche. Wer sie nun genauer bedrängt, seht, der zerstört
ihr ganzes Bauwerk, ja der sprengt den Turm von Babel, zerstört und
untergräbt ihn. Daher suchen sie von allen Seiten einen Ausweg, um zu
entkommen. Bald sagen sie, ihre Kirche hätte es immer gegeben; und
wenn man fragt, wo sie vor hundert Jahren war, dann behaupten sie, sie sei
unsichtbar gewesen. Bald sagen sie, es habe sie nicht gegeben; wenn man
ihnen sagt, das sei daher nicht die wahre Kirche, weil die wahre Kirche
unvergänglich sein muß, dann leugnen sie das und sagen, als Calvin be-
gann, hätte es keine Kirche gegeben, weil sie dem Untergang verfallen
gewesen sei, und sie hätten sie wieder aufgebaut und hergestellt. Und das
alles geschieht und wird gesagt, weil es damals keine Kirche gab als die
katholische, die sie papistisch nennen. Das läßt Du Bartas behaupten, die
Kirche sei die große Hure des Antichristen (vgl. Offb 17,3). Calvin sagt
nichts Geringeres, ebenso Beza in seinem „Glaubensbekenntnis“ und
Musculus.
Das also hat mich bewogen, diese Wahrheit im Gegensatz zu jenen
ausführlich zu beweisen. Sie ist ganz untrüglich und sicher und es ist auch
ganz gewiß und sicher, daß die Kirche der Gegner, von der vor 50 oder 60
Jahren nichts zu sehen war, die nicht bestand, nicht die wahre Kirche ist.
Folglich stehen alle, die zu ihr gehören, außerhalb ihres ewigen Heiles,
wenn sie sich nicht bekehren. Mehr noch, ich habe nicht nur bewiesen,
daß die ihre nicht die wahre Kirche ist, sondern auch, daß es die unsere
ist. Denn es gibt unter allen, die sich zu Jesus Christus bekennen, keine
Kirche, die ohne Unterbrechung fortbestand, außer unsere römisch-ka-
tholische.

295
Was aber lernen wir aus dieser Wahrheit? Wir lernen, Gott zu preisen,
der der Welt eine unvergängliche Kirche gegeben hat, zu der man jeder-
zeit seine Zuflucht nehmen kann, um in ihr sein Heil zu wirken. Wenn
wir dann von dieser Kirche, die wir hier unten sehen, aufsteigen zu jener
oben, die wir nicht sehen, werden wir in uns die Sehnsucht nach dem
ewigen Heil wecken, wie der Apostel (2 Kor 4,18) sagt: wenn wir nicht auf
das Sichtbare schauen, sondern auf das Unsichtbare. Wie daher diese
unvergänglich ist entsprechend der Beständigkeit dieser Welt, so ist jene
unvergänglich, entsprechend der Unvergänglichkeit der anderen, d. h.
ewig. Von der Erwägung der Dauer dieser Kirche müssen wir uns daher
erheben zur Dauer der triumphierenden und bedenken, daß das Himmel-
reich ewig ist.
Dann müssen wir bedenken, daß wir bisher schlecht beraten waren,
wenn wir das Reich verlassen haben, an dem wir Anteil haben, für ein
Nichts, einer kleinen Sünde wegen, und daß wir so feige sind, uns keine
Mühe zu geben, um das Paradies zu besitzen, das ewig währt. Du machst
dir also viel Mühe für ein wenig Gold, für ein wenig Silber, das dir mor-
gen gestohlen wird (Mt 6,19f; Lk 12,33), das du morgen aufgeben mußt,
und für diese unvergänglichen Reichtümer willst du dir nicht die gering-
ste Gewalt antun, deine Feigheit zu überwinden.

Über die TTranssubstantiation


ranssubstantiation
und das Meßopfer

Nr. 26 (Zusammenfassung): Ende Oktober 1594 VII,223-230

Zwei grundlegende Schwierigkeiten, die heute bezüglich des Abend-


mahls bestehen, sind: 1. Es fragt sich, ob in ihm der wahre und wirkliche
Leib Unseres Herrn tatsächlich enthalten ist; 2. ob man in ihm ein eigent-
liches und wirkliches Opfer Gott dem Vater darbringt.
Zum ersten weise ich euch zunächst darauf hin, daß ein wahrer natürli-
cher Leib in zweifacher Weise an einem Ort sein kann: 1. auf übernatür-
liche und geistige Weise, entsprechend einer geistigen Beschaffenheit,
trotzdem aber wirklich. Beispiel: Als Unser Herr bei verschlossener Tür
in den Saal kam, wo seine Jünger waren, kam sein Leib wirklich und war

296
unter ihnen (Joh 20,19.26; Lk 24,36); nicht aber auf natürliche Weise,
sondern übernatürlich und geistig, und trotzdem ganz wirklich.
2. Ich weise euch darauf hin, daß ein Leib geistigerweise an einem Ort
auf zweifache Weise sein kann: 1) geistig und wirklich, wie der hl. Paulus
(1 Kor 15,44) von der Auferstehung sagt: Gesät wird ein sterblicher Leib,
auferweckt wird ein geistiger Leib. Wie denn? Wird es nicht der wahre und
wirkliche Leib sein? Ohne Zweifel ja. In meinem Fleisch werde ich Gott
sehen, meinen Erlöser (Ijob 19,26). Wenn es ein Leib ist, wieso geistig?
Das heißt, nicht mehr grob, verweslich, hinfällig, der Ausdehnung unter-
worfen. – 2) Geistig wahrnehmbar. Beispiel 1 Kor 10,3f: Die Alten aßen
alle die gleiche geistige Speise und tranken einen geistigen Trank; sie tran-
ken nämlich aus dem geistigen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war
Christus Jesus. Tranken sie wirklich Unseren Herrn? Gewiß nicht, son-
dern nur im Glauben, in der Ahnung, im Geist. Unser Leib wird geistig
auferstehen, aber wirklich als wahrer Leib. Die Alten genossen Unseren
Herrn geistig, aber nicht wirklich, sondern im Glauben, etc.
Dies vorausgesetzt, liegt hier unsere ganze Schwierigkeit. Unsere Geg-
ner wollen nämlich behaupten, wir empfingen den kostbaren Leib Unse-
res Herrn geistig, d. h. im Glauben, in der Ahnung oder im Willen oder
im Geist. So wenn jemand sagte: Ich trage meinen Bräutigam immer in
meinem Herzen; er trüge ihn dort geistigerweise aber nicht wirklich. Die
katholische Kirche hält daran fest, daß Unser Herr wirklich und geisti-
gerweise empfangen wird. Wie er wirklich bei verschlossener Tür in den
Saal eintrat, so kommt er in unseren Leib. Aber wie er nach der Weise
eines Geistes in den Saal kam, ohne daß die Tür geöffnet wurde, ohne daß
er gesehen und wahrgenommen wurde, bis er unter den Aposteln stand, so
geht er in uns ein in geistiger Weise, ohne einen Raum einzunehmen,
ohne gesehen und wahrgenommen zu werden.
3. weise ich darauf hin, daß Gott bewirken kann, daß ein wahrer Leib an
einem Ort ist oder dorthin kommt (beides gilt das gleiche), ohne gesehen
und wahrgenommen zu werden, und ohne die übrigen körperlichen Ei-
genschaften, und doch nicht aufhört, wirklich ein Leib zu sein, ein wahrer
und wirklicher Leib: 1) weil Gott allmächtig ist; 2) weil der Leib Unseres
Herrn beim Eintreten in den Saal ein wahrer Leib war und eintrat, ohne
gesehen und wahrgenommen zu werden, ohne die Tür zu öffnen, ohne
einen Raum einzunehmen. So kam er aus dem Grab, so fuhr er in den
Himmel auf, ganz nach der Beschaffenheit des Leibes, so fuhr er zu den
Wolken auf.

297
4. weise ich darauf hin, daß ich das Wort „Abendmahl“ zwar gebrauche,
trotzdem aber diese Bezeichnung nicht billige. Das nicht deswegen, weil
es nicht in der Heiligen Schrift steht, denn man gebraucht mehrere Aus-
drücke, die nicht in der Heiligen Schrift stehen, sondern weil es fast im
Widerspruch zur Heiligen Schrift steht oder einen Gegensatz zur Heili-
gen Schrift voraussetzt. Der hl. Paulus bezeugt ja ausdrücklich, daß das
heilige Sakrament weder das Abendmahl oder Essen war, noch ein Teil
des Abendmahls: Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch (1 Kor
11,25); ebenso der hl. Lukas (22,20). Ich gebrauche den Ausdruck nur,
um mich verständlich zu machen. Um richtiger zu sprechen, müßte man
es Eucharistie nennen, Sakrament des Segens, Kelch des Segens (1 Kor
10,16).
Das alles habe ich als Vorbereitung gesagt. Nun will ich euch die zwin-
gendsten und unabweisbaren Gründe nennen, warum wir fest an diesem
Glauben an die wirkliche Gegenwart festhalten müssen.
1. Die ganz ausdrücklichen, ganz echten und ganz klaren Worte Unse-
res Herrn beim hl. Johannes im 6. Kapitel, wo die Verheißungen stehen:
Ich bin das lebendige Brot. Wer mich ißt ... Das Brot, das ich geben werde,
ist mein Fleisch. Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise. Wenn ihr nicht eßt ...
Auch der hl. Markus (14,22-24), der hl. Matthäus (26,26-28), der hl.
Lukas (22,19f) und der hl. Paulus (1 Kor 11,24f) berichten die Worte der
Einsetzung.
2. Wenn es erlaubt wäre, die Stellen der Heiligen Schrift in dieser Weise
auszulegen, gliche sie einer Wetterfahne.
3. Unsere Gegner haben nicht eine einzige Stelle, die gegen sie spricht.
Sie führen an: Das Fleisch ist zu nichts nütze (Joh 6,64); aber die Folge-
rung daraus hat keinen Wert. Was nützte das Fleisch Christi im Grab
während der drei Tage? Und doch war es da. Und dann ist der Satz falsch,
wenn man ihn auf das Fleisch Unseres Herrn anwendet; denn wenn schon
sein Gewand Heilung brachte (Mt 9,20-23), was mußte dann erst sein
Fleisch wirken? Schließlich heißt es nicht: „Mein Fleisch“ ist zu nichts
nütze, wie bei der Versicherung: Mein Fleisch ist für das Leben der Welt.
4. Sie haben nicht eine einzige Stelle für sich, denn der Geist ist es, der
lebendig macht (Joh 6,64), daher ist es hier nicht das Fleisch; wie wenn
einer sagt: Es ist mein Verstand, der diese Predigt hält, also ist es nicht der
Leib. Die Worte, die ich spreche ... Beachtet aber, daß er sagt: Ich bin das
lebendige Brot; wer mich ißt ... Nun gibt es in Unserem Herrn den Geist,
das Leben, das Fleisch. Den Geist Gottes: Gott ist Geist (Joh 4,24). Das

298
Leben für die Seele: Er wurde zu einer lebenden Seele (Gen 2,7). Als
Mensch das Fleisch: Das Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14). „Er ist
aufgefahren in den Himmel“ ist kein Widerspruch, denn die Allmacht
vorausgesetzt, hört er nicht auf, im Himmel zu sein: Unser Herr ist im
Himmel; alles, was er will, hat er getan (Ps 114,11). Der hl. Paulus nennt
ihn (1 Kor 11,26-28) Brot, aber das bedeutet Speise. Ex 16,15: Dieses
Brot, und es ist wirklich eine Speise. Ex 7,12: Der Stab Aarons aber ver-
schlang ihre Stäbe, d. h. die Schlange, die ein Stab war. So wird sie umge-
kehrt genannt.
5. Der Gegner hat nichts für sich. Bestimmte Umstände, die von den
Evangelisten berichtet werden, sind eine starke Begründung. 1) Die zwei
Kelche, von denen der hl. Lukas (22,15-20) berichtet, und vom Lamm:
Ich habe sehnlich verlangt ... Denn ich sage euch, daß ich davon nicht
mehr essen werde, bis es erfüllt ist im Reich Gottes. Dann nahm er einen
Kelch, sagte Dank und sprach: Nehmt hin und teilt ihn unter euch; denn
ich sage euch, ich werde vom Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken,
bis das Reich Gottes kommt. Der hl. Lukas berichtet ausführlich und
unterscheidet die zwei Kelche deutlich. – 2) Der für euch hingegeben wird
(1 Kor 11,24). – 3) Der Vergleich mit dem Manna: Und sie sind gestorben
(Joh 6,49.59), ja, was die Kraft des Manna betrifft, das durch seinen gerin-
gen Wert nur für das Leibliche diente. Er zieht diese Speise dem Manna
vor. Nun war das Manna in sich vorzüglich und ein Sinnbild; wenn aber
dieses Brot nur Sinnbild ist, dann ist es weniger als das Manna, denn in
sich ist es nicht so vorzüglich. Aber in diesem Brot ißt man im Glauben.
Wenn man das beim Manna tat: Alle aßen die gleiche geistliche Speise ...
Der Fels aber war Christus (1 Kor 10,3f). – 4) Die heiligen Zeremonien
und Worte von Evangelisten: Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen
war, zum Vater zu gehen. Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren,
erwies er ihnen seine Liebe bis zum Äußersten. Nach dem Mahl erhob er
sich vom Tisch, legte sein Gewand ab, nahm ein Linnentuch und band es
sich um. Dann goß er Wasser in ein Becken ... (Joh 13,1-5). Der Segen, die
Danksagung (Mt 26,26f); die Warnung des hl. Paulus (1 Kor 11,29): Sie
unterscheiden den Leib des Herrn nicht.
6. Die Vernunft: Ein Freund hinterläßt sein Bild so lebendig wie mög-
lich, und wenn er könnte, noch mehr. So sehr hat Gott die Welt geliebt ...
(Joh 3,16). Da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, aus der Welt
zu gehen ... (13,1). (Kol 1,15: Er ist das Abbild Gottes. Phil 2,7: Er ist den
Menschen gleich geworden und wurde im Äußeren als Mensch erfunden.

299
Calvin ändert das: „und wurde dem Anschein nach wie ein Mensch gefun-
den.“ Hebr 1,3: Das Abbild seines Wesens. Abbild, Gleichnis, Bild, Zei-
chen, Gedächtnis sind Ausdrücke auf der gleichen Linie und bedeuten
Darstellung, aber sie schließen die Wirklichkeit nicht aus, die sie darstel-
len, wie man an diesen Beispielen sehen kann. Sie bringen keine Ver-
schiedenheit des Wesens mit sich, sondern nur irgendeinen Unterschied,
wie immer er sein mag, entweder des Ereignisses oder des Wesens.)
7. Die Angemessenheit. Wenn von Adam durch die wirkliche Mittei-
lung seines Fleisches der Tod auf uns überging, etc. (Röm 5,12) Es ge-
reicht zur größeren Ehre Gottes.
8. So viele Wunder.
9. Die Autorität aller Väter; denn es gibt ihrer nicht nur einen. Es gibt
unter ihnen sehr viele, die vom Geist sprechen, aber man liest sie nicht.
10. Die Übereinstimmung der gesamten Kirche; und die Uneinigkeit
der Gegenpartei.

2. Punkt: Von der Messe

1. Das Wort ist hebräisch. Dtn 16,10: Missah nedaha, freiwillige Opfer-
gabe, die aus Weizen bestand. Griechisch: Liturgie, litourganton. Apg
13,2: Während sie dem Herrn den heiligen Dienst verrichteten und fasteten,
sprach der Heilige Geist: Sondert mir Saulus und Barnabas aus. Statt „den
heiligen Dienst verrichteten“ setzte Erasmus „das Opfer darbrachten“.
2. In der Messe gibt es fünf Bestandteile: Gebete, Zeremonien und
Konsekration, Darbringung und Kommunion. Die ersten zwei erfolgen
aus Ehrerbietung und für sie haben wir kein ausdrückliches Gebot im
einzelnen.
3. Wenn man fragt, ob Unser Herr und die Apostel die Messe gefeiert
haben, darf man nicht das Wort suchen, so wenig wie das Wort Sakra-
ment, Trinität, Abendmahl, sondern die Sache.
4. Nicht die Zeremonie und die Form, so wenig wie die der Gegner, die
den Anfang machen, wo man den Korintherbrief liest, wo man die Fuß-
waschung nicht vornimmt; man muß vielmehr wissen, ob beim Abend-
mahl Unser Herr das Opfer darbrachte. Das behaupte ich:
1) durch die Worte hingegeben wird (Lk 22,19) und für euch und für alle
hingegeben wird (Mt 26,28 u. a.).

300
2) Zu meinem Gedächtnis (Lk 22,19). Ihr verkündet den Tod des Herrn
(1 Kor 21,14). Es ist das Gedächtnis des Opfers, wie die alttestamentli-
chen, die es versinnbildeten, wahre Opfer waren.
3) Apg 13,2 nach dem Griechischen: Während sie das Opfer darbrach-
ten.
4) Ps 110,5: Priester nach der Ordnung Melchisedeks. Nun opferte Melchi-
sedek Brot und Wein (Gen 14,18). Hebr 5,11: Darüber hätten wir viel zu
sagen.
5) Mal 1,11: eine reine Opfergabe.
6) Nach der Vernunft, denn in jedem Gesetz gibt es Opfer, auch im
einfachsten Naturgesetz.
7) Weil es zur größeren Ehre Gottes gereicht.
8) Durch die (alttestamentlichen) Vorbilder.
9) Die Übereinstimmung der Kirche, wie Luther zugibt.
10) Der schöne Beginn dieser Reformation, vom Teufel gelernt, wie
Luther zugibt: De Missa privata.
11) Es ist kein Gegensatz zum Kreuz, sondern seine Zuwendung; nicht
die Priester im Priesterstand Unseres Herrn, sondern Gesandte, Diener,
Austeiler.
Mal 1,10f: Mir liegt nichts an euch, spricht der Herr der Heerscharen, und
ich will keine Gabe aus eurer Hand annehmen. Denn groß ist mein Name
bei allen Völkern vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang, und an allen
Orten wird geopfert und meinem Namen eine reine Opfergabe dargebracht,
weil mein Name erhaben ist ... Hebr 13,10: Wir haben einen Altar, von dem
die nicht essen dürfen, die dem Zelt dienen. Hos 6,6: Barmherzigkeit will
ich, nicht Opfer. 1 Sam 15,22: Besser ist Gehorsam als Opfer.

Über den Englischen Gruß


Nr. 28: 25. März 1595 VII,240-243

Sei gegrüßt, Gnadenvolle. (Lk 1,28)

Die ganze Kirche des Altertums, an allen Orten der Welt, hat in voll-
kommener Einmütigkeit des Geistes die Mutter Gottes immer nach die-
ser Weise des Engels gegrüßt: Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade.

301
Und unsere nächsten Vorfahren folgten dem Laut ihrer Ahnen in from-
mer Harmonie und sangen bei jedem Anlaß, an allen Orten Ave Maria.
Sie glaubten dem himmlischen König sehr wohlgefällig zu werden, wenn
sie seine Mutter ehrfürchtig ehrten. Sie wußten keine geeignetere Form
zu finden, um sie zu ehren, als die Ehrungen und Auszeichnungen nach-
zuahmen, die Gott selbst für sie bestimmt und ihr nach seinem Wohlge-
fallen erwiesen hat, um ihr Ehre erweisen zu lassen an dem Tag, da seine
göttliche Majestät in dieser Jungfrau alle übrigen Menschen so sehr ehren
wollte, daß er selbst Mensch wurde. O heiliger Gruß, ganz echte Lobes-
worte, reiche und klug verkündete Ehrungen! Der erhabene Gott hat sie
ausgesprochen, ein hoher Engel hat sie verkündet, ein großer Evangelist
hat sie aufgezeichnet, das ganze Altertum hat sie gebraucht, unsere Ah-
nen haben sie uns gelehrt.
Doch da ist eine merkwürdige Sache. Erinnert ihr euch? Als David auf
der Harfe spielte, wich der böse Geist von Saul (1 Sam 16,23), wie über-
wältigt von der sanften Melodie. Als nun dieser böse Geist, der geschwo-
rene Feind aller Eintracht und Einheit, von gewissen Schwachköpfen
Besitz ergriffen hatte, uneinig und ohne Harmonie, da sprach er durch
ihren Mund und stieß tausend Beschimpfungen und Lästerungen gegen
diesen heiligen Gruß aus.
Calvin nennt uns in seiner „Evangelischen Harmonie“ abergläubisch,
sowohl, weil wir eine Abwesende grüßten, als auch weil wir uns in die
Sache eines anderen einmischen. Er beschuldigt uns in diesem Zusam-
menhang überdies der Zauberei und sagt, wir seien ungebildet, weil wir
diesen Gruß als Gebet gebrauchen, obwohl er nichts anderes als ein Glück-
wunsch sei. Schließlich enthält ihr Vorwurf drei Punkte: 1. Es sei ein
Vergehen gegen das Amt der Engel, den Englischen Gruß zu sprechen,
weil wir nicht ihren Rang besitzen; 2. es sei Aberglaube, eine Abwesende
zu grüßen; 3. es sei ein schwerer Mißgriff, wenn man mit diesem heiligen
Gruß zu beten glaube. Was sind das doch für schreckliche Leute! Sie täten
besser, mit einem Wort zu sagen, das sei schlecht, weil es die Kirche
anordnet, die ihnen nichts recht macht.
Ich sage nun mit der Kirche, es ist ein gottgefälliges Werk, die seligste
Jungfrau zu ehren und zu grüßen, sie mit dem Englischen Gruß zu grü-
ßen, und der Englische Gruß enthält ein sehr schönes und frommes Ge-
bet. Ich will mich nicht dabei aufhalten, euch zu erklären, was ein Gruß
ist, ebensowenig dabei, euch zu sagen, daß es eine christliche Pflicht ist,
einander zu grüßen. Die ganze Heilige Schrift ist voll von schönen Bei-

302
spielen und Grußworten der Patriarchen an Engel und untereinander;
und überall wird bei allen Begegnungen der Gruß verzeichnet. Wohl aber
will ich euch sagen, daß es ein Ausdruck der Verachtung ist, jemand nicht
zu grüßen, wenn man ihn kennt. Ich übergehe, daß Haman es als Verach-
tung empfand, daß Mordechai ihn nicht grüßte; denn obwohl er anfangs
wollte, daß ihm gehuldigt werde, beklagte er sich dann nur, daß er ihn
nicht grüßte (Est 3,5; 5,13). Doch hört den vielgeliebten hl. Johannes (2
Joh 1,10): Wenn einer zu euch kommt und nicht diese Lehre mitbringt,
dann nehmt ihn nicht in euer Haus auf und entbietet ihm keinen Gruß. Er
betrachtet es als Ausdruck des Abscheus, ihn nicht zu grüßen und nicht
Ave zu sagen. Was sollen wir dann von denen sagen, die Maria nicht
grüßen wollen, als: die hassen sie? Ebenso sagt der hl. Paulus seinen Phil-
ippern (4,21): Grüßt jeden Heiligen in Christus Jesus, als wollte er sagen,
daß es den Heiligen und Tugendhaften gebührt, gegrüßt zu werden.
Wenn daher Maria nichts mitbringt als gute Lehre, da sie im Evangeli-
um nichts als Heiliges gesagt hat, warum verwehrt man uns dann, sie zu
grüßen? Wenn sie heilig ist und die ganz Heilige, warum sollten wir sie
nicht grüßen? Ist das die Lehre, die Unser Herr uns gegeben hat, als er so
oft sagte: Friede sei mit euch; Friede sei mit euch (Lk 24,36; Joh 21,26)?
Und bei Matthäus (28,9) heißt es, als er den Marien begegnete, sagte er:
Seid gegrüßt.
Aber, sagen die Häretiker, ihr grüßt eine Abwesende. Antwort: Welche
Gefahr liegt darin? Grüßt nicht der hl. Paulus in allen seinen Briefen bald
den, bald jenen, obwohl sie abwesend sind? Und an die Philipper (4,22)
schreibt er: Es grüßen euch alle Heiligen; es grüßen euch alle Brüder, die
bei mir sind. Und unser hl. Petrus schreibt in seinem ersten Brief (5,13):
Es grüßt euch die mit auserwählte Kirche in Babylon. Sie werden sagen, die
waren anwesend durch Briefe und Boten. Doch Unsere liebe Frau ist den
Christen gegenwärtig, vor allem durch die Aufmerksamkeit. So sagt der
hl. Paulus (1 Kor 5,3), wo er von jenem Blutschänder spricht: Obwohl ich
dem Leib nach abwesend bin, bin ich im Geist bei euch und habe mein
Urteil schon gefällt. Gehasi sagte (2 Kön 5,26) zu Elischa: War nicht mein
Herz dabei, als sich ein Mann im Wagen nach dir umwandte? Und es ist
eine Freude, im folgenden Kapitel zu sehen, wie Elischa dem König von
Israel alles sagte, was der König von Syrien in seinem Geheimkabinett
verbarg. Was sagt ihr vom Psalmisten? Er sagt (Ps 142,8): Die Heiligen
erwarten, daß du mir vergiltst. Wieso erwarten sie Vergeltung, wenn sie die
guten Werke nicht kennen?

303
Da nun auf diese Weise feststeht, daß es gottgefällig ist, die seligste
Jungfrau zu grüßen, frage ich euch, welchen heiligeren Gruß man finden
könnte als diesen. Der Urheber ist heilig, die Worte sind heilig. Habt ihr
also den Wunsch, sie zu ehren, dann sagt Ave. Seid ihr im Zweifel über die
besondere Weise, in der man sie ehren muß, dann sagt Ave.
Doch wer beschreibt je die heiligen Regungen, die unser Herz bei die-
sem heiligen Gruß empfängt? Dieser Gruß stellt das hochheilige Ge-
heimnis der Menschwerdung vor Augen. Deshalb fügt die Kirche zu den
Worten des Engels, die bereits dieses erhabene Geheimnis enthalten, jene
der hl. Elisabet (Lk 1,42) hinzu: Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes,
um es uns noch ausdrücklicher vor Augen zu halten.

Zum 4. Sonntag nach Ostern


Nr. 29: 23. April 1595 VII,244-253

Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es


jetzt noch nicht ertragen. Wenn aber jener kommt, der
Geist der Wahrheit, wird er alle Wahrheit lehren. Er
wird nicht von sich aus sprechen, sondern wird sagen,
was er hört, und er wird euch das Zukünftige ankün-
digen. Er wird mich verherrlichen, denn er wird von
dem Meinen nehmen und es euch verkünden.
(Joh 16,12-14)

Es ist ein altes Axiom bei den Philosophen, daß jeder Mensch nach
Wissen verlangt: „Jeder Mensch verlangt von Natur zu wissen“, sagt Ari-
stoteles. Danach verlangt der menschliche Geist so glühend, daß der Feind
keine größere Versuchung finden konnte, um unseren Stammvater zu
täuschen, als ihm zu versprechen: Eritis sicut dii, scientes bonum et malum.
Ihr werdet wie Götter sein, das Gute und das Böse kennen (Gen 3,5).
Dieses Verlangen ließ den großen Platon aus Athen fortziehen und so
weit gehen, wie der hl. Hieronymus im Brief an den Presbyter Paulinus
sagte; es bewirkte, daß man vom Ende Frankreichs und Spaniens nach
Rom zu Titus Livius pilgerte. Dieses Verlangen ließ die alten Philoso-
phen auf ihre leibliche Bequemlichkeit verzichten, etc.

304
Dieses natürliche Verlangen des Menschen hat Unser Herr heute im
Auge. Um seine Apostel über seine Abwesenheit zu trösten, verheißt er
ihnen den Heiligen Geist, der sie alle Wahrheit lehren soll. Und um die-
ses Verlangen in ihnen anzuregen, sagt er ihnen: Noch vieles habe ich
euch zu sagen. Um sie mit einer sicheren und großmütigen Hoffnung und
Tröstung zu erfüllen, sagt er dann: Wenn aber jener kommt, der Geist der
Wahrheit ... Weil aber das Wissen jenem schaden kann, der es besitzt,
wenn es nicht zum guten Ziel führt, fügt er noch hinzu: Er wird mich
verherrlichen, weil er von dem Meinen nehmen wird. Indessen zeigt Unser
Herr durch diese Worte, daß keiner für die himmlische Lehre empfäng-
lich sein kann, außer durch die Gnade des Heiligen Geistes. Das muß
man ohne Zweifel glauben. Da ich euch heute mit diesen Worten eine der
ersten und wichtigsten Grundlagen der christlichen Lehre zeigen will,
bitte ich euch daher, bitten wir den himmlischen Tröster um seine Hilfe.
Um diese besser zu erlangen, müssen wir alle Heiligen um ihre Fürspra-
che anflehen, besonders die glorreiche Jungfrau. Ihr widmen wir deshalb
das Ave Maria.
Die Beschreibung der bewundernswerten Errichtung des Tempels Sa-
lomos (1 Kön 6,31f) berichtet, daß es in ihm nur einen Eingang zum
inneren Raum gab; aber dieser Eingang hatte zwei Türflügel aus Oliven-
holz. Es gab fünf Pfosten und auf den Türpfosten waren Kerubim und
Palmen dargestellt, geschnitzt und erhaben; außerdem war alles vergol-
det. Das war gewiß ein reicher und sehr großartiger Eingang. Ebenso hat
auch das zweite Volk oder das zweite Haus, d. h. die Kirche des Evange-
liums, nur einen Eingang in sein Heiligtum. Aber dieser Eingang hat zwei
Türflügel, die nicht weniger reich sind als die des alten Tempels. Ich
nenne in diesem Fall Heiligtum des Christentums die heilige Lehre oder
das Evangelium. Denn das Allerheiligste war tatsächlich nichts anderes
als der Ort, wo Gott dem Volk seinen Willen kundgab (Ex 25,22). Und
wie werden wir belehrt, wenn nicht durch den Glauben? Den kann man
das Allerheiligste nennen, weil man in ihm Gott hört. Der Glaube kommt
vom Hören (Röm 10,17). Aber der einzige Zugang zu diesem Heiligtum
ist das Wort Gottes; denn wir können in diesen Audienzsaal Gottes nicht
eintreten, wenn es nicht durch das Wort Gottes geschieht.
Dieser Eingang hat aber zwei Türflügel, nämlich die Heilige Schrift
und die Überlieferung. Sie sind ebenfalls aus Olivenholz, denn sie enthal-
ten die Gnade Gottes. In ihnen sind die Kerubim, d. h. die Fülle des
Wissens; die Palmen, d. h. der Sieg und die Kraft gegen die Versuchun-

305
gen: Es ist die Kraft Gottes zum Heil für jeden, der glaubt (Röm 1,16).
Ergreift das Schwert des Geistes, d. i. das Wort Gottes (Eph 6,17). Es gibt
schöne Schnitzwerke, die hervortreten, denn dieses Wort zielt auf heilige
Werke ab. Alles hier ist vergoldet; diese Vergoldung bilden die Werke der
Liebe, denn der Glaube ist ohne Liebe tot. 1 Kor 13,1f: Wenn ich mit
Engel- und Menschenzungen redete ..., hätte aber die Liebe nicht, wäre ich
nichts. Das Mittel, um in das Heiligtum des christlichen Glaubens einzu-
treten ist also, das geschriebene Wort Gottes und die Überlieferung zu
hören. Das wollte Unser Herr mit den Worten sagen, die auszulegen ich
mir vorgenommen habe; er sagt ja: Noch vieles habe ich ... Das ist ein
Zeichen, daß er viel gesagt hat, wenn er sagt, daß er ihnen noch vieles zu
sagen hat. Da wir diese Dinge nicht geschrieben besitzen, ist das ein Zei-
chen, daß es viel mehr gesprochene Worte gibt als geschriebene.
Da wir aber in dieser Lehre mit den Gegnern nicht einig sind, will ich
darüber kurz einiges sagen, was die katholische Auslegung und den Glau-
ben bekräftigt, uzw. in der Reihenfolge: 1. daß es in der Kirche heilige
Überlieferungen gibt, 2. daß sie notwendig sind, 3. welche Autorität sie
bei den Christen haben, 4. wie man sie erkennen kann, 5. eine kurze
Lösung aller Einwände der Gegner.
Das erste ist schnell geschehen. Denn wie die Überlieferungen der Hei-
ligen Schrift Ansehen verleihen, wie ich gleich zeigen werde, ebenso ver-
leiht die Heilige Schrift den Überlieferungen Autorität, wie zwei Türflü-
gel zusammenpassen, die wie zwei Kerubim im Heiligtum einander anse-
hen (Ex 25,18.20).
Vieles habe ich euch zu sagen. Nun, davon besitzen wir nur sehr wenig.
Joh 21,25: Die ganze Welt könnte nicht fassen, was Unser Herr getan hat.
Apg 1,3: Vierzig Tage hindurch erschien er ihnen und sprach vom Reich
Gottes. Man soll mir nicht sagen, das sei nicht notwendig; es genügt, daß
es nützlich ist wie der Brief an Philemon. Dann muß es Unser Herr für sie
gesagt haben oder für die Kirche; wenn für die Kirche, dann haben wir es
auch; wenn nur für sie, dann steht im Evangelium nicht alles, was für
jeden notwendig ist.
1 Kor 11,2: Ich lobe euch, daß ihr in allem an mich denkt und an den
Vorschriften festhaltet, die ich euch gegeben habe (wie man beten muß:
11,3-15). Will aber einer hartnäckig sein, wir haben eine solche Sitte nicht,
auch die Kirche nicht (11,16). Dann (11,23.34): Denn ich habe es vom
Herrn empfangen. Das übrige will ich anordnen, sobald ich komme. 2
Thess 2,15: Meine Brüder, haltet euch daher an die Überlieferungen, die ihr
empfangen habt, sei es mündlich, sei es durch unseren Brief. Das eine gilt

306
wie das andere. 2 Tim 1,13f: Als Beispiel gesunder Lehre halte fest an dem,
was du von mir gehört hast, im Glauben und in Liebe, wie an Christus
Jesus. Bewahre das anvertraute Gut durch den Heiligen Geist, der in uns
wohnt. 2 Tim 2,1f: Sei also stark, mein Sohn, in der Gnade Christi Jesu.
Was du von mir mit vielen Zeugen gehört hast, das vertraue zuverlässigen
Männern an, die fähig sind, es auch anderen zu lehren. 2 Joh 12,13f: Noch
vieles hätte ich euch zu schreiben, doch wollte ich es nicht mit Papier und
Tinte tun. Ich hoffe ja, zu euch zu kommen und von Mund zu Mund zu
sprechen.
Eusebius (Historiae 3,36), Dionysius Areopagita (Eccl. Hier. 1, § 4).
Hegesippus „faßt die apostolischen Überlieferungen in fünf Bücher zu-
sammen ... Polycarp berichtete Worte des Herrn, die er von den Aposteln
gehört hatte.“ Irenäus schrieb sie „in sein Herz“.
lrenäus spricht von der Beimischung des Wassers zum Wein; in „Con-
tra Haereses“ (5,1f) spricht er darüber sehr ausführlich; er sagt u. a., „die
Apostel haben in der Kirche wie in einer reichen Schatzkammer alle
Wahrheit niedergelegt, damit ihr jeder, der will, das Wasser des Lebens
entnehme. Das ist das Tor zum Leben. Alle anderen aber sind Diebe und
Räuber: (sie muß man meiden), die Schätze der Kirche aber muß man
sehr lieben.“ Und später: „Auch wenn die Apostel keine Schriften hinter-
lassen hätten, müßte man nicht der Ordnung der Überlieferungen folgen,
die sie denen übergaben, denen sie die Kirche anvertrauten?“ Er sagt,
„viele Völker bewahren ohne Schrift die alte Überlieferung, die in ihr
Herz geschrieben ist.“
Tertullian (De Corona militis, Kap. 2f) spricht von den Zeremonien der
Taufe, vom Kreuzzeichen, vom Jahresgedächtnis für die Verstorbenen
und sagt: „Wenn du die Vorschrift in der Heiligen Schrift suchst, wirst du
keine finden. Die Überlieferung dient dir als Quelle, der Brauch als Be-
stätigung, der Glaube als Erfüllung.“
Cyprian: „Wisse, daß wir belehrt wurden, in der Darbringung des Kel-
ches die Überlieferung des Herrn zu bewahren. Durch uns geschieht nichts
anderes, als was der Herr zuerst für uns getan hat, daß der Kelch, der zu
seinem Gedächtnis dargebracht wird, mit gemischtem Wein dargebracht
werde.“ Der hl. Augustinus argumentiert ähnlich über die Taufe gegen die
Donatisten.
Was soll ich nun von den Gegnern sagen? Wie viele Überlieferungen
haben sie? Den Sonntag, dessen allgemeine Beachtung, Ostern, an man-
chen Orten die Himmelfahrt, die Taufe der kleinen Kinder, die Paten, die

307
Namensgebung, daß man das Abendmahl am Morgen reicht, daß man vor
dem Geistlichen heiratet. So viel zum ersten Punkt.
Was den zweiten betrifft, sage ich, die Überlieferungen sind notwendig:
1. um die Heilige Schrift zu bestätigen. Wer hat uns denn gesagt, daß es
kanonische Schriften gibt? Der Koran behauptet zwar, daß er vom Him-
mel gekommen sei, aber wer glaubt das? Wer hat uns gesagt, daß das
Evangelium des hl. Lukas eher anzunehmen ist als das des hl. Thomas
oder des hl. Bartholomäus? Warum nimmt man den Brief, der den Titel
„An die Gemeinde von Laodicäa“ trägt, nicht eher an als den an die He-
bräer, obwohl der hl. Paulus (Kol 4,16) bestätigt, daß er einen an sie
geschrieben hat? Warum soll ich glauben, daß das Evangelium des hl.
Markus jenes ist, das man jetzt als Markus-Evangelium zeigt?
Calvin sagt in seiner „Institution“ (1,7), „der Heilige Geist gibt ein
geheimes Zeichen“. Doch welche Torheit ist das! Deshalb sagt der hl.
Basilius zu recht: Wenn die Überlieferungen vernachlässigt werden, lei-
det das Evangelium Schaden. Und der hl. Augustinus sagt, er werde nicht
an das Evangelium glauben, wenn es nicht die Kirche vorschreibt.
Die Überlieferungen sind 2. notwendig, um den Sinn der Heiligen Schrift
zu verstehen: Glaubst du zu verstehen, was du liest? (Apg 8,30). Man kann
sich sehr auf etwas versteifen. – 3. Für die Zahl der Sakramente. Wer hat
mir denn gesagt, daß die Fußwaschung, die Unser Herr vornahm, kein
Sakrament war, wohl aber die Taufe? Und wer hat mir gesagt, daß man
Wein in den Kelch gießen muß, etc.? – 4. Durch sie haben wir mehrere
Glaubensartikel, so, daß die Taufe der Häretiker gültig ist, das Hinabstei-
gen Unseres Herrn in das Reich des Todes, die Jungfräulichkeit Unserer
lieben Frau.
Daher ist es nicht verwunderlich, wenn Irenäus gesagt hat: „Die in der
Nachfolge der Apostel stehen, haben mit der bischöflichen Nachfolge
durch die Fügung des Vaters die sichere Gnadengabe der Wahrheit emp-
fangen.“ Unser Herr sagt: Wenn aber der Heilige Geist kommt, wird er
euch alle Wahrheit lehren, deren die Kirche gegen die neu auftauchenden
Irrlehren bedarf. Im Griechischen heißt es: er wird in alle Wahrheit einfüh-
ren.
III. Die Überlieferungen haben Autorität von Christus und von der
Kirche, ob das den Gegnern gefällt oder nicht. (Damit wir eine Schrift
annehmen, muß stets die Wahrhaftigkeit des Zeugen und des Zeugnisses
feststehen.) Von Christus unmittelbar, wie die Form der Sakramente, und
daß dem Wein Wasser beizumischen ist, wie Justinus bezeugt; mittelbar
durch den Heiligen Geist, der die Kirche leitet; durch die Apostel, wie

308
das vierzigtägige Fasten und viele andere Dinge, oder durch die Kirche,
wie vieles. Und sie haben die gleiche Autorität wie die geschriebenen
Gesetze. Gesetz ist „die dauernde rechtmäßige Gewohnheit in dem, was
nicht geschrieben ist“ (Corpus Juris Civ.).
IV. Wie man sie erkennen kann, ist allgemein von der Kirche zu erfra-
gen. Wenn sie etwas entscheidet, was nicht ausdrücklich in der Heiligen
Schrift steht, ist das ein Zeichen, daß es überliefert ist (2 Tim 3,19; Mt
16,14), so die Jungfräulichkeit Marias, die Zahl der kanonischen Bücher.
1. Wenn die gesamte Kirche etwas tut, was sie ohne Auftrag Christi
nicht tun könnte, wie die kleinen Kinder taufen, die Häretiker nicht von
neuem taufen. Darüber hat der hl. Augustinus treffend gesagt: „Es ist eine
der größten Torheiten, darüber zu streiten“, ob richtig ist, was die gesamte
Kirche tut.
2. Wenn die Kirche etwas immer getan hat und wenn sie es selbst einset-
zen konnte, wie die Fastenzeit, die bis auf die Zeit des hl. Ignatius zurück-
geführt wird. So die niederen Weihen im Brief an die Antiochener.
3. Wenn alle Theologen im Konzil oder getrennt dasselbe sagen, wie auf
dem Konzil von Nicäa zur Verehrung der Bilder; so die Zeremonien bei
der Taufe (Basilius, Tertullian, Dionysius).
V. Um kurz alle Argumente (der Gegner) zurückzuweisen, gebe ich
hier die Regeln.
1. Man muß sich erinnern, daß die Überlieferungen Worte Gottes sind
wie das Evangelium etc. und niemals der Heiligen Schrift widersprechen.
Auf diese Weise sind alle Stellen nicht stichhaltig, die unsere Gegner uns
entgegenzuhalten pflegen: Ihr sollt den Geboten, die ich euch gebe, nichts
hinzufügen (Dtn 4,2). Gal 1,8: Doch wenn wir oder ein Engel vom Himmel
euch ein anderes Evangelium verkünden sollten, als wir euch verkündet
haben ...
2. Alles, was die Kirche braucht, ist in der Heiligen Schrift enthalten,
nicht ausdrücklich, wohl aber wurzelhaft. Was ausdrücklich enthalten ist,
genügt, um den einzelnen zu retten, nicht aber für die Unterweisung der
Gesamtheit. Damit ist die Stelle (Joh 20,21) als Einwand entkräftet: Das
ist aufgeschrieben, damit ihr glaubt ... und durch den Glauben das Leben
habt.
3. Unsere Überlieferungen sind nicht menschlichen, sondern göttli-
chen Ursprungs. So wird die Stelle (Jes 29,13; Mt 15,9; Mk 7,7) entkräf-
tet: Sie verehren mich vergeblich; menschliche Satzungen lehren sie, und
alle Bücher, die man gegen „menschliche Überlieferungen“ geschrieben
hat.

309
Bezüglich der Väter gibt es zwei Regeln; die eine, daß man sich hüte,
von einer einzelnen Zustimmung einfach auf eine Verneinung zu schlie-
ßen; und daß man sich an die Regel erinnere: Aus bloßen Einzelheiten
ergibt sich keine Folgerung. So sagt Irenäus: „Sie haben das Evangelium
verkündet, nachher aufgeschrieben.“ Folglich haben sie vom Evangelium
nichts verkündet, was nicht aufgeschrieben ist. So ist die Heilige Schrift
Fundament und Säule der Wahrheit ... Die zweite Regel ist, daß man sie
liest.

Zum Fest Petrus in vinculis


Nr. 31 (Entwurf): 1. August 15953 VII,265-267

Der Stein, der das Standbild zerschmetterte, ist Christus und Petrus.
Gamaliel (Apg 5,38) sagte: Wenn dieses Werk von Menschen stammt,
wird es untergehen. Mt 19,6: Was Gott verbunden hat, soll der Mensch
nicht trennen. Hld 7,5: Dein Haupt ist wie der Karmel. Vergleiche mit dem
Berg, von dem sich der Stein löste; denn der Berg ist Christus, das Haupt
der Kirche; der Stein Petrus.
Gründe für die Monarchie in der Kirche, nach Friedrich Nausea (Hom.
89):
1. Damit Streitigkeiten über den Glauben leichter beigelegt werden
können.
2. Damit ein Konzil einberufen werden kann.
3. Um dissidente und widerspenstige Bischöfe zu bestrafen.
Augustinus zu Psalm 132: „Mit Recht mißfällt ihnen der Name Mön-
che, weil sie nicht mit ihren Brüdern beisammen wohnen wollen.“
La Roche (lat. Rupella) ist eine Nachäffung des Felsens Petri durch den
Teufel (Sanders).
Mt 16,18: Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Deshalb
ging Petrus aus dem Gefängnis heraus, ohne daß ihn die geschlossenen
Tore daran hinderten (Apg 12,10).
Stärke deine Brüder (das ist nicht ein bloßes Gebot, sondern die Einset-
zung eines Bestärkers; wie Gen 1,22: Wachset und mehret euch zu den
Fischen). Damit weder die Hirten noch die Schafe den Glauben verlie-
ren, habe ich gebetet, daß er nicht versage (Lk 22,32).

310
Geschichte des Claudius, 1559, der Kapitän Jacobus Endiscotanus. Es
ist eine Eigenheit der Häretiker, zu vergeuden, was die Kirche erworben
hat, und zu zerstreuen, was sie gesammelt hat. Beispiele in Deutschland.
Die Kirche muß sich an Petrus halten, wie die Frau an den Mann. Für
Petrus hat ja der Herr um der Kirche willen gebetet, zu deren Mann er ihn
bestellt hat. Denn der Mann ist das Haupt der Frau (1 Kor 11,3; Eph 5,23).
Deshalb wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhan-
gen (Gen 2,24; Mt 19,5; Eph 5,31).
Hld 2,15: Fangt die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben.
Gott sprach (Gen 22,18) zu Abraham: In deinem Stamm werden alle
Völker gesegnet. Die Gläubigen waren deshalb sicher, daß der Messias
aus dem Stamm Abrahams kommen muß. Ebenso später zur Zeit des
Mose (Dtn 18,15); das Haus David (2 Sam 7,16), selbst Betlehem (Mi
5,2; Mt 2,5f; Joh 7,42), etc. Ebenso muß man in der Zeit des Evangeliums
vom Haus des Petrus Christus als Verherrlicher erwarten, d. h. in ihm
muß man Christus empfangen. Die Frevler Ahas, Amon etc. verwirrten
die Gläubigen nicht; sondern fest auf die Verheißung vertrauend achteten
sie der gegenwärtigen Gottlosigkeit nicht. Johann Hessels über den Un-
terschied zwischen dem Lehrstuhl des Mose und des Petrus: jener mußte
aufgehoben werden, dieser bleiben.
Ps 119,28: Meine Seele ist entschlafen. Dtn 32,39: Ich verwunde und ich
heile.

Vorbilder und V orhersage der heiligen


Vorhersage
Eucharistie im Alten TTestament
estament
Nr. 32 (Zusammenfassung): 17. September 1595 VII,268-274

18. Sonntag nach Pfingsten


Ist denn der Kelch der Segnung, den wir segnen, nicht
Gemeinschaft mit dem Blut Christi? Und ist das Brot,
das wir brechen, nicht Gemeinschaft mit dem Leib
Christi? (1 Kor 10,16)

Auf diese Frage, in einem ganz anderen Sinn aufgefaßt und gestellt, als
es der glorreiche Apostel getan hat, beruht das ganze Babylon, das wir in

311
unserem jammervollen Jahrhundert erleben. Indem der eine so, der ande-
re so darauf antwortet, je nach seiner eigenen Meinung und Auffassung,
obwohl der hl. Paulus diese Frage als Ausruf einer unumstößlichen Wahr-
heit gestellt hat, guter Gott, welche Zerfahrenheit folgte daraus, welche
Sprachenverwirrung ergab sich in der Welt. Insgesamt findet man zwei
allgemeine Antworten, die einander ganz entgegengesetzt sind. In ihrer
Gegensätzlichkeit besteht der Hauptpunkt der Streitfrage zwischen der
katholischen Kirche und denen, die sich von ihr getrennt haben. Denn
wenn man fragt: Das Brot, das wir brechen, dann antworten die Getrenn-
ten: nicht „ist“, sondern „versinnbildet“. Die katholische Kirche ist der
gegenteiligen Auffassung und antwortet: ist. Denn ich habe vom Herrn
empfangen (1 Kor 11,23). Da die Gegner angeben, der Hauptgrund, wa-
rum sie die Kirche verlassen haben, bestehe in dieser Streitfrage, habe ich
mir vorgenommen, so gut ich kann, euch die Beweise der Kirche vorzu-
tragen. Das will ich in der Weise tun, daß es eurem Geist nicht zu schwer
fällt, sie zu behalten, und die Beweisführung ganz offenkundig und klar
ist.
Den Beweis werde ich nämlich führen 1. durch die Vorbilder und Vor-
hersagen, 2. durch die Verheißung, die Unser Herr im 6. Kapitel des
Johannes-Evangeliums gegeben hat, 3. durch die Einsetzung des heiligen
Sakramentes, 4. durch andere Stellen, durch das Altertum und Wunder,
durch Vernunftgründe und Zeugen jeder Art; 5. werde ich zeigen, daß
dieses Sakrament nicht nur Sakrament ist, sondern Opfer; 6. werde ich die
Angemessenheit zeigen und auf die Gegengründe antworten und dabei
vorgehen, wie Gott mir die Möglichkeit gibt.4
Ich möchte aber nicht, daß ihr denkt, ich wollte in diesen Predigten alles
vorbringen, was ich darüber sagen könnte. Nein, ich werde nur sagen, was
mir besonders denkwürdig und unabweisbar erscheint. Wer mich aber
über Zweifel befragen möchte, sei es schriftlich oder anders, der wird
mich ihm sehr verpflichten. Ich werde ihn mit besonderer Gewogenheit
aufnehmen und ihm als Gegenleistung mit aller Liebe und allem Respekt
alle Genugtuung zu geben versuchen. Im übrigen beschwöre ich euch Ka-
tholiken bei Dem, auf den ihr hofft, aufmerksam und fromm diese meine
Predigten anzuhören, um für den Glauben Zeugnis zu geben, in dem eure
Ahnen und Vorfahren gestorben sind. Und euch, meine Herren, die ihr
der Gegenpartei folgt, beschwöre ich bei eurem Heil und beim Blut des
Erlösers, kommt, um die Beweise der katholischen Kirche zu hören, da-
mit man von euch nicht sagen kann, ihr hättet uns verurteilt, ohne uns

312
gehört zu haben. Und laßt dabei jede menschliche Leidenschaft aus dem
Spiel; achtet nicht auf den vertrauten Umgang, den ihr mit der einen oder
anderen Seite habt, sondern nur darauf, wo die Heilige Schrift, die Ver-
nunft und die echte Theologie siegen wird. Und nach dem, was ihr sehen
werdet, entscheidet euch, ohne Rücksicht auf alles, dazu, euch zur guten
Partei zu bekennen.
Herr, ich stehe hier in deinem Dienst. Gib mir Einsicht, damit ich deine
Zeugnisse kenne (Ps 119,125).
Ich finde die Unterscheidung zwischen dem Alten und dem Neuen Tes-
tament, die der hl. Paulus im Römerbrief (13,10-13) macht, schön und
sehr fein über alle anderen, wenn er sagt, die Vollendung und Erfüllung des
Gesetzes ist die Liebe. Für seinen Ausspruch gibt er folgende Begründung:
Erkennt die Zeit, daß jetzt die Stunde ist, vom Schlaf aufzustehen; jetzt ist
das Heil näher als damals, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgeschrit-
ten, der Tag hat sich genaht. Laßt uns die Werke der Finsternis ablegen und
die Waffen des Lichtes anlegen. Laßt uns wie am Tag ehrbar wandeln.
Darin finde ich drei Vergleiche, durch die der hl. Paulus diesen großen
Unterschied ganz vortrefflich ausdrückt.
Im ersten vergleicht er die Juden mit schlafenden Menschen, die ande-
ren mit wachen: Es ist Zeit, sagt er, daß wir den Schlaf beenden. Man
erhebt sich, weil das Alte Testament ganz auf die Erde angelegt war und
das Volk erstaunlich an die Erde gebunden war; daher lautet die Verhei-
ßung (Jes 1,19): Ihr werdet die Güter der Erde genießen. Es war im Ver-
gleich zur Kirche wie ein schlafender Mensch, der nichts sieht, außer ir-
gendein Traumbild. Sein Sinnbild ist die ganz triefäugige Lea (Gen 29,17).
– 2. Zwischen einem, der glaubt, und einem, der besitzt. Hebr 1,1: Auf
vielfache Weise ... – 3. Zwischen Nacht und Tag. So heißt es an anderer
Stelle (Hebr 10,1): Das Gesetz ist nur ein Schatten. Nachdem Paulus (Kol
2,17) von den alttestamentlichen Zeremonien gesprochen hat, sagt er, sie
sind Schatten des Zukünftigen; und nachdem er vom Brot gesprochen, das
den Hebräern gegeben wurde, und vom Wasser: Das alles geschah ihnen
als ein Vorbild (1 Kor 10,11).
Aus all dem ziehe ich den Schluß, daß die Vorbilder im Alten Testament
dem an Vorzüglichkeit nicht nahekommen können, was uns an ihrer Stelle
im Neuen Testament gegeben ist, so wenig, wie ein schlafender Mensch
einem wachen, der Glaube dem Besitz, die Nacht dem Tag, der Schatten
dem Körper, das Gleichnis der versinnbildeten Sache. Überlegen wir

313
daher jetzt, was das Sakrament der Eucharistie, das Abendmahl, in der
Kirche Jesu Christi sein muß. Betrachten wir ein wenig seine Vorbilder;
und wenn sie einiges an Vorzügen haben, dann überlegen wir, was erst das
sein muß, was sie versinnbilden. Es gibt deren gewiß abertausend, doch
wählen wir einige wenige aus.
Das erste ist das Osterlamm. Wo willst du, daß wir für dich das Pascha
bereiten? (Mt 26,17; Lk 22,9). Nach dem Pascha als Vorbild hielt er das
wahre Pascha. Paulus sagt (1 Kor 5,7): Ist doch Christus als unser Oster-
lamm geschlachtet worden. Das Osterlamm wurde nicht nur geschlach-
tet, sondern auch gegessen (Ex 12). Der hl. Johannes (1,29.36) nennt ihn
Lamm Gottes. Vergleichen wir nun seine Vortrefflichkeit mit der des
Brotes, wenn hier nur Brot ist: 1. in der Substanz, damit es deutlich ist; 2.
als Sinnbild: Das Fleisch wird durch Fleisch besser versinnbildet als durch
Brot, der Tod besser durch den Tod als durch das Brechen, die Schuldlo-
sigkeit Christi durch das unschuldige Lamm (1 Petr 1,19).
Ich frage aber: Wo wird bei Calvin der große Aufwand dargestellt, der
beim Essen des Lammes eingehalten wurde? Die Lenden gürten, den Stab
in der Hand, die Schuhe angezogen, das Übriggebliebene dem Feuer über-
geben. Ohne Zweifel wäre auf diese Weise das Lamm ein – ich weiß nicht
wieviel besseres – Sinnbild als das Brot. Und warum macht ihr dann die
Mysterien des Alten Testamentes größer als die des Neuen? Wenn das
Abendmahl nur ein Sinnbild ist, dann ist es viel geringer als dieses Vor-
bild. Nein, es braucht die Wirklichkeit. Man aß das Brot ohne Sauerteig
mit Bitterkräutern, um zu zeigen, daß anstelle des Lammes das euchari-
stische Mahl des heiligen Brotes in Bußfertigkeit folgen werde.
Das zweite Vorbild ist das des Manna (Ex 16,14f). Es ist Vorbild der
Eucharistie. Joh 6,49.59: Eure Väter haben das Manna gegessen. Der hl.
Paulus spricht vom Durchzug durch das Rote Meer, vom Wasser aus dem
Felsen, usw. und sagt (1 Kor 10,16): Das Brot, das wir brechen. Das Man-
na entstand durch die Hände der Engel (Ps 78,25); das Brot des Abend-
mahls durch die der Bäcker. Das Manna kam vom Himmel, dieses aus
dem Backofen (Weish 16,20). Ebenda: ohne Mühe, wie der Leib Christi.
Es hatte alle Süßigkeit und Wohlgeschmack. Wo daher die Eucharistie
nur eine sinnbildliche Darstellung ist, etc.
Doch schauen wir etwas genauer. Das Manna war so wunderbar, daß das
Volk fragte: Manna? Manna? (Ex 16,15). Doch was war an diesem Brot
wunderbar, etc.: Calvin selbst sagt: „Mir bleibt nur, in Bewunderung für
sein Geheimnis auszubrechen.“ Doch wißt ihr darüber hinaus nicht, daß

314
das Manna auf den Altar im Bundeszelt gelegt wurde (Hebr 9,2-4; Ex
25,30)? Dort hatte man zwei Zelte errichtet, das eine mit dem Tisch für
die Schaubrote, das andere, in dem sich die Bundeslade und das Manna
befanden. Nun zeigt mir, wann sich dieses Brot am Kreuz befand, wenn es
nichts als ein Sinnbild ist.
Als drittes nenne ich für diesmal jenes, von dem es (Lev 8,14-17) heißt,
daß Gott zwei Arten von Opfern anordnete: das eine war das Kalb, das
außerhalb der Stadt, außerhalb des Zeltes verbrannt wurde; das andere
war das Lamm, das man in der Stadt aß. Wo ist das erfüllt, wenn nicht in
der Eucharistie? Es wurde gegessen mit dem ungesäuerten Brot.
Den Schluß soll der Vergleich bilden vom Winter und Sommer, vom
Frühling und Herbst, vom kleinen Kind und erwachsenen Mann.
Wenn aber die Vorbilder so vorzüglich von diesem Sakrament gespro-
chen haben, dann hört noch ein wenig die Propheten. Im Psalm 22 (30.1)
heißt es: Alle Reichen der Erde aßen und beteten an. Gott, mein Gott,
schau auf mich. Der hl. Remigius hat das vor 700 Jahren so erklärt: „Was
sie genossen, beteten sie an.“
Ps 72,16: Er sei ein Fruchtgefilde auf der Erde, auf Bergesgipfeln gleich
dem Libanon. Rabbi Salomon von Chuscaoth. Nach Paul von Burgos
übersetzt Rabbi Jonathan: „Es wird ein Weizenbrot auf dem Haupt der
Priester sein.“
Sprichwörter 9,1f: Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut; sie schlachte-
te ihre Opfertiere, mischte den Wein und deckte ihren Tisch. Cyprian (2.
Buch, ep. 3).

Über die Reliquien der Heiligen

Nr. 33 (Notizen): 1595 VII,275-278

Unser Herr hat durch viele Zeugnisse seinen Willen bekundet, daß die
Reliquien der Heiligen geschätzt und geehrt werden.
1. Unser Herr hat in der Heiligen Schrift bezeugt, wie sehr er wünscht,
daß die Reliquien ehrwürdig sind:
Ex 13,19: Die Gebeine Josefs wurden von Mose überführt, wie er selbst
vor seinem Tod gesagt hatte: Bringt meine Gebeine von diesem Ort fort

315
(Gen 50,24). Auch Jakob wollte nicht, daß sein Leib in Ägypten bleibe
(50,5; 49,27); daher brachte Josef ihn hin, um ihn ehrenvoll zu bestatten.
Und die Gebeine Josefs, von Mose überführt, wurden von den Israeliten
in Sichem bestattet (Jos 24,32).
Ebenso stieg Mose auf dem Berg Nebo auf den Gipfel Pisga, und nach-
dem er das Land gesehen, starb er nach der Weisung Gottes, der sich wür-
digte, ihn selbst zu bestatten, sagt die Heilige Schrift (Dtn 34,1-6). Das
führt der hl. Hieronymus gegen Vigilantius im Brief an Riparius an.
Ebenso 2 Kön 13,20f: Als die Leute, die einen Toten trugen, die Räuber
aus Moab kommen sahen, warfen sie ihn in das Grab des Elischa; als der
Tote ihn berührte, wurde er wieder lebendig. 2 Kön 23,16-18: Als Joschija
die Götzenbilder und Grabmäler in Bet-El zerstörte, sah er ein Grab und
fragte, wessen es sei. Als man antwortete, es sei das Grab eines Propheten,
sagte er: Niemand beunruhige seine Gebeine. Und sie blieben unangeta-
stet mit den Gebeinen eines anderen Propheten, der aus Samaria gekom-
men war. Wäre er irgendein Neuerer gewesen, hätte man die Gebeine
fortgeschafft und verbrannt.
Jes 11,10: Auf ihn hoffen die Völker und sein Grab wird glorreich sein. Im
Römerbrief (15,12) wird ein Teil dieser Stelle zitiert und auf Unseren
Herrn bezogen. Es gelingt den Reformatoren nicht, diese Prophezeiung
für unwahr zu erklären. Um Marcella im Namen von Paula und Eustochi-
um zu bewegen, daß sie nach Betlehem komme, erklärt Hieronymus die
Stelle zu seiner Zeit in diesem Sinn. Mt 3,11: Ich bin nicht würdig, seine
Schuhe zu tragen.
Apg 5,15: Der bloße Schatten des hl. Petrus heilte Kranke, denn man
kam zu ihm, um geheilt zu werden. Apg 19,12: Die Schweißtücher und
Gürtel des hl. Paulus.
Auf dem 2. Konzil von Nicäa vor 800 Jahren; auf der Synode von Gangra
vor mehr als 1200 Jahren, im letzten Kanon, der beginnt: „Wenn jemand
einer Regung des Stolzes folgt ...“ Auf dem Konzil von Karthago vor 1100
Jahren, im vorletzten Kanon. Auf dem großen Laterankonzil unter Inno-
zenz vor ungefähr 350 Jahren, wo man dem Mißbrauch vorbeugte, der
entstehen könnte.
Der hl. Antonius der Große trug zu Ostern und Pfingsten den Mantel
des hl. Paulus, des ersten Einsiedlers, der aus Palmblättern gefertigt war;
das schreibt der hl. Hieronymus in der „Vita Pauli“. Ebenso sagt der hl.
Athanasius dasselbe in der „Vita Antonii“ vom Mantel des hl. Antonius;

316
als dessen „Erbe habe er Antonius in den Gaben des Antonius umfan-
gen“. Damit Marcella nach Betlehem komme, lud sie der hl. Hieronymus
ein, nach Samaria zu gehen, weil sich dort die sterblichen Überreste des
hl. Johannes des Täufers, des Elischa und Abijas befinden, wie er sagt.
Wunder. Basilius in der Predigt über die hl. Julitta. Gregor von Nazi-
anz über Cyprian: „In Verbindung mit dem Glauben vermag die Asche
Cyprians alles, wie jene wissen, die es erfahren haben.“ Chrysostomus,
Contra Gentiles, über die Reliquien des heiligen Märtyrers Babilas.
Ambrosius in der Predigt über die Heiligen Gervasius und Protasius über
den blinden Severus.
Wunder der Bewahrung. Den Leib des hl. Hilarion fand man, Hierony-
mus zufolge, „nach zehn Monaten bei unversehrter Cuculle, Tunica und
Pallium unverwest, als ob er noch lebte, und er strömte solchen Wohlge-
ruch aus, daß man ihn für einbalsamiert hielt ... An beiden Orten gesche-
hen täglich große Zeichen, am meisten im Garten von Chyprus“, das in
Palästina liegt, wohin man ihn von Cypern übertragen hatte. Zum hl.
Gervasius und Protasius: Augustinus: Conf. 9,7.
Es gab immer schlechte Christen: Eunomius, dann Vigilantius, Kon-
stantin Copronymus, Wiclef. Im Jahr 1562 wurden die Leiber der Heili-
gen Irenäus, Martinus und Hilarius von den Heiden in die Rhône gewor-
fen (Eusebius).
Ambrosius in der Predigt über die Heiligen Gervasius und Protasius;
im Brief an die Schwester sagt er, die Arianer wagten die Wunder zu
leugnen, die vor allem Volk geschahen.
Mt 23,29: Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern, ihr Heuchler; ihr
baut den Propheten Grabmäler und schmückt die Denkmäler der Gerech-
ten. Sie sagten es aus Heuchelei. Rufinus bei der Übertragung des hl.
Babilas: „Sie haben den Ruhm des unvergänglichen Gottes auf das Bild
des vergänglichen Menschen übertragen; sie dienten lieber dem Geschöpf
als dem Schöpfer.“
Eusebius über das von der Blutflüssigen in einer Stadt Phöniziens er-
richtete Standbild, das von Julian zerstört wurde.

317
Notizen für Verschiedene Predigten
Verschiedene

VII,279-283

1. Über das Jüngste Gericht

Mt 24,30: Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel


erscheinen. Dann werden alle Völker der Erde wehklagen; und sie werden
den Menschensohn mit Macht und Herrlichkeit kommen sehen. Der Don-
ner geht dem Blitz voraus.
Gen 6,22: Noach predigte Buße, sie aber verlachten ihn, aßen und tran-
ken (Mt 24,38f), wie der hl. Petrus (2 Petr 3,20) anführt.
Gen 45,3: Ich bin Josef; sie aber konnten vor Bestürzung nicht antwor-
ten. Offb 1,7: Siehe, er kommt auf den Wolken. Jedes Auge wird ihn schau-
en, auch jene, die ihn durchbohrt haben. Dann werden alle Stämme auf
Erden über ihn wehklagen. Jes 42,14: Immer habe ich geschwiegen, mich
in Schweigen gehüllt; ich war geduldig. Wie eine Gebärende will ich schrei-
en. Lk 21,26: Die Menschen werden vergehen vor Bangen.
Ez 7,2.6.9: Ein Ende kommt, es kommt das Ende. Er wird über dich
wachen. Siehe, er kommt. Ich lohne dir deinen Wandel, und du wirst erken-
nen, daß ich, der Herr, dir Schläge gebe. Das ist der Tag, der Tag des Zornes,
der Tag der Vergeltung und des Zornes (Zef 1,15). Jes 13, 9: Seht, es kommt
der Tag des Herrn, furchtbar und voll des Grimmes. Mal 3,1f: Siehe, er
kommt; und wer wird seine Ankunft ertragen? Mt 12,36: Von jedem un-
nützen Wort ... werden sie Rechenschaft ablegen müssen. Ps 10,5: Seine
Wege sind befleckt; deine Gerichte sind ihm fremd.
Ich glaube, daß nie lauter Alarm geschlagen wurde, als die Propheten
die Menschen vor dem Tag des Gerichtes warnen, indem der eine (Jes
13,9) ruft: Seht, es kommt der Tag des Herrn, furchtbar und voll des Grim-
mes; der andere (Ez 7,26): Ein Ende kommt, es kommt das Ende. Er wird
über dich wachen. Ich lobe dir deinen Wandel, und du wirst erkennen, daß
ich, der Herr, dir Schläge gebe. Zef 1,15: Das ist der Tag, der Tag des
Zornes, der Tag des Zornes und der Vergeltung. Mal 3,1f: Siehe, er kommt;
wer wird seine Ankunft ertragen?

318
2. Über die seligste Jungfrau

Nun hört, meine Söhne, hört auf mich. Glücklich, die an meinen Türen
wachen (Spr 8,32.34). Die Weisheit über Maria, die verschlossene Pforte
(Ez 44,2). Wir sind leibliche Brüder Christi, wahre Benjamin, die früher
Ben-Oni waren.
Dtn 5,15: Bedenke, daß du in Ägypten Knecht warst und der Herr dich
mit starker Hand und ausgestrecktem Arm herausgeführt hat.

3. Über den Primat des hl. Petrus

Mt 16,21-23: Unser Herr kündigt seine Passion an; der hl. Petrus erwi-
dert: Herr, das sei fern von dir. Unser Herr sagte zu Petrus: Hinweg von mir,
Satan; du hast keinen Sinn für das, was Gottes ist. Und später schlug der
hl. Petrus das Ohr ab und verleugnete seinen Meister (Mt 26,51.69ff).
Zum ersten hatte er einen unbesonnenen Eifer, der hervorging aus dem,
was er gesagt hatte, und darin, daß er das Ohr abschlug; bei der Verleug-
nung eine sehr schwere Sünde, aber keinen Unglauben. Ihr Einwand be-
hauptet, daß der hl. Petrus nicht Apostel war. Das ist nicht die Erfüllung
(Mt 16). Der hl. Dorotheus: Am Anfang (verachtete er) nur einen, Zozi-
mas, dann Macharius, dann Basilius und Gregor von Nazianz, dann Pe-
trus und Paulus, dann nur die Trinität, dann den Vater.
Doch nur zu Petrus wurde gesagt: Weide meine Schafe. 1. Simon, Sohn
des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Ja, Herr, du weißt, daß ich
dich liebe. Weide meine Lämmer. 2. Simon, Sohn des Johannes, liebst du
mich? Ja ... Weide meine Lämmer. 3. Simon, Sohn des Johannes, liebst du
mich? Da wurde Petrus traurig, weil er zum dritten Mal sagte: Liebst du
mich? Und er sagte zu ihm: Herr, du weißt alles, du weißt, daß ich dich
liebe. Weide meine Schafe. Unter den Schafen versteht er die Apostel.
Amen, amen, ich sage dir, als du jünger warst, hast du dich selbst gegürtet
und gingst ... Wenn du aber älter wirst ... (Joh 21,15-18).
Das wird nur zu Petrus gesagt, 1. vom Namen her: Simon, Sohn des
Johannes. 2. durch den Vergleich erkennen wir den Unterschied, den er
macht: Mehr als diese? Thomas, Natanael, Jakobus und Johannes, die
Söhne des Zebedäus. 3. durch die dreimalige Frage, die nach Cyrillus und
Augustinus „der dreimaligen Verleugnung“ entspricht.

319
4. Petrus wurde traurig, weil er nach Chrysostomus fürchtete, es könnte
eintreten, was geschah, als er sagte: Und wenn ich mit dir sterben müßte ...
(Mt 26,35). 5. Durch die Worte: Wenn du aber älter wirst ... wird Petrus
allein die Kreuzigung vorhergesagt.
Weide bedeutet offenbar „regiere“. Die Hirten nennen wir Leiter. Joh
10,11.14: Ich bin der gute Hirte.
Meine Schafe, meine Lämmer wird zweimal gesagt wegen des unter-
schiedlichen Volkes: meine Schafe wegen der Hirten, oder nach Bern-
hard wegen der übrigen Apostel. Meine Lämmer. Also gehören jene,
die Petrus nicht weidet, nicht zu Christus. Joh 10,14: Ich kenne meine
Schafe ...
Einwände: Christus nennt sich Hirte. Christus ist Hirte und Herr, Petrus
nur Hirte; Christus ist Hirte und Weide, Petrus nur Hirte.
Petrus sagt (1 Petr 5,2): Weidet die Herde, die euch anvertraut ist. Also
hat er nach Calvin die Autorität abgegeben. Sie ist eine, um unter ihm
Teile des Volkes zu weiden.
Luther, „Von der Gewalt des Papstes“: Den anderen wird nicht befoh-
len, dem Petrus zu gehorchen. Wer die Handlung befiehlt, der befiehlt
auch, sie zu ertragen.
Sie wird dem Liebenden gegeben; aber sie lieben nicht. Was um der
Liebe willen gegeben wurde, wird nicht aufgehoben durch Lieblosigkeit.
1 Sam 16,7: Gott sieht auf das Herz und er macht David im Hinblick auf
das Herz zum König; und doch sündigt er.
Er weidete nicht. Er weidete durch die anderen, wie der Fürst durch die
Untergebenen tötet.

Über das Wo rrtt Gottes


Wo
Nr. 35 (Entwurf): 1596 VII,284-286

1 Thess 2,13: Wir sagen Gott unablässig Dank dafür, daß ihr unsere
Predigt vom Wort Gottes aufgenommen habt, nicht als ein Menschenwort,
vielmehr als das, was sie wirklich ist, als Wort Gottes, das in euch wirkt, die
ihr glaubt. Ez 33,32: Du bist für sie wie das Lied eines Sängers, das mit
schöner, sanfter Stimme gesungen wird. Sie hören deine Worte, handeln
aber nicht nach ihnen. Ez 33,11: Kehrt um von euren schlimmen Wegen.
Warum wollt ihr sterben, Haus Israel?

320
Ps 68,12: Der Herr wird denen, die die frohe Botschaft verkünden, das
Wort verleihen mit großer Macht. Dazu der hl. Augustinus: „Vielleicht
spricht er von jener großen Macht, durch die die Verkünder des Evangeli-
ums viele Zeichen wirkten.“ 2 Tim 4,2: Verkünde das Wort. Eph 6,17:
Das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes. 2 Kor 13,3: Verlangt ihr
den Beweis, daß Christus in mir spricht?

Verkündet und erklärt durch das lebendige Wort:

Apg 8,30: Glaubst du zu verstehen, was du liest? Jes 53,7; Apg 8,32: Wie
ein Schaf wurde er zur Schlachtbank geführt. Mal 2,7: Die Lippen des
Priesters bewahren Weisheit; sie suchen das Gesetz aus seinem Mund; er ist
ja der Bote des Herrn der Heerscharen. „Nur die Kenntnis der Schriften
haben sich alle nacheinander angeeignet: Gelehrte und Ungelehrte, ha-
ben wir geschrieben“ (Hieronymus).
Lk 10,16: Wer euch hört, der hört mich. Eph 4,11-13: Er bestimmte ...
andere zu Hirten und Lehrern, zur Ausübung des Amtes, zum Aufbau des
Leibes Christi, bis wir alle zur Erkenntnis des Glaubens gelangen ..., zum
vollen Mannesalter. Röm 10,17: So kommt der Glaube vom Hören, das
Hören aber durch das Wort Gottes.

Durch jene, die von Gott beauftragt sind.

Röm 10,15: Wie sollen sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind? 2 Kor
5,20: An Christi Stelle stehen wir, Gott mahnt gleichsam durch uns. Ps
45,17: Für deine Väter ... Hebr 5,4: Keiner nimmt sich die Würde, wenn er
nicht von Gott berufen wird wie Aaron. Mose weihte Aaron (Lev 8,12; Ex
28,41), der Priester war (Ps 99,6). Ex 28,1: Berufe deinen Bruder Aaron,
damit er mir im Priesteramt diene.
Tertullian: „Wer seid ihr und woher seid ihr gekommen?“ Joh 15,24:
Wenn ich nicht größere Werke vollbracht hätte, die niemand vollbringt ... Lk
5,11: Sie verließen alles und folgten ihm nach. Antonius, der hl. Franzis-
kus.

321
Die wirkliche Gegenwar
Gegenwartt Unseres Herrn
in der Eucharistie
Nr. 36 (Notizen): Karsamstag 1596 VII,287f
1 Kor 10,16: Ist der Kelch der Segnung, den wir segnen, nicht Gemein-
schaft mit dem Blut Christi? Und ist das Brot, das wir brechen, nicht Ge-
meinschaft mit dem Leib Christi? Er sagt nicht, daß wir durch den Glau-
ben teilhaben, denn aus sich ist das Brot nichts, sondern er sagt, das Brot
ist das.
Auf diese Frage antworten die Ubiquisten und die Calviner in gegen-
sätzlicher Weise, denn der eine hungert, der andere ist trunken (1 Kor
11,21). Die Kirche aber geht mitten durch sie hindurch wie Christus (Lk
4,30). Ihre einzige Begründung ist, daß Christus so gesagt hat.
Die Ubiquisten gleichen dem aufsässigen Volk Israel, das sagte: Unsere
Seele ist kraftlos; unsere Augen sehen nichts als das Manna (Num 11,6).
So glauben auch sie nichts zu sehen als Christus. Sie sind trunken, so sehr
zeigt sich ihnen alles in großer Zahl. Die Calviner sind wie Michal (1 Sam
19,17), die über alles spottete. Warum machst du dich über mich lustig?,
sagte Saul. Sie gleichen den Bäumen am Toten Meer, die Früchte tragen,
die zu Staub zerfallen, wenn man sie berührt.
Die Katholiken dagegen glauben, daß Christus gegenwärtig ist, als
Mensch nicht überall, sondern hier im Sakrament und im Himmel und
wo immer er sein will. Und im Sakrament zwar wirklich aber auf geistige
Weise. So wird er morgen wirklich aus dem Grab hervorgehen, aber un-
sichtbar; wie andererseits der Engel im weißen Gewand sichtbar sein
wird (Mk 16,5; Joh 20,12). Wunderbarer Tausch: der Geist wird sichtbar,
der Leib unsichtbar. So werdet ihr am Montag Christus als Fremden se-
hen, der auf dem ganzen Weg nicht erkannt wird.
Folglich ist sein Fleisch in der Eucharistie enthalten, aber nicht allein,
sondern mit dem Blut, mit der lebendigen und lebendig machenden See-
le, und mit seiner Gottheit. Welch herrliches „Gastmahl, in dem Christus
genossen wird“.
Gott sagte zu Eva und Adam: Du darfst nicht essen (Gen 2,17); der
Teufel sagt: iß. Hier sagt Gott: iß (Mt 26,26), der Teufel: iß nicht.
Durch dieses Sakrament wird außerdem Glaube, Hoffnung und Liebe
verliehen; und alle Sakramente.
Das Fleisch ist zu nichts nütze (Joh 6,64); gewiß nicht. So brennt auch
das Eisen nicht, aber glühend gemacht brennt es.

322
Zum Fronleichnamsfest
Nr. 37: 13. Juni 15965 VII,289-296

– – – 3. Ich versuche den Gedanken klar vorzutragen; der Teufel pflegt


sich ja der Mehrdeutigkeit zu bedienen. Treffend sagt Rupert (von Deutz):
„Die Schlange ist spöttisch und antwortet zweideutig, um sich trotzdem
selbst als wahrhaftig hinzustellen, wenn sich die Wahrheit Gottes erfüllt
hat.“ Ihr werdet keineswegs sterben (Gen 3,4); das kann sich entweder auf
den sofortigen Tod beziehen oder auf die Notwendigkeit zu sterben. Euch
werden die Augen aufgehen (3,5), entweder zur Erkenntnis aller Dinge
oder zur Schande und Scham. Ihr werdet wie Götter sein, gute oder böse;
Gut und Böse erkennen, durch Erkenntnis oder aus Erfahrung. Wer aber
spitzfindig redet, ist Gott ein Greuel (Sir 37,23). Rupert fügt den denkwür-
digen Satz hinzu: „Der böse Geist wollte Gott ähnlich sein;“ das gelang
ihm nicht. „Nun will er, daß Gott ihm ähnlich werde, d. h. ein Lügner.“
Nun wollen die Häretiker so viel wissen wie Gott; das gelingt ihnen nicht.
Nun wollen sie, daß Gott nicht mehr vermöge, als sie wissen.
Daher sprechen die Häretiker von diesem Geheimnis durchwegs und
immer spitzfindig. Er ist gegenwärtig durch den Glauben, im Gleichnis
etc. Und wenn du darauf drängst, daß er gegenwärtig ist, wirst du erfahren,
daß er nach ihrer Auffassung nicht gegenwärtig ist. Wir bekennen auf-
richtig, daß in diesem Sakrament der Leib Unseres Herrn selbst gegen-
wärtig ist, wie er auf dem Altar des Kreuzes war. Wie, darüber will ich
jetzt nicht sprechen.
Ich beweise das 1. mit ausdrücklichen Worten der Heiligen Schrift:
Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird (Lk 22,19; 1 Kor 11, 24).
Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise. Wer mich ißt, wird dadurch leben
(Joh 6,56.48). Niemand darf diesen Aussagen einen anderen Sinn unter-
stellen, wenn er nicht durch gegensätzliche Stellen der Heiligen Schrift
dazu gezwungen wird. Sie werden aber nirgends finden, daß dem wider-
sprochen wird. Denn die Stelle (Joh 6,64): Das Fleisch ist zu nichts nütze,
verpflichtet zu nichts, so wenig wie: Fleisch und Blut werden das Reich
Gottes nicht besitzen (1 Kor 15,50). Das andere aber: Der Geist ist es, der
lebendig macht; die Worte, die ich zu euch spreche ... (Joh 6,64), wider-
sprechen dem nicht; sie enthalten ja keinen Widerspruch und keinen Ge-
gensatz. Und wenn sie gegensätzlich wären, folgte daraus nicht, daß eine

323
Aussage die andere aufhöbe; denn jede könnte im wirklichen Sinn ver-
standen werden nach verschiedenen Teilen. Der Geist geistig, das Leben
lebendig, das Sakrament sakramental. Das widerspricht der Wirklichkeit
der Körper nicht, sondern hängt damit zusammen. Daher war das Leben
das Licht der Menschen und der Geist, das göttliche Wort ist Fleisch gewor-
den (Joh 1,4.14; 4,24). Es ist daher sonderbar, daß Menschen irren, die
stets auf die Heilige Schrift drängen, da sie weder die Heilige Schrift ken-
nen noch die Macht Gottes (Mt 22,29).
Unser Verständnis wird bekräftigt, 1. weil es von den vier Evangelisten
so ausgedrückt und nichts hinzugefügt wird, wodurch wir gezwungen wä-
ren, es anders zu verstehen. Sonst tun sie das wohl: Zerstört diesen Tempel
... Das sagte er vom Tempel seines Leibes (Joh 2,19.21). Wenn ich von der
Erde erhöht sein werde ..., um anzudeuten, welchen Todes er sterben werde
(Joh 12,32f). Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das ist die Heu-
chelei (Mt 16,11; Lk 12,1). Ich bin der wahre Weinstock ... Wie der Reb-
zweig ... (Joh 15,1.4). Ich ergänze, was dem Leiden Christi mangelt, für
seinen Leib, der die Kirche ist (Kol 1,24): der die Kirche ist, bestimmt hier
den Sinn; es bestimmt ihn nicht anders als der für euch hingegeben wird.
Es wird 2. bestätigt, weil wir lesen, daß Christus dreimal über diese
Sache gesprochen hat: als er sie mit beredten Worten verhieß (aber diese
Worte werden wir am Sonntag erwägen); als er sie beim Letzten Abend-
mahl gab; als er Paulus unterwies: Zuletzt aber erschien er mir, gleichsam
einer Fehlgeburt (1 Kor 15,8). Das lehrte ihn der Herr jedoch nicht in der
Zeit, sondern als er bis in den dritten Himmel entrückt wurde (2 Kor 12,2.4).
Daher sagt Paulus (1 Kor 11,23) nachdrücklich: Denn ich habe vom Herrn
empfangen.
Es wird 3. bestätigt, weil die Kirche immer so geglaubt hat; das ergibt
sich aus dem Konzil von Nicäa, aus der Erregung der Kirche gegen Be-
rengar und aus dem Bekenntnis der Gegner.
Es wird 4. bestätigt, weil es die Macht, die Weisheit und Güte Christi
verherrlicht und uns glücklicher macht.
Viel besser werdet ihr es aber aus dem Zusammenhang der Worte erse-
hen und aus den Argumenten, die wir aus ihnen ableiten.
Christus pflegt schrittweise vorzugehen. Bei der seligsten Jungfrau
schickt er das Beispiel der Unfruchtbaren voraus, durch das er zeigt, daß
bei Gott kein Ding unmöglich ist (Lk 1,36f). Um zu zeigen, daß er die
Sünden vergeben kann, heilt er körperliche Krankheiten, und so bei den

324
übrigen Dingen. Er wollte den Glauben an die Eucharistie verkünden: er
schickt das Wunder der Brotvermehrung voraus; danach drängt er zum
Glauben: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer an mich glaubt, hat das
ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens (Joh 6,47f). Da er eine schwie-
rige Sache verheißen will, will er ihren Glauben zuerst durch die Tat,
dann durch die Ermahnung gewinnen. Nachdem das geschehen war, hielt
er eine ausgezeichnete Rede, der ich folgende Argumente entnehme:
1. Aus dem Vergleich, den er zwischen dem Manna und seinem Fleisch
anstellte: Eure Väter haben das Manna in der Wüste gegessen und sind
gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer von ihm
ißt, nicht stirbt (6,49f). Was ist dieses Brot? Ich bin das lebendige Brot, der
ich vom Himmel gekommen bin; wenn jemand ... (6,51f). Doch was ist
hier Brot? Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch (6,52). Zweimal
wiederholt er diesen Vergleich.
In diesem Vergleich zeigt er aber die Verschiedenheit in der Ähnlich-
keit. Die Ähnlichkeit, weil beides eine Speise war. Die Verschiedenheit,
1. weil dieses Brot vom Himmel gekommen ist. Aber nicht Mose gab euch
das Brot vom Himmel (6,32): Brot vom Himmel gab er ihnen, aber nicht
wirklich vom Himmel, sondern nur dem Anschein nach vom Himmel;
dieses ist wahrhaftig vom Himmel. – 2. Das Manna war eine tote Speise,
nicht lebendig; daher starben sie. Hier ist eine lebendige.
Ferner, wenn das Manna nach dem Äußeren betrachtet würde, wäre es
viel vorzüglicher als das Sakrament der Eucharistie, wenn in der Eucha-
ristie nicht der Leib des Herrn wäre. In der Eucharistie gibt es nämlich
zweierlei: die Gestalt, und was unter der Gestalt ist. Die Gestalt ist viel
geringer, das Wesen um nichts größer, wenn es nicht der wahre Leib Chri-
sti ist. Denn die Alten genossen den Leib des Herrn in der Gestalt und im
Glauben, und hinsichtlich der Wirkung, soweit es genügte, um das ewige
Leben zu gewinnen: Alle aßen die gleiche geistige Speise ...; sie tranken
nämlich aus dem geistigen Felsen, der ihnen folgte (1 Kor 10,3f).
2. Aus dem anderen Vergleich: Wie mich der lebendige Vater gesandt
hat und ich durch den Vater lebe, so wird auch, wer mich ißt, durch mich
leben (Joh 6,58). Ich lebe durch den Vater, weil ich sein Wesen besitze;
folglich in gleicher Weise etc. Der Vergleich wird angestellt zwischen
dem Geheimnis der Dreifaltigkeit, der Menschwerdung und Eucharistie.
3. Aus dem Schwur: Wahrlich, ich sage euch (6,47). Der Eid beendet
jede Auseinandersetzung (Hebr 6,16). Derselbe Gott hat Abraham ge-

325
schworen, David etc. Ferner müssen die Worte des Schwörenden klar sein
und nach dem Sinn des Fragenden, wenn er das Recht hat zu fragen. Das
Recht zu fragen haben die Jünger. Die Juden murrten ... (6,41). Er beru-
higt den Aufruhr nicht anders als durch den Schwur.
4. Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein
Trank (6,56). Dieser ist wahrhaftig ein Prophet (6,14). Wahrhaftig, dieser
war der Sohn Gottes (Mk 15,39). Er hat wahrhaftig unsere Krankheiten
getragen (Jes 53,4). Daher lachte Sara und sagte: Soll ich im Alter wirklich
gebären? (Gen 18,13).
Wenn du alle diese Argumente zusammennimmst, ergeben sie einen
uneinnehmbaren viereckigen Turm.
Doch sie wenden dagegen ein: Der Geist ist es, der lebendig macht (Joh
6,64). Um auf diesen Einwand zu antworten, müssen wir kurz erklären,
auf welche Weise Christus in der Eucharistie enthalten ist und genossen
wird. Ich weiß, daß ich das schon an anderer Stelle6 gesagt habe. Nun will
ich kurz zusammenfassen, was ich gesagt habe, und einiges Wissenswerte
hinzufügen.
Ein Körper kann auf dreifache Weise an einem Ort sein: 1. auf geistige
Weise, wie Jes 29,13; Hld 1,12: Mein Geliebter ruht zwischen meinen
Brüsten. Das geschieht durch die Tätigkeit des Geistes und des Gedächt-
nisses; denn die Liebe bewirkt die Ekstase, übersteigt, wird hingerissen.
Die Seele ist größer, wo sie liebt (Bernh.), etc. Auf diese Weise ist Chris-
tus allen Gläubigen gegenwärtig, wo immer sie glauben und was sie auch
essen. – 2. Nur wirklich und fleischlich, wie Jona im Bauch des Fisches. –
3. Geistigerweise wirklich, wie Christus häufig.
Die Kirche hält in diesem Geheimnis stets den Mittelweg ein. Siehe
oben Sanctesius:7 Sabellius behauptete in der Trinität auch die Einheit
der Person; Arius sieht sie in der Übereinstimmung. Die Kirche geht den
Mittelweg. In der Menschwerdung, meinten einige, sei das Wort in Fleisch
verwandelt worden. Gegen sie sagt Athanasius: „Nicht durch Vermen-
gung des Wesens, sondern durch die Einheit der Person.“ Andere mein-
ten, nur als Gleichnis, so die Valentinianer.
Daraus ergibt sich die Art und Weise.
Ich sage die Wahrheit in Christus Jesus; ich lüge nicht: Mein Gewissen
bezeugt es mir im Heiligen Geist, daß ich in großer Trauer bin und in stän-
digem Kummer des Herzens. Ich wünschte ja ... für meine Brüder, die dem
Leib nach meine Stammesgenossen sind. Sie sind Israeliten, denen die
Annahme als Kinder eigen ist, die Herrlichkeit, der Bund (Röm 9,1-4).

326
Zum Sonntag in der
Fronleichnamsoktav
Nr. 38 (Zusammenfassung): 16. Juni 1596 VII,297-300

Die Einleitung ist vom Evangelium (Lk 14,16-24) zu nehmen. Sie wer-
den zum christlichen Abendmahl eingeladen, weil alles bereit und die
Speise erlesen ist. Ich bin einer der Diener, denen die Aufgabe übertragen
ist, einzuladen, etc.
Über das Sakrament der Eucharistie können wir nichts wissen, außer
durch das Wort Gottes. Wir dürfen uns durch keine Schwierigkeit vom
Ausspruch des Herrn abschrecken lassen und auch keine Ausflüchte su-
chen. Unsere Frage war, ob in der Eucharistie der wahre und natürliche
Leib Christi wirklich und tatsächlich gegenwärtig ist. Wir geben die Ant-
wort, daß er es ist. Christus sagt es ja ausdrücklich und die Gegner können
der Versicherung keine Verneinung entgegensetzen. Ferner haben wir
gesagt, daß Christus in dreifacher Weise von seinem Sakrament gespro-
chen hat: durch die Verheißung, beim Vollzug und in der Unterweisung.
Sehen wir die Verheißung.
1. Ich denke an Isaak, als er in Gerar im Reich Abimelechs unter den
Philistern war. Dort hatte Abraham gewohnt und Brunnen gegraben. Als
Isaak sich ihrer bedienen will, schütten die Philister sie mit Erde zu (Gen
26,15). Christus hat uns in der Heiligen Schrift Brunnen der Lehre gegra-
ben, aber die Philister schütten sie mit irdischen Deutungen zu. Wie lange,
Herr, wie lange sollen die Sünder triumphieren? (Ps 94,3). Mit beredten
Worten hat Christus (Joh 6,52) verheißen, in der Eucharistie sein Fleisch
zu geben. Unsere Feinde verschütten es mit Erde; und weil sie es nicht zu
fassen vermögen, sagen sie, hier handle es sich nicht um die Eucharistie,
sondern um den Genuß durch den Glauben.
Das widerlege ich nebenbei durch drei Gründe: 1. Wird nicht in der
Eucharistie auf besondere Weise der Leib Christi, das Fleisch Christi
genossen? Das sagen alle. Wovon also könnte man die Worte im 6. Kapi-
tel des Johannes-Evangeliums besser verstehen? Sie mögen es mir sagen.
Wenn Christus den Genuß von Fleisch in der Eucharistie hätte verheißen
wollen, wie hätte er es genannt, wie hätte er gesagt? Gewiß nicht anders.
In gutem Glauben also. – 2. Wenn es sich hier nicht um den sakramenta-
len Genuß handelt, dann war Christus wenig glaubwürdig; denn sein

327
Fleisch und sein Blut waren denen nicht unbekannt, die ihn sahen. – 3.
Der eine und der andere. Der Geist des Herrn wird über dich kommen, und
du wirst ein anderer Mensch werden (1 Sam 10,6). Der König von Frank-
reich wird ein Unrecht nicht ahnden, das dem Herzog von Orléans zuge-
fügt wurde. Daher kommt der erste Zweifel von der Schwierigkeit der
Sache, der zweite von der falschen Auffassung über die Art und Weise. Sie
dachten fleischlich. Glänzendes Eisen, bewegtes Eisen, nicht Seide. Nicht
die Seele spinnt, nicht die Seele weint, dennoch ist es die Seele, etc. Der
Geist ist es, der lebendig macht (Joh 6,64), aber er tut es nur im Fleisch. Es
ist erstaunlich: sie haben eine Auslegung voller Gotteslästerungen gefun-
den. Die Auslegung wird bestätigt, wenn er (6,65) sagt: Es gibt aber solche
unter euch, die nicht glauben, nämlich, daß dieses Fleisch vom Geist er-
füllt ist.
2. Sie wenden ein, daß es Brot genannt wird, am meisten von Paulus,
etc. Ich antworte: 1) Paulus nennt es Brot, weil Christus es ebenfalls Brot
genannt hat. Aus welchem Grund hat er es also Brot genannt? Ich antwor-
te: als Brot bezeichnet man allgemein Dinge von verschiedenem Ausse-
hen und Gehalt, daher ist der Name bei allen ein Gattungsbegriff; es
bezeichnet eher Dinge, die nach Gestalt und Bestimmung übereinstim-
men als im Stoff. Daher: Das ist wahrhaft Brot, weil es im Brot zweierlei
gibt: Stoff und Form. Es ist nicht nötig, daß es derselbe Stoff ist, so als
wenn jemand sagte: Sirup, Augensalbe, Speise, Medizin. Bei den Hebrä-
ern ist die Bezeichnung allgemein üblich, so: Nicht vom Brot allein lebt
der Mensch (Mt 4,4). So wird das Manna (Ex 16,15) Brot genannt. Etwas
wird als das bezeichnet, was es war: Staub bist du und wirst zurückkehren
zur Erde (Gen 3,19). So Wasser, das zu Wein geworden ist (Joh 2,9). Das
ist nun Bein von Beinen (Gen 2,23). Blinde sehen (Mt 11,5; Lk 7,22). – 3)
Wie Engel sehr oft Menschen genannt werden. Daher ist es aus allen
Gründen ganz wahrhaftig Brot.
Die Christen gleichen Hirschen, wenn sie Speisen essen, die nicht mehr
frisch sind. Schafft den alten Sauerteig fort; laßt uns essen ... (1 Kor 5,7f).
Wenn nämlich die Hirsche zu hartes Futter fressen, werfen sie das Ge-
weih ab und müssen sich verstecken.

328
Zum Oktavtag von Fronleichnam
Nr. 39 (Fragment): 20. Juni 1596 VII,301f

Die Einleitung ist von Abraham zu nehmen, der Gott im Tal Mamre in
der Person von Engeln empfing (Gen 18,1-8) und sagte: Herr, wenn ich
Gnade in deinen Augen gefunden habe, dann zieh nicht an deinem Skla-
ven vorbei. Ich will ein wenig Wasser bringen, dann sollen eure Füße gewa-
schen werden. Ruht unter dem Baum aus. Ich werde einen Bissen Brot
bringen, und euer Herz wird gestärkt werden. Dann mögt ihr weiterziehen.
Denn deswegen seid ihr zu eurem Sklaven abgebogen. Sie sagten: Tu, wie
du gesagt hast ... Eile, mische drei Maß Mehl und mache auf Asche gebak-
kene Brote ... Er selbst brachte das zarteste und beste Kalb. Butter und
Milch ...
Wie wunderbar versinnbildet dies das Mahl der Eucharistie, in der um-
gekehrt der Herr dem Menschen gibt ... Doch wie sollen wir uns ausdrük-
ken?
Artaxerxes (gab sein Mahl), um die Reichtümer seines Ruhmes zu zeigen
(Est 1,4), Christus jedoch, um die Reichtümer der Güte zu zeigen. Da er
die Seinen liebte, liebte er sie bis zum Äußersten (Joh 13,1). Schon am
Kreuz erwies er seine Liebe und tat ein Zweifaches: denn er brachte sei-
nem Vater seinen Geist und sich selbst ganz dar, uns vorzüglich seinen
Leib und sich selbst ganz. Denkt an Elija im feurigen Wagen; er fährt zu
Gott auf und läßt dem Jünger den Mantel mit dem zweifachen Geist
zurück (2 Kön 2,11-15). Aber als sinnfälligeres Vorbild wird das Oster-
lamm Gott geweiht und vom Hausvater mit den anderen gegessen. In der
Eucharistie bringt sich ebenso das wahre Osterlamm, der wahre Elija und
der gleiche Gekreuzigte dem Vater dar und schenkt sich uns. Einerseits
Sakrament, andererseits Opfer.
Um aber der Reihe nach vorzugehen, wollen wir von neuem nachwei-
sen, daß Christus wahrhaft unter den Gestalten von Brot und Wein ent-
halten ist. Das haben wir in der letzten Predigt aus der Verheißung bewie-
sen, sehr klar, wenn ich mich nicht täusche. Nun aus den Worten der
Einsetzung, wie sie uns vorliegen. Christus lehrte zweimal den Ritus der
Einsetzung, wie ich zu bemerken pflege: 1. bei der Einsetzung, die die
Evangelisten berichten, 2. indem er Paulus belehrte, nachdem er in den
Himmel aufgefahren war: Denn ich habe vom Herrn empfangen (1 Kor
11,23). – – –

329
Bei einer Kircheneinweihung

Nr. 42: Frühjahr 1597 VII,311-319

Zachäus, steig schnell herunter, denn heute muß ich


in deinem Haus bleiben. Da stieg er schnell herab und
nahm ihn voll Freude auf.
(Lk 19,5f)

Die Sonne umkreist die ganze Erde und belebt alles, was sich ihren
Strahlen öffnet und darbietet. Als Unser Herr durch die Stadt Jericho
zog, bot sich seinem lichtvollen Auge der Anblick des Zachäus, der des
Todes vieler Sünden gestorben war; er erweckte ihn ebenso wieder zum
Leben und bewirkte in ihm eine der bewundernswertesten Bekehrungen,
die es je gab. Über diese Bekehrung kann ich nichts sagen, was für eure
Seelen vorteilhaft und nützlich ist, wenn nicht Unser Herr auch mich
erleuchtet und meinem Mund Worte des Lebens (Joh 6,69) gibt. Damit er
uns die Gnade dazu gibt, stellen wir uns der seligsten Jungfrau vor, und
um ihren Blick uns zuzuwenden, sagen wir Ave Maria.
Gott ist stets im Himmel und auf Erden an allen Orten durch seine
Allgegenwart, wie Jeremia (23,34) sagt: Ich erfülle Himmel und Erde;
und der hl. Paulus (Apg 17,27f): Keinem von uns ist er fern, denn in ihm
leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Dennoch gibt es bestimmte Orte,
die ihm geweiht sind und Haus Gottes genannt werden, Wohnung, Ort,
Tempel, Zelt Gottes; nicht etwa, weil er dort mehr als anderswo wäre (aus
der Sicht Gottes gesprochen), sondern weil er hier in besonderer Weise
seine Gnaden und Segnungen verleiht und hier mehr seine Herrlichkeit
zeigt.
Das wollen unsere Gegner nicht begreifen, um einen Anlaß zu finden,
sich von der Kirche, ihrer gütigen Mutter, zu trennen und ein eigenes
Hauswesen zu gründen, um besser ihren Hirngespinsten zu folgen. Sie
sagten denen, die ihnen Gehör schenken wollten, wir hätten behauptet,
Gott sei nicht überall und höre unsere Gebete nicht überall, sondern in
der Kirche habe er „das Ohr näher bei uns“, um den Ausdruck ihres
Meisters (Calvin) zu gebrauchen. Doch das sind reine Lügen, und in die-
sem Punkt wie in allem möchten sie glauben machen, ihre Mutter sei
geistesgestört, um sich dem Gehorsam gegen sie zu entziehen. Es ist doch

330
die Kirche, die jeden Tag singt: „Erfüllt sind Himmel und Erde von seiner
Herrlichkeit.“ Die Kirche läßt uns sagen: „Gott, du hältst unsichtbar al-
les umschlossen.“ Sie ist es, die (Ps 139,8) singt: Wenn ich zum Himmel
hinaufsteige, bist du dort; steige ich hinab in die Unterwelt, du bist da. Von
der Kirche, ihr Hugenotten, habt ihr gelernt, was ihr von der Unbegreif-
lichkeit und Unermeßlichkeit Gottes wißt, wenn ihr etwas davon wißt.
Wir wissen wohl, daß Gott überall ist und daß er denen nahe ist, die ihn
anrufen (Ps 95,18), wo immer das sein mag. Wir wissen dennoch auch
gut, daß er in besonderer Weise an den Orten gegenwärtig ist, die ihm
geweiht sind, daß er hier freigebiger seine Gnaden verleiht, da es ihm
wohlgefällig ist, daß er hier angebetet wird.
Daher nennt er diesen Ort sein Haus: Mein Haus ist ein Haus des Gebe-
tes (Mt 21,13). Er nennt ihn seine Wohnung, den Ort seiner Ruhe: Bis ich
einen Ort für den Herrn gefunden habe, ein Zelt für den Gott Jakobs (Ps
132,5). Der Berg Zion, auf dem du in ihm wohnst (Ps 74,2). Schließlich
muß er hier mehr als anderswo wohnen, da Salomo (2 Chr 6,21) bittet,
daß du die Gebete deines Dieners an diesem Ort erhörst. Seht ihr, daß es
ein bestimmter Ort ist? Denn wenn alles einerlei wäre, warum sagte er
dann: an diesem Ort? Und in Ex (25,22) heißt es: Und ich werde künftig
mit dir sprechen inmitten der Kerubim. Ich will mich aber dabei nicht
aufhalten, denn ich denke nicht, daß hier jemand ein solcher Feind der
alten Zeit wäre, daß er die Kirche nicht besonders als Haus Gottes ehrte.
Ich will euch nur ein Argument in dieser Hinsicht in die Hand geben, das
ihr den Regsamsten unserer Gegner vorhalten könnt.
Wenn Gott an allen Orten ist und es keinen Ort gibt, der ihm mehr
geweiht ist als ein anderer, dann sagt mir, warum wir irgendein Fest fei-
ern. Denn wenn er an allen Orten ist, dann auch in allen Zeiten. Warum
gibt es dann Tage, die man heilige, geweihte, gewidmete nennt, die Tage
Gottes, Tage des Herrn (Ex 10,10 u. a.) heißen? Ist Gott in diesen Tagen
mehr als in anderen? Wahrlich nicht. Warum werden sie dann eher Tage
Gottes genannt als die anderen? Ach, sagt ihr mir, weil Gott sie sich
vorbehalten hat. So hat er auch bestimmte Orte. Mein Haus ist ein Haus
des Gebetes (Mt 21,13). Deinem Haus, Herr, geziemt Heiligkeit (Ps 93).
Wahrlich, dieser Ort ist heilig, und ich wußte es nicht. Es ist heiliger Boden
(Gen 28,16f; Ex 3,5). Ihr werdet mir sagen: weil Gott uns an diesen Tagen
Erholung und andere Gunsterweise schenkt. Auch an bestimmten Orten
erweist er uns mehr Wohltaten als an anderen.
Gott ist an allen Orten, Gott ist in allen Zeiten; es gibt bestimmte
Zeiten, zu denen er besonders geehrt werden will; warum sollte es nicht

331
bestimmte Orte geben? Das ist wie bei unserer Seele, die überall im Leib
ist, und doch sagt man, daß sie im Herzen und im Kopf ist. So ist Unser
Herr in besonderer Weise im Himmel, um dort seine Herrlichkeit zu
offenbaren, und in den Kirchen, weil er hier in besonderer Weise seine
Gnaden verleiht. Ich weiß wohl, daß der hl. Paulus irgendeinmal (Apg
17,24f) gesagt hat, daß Gott nicht in Tempeln wohne. Aber das sagte er zu
den Athenern, die an Götzen glaubten, um ihnen zu zeigen, daß es nur
einen Gott gibt, der Himmel und Erde erfüllt und keiner Tempel bedarf.
Der hl. Stephanus spricht wohl auch einmal (Apg 7,48f) davon, das rich-
tete sich aber gegen die Juden, die glaubten, daß es außer dem Tempel
keinen geweihten Ort geben dürfte, und die meinten, außerhalb von ihm
dürfte Gott nie feierlich angerufen werden.
Es ist eine allgemeine Regel: wenn man sieht, daß die Heilige Schrift
etwas einerseits bestätigt, andererseits verneint, dann darf man die Ver-
neinung nie absolut verstehen, sondern nur unter einer bestimmten Vo-
raussetzung. Wenn sie daher sagt, daß Gott nicht in Tempeln ist, dann ist
das so zu verstehen, wie dort geschaffene Dinge sind, die so an einem Ort
sind, daß sie nicht an einem anderen sein können. Wenn sie versichert,
daß er an bestimmten Orten ist, dann ist das im Sinn der Mitteilung seiner
Gnaden zu verstehen. Schließlich ist er im Tempel nicht eingeschlossen
und von ihm nicht ausgeschlossen. Davon ist die große Ehrfurcht gekom-
men, die die Gläubigen zu allen Zeiten für die Kirchen hegten. Unser
Herr lehrte sie, als er sagte: Mein Haus ist ein Haus des Gebetes (Mt
21,13). David (Ps 26,8): Ich liebe die Zierde deines Hauses. Vor allem die
Christen müssen dafür größere Ehrfurcht haben als die anderen. Denn
wenn die Juden ihren Tempel so ehrten, in dem man nur Tiere opferte,
welche Ehrfurcht müssen dann die Christen haben. Sie wissen, daß die
Kirche der Ort ist, an dem Jesus Christus geopfert wird, wo der Leib
Unseres Herrn aufbewahrt wird. So können wir wohl sagen, was der gute
Mensch Jakob (Gen 28,16) sagte, als Gott ihm seine Wunder mitteilte:
Wahrhaftig, der Herr ist an diesem Ort.
Mir scheint, die Kirche will uns vor allem darüber belehren, wenn sie
uns im Evangelium eine große Wirkung der Gegenwart Unseres Herrn
an einem bestimmten Ort vor Augen stellt am Beispiel, das in der Person
des Zachäus sich ereignete. Dabei belehrt sie uns auch, was wir tun müs-
sen, damit Jesus Christus bei uns Wohnung nimmt. Wir sind ja Tempel
Gottes, für die die anderen Tempel erbaut wurden: Wißt ihr nicht, daß ihr
der Tempel Gottes seid und der Heilige Geist in euch wohnt? (1 Kor 3,16).

332
Deshalb sagt der hl. Lukas (19,1-10): Als Unser Herr durch die Stadt
Jericho zog, da wollte ein Mann namens Zachäus, der Oberzöllner und
sehr reich war, Unseren Herrn sehen, was für ein Mensch er sei. Seht ihr, wie
notwendig es ist, daß Unser Herr zuerst zu uns kommt? Wäre er nicht
nach Jericho gekommen, hätte ihn Zachäus nie gesehen, wie er später
treffend sagt: Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten,
was verloren war.
Als nun Zachäus erfuhr, daß Unser Herr in die Stadt gekommen war,
und wegen der großen Volksmenge, die er sich um ihn drängen sah, um
ihm nahezukommen, erkannte er, daß er ihn im Gedränge nicht sehen
konnte, weil er klein von Gestalt war. Da lief er voraus und stieg auf einen
Maulbeerfeigenbaum. Er war nicht wie manche, die für die Sache Gottes
keinen Schritt tun; er war vielmehr voll Eifer, diese günstige Gelegenheit
nicht zu versäumen. Und wie der Mensch unter einem Baum getäuscht
wurde, so steigt dieser auf einen Baum, um vom Irrtum loszukommen
und Unseren Herrn zu sehen. Während er also Unseren Herrn auf dem
Baum erwartete, sobald er vorüberkäme, da schaut dieser den Mann mit
einem Blick der Liebe und des Erbarmens an. Er sieht sein Verlangen,
ihn zu sehen, und gibt ihm Gelegenheit, ihn nicht nur zu sehen, sondern
sich auch seiner Gegenwart zu erfreuen, und sagt zu ihm: Zachäus, steig
eilends herunter, denn heute muß ich in deinem Haus bleiben. Da stieg er
schnell herab und nahm ihn voll Freude auf in seinem Haus. Zachäus
macht schnell und beeilt sich. Meiner Meinung nach wird es aber gut sein,
wenn wir dabei ein wenig verweilen.
Er nennt Zachäus bei seinem Namen und zeigt ihm damit, daß er es
war, der alle Dinge bei ihrem Namen nennt (Jes 43,1; 45,4) und alles
weiß, daß er Gott war. Zachäus hatte ihn ja nie gesehen, noch Unser Herr
den Zachäus. Und nachdem er sich ihm geoffenbart, bittet er zugleich, in
sein Haus aufgenommen zu werden; und nicht nur aufgenommen zu wer-
den, sondern daß er sich beeile; und Zachäus gehorcht sogleich. Hier
müssen wir unsere Lektion lernen. Es gibt ja viele, die sich wohl ent-
schließen wollten, Gott zu dienen, aber sie tun es so matt, daß sie schon
deswegen zu tadeln sind. Wir wüßten nicht, daß man Gott dienen muß?
Und wer von den Christen, der die große Belohnung kennt, die Gott
seinen Dienern gibt, wünschte ihm nicht zu dienen? Doch wie? Sie verlie-
ren jedes Verdienst, weil sie so sehr zögern. Sie machen es wie die Braut
im Hohelied (5,2-6). Als sie ihren Bräutigam an der Tür vernahm, mach-
te sie Schwierigkeiten aufzustehen und ihm zu öffnen. Nachher wollte sie

333
ihm öffnen, aber er war nicht mehr da. Sie suchte ihn und fand ihn nicht
mehr. Ebenso fühlen viele, die in ihrer Bosheit liegen, daß Gott an die
Tür pocht, und stellen sich taub. Nachher möchten sie beichten, weil man
sterben muß und weil sie die Schönheit der Tugend kennen; sie machen es
aber wie der Faule: Der Faule will und will doch nicht (Spr 13,4). Sie
machen es wie die Leute im Buch der Sprichwörter (1,16): Ihre Füße
eilen zum Bösen. Um aber Gutes zu tun, machen sie es wie die Geladenen
mit einer Fülle von Entschuldigungen (Lk 14,18-20). Sie machen es wie
die törichten Jungfrauen (Mt 25,8): Gebt uns von eurem Öl, sagten sie, als
sie den Bräutigam kommen hörten, aber ach, es war zu spät.
Wißt ihr nicht, was Joab (2 Sam 2,24-27) dem Abner antwortete? Er
hatte ihn so stürmisch verfolgt, daß Abner nach Sonnenuntergang sah,
wie Joab ihn trotzdem weiter verfolgte, um sie zu schlagen; da rief er aus:
Soll denn dein Schwert immer zum Morden wüten? Joab antwortete: Beim
Leben Gottes, hättest du am Morgen gesprochen, dann hätte dein Volk
von der Verfolgung abgelassen. So ist es zu spät, an gute Führung zu den-
ken, wenn die Stunde des Todes gekommen ist, wenn für uns die Sonne
untergegangen ist, ohne je wieder aufzugehen. Das sagt der Weise in den
Sprichwörtern (28,5): Die Bösen denken nicht an das Gericht. Pharao zog
eilfertig in das Rote Meer, um die Israeliten zu verfolgen, und dachte
nicht früh genug an den Rückzug. Hätte er sich am Anfang zurückgezo-
gen, hätte er sich gerettet. Er wollte sie so sehr verfolgen, daß er blieb, zu
spät erkannte und ausrief: Laßt uns vor Israel fliehen, denn der Herr kämpft
für sie gegen uns (Ex 14,25). Es ist zu spät, zum Arzt zu gehen, wenn man
gestorben ist. Zachäus war also gut beraten, daß er sogleich kam, um
Unseren Herrn aufzunehmen, der ihm eine so große Reue verlieh, daß er
viermal so viel erstattete, was er gestohlen hatte, und die Hälfte seines
Besitzes den Armen gab. Daher nennt ihn Unser Herr einen Sohn Abra-
hams wegen seines Glaubens und seiner künftigen Rettung; er verheißt,
daß diesem Haus Heil widerfahren ist (Lk 19,8f).
Meine Brüder, ihr möchtet wohl, daß ihr gerettet seid, aber Unseren
Herrn aufnehmen, wenn er euch ruft: nichts weniger. Genugtuung leisten
und Buße tun, die Gelegenheit zur Sünde aufgeben: nichts weniger. Un-
ser Herr hat gut rufen: Stolzer, steig herunter von deiner Höhe; Fauler,
bekehre dich schnell; Unzüchtiger, laß ab von deiner Wollust, denn ich
will zu dir kommen; Geiziger, laß ab vom Wucher, nimm nicht so viel vom
armen Arbeiter, nage nicht diese mageren und von soviel Arbeit geschun-
denen Knochen so sehr ab. Schmeichelt euch nicht damit, daß man davon

334
nichts hört, daß man davon nichts weiß, denn diese Dinge werden euch
eines Tages sehr hart vorgehalten werden und Jesus Christus wird sich
beklagen, daß er euch belehrt hat, davon abzulassen. Ihr werdet fragen,
wann, und er wird euch sagen: Wer euch hört, der hört mich, wer euch
verachtet, der verachtet mich (Lk 10,16).
Wollt ihr das Heil? Macht es wie Zachäus, geschwind; beginnt jetzt. Es
kann nie zu früh sein, wohl aber zu spät: Gott hat den Bußfertigen Verge-
bung verheißen, die Zeit zur Buße hat er nicht versprochen. Als David
den Verweis des Propheten hörte, sagte er: Ich habe gesündigt (2 Sam
12,13); macht es wie er. Als Maria Magdalena erkannte, brachte sie ein
Gefäß von Alabaster (Lk 7,37). Wie könnte ich doch zu vielen sagen, was
Mose sterbend den Israeliten (Dtn 31,27; 9,7) vorgehalten hat: Seit dem
Tag des Auszugs aus Ägypten seid ihr gegen den Herrn widerspenstig gewe-
sen. Man muß davon ablassen. Hört auf, Verkehrtes zu tun, fangt an, recht
zu handeln (Jes 1,16f). Seid nicht wie jene, von denen es (Ps 58,5) heißt:
Ihre Wut gleicht jener der Schlange, der tauben Natter, die ihre Ohren ver-
schließt; und wie bei Jesaja (28,13): An sie ergeht das Wort des Herrn:
Ordne an und ordne wieder an ... Ps 76,6: Alle Reichen schliefen ihren
Schlaf und hatten nichts in Händen, wenn nicht das Wort aus den Klage-
liedern (1,9) zutrifft: Sein Schmutz klebt an seinen Füßen; er hat nicht an
sein Ende gedacht.

335
336
C. Briefe und Memoranden

Einleitung

Sowohl die „Kontroversen“ als auch die Predigten richteten sich an die
Allgemeinheit; Franz von Sales strebte aber eine Auseinandersetzung mit
den Prädikanten an, um sie von ihren Irrtümern zu überzeugen und sie zur
Rückkehr in die Kirche zu bewegen. Daher forderte er sie in seinen Predig-
ten bewußt heraus. An seinen Freund Antoine Favre schrieb er am 18.
September 1595 (OEA XI,159f), er habe unwiderlegbare Schriftbeweise
angekündigt, und fährt fort:

Sie erkennen zu recht, daß durch solch große Worte sie und ihr Geist in
die Arena gerufen werden, so daß sie, falls sie nicht kommen, allgemein
für feige gehalten werden, da sie sich vor dem Eindruck der katholischen
Lehre fürchten, auch wenn sie von einem – ich weiß nicht, wie schwachen
– Menschen vorgetragen wird.
Es ist wohl sicher, daß sie sich bald zum Gespräch herbeilassen und
gemäß dem Sprichwort kapitulieren werden. Nach Mitteilung des An-
walts du Crest wollen die Herren von Thonon auf gemeinsamen Ent-
schluß uns ihr sogenanntes Glaubensbekenntnis schriftlich übergeben,
damit wir, sofern ein Unterschied zu uns besteht, darüber in vertrauten
persönlichen Gesprächen oder in privaten Schriften verhandeln. Manche
wollten damit ihren Prädikanten beauftragen, andere waren aus Vorsicht
dagegen, daß er es mit uns aufnimmt, damit er nicht durch scholastische
Spitzfindigkeiten besiegt werde, da er von Philosophie nichts versteht.
Gewiß sind wir auf dem rechten Weg, wenn sie den Kampf durch ihren
Vertreter aufnehmen, unsere schwachen Kräfte so sehr fürchten und über
die Bedingungen verhandeln. Wir haben durch Gottes Gnade guten Mut
und erwarten mit Freuden voll Zuversicht, daß diese Auseinandersetzung
günstig sein wird.

337
I. Bemühungen um einen
mündlichen Dialog
1. Die Prädikanten fürchteten sich offenbar vor einer mündlichen Auseinanderset-
zung mit Franz von Sales. Nach den Predigten der ersten Monate und der offiziel-
len Ankündigung der „Kontroversen“ wurde Louis Viret, der Prädikant von Tho-
non, doch beauftragt, sich ihm zu stellen. Er ließ Franz von Sales eine offizielle
Aufforderung zustellen, erschien auch wie dieser zur festgesetzten Stunde im Rat-
haus, erklärte aber, er könne nicht mit ihm disputieren, denn der Herzog habe
öffentliche Streitgespräche verboten. (Vgl. dazu E. J. Lajeunie, Franz von Sales,
Eichstätt 1975, S. 145.)
Nachdem Franz von Sales den Baron d’Avully, einen der angesehensten Reformier-
ten im Chablais, in monatelangen Glaubensgesprächen zur öffentlichen Abschwö-
rung (am 19. 2. 1596) bewogen hatte, legte dieser seine Gründe für den Übertritt
dem Prädikanten Viret vor, der sie nach Genf weiterleitete. Darauf erklärte der
Genfer Theologe Antoine de La Faye, er wolle den „Renegaten“ in Thonon seines
Irrtums überführen, uzw. in Gegenwart des „Papisten“. Da er nicht erschien, aber
das Gerücht verbreitet wurde, der Propst habe sich nicht gestellt, ging Franz von
Sales mit dem Baron d’Avully, anderen Neubekehrten und Zeugen nach Genf. Das
Streitgespräch fand zwar nicht spektakulär auf dem Molarplatz statt, wie ältere
Biographen berichten, sondern im Haus des Professors. Es wurde von Louis de
Sales genau protokolliert. Als Themen wählte La Faye die Einheit der Kirche, die
Eucharistie, die guten Werke, das Fegefeuer und die Anrufung der Heiligen. Beim
letzten Punkt geriet La Faye in Wut und brach das Gespräch ab (vgl. Lajeunie,
a.a.O., S. 148f).

2. Franz von Sales suchte die theologische Auseinandersetzung auch mit Théodore de
Bèze, dem Nachfolger Calvins, selbst und wagte dazu jene drei Besuche bei ihm in
Genf, die so verschieden beurteilt wurden. Ein wichtiger Grund für die gegensätz-
liche Beurteilung auf protestantischer und katholischer Seite muß in der strengen
Geheimhaltung der Gespräche gesehen werden, die im Interesse der Sicherheit
beider Teilnehmer geboten war. Sie hatte zur Folge, daß dem Historiker keine
einzige dokumentarische Quelle auf Genfer Seite zur Verfügung stand. Die katho-
lischen Quellen bestehen außer drei Dokumenten in den Aussagen der Zeugen
beim Seligsprechungsprozeß; sie erlauben eine zuverlässige Darstellung des Ablaufs
und des Inhalts der Gespräche (vgl. Lajeunie, a.a.O., S. 171-176).
Franz von Sales hatte offenbar Informationen, die ihn hoffen ließen, Beza könnte
überzeugt und zur Rückkehr in die Kirche bewogen werden. Er beauftragte den
Kapuziner Esprit de Beaumes, der 1596 zum Generalkapitel seines Ordens nach
Rom reiste, seinen Plan dem Papst vertraulich vorzutragen und dessen Billigung zu
erlangen. Clemens VIII. richtete am 1. 10. 1596 (OEA XI,453) ein Breve an ihn,
das ihm (wohl der Geheimhaltung wegen) lediglich einen mündlichen Auftrag durch
P. Esprit ankündigte:

338
An den geliebten Sohn Franz von Sales, Propst der
Kathedralkirche von Genf, Papst Clemens VIII.

Geliebter Sohn, Gruß und apostolischen Segen.

Der Ordensmann und Prediger des Wortes Gottes, Frater Esprit aus
dem Kapuzinerorden, hat Uns von deinem frommen Eifer für die Ehre
Gottes berichtet, was Uns sehr willkommen war. Er wird in Unserem
Namen erklären, was zur Ehre Gottes gereicht und Uns sehr am Herzen
liegt. Du wirst ihm vollen Glauben schenken so wie Uns selbst; und du
wirst jene Sorgfalt walten lassen, die Wir von deiner Klugheit und von
deiner Ergebenheit sowohl gegen Uns als auch gegen diesen Heiligen
Stuhl erwarten; und Wir segnen dich väterlich.
Gegeben zu Rom bei St. Markus, unter dem Ring des Fischers, am 1.
Oktober 1596, im 5. Jahr Unseres Pontifikates.
Sylvius Antonianus.
Erst nach mehreren Versuchen gelang es dem Propst in der Osterwoche 1597,
gemeinsam mit Louis de Sales, Beza allein zu treffen. Die offen geführte Debatte
führte zum Eingeständnis Bezas, daß die katholische Kirche die Mutterkirche ist und
man daher in ihr sein Heil wirken kann, in der Frage der guten Werke konnte jedoch
keine Einigung erzielt werden; Beza lud aber seinen Gesprächspartner ein, ihn wieder
zu besuchen, in einem Schreiben an Papst Clemens VIII. (OEA XI,268-272) berich-
tet Franz von Sales über das Gespräch:

Im vergangenen Jahr haben P. Esprit de Beaume, ein Prediger aus dem


Kapuzinerorden, und ich selbst, überzeugt durch gewichtige Aussagen
vieler Leute, auf die Bekehrung Bezas, des Ersten unter den häretischen
Calvinisten, und auf seine Rückkehr zur katholischen Kirche zu hoffen
begonnen. Um für eine so wünschenswerte Sache es weder an unseren
Bemühungen fehlen zu lassen noch Mittel zu vernachlässigen, sind wir
übereingekommen, daß P. Esprit, der zum Generalkapitel seines Ordens
nach Rom kommen sollte, die ganze Angelegenheit der Güte Eurer Hei-
ligkeit unterbreiten und Sie bitten sollte, daß es dem Häresiarchen (wenn
das Gerücht sich bestätigt) nicht an der apostolischen Fürsorge fehle.
Meine Aufgabe war es, so klug und sorgfältig als möglich aus dem Mund
Bezas selbst seine innerste Gesinnung zu erfahren und mich mit ihm
auseinanderzusetzen.
Dazu benützte ich verschiedene Vorwände, um öfter nach Genf zu kom-
men; es war aber nie möglich, zu einem persönlichen und geheimen Ge-
spräch mit ihm zu kommen, außer am letzten Osterdienstag, an dem ich

339
ohne Schwierigkeiten Beza allein begegnete. Als ich ihn schließlich ver-
ließ, nachdem ich mit allen Mitteln versucht hatte, ihm die innerste Über-
zeugung zu entlocken und den Stein zu bewegen, soweit es durch mich
geschehen konnte, mußte ich erkennen, daß sein Herz versteinert ist, un-
beweglich bis jetzt oder noch nicht ganz aufgerüttelt, ein verhärteter Greis,
reich an bösen Tagen. Soweit ich mir aus seinen Worten ein Urteil bilden
kann, meine ich, wenn man häufiger, mit größerer Sicherheit und beque-
mer zum Gespräch an ihn herankommen könnte, könnte er vielleicht
zum Schafstall des Herrn zurückgeführt werden; aber bei einem Achtzig-
jährigen ist jede Verzögerung gefährlich. Auf all das mußte ich Eure Hei-
ligkeit aufmerksam machen, denn ich wollte nicht für nachlässig und
unaufmerksam gelten und nachlässig in der Ausführung von Aufträgen,
die mir Eure Güte durch ein Apostolisches Schreiben und mündlich durch
P. Esprit übermittelt hat.
Und da Ihre große Güte mich dazu ermächtigt, möchte ich es nicht
unterlassen zu sagen, daß die bisher noch häretische Bevölkerung in der
Umgebung von Genf, in den sogenannten Balleien Gex und Gaillard,
demütig um die Wiederherstellung des katholischen Glaubens und Kul-
tes bittet, damit sie künftig als Katholiken leben können. Ich hörte stän-
dig viele unter ihnen klagen, daß sie, obwohl katholisch, durch die Tyran-
nei von Genf gehindert werden, ihre Pflichten als Katholiken zu erfüllen,
um so mehr, als diese Republik die tyrannische Macht nicht im eigenen,
sondern im Namen des allerchristlichsten Königs von Frankreich ausübt.
Es ist unwahrscheinlich, daß der König um den Zwang weiß, der auf die
Gewissen der Katholiken ausgeübt wird, er, der jüngst mit solchem Eifer
seine Vereinigung mit der katholischen Kirche vollzogen hat. Daher möch-
te ich gern glauben, daß manches viel besser würde, wenn der König selbst
durch den Apostolischen Stuhl auf diese Dinge hingewiesen wird. Wenn
dann der König selbst etwas nachdrücklicher von der Republik Genf
verlangt, das, was sie Gewissensfreiheit nennen, in der Stadt selbst zuzu-
lassen, ist schließlich ein Erfolg nicht ganz unwahrscheinlich. Heiliger
Vater, in dringenden und wichtigen Dingen lohnt es sich, auch etwas zu
wagen. Ich habe das Eurer Heiligkeit ausführlicher darzulegen gewagt, da
ich wohl weiß, daß Eure Güte auf die Wiederherstellung des christlichen
Glaubens und Kultes großen Eifer verwendet, und weil (nach der Natur
dieser Sterblichkeit) die Dinge in der Ferne nur durch Anwesende erfah-
ren werden können.
Christus, der Gütigste und Größte, möge Eure Heiligkeit seiner Kirche
möglichst lange unversehrt erhalten.

340
Demütigst zu Füßen Eurer Heiligkeit, die ich küsse, bin ich Ihr erge-
benster Diener Franz von Sales,
der unwürdige Propst der Kirche von Genf.
Annecy, in der Diözese Genf, am 21. April 1597.
Clemens VIII. schrieb zu den Ausführungen über den König von Frankreich eigen-
händig: „Aufmerksam machen, daß nach Frankreich geschrieben wird;“ und auf der
Rückseite des Schreibens: „Auf diese Sache mit einem Breve antworten.“ Dieses
Breve trägt das Datum vom 29. Mai 1597 (OEA XI,433f):

An den geliebten Sohn Franz von Sales, Propst der Kathedralkirche


von Genf, Papst Clemens VIII.
Geliebter Sohn, Gruß und apostolischen Segen.
In deinem Schreiben haben Wir ein Bemühen um den katholischen
Glauben und einen Eifer für das Heil der Seelen gesehen, der eines Die-
ners Gottes, eines zum Anteil des Herrn Berufenen durchaus würdig ist,
und Wir haben erkannt, was du bisher unternommen hast, um jenes verlo-
rene Schaf zum Schafstall Christi zurückzuführen.
Deinen Eifer, Sohn, und dein Bemühen empfehlen wir dem Herrn.
Obwohl die Sache, deren glücklichen Ausgang Wir sehr wünschen, auf
ungewöhnliche Schwierigkeiten stößt, wie du schreibst, die aber dennoch
das Werk Gottes ist, dessen Ehre Wir wünschen und auf dessen Erbarmen
und Hilfe Wir Uns stützen, ermahnen Wir dich deshalb eindringlich, daß
du nicht von dem Bemühen abläßt und nicht aufgibst, was du einmal
unternommen hast. Dränge mit Hilfe der Gnade Gottes weiter. Wir hof-
fen ja, daß dein Bemühen im Herrn nicht vergeblich sei.
Was jene Bevölkerung betrifft, von der du berichtest, daß sie die Wie-
derherstellung der katholischen Religion sehnlich verlangt, kommt es
Uns sehr gelegen, daß Wir darüber in dem Sinn schreiben, wie es die
Sache erfordert und du vorschlägst. Unternimm du indessen, was du mit
Gottes Hilfe vermagst; und Wir segnen dich väterlich.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, unter dem Ring des Fischers, am 29.
Mai 1597, im 6. Jahr Unseres Ponifikates.
Sylvius Antonianus.
Am 3. Juli 1597 traf Franz von Sales, begleitet von Antoine Favre und dessen
Sekretär Serge Saget, Beza zum zweitenmal. Im Mittelpunkt des dreistündigen Dis-
puts stand die Einheit der Kirche. Auch darüber konnte keine Einigung erzielt wer-
den, Beza erklärte allerdings beim Abschluß, er sei bereit, seine Religion aufzugeben,
falls man ihm nachweisen könne, daß er im Irrtum sei. Er bitte Gott, ihn das erken-
nen zu lassen.

341
Bei einem dritten Besuch, dessen Datum und Thema unbekannt sind, bot der Propst
im Auftrag des Papstes Beza eine angemessene Rente an, wenn er Genf verlassen
wolle (und damit seine Einkünfte verloren hätte). Dieses Angebot wurde Franz von
Sales am meisten angekreidet, als hätte er damit auf unwürdige Weise die Konversion
Bezas erkaufen wollen; tatsächlich sollte damit ein schwerwiegendes Hindernis für
eine freie Entscheidung beseitigt werden. Franz von Sales kannte die Existenzproble-
me vieler Konvertiten und hat oft zu helfen versucht. Offenbar hatte er diese Frage
dem Papst schon durch P. Esprit vortragen lassen. Er sollte mit ihm die ganze Sache
erörtern. „peteretque ne redeunti haeresiarchae (si videlicet rumorem sequatur even-
tus) Apostolica desit providentia“ (OEA XI, 269). Diese „apostolische Fürsorge“ war
das Angebot der Rente. (Die Übersetzung von providentia als „bienveillance“, d. h.
„Wohlwollen“ durch die Redaktion der Annecy-Ausgabe verwischt diesen Zusam-
menhang.)
Beza konnte sich, obwohl ihm durch dieses Angebot die Sorge um seine materielle
Existenz für den Rest seines Lebens abgenommen worden wäre, nicht zur Konversion
entschließen. Er starb 1606, arm, von seiner Umgebung beargwöhnt und streng
überwacht. Die Geheimhaltung seiner Gespräche mit Franz von Sales hatte also ihre
guten Gründe. Um diese Zeit liefen bereits die Verhandlungen über offizielle öffent-
liche Glaubensgespräche mit den Genfer Prädikanten, für die man um die Genehmi-
gung von Rom angesucht hatte (s. unten Nr. 4). Im Entwurf des Schreibens vom 21.
4. 1597 hatte Franz von Sales von seiner Hoffnung auf die Rückkehr Bezas gespro-
chen, „wenn man etwas häufiger, sicherer und bequemer zum Gespräch an ihn heran-
käme“, im Schreiben selbst aber wohl bewußt nicht fortgesetzt wie im Entwurf: „vor
allem aber, wenn mit Genehmigung Eurer Heiligkeit, auf die wir hoffen, in Genf eine
Disputation mit den Prädikanten zustandekommt“ (XI,273f). Dem Nuntius schickte
er das Schreiben (wegen des Absatzes über die Balleien Gex und Gaillard) offen, bat
ihn aber, es zu verschließen, sobald er es gelesen habe, „damit niemand anderer es
sieht“ (XI,276).

3. Die beiden Kapuziner, die Franz von Sales von 1597 an in der Missionsarbeit
unterstützten und später ablösten, gingen gegen die Prädikanten schärfer vor als er. P.
Esprit griff am 23. Mai 1597 Louis Viret an, der in Tully predigte. Er tat es offenbar
so massiv, daß die Zuhörer für ihren Prädikanten Partei ergriffen und den Kapuziner
tätlich bedrohten. Franz von Sales konnte sie aber beruhigen (vgl. Lajeunie, a.a.O.,
S. 170f); er schrieb über den Vorfall (OEA XI,287; vgl. 280) an den Nuntius:

Indessen hat sich ein Zwischenfall ereignet. P. Esprit sah, daß die Be-
wohner so hartnäckig ihrem häretischen Prädikanten folgen und unsere
Predigten nicht hören wollen. Daher entschloß er sich am vergangenen
Freitag, diesem zu beweisen, daß seine Lehre falsch ist, und das öffent-
lich. Aber einer der Hartnäckigsten der Stadt erkannte, daß der Ausgang
der Disputation dem Prädikanten nicht zur Ehre gereichen konnte, und
zerrte ihn mit Gewalt vom Platz. Er sagte, Se. Hoheit wünsche nicht, daß
sie mit uns über Fragen der Religion debattieren. Als wir nun erwiderten,

342
daß wir doch zu keinem anderen Zweck in diese Gegend gekommen
seien, antworteten einige unter anderem, ich könnte das nicht beweisen,
außerdem weigerten sie sich, mir das zu glauben. Wenn aber Se. Hoheit
ihnen ihre Absicht bekanntgebe, sei die Sache anders.

P. Chérubin de Maurienne forderte in seinen Predigten Viret und die Genfer Prädi-
kanten handfest heraus: „Euer Prediger steht an seinem Fenster und hört mir zu,
wagt aber kein Wort darauf zu erwidern. Zwingt ihn doch, herabzukommen und die
falsche Lehre zu verteidigen, die er euch beibringt.“ Darauf kam es wirklich zu einem
Streitgespräch im Rathaus, das drei Tage dauerte, ohne einen greifbaren Erfolg zu
bringen (vgl. Lajeunie, a.a.O. 190).
Die Herausforderung des P. Chérubin nahm im Frühjahr 1598 Hermann Lignaridus
(Dürrholz) an, ein Theologiestudent aus Westfalen, dem Beza seinen Lehrstuhl an
der Akademie von Genf überlassen hatte. Am 14. März forderte er in aller Frühe den
völlig unvorbereiteten Pater zum Streitgespräch auf. Dieser nahm auf Drängen des
Barons d‘Avully an, gegen die notariell beglaubigte Erklärung, daß Lignaridus das
Gespräch nicht nach Belieben abbrechen dürfe. Den ganzen Samstag und die halbe
Nacht hielt Lignaridus eine Vorlesung aus einem mitgebrachten Heft. P. Chérubin
konnte seine Erwiderung am Sonntag-Nachmittag beginnen. Gegen Abend unter-
brach ihn Lignaridus, diktierte sechs Argumente gegen seine Ausführungen – und
kam nie wieder (vgl. Lajeunie S. 192f). Franz von Sales berichtete darüber am 17.
März 1598 (OEA XI,325f) von Schloß Sales an den Nuntius in Turin:

Während ich schrieb, traf hier der Herr Fiskalprokurator des Chablais
ein, ein sehr katholischer Mann. Er berichtete mir, daß am Samstag, den
14. dieses Monats, vier Personen aus Genf nach Thonon kamen, unter
ihnen ein gewisser Hermann Lignaridus, ein Deutscher und sehr berühm-
ter Professor der Theologie in Genf. Am Samstag und Sonntag argumen-
tierte und disputierte er mit P. Chérubin vor einer großen Zahl von Anwe-
senden. Man schrieb die Antworten und Argumente beider Seiten nieder.
Der Herr Fiskalprokurator teilte mir den Anfang dieses Disputes mit, in
dem P. Chérubin reiches Wissen und sehr große Gewandtheit bewiesen
hat. Ich hoffe bald einen Bericht und ein genaueres Protokoll über all das
zu haben, was sich ereignet hat, und werde Ew. Gnaden dann davon in
Kenntnis setzen. Dieser Hermann, der sich bei den Häretikern großen
Ansehens erfreut, wurde von Deutschland berufen, weil man ihn für sehr
scharfsinnig hält. Nach dem Zeugnis des genannten Fiskalprokurators
hat ihm P. Chérubin trotzdem sehr hart zugesetzt.

343
4. Am weitesten gingen die Versuche, ein öffentliches Glaubensgespräch offiziellen
Charakters mit bevollmächtigten Vertretern von Genf herbeizuführen. Eine Mög-
lichkeit dafür schien sich zu bieten, als der Goldschmied Corajod aus Genf, angeblich
im Einvernehmen mit den Stadtvätern, P. Chérubin diesen Vorschlag machte und ihn
am 9. und 19. Februar 1597 im Namen des Prädikanten Perrot erneuerte. Franz von
Sales nahm sich des Planes sogleich an; am 21. Februar 1597 (OEA XI,236) schrieb
er an den Nuntius:

Ich empfinde großen Trost zu sehen, daß Ew. Gnaden der Plan der
Konferenz mit Genf gefällt, wenn sie unter den gewünschten Bedingun-
gen stattfindet. Ich bleibe dabei zu sagen, daß seit langer Zeit nichts ge-
schehen ist, was mehr zur Ehre Gottes beiträgt, wenn die Genfer bei
dieser Absicht bleiben. Nach einem Brief an P. Chérubin, den ein Bürger
von Genf am 19. Februar schrieb, scheint mir, daß man das hoffen kann.

Der Nuntius berichtete nach Rom und schickte Franz von Sales am 12. März 1597
(OEA XI,436) die Antwort des Kardinals San Severino mit den Bedingungen. Der
Propst antwortete am 25. März 1597 (XI,258f):

Was die von Rom gemachten Erwägungen zur Frage der Konferenz
betrifft, sind sie wirklich sehr weise. Ich habe eine sehr ausführliche Denk-
schrift geschrieben, was ich darüber denke, und habe sie dem Herrn Lou-
is de Sales geschickt. Er ist Domherr von Genf, ein sehr erfahrener, eifri-
ger Mann, beredt in der Predigt, sehr klug, was den Dienst Gottes betrifft.
Er kennt meine Gedanken ebenso gut wie ich selbst. Im Einvernehmen
mit unserem hochwürdigsten Bischof und P. Chérubin hat er kürzlich in
Genf angefragt, um diese Sache etwas besser zu vertiefen. Er fand in die-
ser Stadt eine breite Tür für das heilige Kreuz offenstehen, vorausgesetzt,
daß es dorthin gebracht wird von demütigen, geduldigen Leuten, die mit
den Sitten der Häretiker vertraut sind. Man muß es tun, wie wir es in der
Karwoche machen: einen Arm des Kreuzes aufdecken, dann den anderen
und so allmählich das ganze Kreuz, dabei freundlich singen: Seht das
Holz des Kreuzes; kommt, laßt uns anbeten.

Im Brief vom 23. April 1597 an den Nuntius (XI.275f) drängt Franz von Sales auf die
Ermächtigung von Rom; eine Verzögerung könnte die Bereitschaft in Genf abküh-
len:

In den vergangenen Tagen kamen P. Chérubin, P. Esprit und ich zusam-


men, um im einzelnen zu besprechen, was sich an den Orten ereignet hat,

344
wo wir in der Fastenzeit gepredigt haben. Wir sind der Auffassung, daß
die Konferenz, für die man die Ermächtigung von Rom erwartet, mit der
Gnade Gottes etwas sehr Fruchtbares sein wird. Die Genfer bemühten
sich während der Fastenzeit sehr, daß sie zustandekommt. Da sie aber von
unserer Seite keine genaue Antwort erhalten konnten, weil wir nicht in
der Lage waren, sie selbst zu geben, scheint mir, daß sie sich etwas abge-
kühlt haben. Das ist nicht wichtig. Wenn sie stattfindet, wird sie fruchtbar
sein, und wenn sie durch ihre Schuld nicht zustandekommt, wird es der
katholischen Seite zur Ehre gereichen. Was ich unendlich bedaure, ist,
daß man die Angelegenheit durch unseren Hof an die große Glocke ge-
hängt hat. Die Sache ist so diskret, daß es genügte, die geheimnisvollen
Mysterien der Apokalypse zu offenbaren, und wir haben es mit Tieren zu
tun, denen der geringste Lärm verdächtig ist.

Lajeunie berichtet (S. 179ff) nach authentischen protestantischen Quellen von den
Schwierigkeiten, die es in Genf selbst gab. Franz von Sales schrieb am 27. Mai 1597
(XI,289f) von neuem an den Nuntius:

Ich fürchte sehr, daß durch diese Verzögerungen die Konferenz von
Genf in Rauch aufgeht. Nach dem, was ich erfahren habe, könnte sie sehr
fruchtbar sein.

Auf einen Zwischenbescheid (XI,439f) vom 25. Mai 1597, der u. a. P. Chérubin
ermächtigt, frei mit Genf zu verhandeln, schreibt Franz von Sales am 31. Mai 1597
(XI,295f):

Gestern habe ich den zweiten Brief von Ew. Gnaden erhalten und die
Kopie des Schreibens von Kardinal San Severino (an den Bischof Grani-
er) gelesen. Der hochwürdigste Herr schrieb auch an den Provinzial der
Kapuziner, um ihn zu beauftragen, dem P. Chérubin zu schreiben, der
gegenwärtig in Montmelian ist. Er soll ihm auftragen, zu kommen und
den Genfern eine zusagende Antwort zu schicken. Diese Antwort konnte
bisher nicht gegeben werden. Indessen muß möglichst bald von beiden
Seiten ein endgültiger Entschluß gefaßt werden. Der Pater ist sehr eifrig
und geschickt, er wird also die Sache prompt erledigen. Sobald er sie
geregelt hat, werden Ew. Gnaden über die Einzelheiten unserer gering-
sten Vorhaben informiert, damit alle von Ihnen geleitet werden. Wir wer-
den Sie um mehr oder weniger Theologen bitten, je nach der Zahl der
Teilnehmer, die Genf wünscht, und wir werden auf jede Weise versuchen,

345
daß darunter zwei oder drei Jesuiten sind. Wir schlafen in dieser Angele-
genheit nicht, und Sie werden unvermittelt in allen Einzelheiten unter-
richtet werden. Ich schätze mich glücklich, daß Se. Heiligkeit die Auf-
sicht Ew. Gnaden und dem hochwürdigsten Herrn übertragen hat, denn
auf diese Weise wird alles rascher und fruchtbarer geschehen.

In einem Schreiben des Nuntius vom 16. Juni 1597 (XI,441ff) werden zwei Jesuiten
in Aussicht gestellt: der Rektor des Kollegs von Turin, der nicht Französisch spricht,
und P. Jean de Lorini vom Kolleg in Mailand. Franz von Sales antwortet am 29. Juni
1597 (XI,303 f):

P. Chérubin schreibt Ihnen, wo wir in der Frage der Konferenz stehen.


Ich fürchte, daß uns die Truppenbewegungen in der Maurienne große
Schwierigkeiten bringen, besonders für das Kommen des Jesuitenpaters,
den Ew. Gnaden uns schicken wollen. Da Sie mich fragen, welcher nütz-
licher wäre, der Rektor von Turin oder der französische Lektor der Theo-
logie in Mailand, glaube ich, daß der Franzose für uns geeigneter wäre, sei
es der Sprache wegen, sei es, weil es weniger Umstände von unserer Seite
macht. Diese Konferenz darf ja nur unter dem Namen unseres Bischofs
stattfinden. Man müßte aber diesen Pater benachrichtigen, damit er bei
der ersten Aufforderung unverzüglich kommt. Jede Verzögerung könnte
nur schädlich sein. Wir haben in Chambéry zwei Jesuitenpatres von gro-
ßer Tüchtigkeit: P. Saunier und den Schotten P. Alexander (Hume). Soll-
ten die Übergänge und Straßen (von Italien) geschlossen sein, scheinen
mir diese Ordensleute zu genügen. Die Genfer, das ist wahr, machen
große Schwierigkeiten, Jesuiten zu dieser Konferenz zuzulassen. Wir wer-
den jedoch unsererseits in jeder Weise darauf drängen.

Und noch einmal am 14. September 1597 (XI,310) an den Nuntius:

Man berät weiter, welche Mittel zu ergreifen sind, um den Plan der
Konferenz zu verwirklichen. Ich überlasse es aber dem P. Chérubin, darü-
ber zu schreiben, weil die Antworten an ihn gerichtet wurden. Mit einem
Wort, die Prädikanten fürchten dieses Unternehmen unglaublich. P. Chéru-
bin sagte mir, Ew. Gnaden hätten sich vorgenommen, Se. Heiligkeit zu
bitten, an den Kardinallegaten von Frankreich schreiben zu wollen, da-
mit er vom König eine Weisung an die Genfer zu erreichen versuche, daß
sie zur Konferenz kommen. Ich kann nicht unterlassen zu sagen, daß sie

346
auf diese Weise mit viel mehr Frucht und unter günstigeren Bedingungen
stattfinden wird.

Inzwischen war aber durch das Vierzigstündige Gebet in Annemasse, unmittelbar vor
den Toren von Genf, das Klima für eine theologische Diskussion gründlich verdor-
ben. Doch im folgenden Jahr sollte ein neuer Versuch gemacht werden; darüber
schrieb Franz von Sales am 17. März 1598 (XI,323-325) an den Nuntius:

Ich habe Briefe von P. Chérubin und Herrn d’Avully über den Plan
erhalten, den sie gemeinsam gefaßt haben, das Vierzigstündige Gebet in
Thonon so würdig wie möglich zu feiern; außerdem nach dem Vierzig-
stündigen Gebet offiziell theologische Disputationen vorzuschlagen. Alle
Häretiker der Umgebung sollen zur Teilnahme eingeladen werden, um
nichts unversucht zu lassen, die von der Irrlehre angesteckten Seelen zu
erschüttern ...
Was die Disputationen betrifft, habe ich die feste Zuversicht, daß sie
sehr viel zur Erbauung beitragen werden, ungeachtet aller Gründe, die
dagegen zu sprechen scheinen. Denn entweder kommen die Häretiker
nicht, dann ist der Sieg auf unserer Seite, oder sie kommen; in diesem Fall
werden wir beweisen, daß die Vernunft und die Wahrheit auf unserer
Seite sind. Wir werden außerdem den großen Vorteil haben, uns in der
Defensive zu halten und in der Erwiderung kleine Ermahnungen geben
zu können. Übrigens ist es nichts Neues, die Häretiker zu Disputationen
einzuladen, nachdem die Prädikanten von Vivarais und des Languedoc
sehr oft vom Kolleg von Tournon eingeladen wurden. Nachdem ich per-
sönlich mit Beza, La Faye, Perrot, Beauchâteau und anderen bedeutenden
Prädikanten verhandelt habe, sehe ich darin keine große Gefahr. Falls
nun auch Ew. Gnaden derselben Meinung sind, wäre es sehr günstig, wenn
sich auch der hochwürdige P. Giovanni Lorini, der gegenwärtig in Mai-
land sein soll, zu dieser Veranstaltung einfände ...

5. Der Verhandlungspartner war nun Jean Sarasin im Auftrag des Rates der Stadt
Genf, der von sich aus die Frage der Konferenz verfolgte, weil die Prädikanten auf
Anraten Bezas, La Fayes und des Lignaridus sie ablehnten. Sarasin kam mehrmals
nach Thonon, um mit P. Chérubin zu verhandeln.
Die Antworten, die von P. Chérubin unterzeichnet wurden, sind von Franz von Sales
verfaßt und von ihm selbst oder von seinem Sekretär Georges Rolland geschrieben.
Im ersten dieser Schreiben (OEA XXIII,52-54) verlangt P. Chérubin, daß Lignaridus
zur Fortsetzung der abgebrochenen Disputation erscheine; im zweiten vom 16. Sep-

347
tember (54-57) wird u. a. Sarasin zur Besprechung über konkrete Bedingungen der
Konferenz eingeladen. Nach dieser Besprechung schrieb ihm Franz von Sales persön-
lich (XI,355):

Mein Herr, wir haben es bisher so gehalten, daß wir die Äußerungen der
einen und der anderen Seite schriftlich festgehalten haben. Daher bitte
ich Sie, auch die Ihre zu schreiben bezüglich der Einzelheiten der Ab-
sicht Ihrer Vorgesetzten über Ihr Kommen. Inzwischen stellen wir (im
Wissen, daß diese nicht anders sein wird, als Sie uns mündlich vorge-
schlagen haben) als Antwort die erbetenen Artikel fest.
Im übrigen, mein Herr, bin ich stets Ihr sehr geneigter und demütiger
Diener in Gott Franz von Sales.

Dieser Artikel enthält das dritte Schreiben (XXIII,58-60) mit der Unterschrift des P.
Chérubin (mit dem Text in der Handschrift von Georges Rolland):

Bruder Chérubin entspricht der Aufforderung durch den edlen Jean


Sarasin heute, am 24. September 1598, man möge ihm die Ziele und
genauen Bedingungen mitteilen, die bei der Konferenz einzuhalten sind,
über die vorher verhandelt wurde. Dem Angebot folgend, das der genann-
te Herr Sarasin in seinem ersten Vorschlag am 16. August dieses Jahres
im Auftrag der Herren Syndici und des Rates von Genf machte, das vom
genannten Bruder Chérubin angenommen wurde, wie aus den früheren
Aufzeichnungen über das Geschehene hervorgeht, auf die er hinweist,
antwortet er jetzt mit folgenden Artikeln:
1. Als Ort schlägt er zur größeren Bequemlichkeit der Parteien Thonon
vor oder die Stadt Genf selbst, mit den in diesem Fall erforderlichen
Sicherheiten, aus- und einzugehen und sich aufzuhalten.
2. Als Zeit schlägt er den 5. November dieses Jahres vor, um beiden
Seiten Zeit für die notwendigen Vorbereitungen zu geben; diese beiden
Artikel über Ort und Zeit indessen abhängig von der Genehmigung Sr.
Hoheit, da man in wenigen Tagen die Ehre seiner Anwesenheit an diesem
Ort Thonon haben wird.
3. Als Moderatoren der Disputation schlägt er vor: den Hochwürdigen
Herrn Franz von Sales, Propst der Kathedrale, und Se. Exz. Antoine Fav-
re, Rat Sr. Hoheit, Senator am obersten Senat von Savoyen und Präsident
des Rates der Grafschaft Genf.
4. Als Sekretäre benennt er den hochwürdigen Herrn Claude
d’Angueville, Domherr der Kathedrale, und den ehrenwerten Herrn Ed-

348
ler François Portier de Germinex, Advokat am obersten Senat von Savoy-
en und Senator der Grafschaft Genf.
5. Für die Diskussion wird er bis zu fünf Theologen mitbringen und
selbst der sechste sein. Außer diesen wird er drei oder fünf geeignete
Zeugen benennen, um authentischer zu machen, was geschehen wird.
6. Was die Punkte betrifft, die behandelt werden sollen, schlägt er, um
die wichtigsten zu nennen, folgende vor:
– Die echte Regel, um die kanonischen Bücher zu erkennen;
– Das Recht, die Heilige Schrift auszulegen;
– Die dauernde Sichtbarkeit der streitenden Kirche;
– Ihre Kennzeichen, die vom Symbolum Constantinopolitanum bestimmt
sind: einig, heilig, katholisch, apostolisch;
– Der Primat des hl. Petrus und seiner Nachfolger;
– Die Wahrheit und Wirklichkeit der Gegenwart des Leibes Jesu Christi
in der Eucharistie;
– Die Anrufung der Heiligen;
– Die Rechtfertigung durch die Werke;
vorbehaltlich jedoch, daß man nach der Behandlung der genannten Punk-
te andere Artikel zu behandeln fortfahren kann, wenn es sich ergibt; vor-
behaltlich auch, von jetzt bis zum Beginn der Konferenz andere Modera-
toren und Sekretäre zu benennen, wenn irgendein Umstand eintritt, der
die Genannten hindert, sich einzufinden und die vorgesehene Funktion
auszuüben.

Und um einen guten und gediegenen Abschluß aller Artikel zu ma-


chen, die auf der genannten Konferenz behandelt werden sollen, und um
letzte Hand an sie zu legen, ersucht er, daß er unverzüglich Mitteilung
über die Absicht der genannten Herren Syndici und des Rates von Genf
bezüglich der oben beschriebenen Punkte erhalte, um darüber, während
man dazu Gelegenheit hat, in Anwesenheit Sr. Hoheit einen klaren, end-
gültigen Beschluß zu fassen.
Fr. Chérubin.

Die Prädikanten waren nicht zur Annahme dieser Artikel zu bewegen. Sie schlugen
ihrerseits vor, die Confessio Helvetica (Zürich 1566) zur Grundlage einer schriftli-
chen Kontroverse zu machen. Mit diesem Vorschlag schickte der Rat von Genf
Sarasin nach Thonon. Darauf antwortete Franz von Sales durch P. Chérubin
(XXIII,61-63):

349
Bruder Chérubin antwortet auf den Vorschlag der Herren Syndici und
des Rates von Genf, den ihr Abgesandter, der edle Jean Sarasin, heute, am
15. Oktober 1598 vorgetragen hat; er sagt:

1. Gegenstand der Konferenz, über die früher verhandelt wurde, kann


nicht das Buch der Artikel des Glaubensbekenntnisses der sogenannten
reformierten Kirchen sein, von dem man ihm ein Exemplar vorgelegt hat,
da man nicht über alle diese Artikel verschiedener Auffassung ist. Man
müßte vielmehr zuerst miteinander verhandeln, um nur jene auszuwäh-
len, die kontrovers sind. Deshalb entspricht dieser Vorschlag nicht dem
Erfordernis. Die Herren Syndici und der Rat von Genf haben gewollt,
daß Fr. Chérubin die Punkte nenne, über die man disputieren soll. Er hat
sie benannt; daher scheint es sehr vernünftig, daß diese Punkte als erste
geklärt werden. Wenn das geschehen ist, bietet er an, sich zusammenzu-
setzen und in die Diskussion derjenigen einzutreten, die man aus dem
genannten Büchlein der Confessio als kontrovers zwischen den Parteien
auswählen wird, oder auch solcher, die die Prädikanten nennen wollen.

2. Die von den Prädikanten gewählte Methode, daß nur einer dem ande-
ren schreibe, entspricht in keiner Weise dem, was vorher über die Konfe-
renz verhandelt wurde, sondern zerreißt die Abfolge und den Faden. Das
bedeutet, deren Bedingungen aufgeben, zu einer neuen Verhandlung kom-
men und die vorhergehende verleugnen.

3. Diese Methode ist sehr hinderlich für einen fruchtbaren Disput, wie
die Erfahrung zeigt. Obwohl man von beiden Seiten alles schriftlich hat,
ist man auch frei, diese Art von Disput von neuem zu beginnen wie am
Anfang. Diese Vorgangsweise erfordert die ganze Lebenszeit eines Men-
schen, und die würde noch nicht ausreichen. Außerdem bietet die Konfe-
renz, über die vorher verhandelt wurde, alle Vorteile dieser neuen Metho-
de, die jetzt vorgeschlagen wird, da man alles getreulich niederschreiben
müßte. Darüber hinaus bringt sie mehrere weitere Vorteile, so den Vor-
teil der Kürze von Entschließungen, der Vorstellung der Autoren, die
man vorgeschlagen hat, der eingehenderen und klareren Darlegung der
Intention jedes einzelnen, die aus den Schriften oft schwer zu entnehmen
ist, die Abwesenden austauschen, wobei viel Zeit für das Hin- und Her-
schicken vergeht; die Begründungen werden in Anwesenheit besser aus-
gedrückt. Dazu kommen noch andere Vorteile, die verlorengehen beim
Vorgehen, das die Prädikanten vorschlagen. Er sieht keine andere Schwie-

350
rigkeit, die man gegen die mündliche Verhandlung vorbringen könnte,
außer die Erbitterung der Worte. Dem ist bereits vorgebeugt, sowohl durch
die früher abgegebenen Erklärungen, alle Sanftmut und alle Friedfertig-
keit des Geistes anzuwenden, die möglich und in einer so wichtigen Sa-
che erforderlich sind, als auch durch die Benennung von Moderatoren,
die angesehene Männer sind und Ausschreitungen und Zwischenfälle ver-
hindern werden (soweit es die unseren betrifft) durch die Autorität Sr.
Hoheit, der man anbieten wird, dagegen einschreiten zu lassen. Und der
genannte Fr. Chérubin erklärt von neuem, daß er dazu alle Freundlich-
keit und Gewogenheit mitbringen wird, die man wünschen kann.

4. Diese Methode ist ja zu vorteilhaft für die Prädikanten, nicht für das
Wesen der Methode. Sie ist ja nichts anderes, als die Konferenz, auf den
schriftlichen Weg beschränkt, aber durch mehrere Umstände: Die Prädi-
kanten sind ja stets sehr zahlreich in Genf beisammen, um einander zu
helfen und einer dem anderen an die Hand zu gehen; auf unserer Seite
können dagegen nicht lange mehrere beisammen sein. Sie sind an einem
Ort, wo sie verhindern können, daß unsere Schriftsätze gelesen und un-
tersucht werden, sondern nur die ihren; das wäre eine gute Methode, uns
bei ihren Leuten verurteilen zu lassen, während wir solche Vorteile nicht
haben.

5. Diese Methode hat anscheinend kein anderes Ziel, als die Dinge in
die Länge zu ziehen, den ganzen Plan zu vereiteln und zunichte zu ma-
chen, der mit dieser Konferenz gefaßt wurde.
Daraus zieht er den Schluß, man soll bei den angemessenen Bedingun-
gen einer Konferenz in der gleichen Form bleiben, wie sie früher vorge-
schlagen wurde. Er bittet sehr inständig, wie er seinerseits allen Fleiß
anwandte, um zu antworten und die Bedingungen der genannten Konfe-
renz zu nennen, während Herr Sarasin stets nur einen halben Tag hier
blieb, um die Antworten zu bekommen, so möge auch seitens der Herren
Syndici und des Rates von Genf mit jenem Eifer freimütig und aufrichtig
vorgegangen werden, wie es die Sache erfordert, damit man ehestens ei-
nen endgültigen Beschluß darüber erfahre, ja solange man hier die Ehre
der Anwesenheit Sr. Hoheit hat. Daher ersucht er, daß er spätestens in
einer Woche sicher über die Absicht der genannten Herren unterrichtet
wird. Andernfalls müßte man glauben, daß man nicht den Willen hat, in
eine gütliche Konferenz einzutreten.
Fr. Chérubin.

351
Franz von Sales verließ am 20. Oktober Thonon, um sich auf seine Romreise vorzu-
bereiten. P. Chérubin verhandelte zunächst weiter, wurde aber um die Jahreswende
(krankheitshalber und aus politischen Gründen) nach Italien beordert (vgl. Lajeunie
S. 209-212; 232f). So endeten die Bemühungen um ein öffentliches theologisches
Gespräch mit den Genfer Prädikanten ergebnislos.
Ein erneuter Versuch des Heiligen im Herbst 1601, um einige unentwegte Calvinisten
in Thonon zu überzeugen, führte ebenfalls nicht zum Erfolg (vgl. Lajeunie S. 258f).
Im Sommer 1605 schien sich noch einmal eine Möglichkeit zu bieten. Nach den
Fastenpredigten 1604 in Dijon hatte der Prädikant Cassegrain dem Bischof von Genf
eine Disputation in Genf angeboten, aber die Genfer verweigerten die Zustimmung.
Als Cassegrain durch den Jesuiten André Valladier bei einer acht Tage dauernden
Disputation im Haus des Barons de Lux eine schwere Niederlage erlitt, verbreiteten
die Genfer Theologen, sie hätten schon Leute, die dem Herrn von Sales gewachsen
seien (vgl. Lajeunie S. 326). Darauf berief sich im folgenden Jahr Claude Forestier
und bot Franz von Sales eine Disputation mit ihnen an; der gab (XXIII,65 f) folgende
Erklärung ab:

Bezüglich der kürzlich gemachten Vorschläge, eine Konferenz in der


Stadt ausschließlich über den Gegenstand der Religion zu eröffnen zwi-
schen mir und einigen katholischen Predigern einerseits und den Prädi-
kanten der Stadt Genf andererseits, habe ich diese Schrift verfaßt, eigen-
händig unterzeichnet und mit meinem Siegel gesiegelt, um zu erklären
und zu bestätigen, daß ich jedesmal und sooft es die Prädikanten wün-
schen und vernünftigen, förderlichen und rechtmäßigen Bedingungen für
eine solche Versammlung oder Konferenz zustimmen wollen, mich so-
gleich und ganz aufrichtig dorthin begeben werde, im Vertrauen auf die
Güte Gottes, daß sein Name dadurch verherrlicht werde zum Heil und
Nutzen vieler Seelen, so wie ich ihn darum anflehe.
Gegeben zu Neci am 6. August 1605
Franz, Bischof von Genf.

6. Politische Gründe verhinderten das Zustandekommen dieser Konferenz. Nach


dem Ausscheiden des streitbaren P. Chérubin besserte sich das Klima in den folgen-
den Jahren so weit, daß man in Genf offenbar an ein öffentliches Glaubensgespräch
dachte. Davon unterrichtete den Bischof der Königliche Rat Antoine Bellot, der
gute Beziehungen zu Genf hatte; doch dann ereignete sich längere Zeit nichts. Als er
im Juli oder August 1609 neue, bestimmte Nachrichten erhielt, schrieb Franz von
Sales an Bellot (XIV,179-181):

Mein Herr! Seit dem ersten Mal, da Sie sich die Mühe machten, mir
davon zu sprechen, hatte ich von Ihnen keinerlei Nachricht über die Fra-
ge der Konferenz, von der Sie mir geschrieben haben. Daher habe ich
nichts dafür unternommen, sie aber nicht vergessen. Da aber die Herren

352
der anderen Seite, wie Sie mir mitteilten, jenen gewählt haben, der für
ihre sogenannte Religion sprechen soll, den Ort genannt und die Version
bezeichnet haben, die sie zu diesem Zweck verwenden wollen, bin ich
überzeugt, daß es gewiß ist, daß sie verhandeln. In dieser Überzeugung
will ich Ihnen sagen, daß ich sehr gern einverstanden bin, daß die genann-
te Konferenz in der Stadt Genf gehalten wird und daß es nach der Version
der Bibel geschehe, die in Anvers gedruckt wurde, an die wir uns halten
wollen.
Was aber die Bescheidenheit betrifft, wird uns und unsere Teilnehmer,
abgesehen davon, daß wir ihre Regeln stets und überall befolgen wollen,
die Rücksicht auf den Ort, an dem wir uns befinden werden, hinreichend
veranlassen, daß man kein Mißtrauen gegen uns habe. Meiner Meinung
nach bleibt daher nur noch, daß wir uns recht über Zeit und Absicht
dieser Aktion verständigen. Ich erkläre für meinen Teil, daß ich nicht
streitsüchtigen Geistes hingehen werde, denn das bin ich nicht, auch nicht
um irgendeine Befähigung in Wissenschaften zu zeigen, denn das ist nicht
mein Beruf, sondern einfach und ganz aufrichtig um der Klarstellung der
heiligen Wahrheit willen.
Und in dieser Absicht wünsche ich, daß wir uns nur der Prüfung des
Grundes der Schwierigkeiten widmen, daß wir von ihnen die wichtigsten
auswählen, um sie aufzuklären mit den Methoden, über die wir uns vor-
her miteinander einigen müssen. Dazu werde ich meinerseits alle Offen-
heit und Nachgiebigkeit mitbringen, die mir möglich sind, nachdem Sie
mich vom entsprechenden Willen dieser Herren für diese Einzelheit be-
nachrichtigt haben werden.
Indessen bitte ich Unseren Herrn, er selbst möge der Beginn, der Fort-
gang und das Ziel dieses Planes und all unseres Tuns sein, und ich bin,
mein Herr, Ihr sehr demütiger Diener
Franz, Bischof von Genf.
Offenbar zur selben Zeit konnte der Jesuit Bonivard mit Sarasin Verhandlungen über
eine Konferenz aufnehmen. Er hatte durch seinen mit Franz von Sales verwandten
Geist gute Beziehungen zu Genf gewonnen. Er konsultierte Franz von Sales, der ihm
darauf (XIV,188-193) schrieb:

Hochwürdiger Pater, ich zweifle nicht im geringsten, daß das Angebot


einer freundlichen und gütlichen Konferenz mit denen von Genf zu die-
sem Zeitpunkt sehr nützlich ist. Sie sind ja irgendwie zum Wunsch ge-
langt, eine zu halten, zumindestens nach dem, was ich durch die fortwäh-
renden Mitteilungen erfahren habe über verschiedene Pläne, die sie fas-

353
sen. Sie sind zum größten Teil im Zweifel über ihre Religion, obwohl sie,
wenn man sie direkt darauf anspricht, sich aus Staatsraison recht sicher
geben. Wenn sie also das Angebot annehmen, hat es den Anschein großen
Nutzens; wenn sie es ablehnen, bleibt die Ehre für die Kirche, und die
Ablehnung wird den Verdacht verstärken, daß sie das Recht nicht auf
ihrer Seite haben. Ich würde es daher sehr begrüßen, daß man das Ange-
bot macht, da es nicht schaden und sehr nützen kann.
Ein Schreiben an jenen, den Sie nennen, wäre sehr geeignet. Es müßte
aber von jemand vorgelegt werden, der genügend Sicherheit bietet, daß er
ihn drängt, Antwort zu geben, falls er es unterdrücken und ein Ende ma-
chen wollte. Dafür wäre eine angesehene Persönlichkeit der Franche Com-
té sehr geeignet, aus einer der Städte, mit denen die Genfer in Verbindung
stehen. Und wenn, dann muß man bei der Anschrift hinzufügen: Mitglied
des Rates der 25 Herren, denn es gibt einen anderen Sarasin, der das nicht
ist, obwohl er großes Ansehen in dieser Stadt genießt.
Da Sie mich auffordern, Ihnen freimütig meine Meinung über den Brief
zu sagen, den Sie geschrieben haben, will ich Ihnen sagen, daß ich es nicht
gut finde, wenn Sie ihm so ausführlich den Plan der Vorgangsweise vor-
schlagen, die Sie einhalten wollen, denn es wird wohl genügen, das zu tun,
wenn es dazu kommt, es zu vereinbaren und auszuführen. Es ist nicht
förderlich, wenn Sie sich jetzt in irgendeine Kontroverse einlassen, denn
wenn Sie vor der Konferenz darüber verhandeln, könnten Sie vielleicht
finden, daß es besser wäre, eine andere Richtung einzuschlagen. Es wäre
also besser, es für den Augenblick bei dem allgemeinen Satz zu belassen,
daß Sie zeigen wollen, daß ihre Religion offenbar im Widerspruch zur
Heiligen Schrift steht, ohne auf eine genaue Erklärung der Methoden
einzugehen, wie Sie das machen wollen. So legen Sie sich auf nichts fest
als auf das Ziel Ihrer Absicht und lassen die Mittel offen, um sie später
nach Ihrem Gutdünken zu wählen. Dabei ist der Satz viel zu schade, um
unter Ignoranten vorgelegt zu werden, wie es die Räte dieser Stadt zum
Großteil sind. Und doch will ich nicht unterlassen, auch meine Meinung
über die Methode zu sagen, die Sie vorschlagen, da ich zu Aufrichtigkeit
und Freimut verpflichtet bin auf Grund der Freundschaft, die wir mitein-
ander haben, und weil ich weiß, daß Ihr Geist darin mit dem meinen
übereinstimmt.
Diese allgemeine Kontroverse über die Auslegung ist überaus nützlich
unter Gelehrten und sie wird ohne Zweifel sehr angebracht sein, wenn Sie
nur die Prädikanten im Auge haben. Wenn man aber bemüht sein muß,

354
das Volk zu bewegen, muß man irgendeinen Punkt aufgreifen, bei dem
viele zwischen Wahrheit und Irrtum unterscheiden können. So wenig die
Prädikanten in der Frage der Auslegungen Haltung bewahren (wie sie als
sicherste Schwindler und hartnäckigste Schlauberger der Welt tun), das
Volk, das schon sehr dazu neigt, ihnen zu folgen, wird mehr für ihre Partei
eingenommen sein. Und wenn ich Volk sage, meine ich die Herren der
beiden Räte, die nur Krämer und geringe Leute sind.
Vor allem bin ich der Meinung, daß man sehr darauf achten muß, wie
man die katholische Lehre vorträgt. Wenn die Wahrheit auf unserer Seite
ist, dürfen uns auch der Anschein, der Glanz und die Schönheit nicht
fehlen. Zum Beispiel: Sie haben mir geschrieben, daß Sie das Ungenügen
der Heiligen Schrift allein für die vollkommene Leitung der Kirche nach-
weisen wollen; bei dem Wort vom „Ungenügen der Heiligen Schrift“
werden alle lästerlich schreien. Ich würde also lieber gestehen, daß die
Heilige Schrift vollkommen ausreichend ist, um uns über alles zu beleh-
ren, und sagen, daß das Ungenügen in uns liegt, die wir ohne Überliefe-
rung und ohne das Lehramt der Kirche uns nicht für den Sinn entscheiden
können, den sie haben muß, noch für die Folgerungen, die man aus ihr für
die Leitung und Führung des christlichen Volkes ableiten muß. Auf diese
Weise bleibt der Sachverhalt gleich, die Erklärung ist aber für jene schö-
ner und einleuchtender, denen man immer die Ohren vollschreit, wir
würden die heiligen Schriften verachten.
Doch ich verbreite mich zu sehr, lieber Pater, und gehe vielleicht zu
weit. Wenn ich nicht meinte, daß Sie mein Herz kennen, würde ich nicht
so freimütig schreiben. Ich habe aber Vertrauen in Unseren Herrn, daß
Sie wissen, daß ich nichts tue und nichts zu Ihnen sage, außer im Vertrau-
en auf Ihre aufrichtige Freundschaft, und daß Sie meine kleinen Gedan-
ken, die ich Ihnen vorlege, mit ebensoviel Freimut der Vernunft anpas-
sen, wie ich sie Ihnen vorlege.
Ich will schließen, indem ich Sie bitte, diesen guten Plan weiter zu
verfolgen. Wie man ihn auch wendet, er kann nur zur größeren Ehre
Gottes gereichen. Fahren Sie bitte auch fort, mich herzlich zu lieben, wie
Sie es tun, indes ich Unseren Herrn bitten will, daß er Sie stärke und
immer mehr in seiner Gnade segne.
Ich bin ganz aufrichtig Ihr demütiger Diener und Mitbruder in Unse-
rem Herrn
Franz, Bischof von Genf.
17. August 1609 in Neci.

355
Gestern habe ich Ihnen das beiliegende Billet geschrieben. Nachdem
ich dann die Ansicht des Pater Provinzial überlegt habe, finde ich sie ganz
gut, denn die Verzögerung kann nur vorteilhaft sein. Denn indessen wird
meiner Meinung nach die Eröffnung größer und vernünftiger sein durch
verschiedene Mittel, die ich mit Gottes Hilfe sorgfältig anwenden werde.
Darin kann die Verschiebung nicht schaden, hochwürdiger Pater; und ich
weiß eben jetzt durch eine Nachricht, daß es wahrhaft sehr notwendig sein
wird, uns zu treffen, aus keinem anderen Grund als dem, daß mir die
Stimmung dieses Volkes vertraut ist und ich Ihnen einige Dinge sagen
kann, die Ihnen in diesem heiligen und sehr nützlichen Unternehmen
dienen werden.
Ich habe eben Nachricht erhalten, daß wir besser warten, wegen eines
gewissen Mißtrauens, das sie wegen der Armee von Flandern haben. Zwei-
feln Sie nicht, daß ich darauf achten werde, und verlassen Sie sich dabei
auf mich.

Über das Ergebnis aller Bemühungen um eine theologische Konferenz schrieb der
Bischof nach seinem Aufsehen erregenden Ritt durch Genf am 10. Dezember 1609
(XIV,219-226) an Possevino:

Was die Stadt Genf betrifft, hält sie die Staatsraison in ihrem Unglück
fest ... Viele dort sehnen sich nach (der katholischen Religion) und geben
zu, daß sie diese der ihren offen vorzögen, wenn sie für ihren Staat ebenso
heilsam wäre, wie für ihr Gewissen (222). – Oft habe ich ihnen angebo-
ten, mich zu ihnen zu begeben, um ihre Lehre des Irrtums zu überführen,
unter der Voraussetzung, dafür irgendeine Sicherheit für meine Person
und für jene zu erhalten, die mit mir kämen. Ich habe ihnen sogar die
Zusage durch Standespersonen überbringen lassen durch ein Schreiben,
das von meiner Hand unterzeichnet und gesiegelt war. Sie haben es nie
gewollt; sie wurden durch ihre Prädikanten gehindert (224f) ...

356
II. KKu
u rrze
ze Betrachtung über das
apostolische Glaubensbek enntnis
Glaubensbekenntnis
Zur Erhärtung der katholischen Lehre
über die wirkliche Gegenwart des Leibes Unseres Herrn
im heiligen Sakrament des Altares1

Ich glaube

Wenn ich deinen allerheiligsten Leib, mein Erlöser, mein Gott, auf
deinen heiligen Altären betrachte, den du durch so große Wunder berei-
tet hast, um uns in dieser Wüste zu nähren, was bleibt mir, ganz hingeris-
sen in Bewunderung, anderes zu sagen als das Bekenntnis meiner Unzu-
länglichkeit: Was ist das? Was ist das? Manna? Manna? (Ex 16,15). Sieh
mich an, Herr! Mein natürlicher Verstand, mein Fleisch, meine Sinne
bereiten mir tausend Stürme: Ach, sagen sie mir, wie ist es möglich, daß
der Erlöser sein Fleisch zu essen gegeben hätte? Wie hart ist dieses Wort!
Und wer kann es hören und wer daran glauben? (Joh 6,53.61).
Aber durch deine Gnade, mein Gott, haben die Verführer noch nichts
über mich vermocht. Ich habe ihnen stets das Wort und das Glaubensbe-
kenntnis entgegengehalten, das deine Apostel vormals unsere Vorfahren
lehrten. Dem Rat der beiden großen Diener deiner Majestät, Ambrosius
und Augustinus, folgend habe ich mich mit ihm bewaffnet als Kennzei-
chen deiner Schutzwehr, habe mein Herz mit diesem Siegel verschlossen
und gesiegelt, damit es sich ihren Einflüsterungen nicht öffnet. Es war
mir wie ein Köcher, der mir abertausend Pfeile lieferte, um sie zu be-
kämpfen. Und wie, sagte ich, sollte dieses geheiligte Wort, das am Anfang
dieses Glaubensbekenntnisses steht, wenn es kein anderes gäbe, nicht
ausreichen, um alle Angriffe dieser Verführer abzuwehren? Ich glaube:
dieses Wort habe ich bei meiner Taufe ausgesprochen durch den Mund
jener, die mich zu ihr brachten. Daher bin ich einer, der glaubt, und gläu-
big (Joh 20,27), nicht einer, der versteht und begreift. Je mehr man mir
daher dieses Sakrament schwer zu verstehen und zu begreifen macht, um
so glaubwürdiger und ehrwürdiger macht man es mir. Der Glaube hat
mehr Glanz, wo der Verstand mehr Dunkelheit hat.

357
1. an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde;
Gott ist Gott in allen seinen Werken, aber in den größten zeigt er seine
Gottheit besser. Und da dieses Sakrament ein großartiges Werk Gottes
ist, welch deutlicheres Kennzeichen seines Schöpfers könnte es tragen,
um in meinem Glauben angenommen zu werden, als daß es wunderbar
und unbegreiflich ist?
Gibt es nicht drei Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist, in einem
gleichen, einfachen und einzigen Wesen? Welche Mühe kann der Glaube
haben, der diese höchste Schwierigkeit gelöst hat, zu glauben, daß ein
einziger Leib an mehreren Orten ist? Möge Gott nicht zulassen, daß ich
es wie jene Widerspenstigen mache, die seine göttliche Majestät lästerten
und sagten: Wird er uns einen Tisch in der Wüste decken können? (Ps
78,19). Was ich von diesem Osterlamm nicht kauen kann, werde ich in
das Feuer (Ex 12,10) der unbegrenzten Macht dieses allmächtigen Vaters
werfen, an den ich glaube. Wie könnten die kleinen Wolken der Schwie-
rigkeiten, die unser natürliches Auge in diesem Sakrament sieht, im Wind
der Macht Gottes bestehen? Was könnte es noch so Hartes geben, das
dieses Feuer nicht verschlingt?
Das Wort Gottes hatte so viel Kraft, daß durch es die Dinge wurden, die
nicht waren. Wieviel mehr Macht wird es haben, um jene, die sind, im
Sein zu erhalten, wo es ihm gefällt, und sie in andere zu verwandeln? Er
hat wohl an einen Ort versetzt, was nicht war; warum sollte er nicht an
mehrere Orte versetzen, was an einem war?

2. an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,


Wenn ich sehe, mein Erlöser, daß dein Vater die Welt so sehr geliebt hat,
daß er ihr dich gegeben hat (Joh 3,16), damit du ihr Hirte und Arzt seist,
ach, welches Wunder ist das, sage ich, wenn der Sohn in derselben und
gleichen Güte sich noch selbst geschenkt hat, um die Weide und die Arz-
nei zu sein, um immer noch mehr Heiland, König und Herr zu werden,
ganz und gar der Unsere!

3. der empfangen ist vom Heiligen Geist,


geboren von der Jungfrau Maria,
Wie wurdest du empfangen, mein Gott, im Schoß einer Jungfrau ohne
irgendein Zutun eines Mannes? Und warum sollte man die natürliche

358
Ordnung suchen in deinem Leib, der außerhalb jeder natürlichen Ord-
nung entstanden ist und von der Jungfrau geboren wurde?
Dein Leib nahm schon keinen Raum ein, als er den jungfräulichen Schoß
deiner Mutter verließ (andernfalls hätte er ihre Jungfräulichkeit durch-
brochen), vielmehr trat er hervor, wie ein Sonnenstrahl durch Glas. Wa-
rum sollte man es unglaublich finden, daß er in diesem wunderbaren
Sakrament keinen Raum einnimmt?

4. gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben,

Der dich so sehr geliebt hat, meine Seele, daß er dich wohl retten konn-
te durch einen einzigen Tropfen seines Blutes und das geringste seiner
Leiden, trotzdem aber seinen Leib ganz den Schmerzen und Leiden eines
überaus bitteren Todes aussetzen wollte, um dir das Leben zu schenken,
ach, derselbe ist hier, um dich darin zu erhalten, und nährt dich mit dem
gleichen Leib. Ist das nicht sehr glaubwürdig? Die Liebe der Mütter be-
gnügt sich nicht damit, das Kind aus ihrem Wesen hervorgebracht zu
haben, sondern läßt die Mutter es auch nähren. Wahrhaftig, nach so vielen
köstlichen Vorbildern dieses Leidens, durch die die Diener gelabt wur-
den, wie das Osterlamm, das Manna und viele andere, da wäre es ein zu
mageres und kaltes Gedächtnis der Passion, wenn sie dabei nur einfaches
Brot und Wein verwendeten.

5. hinabgestiegen in das Reich des Todes,


am dritten Tag auferstanden von den Toten.

Er, der die Seinen, die in Abrahams Schoß (Lk 16,23) waren, auf tau-
sendfach andere Weise besuchen konnte, stieg dennoch in das Reich des
Todes hinab, um sie mit der Gegenwart seiner Seele zu besuchen. Es ist
nicht verwunderlich, daß er uns wohl auf vielfach andere Weise nähren
konnte, aber die teuerste, wunderbarste und liebevollste wählte, die darin
besteht, uns sein eigenes Fleisch als Speise zu geben.
Bei der Auferstehung hat er seinen Leib frei gemacht von den groben
Eigenschaften der Leidensfähigkeit, der Schwere, der Ausdehnung, der
Unscheinbarkeit und vieler anderer. Er hat den Stein durchdrungen (Mt
28,2) und ist bei verschlossener Tür (Joh 20,19) eingetreten (das heißt
nichts weniger tun, als zwei Körper an einen Ort versetzen in der Weise,
daß einer keinen Raum einnimmt). Wenn er sich unsichtbar, unfaßbar,

359
nicht wahrnehmbar macht, ohne einen Raum einzunehmen, warum soll-
te er nicht in diesem Sakrament unsichtbar gegenwärtig sein, ohne einen
Raum einzunehmen, da er gesagt hat, daß er in ihm ist? Wozu sollen wir
in ihm noch die Eigenschaften eines sterblichen und hinfälligen Leibes
suchen?

6. Er ist aufgefahren in den Himmel


und sitzt zur Rechten des allmächtigen Vaters.

Finden wir es ungewöhnlich, daß dieser Leib wirklich und tatsächlich,


wenn auch übernatürlich in den unseren eingeht, da er leichter als ein
Vogel, alle Regeln eines menschlichen Leibes überschreitend, über alle
Himmel aufgestiegen ist (Eph 4,10)? Er sitzt zur Rechten Gott Vaters
über allen Himmeln, wo er weder einen Platz noch einen Raum einnimmt;
denn welche Ausdehnung kann der Leib haben, der über jeden anderen
Leib erhaben ist? Warum sollte er nicht auch hier unten sein, ohne ir-
gendeinen Ort oder irgendeinen Raum einzunehmen?

7. Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Da er also weder an den Ort, noch an den Raum und die Schwere gebun-
den ist, wird er am Jüngsten Tag in den Lüften erscheinen mit seinen
Heiligen, allen Menschen sichtbar, wo sie auch sein mögen (Mt 24,27.30;
25,31f; Offb 1,7), wenn auch mit verschiedenen Wirkungen. Das ist kein
geringeres Wunder als jenes, durch das er unsichtbar in diesem großen
Sakrament gegenwärtig ist.
Dann wird er jene richten, die schuldig geworden sind an seinem Leib
und Blut, die dieses überaus kostbare und anbetungswürdige Sakrament
unwürdig gegessen und getrunken haben, weil sie den Leib Unseres Herrn
nicht unterschieden haben (vgl. 1 Kor 11,27.29). Von welcher Speise au-
ßer dieser wurde je gesagt, daß sich schuldig am Leib Jesu Christi macht,
wer sie unwürdig genießt? Da sie wirklich der Leib Jesu Christi ist, ma-
chen sich auch tatsächlich an ihm schuldig, die sie mißbrauchen und
nicht unterscheiden. Ein derart strenges Urteil hat man nicht gefällt für
das Manna und das Osterlamm, obwohl man in ihnen durch den Glauben
und geistigerweise Jesus Christus selbst genoß (vgl. 1 Kor 10,3f).

360
8. Ich glaube an den Heiligen Geist,

Wie Gott alles, was er schuf, durch das Wirken des Heiligen Geistes
geschaffen hat, so wirkte er jetzt durch den Heiligen Geist diese überna-
türlichen Dinge, die nur der Glaube fassen kann. Wie soll mir das gesche-
hen, sagt die heilige Jungfrau, da ich keinen Mann erkenne? Der Erzengel
Gabriel antwortet: Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft
des Allerhöchsten wird dich überschatten (Lk 1,34f). Und du fragst jetzt,
wie das Brot der Leib Christi werden soll? Auch ich antworte dir: Der
Heilige Geist überschattet und wirkt diese Dinge, die jedes Wort und
jeden Verstand übersteigen.
Der Heilige Geist hat die heiligen Schriften eingegeben; hätte er sie
wohl so ausdrücklich und stark gesetzt wie: Das ist mein Leib, wenn es
nicht der wahre Leib Unseres Herrn wäre? Hätte er nicht irgendeine
Erklärung seiner Absicht hineinsetzen lassen, wenn sie eine andere gewe-
sen wäre, als die Worte nach ihrem eigentlichen und ursprünglichen Sinn
ausdrücken? Und hätte er, der Lehrer in der Kirche, es in einem so wich-
tigen Artikel zum Irrtum und zur Täuschung kommen lassen? Hätte er
die Kirche so lang im Stich gelassen?

9. an die heilige katholische Kirche,


an die Gemeinschaft der Heiligen,

Und wahrhaftig, wie könnte man die Kirche heilig nennen (die nur eine
einzige allgemeine ist), wenn sie in dieser Tatsache wie in den anderen
nicht zu allen Zeiten, an allen Orten und bei allen Völkern die Wahrheit
aufrechterhalten hätte? Das hätte sie nicht getan, wenn in diesem Sakra-
ment nicht der wahre Leib Unseres Herrn gegenwärtig wäre.
Gibt es aber eine vollkommenere Gemeinschaft der Heiligen als diese,
in der wir alle ein Brot und ein Leib sind, zumal wir alle teilhaftig sind
eines gleichen Brotes, das vom Himmel gekommen ist, lebendig und Le-
ben spendend (Joh 6,33.41.50f)? Und wie könnten wir alle von dem ei-
nen gleichen Brot essen, wenn dieses Brot nicht der Leib Jesu Christi
wäre? Dann gäbe es so viele Brote als Orte. Und würden wir nur eine
gleiche geistige Speise essen durch den Glauben, wie hätte der Christ eine
engere Gemeinschaft mit den anderen Christen als mit den Juden des
Alten Bundes, die ebenfalls Jesus Christus durch den Glauben genossen
und folglich eine gleiche geistige Speise (1 Kor 10,3)? Haben wir nicht
mehr als sie?

361
10. an die Vergebung der Sünden,

Herr, du hast gesagt, dein Leib und dein Blut in diesem Sakrament
wurde hingegeben, gebrochen, vergossen für alle zur Vergebung der Sünden
(Mt 26,28 u. a.). Möge es doch nicht geschehen, daß ich glaube, ein ande-
res Blut wäre zur Vergebung meiner Sünden vergossen und ein anderer
Leib hingegeben worden als dein eigenes und natürliches. Was denn? Ein
einfaches Sinnbild und Gedächtnis sollte die gleiche Kraft haben? Das
Besprengen mit dem Blut des Jungrindes, obwohl ein Sinnbild des am
Kreuz vergossenen Blutes, heiligte nur zur Reinheit des Fleisches; nein, es
ist das eigene Blut deiner Majestät, das unser Gewissen von toten Werken
reinigt, um dem lebendigen Gott zu dienen (Hebr 9,13).

11. an die Auferstehung des Fleisches,

Ach, gütiger Jesus, wann wird es geschehen, daß in einem Moment, in


einem Augenblick, beim Schall der letzten Posaune, die Toten auferweckt
werden und das eigene Fleisch jedes einzelnen, bisher auf hunderttau-
sendfache Weise verstreut, wieder hergestellt wird zu einem unverwesli-
chen und unsterblichen Leib? Mein Gott, welches Wunder! Doch indes-
sen bewundere ich etwas beinahe gleiches: in einem Moment, in einem
Augenblick, beim Schall der Posaune deines Wortes, wird dein eigener
Leib, der zur Rechten des Vaters im Himmel sitzt, überall gewisserma-
ßen wieder hergestellt in diesem heiligen Sakrament, wo dieses Geheim-
nis gefeiert wird.
Wunderbarer Herr, wenn aber ein wenig Sauerteig schon eine große
Teigmasse aufgehen läßt, wenn ein kleiner Funke genügt, um ein Haus in
Brand zu stecken, wenn ein Samenkorn, das in die Erde gelegt wird, die
Erde fruchtbar macht und so viele andere hervorbringt, wie sehr muß ich
hoffen, daß dein gebenedeiter Leib, der in den meinen eingeht, diesen aus
seinem Verfall erheben wird, wenn die Zeit gekommen ist, ihn mit seiner
Glorie erleuchten, ihn unsterblich, leidensunfähig, gewandt, behend, strah-
lend machen und mit allen herrlichen Eigenschaften ausstatten wird, die
man nur hoffen kann. Diese Wirkkraft kann man nicht in Gleichnissen
finden, sie muß von der Wirklichkeit deines überaus kostbaren Leibes
ausgehen.

362
12. an das ewige Leben.

In der Tat, mein Erlöser, welche andere Speise, die nicht dein Leib ist,
kann das ewige Leben geben? Es muß ein lebendiges Brot sein, um ein
himmlisches Leben zu verleihen; ein Brot, das du selbst bist, mein Herr
und mein Gott, um das unsterbliche, ewig dauernde Leben zu schenken.
Obwohl das Manna das wahre Sinnbild deines Leibes war, vermochte es
nicht so viel; es braucht eine gediegene und markige Speise für ein sol-
ches Leben. Welche andere kann dafür gegeben werden als du, der du
lebst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Glaube ohne Abstriche.2

3
III. Zwei Schreiben an Louis Viret

1.

Mein Herr, erlauben Sie mir bitte, Ihnen zu zeigen, daß die Gründe, die
Sie gegen meine „Betrachtung über das Glaubensbekenntnis“ anführen,
diese nur noch mehr bestätigen durch die falschen Ansätze, auf denen sie
beruhen.
Da ist eine Ihrer Behauptungen: Aus dem Stamm der Frau geworden
sein, die gewohnte Zeit in ihrem Schoß getragen, von ihrer eigenen Sub-
stanz genährt worden sein, das heißt nicht, außer aller Ordnung geworden
sein. – Ich sage, wenn Sie unter dem Namen Frau eine Frau verstehen, die
mit einem Mann Umgang hatte, sprechen Sie richtig; aber Ihr Untersatz,
mit dem Sie behaupten, Jesus Christus sei auf diese Weise geworden, ist
eine Blasphemie. Wenn Sie mit dem Wort irgendeine beliebige Frau mein-
ten, obwohl sie Jungfrau ist, wäre Ihr Untersatz richtig, aber Ihr Obersatz
wäre sehr albern. Denn aus dem Stamm einer Jungfrau geworden sein, in
ihrem Schoß getragen, wenn auch die gewohnte Zeit, von ihrer Milch und
Substanz genährt, das sind Dinge außerhalb jeder Ordnung. Wenn daher
zur seligsten Jungfrau gesagt wurde: Du wirst einen Sohn empfangen und
gebären, dann ist damit auch gesagt, daß es außerhalb der Ordnung der

363
Natur geschehen muß, durch die nachfolgenden Worte: Der Heilige Geist
wird dich überschatten (Lk 1,31.35). Es ist außerhalb der Ordnung der
Natur, daß der Stamm der Jungfrau der Schlange den Kopf zertritt (Gen
3,15). Es ist auch außerhalb der Ordnung der Natur, daß Unser Herr von
Abraham und David abstammte (Mt 1,1-16) ohne irgendeine Mitwir-
kung eines Mannes. Was die Zeit betrifft, die er im Schoß seiner Mutter
blieb, ihre Jungfräulichkeit vorausgesetzt, ist das stets außerhalb der Ord-
nung der Natur. Trotzdem habe ich in meiner „Betrachtung“ nicht von
dieser Zeit gesprochen; ich habe auch nicht davon gesprochen, daß er
außerhalb der Ordnung der Natur gezeugt wurde, sondern nur, daß er
außerhalb von ihr geworden ist.
Die Aussage des hl. Paulus (Hebr 4,15), daß Jesus Christus uns gleich
geworden ist in allem und durchaus, die Sünde ausgenommen, ist nicht
zutreffend in dem Sinn, den Sie gegen die Absicht des Schreibers geben,
denn dagegen gibt es unwiderlegbare Gründe: Jesus Christus ist uns gleich
geworden in allem und durchaus; wir sind nicht von einer Jungfrau gebo-
ren, gehen nicht über das Wasser, treten nicht bei verschlossenen Türen
irgendwo ein, folglich auch Jesus Christus nicht. Wer sieht nicht die Ab-
surdität? Man muß daher die allgemeine Aussage des hl. Paulus mit fol-
genden zwei Erklärungen verstehen: Die eine: Unser Herr ist uns gleich
geworden, aber nicht auf gleiche Weise; denn er ist geworden durch das
übernatürliche Wirken des Heiligen Geistes, wir durch das natürliche
Wirken des Mannes. Die zweite: Er ist uns gleich geworden, nicht um
dauernd so zu bleiben, sondern um zu dulden und zu leiden. Manchmal
hat er gezeigt, daß er nicht dazu bestimmt war, immer unter der Beschaf-
fenheit unserer Sterblichkeit und Schwachheit zu leben, indem er über
das Wasser ging, vierzig Tage fastete, verklärt wurde, aus dem Grab her-
vorging, bei verschlossenen Türen eintrat (Mt 4,2; 17,2; 28,2). Folglich
ist er uns gleich geworden, aber nur solange es ihm gefiel.
Indessen stammt der Satz, den Sie in meiner „Betrachtung“ angreifen,
nicht von mir, sondern vom hl. Ambrosius, den Sie unter meinem Namen
angreifen. „Es ist also klar“, sagt er, „daß die Jungfrau außerhalb der
Ordnung der Natur geboren hat und daß das, was wir darbringen, der Leib
aus der Jungfrau ist. Warum suchst du hier die Ordnung der Natur im
Leib Christi, da der Herr selbst außerhalb der Natur von der Jungfrau
geboren wurde?“ Er ist mein Gewährsmann, dessen Zitation ich am Rand
angegeben habe. Aber vielleicht hat die Glut des Verlangens nach dem
Widerspruch Sie daran gehindert, das zu sehen.

364
Ihr zweiter Beweis ist folgendermaßen aufgebaut: Jeder menschliche
Leib nimmt einen Raum ein; der Leib Jesu Christi ist ein menschlicher
Leib; folglich nimmt der Leib Jesu Christi einen Raum ein. – Wenn Sie
im Obersatz einen menschlichen Leib nach der allgemeinen Ordnung
der Natur meinen, haben Sie recht. Wenn Sie einen menschlichen Leib
meinen, der erhaben und mit göttlicher Kraft ausgestattet ist, haben Sie
unrecht, denn der unwiderlegbare Beweis liegt im Hervorgehen Jesu Chri-
sti aus dem Schoß seiner Mutter und aus dem Grab sowie im Eintreten bei
verschlossenen Türen. Ihr Beweis ist nicht mehr wert als folgender: Jeder
menschliche Leib ist geworden aus dem Umgang des Mannes mit der
Frau; der Leib Jesu Christi ist ein menschlicher Leib, daher ist er aus dem
Umgang entstanden. Der Fehler liegt darin, daß im Obersatz von einem
menschlichen Leib gesprochen wird, in dem es nichts außerhalb des Na-
türlichen gibt; im Untersatz wird von einem menschlichen Leib gespro-
chen, der viel Übernatürliches besitzt.
Sie sagen, wenn der Leib Unseres Herrn keinen Raum einnahm, als er
aus dem Schoß seiner Mutter hervorging, habe er folglich auch keinen
eingenommen, als er in ihrem Schoß war, da die Jungfräulichkeit durch
das eine nicht mehr verletzt werde als durch das andere. Dabei bedenken
Sie anscheinend nicht recht, worin die vollkommene Jungfräulichkeit
besteht. Nun sehen alle Ärzte, Philosophen, Rechtsgelehrten und guten
Theologen die vollkommene körperliche Jungfräulichkeit in zwei Tatbe-
ständen: der eine ist die Integrität der natürlichen Geschlechtsteile, der
andere, nie einen Mann erkannt zu haben. Daher kamen die Gesetze „de
ventre inspiciendo“. Wäre also der Schoß der heiligen Jungfrau bei der
Geburt geöffnet worden, dann wäre sie nicht mehr Jungfrau im Vollsinn
geblieben. Wenn aber der Schoß gesegnet ist und ein Kind trägt, vorausge-
setzt daß keinerlei Eröffnung und Durchbrechung des Schoßes erfolgt, ist
das kein Widerspruch zur vollkommenen Jungfräulichkeit. Daher nahm
Unser Herr im Schoß seiner Mutter einen Raum ein, weil das ihre Unver-
sehrtheit nicht beeinträchtigte, und er nahm keinen ein, als er aus ihm
hervorging, um sie nicht zu beeinträchtigen. Daß dem so ist, zeigt Jesaja
(7,14) hinreichend, wenn er es als etwas Besonderes bezeichnet, daß jene,
die als Jungfrau empfing, als Jungfrau gebar. Es wäre nichts Ungewöhnli-
ches gewesen, als Jungfrau zu gebären, nachdem sie als Jungfrau empfan-
gen hatte, wenn sie nach Art der anderen geboren hätte unter Eröffnung
ihres Schoßes. Wozu hätte es gedient, die Jungfräulichkeit dieser Mutter
bei der Geburt so sehr zu betonen, wenn darin nichts Einmaliges und
Außergewöhnliches gewesen wäre?

365
Gewiß, Siricius und der hl. Ambrosius (Ep. 80 u. 81) betrachten als
Irrlehre, was Sie von der seligsten Jungfrau sagen. Und der hl. Augustinus
(De Haeresibus 82, ad Quodvultdeus) spricht von Jovinian und sagt fol-
gendes: „Er hat die Jungfräulichkeit Marias zunichte gemacht, indem er
sagte, sie sei bei der Geburt verletzt worden.“ Und ganz am Anfang des
Buches gegen den Pelagianer Julian: „Auch Jovinian tat dem Namen und
dem Vorgehen nach dasselbe wie die Manichäer, indem er leugnete, daß
die Jungfräulichkeit der heiligen Maria bestand, als sie empfing, bestehen
blieb, als sie gebar: so als ob wir Christus mit den Manichäern für ein
Trugbild hielten, wenn wir sagen, daß er ohne Beeinträchtigung der Jung-
fräulichkeit der Mutter hervorging. Aber unter dem Beistand des Erlö-
sers selbst wiesen die Katholiken aufs schärfste das Argument zurück, das
Jovinian vorgebracht hatte, und glaubten weder, daß die Heiligkeit Mari-
as bei der Geburt beeinträchtigt wurde, noch daß Christus ein Trugbild
gewesen sei, sondern daß sie auch nach der Geburt Jungfrau blieb und
daß aus ihr dennoch der wahre Leib Christi hervorgegangen ist, und so“
verwarfen sie „euer verleumderisches Geschwätz“. Und von welcher Jung-
fräulichkeit konnte Jovinian leugnen, daß die seligste Jungfrau sie bei der
Geburt besaß, außer von jener, die Sie leugnen? Und welch andere Beein-
trächtigung konnte er dabei behaupten, als Sie darin annehmen? Denn es
ist nicht einzusehen, daß man die Beeinträchtigung im Kind durch den
Umgang mit dem Mann annimmt. Ich sage also zu Ihnen, was zu Jovinian
gesagt wurde.
Der hl. Augustinus spricht im Brief „ad Dardanum“ von den Körpern
nach der natürlichen Ordnung und zeigt, daß sie abhängig sind von Ort
und Raum, daß aber im Gegenteil die göttliche Natur von keinerlei Ort
und Raum abhängig ist, sondern jeden Ort und jeden Raum erhält. Wenn
er aber vom Leib Jesu Christi im besonderen spricht und im Einklang mit
dem hl. Petrus (Apg 2,30-35) sagt, daß er „nach der Art eines wirklichen
Leibes an einem bestimmten Platz des Himmels“ ist, widerspricht er uns
nicht, denn die guten Kenner wissen, daß ein Unterschied ist zwischen ,an
einem Platz sein‘ und einen Platz einnehmen; Zeugen dafür sind die En-
gel und die Seelen. Der hl. Augustinus bekämpft also in diesem Brief die
Ubiquisten, die behaupten, der Leib Unseres Herrn sei überall, nicht
jedoch die Katholiken, die bekennen, daß er an bestimmten Orten ist,
wenn auch in der Weise von Geistern, ohne einen Raum einzunehmen; so
wie er hier bei verschlossenen Türen in den Saal eintrat. Dieses Wunder
vergleicht der hl. Augustinus mit dem Hervorgehen Unseres Herrn aus
dem Schoß seiner Mutter (Ep. 3 ad Volusianum) folgendermaßen: „Die

366
gleiche Macht, die später den Leib des jungen Mannes bei verschlossenen
Türen eintreten ließ, ließ den Leib des Kindes aus dem jungfräulichen
Schoß der unversehrten Mutter hervorgehen. Geben wir zu, daß Gott
etwas vermag, wovon wir gestehen, daß wir nicht folgen können. In sol-
chen Dingen ist der ganze Grund der Tatsache die Macht dessen, der sie
bewirkt.“
Sie bringen als Einwand den Satz (Lk 2,23): Jeder männliche Sproß, der
den Mutterschoß öffnet, sei dem Herrn geweiht. Doch an dieser Stelle
bedeutet „den Mutterschoß öffnen“ nichts anderes, als empfangen sein.
So heißt es (Gen 30,22; 29,31), der Herr öffnete den Schoß Rahels und
Leas, lange Zeit nachdem sie die Jungfräulichkeit verloren hatten, als sie
Kinder empfingen. Fügen Sie hinzu, daß diese Gesetze in ihrer Strenge
auf Unseren Herrn nicht zutrafen, der auf sie in keiner Weise verpflichtet
war; er unterwarf sich ihnen jedoch, weil er dem Anschein und der allge-
meinen Ansicht der Menschen nach scheinbar dazu verpflichtet war. Die-
ses Gesetz wurde aber von seinen Eltern befolgt (Lk 2,22-24), weil man
glaubte, er sei wie die anderen geboren. Der hl. Augustinus erklärt das
(Quaest. 40 in Leviticum) folgendermaßen: „Sie handelten nach der Vor-
schrift über etwas von der Jungfrau für den Herrn Geborenes mehr wegen
des Brauches als wegen der Notwendigkeit. So ließ er sich selbst dazu
herab, mit der Taufe des Johannes getauft zu werden (Mt 3,13-16), die
eine Bußtaufe zur Vergebung der Sünden (Mk 1,4; Lk 3,3) war, obwohl er
selbst keine Sünde hatte“ (vgl. Joh 3,5).
Als Unser Herr den Augen der zwei Jünger entschwand (Lk 24,31),
machte er sich da nicht unsichtbar und unwahrnehmbar? Item, als er sich
inmitten der Jünger zeigte, trat er da nicht unwahrnehmbar und unfaßbar
ein, ohne einen Raum einzunehmen? Wie der hl. Johannes (20,19) sagt,
trat er ja bei verschlossenen Türen ein. Und in der Tat wich sein Eintreten
so sehr von der natürlichen Ordnung der Dinge ab, daß seine Jünger einen
Geist oder ein Gespenst zu sehen glaubten, wie der hl. Lukas (24,36) sagt.
Dem widerspricht nicht die Aufforderung Unseres Herrn (24,39): Beta-
stet und seht. Ich sage ja nicht, Unser Herr sei immer unsichtbar und
nicht wahrnehmbar gewesen, sondern ich behaupte, wie er sichtbar und
wahrnehmbar war, so war er auch unsichtbar und nicht wahrnehmbar,
wann immer es ihm beliebte: das eine schließt das andere nicht aus, so
wenig wie zu verschiedenen Zeiten sterblich und unsterblich zu sein. Das
Axiom „tangere vel tangi nisi corpus, nulla potest res“,4 ist nicht zutref-
fend, denn damit wird nichts anderes gesagt, als daß nur der Körper tast-
bar ist; man sagt aber, daß der Leib manchmal nicht tastbar sein kann.

367
Überlegen Sie schließlich, mein Herr, ich bitte Sie, ob Ihre Beweise
derart und Ihre Folgerungen so kraftvoll sind, daß man ohne anderes
Urteil, meine „Betrachtung“ häretisch nennen müßte. Es ist gewiß leicht,
in den Geheimnissen unseres Glaubens Schwierigkeiten zu finden, aber
das genügt nicht, um sie abzulehnen. Geben Sie jedoch acht, wenn Sie
annehmen, der Schoß der seligsten Jungfrau sei geöffnet worden, daß Sie
sich nicht der Irrlehre Jovinians schuldig machen, und wenn Sie uns be-
schuldigen, wir leugneten die Wirklichkeit des Leibes Unseres Herrn,
daß Sie nicht dasselbe tun, was man gegen die Katholiken der allerersten
Zeit getan hat, wie der hl. Augustinus bezeugt. Der menschliche Verstand
findet stets genug, um damit gegen den Glauben zu streiten, aber es reicht
nicht, um ihn zu Fall zu bringen.
Falls Sie die Bücher nicht haben, die ich zitiere, dann kommen Sie, ich
werde sie Ihnen zeigen. Vielleicht wecken sie in Ihnen die Scham, zu
bereuen, wenn Sie sehen, daß Sie nicht so sehr meiner „Betrachtung“
widersprochen haben als der Lehre der Kirche des Altertums.
Ich empfehle mich Ihnen sehr, mein Herr, um zu sein Ihr sehr demüti-
ger Diener in Gott
Franz von Sales.

2.

Mein Herr, zu Ihren Erwiderungen habe ich folgendes zu sagen. Sie


geben am Schluß zu, daß die Empfängnis Unseres Herrn übernatürlich
ist; er wurde folglich außerhalb jeder Ordnung der Natur empfangen.
Nun, empfangen worden sein bedeutet geworden sein; folglich ist er au-
ßerhalb der Ordnung der Natur geworden. Das haben Sie in Ihrer ersten
Schrift ausdrücklich geleugnet.
Nach der natürlichen Ordnung ist ein Kind niemals aus dem Stamm
einer Jungfrau geworden, noch wurde es im Schoß einer Jungfrau getra-
gen, und im Schoß einer Jungfrau genährt; ich sage im Namen der Ver-
nunft, daß dies außerhalb jeder natürlichen Ordnung liegt. Wenn ich das
sage, zerstöre ich keineswegs die Wahrheit der menschlichen Natur Un-
seres Herrn, obwohl Sie sich das vorstellen könnten, so wenig wie bei
Adam, der außerhalb jeder natürlichen Ordnung geworden ist und ge-
schaffen wurde. Die recht Verständigen wissen, daß die verschiedene Ent-
stehungsweise der Dinge deren Wesen nicht zerstört. Ich habe auch nie

368
behauptet, Unser Herr hätte nicht einen natürlichen Leib gehabt, ebenso-
gut wie Adam und Eva, obwohl ich bestreite, daß eines von ihnen nach
der Ordnung der Natur geworden ist. Daraus folgt, daß Unser Herr wirk-
lich der Stamm der Frau, Abrahams und Davids ist; aber das alles ge-
schah nicht nach der natürlichen Ordnung, sondern durch die Kraft von
oben (Lk 1,35). Und wenn die Heilige Schrift (Mt 1,1; Röm 1,3) sagt, daß
Unser Herr dem Fleisch nach von Abraham und David abstammte, dann
heißt das nicht, nach der natürlichen Ordnung, sondern nach der mensch-
lichen Natur, weil er nach der göttlichen nicht der Sohn Abrahams und
Davids ist. Der Sinn dieses Ausdrucks dem Fleisch nach ist nach Ihrer
Ansicht „nach der Ordnung der Natur“. Das ist grenzenlos absurd, denn
die Empfängnis, die Grundlage alles übrigen, ist rein übernatürlich.
Es ist auch kein Argument „a causa non clausa“, zu sagen, um ihre
vollkommene Form zu haben, bestehe die Jungfräulichkeit in zweierlei:
einerseits in der Unversehrtheit der Geschlechtsteile, andererseits darin,
nie Umgang mit einem Mann gehabt zu haben. Nun, die seligste Jungfrau
ist jungfräulich in der vollkommenen Form; sie besaß die eine und die
andere. Sie weisen die Bekräftigungen nicht zurück, die ich in meiner
Aussage gebracht habe, sondern bestehen nur auf Ihrer ersten Behaup-
tung. Ich erwarte daher, daß Sie darauf antworten, ehe ich weitere bei-
bringe, wenn es dazu käme.
Von einer Jungfrau geboren werden, über das Wasser gehen, bei ver-
schlossenen Türen eintreten, das hebt die menschliche Natur Jesu Christi
nicht auf, der deswegen nicht aufhört, einen ganz echten menschlichen
und natürlichen Leib zu haben, so wenig wie der hl. Petrus (Mt 14,29).
Wohl aber schließt das die Folgerung aus, die Sie aus den Worten des hl.
Paulus (Hebr 4,15) gezogen haben, daß Jesus Christus vollkommen und
in allem uns gleich geworden ist, die Sünde ausgenommen. Sie haben dar-
aus den Schluß gezogen: folglich ist er nicht außerhalb der natürlichen
Ordnung geworden. Diese Argumentation zeigt aber eindeutig, daß man
den Text des hl. Paulus so verstehen muß, wie ich erklärt habe.
Ich weiß nicht, wer außer Ihnen, weil Sie es so wollen, den Eindruck
haben könnte, ich hätte je Unserem Herrn einen Scheinleib zugeschrie-
ben. Jovinian hat das zu seiner Zeit den Katholiken ebenfalls vorgewor-
fen, wie Ihnen der hl. Augustinus bezeugt. Von all dem war nichts enthal-
ten. Ich sage daher: seinem Wesen nach ist der Leib Unseres Herrn wahr-
haft menschlich; in seinen Tätigkeiten und Eigenschaften aber ist er jetzt
sehr verschieden von dem unseren, und er war es manchmal, während er

369
auf Erden war. Das habe ich hinreichend nachgewiesen und es gibt gegen
diese Wahrheit keine Antwort und keinen stichhaltigen Einwand. Auch
nicht die Meinung, ein Leib gleich dem unseren könnte nicht bei ver-
schlossenen Türen eintreten, etc. Ich sage aber, als das geschah, war er
darin nicht mehr unserem Leib gleich.
Der Apostel unterscheidet sehr klar zwischen einem tatsächlichen Leib,
wirklich und menschlich, aber sterblich und sinnlich oder fleischlich, und
dem gleichen tatsächlichen Leib, wirklich und menschlich, aber unsterb-
lich und geistig (1 Kor 15,44-49); wer das bedenkt, hat keine Möglichkeit,
sich dem zu widersetzen. Das ist doch nur ein und derselbe Leib im We-
sen, aber mit verschiedenen Eigenschaften. So sage ich, daß Unser Herr
nur einen Leib hatte, wirklich, tatsächlich, menschlich, daß er aber sehr
verschiedene natürliche und übernatürliche Eigenschaften besaß. Er fa-
stete vierzig Tage auf übernatürliche Weise, hat natürlicherweise Hunger
(Mt 4,2); er ist auf übernatürliche Weise empfangen von einer Jungfrau
und geboren von einer Jungfrau, er weint, schläft und ißt natürlicherweise
(Lk 19,41; Joh 11,35; Mt 8,24; Mk 4,38); er geht auf übernatürliche
Weise über das Wasser, er geht natürlicherweise durch Jerusalem; er wird
auf übernatürliche Weise verklärt, er ist natürlicherweise bei Tisch. Ge-
ben wir also zu: da er wahrer Gott und wahrer Mensch ist, konnte sein
Leib aus dem Grab hervorgehen, bei verschlossenen Türen eintreten, aus
einer Jungfrau hervorgehen ohne Beeinträchtigung ihrer Unversehrtheit,
an mehreren Orten sein, ohne einen Raum einzunehmen: und trotz all
dem nicht aufhören, einen sehr wirklichen und tatsächlichen menschli-
chen Leib zu haben, bestehend aus Gebein, Fleisch und Blut. Das eine
wie das andere ist Dem ebenso möglich, bei dem kein Ding unmöglich ist
(Lk 1,37).
Meine Abhandlung, wie Sie es nennen, behauptet nur, daß der Leib
Unseres Herrn außerhalb aller Ordnung der Natur entstanden ist. Ich
glaube, daß der Mensch entstanden ist, wenn er empfangen wurde. Das
übrige nennt man wachsen und vervollkommnen. Mein Gewährsmann
(Ambrosius) hat darüber dasselbe gesagt, aber noch mehr. Den Ausdruck
„partus ex Virgine“ (Geburt aus der Jungfrau) kann man ja nicht nur von
der Empfängnis verstehen, sondern von allen anderen Vorgängen und
Anwendungen, die zur vollkommenen Ausstattung eines Sohnes notwen-
dig sind. Das läßt mich um so mehr glauben, daß irgendeine Glut, sei es
des Verlangens zu tadeln, oder des Eifers ohne Wissenschaft (Röm 10,2),
Sie daran gehindert hat, zu bedenken, daß Sie bei Ihrem Vorwurf meinen

370
großen Gewährsmann mit mir in einen Topf werfen, wobei Sie vielleicht
gemeint haben, irgendeiner Absurdität entgegenzutreten.
Keinen Raum einnehmen ist keineswegs ein Widerspruch zur Natur
eines wahren menschlichen Leibes, wohl aber liegt es außerhalb und über
der Natur. Wenn aber ein natürlicher menschlicher Leib durch die Kraft
Gottes erhöht und unterstützt wird, kann es sein, daß er keinen Raum
einnimmt. Sie werden niemals das Gegenteil beweisen. Gestützt von der
Kraft Gottes ging doch der hl. Petrus über das Wasser (Mt 14,29), und
trotzdem nahm er einen Raum ein. Ich sage auch nicht, daß ein Leib,
durch die Kraft Gottes erhoben, nie einen Raum eingenommen habe,
sondern nur, es kann sein, daß er keinen einnimmt, d. h. wenn er dazu
unterstützt und erhoben wird, was anders nicht möglich ist.
Meine Argumente sind bisher nicht bestritten worden, außer jene für
das Hervorgehen aus dem Schoß der Mutter, das ich so gut bewiesen
habe, daß ich das wohl wiederholen könnte. Sie haben auch tatsächlich
auf meine Beweise nichts geantwortet, außer durch einfache Ablehnung,
die Ihnen sehr leicht fällt. Und wenn Sie von mir verlangen, daß ich peto
principium (den Grundsatz aufstelle), veranlassen Sie mich zu dem Ur-
teil, daß Sie mich für einen völligen Ignoranten in der Art der Beweisfüh-
rung halten, als wüßte ich nicht, daß petitio principii est argumentantis,
non respondentis (die Aufstellung des Grundsatzes Sache des Beweisfüh-
renden ist, nicht des Antwortenden); nun, ich bin der Antwortende. Sie
greifen meine Behauptung an; auf seinem Grundsatz beharren, ist Ihr
Fehler, nicht der meine. Nun, Sie tun es mit folgenden Wiederholungen:
„Der menschliche Leib muß einen Raum einnehmen; ein Leib, der kei-
nen Raum einnimmt, ist kein natürlicher; wenn der Leib Unseres Herrn
keinen Raum einnimmt, ist er ein Scheinleib.“
Was die Erschütterung meines Argumentes betrifft, wie Sie es nennen,
brauchen Sie darauf Ihre Zeit nicht zu verschwenden, denn ich behaupte,
daß es nichts taugt. Um gut zu erwidern, müßten Sie zeigen, daß das Ihre
mehr Gewicht hat, denn das bestreite ich. Und wie Sie das meine zurecht-
rücken, will ich in der Tat die Ihren zurechtrücken.
Der Leib Unseres Herrn ist ein menschlicher Leib; der Leib Unseres
Herrn hat nicht immer einen Raum eingenommen; folglich nimmt nicht
jeder menschliche Leib immer einen Raum ein. Es gibt also im Leib
Unseres Herrn mehrere übernatürliche Dinge, vor allem jetzt, da er ver-
herrlicht ist. Und doch bleibt es wahr, daß er vollkommen und in allem
dem unseren gleich geworden ist, obwohl er nicht immer in der gleichen
Verfassung blieb.

371
Es ist wahrhaftig nicht notwendig, daß copula et partus concurrat ad
violationem virginitatis (zur Verletzung der Jungfräulichkeit der Ge-
schlechtsverkehr und die Geburt zusammenkommen), denn eines der
beiden genügt. Das behaupte ich, und daran haben die Alten gegen Jovini-
an festgehalten. Und obwohl sie das eine mehr verletzt als das andere,
widerspricht doch das eine wie das andere der vollkommenen Jungfräu-
lichkeit der Jungfrau Maria. Ich habe mich daher stets gescheut zu sagen
und zu denken, Unser Herr hätte den Schoß seiner Mutter eröffnet, folg-
lich einen Raum eingenommen, um so mehr, als das eine Behauptung ist,
die vom Altertum als häretisch verurteilt wurde.
Und zuzugeben, daß die Mutter Gottes Jungfrau ist, weil sie keinen
Mann erkannte, das genügt mir nicht, weil es den Alten nicht genügt, um
Jovinian nicht als Häretiker zu betrachten.
Ich tue Ihnen daher nicht Unrecht, wenn ich Sie des Irrtums derjenigen
zeihe, die sagten, die Jungfräulichkeit der seligsten Jungfrau sei bei der
Geburt verletzt worden, wenn auch ohne jeden Umgang mit einem Mann;
denn welche andere Verletzung könnten sie bei der Geburt annehmen, als
Sie dabei annehmen? Und weshalb sonst haben die alten Väter sie gerügt,
als weshalb ich Sie tadle? Wenn Sie den Irttum Jovinians nicht aufgeben,
werde ich den Tadel der Heiligen Ambrosius, Hieronymus und Augusti-
nus nicht zurücknehmen. Sie können das Wort von der Jungfräulichkeit
schön vorschützen, wenn Sie nicht deren doppelter Wirkung zustimmen;
Sie werden tatsächlich ein Häretiker sein, wenn Sie zum Irrtum den Starr-
sinn hinzufügen.
Die Unserem Herrn einen Astralleib zuschreiben, um zu bestreiten,
daß er einen Raum einnimmt, die stützen sich auf die Luft; jene aber, die
ihm einen wirklichen, natürlichen und wahrhaft menschlichen Leib zu-
schreiben und sagen, daß er trotzdem keinen Raum einnimmt, wenn es
ihm beliebt, die stützen sich auf die Heilige Schrift und auf die Allmacht
Gottes. Die wollen, daß der Leib Jesu Christi an mehreren Orten ist, sind
so weit von denen entfernt, die wollen, daß er überall sei, wo Gott ist, wie
der Unterschied zwischen dem Ganzen und einem kleinen Teil, zwischen
dem Begrenzten und dem Unbegrenzten. Die Verständigen wissen das.
Wir kennen sehr wohl die angeblichen Grundlagen der Heiligen Schrift
bei den Brenzianern und anderen reformierten Ubiquisten, um sie zu
bekämpfen. Wenn ich lesen kann, scheint mir, Sie sagen, daß die zwei
Naturen miteinander vereinigt sind in der einen gleichen Hypostase, ko-
inonian. Wenn es stimmt, heißt es von der Theologie sprechen als nicht

372
Zuständiger. Ich würde Ihnen sagen, warum, wenn ich Sie träfe, aber zu
schreiben habe ich nicht die Muße; es liegt auch außerhalb unseres The-
mas.
Sie kommen wieder auf den Anfang zurück, wenn Sie am Schluß sagen,
es heiße die Wirklichkeit des Leibes aufheben, wenn man sagt, daß er
keinen Raum einnimmt. Das habe ich bestritten und bestreite es. Sie
konnten es nicht beweisen und noch weniger sich der Kraft der Autorität
der Väter entziehen, die ich zitiert habe. Sie widersprechen ihnen direkt,
unbeschadet dessen, was sie gegen mich tun, wie Sie behaupten. Das sagen
Sie so leicht, wie es unmöglich zu beweisen ist. Das ist aber bei den Ihren
das Gewöhnliche, uns Meinungen zu unterstellen, die wir ganz entschie-
den ablehnen, wie die eines Scheinleibes Unseres Herrn und der Ubiqui-
tät. Das geschieht, um leichteres Spiel bei Ihren Vorwürfen zu haben, die
sonst impertinent wären. Sie haben gesehen, daß Jovinian und der Pela-
gianer Julian es ebenso machten, wie der hl. Augustinus bestätigt; aber
das ist nur verleumderisches Geschwätz. Es ist klar: wenn es in der Heili-
gen Schrift heißt, Gott öffnet den Schoß der Frauen, wenn sie empfangen,
und verschließt ihn, wenn sie unfruchtbar sind, dann haben sie Verkehr
mit dem Mann. So wird (1 Sam 1,5) von Hanna gesagt, daß der Herr ihren
Schoß verschloß, gewiß nicht für ihren Mann, für den er zur Genüge geöff-
net war, daß sie aber nicht empfing. Wenn Sie sagen, da „nicht der Fötus
den Schoß öffnet, sondern der Erzeuger“, gestehe ich, daß ihn der eine
und der andere eröffnet, der Vater aber zuerst. Ich behaupte aber, nach
dem Sprachgebrauch der Heiligen Schrift wird dann gesagt, daß der Schoß
eröffnet wird, wenn die Frau empfängt. Und Sie können nicht beweisen,
daß diese Worte beim hl. Lukas (2,23) eher von der Geburt gesagt sind als
von der Empfängnis.
Was die Beobachtung des Gesetzes (Lk 2,22-24) betrifft, ist „dieses
Argument“ nicht „abwegig“. Ich sage ja, obwohl Unser Herr den Schoß
nicht eröffnete, treffe dieses Gesetz auf ihn zu, „nicht der Wirklichkeit,
sondern der allgemeinen Auffassung der Menschen nach“. Sie glaubten,
„er sei nach der Art der anderen empfangen und geboren worden, daher
auch an dieses Gesetz gebunden, und er erfüllte es trotzdem, nicht der
Notwendigkeit, sondern des Brauches wegen“. Und was die Bürgschaft
betrifft, die er für uns leistete, hat er sie in seiner Passion eingelöst, und
das überreich.
Wer hat je gesagt, er sei ein Schatten oder Trugbild gewesen, weil Chris-
tus den Augen der Jünger plötzlich entschwand (Lk 24,31)? Es ist viel-

373
mehr die Macht Gottes, die auch die gediegensten und menschlichen
Körper den Augen der Sterblichen entzieht und sie zeitweise unsichtbar
macht, wie es ihm beliebt; so tat er, als er mitten durch sie hindurchging
(Lk 4,30).
Was sein Eintreten bei verschlossenen Türen betrifft, haben Sie in kei-
ner Weise geantwortet. Entweder nahm er einen Raum ein oder er nahm
keinen ein. Wenn Sie sagen, er nahm einen Raum ein, verstoßen Sie gegen
die Heilige Schrift; sagen Sie, er nahm keinen ein, verstoßen Sie gegen
Ihre allgemeine Behauptung, die in Wahrheit weder von der Heiligen
Schrift noch von der Theologie stammt, sondern von Ihrer Einbildung.
Manchmal untastbar und unsichtbar sein, bedeutet nicht, manchmal kein
Leib sein, sondern nur übernatürliche Eigenschaften haben; nicht mehr
als ein unsterblicher oder geistiger Leib sein, wie der hl. Paulus (1 Kor
15,44) sagt, nicht bedeutet, kein Leib sein, sondern ein Leib, der mit
geistigen und glorreichen Eigenschaften ausgestattet ist.
Und glauben Sie mir auch, mein Herr, nur die Ehrfurcht, die ich vor
der Wahrheit des Evangeliums habe, vor der Urkirche Unseres Herrn,
der Säule und Grundfeste der Wahrheit (1 Tim 3,15), sowie der Wunsch,
jene, die bei der Taufe Jesus Christus den Eid geschworen haben, im Haus
ihres Vaters wiedervereinigt zu sehen, veranlaßt mich, allen Arten von
Schwierigkeiten und Mühen nachzulaufen, in der Hoffnung, daß Gott das
Gedeihen geben wird (1 Kor 3,6f). Je mehr ich Ihnen darin entgegenarbei-
te, um so mehr bin ich, mein Herr, Ihr und aller anderen sehr demütiger
Diener in Gott,
Franz von Sales.

IV
V.. FFragen
ragen an die Prädikanten
der sogenannten reformierten Religion
zu ihrer Lehre über das Abendmahl5

1. Das Geheimnis der heiligen Eucharistie wurde in der Heiligen Schrift


nie Abendmahl genannt. Der hl. Paulus bestätigt im Gegenteil (1 Kor
11,25) ausdrücklich, daß es nach dem Abendmahl eingesetzt wurde. Wa-
rum haben dann die angeblichen Reformatoren die althergebrachten Be-
zeichnungen für dieses Sakrament aufgegeben, um es als Abendmahl zu
bezeichnen? Zeigen sie damit nicht äußerste Neuerungssucht? Meinen

374
sie denn, der hl. Paulus hätte den Ausdruck Mahl gebraucht, um damit die
Eucharistie zu bezeichnen, wenn er die Korinther (11,20) tadelt wegen
der Art, wie sie ihre Mähler hielten? Das ist doch albern. Der hl. Paulus
erklärt doch (11,21), daß er von einem Mahl spricht, bei dem man sich
betrinkt, bei dem man es vorzieht, seine Mahlzeit für sich einzunehmen,
und daß dabei die Reichen mehr haben als die Armen und daß jeder das
daheim machen könnte: das kann doch beim Genuß der heiligen Speise
nicht vorkommen.
2. Die Apostel kannten die Sprachen aller Winkel der Welt, wo sie
hinkamen; das sind sehr zahlreiche und verschiedene; trotzdem haben
sie die Ordnung und die Form, die Eucharistie zu feiern, in höchstens
drei Sprachen erlassen. Warum und in welcher Vollmacht haben sie dann
die Prädikanten ihren Leuten in so vielen verschiedenen Sprachen gege-
ben, die unförmig, regellos und vermischt sind? Hatten sie mehr Sorgfalt
und Liebe für die Leute als die Apostel?
3. Unser Herr erklärt, daß er die kleinen Kinder liebt; er will, daß man
sie zu ihm kommen läßt (Mt 19,14; Mt 10,14; Lk 18,16), und sagt, wer
ihnen nicht gleicht, wird des Himmelreiches nicht teilhaft (Mt 18,3). Wa-
rum verweigern dann die Prädikanten ihnen das Abendmahl und gewäh-
ren es den Frauen, die die Heilige Schrift nicht nennt? Dies, obwohl Cal-
vin in § 33 des 17. Kapitels im 4. Buch seiner „Institution“ schreibt, das 6.
Kapitel des Johannes-Evangeliums handle nicht vom „sakramentalen
Genuß“ des Leibes Jesu Christi. Welchen Nebel können sie verbreiten,
um dieses Ansehen der Personen zu verschleiern, indem sie beim Emp-
fang dieses Sakramentes die Frauen den kleinen unschuldigen Kindern
vorziehen, wenn sie nicht auf die heilige Überlieferung zurückgreifen?
4. Der hl. Lukas (22,18) enthüllt sehr deutlich, daß die Worte Unseres
Herrn: Ich werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken, bis das
Reich Gottes gekommen ist, von einem anderen Gegenstand als dem der
heiligen Eucharistie gesagt wurden, obwohl sie nach dem hl. Matthäus
(26,29) und dem hl. Markus (14,25) nach deren Einsetzung gesprochen
wurden. Welche Gewißheit können daher die Prädikanten haben, daß
man beim Gebrauch des Kelches reinen Wein verwenden muß und nicht
lieber Wasser oder Zerevis oder gewässerten Wein? Wenn das mehr ih-
rem Geschmack entspricht, ist es dennoch nicht mehr in der Heiligen
Schrift angeordnet. Warum haben sie in diesem Punkt gegen die altehr-
würdige Überlieferung der Kirche verstoßen, ohne irgendein Wort Got-
tes als Gewähr zu haben?

375
5. Die Heilige Schrift berichtet (Mt 26,26-28; Mk 14,22-24; Lk 22,19f)
ausdrücklich, als Unser Herr dieses Sakrament einsetzte, sagte er: Das ist
mein Leib; das ist mein Blut, und befahl, daß man tue, was er getan hat. Da
er also diese heiligen Worte gleichzeitig sprach, als er diese heilige Speise
vorstellte, warum bereiten die Prädikanten ihr Abendmahl, ohne sie zu
sprechen, und begnügen sich damit, sie vor der Kommunion zu sprechen?
Sie tun nicht, was Unser Herr getan hat, oder sie geben nicht zu, daß sie es
nicht tun, noch tun wollen?
6. Kein anderes Sakrament im Alten und im Neuen Testament, ja kein
Opfer und keine Zeremonie wurde je mit bildlichen Worten eingesetzt;
wieso könnte dieses überaus große und über alle Geheimnisse der christ-
lichen Religion erhabene Sakrament des Leibes Jesu Christi durch ein
sinnbildliches Wort eingesetzt worden sein, wie ihr sagt? Statt Das ist
mein Leib, wie geschrieben steht, wollt ihr erklären: „Das versinnbildet
meinen Leib.“ Gott befahl den Israeliten die Beschneidung (Gen 17,10-
14; Lev 12,3): Das war ein schwieriges Gebot; trotzdem versteht man es
ganz einfach, ohne ihm auszuweichen und es durch Sinnbilder und Meta-
phern umzudeuten. Er befiehlt (Ex 12,3-11), das Lamm zu schlachten
und zu essen; er ordnet (Lev 1-7) an, verschiedene Tiere zu opfern; er gibt
(Mt 28,19) den Aposteln den Auftrag zu taufen; all das wird wörtlich
verstanden, man nimmt nicht Zuflucht zu Sinnbildern. Und wenn es heißt:
Das ist mein Leib, wollt ihr dabei ein „versinnbildet“ anstelle von ist
erfinden, ein Sinnbild, um diese so klare Wahrheit zu verbergen.
7. Warum verschanzt ihr euch hinter dem Ausspruch des hl. Augusti-
nus, daß man bei absurden und schlecht klingenden Dingen zu Bildern
greifen muß? Deshalb sagt ihr, die Worte Unseres Herrn beim Abend-
mahl dürften nur bildlich verstanden werden. Man kann wohl zustim-
men, daß ihr den hl. Augustinus richtig versteht, wenn er unter schlecht
klingenden Dingen versteht, was gegen das Naturgesetz ist, Gott lästern,
lügen und Jesus Christus lebendig verschlingen, wie die Leute von Kafar-
naum wollten (Joh 6,33), was man nie zu recht befehlen kann. Wenn ihr
darunter verstehen wollt, daß alles, was absurd zu sein scheint, obwohl es
das nicht ist, sinnbildlich erklärt werden müsse, wird man euch versi-
chern, daß ihr euch sehr täuscht. Und was sagt ihr dazu, was der hl. Augu-
stinus weiter sagt? Er sagt, der Feind des Gesetzes und der Propheten
steht hinter solchen, die sagen: Dieses Wort ist hart; wer kann es hören?
(Joh 6,61). Wir aber empfangen mit gläubigem Herzen und mit dem
Mund Jesus Christus, der uns sein Fleisch zu essen gibt, obwohl es schreck-

376
licher zu sein scheint, menschliches Fleisch zu essen, als es zu schlachten,
und menschliches Blut zu trinken, als es zu vergießen. Seht, wie der hl.
Augustinus nicht sogleich zu Sinnbildern greift und auch sagt, daß man
„gläubigen Herzens und wörtlich“ die Dinge annimmt, die auf den ersten
Blick absurd scheinen.
In der Heiligen Schrift werdet ihr mehrere Dinge finden, die zunächst
absurd zu sein scheinen, die man trotzdem nicht im bildlichen Sinn lesen
wird: so, wenn Abraham befohlen wurde, Hand an seinen eigenen Sohn
zu legen (Gen 22,2); Jesaja (20,2f), ganz nackt herumzugehen; Ezechiel
(4,12), ganz in Kot getauchtes Brot zu essen. Keiner von ihnen wollte zu
Sinnbildern Zuflucht nehmen und geistigerweise durch Metaphern ausle-
gen, was befohlen war; alles wurde wörtlich genommen; weder der An-
schein des Verbrechens noch des Unehrenhaften ließ sie irgendein Sinn-
bild suchen.
Wenn man außerdem alles nicht glauben darf, was absurd erscheint,
was antwortet ihr den häretischen Arianern, Montanisten und Manichä-
ern, die schlecht von der Menschwerdung des Gottessohnes dachten? Ih-
nen schien es auch absurd und ungeziemend, daß die Gottheit mit den
Makeln unserer Natur vermengt wurde, daß Gott Hunger litt, weinte und
starb: das unterscheidet sich kaum von den Absurditäten, die ihr in der
wirklichen Gegenwart des Leibes Jesu Christi in der heiligen Hostie be-
hauptet. Jedenfalls haltet ihr diese Geißeln der alten Häretiker für sehr
bedauernswerte Menschen, die diese Dinge hervorgebracht haben.
8. Im einfachen und ganz reinen Naturgesetz haben Abel, Noach, Abra-
ham, Melchisedek, Isaak und Jakob außer Gebeten und Lobpreisungen
äußere Opfer dargebracht. Nur, das Naturgesetz wurde durch das Evange-
lium nicht aufgehoben, sondern gefestigt. Warum wollen dann die Prädi-
kanten in ihrer Religion keinerlei äußeres Opfer annehmen?
9. Der hl. Paulus erklärt (Hebr 13,10), wir haben einen Altar, von dem
zu essen jene nicht die Macht hatten, die im Zelt waren. Nun hatten jene,
die dem Zelt dienten, den Altar ihres Herzens, auf dem sie geistige Opfer
darbringen konnten (vgl. 1 Petr 2,5); sie aßen im Glauben und im Geist
Jesus Christus den Gekreuzigten (vgl. 1 Kor 10,3f); sonst wären sie alle
verdammt. Was ist das also für ein Altar, den wir ihnen voraushaben?
10. De Bèze schreibt in seinem Vorwort zu Josua klar und deutlich,
Calvin „gebühre nach Gott die Ehre der Lösung, der seither alle Leute
von gutem Urteil folgten, was man vom Abendmahl glauben, suchen und
empfangen muß“. Was ist dann aus allen Vorgängern geworden? Soll die-

377
ses so wichtige Geheimnis der Kirche des ganzen Altertums verborgen
gewesen sein, um von diesem angeblich einzigen Liebling und Günstling
des Heiligen Geistes enthüllt zu werden? Man behauptet also freiweg,
daß diese Reformation ganz neu und dem Altertum nie bekannt war!
11. Welches Gesetz befreit euch davon, einander die Füße zu waschen
vor der Feier des Abendmahls, wie Unser Herr getan und geboten hat
(Joh 13,4f.15f)? Wenn es nicht die Überlieferung ist, dann ist es euer
eigenes Gutdünken.
12. Unser Herr setzte dieses heilige Geheimnis seines Leibes und Blu-
tes am Abend nach dem Mahl ein: wer hat euch ermächtigt, das zu einer
anderen Stunde zu tun? Oder meint ihr, die von Unserem Herrn beob-
achteten Umstände seien so wenig zu beachten?
13. Der Text des Evangeliums (Lk 22,20; Mt 26,28) berichtet, daß das
Blut, das sich im Kelch befand, vergossen wurde für alle zur Vergebung der
Sünden. Warum leugnet ihr, daß diese Vergebung auch für die Sünden der
Verstorbenen gilt, eher als für die der Sterblichen? Wer hat euch die Macht
gegeben, die Gnaden Gottes selbst zu beschränken, da Calvin (Inst. 3.
Buch, Kap. 5 § 10) zugibt, daß das Gebet für die Verstorbenen „vor 1300
Jahren“ in der Kirche in Übung war?
14. Warum beraubt ihr die Kranken dieses Sakramentes, gegen die Be-
stimmung dessen, der sie nicht zurückweist? Solche Leute bedürfen ja
seiner mehr als die anderen und „die frühe Kirche“ spendete es ihnen
sehr sorgsam, wie Calvin selbst zugibt (Inst. 4. Buch, Kap 17 § 39).
15. Calvin (Inst. 4. Buch, Kap. 2 § 3) bekennt frei, es sei ohne Zweifel
eine bekannte Sache, daß von der Zeit der Apostel bis zur Zeit des hl.
Augustinus „keine Änderung der Lehre eingetreten ist“, weder in Rom
noch in anderen Städten; das sind seine eigenen Worte. Warum hat er es
dann abgeschafft, das Kreuzzeichen zu machen, beim Empfang dieses
Sakramentes ebenso wie bei anderen? Der hl. Augustinus erklärt doch,
daß die Kirche dabei dieses Zeichen gebrauchte, und vor ihm der hl.
Chrysostomus, und vor diesen beiden Heiligen Cyprian; und lange Zeit
vor diesen drei großen Vätern der hl. Clemens und der hl. Dionysius.
Das sei gesagt in der Erwartung, daß die ausführliche Erwiderung auf
eine kleine Abhandlung über das Kreuz, die kürzlich in Genf gedruckt
wurde,6 von den Druckern geliefert wird.

378
V. Memorandum über die Bek ehr
Bekehr ung
ehrung
der Häretik er und ihre
Häretiker
W ieder vereinigung mit der Kirche7
iedervereinigung
Im vergangenen Jahr war ich anläßlich der Konsekration des Fürstbi-
schofs von Sitten (Sedunensis) im Wallis. Im Auftrag der hochwürdigsten
Herren, die die Weihe erteilten, hielt ich die Festpredigt, in der ich die
apostolische Nachfolge in der Kirche behandelte. Ich forderte die Bevöl-
kerung (zum Teil häretisch, aber aus Neugierde zu diesem Gottesdienst
gekommen) zur Liebe gegen deren Heiligkeit, Echtheit und apostolische
Nachfolge auf. Einige fühlten sich betroffen, und einer von ihnen kam,
um sich mit mir zu besprechen.
Bei meiner Abreise begleitete ein Abgeordneter der Stadt den Konse-
krator, den Erzbischof von Vienne, und mich auf der Rückreise in dieses
Land bis an die Grenze des Staates Wallis. Auf der Reise sprach er fast
ständig mit mir und sagte mir unter anderem: „Mein Herr, Sie haben
etwas getan, was in der Stadt Sitten seit vielen Jahren nicht mehr gesche-
hen ist. Denn es war den katholischen Predigern nie erlaubt, auf der Kan-
zel irgendeine Kontroversfrage zu behandeln. Aber die Festlichkeit und
Ihre Würde bewirkten, daß Ihre Predigt gut aufgenommen wurde, und ich
glaube, daß sie für viele Katholiken von Nutzen sein wird, die dadurch
sehr bestärkt werden. Aber Sie haben die anderen aufgefordert, in den
Schoß der Kirche zurückzukehren: das ist gut für die einzelnen. Doch für
die so zahlreichen Städte, für ganze Republiken, wo es für die katholi-
schen Prediger nicht erlaubt ist, sich sehen zu lassen, sich aufzuhalten
und zu sprechen, welches Mittel gibt es, sie zum Glauben zurückzufüh-
ren? Da bei uns in der Schweiz, in ganz Deutschland und selbst in vielen
Teilen Frankreichs ganze Städte häretisch sind und die Häresie als Staats-
räson gilt, sieht man nicht die geringste Hoffnung für ihre Bekehrung.
Und die Sache geht so weit, daß die Häretiker nicht im geringsten beun-
ruhigt werden und es keine Abhilfe gibt.“
Diese Worte gingen mir so zu Herzen, daß ich sie mir nicht mehr aus
dem Sinn schlagen konnte und mir schließlich folgender Gedanke kam:
Es ist wahr, wenn man die Schweizer in Zürich, Basel, Bern und in ande-
ren Kantonen weiter so gewähren läßt (man kann dasselbe von England
und anderen Ländern sagen), werden sie sich nie bekehren. Im Gegenteil,
da ihre Religion Sache des Staates geworden ist, wird eines im anderen

379
befestigt. Und da „man sich für die zur Gewohnheit gewordenen Dinge
nicht begeistert“, wird diese Irrlehre in Wahrheit mit ihrem Alter keinen
Fortschritt machen, was aber wichtig ist, sie wird ebensowenig abnehmen
und wird wie eine unheilbare Lähmung auf den edelsten Teilen Europas
lasten. Welche Abhilfe kann es da geben?
Ich habe viele Dinge überlegt, aber keinen anderen Weg gefunden als
diesen: Unser Heiliger Vater und Herr oder der Apostolische Stuhl soll
alle katholischen Fürsten und alle Republiken aufrufen, nicht zu äußeren
Waffen zu greifen, sondern zu inneren, d. h. die Wiedervereinigung der
Häretiker mit der heiligen Kirche vorzuschlagen. Dieser Vorschlag müß-
te gleichzeitig von allen gemacht werden, mit gediegenen und klaren Ar-
gumenten, die den öffentlichen Nutzen darlegen, den die Christenheit
darin finden wird; sie ist durch die Spaltung sehr geschwächt, wird aber
durch die Einheit sehr gestärkt gegen die Türken und andere. Auf diese
Weise könnte man versuchen, eine Liga oder einen Kreuzzug bei den
Katholiken zu bilden, wie ich gesagt habe, nicht um zu den Waffen zu
eilen, sondern um zusammenzustehen im Eifer, diese Einheit zu beschleu-
nigen.
Es bleibt das Mittel vorzuschlagen, diese Einheit zu erreichen, und der
Weg, um sie vorzubereiten. Dazu schiene mir folgendes sehr nützlich:
1. Die Fürsten müßten einzig zu diesem Zweck ein nationales Konzil
einberufen, d. h. eines in Frankreich und eines in Deutschland, und mit
allen möglichen Anstrengungen dahin wirken, daß daran einige Abge-
sandte der häretischen Fürsten und Republiken teilnehmen, um die Vor-
schläge für diese Einigung anzuhören, nicht um zu disputieren oder Streit-
gespräche zu führen, sondern einzig, um über die Art zu beraten, wie man
sie herbeiführen kann.
2. Diesen Konzilen soll die apostolische Autorität nicht vorausgehen,
sondern nur nachfolgen. Das heißt, sie sollen nicht in ihrem Namen abge-
halten werden, um den Heiligen Stuhl nicht festzulegen, sondern sollen
nur versprechen, die Ratifikation der gefaßten Beschlüsse einzuholen.
3. Damit man diese Bestätigung mit Sicherheit erwarten kann, wäre es
notwendig, daß der Heilige Stuhl von Zeit zu Zeit über die verschiedenen
Vorschläge unterrichtet wird und daß er sich stets bereit hält, unverzüg-
lich zu antworten; oder vielmehr, daß man im voraus Denkschriften über
die Gegenstände habe, die behandelt werden müssen.
4. Dann könnte man die Wiedervereinigung mit der heiligen Kirche
sehr erleichtern, indem man alle kirchlichen Güter oder wenigstens ei-

380
nen guten Teil denen überläßt, die sie innehaben, und sich damit begnügt,
Lebensunterhalt und Kleidung für die Priester zu verlangen, die man dort
einsetzen wird; ebenso oder noch dazu, indem man den Fürsten und den
Republiken die Nomination für die bedeutendsten Benefizien überläßt,
ja sogar für alle, wie man dem König von Frankreich sie für die wichtig-
sten zugesteht. Mir scheint darin keine größere Gefahr schlimmer Folgen
zu liegen als in der gewohnten Übung in Frankreich.
5. Man könnte den häretischen Prädikanten die gleiche Besoldung zusi-
chern, die sie für ihre Familien haben, ja sogar noch mehr zeitliche Mit-
tel; denn in Wahrheit bleiben sie zum Großteil wegen dieses Stückchens
Brot in der Häresie. Was die abgefallenen Geistlichen betrifft, könnte
man sie von ihrem Gelübde der Enthaltsamkeit dispensieren, vor allem,
wenn sie Kinder haben, ohne sie jedoch jemals zur Ausübung ihrer Weihe
zuzulassen und ihnen das Tragen des geistlichen Kleides zu gestatten.
Und ähnliche Vorschläge, die die Hindernisse beseitigen können.
6. Wenn aber etwa die nationalen Konzile nicht für geeignet erachtet
werden, dann könnten die Fürsten nur einige Bischöfe und einige Männer
von gutem Urteil zusammenrufen, um diese heilige Sache zu behandeln
und ihnen ihre Gedanken zu erläutern. Indessen dürfte man in keiner
Weise Streitgespräche führen, sondern nur die Mittel vorschlagen, die zu
ergreifen sind, damit alle sehen können, daß die heilige Kirche, solange
der katholische Glaube gewahrt bleibt, für diese Einheit die Einkünfte zu
gewähren bereit ist und andere Dinge, die für notwendig gehalten werden.
Und selbst wenn dieses Vorgehen kein anderes Resultat brächte, als die
Geister aufzurütteln und als Mittel zu dienen, daß man die Häretiker
hindert, das angebliche Recht zu beanspruchen, das sie sich anmaßen,
daß sie nicht zur Sinnesänderung gerufen und aufgefordert werden, dann
wäre der Nutzen nicht gering.
7. Sollte man es aber nicht für geeignet halten, dieses Vorgehen in allen
abtrünnigen, gespaltenen und von der heiligen Kirche getrennten Län-
dern anzuwenden, so wäre es zum mindesten günstig, es für die häreti-
schen Schweizer anzuwenden. Dabei könnte man die Autorität Spaniens,
des Kaisers, des Königs von Frankreich und des erlauchten Herzogs von
Savoyen, ihres Nachbarn, geltend machen, in Verbindung mit dem Ein-
satz und dem Bemühen der katholischen Kantone, selbst des Wallis. Wenn
es notwendig wäre, ein wenig Geld zu verteilen, könnte man das machen
mit Hilfe gewisser Abgaben, die man den reicheren Pfründen auferlegt.

381
8. Und was Genf betrifft, um es dazu zu bewegen, wenigstens die Gewis-
sensfreiheit zu gewähren und an einem oder zwei Orten die Ausübung des
Kultes und katholische Predigten zu erlauben, würde die Autorität und
die Intervention unseres erlauchten Herzogs und der katholischen Schwei-
zer genügen. Man könnte den Genfern vorschlagen, ihnen die kirchlichen
Einkünfte zu überlassen oder ihnen ebensoviel zu geben, man könnte
ihnen ein wenig Geld verteilen. Außerdem würde es genügen, wenn sich
der König von Frankreich diesen beiden Autoritäten anschließt und wenn
man mit Ausdauer diese Sache betreibt.
9. Vielleicht wird es gegenwärtig schwierig sein, die Herzen der katho-
lischen Fürsten zu einigen. Wir sehen sie von so vielfältigen Versuchun-
gen bedrängt, sich der Entzweiung preiszugeben. Man könnte diese Gna-
de dennoch durch das Gebet von unserem Herrgott erlangen, und wenn
sich die geweihte Hand des Heiligen Vaters aufrichtig dafür einsetzt, könnte
sie dieses Wunder bewirken, wie man früher Kreuzzüge und andere krie-
gerische und gefährliche Unternehmungen machte, während dieses ganz
friedlich und ohne Gefahr sein wird.
Das sind meine Gedanken. Mir sind so viele Häretiker und so viele
häretische Republiken so nahe, daß mein Geist sich nicht enthalten kann,
oft daran zu denken und Mitleid über solchen Jammer zu empfinden,
nicht nur gegenwärtig, sondern in Zukunft. Denn diese Feinde der Kirche
vergessen mit der Zeit so sehr, daß sie einst ihre Kinder waren, da sie in
Gegenden aufwachsen, in denen man von ihr nur mit Abscheu spricht.
Der Herr sende uns Hilfe vom Heiligtum (Ps 20,3). Mögen die Zelte
Israels durch den Herrn erweitert werden (Jes 54,2).

382
ANHANG

Antrittsrede als Dompropst

Ende Dezember 15931 VII,99-113

„Gott, du hast mich zur Übernahme dieses Amtes gelangen lassen;


behüte mich stets mit deiner Macht, damit ich in seiner Ausübung jede
Sünde vermeide, daß es vielmehr der Beweggrund meiner Worte sei, daß
meine Gedanken und Werke darauf gerichtet sind, deine gerechten Ge-
richte zu erfüllen“ (Gebet zur Installation).
Ehrwürdige Väter, ich beginne mit diesem Gebet, das ich schon mehr-
mals wiederholt habe und das künftig noch öfter zu wiederholen ich mir
vornehme. Durch euren überaus angenehmen und freundlichen Anblick,
ehrwürdige Väter (und vor allem durch Ihre Anwesenheit, hochwürdig-
ster Bischof, die um so erfreulicher ist, als sie nicht erwartet wurde),
liebenswürdigste und zugleich geliebteste Zuhörer, meine teuren Ver-
wandten und Freunde, etc., hat sich die Verwirrung meiner Seele gelegt.
Hätte sie heute angedauert, dann hätte ich weder den Mut noch die Fähig-
keit gehabt, sei es, das Amt eures Propstes zu übernehmen, sei es, ein
Wort zu sagen. Der Mut dazu, der nun ganz gefestigt ist, hätte mir völlig
gefehlt. Da diese Verwirrung meiner Seele von den Ursachen kam, die sie
haben mußte, damit ich nicht vermessen sei, will ich mit eurer Erlaubnis
erklären, wie sie beschaffen ist, damit nicht eine falsche Vermutung über
mich bei diesem Amtsantritt aufkomme.
Die Präfekten der Provinzen pflegten zu Beginn ihrer Amtszeit alsbald
große und erhabene Pläne zu machen, um den Beginn ihrer Statthalter-
schaft durch irgendetwas Besonderes hervorzuheben. So will ich einen
zwar schwierigen und großen, für uns aber dennoch nicht unmöglichen
und unwürdigen Plan zur Beratung vorlegen: nämlich Genf zurückzuge-
winnen, den angestammten Sitz dieses Kapitels. Und ich will die Art und
das rechte Vorgehen erklären, um diesen Plan durchzuführen. Besäße ich
ein wenig Rednergabe, dann müßten diese beiden Hauptpunkte einer-
seits in mir den Geist der Beredsamkeit anspornen, andererseits in euch
größte Aufmerksamkeit wecken. Genf wiederzugewinnen, schon früher

383
so sehr jedermanns Wunsch und Plan, steht uns zu, und ich bin der Auf-
fassung, es muß mit dem größten Eifer unternommen werden, der uns je
beseelte. Damit er aber nicht durch irgendeine verkehrte Meinung über
mich beeinträchtigt werde, solltet ihr zuvor geduldig anhören, mit welch
angstvoller Seele und mit welch tiefem Bewußtsein meiner Unwürdigkeit
ich diesen ersten Platz in eurem Kapitel einnehme.
Das vergangene Weihnachtsfest hat schon durch die Feierlichkeiten der
Tage den Geist zur Selbsterkenntnis aufgefordert. Als ich über die Ver-
gänglichkeit dieser Zeit nachdachte, war unter den Schwierigkeiten, die
mir auf der Fahrt über dieses Meer begegneten, die eine, an Schwere nicht
unbedeutende aber unmittelbar bevorstehende, daß ich kürzlich auf Be-
schluß des Papstes zum Propst der Kanoniker der Kathedrale des hl.
Petrus von Genf ernannt wurde.
Es schien ja verfrüht und geradezu gefährlich, mich unwissenden, unge-
bildeten und einfachen Soldaten, der ganz am Anfang der geistlichen Lauf-
bahn steht, zu solcher Würde des Propstes zu erheben, so daß ich früher
Vorgesetzter als eingesetzt wurde, früher Propst als Priester. Das kommt
ja auf das Wort Davids (Ps 127,3) hinaus: Vergeblich wacht ihr am Morgen
auf; erhebt euch, nachdem ihr geruht habt. Das betrifft zwar dem Wort-
sinn nach etwas anderes, kann aber im Geist, der lebendig macht, leicht
auf jene angewendet werden, die den Vorsitz anstreben, bevor sie einen
Sitz haben, die wie frühreife Früchte des Frühlings nicht lange bestehen
können, ohne zu verfaulen.
Doch da schien mir wie eine Erscheinung dieses ehrwürdige Kapitel
von Kanonikern zu begegnen, an dessen Spitze der Träger der Schlüssel
des Himmelreiches stand, der mich ernst zurechtwies: Armseliger Franz,
der du allen an Wissen, Begabung und Tugend nachstehst, was veranlaßt
dich, den ersten vorstehen zu wollen? Weißt du nicht, daß die Ehrenstel-
len mit größten Mühen verbunden sind? Fürchtest du daher nicht die
ungewisse aber bald bevorstehende Abrechnung? Gib Rechenschaft von
deiner Verwaltung (Lk 16,2). Niemand kann sich auch nur vorstellen, wie
mein Geist durch diese Worte im Innersten bewegt wurde; und wenn ich
es ausdrücken wollte, fehlten mir dafür die Worte. Ich erwog in meinem
Geist: Gott, ich habe deine Worte gehört und ich fürchtete mich (Hab
3,2).
Inzwischen brach dieser Tag an, an dem der überaus freundliche und
erfreuliche Anblick dieser Versammlung eures Kapitels meine Furcht
sehr verminderte und das Vertrauen auf Gott sehr vermehrte, ehrwürdige

384
Väter. Er ermutigt und stärkt mich so sehr, daß es mir, wenn ich die
bisher empfundene Furcht mit dem Vergnügen vergleiche, das ich nun
fühle, schwerfiele zu entscheiden, was mich mehr beeindruckt.
Fürchten müßte ein Propst, der solchen vorsteht, die schwierig zur
Pflichterfüllung anzuhalten sind. Wenn ich aber euch ansehe, meine Vä-
ter, was gibt es in dieser Hinsicht zu befürchten? Ihr zeichnet euch aus
durch jene Liebe und Klugheit, die man jedem Propst nur wünschen kann.
Was kann mir schon meine Unerfahrenheit und Unfähigkeit schaden, da
ich in diesem Amt keinerlei Maßnahmen der Zucht und Zurechtweisung
brauchen werde? Außer jemand wollte „Minerva belehren“, „den hl. Bern-
hard ermahnen“ oder, um es mit unserem Sprichwort auszudrücken, un-
ter Mönchen Fertigkeit in Latein heucheln.
Ihr seid bisher an sehr würdige Pröpste gewöhnt; ich setze daher gern
voraus und begreife, daß ihr bei solchem Wechsel oder besser gesagt Nie-
dergang eures ersten Sitzes nicht umhin könnt, ein gewisses Unbehagen
zu empfinden und im Geist zu wiederholen: „Welch neuer Fremdling
läßt sich auf unseren Sitzen nieder“ (Aeneis)? Wer tritt stolz in das be-
rühmte Haus Petri ein? Es ist gewiß nicht meine Sache, ihr Väter, zu
sagen, ob dieser Wandel zum Glück oder Unglück gereicht. Die Sache
selbst spricht hinreichend und ihr selbst fühlt es zur Genüge.
Doch richtet den Mut auf. Ich bitte, erinnert euch und bedenkt, daß
Gott das Geringste und Schwache dieser Welt zu erwählen pflegt, um das
Starke zu beschämen (1 Kor 1,27), und am meisten aus dem Mund der
Kinder und Säuglinge sein Lob bewirkt (Ps 8,3), damit wir ihm leichter
die Güter darbringen, „die alle von ihm kommen“. Unsterblicher Gott,
wie verschieden sind deine Wege von den unseren (Jes 55,9)! Höchster
Beschützer der Kleinen, du kannst ja aus Steinen Abraham Kinder erwek-
ken (Lk 3,8). Er ist es, meine Väter, der meine Jugend erfreut, wenn ich
hintrete zu seinem Altar (Ps 43,4). Wenn er diese unsere vorzeitigen und
unreifen Früchte im Honig und Zucker seiner Liebe bewahrt, ist nicht zu
fürchten, daß sie verderben.
Obwohl verschiedenen und geringeren Standes als ihr, will ich daher
sagen, was einst der Weiseste aller Menschen (Spr 30,2f) gesagt hat: Ich
bin der törichteste Mann und besitze nicht die Weisheit der Menschen; ich
habe nicht Weisheit gelernt und begreife das Wissen der Heiligen nicht.
Sogleich aber will ich mit David (Ps 71,15) meinen Mut aufrichten: Da
ich die Schriften nicht kenne, will ich mich bergen in der Macht des Herrn.
Da ich schwach bin an Begabung und Wissen, setze ich all meine Hoff-

385
nung auf ihn, der die Macht hat, die Zunge der Kinder beredt zu machen
(Weish 10,21). „Wer tut, was in seiner Macht steht, dem wird er nie seinen
Beistand verweigern“, wie alle guten Theologen mit größter Anmut und
sehr wahr gelehrt haben.
Keiner soll aber sagen, ich hätte von seiner Güte so Großes nicht zu
erhoffen, da ich selbst zu einem Rang aufgestiegen sei, von dem man so
leicht falle und stürze. Gott stehe zwar denen in Schwierigkeiten bei, die
sich nicht selbst in Gefahr begeben, die aber die Gefahr lieben, kämen in
ihr um (Koh 3,27). Wenn es erlaubt ist, will ich das Hindernis ausräu-
men, solche Hoffnung für mich zu haben.
Meine Absicht, den geistlichen Stand zu ergreifen, habe ich einigen
mitgeteilt, deren Autorität mir immer viel galt. Ohne mein Wissen (ich
spreche offen die Wahrheit, ihr Väter, und ich könnte in ihrer Gegenwart
nicht die Unwahrheit sagen); ohne mein Wissen haben sie durch Briefe
Freunden empfohlen, womöglich diese eure Propstei (die damals unbe-
setzt war) für mich zu erlangen. Diese Briefe kamen allen anderen Gesu-
chen zuvor; das Erbetene wurde erreicht; das Erreichte wurde mir mitge-
teilt.
Was wolltet ihr, meine Väter, daß ich in dieser Lage getan hätte? Gera-
dewegs ablehnen? Ich weiß nicht, wie undankbar, ungehobelt und voll
Verachtung für jene es ausgesehen hätte, die mir diese Würde verschaff-
ten. Annehmen bedeutete große Gefahr und bewirkte große Ängstlich-
keit. Vor die Entscheidung gestellt, faßte ich den Entschluß, den heutigen
Tag abzuwarten, der Klärung bringen soll. Wenn ihr mich als unwürdig
zurückweist, werde ich auf euren rechtskräftigen Spruch hin von selbst
und gern als unwürdig zurücktreten. Wenn ihr mich nicht für unwürdig
haltet, werde ich freudig die Last auf meine Schultern nehmen, da ich es
für sicher halte, eurem Urteil zu folgen.
Ich sehe aber, mit welch einmütigen Glückwünschen ihr mich emp-
fangt. Wenn mich daher wegen der Annahme der Ehrung irgendeine Schuld
trifft, glaubt mir, dann ist euer aller Gewissen mit dem meinen belastet,
wie Täter und Mitwisser in gleicher Weise bestraft werden. Wenn ihr es
befreien und entlasten wollt, dann bleibt euch nur das eine zu tun, daß ihr
durch Mahnung und Beispiel meiner Schwachheit helft und sie stützt und
durch eure Liebe hinzufügt und ergänzt, was mir fehlt (und ich weiß selbst
zur Genüge, daß das viel ist). Bedenkt, daß mich Gott euch gleichsam als
seinen Engeln anvertraut hat, daß ihr mich auf all meinen Wegen behütet,
mich auf euren Händen tragt, damit ich nicht an jene steinerne Tafel sto-

386
ße, auf der die zehn Gebote Gottes geschrieben stehen: Du sollst den
Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen; daß wir einer des ande-
ren Last tragen und dadurch das Gesetz Christi erfüllen (Ps 91,11f; Dtn
6,13; Mt 4,6.10; Gal 6,2). Denn glaubt mir, ich will stets die Ermahnun-
gen jedes einzelnen von euch mit solcher Ehrfurcht im Herrn annehmen,
daß ich, wenn ihr alle miteinander einen Propst habt, als einer gleichsam
ebensoviele Pröpste habe, als ich Kanoniker zähle, und nicht so sehr Vor-
gesetzter für die Kanoniker zu nennen bin, als vielmehr Propst der Kano-
niker.
Der hl. Augustinus schrieb an Hieronymus (ich erwähne zwei große
Leuchten der Kirche) in der beiden gewohnten Weise: „Obwohl das Bi-
schofsamt dem Ehrentitel nach über dem Priestertum steht, ist Augusti-
nus doch in vielem geringer als Hieronymus.“ Das mache ich mir euch
gegenüber in der Weise zu eigen, daß ich die Propstwürde stets über das
Kanonikat stellen werde, Franz von Sales aber, oder was dasselbe ist,
euren Propst stets jedem Kanoniker in aller Demut unterordne, einge-
denk des Künstlers Antigonus, der jede Würde, und sei es die königliche,
einen ehrenvollen Dienst nannte. Auf diese Weise soll erfüllt werden, daß
der Größte wie der Geringste sei (Lk 22,26), daß die Letzten Erste und die
Ersten Letzte sein werden (Mt 19,30; 20,16), in ungeheuchelter Liebe (2
Kor 6,6). Die ungeheuchelte Liebe vermag alles, überwindet alles; sie ist
nicht prahlerisch, handelt nicht unschicklich (1 Kor 13,4ff).
Durch Liebe müssen die Mauern Genfs erschüttert werden, durch Lie-
be muß der Einbruch erreicht, durch Liebe muß Genf zurückgewonnen
werden. So komme ich allmählich und von selbst zum zweiten Teil des-
sen, was ich in meiner Rede zu sagen habe.
Nicht Eisen schlage ich vor, nicht Schwefeldampf, der nach dem Feuer-
ofen der Hölle schmeckt und riecht. Ich fördere nicht jene Heerlager,
deren Soldaten weder Glauben noch Gottesfurcht haben. Die Heerlager
Gottes sollen jene sein, in denen Posaunen gleich die lieblichen Stimmen
ertönen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen (Jes 6,3). Darauf
richtet eure Aufmerksamkeit, teuerste Mitstreiter, und darauf, welche
Treue ihr Gott, der Kirche, dem Vaterland, den Altären und den Familien
schuldet. Zeigt diese Treue eifrig, erweist sie, wenn sich dazu Gelegenheit
bietet. Ich meine, ihr seht schon von fern, wo mein ganzer Plan hinaus-
will, um Genf zurückzugewinnen.
Durch Hunger und Durst müssen die Feinde bekämpft werden, doch
nicht durch den der anderen, sondern durch unseren eigenen. Durch Ge-

387
bet müssen sie vertrieben werden, zumal sie eine Art von Dämonen sind,
die nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden können (Mt 17,20;
Mk 9,28). (Lernen wir doch von Holofernes die beste Methode, Städte zu
erobern ...) Wollt ihr eine leichte Methode, Städte zu erobern? Lernen wir
sie doch von Holofernes. Nichts hindert uns, die Geschoße auf die Feinde
zurückzuschleudern und aus ihnen Nutzen zu ziehen, wie Plutarch rich-
tig ausführte. Holofernes belagert Betulia; er unterbricht die Wasserlei-
tung, läßt die Quellen streng bewachen und die Belagerten so sehr Durst
leiden, daß die Unglücklichen schließlich von selbst an die Übergabe zu
denken beginnen (Judit 7). Laßt uns doch umgekehrt den in Genf einge-
schlossenen Holofernes mit der Methode bekämpfen, die er selbst uns
gelehrt hat.
Es gibt eine Wasserleitung, die fast das ganze Geschlecht der Häretiker
nährt und erquickt, nämlich das überaus schlechte Beispiel der Priester.
Die Taten und Worte, mit einem Wort die Sündhaftigkeit aller, vor allem
aber des geistlichen Standes bewirkt, daß Gott sich mit Recht durch die
Propheten (Jes 52,5; Ez 36,20; Röm 2,24) bitter beklagt, daß unseretwe-
gen unter den Heiden täglich sein Name gelästert wird. Das ist das Wasser
des Widerspruchs (Num 15,16), das den brennenden Durst der Häretiker
zu stillen scheint, ein Trunk, der den Trinkenden wahrhaftig entspricht.
Unsere Schlechtigkeit trinken die Sünder, wie geschrieben steht: Sie trin-
ken die Sündhaftigkeit wie Wasser (Ijob 15,16).
Gewiß müßten sie ihre eigenen Laster erkennen und nicht an denen
anderer Anstoß nehmen. Unter dem gleichen Bild des Wassers mahnte
Salomo (Spr 5,15) sehr weise: Trinke Wasser aus deiner Zisterne. Da sie
aber so eingestellt sind, meine Mitstreiter, daß sie die Handlungen der
anderen betrachten, die eigenen nicht, unterbrechen wir doch diese Was-
serzufuhr. Jeder bewache seine eigene Quelle, daß sie nicht etwa zum
Feind fließt. Leiten wir die Fluten unserer Sünden dahin zurück, woher
sie gekommen sind, damit sie dort im eigenen Herzen von der ewigen
Sonne ausgetrocknet werden und weder den Feinden noch uns zum Was-
ser des Anstoßes werden. So staute sich doch das Wasser des Jordans
zurück, so zog Israel aus Ägypten aus (Ps 114,1.3).
Durch den Schall der Gebete müssen die Mauern zum Einsturz ge-
bracht werden. Der Angriff muß durch gegenseitige Liebe gemacht wer-
den, hier, durch sie müssen wir unsere Angriffsspitze vortragen. Die ewi-
ge Stadt, von der so Ruhmvolles gesagt wurde (Ps 87,3), die durch eine so
erhabene und günstige Lage geschützt wird, daß sie nicht einmal für das

388
Auge erreichbar ist, diese himmlische Stadt, sage ich, kann durch Gebete
und gute Werke berannt werden, daß sie jenen, die sie mit solchen Ge-
schoßen angreifen, zur Beute überlassen wird, wie der Oberbefehlshaber
dieser Burg, Christus, der Herr (Mt 11,12) sagte: Das Himmelreich leidet
Gewalt; die Gewalt anwenden, werden es erobern. Wenn dem so ist, was
außer Zweifel steht, um wieviel mehr wird es möglich sein, eine Stadt
geringer Ausdehnung, gewöhnlich und verachtet, durch die Kriegswerk-
zeuge der Gebete und guten Werke zu erobern. Gehen wir tapfer vor,
meine teuersten Brüder. Der Liebe muß alles weichen. Stark wie der Tod
ist die Liebe (Hld 8,6); dem Liebenden ist nichts zu schwierig.
Bewegt uns denn nicht der Schmerz, den wir über unsere Verbannung
empfinden müssen? Sie ist um so schwerwiegender und unwürdiger, als
sie durch unser aller Sünden verlängert wird. Die Israeliten saßen an den
Flüssen Babylons und weinten, wenn sie Zions gedachten (Ps 137,1). Was
sollen wir daher tun, ihr Domherren von Genf? Sind wir nicht Verbannte
und Pilger in fremdem Land (Hebr 11,9.13), in dem wir sitzen und uns
aufhalten? Laßt uns daher an den Flüssen Babylons, d. h. der Beschämung
über die Sünden, sitzen und weinen, wenn wir an das Zion von Genf
denken, das einst durch die Insignien Christi so verherrlicht war, jetzt
sowohl um der Sünden der Vorfahren als um jener dieser Zeit willen der
schlimmsten Tyrannei der Häretiker unterworfen ist.
Diese Trauer, die wir über den Verlust Genfs für Christus und für uns
empfinden müssen, lehren uns dieselben Israeliten durch ihr Beispiel bei
Jeremia (Klgl 2,10): Die Greise der Tochter Zion saßen auf der Erde; sie
bedeckten ihre Häupter mit Asche und trugen Bußgewänder; die Jungfrau-
en von Juda beugten das Haupt zur Erde. Ich möchte, daß wir ihre Stelle
in der Weise einnehmen, daß wir Domherren, gleichsam Älteste der Kir-
che, es wie die greisen Hebräer machen und, was die Jungfrauen von Juda
taten, den Jungfrauen der hl. Kirche zu tun überlassen,2 die zu den Über-
resten des Klerus von Genf gehören. Auf diese Weise wird es dazu kom-
men, daß wir durch die Barmherzigkeit wiedergewinnen, was unsere Vor-
fahren nach dem gerechten Urteil Gottes verloren haben.
Glaubt ihr, gottesfürchtige Herren, wenn dieser Plan durchgeführt wird,
daß die Bewohner Genfs, die hartnäckigsten Verächter der kirchlichen
Ordnung, dennoch die Namen und Einrichtungen der kirchlichen Ord-
nung alle beibehalten haben? Das Bischofspalais, die Bischofswiese, die
Domherrenstraße, das Haus des Kantors, die Kirche unseres hl. Petrus,
Magdalena, Gervasius, haben sich die Neuerer, nicht eingedenk ihrer

389
Vorhaben, jetzt wie einst zu nennen angewöhnt. Wohin die Häresie sonst
vordringt, zerstört und verwüstet sie die Kirchen, zerbricht die Bilder; in
Genf sind die Kirchen unversehrt, die Bilder wurden nur eine Zeit lang
durch Übermalen verwüstet, die Chorstühle der Kanoniker sind noch
vorhanden. Das sind gute Zeichen, Gefährten, gute Zeichen. Das ist der
göttliche Plan, durch den die Feinde daran erinnert werden, daß sie frem-
de Sitze einnehmen, wir aber aufgerufen werden, durch eine glückliche
Rückkehr unsere eigenen wieder einzunehmen; daß wir dort zu sterben
wünschen, wo unsere Vorgänger begraben sind. Damit wir das erlangen,
müssen wir Gott durch Buße versöhnen. Um es mit einem Wort zu sagen
(die Rede muß sich ja an ein gewisses Maß halten), wir müssen so nach
der christlichen Regel leben, daß wir Kanoniker, d. h. Regularen und
wirklich Kinder Gottes heißen und es sind (1 Joh 3,1).
Möge doch, ihr Väter (oder besser, damit diese Ansprache auf Gott
zurückkomme, von dem sie ausgegangen ist), möge doch, allmächtiger
Gott, möge dir von uns Ehre und Verherrlichung werden (1 Tim 1,17; Offb
5,13). Der seligsten Jungfrau, den heiligen Engeln, den Heiligen Petrus
und Paulus, dem hl. Franziskus Ehre und Danksagung; uns aber von dir
Gnade, der du hochgelobt in Ewigkeit bist (Dan 3,52), Vater, Sohn und
Heiliger Geist. So sei es, unsterblicher Gott, so sei es.
Da ich euch, edelste Gefährten, von selbst hinreichend zu dieser Ent-
scheidung entschlossen sehe ..., denn dann darf man hoffen. Es ist fürwahr
eine Hoffnung für unsere so unglückliche Zeit, daß sehr viele gute und
kluge Männer voraussehen, daß zu unserer Zeit geschehen wird, was vor-
her so sehr ersehnt wurde, nämlich daß wir unsere angestammten Sitze
zurückgewinnen und aus den Händen unserer Feinde befreit, ihm dienen
in Heiligkeit und Gerechtigkeit, ihm, der Gott ist, hochgelobt in Ewigkeit
(Lk 1,74f).
Ihnen, hochwürdigster, sehr verehrter Bischof, sage ich unsterblichen
Dank, daß Sie durch das strahlende Licht Ihrer Gegenwart mich und die
ganze Versammlung meiner älteren Freunde ausgezeichnet haben, die
ich mehr als Honig und Honigseim, mehr als Gold und Edelstein liebe
(Ps 19,11; 119,127). Ich bitte und beschwöre Sie, mir die Fülle Ihrer
Segnungen zu schenken kraft der Vollmacht, die Ihnen von oben gegeben
ist, und uns alle mit Ihrem Segen zu stärken und zu festigen.

390
Anmerkungen
A. Die KKontroversen
ontroversen
1
Lehre, was du gelernt hast, so, daß du nichts Neues sagst, wenn du es auf neue
Weise sagst (Commonit. I).
2
Ende eines Fragments, das mit dem dritten Absatz beginnt: „Sie kommen aber
auf zwei Wegen ...“, das Franz von SaIes offenbar hier einfügen wollte. Zum
letzten Absatz gibt er als Schrift- und Väterstellen an: Joh 10,16; 11,52; 21,17;
1 Kor 10,16-21; Eph 4,4.11f; 5,27; Hebr 7,11; Cyprian, De unitate Ecclesiae.
3
Vgl. auch Kap. III. 15. Art.
4
Vgl. auch Kap. III. 17. Art.
5
Vgl. auch Zweiter Teil, Kap. III.
6
Du siehst, wie reich der christliche Mensch oder Getaufte ist, der, auch wenn er
wollte, sein Heil nicht verlieren kann, auch nicht durch noch so viele Sünden,
außer er wollte nicht glauben (De capt. Babil.).
7
Eucharistie und Opfer lassen sie nicht zu, weil sie nicht zugeben, daß die
Eucharistie der Leib unseres Erlösers Jesus Christus ist, der für unsere Sünden
gelitten, den der Vater in Gnaden aufgenommen hat (bei Theodoret, Dialog 3
„Impatibilis“).
8
Die Diözese Genf war dem hl. Petrus in Ketten geweiht. „Steinchen“ ist eine
Anspielung auf den Ort Rochelle.
9
Die Wallfahrt nach Mondovi in Piemont begann im Frühjahr 1595. Vgl. den
Bericht des Nuntius Riccardi an Kard. Aldobrandino vom 11. 9. 1595 (Vat.
Archiv).
10
Kap. II, 7. Art. („später“ infolge der Umstellung des Stoffes); vgl. Zweiter Teil,
Kap. III, 2. Art. und Schluß.
11
Die Fortsetzung fehlt im Manuskript; ebenso der Anfang des folgenden Arti-
kels.
12
Vgl. Kap. II, 3. u. 4. Art.
13
Vgl. Kap. II, 5. Art.
14
Die Ausführung dieses letzten Kennzeichens ist im Manuskript nicht enthal-
ten.
15
Vgl. 5. Art.

391
16
Der Hinweis bezieht sich auf eine zweite Fassung des 5. Artikels (OEA I, 175f).
17
„Du wirst sie nämlich die einzelnen Bücher des heiligen Bundes überfliegen
sehen, die Bücher Mose und der Könige, die Psalmen, die Apostelbriefe, die
Evangelien, die Propheten. Das unter sich oder vor anderen, privat oder
öffentlich, in Predigten, Büchern, in Zusammenkünften auf öffentlichen Plät-
zen ...“
18
im Corpus Juris Civilis.
19
Théodore de Bèze veröffentlichte 1592 eine französische Übersetzung seiner
(1579 erschienenen) lateinischen „Kennzeichen der Kirche“, der er einen Brief
an den König von Frankreich (Heinrich IV.) anfügte.
20
Vgl. Erster Teil, Kap. III, 6. Art. Anscheinend hatte Franz von Sales die Ab-
sicht, diesen Artikel hier folgen zu lassen.
21
zu ergänzen: „könnte er es tun“.
22
Vgl. Kap. III, 1. Art.
23
Das Kapitel sollte offenbar mehrere Artikel haben. Darauf weist auch die Rand-
bemerkung zum Textanfang hin: „Das muß an den Anfang des folgenden Arti-
kels gesetzt werden.“ Weitere Artikel sind aber im Manuskript nicht enthalten.
24
In der ersten Redaktion bildete dieser Artikel die Fortsetzung des 1. Artikels
im ersten Teil, Kap. I mit der Überschrift: „Verschiedene weitere Schriftstellen,
die den Vorrang des hl. Petrus beglaubigen“.
25
In der Annecy-Ausgabe geht ein fast gleichlautender Absatz gleichen Inhalts
voraus, der hier weggelassen wurde. Er unterscheidet sich auch im Manuskript
vom übrigen Text.
26
Die im Original folgende Tabelle mit Quellenangaben wird hier vereinfacht
durch die lateinischen Bezeichnungen wiedergegeben. Die meisten wurden in
den Ausführungen bereits zitiert.
27
Die folgende Passage, die im Doktorats-Breve erwähnt ist, hat für die Defini-
tion der Unfehlbarkeit des Papstes auf dem I. Vaticanum eine wichtige Rolle
gespielt.
28
Erster Teil, Kap. I, 3. Art.
29
Erster Teil, Kap. III, 7. Art.
30
Montaigne, Essays, Livre I. chap. 26.
31
Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit (1 Petr 1,25).
32
Dieser Artikel ist unvollendet geblieben. Damit endet alles, was von der Ur-
schrift gefunden werden konnte.

392
B. Apologetische Predigten
1
Die erste Predigt des hl. Franz von Sales nach seiner Ankunft im Chablais,
gehalten in der Kirche St. Hippolyth in Thonon vor Beamten des Herzogs,
wenigen Katholiken und einigen Calvinisten, die aus Neugierde gekommen wa-
ren. Zum Inhalt vgl. Kontroversen, erster Teil, Kapitel I, Artikel 3 u. 4.
2
Diese und die nächste Predigt, die in den ersten Wochen der Chablais-Mission
gehalten wurden, entsprechen inhaltlich dem 1., 3. und 5. Artikel des Kapitels
I im ersten Teil der Kontroversen. Den Umständen entsprechend wurden sie vor
wenigen katholischen Zuhörern gehalten.
3
Wahrscheinlich hat Franz von Sales diese Predigt nicht in Thonon gehalten,
sondern in Annecy zum Patronatsfest der Kathedrale, deren Propst er war.
Daher sind wohl Kontroversfragen weniger direkt als in anderen Predigten an-
gesprochen.
4
Von dem hier angekündigten Zyklus ist nur diese erste Predigt erhalten. Schon
die Ankündigung der Themen erregte ziemliches Aufsehen, wie der Brief an
Antoine Favre vom gleichen Tag (s. Einleitung zu C) zeigt.
5
Diese und die zwei folgenden Predigten sind in einem Heft enthalten, dessen
erstes und letztes Blatt fehlen, daher also der Anfang dieser Predigt und der
Schluß der dritten.
6
Siehe die Predigt Nr. 26.
7
Vermutlich ein Verweis auf ein Zitat aus Claude de Saintes (Repetit 2, cap. 10)
im fehlenden Anfang der Predigt.

C. Briefe und Memoranden


1
Nach der ersten Weihnachtsmesse (1596) in St. Hippolyth zu Thonon wetterte
der Prädikant Viret gegen diesen „Götzendienst“ und behauptete, die Lehre
von der Gegenwart des Leibes Christi in der Eucharistie widerspreche dem
Glaubensbekenntnis und der „Analogie des Glaubens“. Franz von Sales be-
merkt dazu im Vorwort der Abhandlung über die Gottesliebe (Deutsche Ausga-
be, Bd. 3, S. 42): „Er bediente sich absichtlich des Ausdrucks ‚Analogie‘, den
seine Zuhörer nicht verstanden, um nur recht gelehrt zu erscheinen.“ Die fol-

393
gende ‚Betrachtung‘ (OEA XXIII,18-25), die Franz von Sales drucken und
überall verteilen ließ, zeigt gerade die Analogie des Glaubens.
2
So könnte man das Anagramm Foi sans des-caler für den Namen François de
Sales übersetzen, das Franz von Sales nach dem Zeugnis Georges Rollands
öfter über oder unter seine Arbeiten setzte.
3
Nach dem Erscheinen der „Betrachtung über das Glaubensbekenntnis“ griff
der Prädikant von Thonon besonders den ArtikeI „Geboren von der Jungfrau
Maria“ an; im Gegenteil zur damals geltenden protestantischen Auffassung
bezeichnete er den Glauben an die wunderbare Geburt Jesu als Irrlehre. Die
beiden folgenden Briefe vom Mai oder Juni 1597 (OEA XXIII,30-43) gehen
auf die Argumente Virets mit dem gebotenen Zartgefühl ein. Eine Anspielung
auf die zum Teil recht derbe Ausdrucksweise Virets findet sich in der zweiten
Predigt über die heilige Eucharistie vom Juli 1597 (Deutsche Ausgabe, Bd. 9,
S. 86). Franz von Sales will nicht wiederholen, „was unsere Gegner an dieser
Stelle antworten; es widerspräche der Ehrfurcht. Sie wollen um jeden Preis
wahrhaben, was sie einmal gesagt haben. Lieber geben sie die Jungfräulichkeit
der Mutter Gottes preis, als ihren Fehler zuzugeben.“
4
„Nichts als ein Körper kann berühren oder berührt werden.“ Diesen Satz (De
natura rerum) hatte Viret als Einwand gebraucht.
5
OEA XVIII,44-51. Diese Thesen, „die in der Stadt Genf angeschlagen wurden,
um in der Stadt Thonon disputiert zu werden zwischen den katholischen Predi-
gern aus dem Kapuzinerorden und den Prädikanten von Genf“ (1598 in Paris
veröffentlicht), können im Zusammenhang mit den theologischen Disputatio-
nen gesehen werden, zu denen Franz von Sales nach dem Vierzigstündigen
Gebet von Thonon einladen wollte (vgl. den Brief vom 17. 3. 1598 an den
Nuntius: OEA XI,323).
6
Gemeint ist die Abhandlung Antoine de La Fayes und die „Verteidigung der
Kreuzesfahne“ als Erwiderung auf sie (s. Bd. 11).
7
Entwurf: OEA XXII,302-310, geschrieben vermutlich Ende 1615. Franz von
Sales hatte als Mitkonsekrator an der Bischofsweihe von Hildebrand Jost in
Sitten teilgenommen, die ihm Erzbischof Vespasian Gribaldi am 7. Dezember
1614 erteilte.
Das italienisch geschriebene Memorandum war vermutlich für den Herzog von
Savoyen oder für den Nuntius in Turin zur Weiterleitung nach Rom bestimmt.
Franz von Sales schickte es am 27. April 1616 an einen namentlich nicht

394
bekannten Adeligen: „Ich sende Ew. Gnaden das Memorandum über die Art,
die mir geeignet scheint, um die Rückkehr der Häretiker zu erreichen. Da sie
aber unbedingt voraussetzt, daß zwischen den Fürsten Friede herrscht, ist jetzt
nicht der rechte Zeitpunkt, es vorzulegen. Ich bitte Sie daher auch, daß nie-
mand erfahre, daß dieses Memorandum von mir stammt“ (OEA XVII,198f).

D. Anhang
1
Die Ernennung zum Propst der Kathedrale St. Peter in Genf (datiert vom 7. 3.
1593) eröffnete Franz von Sales erst die Möglichkeit, von seinem Vater die
Zustimmung zu erlangen, daß er der Berufung zum Priestertum folgte. Unmit-
telbar nach dem Eintreffen der Ernennungsurkunde stellte sich Franz von
Sales dem Kapitel vor und legte den vorgeschriebenen Eid ab. Die feierliche
Installierung fand aber erst nach seiner Priesterweihe (am 18. Dezember 1593)
in der Weihnachtsoktav statt. Dabei hielt der neue Dompropst die folgende
(lateinische) Ansprache.
„Genf wiedergewinnen“ heißt in diesem Zusammenhang, das in Annecy im Exil
lebende Domkapitel wieder in seine Rechte an der Kathedrale in Genf einset-
zen; mittelbar aber geht es in dem Plan um die Überwindung der Kirchenspal-
tung. Die Antrittsrede des Propstes zeigt seine Grundeinstellung zu dieser
Frage schon am Beginn seines Priestertums.
2
Die Klarissen von Genf hatten wie der Bischof und das Domkapitel in Annecy
Zuflucht gefunden. Dort bestand ihr Konvent bis zur Französischen Revoluti-
on.

395

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