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LV-Nr. 541.

086 , WS 09/10
PS: Geschichte der Philosophie (Vorsokratiker)
Leiter: Dr.phil. Stephan Landolt
Fachbereich für Philosophie an der KGW-Fakultät
UNIVERSITÄT SALZBURG

DER LOGOS DES HERAKLIT

Philipp Dollwetzel
Matrikelnr.:0820518
26.01.2009
Inhalt

1 Einleitung 3
2 Zur Person Heraklit 3
3 Der Logos 5
3.1 Heraklits Beispiele für das Wirken des Logos 8
3.2 Identität der Dinge im Fluss ihrer Bestimmungen 10
3.3 Die soziale Ordnung gemäß dem Logos 11
4 Fazit 13
5 Literaturverzeichnis 14
1 Einleitung
Heraklits Gedanken und im Besonderen seine Ausdrucksweise erscheinen bei
erster Betrachtung äußerst eigenwillig und uneindeutig. In gewisser Weise
absurd klingt es, wenn er „dem einen Weisen” zuschreibt, dass dieser Zeus
genannt werden wolle und wiederum nicht.1 Oder, dass derselbe „Krieg-Frieden”
oder „Tag-Nacht” sei.2
Deutungsoffenes Glanzstück seiner Philosophie sind die sogenannten „Fluss-
Fragmente”. Auch heute noch wird der Name Heraklit im Allgemeinen mit den
Schlagworten „pantha rei - alles fließt” verknüpft. Ob Heraklit selbst sich gegen
diese Reduktion seiner Lehre auf einen eher einseitigen Aphorismus gesträubt
hätte, ist natürlich nicht mehr zu klären, dennoch legen seine anderen
Aufzeichnungen eine solche Reaktion sehr nahe. Betrachtet man eben diese
Fragmente, so zeigt sich, dass der obige Aphorismus bereits eine Interpretation
seiner Philosophie darstellt, die alles andere als klar fundiert aus seinen Schriften
hervorgeht. Eine wirklich eindeutige Interpretation scheint kaum möglich, denn
hierfür ist zu wenig überliefert.3 Dennoch können wir gewisse Eckpunkte seines
Denkens festmachen, die uns Ausschnitte einer zugleich tiefgreifenden aber auch
umfassenden Philosophie erkennen lassen.
Im folgenden soll Heraklits Konzeption des Logos nachvollzogen werden.
Desweiteren wird - um hier Heraklits Intention zu folgen, dass Praxis an der
Theorie orientiert werden soll - auch die Auswirkung eben dieser Konzeption auf
die soziale Ordnung der Menschen betrachtet.

2 Zur Person Heraklit


Selbst die chronologische Einordnung der Person Heraklit ist strittig.4 Es wird
davon ausgegangen, dass er nach Xenophanes und vor Parmenides wirkte. 5 Er soll
laut Röd kurz nach dem Zusammenbruch des Lyderreiches (546 v. Chr.) in
Ephesus geboren worden sein und somit im persischen Ionien gelebt haben. Als
1 Vgl. B32 M44.- Zu der üblichen Nummerierung, wie man sie auch bei Röd findet, kommt eine
weitere hinzu. Die Zahl nach M ist die Nummer, unter der man das entsprechende Fragment
bei Mansfeld, 1999 findet.
2 Vgl. B67 M45.
3 Vgl. Röd, 1976, 83.
4 Vgl. Röd, 1976, 83-84.
5 Vgl. Röd, 1976, 83.

3
die Griechen sich gegen die Perser zur Wehr setzten, soll er etwa vierzig Jahre alt
gewesen sein. Es folgten Aufstände gegen die Perser, die zur Zerstörung von
vielen wichtigen ionischen Städten führten (u.a Milet). Im Zuge des
Wiederaufbaus gewährten die Perser den Städten einige politische Freiheiten, so
durften die Stadtstaaten ihre Verfassung selbst wählen, d.h. sich für eine
aristokratische, timokratische oder demokratische Staatsform entscheiden.
Ephesus wurde zu einer Demokratie. Aristokraten wie Heraklit standen dieser
Veränderung ablehnend gegenüber.6
Heraklit gehörte zu einer adligen Familie in der das Königtum (Opferkönigtum)
erblich war. Er selbst verzichtete auf dieses Erbe zugunsten eines jüngeren
Bruders. Röd vermutet, dass die Familientradition, obwohl er ihr durchaus
kritisch gegenüber stand, Heraklit in seinem religiösen und politischen Denken
stark geprägt habe.7 Dies habe sich auch stark auf die Gewichtung der Teilaspekte
in seiner Philosophie ausgewirkt, so sei „der politische der wesentliche, der
kosmologische dagegen sekundär gewesen“.8
Heraklit hat keine eigene philosophische Schule gegründet, dennoch wurden
seine Ansichten von sogenannten Herakliteern, von denen namentlich nur
Cratylus durch einen Dialog von Platon bekannt ist, weiterentwickelt und
radikalisiert.9 Seine Philosophie soll er um 480 v. Chr. in einem Buch
veröffentlicht haben.10
„Sein Denken ist nicht mehr primär auf das Ziel der Naturbeherrschung
gerichtet, sondern auf ethisch-politische Ziele, für deren Verwirklichung
naturwissenschaftliche Erklärungen höchstens von untergeordneter Bedeutung
sind.“11 Damit bildet er in gewisser Weise einen Gegenpol zur bisherigen
ionischen Naturphilosophie nach Thales, die explizit nach einer Erklärung der
natürlichen Ordnung suchte.

6 Vgl. Röd, 1976, 84.


7 Vgl. Röd, 1976, 85-86.
8 Röd, 1976, 85.
9 Vgl. Röd, 1976, 86.
10 Vgl. Mansfeld, 1999, 231-232; vgl. Röd, 1976, 83.
11 Röd, 1976, 86.

4
3 Der Logos
„Quintessenz des heraklitischen Logos ist die Überzeugung, daß alles eins ist.
Diese Einheit wird näher expliziert als eine Einheit von Gegensätzen.”12 Alle
existierenden Dinge sind der Dynamik eines Widerstreits der Gegensätze
unterworfen. Dieser Streit geschieht geordnet und besitzt eine gewisse
Harmonie. Erkennt man diese Harmonie, so wird die Wirksamkeit des Logos
ersichtlich.13
Röd weist darauf hin, dass Heraklits Begriff des Logos nur vollständig erfasst
werden könne, wenn man „neben der normativen Komponente auch die
'metaphysische' Komponente der Einheit in der Gegensätzlichkeit, die religiöse
Komponente des Einen und weisen Göttlichen und die kosmologische
Komponente des Naturgrundes” berücksichtige.14
Der Logos ist ununterbrochen und überall wirksam, sowohl in der Natur als auch
im Menschen, auch wenn er dies als solches nicht erkennt.15 Das, was geschieht,
ist also nicht unbestimmt, sondern passiert in ewiger, gesetzesartiger
Wiederholung - dies ist die kosmologische Komponente.16 Entgegen der
milesischen Tradition verwirft Heraklit somit die Annahme eines Urzustands, aus
dem die Welt entstanden sein soll.17 Und damit ist er in der abendländischen
Philosophie der erste Vertreter einer Theorie von der Ewigkeit der Welt.18
Der Logos im religiösen Kontext steht aber auch für „das Eine Weise, das göttlich
ist und alles lenkt. Das Eine ist das allein Weise.” 19 Wie und ob der Mensch am
göttlichen Gedanken teilhaben kann, dazu gibt es von Heraklit widersprüchliche
Überlieferungen.20 Heraklit äußert sich grundsätzlich negativ über seine
Artgenossen, so sagt er: „Gegenüber der hier gegebenen, unabänderlich gültigen
Auslegung [Logos] erweisen sich die Menschen als verständnislos, sowohl bevor
sie als auch wenn sie sie einmal gehört haben. Denn obwohl alles in

12 Mansfeld, 1999, 232-233; vgl. Röd, 1976, 90.


13 Vgl. Röd, 1976, 90.
14 Röd, 1976, 91.
15 Vgl. Mansfeld, 1999, 234.
16 Vgl. Röd, 1976, 92; vgl. Mansfeld, 1999, 233.
17 Vgl. Mansfeld, 1999, 235.
18 Vgl. Mansfeld, 1999, 236; vgl. Röd, 1976, 99.
19 Röd, 1976, 92.
20 Vgl. Röd, 1976, 92.

5
Übereinstimmung mit der hier gegebenen Auslegung geschieht, gleichen sie
Unerfahrenen, sobald sie sich überhaupt an solchen Aussagen und Tatsachen
versuchen, wie ich sie darlege, indem ich jedes Einzelne seiner Natur gemäß
zerlege und erkläre, wie es sich damit verhält. Den anderen Menschen aber
entgeht, was sie im Wachen tun, genau wie das, was sie im Schlaf vergessen.”21
Die Menschen würden so leben „als ob sie über eine private Einsicht verfügen”22,
und von dem, „mit dem sie am meisten ununterbrochen verkehren - dem Logos,
der das All verwaltet -, (...) sondern sie sich ab, und was ihnen jeden Tag
begegnet, kommt ihnen fremd vor.”23 Aber dennoch besäße der Mensch die
Fähigkeit, „sich selbst zu erkennen und vernünftig zu sein.” 24 Und vernünftig zu
sein, heißt sich dem Logos, wenn er einmal erkannt ist, zu unterwerfen. Dies sei
die einzige existierende Weisheit unter den Menschen.25 Vielwisserei und
Gelehrsamkeit seien aber keine hinreichende Voraussetzung dafür.26 Vielmehr
müsse man die Natur beobachten, um die verborgenen Prinzipien zu ergründen.
Dies funktioniere aber nur mit der richtigen, vernünftigen seelischen
Verfassung.27 Dabei stehe das Sehen über dem Hören.28
Heraklit beschreibt den Logos mehrmals als „Feuer”. Dies erinnert an die Urstoffe
bei Thales, Anaximander oder Anaximenes. Mansfeld vergleicht es mit der
„vitalen Wärme der Lebewesen”.29 Obwohl sich physikalische Modelle des
Gegensätzlichen auch bei Anaximander und Anaximenes finden, ist Heraklits
Feuer nicht streng stofflich.30 Das Feuer ist identisch mit dem Logos, mit Gott,
dem einen Weisen. Das Feuer ist vernünftig. 31 Es steuert alles.32 Es ist ewig und
ihm bleibt nichts verborgen. Und auch hier findet sich die für Heraklit typische
widersprüchliche Ausdrucksweise. Das Weise sei „etwas von allem Getrenntes”33,

21 B1 (Hervorhebungen durch den Verfasser)


22 B2
23 B72 Analog dazu: B17 M5, B34 M6.
24 B116 M33; vgl. B113 M32.
25 Vgl. B41 M42.
26 Vgl. B35 M15; vgl. B40 M16; vgl. Mansfeld, 1999, 234.
27 Vgl. B107 M37; vgl. Röd, 1976, 103.
28 Vgl. B123 M27; vgl. B101a M36; vgl. Röd, 1976, 102.
29 Mansfeld, 1999, 237.
30 Vgl. Mansfeld, 1999, 240; vgl. Röd, 1976, 92.
31 Vgl. B64 M69
32 Vgl. B64 M75
33 B108 M43

6
aber zugleich sei „alles eins”34. Die Worte sind wohl so zu deuten, dass der Logos
zwar alles umfasst, aber selbst nicht Teil von allem ist, d.h. nicht seinem eigenen
Gesetz unterworfen ist. Alles, was der Logos umfasst, ist veränderlich und
gegensätzlich, er selbst ist unveränderlich und eins. Wie beschreibt Heraklit
diesen vom Logos gelenkten Prozess?
Er schreibt: „Wendungen des Feuers: an erster Stelle Meer, vom Meere aber die
eine Hälfte Erde, die andere Hälfte Gluthauch. (...) Meer ergießt sich nach zwei
Seiten und wird zugemessen nach demselben Verhältnis, das galt bevor Erde
entstand.”35
Der Kosmos ist einem doppelten Kreislauf unterworfen. Aus Feuer entsteht
Wasser. Das Wasser wird zur einen Hälfte Erde, die andere wird Gluthauch.
Dann wird dies wiederum zu Wasser, was schließlich wieder ins Gegenteil
umschlägt, Feuer.36 So ist wohl auch folgendes Fragment einzuordnen:
„Verbindungen: Ganzheiten und keine Ganzheiten, Zusammentretendes -
Sichabsonderndes, Zusammenklingendes - Auseinanderklingendes; somit aus
allem eins wie aus einem alles.”37 Aus dem einen, ganzen Feuer sondert sich eine
konkrete Menge anderer Elemente ab, die nach einer bestimmten Periode wieder
zum Feuer zusammentreten, in einem ewigen Kreislauf geprägt durch „schönste
Harmonie”.38
Denselben Prozess beschreibt auch dieses Fragment: „Die gegebene schöne
Ordnung [Kosmos] aller Dinge, dieselbe in allem, ist weder von einem der Götter
noch von einem der Menschen geschaffen worden, sondern sie war immer, ist
und wird sein: Feuer, ewig lebendig, nach Maßen entflammend und nach
[denselben] Maßen erlöschend.”39 Die Umwandlungen passieren in einem
bestimmten Verhältnis zueinander.40 So wird Kaltes warm, „Warmes kühlt sich
ab, Feuchtes trocknet, Trocknes wird feucht.”41 In diesem Zusammenhang spricht

34 B50 M41
35 B31 M64
36 Vgl.B90 M63; vgl. Mansfeld, 1999, 236.
37 B10 M46
38 B8 M47; B51 M49
39 B30 M62
40 Vgl. Röd, 1976, 100.
41 B126 M65

7
er auch von Tod: Für Wasser bedeute es beispielsweise Tod, dass Erde entstehe.42
So steht der Tod nicht für eine Vernichtung im strengen Sinne, sondern für
Veränderung, d.h. Umschlagen in einen anderen Zustand.43 Zu dem
beschriebenen Prozess gibt es verschiedene Interpretationen. Zum einen kann er
periodisch gedeutet werden, d.h. nach einer bestimmten Zeit (dem „großen
Jahr”) wird alles zu Feuer in einer Art Weltenbrand.44 Oder man sieht darin einen
ewigen, aktuellen Austauschprozess, in dem ständig ein Teil Feuer verwandelt
wird, während gleichzeitig ein äquivalenter Teil Wasser zu Feuer wird.45
Obwohl die Dinge verschieden sind und Gegensätzlichkeiten aufweisen, sind sie
doch alle dem Logos unterworfen bzw. aus dem Feuer entstanden und werden
wieder zu Feuer. Die Dinge befinden sich untereinander in einem harmonischen
Spannungsverhältnis. Hierin birgt sich ihre Einheit.46 Aufgrund dieser
Festlegungen kann Heraklit auch sinnvoll behaupten, dass Gott „Tag-Nacht,
Winter-Sommer, Krieg-Frieden, Sättigung-Hunger - alle Gegensätze” sei.47

3.1 Heraklits Beispiele für das Wirken des Logos


Heraklit führt eine nicht geringe Anzahl an Beispielen für die Existenz dieser
Polaritäten an. Ein interessantes Fragment lautet wie folgt: „Auf der Peripherie
des Kreises fallen Anfang und Ende zusammen.”48 Anfang und Ende stellen
gegensätzliche Positionen dar. Nimmt man nun eine bestimmte Stelle des Kreises
als Anfangspunkt, so ist dies zugleich auch der Endpunkt, zu dem man gelangt,
wenn man die Kreisbahn abgelaufen hat. Ein sehr anschauliches Beispiel für das
„Umschlagen” von gegensätzlichen Bestimmungen. Der Kreis erweist sich in dem
Zusammenhang auch als geeignetes Bild, da Kreis und Kugel in der Antike
allgemein als vollkommene Formen betrachtet wurden.
Ein weiteres Beispiel, das sich sehr gut zur Erläuterung der Einheit und
Beständigkeit des Logos bei immanenter Vielheit und Dynamik eignet, ist

42 Vgl. B36 M87.


43 Vgl. B88 M67.
44 Hinweise hierfür finden sich in den Fragmenten A13 M68 und B66 M74.
45 Vgl. Röd, 1976, 98, 100-101.- Hinweise zu diesem Standpunkten finden sich in den Fragmenten
B84a M70, B65 M72, B30 M62, B90 M63 und B126 M65.
46 Vgl. Röd, 1976, 93.
47 Vgl. B67 M45.
48 B103 M56

8
folgendes Fragment: „Auch der Kykeon [gerührter Mischtrank] spaltet sich [in
seine Bestandteile], wenn er nicht umgerührt wird.”49 Hier kann man zwischen
Becher und Inhalt unterscheiden. Der Inhalt besteht aus Zutaten, die sich
gegenseitig abstoßen, wenn sie nicht verrührt werden. So steht dies für die
gegensätzlichen Dinge der Wirklichkeit, die in Bewegung sein müssen. Der Inhalt
befindet sich in einem Becher, der stets derselbe bleibt, egal wie oft man
umrührt. Hierin kann der konstante, ewige Logos gesehen werden, der seinem
Inhalt ein festes Gefüge gibt, in dem die Bahnen laufen.
Eine Schraube erhält ihre Funktion erst, wenn sie gleichzeitig „gerade” und
„krumm” ist.50 Das Meerwasser ist für Menschen „ungenießbar”, für gewisse
Fische „lebenswichtig”.51 Der Mensch, der aus Körper und Seele besteht, ist
sowohl „sterblich” als auch „unsterblich”.52 Sowie die Prädikate „gut” und „böse”.
Handlungen und Zustände, die wir als gegensätzlich empfinden, können sich
gegenseitig bedingen. So mache Krankheit die Gesundheit erst angenehm, der
Hunger die Sättigung oder die Ermüdung das Ruhen.53 Die Behandlung der Ärzte
sei „schneidend, brennend, in jeder vorstellbaren üblen Weise quälend”, aber
dennoch folge daraus Schmerzlinderung und Gesundheit.54
Die Bestimmungen der Dinge sind also entweder simultan entgegengesetzt
(Meerwasser, Schraube, Mensch,...) oder eine Bestimmung schlägt sukzessiv in
eine entgegengesetzte Bestimmung um (Arzt, Kreis, Hunger, Krankheit,
Ermüdung,...).55 Röd merkt hier sehr richtig an, dass es sich bei einigen Beispielen
nicht um echte Gegensätze, sondern um unterschiedliche Gesichtspunkte
handelt.56

49 B125 M73
50 Vgl. B59 M57.
51 Vgl. B61 M55.
52 Vgl. B88 M67.- Heraklits Lehre von der Seelenwanderung kann hier nicht erläutert werden,
siehe hierzu Röd, 1976, 101-102.
53 Vgl. B111 M52.
54 Vgl. B58 M54.
55 Vgl. Röd, 1976, 94; vgl. Mansfeld, 1999, 233.
56 Vgl. Röd, 1976, 93.- Auch Heraklit scheint darauf Bezug zu nehmen, wenn er schreibt, dass
dem Gott „alles schön und gut und gerecht” sei und nur die Menschen „das eine als ungerecht,

9
3.2 Identität der Dinge im Fluss ihrer Bestimmungen
Betrachtet man nun das Beispiel mit dem Mischgetränk, dann ist der Schritt zu
den „Fluss-Fragmenten” nicht groß. Egal, ob man den Wechsel der Dinge im
periodischen Sinne oder als ständigen, aktuellen Austauschprozess deutet, klar
ist, dass ein Wechsel stattfindet. So lautet eines der Fluss-Fragmente wie folgt:
„In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind
nicht.”57
Hierin klingt bereits das Problem der Identität der Dinge an. Wir sprechen von
demselben Fluss, da wir innerhalb einer bestimmten Zeitspanne keine
Veränderungen an ihm erkennen, die wir für wesentlich halten. Dagegen ändert
sich der Fluss von der materiellen Konstellation her ständig.58 Wie können wir
also annehmen, dass ein Ding in der Zeit mit sich selbst identisch, d.h.
unverändert bleibt, wenn doch die materiellen Eigenschaften - und einzig nur
durch diese können wir ein Ding bestimmen und beschreiben - unaufhörlich
wechseln?59
Röd diskutiert dieses Problem, merkt aber an, dass Heraklit die Frage, wie ein
Gegenstand als Einheit in der Vielheit seiner Bestimmungen möglich sei, wohl
noch nicht gestellt habe.60 Extreme Herakliteer vertraten die Ansicht, dass es
aufgrund dieses unaufhörlichen, ständigen Flusses keine in der Zeit identischen
Dinge gäbe. Es liegt aber ein wesentlicher Unterschied darin, ob man sagt, es sei
für Menschen kaum ergründbar, ob etwas in der Zeit identisches existiert, oder,
ob man von vorne herein behauptet, dass es solches nicht gäbe. Laut Röd werde
letztere Ansicht Heraklit heute kaum mehr zugeschrieben, da sie nicht eindeutig
aus den Fragmenten hervorgehe und allgemein angenommen werde, dass Platon,

das andere als gerecht gesetzt” hätten. (Vgl. B102 M103)


57 B49a M95.- Weitere Fluss-Fragmente lauten: „Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen,
strömen immer neue Gewässer zu; so auch die Seelen; sie dünsten ja aus dem Feuchten
hervor.” (B12 M93) „Es ist unmöglich, zweimal in denselben Fluß hineinzusteigen, so Heraklit.
[Der Fluß] zerstreut und bringt wieder zusammen [...] und geht heran und geht fort.” (B91
M96)
58 Eine Verletzung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten liegt nicht vor, da hier zwei
verschiedene Sichtweisen gegenübergestellt werden. (Vgl. Röd, 1976, 98)
59 „Wenn angenommen wird, daß die Bestimmungen eines Dings bzw. die es konstituierenden
Elemente wechseln können, und wenn der Grund der Identität des Dings nicht in etwas von
den Bestimmungen bzw. den Elementen Verschiedenem liegt, dann gibt es nichts den
Wechsel der Bestimmungen in der Zeit überdauerndes Identisches.” (Röd, 1976, 96)
60 Vgl. Röd, 1976, 94.

10
Aristoteles und Plotin durch Einfluss einiger extremer Herakliteer dazu verleitet
worden wären, diese Sichtweise Heraklit selbst zuzuschreiben.61 Mansfeld legt
dagegen Heraklit klassisch aus.62
Das Problem der Identität eines Dings im Umschlagen seiner Bestimmungen ist
aber auch gegeben, wenn man die schwächere Version der Fluss-Theorie
annimmt, die Heraklit wohl im Mindesten vertreten hat. Demnach muss nur
mindestens eine Veränderung stattfinden und schon ist das besagte Problem
aufgeworfen. Hierzu gibt es zwei verschiedene Antworten, die selbst wieder
Schwierigkeiten bereiten. Entweder führt man die besagte Identität „auf das
denkende Subjekt zurück, das die wechselnden Bestimmungen zusammenfasst;
oder man bezieht die wechselnden Bestimmungen auf etwas, das in objektiver
Weise als Identisches in der Zeit beharrt.”63
Die zweite Position findet sich in dem selbst wieder sehr problematischen Begriff
der „Substanz” bei Aristoteles wieder. Einen Ansatz hierzu könnte man in
Heraklits Feuer sehen, dass alles umfasst und trotz aller Umwandlung in seiner
Menge konstant bleibt.64 Eine Antwort bleibt uns Heraklit schuldig. Röd fasst
hier treffend zusammen: „Der in allem Wandel identische Logos ist konstantes
Verhältnis der Komponenten der Wirklichkeit, unveränderliches Gesetz ihrer
Umwandlung ineinander und beharrliche Substanz (nämlich Feuer).”65

3.3 Die soziale Ordnung gemäß dem Logos


Die universale Ordnung ist also, wie oben erläutert, eine Einheit von
Gegensätzen, die miteinander im Widerstreit stehen. Dies ist überall und
ununterbrochen der Fall. Der Logos ist nicht für alle erkennbar, aber in seiner
Harmonie wirksamer als jede andere Harmonie der Welt.66 Einige Menschen
besitzen die Fähigkeit, den Logos oder Teile davon zu erkennen und ihr Leben

61 Vgl. Röd, 1976, 96.- Eine weitere radikale Interpretation, auf die hier nicht eingegangen
werden kann, wird bei Röd diskutiert, siehe Röd, 1976, 97-98.
62 Vgl. Mansfeld, 1999, 233.- Nach der extremen Auffassung gäbe es dann auch keine
Möglichkeit, Dinge zu identifizieren und sinnvoll über diese zu sprechen. (Vgl. Röd, 1976, 96)
63 Röd, 1976, 95.
64 Vgl. Röd, 1976, 98.
65 Röd, 1976, 99.
66 Vgl. B123 M27 und B54 M48.

11
danach auszurichten.67 Diese Personen stehen über den Menschen, denen diese
Einsicht fehlt.68 Die wenigen Einsichtigen „haben die Aufgabe, der großen Menge
jene Prinzipien zu vermitteln bzw. sie für die Menge durch Konkretisierung und
Positivierung verbindlich zu machen.“69 Hierfür begründet sich also legitime
Herrschaft. Heraklits Ansicht nach war die Gesellschaft seiner Heimat Ephesus
entartet und dekadent. Er verglich die Menschen mit Vieh, das durch Habgier,
Engstirnigkeit und letztendlich durch die Hybris bestimmt sei.70 Die Führung
durch einsichtige Personen solle dieser Verrohung entgegenwirken.71
Die antithetische Konzeption des Logos dient aber nicht zur Rechtfertigung
bestimmter Gesetze oder sozialer Normen, sondern versucht den Streit von
Gegensätzen als oberstes Prinzip zu etablieren. Damit ist alles legitim, was aus
diesem Prinzip folgt.72 Der „Krieg”, der „Streit”, der „Zwiespalt”, der zwischen den
Dingen herrscht, ist das Allgemeine und deshalb rechtens. Und alles, was „in
Übereinstimmung mit Zwiespalt” ist somit auch rechtens. 73 So versteht sich auch
diese Äußerung: „Krieg ist von allem der Vater, von allem der König, denn die
einen hat er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die
anderen zu Freien gemacht.“
Weiterhin postuliert Heraklit: „Gesetz ist es auch, dem Willen eines einzelnen zu
gehorchen.”74 Dahinter scheint wohl der der Gedanke zu stehen, dass der Logos
auch als „der eine Weise” charakterisiert wird, dem alles gehorcht. Und da die
menschlichen Gesetze Annäherungen an das göttliches Gesetz sein sollen 75, ist es
Gesetz dem Willen einer einsichtigen Person zu gehorchen.76 Die soziale
Ordnung ist demnach analog zum Kosmos eine concordia discors, d.h. die
Gesellschaftsordnung schafft einen Ausgleich von Interessenskonflikten. In der
67 Vgl. auch B86 M30 bzw. B112 M109.
68„Einer gilt mir Unzählige, so er der Ausgezeichnetste ist.” (B49 M113)
69 Röd, 1976, 89.
70 Vgl. Röd, 1976, 87.- „Übermut (Hybris) ist zu bekämpfen, denn er bedeutet ein Zuviel an
Feuerhaftem in der Seele und verstößt deshalb gegen den göttlichen Gesamthaushalt.”
(Mansfeld, 1999, 239)
71 Vgl. B85 M98 und B43 M100.
72 Vgl. Röd, 1976, 90.
73 B80 M51
74 B33 M112
75 Vgl. B114 M110.- Der Mensch ist im Vergleich zu Gott ein primitiver Affe, so wie der Affe im
Vergleich zum Menschen primitiv wirkt. (Vgl. B79 M59, B83 M60, B82 M61)
76 Vgl. B114 M110; vgl. Röd, 1976, 88-89.- Die allumfassende Ordnung der Welt ist weder vom
Menschen noch von Gott geschaffen. (Vgl. Röd, 1976, 89)

12
Polis sind die gegensätzlichen Stände vereint und stehen sich in einem
Widerstreit gegenüber (coincidentia oppositorum).77 Die strenge Trennung von
Ständen ist hierfür essentielle Voraussetzung. Gemäß dieser Konzeption steht
zumindest die direkte Demokratie, wie es sie beispielsweise damals in Ephesus
gab, im Widerspruch zur göttlichen Ordnung des Universums. Heraklit forderte
dagegen wohl eine Herrschaft von Optimaten in einer Art „Geistesaristokratie“.78

4 Fazit
Heraklits Äußerungen polemisieren und wirken nach heutigem Verständnis an
etlichen Stellen stark verwerflich. Hinter seinem Logos steht ein Prinzip, dass
üblicherweise in der Naturrechtslehre angewendet wird. So entdeckt er, dass die
Dinge in der Welt in einem bestimmten Verhältnis zueinander agieren, eine
gewisse Systematik besitzen, die zuerst alles andere als normativ ist. Dieses
Prinzip, das er in den Dingen sieht, projiziert er dann auf eine höhere,
metaphysische Ebene. Von dieser Ebene herab versucht er dann wiederum
bestimmte Verhältnisse in der Welt zu erklären und zu legitimieren.79
Wenn man hiervon absieht, so entdeckt man in den wenigen Fragmenten viele
Gedankengänge der abendländischen Philosophie in ihrer Urform. Den
Einsichtigen, der in einer Art vernunftgeprägten Wesensschau Weisheit erlangt,
finden wir später bei Platon wieder. Die vernünftige Weltordnung, der man sich
unterwerfen muss, um gemäß der Natur zu leben, wird bei den Stoikern wieder
aufgegriffen. Obwohl Heraklits Gottesbegriff rational ist, scheint einiges davon
im Christentum aufgegangen zu sein, wo Feudalismus oder Absolutismus durch
Verweis auf die göttliche Ordnung gerechtfertigt wurde. Der Gedanke der
„ewigen Wiederkunft” bei Friedrich Nietzsche zeigt deutliche Analogien zu
Heraklits ewigen Logos. Zudem führt uns Heraklit unzweifelhaft zur Frage nach
der Substanz, zur Frage nach dem konstanten, letzten Element unserer
Wirklichkeit, die heute noch immer ungeklärt ist und die Wissenschaft zu immer
weiteren experimentellen Schritten herausfordert.

77 Die Ablehnung der Demokratie soll bei Heraklit zu einer starken Misanthropie geführt haben,
durch die er schließlich Einsiedler geworden sei, so eine Anekdote. (Vgl. Röd, 1976, 86)
78 Vgl. Röd, 1976, 87-88.
79 Vgl. Röd, 1976, 89.

13
5 Literaturverzeichnis

Mansfeld, 1999
Mansfeld, Jaap (Hg./Übers.): Die Vorsokratiker I. Bibliogr. erg. Ausg.
Stuttgart 1999.
Röd, 1976
Röd, Wolfgang: Geschichte der Philosophie Band I. Die Philosophie
der Antike 1. Von Thales bis Demokrit. München 1976.

14

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